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SupaSava
Barney sitzt auf der Eistruhe und lässt die Beine baumeln. Das alte Sturmgewehr quer über den Schoß und in viel zu großen Armeeklamotten sieht sie aus wie verkleidet. Sie hat einen dicken Filzstift aus der Schreibwarenabteilung geholt, mit dem sie jetzt sorgfältig irgendwas in verschnörkelten Buchstaben auf ihren Helm kritzelt. Sie ist hochkonzentriert, so dass ihre Zunge aus dem offenen Mund hängt. Sie schreckt zusammen, als sich ein Körper schwer neben ihr auf die Truhe schwingt.
„Na, Rekrutin, alles klar?“
Sie blickt kurz auf, desinteressiert, und fährt dann mit ihrer Arbeit fort.
„Klar, Sergeant“, murmelt sie und kümmert sich nicht weiter um den Störenfried.
Corey wendet den Blick nicht ab. Mißtrauisch beäugt er seine jüngste Rekrutin. Ein schönes Früchtchen, das Major Hecker ihm da aufgehalst hat. Klein, unterernährt, zappelig, mit Backpfeifengesicht, Pickeln und diesem fiesen Wolfsblick, den er schon bei zu vielen der jungen Versager gesehen hat, aus denen heutzutage die Armee besteht. Sie könnte fast ein hübsches Mädchen sein, wenn sie nicht so, na, eben so total erbärmlich abgefuckt wäre. Mühsam versucht er, Barneys Gekrakel auf dem zerkratzten Helm zu entziffern: FUCK OFF COMOONISTZ! Als I-Punkt hat das Mädchen ein kleines Hakenkreuz gemalt.
„Ey, hör ma, Barn, du weißt schon, dass man Kommunist mit zwei Ms schreibt, nä?“ Das Mädchen antwortet nicht, scheint seine Anwesenheit nicht wahrzunehmen. Nach wenigen Sekunden wird es Sergeant Corey Almeida zu öde und er rutscht von der Truhe. „Schön aufpassen, Rekrutin“, gibt er ihr noch halblaut zu verstehen, dann dreht er weiter seine Runde durch den großen Laden. Gelangweilt tritt er aufgerissene Chipstüten aus dem Weg und betrachtet grimmig das Chaos in den verwüsteten Regalen des SupaSava-Ladens.
Zwanzig Meter weiter trifft er auf Falafel und Stoner, die hinter den Registrierkassen rumlungern, von wo aus sie durch die Glasfront den Parkplatz des Einkaufszentrums im Blick haben. Beide sind damit beschäftigt, irgendwelche Egoshooter auf ihren Gameboys zu spielen. Ausschau halten tut keiner von ihnen. Corey kann es ihnen nicht verdenken, der weitläufige Platz liegt leer und tot in der grellen Sonne. Seit drei Tagen hält das Platoon das Einkaufszentrum besetzt, und seit drei Tagen hat sich nicht einer ihrer Feinde in der Nähe sehen lassen. Es ist still da draussen, zu still, fast kann Corey die Wellen vom nahen Strand hören.
„Fuck!“ Wütend schmeißt Stoner seine piepsende Spielekonsole gegen die Frontscheibe. „Wann kommt endlich die Ablösung, Corey? Lange halt ich den Scheiß hier nich mehr aus.“ Er blickt mit leeren Augen zu Corey auf.
„Ich weiß es nich, Stone. Der Major sagt, er is gerade ein bisschen knapp an Leuten.“
„Gerade ein bisschen knapp an Leuten“, äfft Stoner ihn nach. „Als ob in diesem Scheißkaff nich genügend Leute rumhängen, die er für die Armee rekrutieren kann! Ich meine, schließlich ist doch kein Opfer zu groß, um unser freiheitliches System zu verteidigen.“
„Ich weiß nich, Stone ...“ Corey lässt sich in der Deckung der Kasse neben ihm auf den Boden sinken. „Du siehst doch selbst, was die uns hier in letzter Zeit als Rekruten anschleppen.“ Er deutet mit dem Daumen über die Schulter, in Richtung Eistruhe.
Stoner nickt verstehend. „Nich viel los mit der Schnecke, nä?“
„Scheiße, Stone, dumm wie Scheiße ist die! Und auch viel zu jung.“
Jetzt blickt auch Falafel von seinem Videospiel auf. „Aber ganz hübsch issie, nich?“ Er wartet auf Bestätigung, die er aber nicht erhält. „Na ja, auf jeden Fall ganz gut entwickelt für ihr Alter.“
„Quatsch!“, entgegnen Corey und Stoner fast gleichzeitig. „Da is doch nichts dran, an der dürren Bohnenstange.“
„Immerhin issie ne Freiwillige“, nuschelt Falafel trotzig. Die beiden anderen beachten ihn nicht. Der Kerl ist hoffnungslos.
Barbie rollt langsam auf einem Skateboard zwischen den Regalreihen auf die Kassen zu. Ihre weißblonden Haare, denen sie ihren Spitznamen zu verdanken hat, hängen ihr offen über die Schultern, und statt ihrem Gewehr trägt sie einen Hockeyschläger bei sich. Von Zeit zu Zeit fetzt sie damit eine Getränkedose durch die Gegend. Ihre tarnfarbene Bluse trägt sie offen, nur am Bauch zusammengeknotet, so dass ihr BH darunter hervorblitzt. Den Jungs fallen fast die Augen aus den Köpfen.
