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Suizidtexte

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20.12.2002
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Suizidtexte

Ich bin immer wieder in der Psychiatrie unterwegs, und ich denke, wir müssten eigentlich ein bisschen anders mit Texten umgehen, in denen Neulinge explizit Suizidwünsche äußern. Mal angenommen einer von zwanzig spielt nicht nur literarisch mit dem Gedanken? Oder einer von fünfzig? Oder doch jeder dritte?
Wer kann das schon wissen? War hier doch erst vor Kurzem ein Text in Jugend, den ich voll beängstigend fand. Und jetzt der hier in Sonstige, der sofort wieder gelöscht wurde.
Fakt ist, es bringen sich jeden Tag sehr viele Leute um, und die meisten schreiben gerne Abschiedsbriefe, kündigen das irgendwie an ... warum nicht auch anonym bei uns? In Form einer "KG", die wir dann alle gar nicht für eine KG halten? Sonst heißt es doch immer, man müsse Suizidgedanken immer sehr ernst nehmen … also normalerweise wird man sofort eingewiesen, wenn man sowas schriebt und kein "Schriftsteller" ist.
Es geht hier halt im heikelsten Fall wirklich um Leben oder Tod, ich übertreibe jetzt nicht, wenn ich das sage – und wir lachen halt drüber und ziehen die Ankündigung ins Lächerliche und sagen schlechter Text. Das ist wirklich nicht so gut, glaube ich.
Generell gehen wir als Kritiker alle davon aus, dass Texte fiktiv sind, und das ist auch gut und richtig so, anders funktioniert es nicht, aber wir machen uns da schon auch ein Stück weit was vor. Also ich finde diese Suizidtexte sollten wirklich eine gewisse Sonderstellung bei uns einnehmen, das ist dann wirklich die Ausnahme, da muss man vom Fall der Fälle ausgehen und die Worte bedachter wählen, gerade wenn man merkt, der Text ist literarisch sehr schlecht und diese Person schreibt normalerweise nicht so viel.

 

Hey Juju,

du hast ja jetzt wegen deines Studiums einen ganz anderen Blick auf diese Thematik als die meisten hier und mich eingeschlossen.

Mein erster Text war hier auch eine Suizid- und eine Inzest-Geschichte. Dabei hat mich keins dieser Themen persönlich betroffen und ich denke wirklich nicht, dass es die meisten, die darüber schreiben auch betrifft. Am Anfang will man halt besonders dramatisch haben, weil man glaubt, damit die Leser zu erreichen.
Nach dem Motto: Meiner Figur geht es so schlecht, die sieht keinen anderen Ausweg, als sich zu töten, siehst du nicht,wie dreckig es ihr geht? Fühlst du das nicht mit.

Ich hab an der Schule mal so einen Kurs für Kreatives Schreiben angeboten, so im Rahmen meines Studiums (:P) und was glaubst du, worüber die SchülerInnen geschrieben haben?
Über Drogen, Suizid, Liebe, Gewalt in der Familie. Ich glaube nicht, dass sie diese ganzen Probleme haben, aber es besteht bei diesen Themen anscheinend ein großer Redebedarf.

Aber wie soll das im Forum funktionieren. Man kann nicht bei jedem davon ausgehen, dass er suizidgefährdet ist und wie will man das erkennen. Was wäre die Schlussfolgerung jetzt? Wie sieht diese Sonderstellung deiner Meinung nach genau aus?
Jene, die den Text aus rein literarischer Sicht kritisieren, dürften sich dann nicht mehr melden oder wie meinst du das?

Fakt ist, es bringen sich jeden Tag sehr viele Leute um, und die meisten schreiben gerne Abschiedsbriefe, kündigen das irgendwie an ...
Zweifellos,
aber sind diese Abschiedsbriefe nicht eher als Hilferuf gedacht? Jedenfalls wollen sie gehört werden, und hier ist man wirklich anonym, die Aufmerksamkeit, die sie wollen, würden sie also nicht bekommen. Da würd man doch eher bei Facebook oder sonst einem sozialen Netzwerk auf sich aufmerksam machen wollen - also keine Ahnung.
Und sind es nicht eher ältere Menschen, die sich umbringen und eher Jugendliche, die hier Suizidgeschichten schreiben.
Aber ja, einer von fünfzig könnte das machen, was du beschreibst, aber inwiefern können wir da "helfen"?
man müsse Suizidgedanken immer sehr ernst nehmen … also normalerweise wird man sofort eingewiesen, wenn man sowas schriebt und kein "Schriftsteller" ist.
Das ist tatsächlich einer amerikanischen Schrifstellerin passiert, ich meine, es war Sylvia Plath, die hatte einen Abschiedsbrief geschrieben und jemand hat es gefunden und für ihr Geschreibsel gehalten.
Generell gehen wir als Kritiker alle davon aus, dass Texte fiktiv sind, und das ist auch gut und richtig so, anders funktioniert es nicht, aber wir machen uns da schon auch ein Stück weit was vor
Also mich interessiert es gar nicht, wie viel davon biographisch ist und wie viel nicht. Vor einigen Wochen hat hier ein User bei jedem Text gesagt, er sei biographisch. Tja, wie willst du so einen Text jetzt kritisieren ohne den Typen anzugreifen, wie willst du den Prot. kritisieren ohne den Autor anzugreifen.
Ich würde es - ehrlich gesagt - ziemlich anstrengend finden, wenn ich jedes mal denke, oh Gott, da wird die Protagonistin von ihrem Mann krankenhausreif verprügelt - muss ich dann immer im Hinterkopf haben - das könnte der Autorin passiert sein, deswegen liest es sich so glaubwürdig?
da muss man vom Fall der Fälle ausgehen und die Worte bedachter wählen, gerade wenn man merkt, der Text ist literarisch sehr schlecht und diese Person schreibt normalerweise nicht so viel.
Na ja, mein Text war damals sehr schlecht, weil ich eben keine Übung beim Schreiben hatte. Hier schreiben doch meistens die richtigen Anfänger über Selbstmord - jemand, der sich davor mit Schreiben beschäftigt hat, schreibt selten über Selbstmord - erlebe ich hier jedenfalls nicht.

Also, dein Ziel ist edel und ich würde das auch unterstützen, wenn das in der Praxis ausführbar wäre.
Wenn ich bei jedem heiklen Thema mich zurückhalten müsste, obwohl es super schlecht geschrieben ist, weil der Autor es eventuell so erlebt hat oder davor ist, Suizid zu begehen - dann dürfte man die Anfängertexte fast gar nicht mehr kritisieren oder so viel Mühe und Zeit in die Kritik stecken, dass es nach der dritten Geschichte anfängt zu nerven, vor allem weil man meistens ne pampige Antwort zurückbekommt.

JoBlack

 
Zuletzt bearbeitet:

Das macht Sinn. Aber wie von da aus weiter? Viele verarbeiten negative Emotionen in ihren Texten, gerade Jugendliche oder auch Leute älteren Semesters, die nicht schreiben, um etwas zu erzählen, sondern um mal was los zu werden. Wie den Wichtigtuer vom hilfebedürftigen Menschen unterscheiden, online - wie soll das gehen?

Entweder, du schreibst auf die Startseite, Leute, aufgepasst, wenn ihr zu Theapiezwecken schreibt, das kann in die Hose gehen, da werden die Wenigsten Rücksicht drauf nehmen, nicht aus Bösartigleit, sondern woher zum Teufel sollen sie das wissen?

Oder du verlangst von Kritikern, sich zurückzuhalten, sobald etwas nach Schreiben zur Problembewältigung klingt. Wo ziehst du dann die Grenze? Selbstmord? Wenn ich mir die Gefühle nach dem Tod meines Vaters von der Seele schreibe, kann mich literarisch-konstruktive Kritik ebenso hart treffen. Das Mädchen mit den schiefen Zähnen, das in der Schule gehänselt wird, der Dicke, dem die Frau weggelaufen ist, Angst vor Jobverlust, Liebeskummer, mein Hund ist tot ...

Ich denke, willst du diese Art von Texten auf der Seite halten, brauchst du eine eigene Rubrik, "Leben" oder so. Wo man ausdrücklich drüber schreibt: Hier geht es nicht um literarisches Handwerkszeug wie Rechtschreibung, Grammatik und Charakterisierung, nicht um Plots und Spannungsbögen, nicht um Plausibilität, sondern um Leute, die mit dem Schreiben versuchen, eine schwierige Situation erträglicher zu machen.

Anders kann ich's mir fast nicht vorstellen. Aber good point, keine Frage.

 
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Hallo Jo, Proof,


Wenn ich bei jedem heiklen Thema mich zurückhalten müsste, obwohl es super schlecht geschrieben ist, weil der Autor es eventuell so erlebt hat oder davor ist, Suizid zu begehen - dann dürfte man die Anfängertexte fast gar nicht mehr kritisieren

Oder du verlangst von Kritikern, sich zurückzuhalten, sobald etwas nach Schreiben zur Problembewältigung klingt. Wo ziehst du dann die Grenze? Selbstmord?

