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Tangenten

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13.01.2012
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Tangenten

Der vietnamesische Busfahrer grinste über den jungen Weißen, dessen Schweiß in dicken Perlen vom Kinn auf den Asphalt tropfte. Im klimatisierten Gästehaus war es Daniel als gute Idee erschienen, die 20.000 Dong für ein Taxi zu sparen und mit seinem Rucksack – immerhin fünfzehn Kilogramm – zu Fuß zur Busstation zu gehen. Jetzt, fünfundzwanzig Minuten später, klebte ihm sein schwarzes T-Shirt am Körper.
Das Innere des Minibusses empfing ihn wie eine nach Kunstleder riechende Eisgrotte. Daniel war der erste Fahrgast und ließ sich erleichtert in einen Sitz in der hintersten Reihe am Fenster fallen. Seine Augen brannten vom grellen Licht draußen und für einen Moment schloss er sie. Er hatte einmal gelesen, dass Träume dazu dienten, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Offenbar waren die Erlebnisse seiner Reise zu zahlreich, als dass sein Gehirn die Aufgabe in der Nacht allein erfüllen konnte. Kaum hatte er die Augen geschlossen, sah er auf seinen Lidern die phantastisch übersteigerte Vision eines asiatischen Marktes: Massen von Menschen schoben sich, tanzten, flanierten, drängelten durch- und übereinander; in riesigen Pfannen wurden Shrimps und Nudeln, Frösche und Ingwer gebraten. Eine zahnlose Alte bot Kokosnüsse mit Plastikstrohhalmen feil. Ein Motorroller knatterte durch die Menge. Darüber schwebten leuchtende Lampions wie Quallen durch die Tiefe des Ozeans.
Dass seine Träume nun ihren Weg in die wache Welt fanden, kam Daniel passend vor, immerhin befand er sich in einem Zwischenreich: Im März hatte er sein Mathematikstudium abgeschlossen. Im Juni würde – in den Worten seines Onkels – das „richtige Leben“ beginnen und Daniel seine Stelle bei einem mittelständischen Maschinenbauer antreten. Daniel konnte sich noch genau erinnern, wie sein Onkel – ein vierschrötiger Mann, dem eine Spedition gehörte – ihm die Hand geschüttelt, ihn umarmt und diese Worte benutzt hatte: dass dann das „richtige Leben“ beginnen würde.
Daniel fragte sich, ob der Onkel recht hatte. Auch fragte er sich, was genau das war: das „richtige Leben“? Es war nicht das erste Mal, dass er sich diese Frage stellte. Er war fest davon überzeugt, dass es so eine Sache geben musste. Oft, wenn er in seinem kleinen Studentenzimmer zwischen Laptop und Bücherstapeln saß, schaute er plötzlich auf, als riefe ihn eine Stimme. Sein Blick ging dann zum Fenster hinaus, über die Bäume des Parks und die Dächer der Häuser hinweg. Ihn überkam ein Gefühl wie Sommerregen auf der Haut, wie Feuerschein in der Ferne, wie ein Gewitter in der Brust. Er wusste, was ihn da rief: das richtige Leben. Aber wo war es? Und wie fand man es?


Daniel hätte nichts dagegen gehabt, der einzige Fahrgast zu bleiben und für die vier Stunden der Fahrt von Chau Doc nach Can Tho zu dösen. Fünf Minuten vor Abfahrt betrat jedoch eine Gruppe von jungen Reisenden – etwa in Daniels Alter – den Busbahnhof. Der Fahrer prüfte auch ihre Tickets und verstaute die Rucksäcke. Daniel hoffte, dass zumindest der Platz neben ihm frei bleiben würde. Der Minibus war jedoch ausgebucht, weshalb sich eine junge Frau in den Nachbarsitz klemmte. Der Raum pro Person war nicht gerade großzügig – aber Daniel kam immerhin um eine Begrüßung und Smalltalk herum, indem er seine Kopfhörer einsetzte, die Hörbuchversion der Brüder Karamasov einschaltete und den Blick zum Fenster hinauslenkte. Kurz darauf fuhr der Bus los.
Daniel setzte seine Überlegungen fort. War vielleicht gerade das hier das richtige Leben? Diese zweimonatige Asienreise? Immerhin hatte er in den vier Wochen bisher mehr erkundet, mehr getanzt, mehr neue Dinge gegessen, mehr erlebt, als in den fünf ruhigen Jahren konzentrierten Studierens. Andererseits: War all das nicht eine Ausnahme, eine Auszeit? Ein letzter Aufschub, bevor es wirklich losgehen würde? Wenn er sich jetzt die Fotos auf seinem Mobiltelefon ansah, den Königspalast von Bangkok, den Urwald von Khao Yai, die Tempel von Angkor Wat, dann kam ihm all das bereits seltsam unwirklich vor. Er selbst tauchte in diesen Fotos auf, er hatte auch die Bilder im Kopf – aber schon schien ihm das wie ein exotischer Film, den er einmal gesehen hatte.
Daniel schaltete das Hörbuch aus, ohne die Kopfhörer aus den Ohren zu nehmen. Der Bus verließ die Provinzstadt und fuhr nun an Reisfeldern vorbei, hinter denen sich sanfte, grüne Hügel erhoben. Mit der Gruppe um ihn war eine Veränderung vor sich gegangen: Hatten sie beim Einsteigen noch gescherzt und gelacht, schienen nun alle in sich gekehrt. Nur das Pärchen, das direkt hinter dem Fahrer saß, tuschelte noch miteinander. (Daniel glaubte, dass sie Deutsch sprachen.) Andere hatten gleichfalls Kopfhörer eingesetzt, lasen ein Buch oder blickten einfach hinaus in die ruhige, nachmittägliche Landschaft, die vor dem Fenster vorüberzog. Ein vorsichtiger Blick zur Seite zeigte, dass das Mädchen neben ihm den Kopf zurückgelehnt und die Augen geschlossen hatte.
Für einen Moment kam ihm das Gesicht mit der feinen Nase und den hohen Wangenknochen bekannt vor. Dann aber sagte er sich, dass das vermutlich schlicht daher kam, dass er in den letzten Wochen – in Hostels, in Tempeln, auf Plätzen und in Restaurants – so viele andere Touristen gesehen hatte. Er drehte sich wieder zum Fenster und schaltete das Hörbuch ein – konnte der Erzählung jedoch nicht folgen.
Verstohlen drehte er den Kopf wieder in die andere Richtung. Diese hohen Wangenknochen, der von Natur aus dunkle Teint, die geschwungenen Brauen – war da nicht was? Eine Erinnerung? Daniel dachte angestrengt nach. Er war sich beinahe sicher, dass dort etwas verborgen war – aber der Kompass seiner Erinnerung zeigte in verschiedene Richtungen gleichzeitig. Ein Mädchen aus der Parallelklasse während der Grundschulzeit? Hatte er sie einmal auf einer Party gesehen? Oder während eines Fußballspiels, das er vor Jahren mit seinem Vater besucht hatte? Nichts davon schien zu stimmen und Daniel schüttelte den Gedanken endgültig ab. Er zwang seinen Blick wieder zum Fenster hinaus.
Plötzlich spürte er ein warmes Gewicht an seiner Schulter. Sie war eingeschlafen. Ihr Kopf war von der Kopfstütze zur Seite gerutscht und an seiner Schulter zur Ruhe gekommen. Daniel schoss das Blut ins Gesicht. Was würden ihre Freunde denken, wenn …? Aber ein kurzer Blick verriet, dass eines der beiden anderen Mädchen in der letzten Reihe schlief, während ihre Nachbarin müde durch ihre Facebook-Timeline scrollte.
Sollte er sie aufwecken? Aber war das nicht unhöflich? Und was genau würde er sagen? Die Situation wäre für sie beide schrecklich peinlich – und die nächsten drei Stunden würden sie nebeneinander in unangenehmem Schweigen verbringen müssen. Vielleicht konnte er sie vorsichtig bei den Schultern fassen und wieder gerade hinsetzen? Aber was, wenn sie davon aufwachte? Was, wenn ihre Freunde sähen, dass er sie anfasste?
Der Bus fuhr unsanft durch ein Schlagloch und das Mädchen rutschte noch weiter in seine Richtung. Ihr Kopf ruhte jetzt an seiner Schulter wie auf einem Kissen und gegen die ganze Länge seines Armes fühlte er ihre warme Haut. Jetzt war es fast unmöglich geworden, sich zu bewegen, ohne sie aufzuwecken.
Weil er nicht wagte, sich zu bewegen, drehte er die Augen so weit wie möglich nach links. Ihr Kopf war so nah, dass er jedes ihrer schwarzen Haare einzeln sah. Von ihrem Scheitel ging ein Geruch aus, der das Gefühl der Vertrautheit verdoppelte. Er schien eine Erinnerung zu beschwören, an … Daniel wusste es nicht. Jeden Moment glaubte er, dass der Nebel sich auflösen und den Blick auf eine ganz bestimmte Erinnerung freigeben müsste – und doch passierte es nicht.
Irgendetwas löste dieses fremde Mädchen in ihm aus. Wie sie hieß? Miriam, dachte er. Er wusste nicht, woher der Name plötzlich kam. Er war einfach erschienen und nun war er sich fast unumstößlich sicher, dass sie Miriam hieß.
Noch ehe er wusste, was er tat, hatte Daniel seine Hand gegen die von Miriam gelegt: Die linke Außenseite seiner linken berührte über die ganze Fläche die rechte Außenseite ihrer rechten Hand. Sein linker kleiner Finger berührte ihren rechten kleinen. Einerseits kam ihm die kleine Bewegung peinlich und falsch vor – aber diese Empfindung rückte mit jeder Sekunde weiter in den Hintergrund, während sich seine Wahrnehmung immer weiter auf diese wenigen Zentimeter Haut verengte. Plötzlich war da dieses Gefühl: Ein Gefühl wie Regen im Sommer, wie Flammenschein in der Ferne. Ein Unwetter in seinem Innern.
Mit einem Mal war es ganz klar, was er tun musste: Ein paar Minuten noch die süße Nähe auskosten. Dann würde er sie sanft aufwecken und sagen: „Entschuldige, dass ich dich wecke. Ich bin mir sicher, dass wir uns noch nie im Leben getroffen haben, aber du kommst mir unendlich bekannt vor.“


