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Stilart und Stilebene

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26.02.2009
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Stilart und Stilebene

Wo ist ein gezieltes Achten auf den Stil interessant?

Im realen Leben, wo man mit unterschiedlichen Menschen kommuniziert und dabei verschiedene Ziele verfolgt und Eindrücke vermitteln will, zum Beispiel bei Finanzbeamten oder Freunden.

Beim Erzählen einer Geschichte wird man eine bestimmten Stil wählen, um den erwünschten Eindruck beim Leser zu hinterlassen. Mit dem Stil vermittelt der Erzähler die Art seiner Anteilnahme.

Ein emphatischer oder gar pathetischer Stil zeigt Anteilnahme am Geschehen, was nicht ohne Wertung möglich ist. Die Wertung ist eine Aufwertung, ein Erhöhen oder Bejubeln selbst profaner Dinge.
Die (derzeit) gebräuchlichste Form ist die neutrale. Der Erzähler gibt sich unbeteiligt, er überlässt dem Leser jegliche Wertung. Die Präsenz des Erzähler ist kaum spürbar.
Distanz zum Geschehen zeigt der ironische Stil. Auch er transportiert Wertung, meist eine leichte Abwertung. Der Erzähler gibt sich als überlegen dem Geschehen und den Figuren gegenüber.

Die Übergänge sind praktisch stufenlos. Je mehr man sich vom Neutralen entfernt, egal in welche Richtung, desto eher wird vom Leser ein Erzähler zwischen den Zeilen herausgehört. Es werden viele Aussagen dann als wertend erkannt.

Die Stil kann noch verfeinert werden.

Über die Stilart,
sie vermittelt einen mehr oder weniger ästhetischen Eindruck zur Sprache des Erzählers. Die Grenzen der Ästhetik sollten die Grenzen der Grammatik nicht überschreiten. Derzeit ist es wohl eher angebracht, die Anmut der schlichten und gezielten Sprache zu zelebrieren. Schachtel-, Kettensätze und übertriebene Experimente mit dem Satzbau sind nicht sehr gefragt.

Über die Stilebene,
sie vermittelt den Grad der sozialen Akzeptanz. Dabei stehen unterschiedliche Sprachregister zur Seite.
Die 6 wichtigsten Sprachregister mit kleinen Beispielen:

Gespreizt: Er paradierte über den Platz.
Gewählt: Er schritt über den Platz.
Förmlich: Er bewegte sich über den Platz.
Neutral: Er ging über den Platz.
Salopp: Er stapfte über den Platz.
Vulgär: Er latschte über den Platz.

Gespreizt: Er muss für seine Hochschulreife Weisheiten erwerben
Gewählt: Er muss für sein Abitur Bücher studieren
Förmlich: Er muss sich auf sein Abitur vorbereiten
Neutral: Er muss für sein Abitur lernen
Salopp: Er muss sich für sein Abi auf den Hosenboden setzen
Vulgär: Er muss für sein Abi büffeln

Je mehr man den Empfänger beeindrucken oder Respekt zollen will, desto höher wählt man sein Sprachregister – die zwei oberen Varianten.
Förmlich wäre beruflich oder bei einem Schreiben ans Finanzamt angebracht, neutral ist wohl derzeit das meistverwendete Register bei Romanen.
Selbstverständlich kann und darf ein Erzähler seine Meinung mit einbringen. Gerade Einfärbungen nach unten, ins saloppe, (in besonderen Fällen auch ins Vulgäre) kann schnell beim Leser eine Vertrautheit suggerieren, weil dieser Stil der Alttagessprache nahe kommt.

Soll oder darf der Erzähler mehrere Register nebenher verwenden?
Keine einfach zu beantwortende Frage:
Im Prinzip kann man alles machen, solange man weiß, wie, wo und warum man es tut.

Meine Meinung: Bei einem personalen Erzähler würde ich solch ein Gemenge von gehoben bis vulgär nicht empfehlen. Das sähe so aus, als hätte er sich nicht im Griff oder ließe sich von dem Geschehen mitreißen und verlöre dabei seine Objektivität, seine Zuverlässigkeit.