Ja, beim Selbstmord zieht man die Grenze. Problembewältigung und Drama ist auch etwas anderes. Also nur weil jemand über Probleme schreibt … das ist ja normal.

Eigentlich meine ich nur die Texte (und so selten sind die gar nicht), die wirklich gar keinen Inhalt haben, außer: Mir geht's schlecht und ich möchte mich umbringen.
Ich frag mich halt, was sagt man dazu, wenn jemand anonym auftaucht und das ins Netz postet? Warum achtest du nicht auf den Spannungsbogen? Warum ist dein Protagonist so flach?
Ist das sinnvoll? Ist das überhaupt eine normale Reaktion, oder sind wir da ein bisschen zu sehr in unserer KG.de Welt drin?
Ich glaub auch nicht, dass das die hysterischen Weiber bei deinem Creative-Writing-Kurs wirklich so schildern, Jo. Und wenn … na wie reagiert man denn in der Realität darauf, in der Gruppe, wenn sie vor dir sitzt?

Also man darf wirklich jeden Scheiß behaupten und toll finden und rumheulen und leiden, aber Suizid ist wirklich eine Art Grenze. Das ist in Filmen so (es darf dort nur tragisch und furchtbar rüberkommen), das ist in der Klinik so, und das ist auch in den Medien so, wo es eigentlich gar keinen Suizid gibt, weil man so viel Angst vor Nachahmer hat (Werther-Effekt). Deswegen wird man auch fast nie damit konfrontiert, wenn man nicht gerade Bahn fährt.

Und natürlich kommt es auch drauf an, wie es verpackt ist, ich will hier jetzt auch nichts groß ändern bei uns, Suizid soll auch kein Schreibtabu sein, aber wenn jemand zwei Absätze lang schreibt: Ich bin so, allein, allein, allein, Hilfe, ich möchte mich umbringen …
Ich glaub da schießt man mit ausführlicher Literaturkritik einfach am Ziel vorbei.

Und man kann und soll auch einfach nachfragen, wenn Zweifel aufkommen. Ganz allgemein gilt das. Ist das jetzt fiktiv oder nicht? Willst du dich umbringen? Fühlt sich vielleicht komisch an, das zu fragen, aber genauso sollte man das eigentlich machen, das ist auch die gesunde Reaktion. Wer groß mit Suizid kommt, muss damit rechen, dass jemand fragt, ob es sein Ernst ist. Es nicht zu tun, ist im Grunde unethisch.
Und sonst ihnen einfach den Rat geben mit jemandem darüber zu sprechen, der nicht irgendwo in den Tiefen des Internets lebt und schon gar nicht hier bei uns ...

 

Dein Engagement JuJu ehrt dich.

Aber ich sehe noch nicht den Weg, um auch wirkungsvoll zu sein.

Wenn eine Suizidgeschichte langweilig geschrieben ist, den Mindestansprüchen einer Kurzgeschichte nicht genügt, dann möchte ich dieses Forum nicht dazu zwingen, sich zurückzuhalten mit entsprechender Kritik.

Selbstverständlich kann jeder, der eine solche Geschichte hinterfragen möchte, den Autor direkt per PM anschreiben und nachhaken, ob da Hilfe benötigt wird. Ich bin sicher, dass dies auch bereits geschieht und für mich wäre dies der einzige Weg, der mir einfiele, um eventuellen Hilferufen Angebote zu machen.

Du schreibst:

Also man darf wirklich jeden Scheiß behaupten und toll finden und rumheulen und leiden, aber Suizid ist wirklich eine Art Grenze.

Ich bin mir sicher, dass du bei Suizid nicht die Grenze ziehst.

Was ist mit der Autorin, die in einer Geschichte beschreibt, wie sie fast totgeprügelt wird? Mit Sicherheit würdest du nicht einfach hinnehmen, dass sie beim nächsten Mal wirklich dabei umkommt. Was ist mit Vergewaltigungen, die sich wiederholen?
Was wäre, wenn ein älterer Autor sich so über eine schlechte Kritik aufregt, dass seine bereits vorhandene Herzerkrankung ihm den Garaus macht? Was, wenn ein sensibler Autor mit seinen feinen Antennen herbe Kritik an seiner Geschichte nicht aushält, dadurch in eine dicke Depression getrieben wird und vielleicht zu den Suizidgefährdeten gehört, die sich in aller Stille das Leben nehmen?
Die Grenze ist nicht ziehbar, weil es keine Grenze gibt.

Ich finde es gut, dass du aufrufst, genauer hinzuschauen.

Aber wenn man meint, ein Problem persönlicher Natur zu erkennen, sollte das losgelöst von der geposteten Geschichte privat mit dem Autoren besprochen werden, also per PM oder Mail.

 
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Ich will mit therapeutischem Schreiben gar nicht konfrontiert werden. Ich finde das äußerst unangenehm. Die Schutzfunktion des Forums oder überhaupt der Literatur ist es, dann zu sagen: Der Erzähler ist nie der Autor. Fiktion ist nie autobiographisch. Wir betrachten es immer als fiktiv, wenn irgendwo "Roman", "Erzählung", "Geschichte" draufsteht.
Das ist eine der Setzungen im Gespräch über Literatur.
Jetzt haben wir natürlich hier das Problem, das wir diese Standards nicht setzen können.
Du sagst es ja: Man kann das irgendwo hinschreiben "Nur fiktivie Texte!", aber die Leute würden das eh nicht lesen.

Die ganze Annahme, dass Texte rein fiktiv sind, ist auch Quatsch. Wenn man Autoren etwas näher kennenlernt, abseits vom Schreiben, und wenn man sich näher mit ihren Texten befasst, sieht man ständig, dass Biographie und Texte ineinander fließen. Das ist hier auf dem Niveau so und das ist bei "großen" Werken der Literatur ganz ähnlich (Man kann ja mittlerweile wahrscheinlich über jeden Pups lesen, den Kafka je getätigt hat und was er für Cornflakes am Morgen hatte) - und man muss ja blind sein, um bei bestimmten Autoren hier im Forum, die viele Texte eingestellt haben, nicht bestimmte Sachen und Muster zu sehen.
Natürlich spricht man da nicht so riesig drüber.
Ich hab vor zwei Jahren einen Text geschrieben, in dem ein Typ mit dem Geist seiner toten Mutter ein Abenteuer erlebt hat. Da bin ich auch den Leuten, die das wussten, dankbar, dass da keiner kam mit: Na, und so verarbeitest du den Tod deiner Mutter? Obwohl das sicher ein paar gedacht haben. Aber das ist dann eben die Schutzfunktion dieser Annahme. Muss man als Autor auch bisschen ausblenden, was man da alles von sich preisgibt, sonst käme man vor lauter Eitelkeit zu gar nichts mehr.

Die höchste Kunst ist es, etwas so zu schreiben, dass die Leser glauben, es sei selbst erlebt, während es frei erfunden ist. Ich hab das mal von John Irving gelesen, der hat Trauerbekundungen bekommen für den Verlust seiner Kinder, dabei waren die gar nicht gestorben, er hat nur den Verlust in einem seiner Romane so stark geschildert, dass Leser dachten, darüber könne man nur so schreiben, wenn man das wirklich erlebt hat.

Und da wird's halt auch schwierig. Hier war vor einigen Jahren mal ein Text drin, den haben nur yours und ich kommentiert, da ging es um ein Mädchen im Chat-Zeitalter, auch in dieser IRC-Sprache geschrieben, das wohl eine Chat-Partnerin vermisst hat, mit so einer Pubertätstragik und Metaphorik - da weiß man halt nicht, soll man schreiben: Hammer, das ist authentisch, wie flach das alles ist und wie seltsam.
Oder man muss davon ausgehen - was man nach den Konventionen eigentlich nicht darf - und dann sagen: Ach, Mädchen ,es wird schon.Also das war ein Text, der entweder wirklich literarisch wertvoll war, weil er Authentizität hinbekommen hat, oder es war eben ein "Sachtext", und man hätte dem Mädchen sagen müssen: Ach komm, ruf doch mal die Telefonseelsorger an.

Jetzt war vor einem Jahr ein Text von einer Frau, die einen Text ins Internet stellt, um anonym Kontakt zu einem ehemaligen Liebhaber aufzunehmen. Was soll man da sagen? Schöne Meta-Ebene oder einfach eine kitschige Geste.
Wir müssten dann diese "Ein literarischer Text ist immer fiktiv, auch wenn er sagt, er sei autobiographisch"-Annahme über Bord schmeißen und müssten das jedem Kritiker, der hier neu dazu kommt, auch wieder sagen.