Miriam erwachte aus einem tiefen Schlaf und brauchte einige Sekunden, um zu erkennen, wo sie sich befand. „Ist es noch weit?“, fragte sie Christiane zu ihrer Linken.
„Wir sind gerade aus Can Tho raus. Jetzt sind es noch mal drei Stunden bis Vinh Long.“
Miriam hörte die Worte wie durch dichten Nebel. Halb hielt sie der Schlaf noch im Griff. Nur am Rande bemerkte sie, dass der Sitz zu ihrer Rechten nun leer war. Der junge Mann, der dort gesessen hatte, war vermutlich in Can Tho ausgestiegen.
Ein seltsames Gefühl saß direkt unter Miriams Schlüsselbein. Ein süßes, etwas schmerzhaftes Gefühl, wie eine langsam verklingende Melodie. Miriam war sich sicher, dass sie etwas geträumt hatte, irgendetwas Großes, Bedeutsames. Aber als sie die Augen wieder schloss und in den Schlaf zurückglitt, war der Traum nicht mehr da.

 

Hallo!
Ein wunderschöner Text, ich konnte mir alles wirklich bildlich vorstellen. Ich finde es ist alles in allem total stimmig: ein Mathematikstudent, ein Berührungspunkt mit Miriam, die Überschrift - ich bin begeistert.

Jedoch finde ich, kommt bei diesem durchaus schönen und tragischen Ende der philosophische Mittelteil fast zu kurz. Meiner Meinung nach hätte er am Ende noch einmal eine Erwähnung verdient oder zumindest noch einmal einen Hinweis darauf - vielleicht sogar eine eigene Geschichte, da mich dieser Teil sehr beeindruckt hat. Trotzdem hat mir dein Text sehr gut gefallen, danke dafür !

Liebe Grüße,
hicarina :)

 

Hola @Meridian,

Du bist länger im Klub als ich, doch wir hatten noch nicht die Ehre miteinander.
Deine Geschichte ist sorgfältig gearbeitet, und da fände ich es albern, viel herumzustochern – der Autor wollte seinen Text so und nicht anders und basta.

Wenn ich dennoch Kleinigkeiten anführe, ist das mein unmaßgeblicher Privatgeschmack.

... der Kompass seiner Erinnerung schien in verschiedene entlegene Richtungen gleichzeitig zeigen zu wollen.
Entlegene Richtungen?

... dass eines der beiden anderen Mädchen in der letzten Reihe gegen das Fenster eingeschlafen.
Schon verstanden, doch ‚gegen’ das Fenster einschlafen?

... fuhr der Bus unsanft über einen kleinen Holper, ...
Hier holperts: Man weiß, was gemeint ist, doch von einem ‚Holper’ hab ich noch nie gehört. Trotzdem gibt es dieses Wort, wie mir Google mitteilt – vielleicht beschränkt auf gewisse Regionen, oder in früheren Zeiten gebräuchlich.

Ihn überkam ein Gefühl wie Sommerregen auf der Haut, wie Feuerschein in der Ferne, wie ein Gewitter in der Brust.
Ein Gefühl wie Regen im Sommer, wie Flammenschein in der Ferne. Ein Unwetter in seinem Innern.
Ist hier der Zettelkasten durcheinander gekommen oder ist das gewollt?
Nein, dummer Scherz. Er kannte dieses Ziehen in der Brust schon ... und überhaupt:
... während sich seine Wahrnehmung mehr und mehr auf diese wenigen Zentimeter Haut verengte.
Hier bin ich dem Autor gern gefolgt, fand die Details gut dargestellt und las gerne weiter.
Lohnt sich:
Ein Unwetter in seinem Innern.
Mit einem Mal war es ganz klar, was er tun musste: Ein paar Minuten noch würde er diese süße Nähe auskosten. Dann würde er sie sanft aufwecken. Und er würde ihr sagen: „Entschuldige, dass ich dich störe. Ich bin mir sicher, dass wir uns noch nie im Leben getroffen haben, aber du kommst mir unendlich bekannt vor.“

Meridian, ich finde diese leise Geschichte gelungen – mir hat sie Spaß gemacht.
Danke und viele Grüße!
José

PS:

Ein seltsames Gefühl saß direkt unter Miriams Schlüsselbein.
Unterm linken, gell:herz:?

 
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Hey @Meridian,

ich gehe gleich mal in den Text:

Der vietnamesische Busfahrer amüsierte sich sichtlich über den jungen Weißen, dessen Schweiß in dicken Tropfen vom Kinn auf den Asphalt rollte.
Der erste Satz umreißt das Setting und stellt gleich die Figuren vor. Passt. Allerdings ließe sich der Den-jungen-Weißen-Block ganz einfach durch Daniel ersetzen. Dass er jung ist, erschließt sich im Verlauf, und dass er kein Einheimischer ist, ist auch klar. Man könnte sich jetzt natürlich noch fragen, wie es sich zeigt, dass der Busfahrer sich amüsiert.
Störend empfinde ich (zudem), dass die Tropfen vom Kinn auf den Boden rollen. Das geht mMn so nicht; vielleicht dann, wenn sein Kinn den Asphalt berührte; aber so? Der Tropfen fällt oder der Schweiß tropft, von mir aus klatscht der auch zu Boden.

