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Vergeben

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Monster-WG
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15.07.2004
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Vergeben

Der Mann, der meinen Sohn getötet hat, sieht müde aus. Seine dünnen Fingern trommeln nervös und ohne jedes Taktgefühl auf der Tischplatte. Ein-, zweimal öffnet er den Mund und ich sehe große, gelbe Zähne, das Gebiss eines Ackergauls, aber es kommt kein Wort raus. Nicht einmal ein Wiehern.
Also sitze ich bloß da und starre ihn an.
Und er, er starrt zurück.
Es ist so absurd, dass ich beinahe lachen muss.
Finn war fast zwei Meter groß. Nicht kaputt zu kriegen. Und so verdammt talentiert. Die Handballwoche hatte ihn nach der vergangenen Saison zu einem der drei hoffnungsvollsten Spielern in der 3. Liga Nord-Ost gekürt. Mit Siebzehn bereits die Nummer eins im linken Rückraum, der Königsposition. Ein Talent, wie man es nur alle zehn, zwölf Jahre findet. Und trotzdem: absolut klar im Kopf. Lemgo war an ihm dran, die Füchse auch, von denen gab sogar ein konkretes Vertragsangebot. Ja, selbst die SG Flensburg-Handewitt hatte Interesse.
Erst jetzt merke ich, dass ich meine Hand zur Faust geballt habe.
Der Mann mir gegenüber ist ein Hänfling. Komplett unauffällig. Der Schatten eines Schattens.
Eine meine letzten Erinnerungen an Finn ist, wie er bei uns im Keller Gewichte stemmt. Wieder und wieder, ein Besessener und doch scheinbar mühelos mit Armen wie Baumstämme. Finns Körper ist ein Panzer. Ich sitze auf einem Medizinball und schaue ihm zu. Dass er noch drei Stunden zu leben hat, ahne ich nicht. Das wusste nur einer.
Plötzlich ist mein Sohn verschwunden und der Mann wieder im Zentrum meines Blickfelds. Neben Finn würde er wie ein hässlicher, alter Kobold aussehen, durchfährt es mich. Aber Finn ist tot. Während der Kobold hier hockt und dieselbe Luft atmet wie ich.
„Was wollen Sie von mir hören? Dass es mir leidtut?“, fragt der Mann nach einer Weile mit erstaunlich tiefer Stimme. Sein Tonfall ist distanziert, passt nicht zu dem, was er sagt. „Ich kann mir nur vage vorstellen, was Sie gerade durchleben. Als ich hörte, dass Sie mich treffen wollen, war ich nicht sicher, ob das wirkl …“
Um ein Haar verliere ich die Beherrschung. Ich will das nicht hören, will ihm das Maul stopfen, ihm einfach die seit Wochen immer wieder zurechtgelegten Worte ins Gesicht schreien. Ich bin hier, um eine letzte Sache für Finn zu tun. Etwas, dass ich tun muss, weil er es selbst nicht mehr kann. Finn war ein guter Junge. Bis zum Schluss klar im Kopf.
„Lassen Sie das!“, unterbreche ich den Mann harsch. „Mir tut es leid. Ich weiß nicht, warum …“. Meine Stimme bricht und der Satz wird nur in meinem Kopf vollendet.
Das Männchen schaut mich immer noch an, sagt aber nicht mehr. Ist mir recht. Ich habe Angst, dass ich es sonst nicht zu Ende bringe, dass mir die Kraft fehlt und dann all die Anstrengung der letzten Zeit umsonst gewesen ist.
Ich habe gedacht, alles sei in bester Ordnung. Das intensive Training im Keller, das überschwängliche Lob im Fachmagazin, die vielen Angebote der Bundesliga-Vereine. Aber Finn wollte nicht nach Flensburg wechseln.
Jetzt oder nie. Ich entscheide mich für jetzt.
„Es tut mir leid“, sage ich noch einmal, konzentriert wie ein Sprengmeister bei der Bombenentschärfung. Ich habe die einstudierten Sätze vor Augen, die ich mehrmals täglich wiederhole und normalerweise im Schlaf aufsagen kann. Doch nun scheint es so, als spreche ich nur jedes fünfte Word davon. Irgendwie improvisiere ich mich durch den Text. Stelze durch die Phrasen wie ein Reiher durch den Sumpf.
„Mir ist klar, dass das auch für Sie entsetzlich gewesen sein muss. Dass es kaum auszuhalten ist, wenn jemand beschließt … und man selbst nicht mehr …“
Ich stammele nur noch. „Sie trifft … nun, er hat wohl … also… Sie haben nicht ... an dem … was …“
Weiter komme ich nicht. Es geht nicht. Da sind keine Worte mehr in mir. Nichts. Keine Wut, nicht mal mehr Trauer. Ich bin leer.
Finn steht nun unmittelbar vor mir. So als wäre er real. Mit baumstammdicken Armen, aber ohne Panzer. Zu allem entschlossen in diesem letzten Moment.
Ich erstarre. Und warte selbst nur noch darauf, dass mich der Zug überrollt.
Der Mann, der an jenem Tag die S-Bahn steuerte, diese Bahn, dieses verfluchte Bahn, dieser verfluchte Mann nimmt meine Hand. Die Geste ist abstoßend und tröstlich zugleich. In mir zerbricht etwas. Ich glaube nicht, dass ich noch weiterkann.
Die erstaunlich dunkle Stimme spricht zu mir.
„Ihr Sohn war der Dritte in sieben Jahren. Wussten Sie das? Irgendwann reicht`s. Ich fahr nicht mehr. Ich kann das nicht mehr. Will nicht mehr!“
Mit letzter Energie plätschern ein paar der eingebläuten Worte aus mir heraus.
„Finn …“, murmele ich, selbst nach einem Sinn suchend. „Was ihn auch immer auch an diesem Tag … Er war nicht so … Sie müssen ihm …“
Jetzt bin ich es, der unterbrochen wird.
„Vergeben?“
Sogar zum Nicken fehlt mir die Kraft. Es ist vorbei.
„Der Dritte in sieben Jahren!“, sagt der Mann, von dem mein Sohn sich töten ließ.