Jetzt als praktikable Lösung: Die Mods verschieben jeden Text, der den Eindruck erweckt, es sei so eine Art therapeutisches Schreiben, in ein nicht einsehbares Unterforum. Und sie schreiben dem Autor eine PN, ob das so ist und ob sie damit klar kommen usw. Anders ist das nicht zu machen. Diese Selbstmordgeschichten kriegen ja oft auch Kritiken von Leuten, die erst seit ein paar Wochen im Forum sind, und von denen man nicht erwarten kann, dass sie hier solche Gepflogenheiten kennen. Wenn man sowas regeln will, muss das immer von den Mods ausgehen, weil die halt eine Konstante sind.

Ich halt mich normal von solchen Texten einigermaßen fern, ich versuche Autoren nicht mit den privaten Mustern zu behelligen, die ich in ihren Texten sehe (manchmal mach ich's doch), und ich kommentiere auch nicht in den Rubriken "Jugend" oder "Kinder", ich denke grade in den Rubriken sollte man schon von den Kritikern Fingerspitzengefühl erwarten, ein Gespür in dieser Richtung.

Also was du schreibst, dass wir uns hier in einem weltfremden Vakkuum bewegen, ist völlig richtig. Aber das muss auch ein Stück weit so sein. Es soll um die Texte gehen, nicht um die Autoren.
Und wie gesagt, Selbstmord ist da wirklich eine Grenze, das sehe ich wie du, und wenn man da eingreifen will, sind einfach die Mods gefragt, die Texte dann zu verschieben und Kontakt mit dem Autor aufzunehmen. Die User wechseln dafür zu häufig und sind selbst nicht mit den Geflogenheiten des Forums vertraut.

 

Das ist ein wirklich schwieriges Thema, über das ich mir auch schon oft Gedanken gemacht habe.

Suizidgeschichten bekommen hier ja immer schlechte Kritiken, mindestens aber den Hinweis, wie ausgelutscht das Thema ist und dass alle Anfänger mindestens eine Selbstmordgeschichte schreiben. Dann denke ich mir auch oft: Aber wer noch nicht lange hier ist und wer selbst gerade erst mit dem Schreiben begonnen hat, für den ist das Thema nicht durchgenudelt. Für den ist es neu. Und davon abgesehen: Alle Themen sind schon millionenfach bearbeitet worden. Es kommt eben auf die Umsetzung an. Einem Thema die Berechtigung abzusprechen, noch einmal bearbeitet werden zu dürfen, käme einem generellen Schreibverbot gleich, denn das würde dann für alle anderen Themen auch gelten müssen.

Selbstmordgeschichten sind schwierig in der Beurteilung. Ich neige dazu, sie gar nicht zu kommentieren. Den Text in Sonstige, den JuJu oben anführte, habe ich gelöscht (wenn sie diesen Fall meinte, es ging darum nicht um Selbstmord, sondern um den Tod eines geliebten Menschen). Der Text war gespickt mit Fehlern. Vor allem aber war er keine Geschichte. Ich gehe ganz stark von biographischem Inhalt aus. Trotzdem musste ich den Text löschen. Natürlich habe ich die PM sehr vorsichtig und einfühlsam formuliert. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist. Vermutlich, wenn all unsere Vermutungen richtig sind, war das Löschen des Textes sogar ein Schutz der Autorin. Denn der Text wäre hier (auf literarischer Ebene völlig zu Recht) komplett zerpflückt und in den Boden gestampft worden.

Aber: Natürlich schreibt es hier keiner so hin, dass es sich um echte Selbstmordfantasien handelt. Wir wissen nicht, ob es sich um Vorsätze oder (bei anderen Themen) um eigenes Erleben der Autoren handelt. Und da kommen wir zum nächsten Punkt: So ein System der Schutzhaft für Texte oder ein sonstiges Eingreifen der Mods nur bei Selbstmordgeschichten anzuwenden – damit habe ich dann auch ein Problem.

Mal auf niedrigere Ebene gebracht: Wenn in allen Texten eines Autors der Protagonist einen Drink nach dem anderen runterkippt, muss ich davon ausgehen, dass der Autor Alkoholiker ist? Muss ich diesem „Selbstmord auf Raten“ versuchen entgegenzuwirken und ihm ein Treffen bei den AA empfehlen? Oder bei Drogengeschichten?

Oder wie lakita schon schrieb:

Was ist mit der Autorin, die in einer Geschichte beschreibt, wie sie fast totgeprügelt wird? Mit Sicherheit würdest du nicht einfach hinnehmen, dass sie beim nächsten Mal wirklich dabei umkommt. Was ist mit Vergewaltigungen, die sich wiederholen?

Und wenn man mal die Opferebene verlässt: Was ist mit Texten in Spannung/Krimi oder in Horror, in denen der Protagonist mit einem Beil bewaffnet nachts in ein Haus schleicht und die schlafenden Bewohner erschlägt? Müssen wir uns dann Gedanken darüber machen, dass der Autor demnächst seine (angeblichen) Mordfantasien auslebt und zum Killer wird? Sollen wir ihm vorsorglich gleich die Polizei vorbeischicken?

Meine Meinung: Das hier ist ein Kurzgeschichtenforum. Wer hier einen Text einstellt, weiß zumindest, dass diese kritisiert werden, selbst wenn er (wie so viele) die Regeln bei der Anmeldung nicht gelesen hat. Wir haben gar keine andere Chance, als die Texte hier als Geschichten zu sehen. Wenn etwas zu autobiographisch wirkt und es um Selbstverletzung/Selbsttötung geht, ist es sicher besser, Kritik zunächst vorsichtig zu formulieren und dabei sehr deutlich zu machen, dass man sich streng auf die textliche Ebene bezieht. Im Zweifelsfall eine nette PM oder Mail an den Autor zu schicken, wie von lakita vorgeschlagen, ist sicher auch nicht schlecht. Aber mehr können wir hier gar nicht leisten. Ich jedenfalls bin keine Psychotherapeutin.

 

Ich glaub auch nicht, dass das die hysterischen Weiber bei deinem Creative-Writing-Kurs wirklich so schildern, Jo. Und wenn … na wie reagiert man denn in der Realität darauf, in der Gruppe, wenn sie vor dir sitzt?
Das waren keine hysterischen Weiber, wie kommst du denn da drauf? :)
In der Realität ist das was anderes, weil du die Leute kennst, siehst, wie sie das vorlesen und die Mimik und Gestik da noch eine große Rolle spielt. Und ob sie überhaupt ihre Geschichten vorlesen wollen.
In der Gruppe reagiert man gar nicht auf den Einzelnen, sondern spricht allgemein über das Thema, die meisten Schüler kommen auf einen zu und wenn du merkst, die verstecken sich, dann spricht man nach der Stunde ein paar Worte mit ihnen, aber nicht: Na, ritzt du auch heimlich, weil deine Figur das macht?

Ich würde es wahnsinnig schwierig finden, im Forum darauf einzugehen. Auch mit einer PN. Vielleicht will derjenige das gar nicht, er will hier seine Sachen veröffentlichen und gar keine persönlichen Kontakte knüpfen und wie katzano schon sagte; die wenigsten hier sind Psychotherapeuten.

 

Ich bin der Meinung, dass gefährdete Menschen eher in Foren wie facebook etc. solche Winks geben. Sich extra dafür mit einem Text auseinanderzusetzen und literarisch aktiv zu werden (und sei der Text noch so schlecht) ist eher die ganz, ganz seltene Ausnahme.

Ich sehe in den Texten keinen Hilferuf und wenn es so wäre, sind wir hier der falsche Platz dafür. Es wäre auch falsch, sich dafür hier verantwortlich zu fühlen. Klingt jetzt vielleicht hart, aber erschwerend kommt dazu, dass man ja virtuell miteinander kommuniziert, die Leute könnten einem - ganz böse gedacht - sogar veräppeln.

Oder weiter gefragt: Was machen wir mit einem Text, in dem es um einen Amoklauf geht? Sollen wir da die Polizei benachrichtigen?

Ich weise in dieser Hinsicht (Suizid) jede Verantwortung von mir.

 
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Aber ich sehe noch nicht den Weg, um auch wirkungsvoll zu sein.

Ich glaube man muss nicht viel ändern, das System existiert eigentlich schon. Wenn man bei einem Text irgendwelche Bedenken hat, kann man sie melden und die Mods diskutieren dann im Einzelfall über das weitere Vorgehen. Mehr braucht man ja nicht. Das Problem ist nur, man geht bei Suizidtexten nicht so vor, da macht man sich in aller Regel über den Autor lustig. Das finde ich einfach nicht so optimal, und deswegen habe ich das jetzt mal angesprochen.

Und ich bleibe dabei, Suizid ist neben so Sachen wie Pädophilie, die eh gelöscht werden, wirklich DIE Grenze.
Und natürlich kommen hier jetzt ganz viele relativierende Beispiele … puh. Das ist wie im Gericht, da kommt man mit einer Million unsinniger Gegenargumenten und bis man alle wiederlegt hat, haben die Geschworenen schon gar keinen Bock mehr.