Bei einen Icherzähler gilt wieder etwas anderes. Hier mal ein Zitat aus E.A.Poe's „Der Rabe“:

Als um Mitternacht ermüdet ich das düstre Haus gehütet über manchem Buch voll Weisheit, alter, fast vergess'ner Lehr, Als ich schon mehr schlief als wachte, war mir, eh' ich's noch bedachte, So, als klopfte jemand sachte, sachte an die Zimmertür. "Irgend ein Besucher", murrt ich, "klopft an meine Zimmertür,
Das wird's sein, nichts weiter mehr."

Gewählt, fast schon gespreizt, als er halb schlafend noch an die Bücher voller Weisheiten dachte, dann die Störung, es klopft, die Stimmung sinkt und das Register auch – deshalb steht dort das saloppe „Murren“, statt z.B. das gewählte „klagen“.

Bei der wörtlichen Rede gilt das alles nicht.
Aber auch da ist der bewusste Einsatz der Sprachregister interessant. Jede Figur kann, passend zum Charakter usw., ein Register zugeordnet bekommen. Die Figur kann sogar das Register wechseln (tun wir im Leben ja auch), je nachdem mit wem sie redet und was sie dabei erreichen will.

 

Eine klasse Übersicht lieferst du hier, lieber Asterix.

Eine Hilfestellung, die man sich immer vergegenwärtigen sollte, quasi beim Überarbeiten seines Textes.
Es gibt nichts hinzuzufügen. ;)

Danke :thumbsup:

 

Lieben Dank!

Was mir noch nicht so richtig gefällt, ist das Beispielwort "lachen". Da suche ich noch nach einem besseren, was aber nicht so einfach ist, weil es die ganze Bandbreite der Register umfassen muss.
Vielleicht wäre ein kurzer Beispielsatz auch besser geeignet als nur ein Wort.

 

Vielen Dank, Asterix für diesen Überblick, den ich ja gerne mal im Eifer des Gefechts verliere.

Viel zu lernen ich noch hab. :shy:

Freundlicher, Gruß Kanji

 

Was mir noch nicht so richtig gefällt, ist das Beispielwort "lachen". Da suche ich noch nach einem besseren, was aber nicht so einfach ist, weil es die ganze Bandbreite der Register umfassen muss.

"Lachen" kann ja tatsächlich vom bösartigen auslachen übers freundliche anlachen bis zum übertreibenden kaputtlachen und dem Gelächter der Götter reichen.

Lächeln tät's vielleicht neutral und wohlwollend, zumindest nix Schlimmes wollendes. Grinsen wäre die Kehrseite.

Ich überleg mal weiter ...

Bis bald

Friedel

 

Was mir noch nicht so richtig gefällt, ist das Beispielwort "lachen". Da suche ich noch nach einem besseren, was aber nicht so einfach ist, weil es die ganze Bandbreite der Register umfassen muss.
Das Beispiel zu "Lachen" finde ich ganz gut.
Wie wäre es denn (zusätzlich) mit dem Wort "lernen"?

Gespreizt : (Wissen) erwerben
Gewählt : studieren
Förmlich: aneignen, erlernen
Neutral : lernen
Salopp : büffeln
Vulgär : sich reinziehen

Vielleicht geht das ja oder kann man das ausbauen?

 

Hallo Asterix,

sehr guter und interessanter Beitrag von Dir, vielen Dank dafür.

Dein Beispiel zu den Sprachregistern finde ich ganz gelungen, wobei die Schwierigkeit darin liegt, dass jeder Begriff natürlich auch immer eine etwas andere Bedeutung hat (das "lachen" passt nach meinem Empfinden auch nicht richtig und bei manchen Begriffen in Deinem Beispiel geht es um die Emotion selbst (z.B. "fröhlich sein") und bei anderen darum, wie man die Emotion ausdrückt, z. B. "lachen"; eine bessere Idee habe ich da aber gerade auch nicht,).

Es ist sicher sehr schwer ein gutes Beispiel zu finden. Das von GoMusic finde ich auch ganz gut.

