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- 03.04.2020
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Tränen auf dem Lieblingskleid
Die Buchstaben auf dem Bildschirm verschwimmen vor meinen Augen. Ich sehe für einen kurzen Augenblick nur schwarze Punkte. Dann blinzle ich - mir läuft eine Träne übers Gesicht. Schnell schlage ich den Laptop zu, streiche mir die Träne von der Wange und die Haare aus dem Gesicht. Ich laufe zum Kleiderschrank, ziehe mir mein Lieblingskleid an, schaue in den Spiegel. Wieder verschwimmt mein Spiegelbild. Sah ich wirklich schon immer so aus?
Ein paar Tage zuvor....
Schnell tippe ich noch ein paar Worte in meinen Laptop, bevor ich den heutigen Post für meinen Internet Blog veröffentliche. Ich laufe zum Kleiderschrank, ziehe mein Lieblingskleid an und tanze damit voller Energie zu den neuen Sommerhits aus dem Radio. Ringsherum sind Fotos von meinen Freunden und mir. Ich schaue mich nochmal in meinem Zimmer um. Überall stehen Bücher und die Dekorationen sind voller schöner Erinnerungen. Nachdem ich meine dunklen Haare gekämmt und zu einem Zopf zusammengebunden habe, schnappe mir meinen Rucksack und laufe die Treppe hinunter. Meine Mutter steht, noch total verschlafen und mit zerzausten Haaren, in der Küche und macht sich gerade einen Kaffee, als ich ihr einen Kuss auf die Wange drücke und mir ein Brot schnappe, welches sie vorher für mich geschmiert hat. "Guten Morgen Schatz", murmelt sie. Ihre strahlend grünen Augen sind noch ganz klein. "Guten Morgen, ich muss los!", sage ich schnell und flitze schon aus der Küche. "Tschüss, hab dich lieb!", höre ich noch bevor ich die Tür hinter mir zuziehe. Meine beste Freundin, Kira, wartet schon am Bürgersteig und strahlt, als sie mich sieht. Als ich näher komme, zieht sie sich die Kopfhörer aus den Ohren und fährt sich durch ihre blonde Mähne. Auf dem Weg zur Schule reden wir über die letzten Tage und Erlebnisse. Zusammen waren wir im Sommer auf vielen Partys und haben uns so gut wie jeden Tag gesehen. In der Schule treffen wir unseren Freundeskreis wieder. Viele habe ich öfters auf den Partys oder im Schwimmbad getroffen. Als die Schulklingel läutet, gehen wir zusammen in unseren Klassenraum.
Als ich nach der Schule wieder Zuhause die Treppe hinauf laufe, sehe ich mir flüchtig die Familienbilder an der Wand an. Auf einem lächeln meine Mutter und ich die Kamera an. Ich muss schmunzeln. In meinem Zimmer setzte ich mich auf mein Bett, genieße die Ruhe nach dem Trubel in der Schule, spiele ein wenig Gitarre und lese in meinem aktuellen Buch.
Einige Zeit später klappe ich meinen Laptop auf und tippe meinen nächsten Beitrag ein. In der Schule sind mir ein paar Themen eingefallen, die ich in meinen Kalender geschrieben habe. In den Kalender schreibe ich so gut wie alles hinein. Als ich damit fertig bin, poste ich den Beitrag und öffne den von heute Morgen. Wie immer scrolle ich ein wenig durch die Kommentare und wie immer lese ich viel Positives zu meinem Beitrag. Ich lächle in mich hinein. Mein Blick schweift über den Bildschirm bis ich einen anonymen Kommentar lese... Das Lächeln auf meinem Gesicht verschwindet.
Oh wow! du wirst ja von Post zu Post dicker! hast du keinen Spiegel Zuhause? ich hätte dich fast nicht wiedererkannt... hast dich wohl im Sommer gehen lassen."