 

Diese Geschichte wurde von einem Autor geschrieben, der hier im Forum angemeldet ist, es für diese Geschichte aber bevorzugt hat, eine Maske zu tragen.
Der Text kann, wie jeder andere Text im Forum, kommentiert werden, nach zehn Tagen wird die Identität des Autors enthüllt.
Als Kritiker kann man bis dahin Vermutungen über die Identität des Autors anstellen. Damit man anderen mit einem schlüssigen Rateversuch nicht den Spaß raubt, sind Spekulationen und Vermutungen bitte in Spoiler-Tags (oben im Menü) zu setzen.
Da dies jedoch kein Ratespiel ist, sind Beiträge ohne Textarbeit, also reine „Vermutungen“, nicht erwünscht.

Viel Spaß beim Kommentieren und Raten!

Dieser Maskenball endet am: 04.05.2021

 
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Liebe Maske,

juchhu, es passiert mal wieder was :D Das ist ein guter Text zum Kommentieren. Weil er einen bestimmten Plot erzählen will (kurze Erzählzeit, große Fallhöhe) und dafür alle handwerklichen Mittel anstrengen muss.

Der Mann, der meinen Sohn getötet hat, sieht müde aus. Seine dünnen Fingern trommeln nervös und ohne jedes Taktgefühl auf der Tischplatte. Ein-, zweimal öffnet er den Mund und ich sehe große, gelbe Zähne, das Gebiss eines Ackergauls, aber es kommt kein Wort raus. Nicht einmal ein Wiehern.

Gute erste Sätze. Geschliffen.

Es ist so absurd, dass ich beinahe lachen muss.

Würde ich aus dem Tell schieben. Da denke ich noch, es ist irgendeine Geiselnahme oder so etwas, habe Thriller im Kopf. Beinahe muss ich lachen, würde ja fast schon reichen, um die Frage hervorzurufen: Aber warum lacht die Person trotzdem nicht?

zu einem der drei hoffnungsvollsten Spielern in der 3. Liga Nord-Ost gekürt

Spieler hier ohne 'n' oder?

die Füchse

Da musste ich an meine Fußballstory denken :D Da sind die Füchse die gegnerische Mannschaft.

durchfährt es mich

Hier habe ich innegehalten. Nah am Phrasenhaften dran.

das wirkl …

Hier meinte ich, ein bisschen Chutney rauszulesen :-)

schaut mich immer noch an, sagt aber nicht mehr.

sagt aber nichts mehr

Lob im Fachmagazin

könnte man benennen.