Mein Beispiel ist:

Gespreizt: paradieren ("Er paradierte über den Platz.")
Gewählt: schreiten ("Er schritt über den Platz.")
Förmlich: spazieren ("Er spazierte über den Platz.")
Neutral: gehen ("Er ging über den Platz.")
Salopp: stapfen ("Er stapfte über den Platz.")
Vulgär: latschen ("Er latschte über den Platz.")

Wobei man lange darüber diskutieren kann, ob man z. B. "schreiten" und "spazieren" nicht austauschen könnte (oder "stapfen" und "latschen").

Auch hier haben die Begriffe leicht unterschiedliche Bedeutungen, aber nach meinem Gefühl ist die Varianz relativ klein.

Gruß
Geschichtenwerker

 

GoMusic Friedrichard und Geschichtenwerker

Danke für eure Beispiele.
Ich werde wohl mehrere aufnehmen, warum nicht?
Wenn ich Geschichtenwerkers Kurzsätze betrachte, denke ich, Sätze snd wohl die beste Lösung.

 

Ich - schon wieder!, denn ich hatte ein wenig Probleme mit dem Wort "Stilhaltung",

lieber Asterix,

nicht nur, weil der Duden genau einmal das Wort verwendet (also immerhin kennt, wenn auch keineswegs als Stichwort, sondern unterm Stichwort "Feuilletonismus" und das grimmsche Wörterbuch es gar nicht zu kennen scheint), MetaGer (ich google halt nicht, ich lass halt u. a. googlen) liefert mir zunächst die Spaltung des Wortes in seine zwo Teile unter "Stil und Haltung" von der Kochkunst bis zum Tanz, von der Stilberatung über die Körperhaltung bis zum modischen Textil und Accessoire - dafür klappert's dann richtig unter Wikipedia bis zu Bewusstlosigkeit, wobei tatsächlich sich Aufsätze finden lassen, in denen das Wort ernsthaft verwendet wird zunächst im Architektenblatt und im Goethezeitportal - wobei man da richtig suchen muss und in einem Werkstattbericht fündig wird in einem Satz, der mich schaudern lässt "... Zielgruppenkonflikte haben Konsequenzen für das Kommunikationsdesign: den visuellen Auftritt, die Stilhaltung und das Anspruchsniveau der redaktionellen Teile ..." (http://www.goethezeitportal.de/projekt-infos/das-goethezeitportal-ein-werkstattbericht.html), pures Marketing / PR.

Also betreibe ich Wort/Haar/Kernspalterei: Stil und Haltung.

Nach dem Grimmschen/Deutschen Wörterbuch (eingestellt im wörterbuchnetz.de, immer noch die Grundlage des Deutschen Wörterbuches) taucht das Wort im ersten Drittel des 15. Jh. in den Formen "stil, styl, stiehl, stiel, stihl" auf und knüpft ans lat. "'stilus als 'modus scribendi (et dicendi)' an und bildet als 'literarische Darstellungsweise' bis heute ein Kernstück der Wortbedeutung" - präziser wird dann exakt die Jahreszahl 1425 als "stil" i. S. von "Schreibart" mit einem heute unbekannten Namen verknüpft (wer kennte noch die Schöpfer des vorlutherischen frühesten nhd.?), wobei nicht vergessen werden darf, dass "stilus" eigentlich den spitzen Pfahl sowohl als Griffel und Schreibgerät als auch den "Stiel" am Besen meint. Der Duden definiert dann (zunächst auf unsere Verhältnisse reduziert)"durch Besonderheiten geprägte Art und Weise, etwas mündlich oder schriftlich auszudrücken, zu formulieren" fügt dann aber hinzu "Art und Weise des Sichverhaltens, des Vorgehens Art [und Weise], Methode, Verfahrensweise, Verhaltensweise", die sich dann unterm Stichwort "Haltung" mit kleinen Abweichungen wiederholt "Haltung Art und Weise, besonders beim Stehen, Gehen oder Sitzen, den Körper, besonders das Rückgrat, zu halten; Körperhaltung
1. innere [Grund]einstellung, die jemandes Denken und Handeln prägt
2. Verhalten, Auftreten, das durch eine bestimmte innere Einstellung, Verfassung hervorgerufen wird
3. Beherrschtheit; innere Fassung"