Mal auf niedrigere Ebene gebracht: Wenn in allen Texten eines Autors der Protagonist einen Drink nach dem anderen runterkippt, muss ich davon ausgehen, dass der Autor Alkoholiker ist? Muss ich diesem „Selbstmord auf Raten“ versuchen entgegenzuwirken und ihm ein Treffen bei den AA empfehlen? Oder bei Drogengeschichten?

Also diese Drogenvergleiche sind wirklich ganz schlecht. Du willst doch nicht wirklich den Alki, der zwanzig jahre lang an der Flasche hängt, mit dem Typ vergleichen, der auf einen Turm steigt und "ich spring jetzt!" schreit. Der Alkoholiker hört ungefähr eine Million Mal in seinem Leben, dass er eine Therapie machen soll. Wer Suizid begeht, hört das vielleicht nie. Wer tot ist halt tot.

Und wenn man mal die Opferebene verlässt: Was ist mit Texten in Spannung/Krimi oder in Horror, in denen der Protagonist mit einem Beil bewaffnet nachts in ein Haus schleicht und die schlafenden Bewohner erschlägt? Müssen wir uns dann Gedanken darüber machen, dass der Autor demnächst seine (angeblichen) Mordfantasien auslebt und zum Killer wird? Sollen wir ihm vorsorglich gleich die Polizei vorbeischicken?

Ist völlig realitätsfern und absurd, man kann hier auch nicht Mord nicht mit Suizid gleichsetzen, da gibt's tausend Gründe für. Allein zahlentechnisch: Es gab 800 Morde letztes Jahr in Deutschland, die meisten davon im häuslichen Umfeld. Und 10000 Suizide. Da ist mehr als zehnmal so viel. Und nochmal 100000 habens versucht und schafftens nicht.

Oder weiter gefragt: Was machen wir mit einem Text, in dem es um einen Amoklauf geht? Sollen wir da die Polizei benachrichtigen?

Auch das … hier redet niemand davon, bei der Polizei anzurufen, weil jemand irgendwelche Fantasien hat. Es geht einfach allgemein darum, wie gehen wir damit um? Nehmen wir doch das Beispiel Amoklaufen. Wenn ein Text wirklich richtig brutal und abartig krank ist, was machen wir dann? Wir löschen sie, und senden damit die Botschaft: Das wollen wir hier nicht haben, solche Gedanken akzeptieren wir nicht. Was in dem Fall auch korrekt ist.


Was ist mit der Autorin, die in einer Geschichte beschreibt, wie sie fast totgeprügelt wird? Mit Sicherheit würdest du nicht einfach hinnehmen, dass sie beim nächsten Mal wirklich dabei umkommt. Was ist mit Vergewaltigungen, die sich wiederholen?

Ist natürlich alles sehr hypothetisch, dass eine Frau immer und immer wieder vergewaltig wird und dass dann bei uns postet uns so, aber gut … wie reagieren wir drauf? Machen wir uns über sie lustig? So nach dem Motto: Ach, Suizid, schön! :) Hat sich wieder ein Boygroup aufgelöst? Hamster gestorben? Warum sich vor einen Zug werfen? Mit Pillen ist doch viel angenehmer.
Das müsste man mal bei einem Vergewaltigungstext bringen …

Mal ein ganz anderes Beispiel. Angenommen man schreibt eine Geschichte über einen Mann, der jeden Tag beim Treppensteigen Schmerzen in der Brust hat und zwanzig Minuten lang durchschnaufen muss, wenn er seine Wohnung erreicht, sich aber nicht damit auseinandersetzen will. Stünde nicht in jedem zweiten Kommentar: Warum geht der Prot nicht zum Arzt?

Also das spiegelt alles auch ein bisschen der Haltung gegenüber psychische Krankheiten in der Bevölkerung wider. Da ist noch sehr wenig Akzeptanz und viel Stigma. Das werde ich jetzt bestimmt nicht ändern, aber wo sich hier doch immer wieder völlig fremde Menschen mit Suizidfantasien rumtreiben, finde ich es einfach wichtig, das Thema mal anzusprechen.

Ich bin der Meinung, dass gefährdete Menschen eher in Foren wie facebook etc. solche Winks geben. Sich extra dafür mit einem Text auseinanderzusetzen und literarisch aktiv zu werden (und sei der Text noch so schlecht) ist eher die ganz, ganz seltene Ausnahme.

Gibts da Studien dazu oder so? ich glaube nicht, dass der echte Selbstmörder seine Tat immer vorher auf Facebook ankündigt. Das gibts einmal im Jahr und dann bekommen wir es auch mit. Die meisten sind einfach nur depressiv und haben wenig soziale Kontakte und sind gerne anonym. Aber schreiben können sie noch, das ist eigentlich typisch.

 

Ich kann mir vorstellen, dass ein Kurzgeschichtenforum ein Ort ist für Menschen, die mit dem Leben schon fast fertig sind. Das ist auch nicht unbedingt Hysterie, es ist einfach ein anonymer Ort, um Probleme auszudrücken. Meistens geht es ja um Einsamkeit, und meistens sind die Autoren recht jung.

Aber wie geht man mit Texten um, in denen jemand sagt, er will sich umbringen?

Wenn es eine eindeutige Ankündigung ist, haben wir vom Gesetz her die Pflicht, Hilfe zu leisten. Das ist genauso wie ein Unfall am Straßenrand. Wir müssen eine dafür zuständige Stelle informieren (Polizei oder so), damit haben wir unsere Schuldigkeit getan. Das gilt, wie gesagt, bei eindeutigen Ankündigungen.

Wenn es keine eindeutige Ankündigung ist, dann ist es eine Geschichte. Und als solche sollten wir sie (hier) auch behandeln.

Ich glaube, dass du, JuJu, momentan sehr sensibel auf das Thema reagierst.
Wenn ich drüber nachdenke, fällt mir ein, dass es mir auch schon oft so gegangen ist. Früher, gerade beim Thema Suizid. Und ich habe auch schon einige vom Dach geholt. Aber nach ner gewissen Zeit merke ich, wie wichtig Abgrenzung ist.

JuJu schrieb:
Und man kann und soll auch einfach nachfragen, wenn Zweifel aufkommen. Ganz allgemein gilt das. Ist das jetzt fiktiv oder nicht? Willst du dich umbringen? Fühlt sich vielleicht komisch an, das zu fragen, aber genauso sollte man das eigentlich machen, das ist auch die gesunde Reaktion.

Die gesunde Reaktion ist vor allem: Die eigenen Gefühle von der des Gegenübers trennen. Wenn sich jemand umbringen möchte und dir das sagt, ist niemandem damit geholfen, wenn du darüber in Tränen ausbrichst oder deswegen nicht mehr schlafen kannst. Aber es stimmt: Am Anfang fühlt es sich komisch an, so zu fragen.
Wenn man auf die gleiche Art fragt: "Willst du dich umbringen?", wie man auch fragen würde: "Willst du nächte Woche in Urlaub fliegen?", dann ist das immer gut.

JuJu schrieb:
Also das spiegelt alles auch ein bisschen der Haltung gegenüber psychische Krankheiten in der Bevölkerung wider. Da ist noch sehr wenig Akzeptanz und viel Stigma.

Der Bogen ist zu weit gespannt. Wie kommst du darauf? Das klingt nach der Perspektive eines Menschen, die das erste Mal mit psychisch Kranken zu tun hat - als Außenstehender - und dann denkt: Meine Güte, die armen Leute! Denen muss man doch helfen! Man muss sie integrieren, man muss sie sehen, man muss, man muss!
Du siehst es jetzt bei psychisch Kranken, weil du dich damit beschäftigst. Aber egal um welche Randgruppe es geht, der Mainstream hat wenig Kenntnis davon. Das können Behinderte sein, psychisch Kranke, Ausländer, Aidskranke ... was auch immer. Und bei jeder Gruppe passt das Zitat: Da ist noch sehr wenig Akzeptanz und viel Stigma.
Das Problem bist du selbst. Weil du dich verändert hast. Weil deine Wahrnehmung sich vom Mainstream wegbewegt hat. Und plötzlich bist du auch außen vor und es erschreckt dich. Du weißt etwas, von dem andere nichts wissen. Du hast eine verborgene Welt gesehen. Es ist aber nicht die Lösung, alle auf deine Seite zu ziehen und es ist arrogant, anzunehmen, dass deine Sichtweise richtig ist. Wenn du die verstehen willst, die anders sind als du, dann musst du auch die "Normalen" verstehen.