r jedes fünfte Word

Wort

dieses verfluchte Bahn

diese

Die langwährende Unklarheit darüber, was der Mann genau getan hat, wer er ist, in welchem Kontext die sich genau unterhalten, an welchem Ort; dann, was die erzählende Person für ein Verhältnis zu Finn hatte und wie Finn gestorben ist, das führt bei mir dazu, dass ich emotional nicht wirklich reinkomme in den Text, dass es für mich auch nach hinten raus konstruiert wirkt und auf diesen Reveal zugespitzt – dann noch die abgeschlossene Wandlung im letzten Halbsatz, einfach sehr technisch. Es führt vor allem aber zu Unklarheit bei mir. Dieses bestimmte Gefühl, wenn du einen Text liest und dich fragst, was du verpasst hast, und eigentlich möchte der/die Autor/in, dich auf die Folter spannen und ja, Spannung erzeugen, aber du hast vor allem das Gefühl etwas verpasst zu haben und das Gefühl, kein klares Bild von den Dingen zu kriegen. Dann am Schluss: Die Auflösung. Wie ein Rätsel, dass sich dann nochmal auflöst. Aber du konntest auch nicht wirklich miträtseln. Das klingt jetzt negativ, ich sehe das aber schon vor dem Hintergrund guten Handwerks.
Dann im letzten Halbsatz diese im Vergleich zum Tell bessere Infovergabe. Sogar sehr gute Infovergabe (ich habe die mal aus spoiler-Gründen nicht zitiert). Und trotzdem lese ich da sehr den/die Autor/in raus und eine sehr schnell vollzogene Wandlung. Der Mann kann nichts dafür, erklärt das und ist sehr freundlich, dann wird eine Verarbeitung des Themas bei der erzählenden Person angedeutet. Dem fehlt was, ich kann schwer den Finger drauflegen.
Vor allem motivational wirkt das auch etwas wackelig. Okay, der ist bereit, sich zu treffen, er ist doch selbst genauso Opfer. Klar, bei dem, was passiert ist, ist so ein Verhalten (die ganzen Anschuldigungen) schon nicht abwegig. Als Außenstehender sehe ich aber das Überzogene daran (was für eine Schuld trifft da den Vater Fahrer (edit: Freudscher Vertipper :Pfeif:). Ich weiß ja auch nicht, ob er hätte bremsen können oder nicht. Für mich hat sich da einer vor den Zug geworfen. Wahrscheinlich aus Leistungsdruck, aber das wird nur hauchdünn als Möglichkeit aufgebaut) und ich sehe diese Reaktion im Zusammenhang mit der Schwere des Verlustes, den Phasen der Trauer, wie auch immer. Dadurch frage ich mich dann schon: was erzählt mir die Geschichte? Erstmal eine emotionale Wandlung, aber viel mehr ist da nicht und so hat das dann für mich etwas von einer kurzen Filmszene. Zugleich ist diese Filmszene schon sehr ratgebermäßig geschrieben (das könnte so nach Lajos Egri oder Robert McKee geschrieben sein). Mir fehlt da das Persönliche. Klar Handball und so. Aber das ist alles sehr auf den Platz seiner Funktion bei der technischen Entwicklung dieses Plots beschränkt. 'Technisch' hat für mich auch immer etwas Kühles, weshalb mich so ein Zugang zu Emotionen nur selten überzeugt, weil ich das einfach nicht authentisch finde. Hollywood kriegt das bei mir dann meistens trotzdem hin, weil es einfach so üppig und stellenweise so verdammt gut ist. Aber da stecken auch hunderte Millionen Dollar und die Arbeit von zig Professionellen drin und nicht nur einer/m.

Also gut geschrieben ist es, aber die Rechnung geht für mich nicht auf. Liebe Maske, ich hoffe, du lässt dich von meinem Leseeindruck nicht runterziehen und nimmst es sportlich.

Viele Grüße
Carlo

Ich glaube, dieser Text ist von Fliege. Nach einigem Erwägen und Ausschließen habe ich auch auf Chutney oder Raindog getippt. Aber ich bleibe dabei. Fliege. Handball war definitiv eine Fährte. Vielleicht auch dieses Thema S-Bahn. Mal sehen, was die anderen so denken.

 
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Hallo Maske

In meinen Augen ist das ein missglückter Text, weil er die beiden Dinge, die darin angelegt sind, nicht gleichzeitig leisten kann.