Der (Schreib-)Stil verrät die innere Haltung eines Autors. Das kann hierorts auch gar nicht anders sein, denn die (Ent-)Äußerung unseres Innersten ist hierorts allein die Schriftform und in den seltensten Fällen der persönlichen Begegnung das Äußere nebst der wörtlichen Rede und des Schweigens. In meiner Sprache geb ich mein Bewusstsein preis (persönlich fast immer in [Selbst-]Ironie gekleidet, damit der Modedesigner auch was von mir habe).

Im Grunde, so find ich, ist "Stilhaltung" also eine an sich unnötige Doppelung, die sich wahrscheinlich aus der Teilung des (Schreib-)Stils in -Art und -Ebene ergibt. Wichtig ist allemal, wie wir mit der Sprache umgehen (was auch bedeuten kann, wie einer grammatische Probleme "umgeht") und noch wichtiger mit dem Anderen, dem (zunächst) Fremden.

Es kann nie schaden, ggfs. ein Wort bis in seine kleinsten Bedeutungseinheiten zu zerlegen, selbst wenn mancher das als Haarspalterei empfindet. Ich weiß halt gern, was ich so schreib.

Schönes Wochenende aus'm Pott vom

Friedel

 

Lieber Friedel!

Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, Stilhaltung im Duden zu suchen. Gut, dass du es gemacht hast.
Ich werde da mal nachforschen, ob der Begriff in der Literaturwissenschaft noch verwendet wird oder überhaupt nur von Hans-Dieter Gelfert in dem Zusammenhang benutzt wird.

Überhaupt finde ich in Fachbüchern Begriffe vor, die an anderer Stelle bestenfalls eine ähnliche Bedeutung haben wie in der L-Wissenschaft, dort aber herangezogen werden, um eine Sache weiter zu differenzieren. Beispiel:
Spannung. Man sagt, der Text liest sich spannend! Oder man sagt, die Story war zum Gähnen langweilig, also nicht spannend. Das Urteil ist in jedem Fall aus einem Gefühl heraus entstanden.
Nun kann man aber nicht jedes mal die Ursache für dieses Gefühl im Text konkret wiederfinden.
Es gibt ja auch Geschichten, die kommen ohne jegliche Form von Gewalt und Brutalität aus und sind trotzdem spannend. Es muss also verschiedene Formen oder Arten von Spannung geben, die der Leser aber gemeinhin nicht bewusst unterscheidet.
Also nimmt man einfach Begriffe aus der Elektrotechnik (was ja nicht abwegig ist) und sagt: Es gibt die Longitudinalspannung und es gibt die Transversalspannung. Schon hat man den Begriff Spannung aufgeteilt in zwei Arten, weil man eben zwei Arten braucht.

Um es kurz zu machen, ich vermute, Stilhaltung ist ein zusammengebasteltes Wort, um etwas zu bezeichnen, was im Alltag keine Bezeichnung hat oder braucht. Daher steht es auch nicht im Duden.

Okay, ich werde mal schauen, ob ich da etwas ändern kann, ohne das Thema dadurch irgendwie in Breite oder Tiefe einzuschränken.
Je nachdem, ob ich etwas im www finde oder meine Bücher (die, die nicht von Gelfert sind) durchblättern muss, wird es entweder schnell gehen oder etwas länger dauern.

Lieben Gruß

Asterix

 

Friedrichard

Lieber Friedel!

Stilhaltung soll den unverkennbaren, persönlichen Stil eines Autors bezeichnen. Stilart und -ebene dann die bewusst aufgesetzten Stile.
Den persönlichen, wie man auch sagt, kaum veränderbaren Stil eines Autors zu ermitteln, erfordert viel Arbeit und Textvergleiche, was hier für unsere Zwecke wohl kaum interessant sein dürfte.
Das ist ein Grund, meinen Beitrag zu ändern. Weitere Gründe:
Dein Aufdröseln des Begriffs Stilhaltung stimme ich zu – Vermute, du hast nichts Anderes erwartet.
Der Begriff Stilhaltung ist nicht fest etabliert. Man muss schon heftigst suchen, um ihn in Verbindung mit Schreibstilen zu finden.