... die 20.000 Dong für ein Taxi zu sparen und mit seinem Rucksack – immerhin fünfzehn Kilogramm – zu Fuß zur Busstation zu gehen. Jetzt, fünfundzwanzig Minuten später, klebte ihm sein schwarzes T-Shirt am Körper.
Sind mir (eigentlich) zu viele Infos/ Zahlen, andererseits passt es ja zu deinem Mathestudenten. Verstehe das hier also als Frage (nicht als Kritik): War das so von dir beabsichtigt? Interessiert mich einfach.

Das Innere des Minibusses empfing ihn wie eine nach Kunstleder riechende Eisgrotte.
Ich wills's dir einfach nur mitgeben, Meridian, ich bleibe hier ganz kurz kleben, weil ich mich ganz kurz frage, wie denn nun Kunstleder riecht. Meinst du einen chemischen Geruch? Dann könntest du das auch so schreiben. Das hieße aber, der Bus wäre recht neu. Solltest du darauf nicht eingehen?
Du merkst es, mich stören solche Gedanken, der Lesefluss verebbt ein wenig, weshalb ich so was möglichst umschiffen würde (kleinlich wie ich bin); also streichen. Ist aber sehr subjektiv jetzt.

Er hatte einmal gelesen, dass Träume dazu dienen, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Seit einer Woche etwa schien es, dass die Erlebnisse seiner Reise zu zahlreich waren, als dass sein Gehirn die Aufgabe in den rund acht Stunden Schlaf jede Nacht erfüllen konnte. Kaum hatte er die Augen geschlossen, erschien auf seinen Lidern die phantastisch übersteigerte Vision eines asiatischen Marktes: Massen von Menschen schoben sich, tanzten, flanierten, drängelten durch- und übereinander; in riesigen Pfannen wurden Shrimps und Nudeln, Frösche und Ingwer gebraten.
Hm, zu komplex, zu erklärend für meinen Geschmack. Um mal aufzuzeigen, was ich in etwa meine, mal folgende Idee: Er hatte einmal gelesen, dass Träume dazu dienen, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Anscheinend waren die Erlebnisse der Reise jedoch zu zahlreich gewesen, um der Aufgabe gerecht zu werden. Kaum hatte er die Augen geschlossen, schoben sich Massen von Menschen vors geistige Auge. Sie tanzten, flanierten, drängelten durch- und übereinander; in riesigen Pfannen wurden Shrimps und Nudeln, Frösche und Ingwer gebraten.

Darüber schwebten orange leuchtende Lampions wie Quallen durch die Tiefe des Ozeans.
Gefällt mir an sich, erlaube mir trotzdem folgenden Vorschlg: Darüber schwebten orangefarbene Lampions wie Quallen durchs Meer.

Es war nicht das erste Mal, dass er sich diese Frage vorlegte.
Besser vielleicht: stellte

Oft, wenn er vor seinem Laptop und zwischen zwei Bücherstapeln in seinem kleinen Studentenzimmer gesessen hatte, hatte er plötzlich aufgeschaut, als habe ihn jemand gerufen. Sein Blick ging dann zum Fenster hinaus, über die Bäume des Parks und die Dächer der Häuser hinweg.
Ich glaube, hier ließe sich schummeln, hier dürftest du ein wenig unsauberer arbeiten, denke ich. Das PQP würde ich vermeiden, ihn einfach so sinnieren lassen.
Vielleicht (sinngemäß) in etwa derart: Immer wenn er in seiner Studentenbude vor dem Laptop saß, verspürte er den Drang, durchs Fenster zu sehen. Über die Bäume im Park und die Dächer hinweg in die Ferne.
Kannst ja mal darüber nachdenken, wenn du möchtest.

Ihn überkam ein Gefühl wie Sommerregen auf der Haut, wie Feuerschein in der Ferne, wie ein Gewitter in der Brust.
Das geht so mMn nicht - ein Gefühl wie Feuerschein in der Ferne. Vielleicht so: Ihn überkam ein Gefühl wie bei Sommerregen auf der Haut, wie bei Feuerschein in der Ferne, wie ein Gewitter in der Brust.

Daniels Hoffnung, dass zumindest der Platz neben ihm frei bleiben würde, wurde enttäuscht: Alle Plätze des Minibusses waren gebucht, sodass sich eine junge Frau neben ihn setzte. Der Platz pro Person war nicht gerade großzügig bemessen – aber Daniel kam immerhin um eine Begrüßung und Smalltalk herum ...
Könntest du eleganter lösen, Doppler und diese "Würde-wurde-Konstruktion" vermeiden, dieses "...busses" auch. Ist zudem teilweise recht substantivlastig der Text, finde ich.
Vielleicht irgendwie so (?): Daniel hoffte, der Platz neben ihm würde frei bleiben. Der Minibus war jedoch ausgebucht, weshalb sich eine junge Frau in den Nachbarsitz klemmte. Der Innenraum war nicht gerade großzügig bemessen – aber Daniel kam immerhin um eine Begrüßung und Smalltalk herum ...

... indem er seine Kopfhörer einsetzte, die Hörbuchversion der Brüder Karamasov einschaltete und seinen Blick zum Fenster hinauslenkte. Kurz darauf fuhr der Bus los.
Daniel setzte seine Überlegungen fort. War vielleicht gerade das hier das richtige Leben? Seine zweimonatige Asienreise?
Mal exemplarisch - gibt ein paar Passagen im Text: Zeitweise verwendest du unnötig viele Possessivartikel, die es nicht bräuchte, die sich zudem doppeln.
Vorschlag: ... indem er Kopfhörer einsetzte, die Hörbuchversion der Brüder Karamasov einschaltete und den Blick zum Fenster hinauslenkte. Kurz darauf fuhr der Bus los.
Daniel setzte seine Überlegungen fort. War vielleicht gerade das hier das richtige Leben? Die zweimonatige Asienreise?

Der Bus hatte die Provinzstadt hinter ich gelassen und fuhr nun an Reisfeldern vorbei, hinter denen sich sanfte, grüne Hügel erhoben.
Vielleicht besser so (?): Der Bus verließ die Provinzstadt und fuhr an sanften, grünen Hügeln vorbei, an die sich Reisfelder schmiegten.

Er drehte sich wieder zum Fenster und schaltete das Hörbuch ein.
Wenige Sekunden später pausierte er es erneut. Verstohlen darauf achtend, dass ihn niemand bemerkte, drehte er seinen Kopf wieder in die andere Richtung. Diese hohen Wangenknochen ...
Das ist alles recht sperrig irgendwie, andererseits passt das ja auch zu deinem verkopften Mathestudenten. Trotzdem (zum Verdeutlichen) folgender Vorschlag: Er drehte sich wieder zum Fenster und schaltete das Hörbuch ein, konnte der Erzählung aber nicht folgen. Aus den Augenwinkeln heraus betrachtete er sie eingehender: Diese hohen Wangenknochen ...