Außerdem ein anderer Gedanke: Wenn sich jemand umbringen möchte, warum nicht? Auch das ist eine freie Willensentscheidung, die man respektieren sollte. Ich habe Macht über meinen Körper - wenn ich ihn zerstören will, so ist das meine Entscheidung. Und wer sich in meine Entscheidung einmischt, ignoriert mich, misshandelt mich und tut damit vielleicht genau das, was andere Leute früher mit mir getan haben: Mir meine Entscheidungen nehmen. Vielleicht ist es gerade das Anerkennen dieser Entscheidung, das dem Menschen den Hinweis gibt, dass nicht alles verloren ist. Und dass er doch ernst genommen wird.

Du kannst ja nachfragen, bei den Geschichten, die dir komisch vorkommen. Das ist okay. Aber ich finde es ebenso okay, dass Geschichten, auch wenn es um Suizid geht, einfach als Geschichten gelesen und also solche auch behandelt werden. Man muss nicht immer Mitleid haben, man kann nicht immer Mitleid haben. Das ist Abgrenzung. Und Abgrenzung ist gesund. Da gibt es ein Zitat von Nietzsche, das drückt das schön aus.

"Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein."

 

Wenn ich mich entschieden habe, mich umzubringen, dann stimmt es mich wahrscheinlich auch nicht um, wenn ein wildfremder Mensch mich per PM fragt, ob ich das wirklich tun will. Da müsste dann was Durchdachtes folgen, wenn die Antwort ja wäre.
Außerdem glaube ich, dass viele Schreibanfänger einfach denken, das sei ein Thema, so krass und kompromisslos, das müsse die Leser einfach faszinieren. Ich weiß natürlich, was du meinst, JuJu. Dieses Gefühl hatte ich auch schon, dass es ja sein könnte, dass manche tatsächlich gerade über Selbstmord nachdenken, wenn sie sowas hier einstellen. Kann auch sein. Ist sogar wahrscheinlich.

Eigentlich meine ich nur die Texte (und so selten sind die gar nicht), die wirklich gar keinen Inhalt haben, außer: Mir geht's schlecht und ich möchte mich umbringen.
Ich frag mich halt, was sagt man dazu, wenn jemand anonym auftaucht und das ins Netz postet? Warum achtest du nicht auf den Spannungsbogen? Warum ist dein Protagonist so flach?
Ist das sinnvoll? Ist das überhaupt eine normale Reaktion, oder sind wir da ein bisschen zu sehr in unserer KG.de Welt drin?
Da wäre vielleicht ein Ansatzpunkt, um das zu unterscheiden, das stimmt. Und genau solche Fragen sollte man hier auch weiterhin stellen dürfen. Wenn von einem User dann keine Textarbeit folgt, er nichtmal die Rechtschreibfehler verbessert, die man ihm rausgesucht hat, wenn er auch sonst keine Texte mit anderem Inhalt einstellt und nur zurückschreibt: Okay, danke, wollte nur mal sehen, ob ich vielleicht schreiben kann, dann wird mein Gefühl auch etwas mulmig, ja. Das sind also bei mir mehrere Kriterien: 1 kaum wirkliches Interesse am schreiben (Handlung, Sprache etc) 2 keine anderen Texte mit anderen Themen 3 Kein Bock auf Textverbessern
Wenn einer aber auf Vorschläge eingeht und feilt und am nächsten Tag gleich die nächste Geschichte einstellt, wo es um eine Traumhochzeit geht. Das relativiert dann die Selbstmordgeschichte. Ich weiß nicht, bisher hab ich noch keinem User hier eine PM geschrieben und gefragt, ob er sich tatsächlich umbringen will, oder ob es nur ums schreiben geht. Das fühlt sich sicher seltsam an, ja, aber es wäre eine natürliche, menschliche Reaktion. Ich lobe dich dafür, dass du das zum Thema gemacht hast. Sensibilisierung geschieht ja hier gerade durch diese Diskussion. Vielleicht bewegt sich was. Hier sind ja viele Leute unterwegs, die gerne denken.
Ich denke darüber nach jedanfalls und wenn wieder mal jemand meine Kriterien erfüllt, werde ich über eine Kritik zum Text jetzt etwas länger nachdenken.

 

@JuJu,

wenn du diese Diskussion ernsthaft führen möchtest, dann sind solche Äusserungen eher abtörnend oder mundtötend:

Und natürlich kommen hier jetzt ganz viele relativierende Beispiele … puh. Das ist wie im Gericht, da kommt man mit einer Million unsinniger Gegenargumenten

Interessant, dass du meinst bei Gericht, welche Gerichte denn, sei es üblich eine Million unsinniger Gegenargumente zu bringen.

Ich finde nach wie vor gut, dass du aufmerksam machen möchtest.

Aber mich erstaunt, dass du die Grenze beim Suizid ziehen möchtest. Erklärt hast du leider nicht, wieso alle anderen psychischen Erkrankungen nicht in deinem Blickfeld sind.

Ist eine Frau, die regelmäßig von ihrem Partner fast zu Tode geprügelt wird, für dich ausschließlich ein strafrechtliches Problem? Eine solche Kurzsicht vermag ich dir nicht zuzutrauen.

Im Übrigen habe ich nochmals über deinen Vorwurf nachgedacht, dass man sich als Kritiker über den Suizid lustig machen würde.

Ist natürlich alles sehr hypothetisch, dass eine Frau immer und immer wieder vergewaltig wird und dass dann bei uns postet uns so, aber gut … wie reagieren wir drauf? Machen wir uns über sie lustig? So nach dem Motto: Ach, Suizid, schön! Hat sich wieder ein Boygroup aufgelöst? Hamster gestorben? Warum sich vor einen Zug werfen? Mit Pillen ist doch viel angenehmer.
Das müsste man mal bei einem Vergewaltigungstext bringen …

NEIN! So hat das noch niemand hier getan. Wenn, dann hat man sich über die höchst dilettantische Art mokiert, wie die Geschichte aufgemacht und formuliert wurde. Wenn du schon Gewissensbisse erzeugen willst, dann bitte mit Tatsachen, nicht Behauptungen.

Ich will dir gerne in dem Wunsch folgen, aber genau das passiert ja bereits, dass bei kritisch wirkenden Texten, die auf ein Problem des Autoren selbst hinweisen, man an diesen herantritt und Hilfe anbietet.

Aber das sollte keineswegs auf Suizidgefährdete beschränkt sein.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich glaube, dass du, JuJu, momentan sehr sensibel auf das Thema reagierst.
Wenn ich drüber nachdenke, fällt mir ein, dass es mir auch schon oft so gegangen ist. Früher, gerade beim Thema Suizid. Und ich habe auch schon einige vom Dach geholt. Aber nach ner gewissen Zeit merke ich, wie wichtig Abgrenzung ist.
Die gesunde Reaktion ist vor allem: Die eigenen Gefühle von der des Gegenübers trennen. Wenn sich jemand umbringen möchte und dir das sagt, ist niemandem damit geholfen, wenn du darüber in Tränen ausbrichst oder deswegen nicht mehr schlafen kannst.

Du projizierst jetzt deine Gefühle und Erfahrungen auf mich, yours.

Der Bogen ist zu weit gespannt. Wie kommst du darauf? Das klingt nach der Perspektive eines Menschen, die das erste Mal mit psychisch Kranken zu tun hat - als Außenstehender - und dann denkt: Meine Güte, die armen Leute! Denen muss man doch helfen! Man muss sie integrieren, man muss sie sehen, man muss, man muss!
Du siehst es jetzt bei psychisch Kranken, weil du dich damit beschäftigst. Aber egal um welche Randgruppe es geht, der Mainstream hat wenig Kenntnis davon.]

Ich komme da drauf, weil mir das im Studium permanent gesagt wird und es sich mit den eigenen Erfahrungen deckt. Viele Leute, sogar Ärzte, halten die komplette Psychiatrie für Unsinn. Psychiatrer werden ... manche Medizinstudneten würden gerne und trauen sich nicht. Da hat man so lange studiert, und die Family war so stolz und jetzt wird man halt Psychiater.

In der Psychiatrie wird man nur mit Medikamenten abgeschossen und fixiert; die Behandlung dort bringt eh nichts; Psychiatrie ist ein Ort, wo man auffällige Menschen geradebiegt, damit sie wieder ins "System" passen. Psychiatrische Erkrankungen sind eine Frage des Weltbilds, "psychisch krank" ist definitionsache; Depressive sind Scharfsinnige, die an unserer kranken Zeit leiden.

Oder wie Yours sagt:

Wenn sich jemand umbringen möchte, warum nicht? Auch das ist eine freie Willensentscheidung, die man respektieren sollte. Ich habe Macht über meinen Körper - wenn ich ihn zerstören will, so ist das meine Entscheidung. Und wer sich in meine Entscheidung einmischt, ignoriert mich, misshandelt mich und tut damit vielleicht genau das, was andere Leute früher mit mir getan haben: Mir meine Entscheidungen nehmen. Vielleicht ist es gerade das Anerkennen dieser Entscheidung, das dem Menschen den Hinweis gibt, dass nicht alles verloren ist. Und dass er doch ernst genommen wird.