Vor meinen Augen flackert das Bild auf, welches ich jahrelang aus meinen Gedanken verbannt habe. Die Wände des Zimmers, in dem ich einige Jahre meines Lebens verbracht hatte. Worte, die ich schon lange verdrängen, höre ich, als wäre ich wieder dort. Meine Hände formen sich zu Fäusten, um die Gefühle zurück zu halten, die mich von innen heraus zu zerreißen drohen. Meinen Laptop klappe ich für diesen Tag zu. Auch den gerade geschriebenen Beitrag kann ich nicht hochladen. Ich lege den Laptop neben mein Bett, ziehe die Decke über meinen Kopf und versuche zu schlafen. Nach einiger Zeit schaffe ich es die Gedanken aus meinem Kopf zu verdrängen, die ich vorhin noch hatte. Ich setze mich im Bett auf, schalte mein Nachtlicht an und öffne erneut meinen Laptop. Ich kneife kurz die Augen zusammen, als mich das helle Display blendet. Kurz darauf sehe ich die Uhrzeit.... 1:25 Uhr …. So lange war ich Ewigkeiten nicht mehr wach. Für eine Sekunde sehe ich meinen alten Micky Maus Wecker auf dem abgenutzten hölzernen Nachttisch in meinem damaligen Zimmer. Schnell blinzle ich die Erinnerung weg. Nachdem ich meinen Laptop entsperrt habe, erscheint der Kommentar... schnell klicke ich ihn weg, öffne wieder den Beitrag, den ich vorhin geschrieben habe. Ohne weiteres klicke ich auf *veröffentlichen*. Nun klappe ich den Laptop wirklich für diesen Abend zu. Meinen Kalender hole ich nochmal aus meiner Schultasche und hake den Punkt in meiner Tagesliste ab. Mein Licht schalte ich wieder aus, bevor ich gegen 2 Uhr einschlafe. Um 6 Uhr klingelt mein Wecker. Ich drücke auf die Schlummertaste. Noch habe ich keine Lust, aufzustehen. Draußen ist es stockfinster. Irgendwie kommt es mir heute trüb vor. 20 Minuten später schleppe ich mich aus dem Bett zu meinem Kleiderschrank und schnappe mir eine einfache Leggins und ein schwarzes Langarmshirt. Meine Haare binde ich schnell zu einem Dutt, stopfe die Bücher und Hefte, die ich gestern raus gelegt habe in meine Schultasche und laufe die Treppe hinunter. In der Küche steht meine Mutter wieder total verschlafen und kocht ihren Kaffee. Schnell schnappe ich mir mein Brot, murmel: "Sorry, bin spät dran!", husche aus der Küche und raus aus der Tür zu Kira, die schon strahlend auf mich wartet. Alles in mir versteift sich, dennoch lächle ihr kurz zu, halte die Gedanken, die ich aussprechen will, zurück. Sonst erzählte ich ihr alles. Doch sie weiß nichts von meiner Vergangenheit und das soll auch so bleiben. Sonst hält sie mich sicher für kindisch. Sie würde sich nie von ein paar blöden Kommentaren fertig machen lassen. Sofort fängt sie an, mir von ihren Neuigkeiten zu erzählen. In diesem Augenblick bin ich dankbar, dass sie so viel ohne Pause quasseln kann. In der Schule bin ich eher in mich zurückgezogen, kritzle gedankenverloren etwas in meinen Kalender.
Nach der Schule schaue ich in meinem Zimmer sofort nach den Kommentare unter meinem Beitrag, den ich gestern Nacht noch gepostet hatte. Wieder sehe ich viele Kommentare die mir Komplimente über meinen Blog und meine Ideen machen. Mein Atem stockt als ich wieder einen anonymen Kommentar lese. "Du bist so hässlich! hast du mal in den Spiegel gesehen??" Ich scrolle ein Stück hoch zu meinen letzten Beiträgen vom Sommer, welchen ich Fotos hinzugefügt hatte. Kurz danach scrolle ich wieder runter. Ein paar Leute haben sich dem anonymen Kommentarschreiber über die Antwortfunktion angeschlossen. "UFF die hat echt ein wenig zugelegt....", "Wo er Recht hat...", "echt nicht die Schönste!"
Ich versuche die Kommentare zu überlesen und klicke wieder auf den Button, um einen neuen Beitrag zu schreiben. Ein paar Worte tippe ich, bevor ich sie wieder lösche. Irgendwie fühlt sich alles falsch an. Mein Buch oder die Gitarre nehme ich heute nicht in die Hand. Geschweige denn meinen Kalender, in den ich heute nur Unnützes gekritzelt habe. Ich kann die Stille in meinem Zimmer nicht mehr ertragen, also rolle ich mich unter meiner Decke zusammen, ohne noch etwas für den nächsten Tag raus zu legen. Kurz daraufhin nicke ich ein.... Mir kommen die Bilder wieder in den Kopf... Das Zimmer, in dem ich immer wieder wegen meines Gewichtes runtergemacht wurde. Lachende Kinder die mit Fingern auf mich zeigen. Ich alleine auf dem Spielplatz.... weinend. Ich schrecke hoch. Fühle mich wieder in die Situation zurück katapultiert.