Nebenbei:
An die Beispiele denke ich noch.

Lieben Gruß

Asterix

So, nun brauche ich nur noch jemanden, der mir den Titel ändert. Mal sehen, wen … ah! weltenläufer , bitte installiere mir den neuen Titel:
Stilart und Stilebene

 

"Stilart" ist fein,

lieber Asterix,

ich bleib aber beim weichen Ende meines zwoten Vornamens, abwohl auch da inzwischen "Art" einen anderen Klang bekäme, als zwo Vornamen einfach ineinander zu schieben. Auf jeden Fall ist "Stilhaltung" wieder in Buch- und Vieh- und Haushalt/ung angekommen.

Ich hatte das Wort übrigens auch in einer theoretischen Abhandlung über Film und Kameraführung gefunden. Da wird aber ein Text - wie im Theater - mehrfach gebrochen - zumindest übers Knie des Regisseurs und das Auge des Kamermanns, sofern man nicht noch den Drehbuchautor/Dramatiker dazu rechnen will.

Bis dann

Friedel, der hier an der Ostseite sitzt und somit gleich im Schatten ...

 

Hallo! Geschichtenwerker

Wobei man lange darüber diskutieren kann, ob man z. B. "schreiten" und "spazieren" nicht austauschen könnte (oder "stapfen" und "latschen").
Das ist überhaupt schwieriger als ich dachte.
Was sagst du zu diesen Vorschlägen?
Förmlich: spazieren ("Er spazierte über den Platz.")
Wie wäre es mit: Er bewegte sich über den Platz?

Gespreizt: paradieren ("Er paradierte über den Platz.")
Stolzierte?
GoMusic
Gespreizt : (Wissen) erwerben
Gewählt : studieren
Förmlich: aneignen, erlernen
Neutral : lernen
Salopp : büffeln
Vulgär : sich reinziehen
„Lernen“ ist auch ein gutes Wort für unsere Beispiele. Kurze Sätze sind jedoch besser geeignet. Kannst du da noch einmal helfen? Dann hätten wir drei gute Beispiele!


Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix,

ja, das ist schwierig. Meine Vermutung ist, dass es wenig Wörter gibt, die in allen Sprachregistern mit einer wirklich (annähernd) gleichen Bedeutung vorkommen und dann hängt natürlich die exakte Bedeutung vom Kontext ab (deswegen hatte ich Sätze genommen). Ich glaube auch, dass man tatsächlich nicht vollständig in einem Sprachregister bleiben kann, sondern sich diese immer vermischen (so wie früher oftmals Begriffe, die der Adel verwendete, Eingang in die Umgangssprache fanden: meines Wissens trifft dies auf das bayerische Botschamperl (Nachttopf) zu, das vom französischen "Pot de Chambre" stammt, sodass wohl dieser Begriff eine Reise vom Sprachregister "gespreizt" bis womöglich "vulgär" hinter sich hat).

Das Wort "bewegen" statt "spazieren" finde ich ganz gut, da es sehr neutral ist und tatsächlich nur den Bewegungsvorgang beschreibt.

Das "stolzieren" hat für mich eine andere Bedeutung als "paradieren", da das Wort "stolzieren" eine negative Konnotation hat ("stolzierte wie ein Gockel"), wohingegen "paradieren" für das Abschreiten (oder Abfahren) eines Weges durch eine hochgestellte Persönlichkeit verwendet wird und daher für mein Sprachempfinden "gespreizt" ist (ich habe ein Satzbeispiel in einem Wikipedia-Artikel gefunden: "Neben zahlreichen Festakten, wie einem Gottesdienst in der St Paul's Cathedral und der Westminster Hall, paradierten Georg und Maria in einer offenen Kutsche durch London." (Aus https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_V._(Vereinigtes_Königreich).