„Die da, die wär schon eher mein Fall“, sagt Corey leise und springt auf. „Hey, Barbie, hey, warte mal!“, ruft er hinter dem Mädchen her und lässt die zwei Soldaten sitzen.
In diesem Moment ertönt ein Schrei aus dem hinteren Teil des Ladens, gefolgt von mehreren Schüssen. Barbie springt hinter einem Regal in Deckung, gefolgt von Corey, der schlittend neben ihr zu liegen kommt.
„Wa ... was war das?“, fragt das Mädchen nervös und versucht einen Blick um die Ecke des Regals zu werfen.
„Hört sich an, als ob's aus dem Lager kommt“, sagt Corey nur kurz. „Komm mit.“
Die beiden schleichen langsam zwischen den endlosen Regalreihen auf den hinteren Teil des Ladens zu, wobei Corey sich unauffällig hinter dem Mädchen hält, so dass er ihren Hintern beobachten kann. „Stone, Falafel! Ihr behaltet den Parkplatz im Auge!“, ruft er in Richtung der Kassen.
Sie erreichen einen breiten Quergang und Barbie bleibt an der Ecke stehen. Als sie sich umdreht, kann Corey sehen, wie blass ihr hübsches Gesicht geworden ist. Keine Spur mehr von der coolen Skaterin zu erkennen.
„Revoluzzer?“
Statt zu antworten, schiebt Corey sie weiter vor sich her. Hinter ihnen tauchen einige weitere Soldaten auf, allesamt Teenager, die meisten dünn und blass, verweichlichte Versager, Trailer Trash, das letzte Bollwerk der freien Gesellschaft. Unter ihnen befindet sich auch die kleine Barney.
Ein toller Haufen, denkt Corey, die glorreiche freiwillige Bürgerarmee der Vereinigten Staaten von Amerika! Mit ein paar Handzeichen bedeutet er den Leuten, sich zum Eingang der Lagerabteilung zu bewegen. Paycheck erreicht den Durchgang als Erster. Von der Seite her arbeitet er sich an den Durchgang heran, der von dicken Lappen, halbdurchsichtigen Plastiks verschlossen wird. Mit dem Gewehr im Anschlag steckt er den Kopf hindurch, ins Halbdunkel der riesigen Lagerhalle. „Alles klar bei euch da drinnen?“.
Keine Antwort. Bevor Corey ihn warnen kann, schiebt Paycheck seinen ganzen Körper durch die Plastikbänder. Ein Schuss ertönt und Paycheck fliegt rückwärts aus dem Durchgang. Reglos bleibt er in der Mitte des Ganges liegen und eine Blutlache breitet sich unter ihm aus. Einige Leute schreien kurz auf.
Corey spürt, dass alle Blicke auf ihn gerichtet sind. Verdammt, dies ist der Ernstfall, jetzt ist er gefordert, muss beweisen, dass er den Rang eines Sergeants verdient hat. Er hat keine Idee, was er tun soll. Wenn die Kommies tatsächlich im Lager sitzen, sind sie klar im Vorteil. Sie können jeden seiner Leute, der dumm genug ist seine Birne in den Durchgang zu stecken, einfach so abknallen. Kein Problem. Man könnte sie höchstens von hinten, von den Laderampen aus, erfolgreich angreifen. Aber dazu müsste Corey sein Platoon aus dem Laden abziehen und über das offene Gelände hinten um das Einkaufszentrum herumführen. Er hat keine Ahnung, wie viele Revoluzzer sich da draussen rumtreiben, nein, das wäre zu gefährlich.
Er greift nach seinem Handy und drückt die Kurzwahltaste, die ihn mit Major Hecker verbindet. Nach langer Zeit - viel zu lang für Coreys Geschmack – antwortet endlich jemand.
„Dein Vorgesetzter ist leider verhindert, Junge. Er hat ne Kugel im Kopf!"
"Wer spricht da?". Coreys Stimme klingt merkwürdig belegt.
"Hier spricht General Brenton vom Revolutionären Komitee für ein Freies Amerika!“ Die Stimme dröhnt jung und höhnisch aus dem kleinen Lautsprecher des Telefons. „Du und Deine Arschlöcher, Ihr solltet lieber aufgeben, wenn ihr mit dem Leben davonkommen wollt!“
„Halt die Fresse, Kommunist!“
In hohem Bogen fliegt das Handy aus Coreys Hand. Die dürre Barney ist neben ihm aufgetaucht und blitzt ihn trotzig an. „Aussen rum können wir vergessen“, erklärt sie leise. Bevor Corey etwas sagen kann, zeigt sie auf die Treppe, die an der Rückwand zum Bürotrakt des Marktes hinaufführt. „Gibt es vom Büro aus Fenster zum Lager?“
Corey muss sich beherrschen, sich nicht die Hand vor die Stirn zu knallen. „Ja, klar. Auch Türen und Treppen.“
Mit großen, unternehmungslustigen Augen blickt Barney ihn an.