Das halbe Forum würde doch eine dieser Thesen zustimmen, auch ich vor ein paar Jahren (einer flog übers Kuckoosnest war und ist einer meiner Lieblingsfilme), es gibt hier auch immer wieder Kurzgeschichten zu diesen Themen und das kommt auch nicht von ungefähr: Die Psychiatrie war lange lange Zeit sehr menschenverachtend. Ich stecke mitten drin und finde die Psychiatrie auch sinnvoll, und trotzdem frage ich mich im Einzelfall immer wieder: Braucht die wiklich Medikamente? Ist sie wirklich psychotisch? Oder ist sie vielleicht einfach nur … naja … komisch? Vielleicht ist Schule einfach nicht für jeden gedacht? Gott, wie soll man den helfen, was bringt das hier jetzt, ewig reden …

Es ist unheimlich schwer, Patienten bzw. ihre Famile zu verklickern, dass da jemand schwer krank ist und Medikamente braucht. Und das ist wirklich in keinem anderen meidzinischen Fach so, yours. Und ich glaube auch nicht, dass du einem 15-Jährigen Mädchen, das depressiv ist oder missbraucht wurde oder Stimmen im Kopf hört, die ihr Dinge befehlen, sagen würdest: Du willst dich also umbringen? Alles klar. Ich rate davon ab, aber es ist dein Leben, deine Entscheidung, das respektiere ich. Dort ist die Tür, du hast jetzt ganz viel Macht über deinen Körper.
Oder muss sie warten, bis sie 18 wird? Braucht sie vielleicht die Einverständniserklärung der Eltern? Ist es dann okay?
Und wenn du sie bewusstlos in der Badewanne findest mit aufgeschlitzten Pulsadern? Betätigst du dann einen Notruf, oder zündest du eine Kerze an und zitierst Nieztsche, während sie verblutet? War doch offensichtlich ihre Entscheidung.
Ernsthaft, wie stellst du dir das jetzt eigentlich vor? Wo zieht man da die Grenze? Wir reden hier nicht über Sterbehilfe bei 90-Jährigen …
Also es tut mir leid, ich will dich wirklich nicht kränken, aber ich glaube nicht, dass du weißt, wovon du redest.

Das Problem bist du selbst. Weil du dich verändert hast. Weil deine Wahrnehmung sich vom Mainstream wegbewegt hat. Und plötzlich bist du auch außen vor und es erschreckt dich. Du weißt etwas, von dem andere nichts wissen. Du hast eine verborgene Welt gesehen. Es ist aber nicht die Lösung, alle auf deine Seite zu ziehen und es ist arrogant, anzunehmen, dass deine Sichtweise richtig ist. Wenn du die verstehen willst, die anders sind als du, dann musst du auch die "Normalen" verstehen.

Jetzt bin ich arrogant, weil ich sage, wir sollten vielleicht ein bisschen vorsichtiger mit Suizidtexten umgehen? Dann bin ich halt arrogant oder selbst das Problem, weil ich mich verändert habe und nicht mehr im Mainstream schwimme oder was du da psychoanalytisch alles sehen willst …
Alles, was ich sagen will, kann man in einem Satz zusammenfassen: Wir sollten vorsichtiger mit Suizidtexten umgehen.
Nicht das ganze Forum umkrempeln, nicht jede Geschichte auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen, einfach nur ein bisschen vorsichtiger mit Suizidtexten umgehen. Und ja, ich bleibe dabei: Suizidtexte. Hier verschwimmt alles, wenn ihr jetzt mit Alkoholiker und Amokläufer und Serienkiller und Herzschwache und Vergewaltigungsopfer und jetzt Behinderte und Aids-Kranke kommt ...
Wir sind kein Krankenhaus! :) Und darum gehts auch gar nicht …

Aber mich erstaunt, dass du die Grenze beim Suizid ziehen möchtest. Erklärt hast du leider nicht, wieso alle anderen psychischen Erkrankungen nicht in deinem Blickfeld sind.

Ist eine Frau, die regelmäßig von ihrem Partner fast zu Tode geprügelt wird, für dich ausschließlich ein strafrechtliches Problem? Eine solche Kurzsicht vermag ich dir nicht zuzutrauen.


Suizid schließt alle psychiatrische Erkrankungen mit ein (und spielt auch bei alle oben genannten eine Rolle), das ist quasi das psychische Endstadium bei ganz ganz vielen Krankheiten, das es zu verhindern gilt. Ich gehe jetzt nur auf Suizidtexte ein, weil das hier ein Kurzgeschichtenforum ist und schreiben nun mal eine psychische Sache ist. Man könnte überspitzt auch sagen: Wenn du überhaupt keine Suizidgedanken hast, könnte es dir schon auch schlechter gehen. Suizid ist quasi das Non-Plus-Ultra seelisch betrachtet. Außerdem gehts nicht darum, sich bei jedem Text zu fragen, ob da jemand Tatsachen berichtet. Ich will Geschichten lesen und keine Psychotherapie betreiben und schon gar nicht Polizist spielen. Wir sind hier immer noch auf kg.de ... und bisher hatte ich eigentlich auch nur bei Suizidtexte wirklich Bedenken, auch weil ich glaube, dass gerade Leute, die sich umbringen, nicht ungern schreiben. Ich sehe auch nur da eine akute Gefahr, auf die unser Verhalten eventuell Einfluss nimmt. Wenn jemand Hochlabiles sein ganzes Seelenleben inklusiv Suizidvorhaben hier runterkritzelt und sich damit erstmals an die "Öffentlichkeit" traut … und wir uns dann drüber lustig machen oder es als literarischen Schrott abtun und dazu beitragen, dass er oder sie von einer Brücke springt … leider finde ich dieses Szenario, nach allem, was ich so gesehen hab, nicht so wahnsinnig unwahrscheinlich. Und so was möchte ich zumindest nicht auf dem Gewissen haben. (Unheimlich ist auch irgendwo, dass wir es nie erfahren würden. Wir haben dann auch keinen Lerneffekt oder so..) Die anderen Szenarien (Amokläufer und Vergewaltigungen, die noch eintreten werden …) sind mMn viel weiter hergeholt und auch viel weniger beeinflussbar. Wobei Missbrauchsopfer auch gerne psychiatrisch auffällig sind und sich häufig umbringen, also das überschneidet sich natürlich irgendwo auch alles …
Ich kenne jetzt spontan gar keine Texte, wo eine Frau beschreibt, wie sie immer wieder verprügelt wird, deswegen habe ich das jetzt auch nicht auf dem Radar, das ist für mich auch bestimmt kein reines strafrechtliches Problem … aber das sind auch so Sachen, ich glaube, da gehen wir instinktiv in unseren Kommentaren schon auch ein bisschen vernünftiger mit um.


Ach, Suizid, schön! Hat sich wieder ein Boygroup aufgelöst? Hamster gestorben? Warum sich vor einen Zug werfen? Mit Pillen ist doch viel angenehmer.

Das treibe ich jetzt ein wenig auf die Spitze ... aber doch. Das ist so der Ton, der dann immer wieder kommt. Auch diese Tipps, wie man sich am besten umbringen soll … die Leute sind echt geil drauf, solche Tipps zu geben, achte mal drauf. Das war auch in der letzten Geschichte in Sonstige so, die hat bernadette gleich gelöscht. Die Geschichte, auf die sich Katzano bezieht, ist eine andere.


Aber wie dem auch sein, wenn du dir häufiger um Autoren sorgen machst, Lakita, ganz egal was für Texte, und sie deswegen persönlich anschreiben möchtest … also ich habe überhaupt kein Problem damit. Ich glaube auch nicht, dass die meisten Autoren damit ein Problem hätten. Warum auch? Wenn der Text total fiktiv ist, müsste man es, wie Quinn schon andeutet, eigentlich als Kompliment auffassen und bisschen schmunzeln. Und im Zweifelsfall bist du dann schon auch einfühlsam genug, denke ich. Vielleicht hilfst du auch wirklich ein paar Leute oder schmiedest eine Freundschaft oder hast das schon alles getan. Das ist hier ein Forum, seid fruchtbar und tauscht euch aus.

Ich denke darüber nach jedanfalls und wenn wieder mal jemand meine Kriterien erfüllt, werde ich über eine Kritik zum Text jetzt etwas länger nachdenken.

cool, Lollek

 

Ein Thema, wo ich mich frage, warum es nicht schon früher angesprochen wurde, danke, JuJu. Muss zugeben, dass mir das nie wirklich bewusst gewesen ist, auch ich mich bisher auf den Unterschied zwischen Autor und Erzähler berufen, und munter drauflos verrissen, wenn eine Geschichte meiner Meinung nach unter aller Sau war.