Aber am Ende ist das auch - denke ich - Geschmackssache. Mir macht es aber Spaß darüber zu diskutieren. Wenn Du also noch weiteren Input möchtest oder Diskussionsbedarf hast, lasse es mich wissen.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Hallo ihr zwo, Asterix, Geschichtenwerker,

bei mr schwingt bei der Wahl eines Wortes oft die Ethymologie mit, denn auch alte Bedeutungen sind ja in der Moderne - wenn auch manchmal verschwiegen - nicht weg, sowenig ein Kind seine Natur abstreifen kann als seine soziale Herkunft. Wer nun aber nicht unbedingt im DeutschenWörterbuch (oder im Wörterbuchnetz.de) suchen will und sich auch wenig für Belege interessiert, der schaue unter http://www.duden.de/rechtschreibung/[gesuchtes Wort] nach, da wird neben einer kleinen Grammatik gleichzeitig eine Kürzestethymologie und einer Flut von Synonymen geliefert, hier fürs "gehen"

" flanieren, sich fortbewegen, laufen, marschieren, schleichen, schlendern, schlurfen, schwanken, spazieren, stampfen, stapfen, stelzen, stolzieren, tänzeln, tappen, taumeln, trotten, wandern, waten, watscheln; (gehoben) schreiten, wandeln; (gehoben oder spöttisch) wallen; (umgangssprachlich) bummeln, dackeln, eiern, latschen, pilgern, schlappen, staksen, stiefeln, stöckeln, tapsen, tippeln, torkeln, trödeln, wackeln, zockeln, zotteln, zuckeln; (salopp) hatschen; (abwertend) trampeln; (norddeutsch) staken; (landschaftlich, besonders norddeutsch) schlurren; (gehoben veraltend) lustwandeln
abfahren, abgehen, ablegen, abreisen, aufbrechen, sich entfernen, sich in Bewegung setzen, losfahren, starten, weggehen; (umgangssprachlich) sich fortmachen
abdanken, sich abmelden, abtreten, aufhören, ausscheiden, austreten, demissionieren, kündigen, pensioniert werden, sein Amt niederlegen, seine Entlassung einreichen, seine Funktion/Stellung aufgeben, seinen Rücktritt erklären, zurücktreten; (umgangssprachlich) seinen Hut nehmen; (süddeutsch, österreichisch) ausstehen; (veraltend) den Dienst/sein Amt quittieren
angeschaltet/angestellt/eingeschaltet sein, arbeiten, funktionieren, funktionstüchtig sein, in Betrieb/Gang sein, in Bewegung/Funktion/Tätigkeit sein, in Ordnung sein, intakt sein, laufen; (umgangssprachlich) an sein, tun
durchführbar sein, funktionieren, gelingen, infrage/in Frage kommen, klappen, machbar/möglich/umsetzbar sein, sich machen lassen; (salopp) hinhauen
akzeptiert werden können, angehen, annehmbar sein, sich ertragen lassen, erträglich/vertretbar sein, zulässig sein; (bildungssprachlich) akzeptabel sein, tolerabel sein, toleriert werden können
absetzbar/verkäuflich sein, sich absetzen/verkaufen lassen, gewünscht/nachgefragt/verkauft werden
sich fühlen, zumute sein; (gehoben) sich befinden; (umgangssprachlich) beieinander sein, drauf sein, zumut sein
betreffen, sich drehen/handeln um, zu tun haben mit"

So kann man seinen bescheidenen Wortschatz auslagern ... und wird vom hohen Tone Goethens bis hinab zum einfachen Ton des Fünfjährigen so ziemlich alles finden auch in seiner Mehrdeutigkeit.

Gruß

Friedel

 

Hallo lieber Friedrichard,

der Duden ist sicherlich die erste Anlaufstelle, um nach Alternativen zu suchen, wobei interessanterweise das "paradieren" in dieser Auflistung nicht vorkommt.

Zusätzlich zum Duden nehme ich auch ganz gerne https://www.openthesaurus.de/.

