Tanzende Feder
„Es war mal wieder einer dieser Tage, an denen man lieber im Bett bleiben sollte.“
Die mit Tinte benetzte Spitze der Feder strich unbarmherzig über die zitternden Buchstaben, die ich gerade aneinandergekuschelt hatte.
Ich hielt inne. PLOPP. Ein großer Tropfen landete auf dem Pergament und fraß sich gierig in das Papier.
Seltsam, dachte ich. Da die Tinte immer nur für ein paar Sätze reichte, war es eigentlich unmöglich, dass ein Tropfen mit solcher Leichtigkeit und Grazie von der Spitze gleiten konnte.
Nachdenklich betrachtete ich die Feder. Sie lag gut in der Hand, hatte einen stabilen Stil. Der Wind heulte durch die Luft und drückte sich drängend an die große Fensterscheibe, die von kristallklaren Perlen vom Regen besetzt war. Im Hof bogen sich schlanke Pappeln und majestätische Buchen wie Grashalme unter dem Druck des Windes.
Verträumt blickte ich aus dem Fenster – es war Sommer; nicht spürbar, aber laut Kalender. Alles war anders. Sogar ich war anders. Meine Ideen waren eintönig, meine Feder unwillig. Nicht zuletzt saß mir auch noch mein Verlag im Nacken. Mir blieb noch ein Monat, um ein neues Buch zu schreiben; und ich hatte nicht einmal einen Anfang. Schreibblockade auf höchstem Niveau.
Etwas kitzelte mich am Handgelenk. Ich ließ die Feder fallen.
Lasty, mein treuer Gefährte schmiegte seine Wangen schnurrend an meine Hand und schloss vergnügt die Augen. Er war eine Main-Coon, für mich die Königin unter den Katzen. Langes geschmeidiges Fell, spitze Ohren und verzaubernde grüne Augen.
Ich nahm ihn auf den Arm und lief im Zimmer auf und ab. Dabei wedelte sein Schwanz wie auf Befehl. Nein, er schien zu zucken. Wie leicht diese Vierbeiner zufrieden zu stellen waren, ganz im Gegenteil zu den Zweibeinern.
Verächtlich schaute ich zu meinem Schreibtisch, der so liederlich war wie noch nie. Das Pergament hatte immer noch den Tropfen, die Lampe war immer noch eingeschaltet, das Tintenfass stand immer noch da, wo es vorhin auch gestanden hatte. Nur die Feder lag nicht dort, wo ich sie hatte fallen lassen.
Vor Schreck hätte ich beinahe Lasty verloren. Schnell drehte ich mich weg.
Sollte ich jetzt völlig verrückt geworden sein?, fragte ich mich und kraulte Lasty hinter den Ohren. Ich werde mich jetzt noch einmal umdrehen. Auf dem Tisch wird meine Feder liegen.
Ich fuhr herum. Ein leichter Luftzug ging. Lasty schnurrte zufrieden. Alles lag und stand genau dort, wo es hingehörte, bis auf die Feder.
Voll Anmut schwebte sie in der Luft, nur wenige Zentimeter über der Tischplatte. Doch damit nicht genug: Sie begann zu tanzen und verbog dabei ihren Schaft, während die Fahne freudig hin her wedelte. Die Spitze war weiß, die Fahne flauschig. Stolz präsentierte sie sich von allen Seiten. Ohne Frage, sie konnte stolz auf sich sein. Schließlich war sie mit verschiedenen Grautönen und Weiß gesprenkelt.
Wie angewurzelt stand ich da und beobachtete den vollkommenen Tanz meiner Feder. Wenn sie auf dem Papier auch so eifrig wäre, dachte ich.
Dann schüttelte ich wie verrückt den Kopf, schloss die Augen, krallte meine Finger in das weiche Fell von Lasty. Mein Verstand spielt mir einen Streich, sagte ich mir immer wieder. Es gibt keine tanzende Feder. Es gibt keine tanzende Feder. Sollte es wirklich schon so weit sein, dass mich eine groteske Schreibblockade um den Verstand bringt? Nein, es gibt keine tanzende Feder.
Darauf hoffend, dass sich meine Gedanken bestätigen würden, öffnete ich schlagartig die Augen. Unverwandt starrte ich auf das sich drehende Etwas. Sie war noch da. Vorsichtig schritt ich auf die Feder zu, die keine Anstalten machte, ihren Tanz zu beenden.
Lasty verfrachtete ich behutsam auf meine linke Hand, während ich die andere unmerklich ein Stück nach vorn streckte. Der Wind drückte ungeduldig gegen die Fensterscheibe, als wollte er die Feder warnen.
Wie ein Blitz schoss meine rechte Hand nach vorn.
Ich griff nur Luft. Fast erleichtert atmete ich auf, als die Feder wieder auftauchte. Sie hatte ebenso schnell reagiert und war eine Luftschiene höher gestiegen. Wie traumatisiert tanzte sie. Es schien als lache sie mich aus. Das hatte ich wohl auch verdient – kein einziger ordentlicher Satz wollte meinem Geist entspringen, keine gelungene, unverbrauchte Idee entstehen.
Und jetzt auch noch das. Eine tanzende Feder über meinem Schreibtisch. Da kann nichts werden, dachte ich verzweifelt und schaute an die Uhr. Es war schon spät. Sollte ich die Feder tanzen lassen oder sie lieber einfangen? Vielleicht sollte ich mich auch einfach nur schlafen legen und die tanzende Feder vergessen, die gar nicht tanzen dürfte.
Plötzlich sprang Lasty von meiner Hand auf den Schreibtisch. Energisch versuchte er mit den Pfoten die Feder zu erhaschen. Dabei wirbelte er das Pergament umher, das unter seinen Krallen in Mitleidenschaft gezogen wurde, ebenso wie der alte Holztisch.
Wenn er die Feder zu fangen versucht, sie also sieht, dann muss sie tatsächlich in der Luft tanzen, überlegte ich und verfolgte wachsam das Jagdvergnügen meines Katers. Nach einer Weile ließ er gelangweilt von ihr ab und stiefelte aus dem Zimmer.
Die Feder hörte auf zu tanzen; sie sank müde auf den Tisch herab. Insgeheim hoffte ich, sie würde sich erneut erheben, aber sie blieb reglos liegen, wie es eine Feder eigentlich auch tun sollte.
Auf einmal überkam mich ungehemmte Kreativität, die sich schnell zu meinen Fingerspitzen hervor arbeitete. Ich nahm Pergament und Feder zur Hand und begann den Bestseller meines Lebens zu schreiben.