... war da nicht etwas? Eine Erinnerung? Daniel dachte angestrengt nach. Er war sich beinahe sicher, dass dort etwas verborgen war – aber der Kompass seiner Erinnerung schien in verschiedene entlegene Richtungen gleichzeitig zeigen zu wollen. Ein Mädchen aus der Parallelklasse während der Grundschulzeit? Hatte er sie zufällig einmal auf den Straßen seiner Heimatstadt gesehen? Oder während eines Fußballspiels, das er vor Jahren mit seinem Vater besucht hatte? Nichts davon schien zu stimmen und Daniel schüttelte den Gedanken endgültig ab. Er zwang seinen Blick wieder zum Fenster hinaus.
Plötzlich spürte er ein warmes Gewicht gegen seine Schulter. Sie war eingeschlafen. Ihr Kopf war von der Kopfstütze zur Seite gerutscht und an seiner Schulter zur Ruhe gekommen.
Abgesehen von den Dopplern liest sich auch das wirklich sehr sperrig alles. Hm. Auch "Blick" und "Fenster" habe ich irgendwie schon zu oft lesen müssen.
Ich erlaube mir noch mal einen Vorschlag: ... war da nicht etwas? Eine Erinnerung? Daniel dachte angestrengt nach. Ein Mädchen aus der Parallelklasse? Hatte er sie einmal auf einer Party gesehen? Oder bei einem Bundesligaspiel? In der Fankurve? Nichts davon schien zu stimmen, er schüttelte die Gedanken endgültig ab und zwang den Blick wieder Richtung Fenster.
Dann spürte er ihren Kopf an der Schulter. Sie war eingeschlafen.

Daniel fühlte Erstaunen. Dann schoss ihm das Blut ins Gesicht: Was würden ihre Freunde denken, wenn …?
Der Text ist schon sehr tellig, ich schlucke das auch, würde aber aufs Durchgestrichene dennoch verzichten - den Folgesatz finde ich ohnehin besser gelöst.

Vielleicht konnte er sie vorsichtig bei den Schultern fassen und wieder gerade hinsetzen? Aber was, wenn sie gerade davon aufwachte? Was, wenn ihre Freunde sähen, dass er sie anfasste?
Auch ein Streichkandidat.

Unterdessen fuhr der Bus unsanft über einen kleinen Holper, was dazu führte, dass das Mädchen noch stärker in seine Richtung rutschte. Ihr Kopf ruhte jetzt an seiner Schulter wie auf einem Kissen und gegen die ganze Länge seines Armes fühlte er ihre warme Haut. Jetzt war es fast unmöglich geworden, sich zu bewegen, ohne dass er sie aufweckte.
Zum Verdeutlichen, worauf ich hinauswill: Unterdessen fuhr der Bus unsanft über eine Bodenwelle. Das Mädchen rutschte daraufhin noch weiter in seine Richtung. Er spürte ihre warme Haut auf seiner. Jetzt war es fast unmöglich geworden, sich zu bewegen, ohne dass er sie aufweckte.

Weil er nicht wagte, seinen Kopf zu bewegen, drehte er die Augen soweit wie möglich nach links, um sie anzusehen. Ihr Kopf war so nah, dass er jedes ihrer schwarzen Haare einzeln sah. Von ihrem Scheitel ging ein Geruch aus, der das Gefühl der Vertrautheit verdoppelte.
Das klingt unfreiwillig komisch, wirkt iwie comichaft auf mich, slappstickartig. Ich würde den ganzen Satz kicken. Wäre mir auch zu kopflastig. Und wieso geht der Geruch von ihrem Scheitel aus? Nur von dort?

Noch ehe er wusste, was er tat, hatte Daniel seine Hand so bewegt, dass sie gegen Miriams lag: Die linke Außenseite seiner linken Hand berührte über die ganze Fläche die rechte Außenseite ihrer rechten Hand. Sein linker kleiner Finger berührte ihren rechten kleinen Finger. Von außen betrachtet kam ihm diese kleine Bewegung peinlich und falsch vor – aber diese Außenansicht rückte mit jeder Sekunde weiter in den Hintergrund, während sich seine Wahrnehmung mehr und mehr auf diese wenigen Zentimeter Haut verengte. Plötzlich war da dieses Gefühl:
Diese ganzen Wiederholungen, alles wieder zu sperrig auch, finde ich.
Vorschlag: Noch ehe er wusste, was er tat, richtete er die Hand so aus, dass sie gegen Miriams lag. Sein kleiner Finger berührte ihren. Diese kleine Bewegung kam ihm peinlich und falsch vor, aber das rückte in den Hintergrund. Plötzlich war da dieses Gefühl:

Mit einem Mal war es ganz klar, was er tun musste: Ein paar Minuten noch würde er diese süße Nähe auskosten. Dann würde er sie sanft aufwecken. Und er würde ihr sagen: „Entschuldige, dass ich dich störe. Ich bin mir sicher, dass wir uns noch nie im Leben getroffen haben, aber du kommst mir unendlich bekannt vor.“
Mit einem Mal war klar, was er tun musste: Ein paar Minuten noch die süße Nähe auskosten, das Mädchen sanft wecken und sagen: „Entschuldige, dass ich dich störe. Ich bin mir sicher, dass wir uns noch nie im Leben getroffen haben, aber du kommst mir unendlich bekannt vor.“
Ein seltsames Gefühl saß direkt unter Miriams Schlüsselbein. Ein süßes, etwas schmerzhaftes Gefühl, Wie eine langsam verklingende Melodie.
Fände ich stärker.


Ja, Meridian, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, ich habe den Text gerne gelesen. Ich finde, du hast das Thema gut beackert, diese Analogie, diese Tangente, diesen Berührungspunkt, das Unbeholfene auch. Dein Prota ist schon ein schräg-verkopfter Zeitgenosse, ich konnte aber irgendwie seltsam mitfühlen, empfinde am Ende schon auch einen Berührungspunkt zu ihm :).
Der Perspektivenwechsel am Schluss ist gewagt, finde ich, funktionniert allerdings (überraschenderweise) bei mir, wenngleich ich mich natürlich frage, wer mir diese Geschichte denn nun erzählt hat. Gott? Ist dann irgendwie auch wieder schade.
Sprachlich finde ich, na, man merkt schon, dass du schreiben kannst, aber ich müsste einfach mal mehr von dir lesen (mache ich auch noch :)), allerdings sind mir hier schon ein paar Dinge aufgefallen, die mir nicht so gut gefallen, auch wenn sie z. T. zum Prota passen. Sehr viele Dass-Konstruktionen bsp., sehr viele Substantive - zulasten (oftmals) stärkerer Verben; stellenweise recht sperrige Formulierungen, auch was den Satzbau anbelangt. Er blickt auch unheimlich mit vielen Blicken durch die Gegend.
Ich habe ja einige Beispiele angebracht. versteht sich, dass das sicher was mit persönlichen Vorlieben zu tun hat. Ich würde jedenfalls ein paar Ecken und Kanten schleifen, den Text etwas geschmeidiger gestalten. Das würde ihn mMn schon deutlich verbessern.


Vielen Dank fürs Hochladen


hell

 

Daniel fragte sich, ob der Onkel recht hatte. Auch fragte er sich, was genau das war: das „richtige Leben“? Es war nicht das erste Mal, dass er sich diese Frage vorlegte. Er war fest davon überzeugt, dass es so eine Sache geben musste.

Schöner Titel und schön, dass Du wieder einmal vorbeischaust,

Meridian -

und dann gleich mit so einem Titel, der das gesamte abendländische Denken von Adorno („Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, aus: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Nr. 18) bis zur Verknüpfung von Geometrie (Tangente) zu den unterschiedlichen Geschichtsauffassungen (geradlinig, auf Fortschritt setzend, alternativ zur abendländischen als kreisförmig, Wiederholung des Immergleichen [auf sich evtl. änderndem technologischen Niveau]), verpackt in einer Reisegeschichte, allerdings bezweifel ich allsogleich, dass dem jungen Europäer

... Schweiß in dicken Tropfen vom Kinn auf den Asphalt rollte.
„rollen“ braucht etwas, auf dem gerollt werden kann – da ist die Luft zwischen Kinn und Boden nicht geeignet, „tropfte“ bietet sich vordergründig an, führt dann freilich zur unfreiwilligen Doppelung. Von den Synonymen – die zumeist „tropfen“ in anderen Zusammensetzungen anbieten – gefällt mir eigentlich nur „herabfallen“ oder „rieseln“, aber ein Tropfen kann auch plumpsen wie ein nasser Sack - aber wir nehmens nicht so wahr ...