Die Etymologie schwingt in der Tat immer mit, wobei dieser "etymologische Beigeschmack" beim Einzelnen sicherlich stark von weichen Parametern abhängt, wie Alter, Herkunft (sozial und örtlich), Wissenserwerb, etc.

Ein unerschöpfliches Thema, das wohl bei der aktuellen Hitze am schönsten bei einem kühlen Glas Weißwein oder einem kalten Bier auf einer schattigen Terrasse zu erörtern wäre. Wahrscheinlich würde dies auch die Kreativität insbesondere im höchsten und niedrigsten Sprachregister steigern.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Friedrichard

Vielen Dank für deinen Hinweis. Der Duden sortiert sogar annähernd nach den Registern. Sehr brauchbar!
Geschichtenwerker

Ich habe nun dein Beispiel eingearbeitet.

Ich glaube auch, dass man tatsächlich nicht vollständig in einem Sprachregister bleiben kann, sondern sich diese immer vermischen (so wie früher oftmals Begriffe, die der Adel verwendete, Eingang in die Umgangssprache fanden
Ja, auch Kanzlei-Deutsch ist in die Umgangssprache eingeflossen. Ich muss da jedoch ein kleines "aber" hinterherschieben: Redewendungen und Begriffe höher gestellter Personen werden immer dann in die Umgangssprache reingestreut, wenn man etwas damit erreichen will. Z.B. seine vermeintliche Dummheit oder Minderwertigkeit überspielen, oder das Gegenüber beeindrucken. Womit wir wieder bei den Registern und ihrer (praktischen) Anwendung sind.

Aber am Ende ist das auch - denke ich - Geschmackssache.
Ja, Geschmackssache und auch sehr viel Gefühlssache und der Zeitgeist spielt da wohl auch noch eine Rolle.
Aber um nicht allzuoft in diese drei Fallen zu stolpern, haben wir nun diesen Thread. Und immer dran denken, wir schreiben (in der Regel) für die Ewigkeit!

Liebe Grüße!

 
Zuletzt bearbeitet:

Asterix
Aber am Ende ist das auch - denke ich - Geschmackssache.
Geschichtenwerker
Ja, Geschmackssache und auch sehr viel Gefühlssache und der Zeitgeist spielt da wohl auch noch eine Rolle.
Aber um nicht allzuoft in diese drei Fallen zu stolpern, haben wir nun diesen Thread. Und immer dran denken, wir schreiben (in der Regel) für die Ewigkeit!

Recht habt ihr zwo,

aber ist schon mal aufgefallen, wann i. d. R. auf den Geschmack zurückgegriffen wird? „Das ist sicher ein Stück weit auch Geschmackssache“, heißt es dann nicht nur hierorts, wenn anderes Pulver veschossen ist und man doch noch was zum Besten gibt.
.
Aber was, zum Teufel, hat die Fähigkeit, chemische Substanzen wahrzunehmen und zwischen bitter, salzig, sauer und süß unterscheiden zu können, mit Literatur zu tun?

Nix, behaupt ich mal, selbst wenn verstärkt durch den Geruchssinn ungezählte Nuancen an Geschmacksrichtungen entstehen.

Aber was haben Nase und Zunge mit Kunst und Literatur zu tun – sehn wir mal ab von der darstellenden Kunst in und aus der Küche. Gut, das gesprochene Wort bedarf des Resonanzraumes, wo Lippen und Zunge keine unbedeutende Rolle spielen, und wenn man nahe genug dem Sprecher zugewandt ist, kann die Nase auch einen ersten, manchmal entscheidenden Eindruck vom Innersten des Sprechers liefern (also nicht nur das Ohr des Hörers). Ich bezweifel stark, dass auch nur eine arme Seele hierorts Bildschirm oder Blatt ableckt oder auch nur beschnüffelt. Es würde zumindest Befremden beim Beobachter auslösen.

Wie also kommt der Geschmack in die Kunst- und speziell die Literaturkritik?