Einige Zeit später....
Ich kann nicht einschlafen. Total müde blicke ich zu der Lichterkette über meinem Bett die mein Zimmer in ein gemütliches Licht taucht. Plötzlich schießen mir die Kommentare wieder in den Kopf. Ich ziehe die Decke über mich. Meine Gedanken sind zu laut.
Ohne diese Nacht geschlafen zu haben, stehe ich um 6:30 Uhr auf. Draußen sieht es kalt aus. Ich schnappe mir einen langen, lockeren, schwarzen Pullover und die Leggins von gestern die noch auf dem Boden vor meinem Bett liegt. Wieder binde ich meine Haare zu einem Dutt. Ich sehe in den Spiegel. Mein Blick fällt auf die Bilder mit meinen Freunden. Bevor ich mir großartig Gedanken gemacht habe, nehme ich die Bilder ab. Irgendwie gefallen sie mir dort nicht mehr. Schnell schnappe ich mir meine Schultasche und einen Collegeblock, laufe die Treppe hinunter in die Küche. "Zu Spät!", sage ich nur zu meiner Mutter, die an ihrem Kaffee nippt und laufe aus der Küche zur Haustür. Als ich sie zu ziehe, sehe ich Kira. Sie lächelt... ich nicht. Ich bin zu müde und die Gedanken in meinem Kopf sind nicht verschwunden. Meinen Kalender habe ich Zuhause vergessen. Von dem Collegeblock sind einige Seiten vollgekritzelt. Ich rede weniger und kritzle mehr.
Zuhause laufe ich die Treppe hoch, vorbei an den Bildern, die mich vor ein paar Tagen noch so glücklich gemacht haben. In meinem Zimmer fasse ich meinen Laptop nicht an. Genauso wenig mein Buch, meinen Kalender oder meine Gitarre. Irgendwie habe ich keine Lust auf das alles. Meine Gedanken sind wieder bei den Kommentaren unter meinem letzten Beitrag. Meine Anziehsachen und die Sachen für die Schule liegen verteilt auf dem Boden. Ich liege auf dem Bett und starre an die Decke. Immer wieder kommen mir die Kommentare in den Sinn. Haben sie recht? Ich versuche die Gedanken beiseite zu schieben, sehe mich in meinem Zimmer um. Irgendwie passt das alles nicht mehr zu mir. Diese Erinnerungen..... wen interessiert das schon? Einige Sachen räume ich in Ecken oder Schränke... so dass sie keiner sehen kann. Als ich wieder auf die Uhr schaue, ist es schon Abend. Bevor ich schlafen gehe, nehme ich die Lichterkette über meinem Bett ab. Meine Gedanken kreisen immer noch um die Kommentare. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich blinzle sie beiseite. Verbiete mir meine Gefühle.
Letztendlich schlafe ich vor Erschöpfung ein. Als ich aufwache ist es 6:40 Uhr. Mein Notfallwecker! Ich stehe auf, sehe aus dem Fenster. Ich schnappe mir die Sachen von gestern vom Boden und renne die Treppe hinunter. "Spät!", rufe ich nur in die Küche, laufe allerdings vorbei zur Haustür. Kira steht schon vor der Tür und grinst mir entgegen. Allerdings schaut sie kurz darauf auf ihr Handy. Die letzten Tage haben wir nicht viel geredet. Ich sage allerdings nichts dazu. Als sie wieder aufsieht, merke ich an ihrem Blick, dass sie eine Ahnung hat, wie es mir geht. Sie schaut mich besorgt an, läuft allerdings ohne ein Wort weiter neben mir her.
Wieder Zuhause, falle ich auf mein Bett und schlafe ein. Am frühen Abend wache ich auf und überwinde mich, den Laptop aufzuklappen und einen Beitrag für meinen Blog zu schreiben. Ich habe sonst nie einen ganzen Tag lang, keinen neuen Post verfasst.
Automatisch öffnet sich die Seite zu meinem Blog. Bevor ich den Button anklicken kann, erscheinen die Kommentare vor meinen Augen.
Die Buchstaben auf dem Bildschirm verschwimmen vor meinen Augen. Ich sehe für einen kurzen Augenblick nur schwarze Punkte. Dann blinzle ich, mir läuft eine Träne übers Gesicht. Schnell schlage ich den Laptop zu, streiche mir die Träne von der Wange und die Haare aus dem Gesicht. Ich knipse mein Nachtlicht an und stehe auf. Ich laufe zum Kleiderschrank, ziehe mir mein Lieblingskleid an, schaue in den Spiegel. Wieder verschwimmt mein Spiegelbild. Sah ich wirklich schon immer so aus?