Du verwendest oft das Verb „scheinen“, wie hier

Im klimatisierten Gästehaus war es Daniel als gute Idee erschienen, die 20.000 Dong für ein Taxi zu sparen und mit seinem Rucksack – immerhin fünfzehn Kilogramm – zu Fuß zur Busstation zu gehen
geschickt mit der Vorsilbe „er“, wie es auch überwiegend die Dudenredaktion macht.

Schon mein Deutschlehrer auf der Realschule behauptete, nur die Sonne scheine, selbst der Mond habe sich „sein“ Licht nur (von ihr) geliehen, dass „scheinen“ in die Nähe des Verbs „brauchen“ gerät, von dem der Volksmund richtigerweise behauptet, „wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen“, und beide haben Recht, der Volksmund wie mein ehem. Klassenlehrer.
Als Modalverb schreit es förmlich nach dem Infinitiv mit zu und es findet der philosophische Kampf von Schein und Sein in der Sprache statt, denn etwas erweckt nur den Anschein, etwas anderes zu sein, als es ist. Hier

Seit einer Woche etwa schien es, dass die Erlebnisse seiner Reise zu zahlreich waren, als dass sein Gehirn die Aufgabe in den rund acht Stunden Schlaf jede Nacht erfüllen konnte. Kaum hatte er die Augen geschlossen, erschien auf seinen Lidern die phantastisch übersteigerte Vision eines asiatischen Marktes:
Da kommt dann im „als ob“ die Nähe zu Konjunktiv durch (wobei der Konj. nix mit der Zeitenfolge zu tun hat und im Gegensatz der Wendung, dass etwas zu sein scheine, was es nicht ist, den Indikativ verlässt), die einfachste Lösung wäre die schon praktizierte Vorsilbe „er“ zu verwenden ...

Hier nun

Dass seine Träume nun ihren Weg in die wache Welt fanden, schien Daniel passend, immerhin …
kannstu schlicht die Partizipbildung in den Infinitiv zurückverwandeln „schien Daniel zu passen“
Versuch mal selber an den verblieben zwo oder drei „schein“-Konstruktionen ...

Er hatte einmal gelesen, dass Träume dazu dien[t]en, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten.

Oft, wenn er vor seinem Laptop und zwischen zwei Bücherstapeln in seinem kleinen Studentenzimmer gesessen hatte, hatte er plötzlich aufgeschaut, als habe ihn jemand gerufen.
Hier wäre m. E. noch eine „als ob“-Situation, dass die indirekte Rede/Konj. I ind den Konjunktiv irrealis „als hätte ihn ...“ ersetzt werden sollte ...

Der Bus hatte die Provinzstadt hinter ich gelassen und fuhr …
„hinter sich ...“

Unterdessen fuhr der Bus unsanft über einen kleinen Holper, was dazu führte, …
besser Holperer, (Holper)Stein, Hindernis

Weil er nicht wagte, seinen Kopf zu bewegen, drehte er die Augen so[...]weit wie möglich nach links, um sie anzusehen.
„So weit“ als unbestimmte Zeit/Ortsangabe immer auseinander, nur noch als Konjunktion zusammen – soweit ich weiß.
Mein Tipp, im Zweifel immer auseinanderschreiben, die Konjunktion wird weitaus weniger häufig verwendet als die unbest. Angabe.

Gern gelesen vom

Friedel,
und sicherlich nicht das letzte Mal

 

Hallo zusammen!

Zunächst einmal muss ich mich entschuldigen, dass die Antwort so lange auf sich warten ließ. Da kam mal wieder das sogenannte "richtige Leben" dazwischen. ;) Aber jetzt der Reihe nach ...


Hallo Hicarina,

Es freut mich, dass der Text dir Freude gemacht hat - und die Idee hinter der Geschichte rübergekommen ist. Ich vermute, mit dem philosophischen Mittelteil meinst du die Reflektionen über das "richtige Leben"? Schön dass dich das beeindruckt hat - bei sowas weiß man ja nie, ob es beim Leser ankommt - oder der erste Kritiker ruft: Streich das, das bringt die Handlung nicht voran, ist prätentiös und voll "gähn". ;)

Vielen Dank fürs Lesen und Gutfinden!


Hallo José,

Du bist länger im Klub als ich, doch wir hatten noch nicht die Ehre miteinander.
Deine Geschichte ist sorgfältig gearbeitet, und da fände ich es albern, viel herumzustochern – der Autor wollte seinen Text so und nicht anders und basta.
Bitte keinen falschen Respekt vor dem Foristenalter! Der Autor wollte seinen Text schon irgendwie so, aber er hätte ihn gern noch besser und ist für jedes Herumgestochere dankbar. Deine Stochereien habe ich jedenfalls berücksichtig - bis auf das hier:
Hier holperts: Man weiß, was gemeint ist, doch von einem ‚Holper’ hab ich noch nie gehört. Trotzdem gibt es dieses Wort, wie mir Google mitteilt – vielleicht beschränkt auf gewisse Regionen, oder in früheren Zeiten gebräuchlich.
Word hat mir das auch unterkringelt und es kommt mir auch umgangssprachlich vor - gleichzeitig fällt mir nach wie vor nichts Besseres ein.

Unterm linken, gell:herz:?
Genau. ;)

Vielen Dank für deine Kritik und die Anmerkungen!


Hallo Friedel,

Was ich an deinen Kritiken unter anderem schätze, ist dass du nicht nur sämtliche vom Verfasser angelegten Bedeutungsebenen aufdeckst - sondern immer noch ein paar weitere! An Adorno habe ich beim "richtigen Leben" gar nicht gedacht - und doch scheint mit die Assoziation jetzt unübersehbar. Es kann nun jeder selbst entscheiden, ob es für den Text oder gegen den Autor spricht, dass ersterer letzteren offenbar überholt und abgehängt hat. ;)

allerdings bezweifel ich allsogleich, dass dem jungen Europäer
... Schweiß in dicken Tropfen vom Kinn auf den Asphalt rollte.
„rollen“ braucht etwas, auf dem gerollt werden kann
Den Punkt macht hell ja auch. Ich hatte dabei ja nicht das Rollen durch die Luft vor Augen, sondern das Kinn hinab, von wo dann natürlich der Sturz erfolgt - und fand die Formulierung gelungen. Ich gebe mich aber geschlagen, setze auf das Verb "tropfen" und lasse, um die Doppelung zu vermeiden, (Schweiß)Perlen selbiges erledigen. Besser?

Du verwendest oft das Verb „scheinen“, wie hier
Im klimatisierten Gästehaus war es Daniel als gute Idee erschienen, die 20.000 Dong für ein Taxi zu sparen und mit seinem Rucksack – immerhin fünfzehn Kilogramm – zu Fuß zur Busstation zu gehen
geschickt mit der Vorsilbe „er“, wie es auch überwiegend die Dudenredaktion macht.
Danke dafür! Nicht nur für die Ausführungen zu scheinen/erscheinen - sondern auch dafür, dass du mir gezeigt hast, dass ich beide Varianten zusammen zu oft verwende. Ich habe hier mal vorsichtig zurückgestutzt.