Durch den Kritizismus des 18. Jh., der bis auf wenige Ausnahmen Geschmackskritik war. Sie soll(te) zwischen Künstler und Publikum vermitteln und dieses auf eine eigene Stellungnahme vorbereiten. Zu den vermeintlich objektiven Kriterien einer Kritik gesellen sich Einfühlungsvermögen und ggfs. die eigene Gefühlswelt und je nach Fähigkeiten und/oder Neigung überwiegt der Kopf oder das Gefühl und umgekehrt in der Kritik.

Kritik als Kunst der Beurteilung gibt’s immer schon. Seit den alten Griechen gilt jene Beurteilung als Kritik, die sich an bestimmte Kriterien, begrifflich festgelegte Maßstäbe hält, eine Methode, ein Weg der Analyse. Diese Maßstäbe erwecken die Illusion von Objektivität, die es nicht gibt. Habermas hat stattdessen den Begriff der Intersubjektivität geprägt. Man wäre also im Falle der Kritik einig über die Maßstäbe der Beurteilung. Da ist die Grammatik sicherlich eine nicht nur relativ sichere Bank. Aber der Geschmack – ob gut oder schlecht, Jacke wie Hose – eher nicht.

Da unterliegt der Geschmacks-Sinnliche einer Sinnestäuschung. Und dennoch sind wir nahe dran und landen wieder im o. g. 18. Jh. Da wurde das Wort Sinnlichkeit (abgeleitet von der sensibiltas) in die Philosphie für die Empfänglichkeit der Sinne eingeführt. Logisch, dass die nicht erst seit Kant wesentlich rezeptiv sind und Anschauungen (des Gesichts- und Hörsinns, in der bildenden Kunst auch durch den Tastsinn) liefert.

Erstaunlich, wie das 18. Jh. mit seinen Riechfläschchen und ohnmächtigen Damen noch die literarische Welt beherrscht über Gefühl und Trieb, die sich oft genug zum sexuellen oder horrormäßigen Genuss verengt.

Tschüss

Friedel

 

Hallo Friedrichard,

ich glaube, es gibt noch einen weiteren Grund, warum wir bei Texten sagen, es sei Geschmackssache. Da gibt es eine Analogie zwischen dem Lesen und der Nahrungsaufnahme.
Ob wir es wollen oder nicht, wir alle sind davon geprägt, was wir in den letzten Jahren gegessen -- oder eben gelesen -- haben.
Was wir essen (Zutaten, Gewürze usw.), ist u.a. stark beeinflusst davon, in welchem Land oder Kulturkreis wir leben. Jemand, der Scharfes gewohnt ist oder rohen Fisch oder gar Insekten, findet nichts dabei. Ein anderer, der das nicht kennt, sagt vermutlich boah igitt.
Und die Bücher, die wir lesen, die beeinflussen uns unterbewusst auch. Sie bilden unser Sprachempfinden aus. Wenn wir dann Texte lesen, die in ihren Stilmitteln, in ihrer Erzählweise abweichen, dann reagieren wir darauf. Dann funktionieren diese Texte bei uns nicht, oder wir können uns gar nicht auf sie einlassen. Soweit mein Erklärungsversuch. Keine Ahnung, ob du das plausibel findest.

Jetzt habe ich gesehen, du hast mit Friedel unterschrieben. Dann bist du vermutlich der "Kommaexperte", den mir Bas in seinem Kommentar unter Kirchenschatten empfohlen hat?

LG, Anne

 

Lieber Asterix,

Gespreizt : (Wissen) erwerben
Gewählt : studieren
Förmlich: aneignen, erlernen
Neutral : lernen
Salopp : büffeln
Vulgär : sich reinziehen
„Lernen“ ist auch ein gutes Wort für unsere Beispiele. Kurze Sätze sind jedoch besser geeignet. Kannst du da noch einmal helfen? Dann hätten wir drei gute Beispiele!
Spontan fallen mir ein:

Er hat sich das Wissen an der Harvard Universität erworben.
Er hat das Lehrbuch studiert.
Er hat sich dieses Wissen angeeignet.
Er muss abends oft noch lernen.
Er muss für sein Abitur büffeln. (Oder: pauken)
Er hat sich den ganzen Schinken reingezogen.

Liebe Grüße und einen schönen Tag,
GoMusic

 

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