Die Frage, die sich mir jetzt stellt, sensibilisiert wie ich bin: Wie gehe ich mit dem nächsten Suizidtext am besten um? Bin auf KG.de (nach der Wunschzettel- und Offtopic-Ära :D) ja hauptsächlich, um die Texte anderer erbarmungslos ehrlich und so konstruktiv wie möglich zu kritisieren, und das möchte ich weiterhin so halten unabhängig davon, wovon sie handeln, und sei es Suizid, der für mich, anders als Pädophilie oder offenen Aufrufen zu Gewalt etwa, keine Grenze sein soll.

Mir schwebt da als Kompromisslösung so eine Art einleitenden Disclaimer in Verbindung mit Spoilertags vor, so zum Beispiel:

Bei Suizidtexten wie diesem bin ich seit diesem Thread im Zweifel, ob ich dir einen Gefallen damit tue, den Text unter handwerklichen Maßstäben zu beurteilen, anstatt einfach die Hauptfigur zu bemitleiden oder ihr bzw. dir Trost zuzusprechen (darin bin ich nicht so gut wie hoffentlich in ersterem). Klicke daher bitte nur dann auf „Spoiler anzeigen“, wenn du die nötige emotionale Distanz zum Thema zu haben überzeugt bist, das heißt vor allem, dass Autor und Erzähler auch hier - wie nun mal üblich - nicht identisch sind. Ich bin hier, um Autoren zu helfen, ihre Geschichten bzw. ihr Fertigkeiten überhaupt zu verbessern, nicht, um Selbstmördern eine womöglich letzte Rechtfertigung für ihre Tat zu geben. So machen die's übrigens richtig ;).
Hier die eigentliche Kritik in der gewohnten floritiven Ehrlichkeit ...
Spoiler macht man mit Kursivsetzung und Ersetzung des i-Tags durch spoiler an Anfang und Ende. Wer will, kann das gern ebenso halten (der Text sei gemeinfrei ;) ), ein weniger morbider Hinweis auf die Telefonseelsorge ist im Einzelfall zu bevorzugen. Natürlich eignet sich so ein Disclaimer nicht unbedingt. Wenn der Verfasser nüchtern und sachbezogen auf bisherige Kritiken geantwortet hat, kann man ihn sich wohl getrost sparen.

Viele Grüße,
-- floritiv

 

Hallo JuJu

Ich kann verstehen, dass dich die Thematik derzeit während des Studiums beschäftigt, wenn Adoleszente über Suizid sprechen oder schreiben. Diese Prozesse sind jedoch nicht ungewöhnlich und meist eine Auseinandersetzung mit der Selbstfindung. Bei Weiten nicht jede dysphorische Verstimmung führt zu einem Eklat. Es werden gedanklich Grenzen ertastet, insofern stellt es eine Analogie zu Extremsportarten dar, die dort aber praktisch umgesetzt werden. Dies behebt natürlich nicht, dass in gegebenem Kontext eindeutige und persönlich einzustufende Äusserungen ernst genommen werden sollten. Aber es darf nicht zu einer Pathologisierung oder Stigmatisierung führen. Im Rahmen dieses Forums sehe ich keine Notwendigkeit einer Suizidprophylaxe, hier scheint mir eine Rückweisung eines Textes, der als Kurzgeschichte die Kriterien nicht erfüllt, völlig im Rahmen.

also normalerweise wird man sofort eingewiesen, wenn man sowas schriebt und kein "Schriftsteller" ist.

Auch ein fürsorgerischer Freiheitsentzug muss sich an bestimmte Kriterien halten und darf nicht von der persönlichen Sensibilität eines Arztes abhängen, dies wäre ethisch fragwürdig. Allein die Äusserung von Suizidgedanken stellt in der Regel keinen Grund für einen FFE dar. Auch hat sich das Bild über den Suizid seit Durkheim, dem noch immer omnipräsenten Übervater dieses Themas in der psychiatrischen Literatur, doch auch stark gewandelt. Jemanden der sich wirklich umbringen will, wirst du nie aufhalten können, damit wirst du zu leben lernen müssen, wenn die Psychiatrie deine berufliche Fachrichtung werden soll. Auch wenn es im heikelsten Fall um Leben und Tod geht, wie du schreibst, kannst du höchstens vorläufig intervenieren.

Also ich finde diese Suizidtexte sollten wirklich eine gewisse Sonderstellung bei uns einnehmen, das ist dann wirklich die Ausnahme, da muss man vom Fall der Fälle ausgehen und die Worte bedachter wählen, gerade wenn man merkt, der Text ist literarisch sehr schlecht und diese Person schreibt normalerweise nicht so viel.

Ich gehöre zu den Autoren, die nie davor zurückschreckten, u. a. das Thema Suizid in der Unterhaltungsliteratur, wie es auch Kurzgeschichten sind, aufzugreifen. Nicht um ihn als natürlich anzupreisen, aber mitunter durchaus um den Nimbus des Absonderlichen zu nehmen. Es ist seit Menschengedenken eine gesellschaftliche Realität, hinter der sich selbstverständlich mannigfaltige Ursachen verbergen können. Es totzuschweigen wäre eine unsinnige Zensur der Literatur. Die ersten Bücher, die ich als Jugendlicher zu diesem Thema las, waren von Goethe und Lafcadio Hearn, beide den Liebeskummer als Ausgangslage nehmend. Hierzu kann man sagen, unreife und naive Motive, aber durchaus menschlich. Der „Werther-Effekt“ den Goethe angeblich auslöste, muss unter dem damaligen Zeitgeist verstanden werden. Ob es tatsächlich mehr Suizidfälle deswegen gab, bezweifle ich stark, aber manch einer hatte das Büchlein wahrscheinlich bei sich.

Es sollte also auch bei diesem Thema der bisher gepflegte Grundsatz gelten, es muss literarisch sein, was hier veröffentlicht wird, ungeachtet persönlicher Präferenzen von Autoren.

Soweit meine kurzgefasste Sichtweise dazu.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
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Hallo Anakreon,

Jemanden der sich wirklich umbringen will, wirst du nie aufhalten können

Ja, das stimmt schon, wenn jemand das zu seinem "Lebensziel" erklärt hat, so wie Quinn wollte, dass man Purpur wieder liest, dann kann man ihn schwer davon abbringen.
Aber was jemand "wirklich will" ... das ist sehr relativ.

Auch wenn es im heikelsten Fall um Leben und Tod geht, wie du schreibst, kannst du höchstens vorläufig intervenieren.

Was heißt "vorläufig" intervenieren? Höchstens entscheidend intervenieren, müsste es heißen. Du wirst doch wissen, dass die Stimmung erheblich schwanken kann, in Krisen- oder Trauersituationen, im Rahmen der Pubertät, im Rahmen einer schweren Depression oder bei einer akuten Psychose – und dass das alles keine chronischen Zustände sein müssen. Also so wie du das jetzt darzustellen versuchst, das stimmt so nicht. Es gibt genug Leute, die im Rollstuhl sitzen, weil der Freund sie verlassen hat, und sehr wohl bereuen, dass sie mal versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Es ist bei weitem nicht jeder, der vom Suizid abgehalten wird, ein verlorener Fall, der nie wieder glücklich wird. So eine Intervention muss nicht "vorläufig" sein – und auch Antidepressiva und Neuroleptika und Psychotherapie können die Lebensqualität erheblich, bzw. entscheidend verbessern.


Diese Prozesse sind jedoch nicht ungewöhnlich und meist eine Auseinandersetzung mit der Selbstfindung. Bei Weiten nicht jede dysphorische Verstimmung führt zu einem Eklat.

Das stimmt natürlich, das wird auch hier bei unseren Texten der Normalfall sein, das wär auch schwer zu hoffen.


Auch ein fürsorgerischer Freiheitsentzug muss sich an bestimmte Kriterien halten und darf nicht von der persönlichen Sensibilität eines Arztes abhängen, dies wäre ethisch fragwürdig. Allein die Äusserung von Suizidgedanken stellt in der Regel keinen Grund für einen FFE dar

Ja, wenn jemand sagt, ich bringe mich um! Dann werden die nicht sofort eingewiesen, das stimmt. Aber man kann schon auch zu einem Gespräch gebeten werden, und wenn man sich dann nicht von einer Äußerung distanzieren kann und es dumm läuft, dann kann man schon auch mal gegen den eigenen Willen eingesperrt werden. Und klar, das kann man schon auch ethisch bedenklich finden. Praktisch habe ich das noch nie erlebt. Manche Leute kommen freiweillig, weil sie einfach nicht mehr klar kommen mit ihren Zwangsgedanken oder was auch immer und dann verzweifelt sind und Hilfe wollen – auch weil sie Angst vor sich selbst haben. Oder Familienmitglieder schleppen irgendeinen Schwerdepressiven in die Psychiatrie, weil sie Angst haben, dass er sich was antut. Am allerhäufigsten ist glaub, dass einer versucht, sich umzubringen, am nächsten Morgen auf der Intensivstation aufwacht, und von dort dann in die Psychiatrie verwiesen wird.