Unterdessen fuhr der Bus unsanft über einen kleinen Holper, was dazu führte,
besser Holperer, (Holper)Stein, Hindernis
Oh nein, wieder der bereits monierte Holper! Das Hidernis ist mir zu abstrakt, der Stein nicht ganz passend ... Ich entscheide zu Gunsten des guten, alten Schlaglochs.

Deine anderen Anmerkungen habe ich jetzt übernommen. Vielen Dank für die aufschlussreiche Kritik - im Großen wie im Kleinen!


Hallo hell,

Dich muss ich leider vorerst noch einmal vertrösten ... Nicht weil ich deine Kritik nicht schätze, sondern im Gegenteil, weil ich mich damit ausführlich in ausgeschlafenerem Zusand beschäftigen möchte. Ich sehe da viel Textarbeit auf mich zukommen. ;)

 

Ich noch mal, wenn ich darf,

lieber Meridian,

Adornos wohl berühmtestes, und dennoch zumeist Falsch zitierte Wort, dass kein richtiges Leben im falschen (Leben) sei schließt den Titel „Asyl für Obdachlose“ ab und es ist ja bis heute so, dass es kein Menschen-/Grundrecht auf Obdach gibt, wohl aber auf Privateigentum und wie damit umgegangen wird (der vollständige Text findet sich unter „m|n|m@“, Nr. 18). Auf unsere heute sich so mobil wähnende Gesellschaft (die sich selber nur der sich hoffentlich wohl todlaufenden Wachstumsideologie fügt) hat folglich ein Auto eher ein Anrecht auf Obdach (Parkplatz oder Fahrradweg und Bürgersteig und buchstäblich die Garage als Obdach) als ein Mensch.

Das Verb „er/scheinen“ lässt Dich einfach nicht los (gleiches gilt für „würde“), dass ich da noch mal nachhaken will.

Seit einer Woche etwa erschien es, dass die Erlebnisse seiner Reise zu zahlreich waren, ….
geht m. E. nicht im Gegensatz etwa zu
Hatten sie beim Einsteigen noch gescherzt und gelacht, schienen nun alle in sich gekehrt.
selbst wenn ich hier den Infinitv „zu sein“ noch anzufügen vorschlage.

Aber das eigentliche Problem liegt m. E. darin, dass Dir in dem Fall (wir kommen gleich noch auf einen andern), dass Du keine Synonyme zu „scheinen“ zu kennen scheinst oder Dich nicht traust, eines zu nutzen. Wenn da mal Not am Mann ist, wähl Duden.de und gib das Suchwort – in dem Fall „scheinen“ - ein und Du erhältst für jenseit des Lichtscheins Synonyme wie „anmuten, aussehen, daherkommen, sich darstellen, den Anschein erwecken/haben, den Eindruck erwecken/machen, erscheinen, sich erweisen, sich geben, sich herausstellen, sich präsentieren, vorkommen, wirken, sich zeigen; (gehoben) sich ausnehmen, sich darbieten; (süddeutsch, österreichisch) ausschauen; (gehoben veraltend) dünken“ also etwa statt „Seit einer Woche etwa erschien es ...“ „zeigte sich“ - versuch mal selber bei den verbliebenen, mir eigentlich immer noch allzu vielem Schein ...

Zwotes Problem: Warum die häufige Verwendung des Konjunktivs II „würde“?

Im Juni würde – in den Worten seines Onkels – das „richtige Leben“ beginnen und Daniel seine Stelle bei einem mittelständischen Maschinenbauer antreten.
Ist die Stelle, der Job nicht sicher im Juni? Der Konjunktiv I, indirekte Rede, „werde“ wäre da angemessen, denn selbst das schlichte Futur I trägt ja das Risiko, dass etwas selbst zeitnahes auch nicht wie erwartet eintreten kann wie ja schon selbst das Verb „können“ in seiner binären Wertigkeit. Entweder etwas kann sein/werden oder eben nicht. Oder von des Verbes handwerklichem Ursprung her: Einer kann‘s oder eben nicht

Hier gar

Daniels Hoffnung, dass zumindest der Platz neben ihm frei bleiben würde, wurde enttäuscht: …
treffen sich Konjunktiv und Indikativ auf unschöne Weise, „Daniels Hoffnung, dass zumindest der Platz neben ihm frei bleibe/bliebe“ (je nach Grad des Zweifels), wurde enttäuscht: ...“ klingt doch allemal eleganter.

Das

Er drehte sich wieder zum Fenster und schaltete das Hörbuch ein.
Wenige Sekunden später pausierte er es erneut.
erscheint mit eine unglückliche Formlierung. Daniel stellt es schlicht wieder aus … oder?

war es fast unmöglich geworden, sich zu bewegen, ohne dass er sie aufweckte.
Geht auch ohne Partizip

Diese (sicherlich Daniel sehr angenehme Stelle)

Die linke Außenseite seiner linken Hand berührte über die ganze Fläche die rechte Außenseite ihrer rechten Hand.
Wenn mich nicht alles täuscht, heißt die äußere Hand „Handrücken

Hier, den ganzen Absatz, lässt sich „würde“ überwiegend vermeiden

Mit einem Mal war es ganz klar, was er tun musste: Ein paar Minuten noch würde er diese süße Nähe auskosten. Dann würde er sie sanft aufwecken. Und er würde ihr sagen: „Entschuldige, dass ich dich störe. Ich bin mir sicher, dass wir uns noch nie im Leben getroffen haben, aber du kommst mir unendlich bekannt vor.“

Keine Bange vor Ellipsen,

meint der

Friedel!

Bis bald!

 

Hallo hell,

Manchmal dauert es etwas, aber es geht nichts verloren ... Ich habe mich sehr über deinen klugen und detaillierten Kommentar gefreut. Und ich bin doch ein wenig erleichtert, dass du mit der Story, trotz der zahlreichen, zurecht angekreideten handwerklichen Schnitzer etwas anfangen konntest. ;)

Der vietnamesische Busfahrer amüsierte sich sichtlich über den jungen Weißen, dessen Schweiß in dicken Tropfen vom Kinn auf den Asphalt rollte.
Der erste Satz umreißt das Setting und stellt gleich die Figuren vor. Passt. Allerdings ließe sich der Den-jungen-Weißen-Block ganz einfach durch Daniel ersetzen. Dass er jung ist, erschließt sich im Verlauf, und dass er kein Einheimischer ist, ist auch klar. Man könnte sich jetzt natürlich noch fragen, wie es sich zeigt, dass der Busfahrer sich amüsiert.
Störend empfinde ich (zudem), dass die Tropfen vom Kinn auf den Boden rollen. Das geht mMn so nicht; vielleicht dann, wenn sein Kinn den Asphalt berührte; aber so? Der Tropfen fällt oder der Schweiß tropft, von mir aus klatscht der auch zu Boden.
Den "jungen Weißen" behalte ich - Daniel ist zwar kürzer und ja, alles weitere wird im Weiteren klar - aber wie du sagst, geht es ja im ersten Satz darum, Setting und Protagonisten einzuführen und ich möchte hier gern den Kontrast und die Fremdheit unterstreichen. Dafür nehme ich die paar zusätzlichen Zeichen in Kauf. Beim nächsten Punkt gehe ich aber mit. Ist überarbeitet und der Fahrer ist jetzt deutlich show-dont-tell-mäßiger unterwegs. Die rollenden Tropfen sind bereits raus.

... die 20.000 Dong für ein Taxi zu sparen und mit seinem Rucksack – immerhin fünfzehn Kilogramm – zu Fuß zur Busstation zu gehen. Jetzt, fünfundzwanzig Minuten später, klebte ihm sein schwarzes T-Shirt am Körper.
Sind mir (eigentlich) zu viele Infos/ Zahlen, andererseits passt es ja zu deinem Mathestudenten. Verstehe das hier also als Frage (nicht als Kritik): War das so von dir beabsichtigt? Interessiert mich einfach.
Das war - leider! - keine Absicht, die Häufung an Zahlen ist mir nicht einmal aufgefallen. Ich finde die Erklärung aber so gut, dass ich die Stelle erst mal so lasse.