Das wusste nur einer.
An diesem Satz lässt sich, denke ich, einiges festmachen. Wenn der Text die (durchaus interessante) Konstellation zwischen den beiden Männer ausleuchten will, wenn da gezeigt werden soll, wie schwierig diese Situation ist - worauf die zahlreichen Verweise auf die emotionale Verfassung und das Innenleben des Ich-Erzählers hindeuten - dann müssten die Leser*innen mit dieser Konstellation auch vertraut gemacht werden. In diesem Fall stünde hier aber: "Das wusste nur er." Niemand, der wirklich seine Geschichte erzählte, würde an dieser Stelle eine solche Unschärfe einbauen. Diese Unschärfe steht hier nur deshalb, weil die Autorin / der Autor die Leser absichtlich im Unklaren halten wollte, um dann am Ende einen Twist und eine Auflösung vorzulegen. Das bedeutet aber für mich, dass der Text weder Fisch noch Vogel ist. Ich verlasse mich grundsätzlich auf eine Autorin / einen Autor. Wenn mir ein unzuverlässiger Erzähler präsentiert werden soll, dann verlasse ich mich darauf, dass mir der Autor einen Hinweis darauf gibt. Wenn es einen Twist geben soll, dann verlasse ich mich darauf, dass dadurch nicht meine gesamte bisherige Lesart ad absurdum geführt wird. Das ist hier für mein Empfinden nicht der Fall. Der Text führt mich mit dem ersten Satz gezielt aufs Glatteis und entwertet am Ende meine bisherige Leseerfahrung. Das kann reizvoll und spannend sein. In diesem Kontext aber, wo es offenbar darum gehen soll, sich in diese Situation hineinzuversetzen und irgendwie mitzufühlen / mitzudenken, funktioniert das meiner Meinung nach nicht.

Wenn ich mich nun aber doch auf das Psychologische, Emotionale einlasse, dann ist mir das zu holzschnittartig. Gut ist natürlich diese Ambivalenz: Das Gegenüber ist einer, der getötet hat, ein Ackergaul, ein Schatten eines Schattens, da gibt es ein gerüttelt Mass an Projektion und Hass. Auf der anderen Seite hat sich der Ich-Erzähler ja etwas ganz anderes vorgenommen, er will etwas geradebiegen, er will es für seinen Sohn tun. Das finde ich wirklich spannend, dieser Konflikt oder eben diese Ambivalenz. Aber im Text prallt das ziemlich unvermittelt aufeinander, da gibt es wenig Schwanken und wenig Schattierung, eher springt der Text zwischen diesen Extremen hin und her. Ich denke daher, dass der Text viel zu kurz ist, um der Thematik gerecht zu werden. Ich würde mir wünschen und fände es spannend, wenn du dieser Thematik noch mal in grösserem Umfang nachgehen würdest.

Handwerklich kann mich der Text nicht so ganz überzeugen. Das liegt unter anderem daran, dass an einigen Stellen gesagt wird, wie ich eine Szene lesen soll oder was gerade eben gezeigt worden ist.

Es ist so absurd, dass ich beinahe lachen muss.
Ich stammele nur noch.
Sie müssen ihm …“
Jetzt bin ich es, der unterbrochen wird.
Die Geste ist abstoßend und tröstlich zugleich.
Darüber bin ich gestolpert:
Mit letzter Energie plätschern ein paar der eingebläuten Worte aus mir heraus.
mit "plätschern" verbinde ich eher viele Worte, fröhlich dahingesprochen, also das Gegenteil dessen, was hier gemeint ist.

Diesen Vergleich hier finde ich sehr schön:

Stelze durch die Phrasen wie ein Reiher durch den Sumpf.


Ich weiss nicht, wer den Text geschrieben haben könnte, auf keinen Fall aber eine der drei Autorinnen, die Carlo Zwei genannt hat. :p


Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Hallo @Maskenball :-)

Ich denke, dass Sprache und Perspektive die emotionale Wucht der Themen nicht leisten können. Das mag härter klingen, als es sich anhört. Die Beziehungen zwischen den drei Charakteren des Textes - Finn schließe ich mit ein - sind emotional überfordernd und massiv. Der Vater glaubt, der S-Bahn-Fahrer habe das Kind getötet. Der S-Bahn-Fahrer fühlt sich schuldig, bittet um Verzeihung und Verständnis. Warum Finn gestorben ist - aus einer suizidalen Handlung, Fahrlässigkeit, Mutprobe, Unfall - wird für mich nicht deutlich. Ich tendiere stark zum Suizid Finns. Die gewählte Ich-Perspektive schildert jedoch die Interpretation des Vaters, der sich einen Suizid nicht vorstellen kann, anders als der S-Bahn-Fahrer. Suizid des eigenen Kindes bedeutet jedoch für den Vater, eine mögliche Schuld zu empfinden, doch schließt der Vater den Suizid aus. Ob er ihn verdrängt, ob er nicht anders kann, präzisiert der Text meiner Meinung nicht. Ich lese die letzten Zeilen als "knapp vor der Auflösung".