Ich gehöre zu den Autoren, die nie davor zurückschreckten, u. a. das Thema Suizid in der Unterhaltungsliteratur, wie es auch Kurzgeschichten sind, aufzugreifen.

Ich auch nicht unbedingt. Ich hab glaub auch irgendwo gesagt, das soll kein Schreibtabu sein.

Der „Werther-Effekt“ den Goethe angeblich auslöste, muss unter dem damaligen Zeitgeist verstanden werden.

Glaub ich nicht. Man ist noch heute sehr darauf bedacht, wie man Suizid in den Medien präsentiert. Als Kurt Cobain sich umbrachte, hat man sich mit Courtney Love zusammengesetzt und lange überlegt, wie man das jetzt darstellen will, weil man große Angst hatte davor, dass es viele ihm jetzt nachtun. In den Medien wird kaum über Suizid gesprochen. Und auch in Filmen, das muss schon ein tragischer, schmerzhafter, uncooler Suzid sein. Niemand, der sexy ist, und ein bisschen emo und "dark" drauf ist, bringt sich in einem Film um, weil die Welt "einfache scheisse" ist. Das wäre ein Riesenskandal.

Es sollte also auch bei diesem Thema der bisher gepflegte Grundsatz gelten, es muss literarisch sein, was hier veröffentlicht wird, ungeachtet persönlicher Präferenzen von Autoren.

Ja, das sollte sich auch nicht ändern. Ich habe aber schon das Gefühl, dass wir hier kollektiv die Augen verdrehen, wenn diese leidvollen und literarisch grausamen Texte kommen. Und dass die Kommentare dann auch dementsprechend sind. So wie du jetzt auf Dropdeads Geschichte geantwortet hast, fand ich auch okay. So konkret weiß ich jetzt auch nicht genau, da bin ganz ehrlich, wie man das hier jetzt im Forum handhaben soll, ob es da allgemeine Leitlinien geben soll oder weiß was ich. Ich finds einfach heikel, wenn sich hier Anonyme öffnen und mit Suizid kommen, und wir dann alle richtig reinhauen. Das gibt es nur in einem anonymen Schreibforum so was. In der echten Welt kommt das praktisch nicht vor.

Jetzt bei Dropdead, da habe ich einfach den Schritt gewagt, und ihr das hier mal geschrieben:

Hallo Dropdead und willkommen auf kg.de!,

das ist eine ziemlich heftige Thematik, die du dir da für deine Premiere ausgesucht hast. Auch wenn wir hier immer von fiktiven Geschcihten ausgehen, so haben wir trotzdem manchmal Bedenken und sind vorsichtiger beim Kommentieren, wenn Neulinge so schlimme Tatsachen beschreiben und dann auch Selbstmordgedanken angeben. Müssen wir uns Sorgen machen?

MfG,

JuJu


Sie hat dann gesagt, der Text sei alt und es ihr damals mies ginge, aber Sorgen machen müssten wir uns auf keinen Fall.


Wenn der Verfasser nüchtern und sachbezogen auf bisherige Kritiken geantwortet hat, kann man ihn sich wohl getrost sparen.

Floritiv, deine Idee ist nicht schlecht mit Spoiler, aber schon auch anstrengend irgendwie. Kann aber jeder schon persönlich so machen, wie er es für angebracht hält. Wir müssen jetzt aber auch nicht alle in Panik ausbrechen, und denken jeder zweiter, der ist auftaucht, bringt sich um. Das hier ist ein Kurzgeschichtenforum, und wenn jemand ein Text einfach nur wie eine Kurzgeschichte kritisieren möchte – also das sollte nach wie vor jeder dürfen und können. Sonst funktioniert ja auch gar nichts mehr hier, das ist auch keine Klinik. Ich denke, wenn wir diesen Thread im Hinterkopf behalten, und als Mods einfach ein bisschen drauf gucken, vielleicht auch mal jemand drauf ansprechen, dann wäre schon viel getan.

 
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P.S... Anakreon

Jemanden der sich wirklich umbringen will, wirst du nie aufhalten können, damit wirst du zu leben lernen müssen, wenn die Psychiatrie deine berufliche Fachrichtung werden soll.

Ich sag jetzt nicht, dass ich unbedingt Psychiater werden will, wenn ich nicht gerade diese Diskussion führe bin ich mit dem Kopf ja meistens ganz woanders … aber diese Haltung oben … also das ist einfach brutal typisch! Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Das ist genau das, was ich weiter oben gemeint hab: Auch die die Leute, die es eigentlich besser wissen müssten, denken die Psychiatrie bringt nichts.
Wie sieht es denn in den anderen Fachrichtungen aus? Wie ist es denn in der Chirurgie oder der Inneren Medizin? Kann man jeden vor dem Tod bewahren, wenn man Onkologe oder Kinderarzt oder Neurochirurg wird? Muss man nicht auch dort lernen, damit zu leben, dass man nur so viel tun kann? In welcher Fachrichtung hat man diese unglaubliche Heilungsrate? In der Psychiatrie gibt es welche, die kann man quasi heilen (Suchtkranke, Anorexie, akute Suizidalität bei Krisen, Anpassungsstörungen, auch Depressionen …) einige, die kann man helfen, und wieder andere, die sind so schwer krank, für die kommt jede Hilfe viel zu spät – wie überall auch. Aber da tut man auf jeden Fall mehr also nur "vorläufig" intervenieren. Das ist ja ein ziemlich tristes Menschenbild, das du da malst. Nur weil es jemandem extrem schlecht geht, heißt nun wirklich nicht, dass es ihm immer so gehen muss. Das sagt eigentlich das Allgemeinwissen.

 

Die höchste Kunst ist es, etwas so zu schreiben, dass die Leser glauben, es sei selbst erlebt, während es frei erfunden ist.
Wie man heute weiß, war das Goethe mit seinem „Die Leiden des jungen Werthers“ so gut gelungen, dass sich nach diesem Vorbild junge Leute quer durch Europa reihenweise umbrachten. Das ist, wenn man so will, die andere Seite derselben Medaille: Können Suizidgeschichten Leser dazu veranlassen – ihnen den letzten Stoß geben -, sich ebenfalls umzubringen? Die Antwort ist natürlich: ja.

Goethe hatte nach eigener Aussage nur die Alternative, den Roman zu schreiben oder sich selbst umzubringen. Schreiben war also eine Art Therapie für ihn, das aber gleichzeitig den Tod für zig andere bedeutete: Ein vermiedener Tod, der sehr viel kostete.

Aber das konnte Goethe nicht wissen. Ebenso können wir nicht wissen, was hinter „unseren“ Suizidgeschichten steckt oder was sie in Lesern auslösen können. Aber sollen wir sie deswegen verbieten? Und wenn ja, wo setzen wir die Grenze?


Nehmen wir doch das Beispiel Amoklaufen. Wenn ein Text wirklich richtig brutal und abartig krank ist, was machen wir dann? Wir löschen sie, und senden damit die Botschaft: Das wollen wir hier nicht haben, solche Gedanken akzeptieren wir nicht.
Es gab hier ein paar Leute, die hervorragende Texte geschrieben haben, aber trotzdem gehen mussten, weil sie immer wieder zensiert und/oder gelöscht wurden. Begründung war: „solche Gedanken akzeptieren wir nicht“.

Man muss sich diesen Satz auf der Zunge zergehen lassen, zumal er geäußert wurde mehr als 200 Jahre nachdem Schiller in Don Carlos sagen ließ: „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“

Aber okay, ich will nicht wieder eine schon oft geführte Diskussion führen. Ich will lediglich darauf hinweisen, dass das Wort mächtiger sein kann als ein Gewehr. Aber sollen wir deswegen bestimmte Wörter, bestimmte Geschichten nicht mehr schreiben? Und wenn doch jemand die Chuzpe haben sollte zu schreiben, was sein Herz begehrt, dann werden wir seine niedergeschriebene Gedanken löschen, auf dass niemand auf den Gedanken komme, sie in die Tat umzusetzen?

Wenn man anfängt, Geschichten nach möglichen Signalwirkungen oder Gefährdungspotentialen für den Autor oder die Leser zu beurteilen und entsprechend zu handeln, dann kann man Seiten wie diese gleich schließen oder Bücher nur noch an Leser verkaufen, die amtliches Zeugnis vorlegen, dass sie dem Inhalt voraussichtlich geistig gewachsen sein werden.

 

Hallo Dion!

Du schreibst zu JuJus Text (Wir löschen sie, und senden damit die Botschaft: Das wollen wir hier nicht haben, solche Gedanken akzeptieren wir nicht.) folgendes:
Begründung war: „solche Gedanken akzeptieren wir nicht“.

Begründung ist kein Synonym für Botschaft.
Ich kann mir nicht vorstellen, das eine Löschung jemals mit solchen Worten begründet wurde.

LG
Asterix

 

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