Ich wills's dir einfach nur mitgeben, Meridian, ich bleibe hier ganz kurz kleben, weil ich mich ganz kurz frage, wie denn nun Kunstleder riecht. Meinst du einen chemischen Geruch?
An der Stelle würde mich interessieren, ob andere Leser damit auch so wenig anfangen können, für mich ist das sofort abrufbar. Dabei muss ich zugeben, dass ich nicht weiß, ob es das Kunstleder selbst ist oder irgendeine Chemikalie, mit der es behandelt wird - aber ich finde es gibt diesen sehr charakteristischen Geruch, der Kunstledersitzen, billigen Taschen und Jacken anhaftet.

r hatte einmal gelesen, dass Träume dazu dienen, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Seit einer Woche etwa schien es, dass die Erlebnisse seiner Reise zu zahlreich waren, als dass sein Gehirn die Aufgabe in den rund acht Stunden Schlaf jede Nacht erfüllen konnte. Kaum hatte er die Augen geschlossen, erschien auf seinen Lidern die phantastisch übersteigerte Vision eines asiatischen Marktes: Massen von Menschen schoben sich, tanzten, flanierten, drängelten durch- und übereinander; in riesigen Pfannen wurden Shrimps und Nudeln, Frösche und Ingwer gebraten.
Hm, zu komplex, zu erklärend für meinen Geschmack. Um mal aufzuzeigen, was ich in etwa meine, mal folgende Idee: Er hatte einmal gelesen, dass Träume dazu dienen, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Anscheinend waren die Erlebnisse der Reise jedoch zu zahlreich gewesen, um der Aufgabe gerecht zu werden. Kaum hatte er die Augen geschlossen, schoben sich Massen von Menschen vors geistige Auge. Sie tanzten, flanierten, drängelten durch- und übereinander; in riesigen Pfannen wurden Shrimps und Nudeln, Frösche und Ingwer gebraten.
Ich bin hier mal einen Mittelweg gegangen und habe die Komplexität reduziert, ohne ganz so knapp zu werden. Das ist ja letztlich eine Stilfrage und ich glaube, in der Erzählstimme darf eine gewisse Länglichkeit schon sein.

Mal exemplarisch - gibt ein paar Passagen im Text: Zeitweise verwendest du unnötig viele Possessivartikel,
Ja, ist gekauft - und für die Zukunft notiert.

Der Text ist schon sehr tellig, ich schlucke das auch, würde aber aufs Durchgestrichene dennoch verzichten - den Folgesatz finde ich ohnehin besser gelöst.
Stimmt, das kam mir schon beim Schreiben komisch vor.

Weil er nicht wagte, seinen Kopf zu bewegen, drehte er die Augen soweit wie möglich nach links, um sie anzusehen. Ihr Kopf war so nah, dass er jedes ihrer schwarzen Haare einzeln sah. Von ihrem Scheitel ging ein Geruch aus, der das Gefühl der Vertrautheit verdoppelte.
Das klingt unfreiwillig komisch, wirkt iwie comichaft auf mich, slappstickartig. Ich würde den ganzen Satz kicken. Wäre mir auch zu kopflastig. Und wieso geht der Geruch von ihrem Scheitel aus? Nur von dort?
Der Rest ist gekauft, aber der Scheitel bleibt - vermutlich geht der Geruch nicht (nur) von dort aus, aber das ist das, was Daniel im Wortsinn vor der Nase hat, deshalb hat er den Eindruck.

Diese ganzen Wiederholungen, alles wieder zu sperrig auch, finde ich.
Vorschlag: Noch ehe er wusste, was er tat, richtete er die Hand so aus, dass sie gegen Miriams lag. Sein kleiner Finger berührte ihren. Diese kleine Bewegung kam ihm peinlich und falsch vor, aber das rückte in den Hintergrund. Plötzlich war da dieses Gefühl:
Hier habe ich die Sperrigkeit hoffentlich reduziert, bin aber nicht so weit gegangen, wie von dir vorgeschlagen. Meiner Meinung nach ist es für die Geschichte (so wie ich sie mir vorstelle) wichtig, sehr nah am oder sogar im Protagonisten zu sein und da investiere ich gern ein paar Wörter mehr.


Der Perspektivenwechsel am Schluss ist gewagt, finde ich, funktionniert allerdings (überraschenderweise) bei mir, wenngleich ich mich natürlich frage, wer mir diese Geschichte denn nun erzählt hat. Gott? Ist dann irgendwie auch wieder schade.
Ich weiß, dass der Perpektivwechsel im letzten Abschnitt ungewöhnlich ist, letztlich funktioniert die Geschichte bzw. deren Pointe aber nur so. Die Frage nach dem Erzähler der Geschichte finde ich dabei nicht so gravierend bzw. notwendig. Wir sind natürlich an Erzählungen in der dritten Person, fokussiert auf einen Protagonisten und begrenzt auf dessen Horizont, gewöhnt - aber etwas seltsam ist die bei genauerem Nachdenken schon. Denn: Selbst wenn es eine reine Daniel-Geschichte wäre, wer erzählte sie denn dann? Daniel erzählt sie uns ja nicht, wir schweben gewissermaßen einen Meter hinter ihm und belauschen seine Gedanken und Gefühle. Der Erzähler ist nicht Teil der Erzählwelt, sondern schaut gewissermaßen durch ein Daniel-Fenster in diese Welt hinein. Und am Ende gibt es halt noch ein Miriam-Fenster. ;)

Danke noch mal für deine Anmerkungen und das aufmerksame Lesen! Auch wenn ich nicht bei allem mitgegangen bin, hast du mir sehr geholfen, die Geschichte voranzubringen. Vor allem habe ich mir ein paar Punkte (Doppelungen, dass-Konstruktionen, Substantivierungen ...) notiert, auf die ich künftig stärker achten muss.

Schöne Grüße
Meridian

 

Hallo Meridian, entschuldige, wenn ich etwas schreibe, das schon erwähnt wurde, habe die anderen Kommentare nur überflogen. Der Text hat eine Menge Probleme. Ich hoffe, meine Anmerkungen dazu sind hilfreich für Dich:

Beschreibungen und Reflexionen

Geschichten kommen nur selten ohne Beschreibungen und Reflexionen aus. Eine Grundregel des modernen Schreibens lautet aber, damit sehr sparsam umzugehen, denn erstens nehmen sie das Tempo aus der Geschichte und zweitens stören sie die Immersion, denn zwischen den Leser und die Ereignisse der Geschichte schieben sich Abstraktionen (Gedankenketten, Vergleiche, Interpretationen usw.)

Ich finde, eine gute Faustregel für Übungszwecke lautet, dass eine Geschichte zu achtzig Prozent aus szenischem Material bestehen sollte und der Rest dann für Beschreibungen, Einordnungen, Reflexionen usw. verwendet werden kann. Damit vermeidet der Autor, geschwätzig zu wirken.

Geschwätzigkeit

Wie ist das überhaupt möglich? Wie kann ein Autor geschwätzig wirken? Ist nicht letztlich jedes Geschichtenerzählen eine Art Geschwätz? Geschwätzig wird ein Autor immer dann, wenn er Dinge erwähnt, die für das Verstehen der Geschichte oder die Vermittlung der Atmosphäre überflüssig sind.

