Stilart und Stilebene
Wo ist ein gezieltes Achten auf den Stil interessant?
Im realen Leben, wo man mit unterschiedlichen Menschen kommuniziert und dabei verschiedene Ziele verfolgt und Eindrücke vermitteln will, zum Beispiel bei Finanzbeamten oder Freunden.
Beim Erzählen einer Geschichte wird man eine bestimmten Stil wählen, um den erwünschten Eindruck beim Leser zu hinterlassen. Mit dem Stil vermittelt der Erzähler die Art seiner Anteilnahme.
Ein emphatischer oder gar pathetischer Stil zeigt Anteilnahme am Geschehen, was nicht ohne Wertung möglich ist. Die Wertung ist eine Aufwertung, ein Erhöhen oder Bejubeln selbst profaner Dinge.
Die (derzeit) gebräuchlichste Form ist die neutrale. Der Erzähler gibt sich unbeteiligt, er überlässt dem Leser jegliche Wertung. Die Präsenz des Erzähler ist kaum spürbar.
Distanz zum Geschehen zeigt der ironische Stil. Auch er transportiert Wertung, meist eine leichte Abwertung. Der Erzähler gibt sich als überlegen dem Geschehen und den Figuren gegenüber.
Die Übergänge sind praktisch stufenlos. Je mehr man sich vom Neutralen entfernt, egal in welche Richtung, desto eher wird vom Leser ein Erzähler zwischen den Zeilen herausgehört. Es werden viele Aussagen dann als wertend erkannt.
Die Stil kann noch verfeinert werden.
Über die Stilart,
sie vermittelt einen mehr oder weniger ästhetischen Eindruck zur Sprache des Erzählers. Die Grenzen der Ästhetik sollten die Grenzen der Grammatik nicht überschreiten. Derzeit ist es wohl eher angebracht, die Anmut der schlichten und gezielten Sprache zu zelebrieren. Schachtel-, Kettensätze und übertriebene Experimente mit dem Satzbau sind nicht sehr gefragt.
Über die Stilebene,
sie vermittelt den Grad der sozialen Akzeptanz. Dabei stehen unterschiedliche Sprachregister zur Seite.
Die 6 wichtigsten Sprachregister mit kleinen Beispielen:
Gespreizt: Er paradierte über den Platz.
Gewählt: Er schritt über den Platz.
Förmlich: Er bewegte sich über den Platz.
Neutral: Er ging über den Platz.
Salopp: Er stapfte über den Platz.
Vulgär: Er latschte über den Platz.
Gespreizt: Er muss für seine Hochschulreife Weisheiten erwerben
Gewählt: Er muss für sein Abitur Bücher studieren
Förmlich: Er muss sich auf sein Abitur vorbereiten
Neutral: Er muss für sein Abitur lernen
Salopp: Er muss sich für sein Abi auf den Hosenboden setzen
Vulgär: Er muss für sein Abi büffeln
Je mehr man den Empfänger beeindrucken oder Respekt zollen will, desto höher wählt man sein Sprachregister – die zwei oberen Varianten.
Förmlich wäre beruflich oder bei einem Schreiben ans Finanzamt angebracht, neutral ist wohl derzeit das meistverwendete Register bei Romanen.
Selbstverständlich kann und darf ein Erzähler seine Meinung mit einbringen. Gerade Einfärbungen nach unten, ins saloppe, (in besonderen Fällen auch ins Vulgäre) kann schnell beim Leser eine Vertrautheit suggerieren, weil dieser Stil der Alttagessprache nahe kommt.
Soll oder darf der Erzähler mehrere Register nebenher verwenden?
Keine einfach zu beantwortende Frage:
Im Prinzip kann man alles machen, solange man weiß, wie, wo und warum man es tut.
Meine Meinung: Bei einem personalen Erzähler würde ich solch ein Gemenge von gehoben bis vulgär nicht empfehlen. Das sähe so aus, als hätte er sich nicht im Griff oder ließe sich von dem Geschehen mitreißen und verlöre dabei seine Objektivität, seine Zuverlässigkeit.
Bei einen Icherzähler gilt wieder etwas anderes. Hier mal ein Zitat aus E.A.Poe's „Der Rabe“:
Als um Mitternacht ermüdet ich das düstre Haus gehütet über manchem Buch voll Weisheit, alter, fast vergess'ner Lehr, Als ich schon mehr schlief als wachte, war mir, eh' ich's noch bedachte, So, als klopfte jemand sachte, sachte an die Zimmertür. "Irgend ein Besucher", murrt ich, "klopft an meine Zimmertür,
Das wird's sein, nichts weiter mehr."
Gewählt, fast schon gespreizt, als er halb schlafend noch an die Bücher voller Weisheiten dachte, dann die Störung, es klopft, die Stimmung sinkt und das Register auch – deshalb steht dort das saloppe „Murren“, statt z.B. das gewählte „klagen“.
Bei der wörtlichen Rede gilt das alles nicht.
Aber auch da ist der bewusste Einsatz der Sprachregister interessant. Jede Figur kann, passend zum Charakter usw., ein Register zugeordnet bekommen. Die Figur kann sogar das Register wechseln (tun wir im Leben ja auch), je nachdem mit wem sie redet und was sie dabei erreichen will.