„Okay“, Corey räuspert sich. „Nimm dir zwei Leute und geh hoch. Wartet auf unser Feuer.“
Das Mädchen nickt kurz und macht sich auf den Weg. Als die drei hinter der Tür zum Büro verschwunden sind, wartet Corey noch eine Minute, dann gibt er den Befehl, das Feuer zu eröffnen. Blindlings beginnen seine Leute durch die Plastiklappen ins Lagerinnere zu schießen, erhalten aber keine Gegenwehr.
„Feuer einstellen!“, befiehlt er schließlich, um zu lauschen. Für einen kurzen Augenblick bleibt alles ruhig auf der anderen Seite. Dann hört er Stimmen, Leute die sich bewegen. Er kann sich keinen Reim darauf machen. Was geht da im Lager vor? Schließlich ertönt eine Stimme:
„So kriegt ihr uns nie hier raus, ihr fetten Kapitalistenschweine!“
Es klingt, als sei der Sprecher nicht weit vom Plastikvorhang entfernt, Corey kann ihn jedoch nicht sehen.
„Das ganze Einkaufszentrum ist von Revolutionstruppen umstellt, ihr habt keine Chance!“, ertönt die Stimme erneut. „Also ergebt euch besser, wenn ihr den Tag überleben woll ...“ Die Stimme wird von einem Schuss unterbrochen und erstirbt in einem Gurgeln. Daraufhin bricht in der Lagerhalle die Hölle aus. Die Revoluzzer scheinen sich gegen Feuer aus dem Bürotrakt zu verteidigen.
Corey erkennt seine Chance und befiehlt den Angriff auf den Durchgang. Er kurzer Blick nach hinten verrät ihm, dass höchstens noch die Hälfte seiner Leute bei ihm sind. Vielleicht zehn Mann, höchstens. Keine Ahnung, wohin sich die anderen verpisst haben. Jetzt ertönt auch Gewehrfeuer aus dem vorderen Teil des Marktes, die Revoluzzer scheinen von alles Seiten zu kommen. Er hört Schreie, Kids in Panik. Sie kämpfen, sie flüchten, sie machen sich in die Hosen, sie sterben.
Trotzdem läuft er los, blindlings aus seiner Maschinenpistole schiessend, gefolgt von wenigen Jungs und Mädchen dringt er in die Lagerhalle ein. Der Sturmlauf der handvoll Soldaten dauert nur Sekunden, dann liegen sie als leblose, blutige Bündel auf den schmutzig-kühlen Fliesen des Lagerraums.
Einge Meter darüber sieht Barney ihre Kameraden sterben, Kids die ihr nie viel bedeutet haben, einige, die sie flüchtig aus der Schule kannte, aus besseren Zeiten. Aus ihrem verkniffenen Gesicht sieht sie das Gemetzel. Bessere Zeiten? Von wegen! Was für ein Haufen Arschlöcher das gewesen ist! Geschnitten hatten sie Barney, sich lustig gemacht über ihre uncoolen Klamotten, über ihre schlechte Haut, über ihre zu kleinen Titten. Trotzdem, das war immer noch besser als die Revoluzzer, diese Commie-Bande, die das Land in ein Armenhaus verwandeln wollte.
Sie blickt sich kurz um, sieht ihre beiden toten Begleiter. Gellerman liegt unter einer zerborstenen Scheibe, sein Gesicht eine blutige Masse, sein Körper flach ausgebreitet. Bei Barbie ging es nicht so schnell, ein Schuss in die Brust hat sie quer durch das Büro taumeln lassen. Zuckend war sie auf einem Schreibtisch zusammengesackt und schließlich auf den Boden gerutscht. Jetzt starren ihre ausdruckslosen Augen ins Nichts. Auch im Tod sieht sie noch schön aus, eine Schönheit, die ihr nichts mehr nützt.
Barney schiebt ein neues Magazin in ihren Karabiner, ihr Letztes. Langsam schleicht sie zur Hintertür des Büros, die auf die Treppe hinunter zum Lager führt. Sie atmet einige Male tief durch, dann reißt sie die Tür auf und eröffnet das Feuer auf die Revoluzzer, die sich unten um die Gefallenen versammelt haben. Nur wenige Erwachsene, die meisten Kids wie sie, in schlecht sitzenden, improvisierten Uniformen, die um ihre schmalen Körper schlattern. Sie feuert schnell, aber ruhig und gezielt. Zwei Revos gehen zu Boden, drei, Geschrei bricht aus, ein Vierter fällt. Dann endlich nehmen die Feinde die Gegenwehr auf. Sie kann noch einen Schuss abgeben, ungezielt verschwindet die Kugel in den Tiefen der Halle.
Barneys schmächtiger Körper wird vom feindlichen Feuer zerfetzt, sie stolpert rücklings über das Geländer und fällt die drei Meter bis zum Boden. Beim Aufprall ist sie bereits tot. Mit ihr stirbt die letzte Soldatin des freien Amerika und macht den Weg frei für eine bessere Zukunft.