Der vietnamesische Busfahrer grinste über den jungen Weißen, dessen Schweiß in dicken Perlen vom Kinn auf den Asphalt tropfte. Im klimatisierten Gästehaus war es Daniel als gute Idee erschienen, die 20.000 Dong für ein Taxi zu sparen und mit seinem Rucksack – immerhin fünfzehn Kilogramm – zu Fuß zur Busstation zu gehen. Jetzt, fünfundzwanzig Minuten später, klebte ihm sein schwarzes T-Shirt am Körper.

Das Innere des Minibusses empfing ihn wie eine nach Kunstleder riechende Eisgrotte. Daniel war der erste Fahrgast und ließ sich erleichtert in einen Sitz in der hintersten Reihe am Fenster fallen.

Frage: Weshalb oder wofür ist es wichtig, dass der Busfahrer grinst, dass es dicke Perlen (Schweiß) sind, dass der Rucksack 15 kg wiegt, dass sein T-Shirt schwarz ist, dass er der erste Fahrgast ist, dass er erleichtert ist? All diese Details sind letztlich unerheblich. Zumindest für den Leser. Wenn Du als Autor diese Details brauchst, um Dich besser in die Szene hineindenken zu können, kein Problem. Ich mache das auch so. Aber beim Überarbeiten sollte das alles weg. Strebe stets danach eine Situation mit den knappsten Mitteln plastisch in Szene zu setzen. Mach keine hundert Worte, wo zehn genügen.

Den Eindruck von Geschwätzigkeit bekommt der Leser aber auch dann, wenn der Autor Allgemeinplätze zitiert (Er hatte einmal gelesen, dass Träume dazu dienten, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. – Wow, das hat man ja noch nie gehört!) und er darüber hinaus Aspekte der Situation zusammenfassend beschreibt, statt direkt szenisch in den Moment zu gehen und ihn den Leser so live erfahren zu lassen:

Dass seine Träume nun ihren Weg in die wache Welt fanden, kam Daniel passend vor, immerhin befand er sich in einem Zwischenreich: Im März hatte er sein Mathematikstudium abgeschlossen. Im Juni würde – in den Worten seines Onkels – das „richtige Leben“ beginnen und Daniel seine Stelle bei einem mittelständischen Maschinenbauer antreten. Daniel konnte sich noch genau erinnern, wie sein Onkel – ein vierschrötiger Mann, dem eine Spedition gehörte – ihm die Hand geschüttelt, ihn umarmt und diese Worte benutzt hatte: dass dann das „richtige Leben“ beginnen würde.

Daniel fragte sich, ob der Onkel recht hatte. Auch fragte er sich, was genau das war: das „richtige Leben“? Es war nicht das erste Mal, dass er sich diese Frage stellte. Er war fest davon überzeugt, dass es so eine Sache geben musste. Oft, wenn er in seinem kleinen Studentenzimmer zwischen Laptop und Bücherstapeln saß, schaute er plötzlich auf, als riefe ihn eine Stimme. Sein Blick ging dann zum Fenster hinaus, über die Bäume des Parks und die Dächer der Häuser hinweg. Ihn überkam ein Gefühl wie Sommerregen auf der Haut, wie Feuerschein in der Ferne, wie ein Gewitter in der Brust. Er wusste, was ihn da rief: das richtige Leben. Aber wo war es? Und wie fand man es?

Puh, das ist viel zu lang, zu umständlich, zu prosaisch, zu bieder. Du schreibst hier kein Tagebuch. Wenn es Dir nicht gelingt, gewöhnliche Erfahrungen in neuem Licht zu zeigen, langweilst Du den Leser.


Harmlosigkeit

Es ist legitim, Charaktere und Situationen zuzuspitzen, damit eine spannende und deshalb erzählenswerte Geschichte dabei herauskommt. Wenn die Figuren einer Geschichte kantengeglättet denken, reden und handeln, verliert die Geschichte Biss:

Daniel setzte seine Überlegungen fort. War vielleicht gerade das hier das richtige Leben? Diese zweimonatige Asienreise? Immerhin hatte er in den vier Wochen bisher mehr erkundet, mehr getanzt, mehr neue Dinge gegessen, mehr erlebt, als in den fünf ruhigen Jahren konzentrierten Studierens.

Ja, da stockt dem Leser der Atem bei so viel Tiefgang und Wildheit. Kurz, da fehlt das Außergewöhnliche. Du beschreibst hier letztlich Allerweltsempfindungen. Aber Du zeigst uns nicht, wie Deine Figur erkundet, tanzt und neue Dinge isst. Es einfach nur aufzuzählen macht es doch superlahm. Geh in die Action und lass es krachen, wenn Du zeigen willst, dass das Deinen Helden umtreibt.

Abschwächung

Ein Problem dieses Textes, das mit den bereits genannten zusammenhängt, besteht darin, dass Du die Erkenntnisse, Entdeckungen und Behauptungen der Figur und der Geschichte auch häufig direkt abschwächst:

Für einen Moment kam ihm das Gesicht mit der feinen Nase und den hohen Wangenknochen bekannt vor. Dann aber sagte er sich, dass das vermutlich schlicht daher kam, dass er in den letzten Wochen – in Hostels, in Tempeln, auf Plätzen und in Restaurants – so viele andere Touristen gesehen hatte. Er drehte sich wieder zum Fenster und schaltete das Hörbuch ein – konnte der Erzählung jedoch nicht folgen.

Verstohlen drehte er den Kopf wieder in die andere Richtung. Diese hohen Wangenknochen, der von Natur aus dunkle Teint, die geschwungenen Brauen – war da nicht was? Eine Erinnerung? Daniel dachte angestrengt nach. Er war sich beinahe sicher, dass dort etwas verborgen war – aber der Kompass seiner Erinnerung zeigte in verschiedene Richtungen gleichzeitig …

Ja, dass der Figur der Kompass fehlt, stimmt. Das Ganze bekommt etwas Unentschlossenes, Lasches, Lauwarmes. Einen Leser zu begeistern, indem man ihm eine wankelmütige, passive, zaudernde Figur anbietet, ist ein schwieriges Unterfangen. Kafka hat es geschafft, aber dazu sind besondere sprachliche und dramaturgische Mittel nötig. Normalerweise wollen Leser nicht vorgeführt bekommen, wie ein Protagonist seitenlang rum eiert und seine Überlegungen, Gefühle und Handlungen permanent in Zweifel zieht.

Sollte er sie aufwecken? Aber war das nicht unhöflich? Und was genau würde er sagen? Die Situation wäre für sie beide schrecklich peinlich – und die nächsten drei Stunden würden sie nebeneinander in unangenehmem Schweigen verbringen müssen. Vielleicht konnte er sie vorsichtig bei den Schultern fassen und wieder gerade hinsetzen? Aber was, wenn sie davon aufwachte? Was, wenn ihre Freunde sähen, dass er sie anfasste?

Wow, was für ein Dilemma! Ein echter Konflikt.

Fazit: Für mein Empfinden ist das noch kein guter Text, den es fehlt ihm an Direktheit. Viele nebensächliche Details werden da beschrieben, die Gedanken und Empfindung der Figur sind häufig trivial, werden aber als bedeutungsvoll ausgegeben. Natürlich erscheinen uns selbst unsere Gedanken immer als bedeutungsvoll, aber man muss hier fragen, wie bedeutungsvoll sind sie für die Geschichte und den Leser? Beim Geschichtenerzählen sollte man sich vor dem Sentimentalen hüten, der Übergang zum Kitsch ist fließend.

Wenn Du Dir über den Grundkonflikt im Klaren bist (worin besteht der hier Deiner Ansicht nach), dann suche nach einer Situation, die diesen Konflikt möglichst plastisch in Szene setzt. Ich wünsche Dir dabei viel Erfolg!

Gruß Achillus

 

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