Als ich wenig später mit einem weiten schwarzen Pullover und einer Jogginghose zu Kira runter gehe, sage ich kein Wort in Richtung Küche. Kira sieht mich an, als ich die Haustür öffne: "Was ist los mit dir?" Ich laufe an ihr vorbei, will nicht mit ihr reden. Ich kann sie nicht belügen, das habe ich nie. Als ich ein paar Schritte gelaufen bin, stellt sie sich vor mich. Ich starre auf meine Schuhe... kann ihr nicht in die Augen sehen. Als sie sagt, sie würde sich nicht vom Fleck bewegen, wenn ich sie nicht endlich ansehen würde, zucke ich nur kurz mit den Schultern. Ich weiß, dass sie das ernst meint. Kurze Zeit später bückt sie sich vor und sieht mir direkt in die Augen. Bei ihrem besorgten Blick bricht etwas in mir zusammen. Die Tränen, die ich all die Zeit zurück gehalten habe, steigen mir in die Augen und rollen über meine Wangen. Ich kann nichts dagegen tun. Ich falle vor meiner Freundin auf die Knie. Erschrocken setzt sie sich zu mir auf den Bürgersteig, hält mich im Arm, trocknet meine Tränen. Nach einiger Zeit habe ich mich ein wenig beruhigt. Ich sehe zu Kira auf, die mir aufmunternd zulächelt. In meinem Hals bildet sich ein Kloß. Mir fallen die Worte schwer, die ich ihr sage. Trotzdem erzähle ich ihr meine ganze Geschichte:
Als kleines Kind war ich von meinen Eltern immer zum Essen getrieben worden. Immer musste ich aufessen, obwohl sie mir Portionen gaben, die kaum zu schaffen waren. Sonst interessierte es meine Eltern wenig, wie es mir ging oder was ich tat. Sie waren oft gar nicht Zuhause, wenn ich von der Schule kam, hatten mir aber etwas zu Essen hingestellt. Ich hatte nie viele Freunde und habe gerne alleine gespielt. Meine Mutter wollte, dass ich mit den Töchtern von ihren Freunden anfreunde, so konnten sie miteinander Zeit verbringen, während ich mit drei Mädchen spielen musste, die ich gar nicht kannte. Schon am ersten Tag machten sie sich über mich lustig. So lief das immer…Sobald die Tür zu meinem Zimmer ins Schloss gefallen war, fingen sie an auf mir rumzuhacken. Mir kam das Bild von dem Zimmer, in welchem ich mir immer die Gemeinheiten der drei Mädchen anhören musste wieder vor Augen, der kleine hölzerne Nachttisch... . Ihr liebstes Thema war mein Gewicht. Meiner Mutter erzählte ich nichts, weil ich sie nicht traurig machen wollte… Sie fand es immer so schön, wenn ich mit anderen Kindern spielte. Es kam dazu, dass sie die Mädchen jede Woche zum Spielen einlud. Nach einiger Zeit erzählte ich meiner Mutter davon, weil ich es nicht mehr aushielt und eines Tages in Tränen vor ihr stand. Sie verlangte nach einer Erklärung, also erzählte ich ihr alles. Wenig später sind wir hierher gezogen. Meine Mutter zwang mich nicht mehr zu essen und auch nicht mit anderen Kindern zu spielen. Ich nahm einiges an Gewicht ab und fand Freunde, mit denen ich wirklich gerne Zeit verbrachte.
Am Ende dieser Erzählung schaue ich Kira wieder an. Ihr sind nun auch Tränen in die Augen gestiegen. Als sie mir um den Hals fällt, atme ich erleichtert aus. Ich bin froh, dass sie jetzt alles weiß und bin mir gar nicht mehr sicher, warum ich ihr nichts erzählen wollte. Nach der Schule klappe ich meinen Laptop auf und lösche die Kommentare, die mich so traurig und wütend gemacht haben. Danach räume ich mein Zimmer auf und hänge alle Bilder wieder an die Wand. Nebenbei lasse ich das Radio laufen und wippe ein wenig zur Musik. Anschließend begutachte ich meine Arbeit und muss grinsen. Mit meiner Deko fühle ich mich um einiges wohler. Sofort schicke ich ein Foto an Kira, in der Schule konnten wir nicht aufhören zu reden. Alles ist wieder beim Alten…