Die Beziehung zwischen Vater und Sohn reduzierst du in Deinem Text auf den Handballsport. Finn stand auf dem Sprung in den Profi-Sport, als er starb. Das wirkt auf mich distanziert. Standen sich Vater und Sohn so distanziert? Wolltest du in deinem Text einen ehrgeizigen Vater schildern, der die Sportkarriere des Sohns in den Vordergrund rückte? Das ist ja ein recht klassisches Motiv: Überehrgeizige Eltern, die ihre Kinder überfordern, Warnsignale nicht wahrnehmen, bis es zum Zusammenbruch kommt. Wie dieser Zusammenbruch aussieht, spiegelt die familiäre Beziehung wieder. In deinem Text hast du den Suizid gewählt (falls es so gekommen ist), also - es mag zynisch klingen - den radikalsten Bruch, der menschlich vorstellbar ist.

Sowohl S-Bahn-Fahrer und Vater müssen mit dem Tod umgehen. Zum S-Bahn-Fahrer: Er bittet um Vergebung, er fühlt sich schuldig. Die technischen Eigenschaften der S-Bahn machen den Schienensuizid so extrem, so traumatisierend: Der S-Bahn-Fahrer wusste, dass Finn sterben wird und er wusste, dass er als Verantwortlicher nichts, gar nichts tun kann.

Die Perspektive ist die des Vaters. Ich als Leser erfahre, wie der Vater fühlt und denkt. Das ist die härteste Perspektive, die für das Setting gewählt werden kann. Denn hier fallen ambivalente Emotionen und Denkweisen wild übereinander her: Schuld oder Verständnis für den S-Bahn-Fahrer? Akzeptanz des Suizids oder nicht? Eigene emotionale Überforderung oder der Versuch, sich zu kontrollieren? Ich bin ehrlich: Ich weiß gar nicht, wie so etwas als Kurzgeschichte geschrieben werden kann, ohne "holzschnittartig" zu wirken. Das ist so krass gigantisch überviel, was in diesem Augenblick auf den Mann einprasselt, dass der überhaupt noch einen Gedanken fassen kann ... irre. Einfach irre.

Mich würde der Kern deines Textes interessieren. Geht es dir um Schuld und Vergebung? Um Verarbeitung des Suizids eines Angehörigen? Um Leistungsdruck, den Eltern auf ihre Kinder ausüben? Um Suizid im Bahnverkehr? Oder um Verdrängung? Ganz subjektiv fände ich letztes Thema am interessantesten, aber dann entstände hier ein ganz neuer Text.

Zweitens könnten Klarheiten deinem Text helfen. Ich mag unklare Texte, weiß jedoch, dass viele Leser:innen eine Auflösung einfordern. Die Unklarheiten spiegeln jedoch meiner Ansicht nach den frühen Verarbeitungsstatus des Vaters wieder. Neben den genannten Motiven will der Text ja einen Prozess schildern, eine Verarbeitung von Schuld zur Vergebung nachvollziehen, siehe Titel (er heißt ja nicht Vergebung, er heißt Vergeben). Puh, hyperhartes Ding. Vielleicht wäre eine stabile Haltung des Vaters zum S-Bahn-Fahrer oder Sohn besser. Dass der Vater die empfundene Schuldigkeit des S-Bahn-Fahrers nicht mehr spürt oder gelernt hat, damit umzugehen. Sprich, dass der Vater den Tod besser einordnen kann, ohne emotional überrannt zu werden. Nebenbei gefragt: Wo ist eigentlich die Mutter?

Vor diesem Hintergrund denke ich, dass eine andere Perspektive Deine Text helfen könnte. Vielleicht kommt das auch Deinem Schreibstil entgegen. Aber das bleibt subjektiv, das ist nur ein Eindruck.

Lg
kiroly

Nachtrag:

Ich denke, auf den Verfasser treffen folgende Merkmale zu:
- wohnhaft in Berlin (Handballliga Nord-Ost und S-Bahn) oder mit biographischem Bezug zu Berlin
- jemand, der noch nicht so lange am Schreiben ist
oder
- jemand, der schon sehr lange schreibt, jedoch beim Schreiben zwei Orientierungspunkten gefolgt ist: a) einfache Sprache und b) hoher Dilemma-Gehalt, woraus ich c) folgere: Eher publikumswirksam
- ohne, dass ich das jetzt irgendwie negativ werten mag, aber jemand, der einen Schreibratgeber gelesen hat, in dem von einer kleinen Figurenkonstellation, einer möglichst komplizierten moralischen Ausgangslage für die Figuren, einem gütigen Ende und einer eingängigen Sprache als beste Merkmale einer ordentliche Kurzgeschichte berichtet wird und diese Merkmale anwenden wollte

 

Schwierig. Aber ich probiers mal. Die Geschichte liegt einer grandiosen Idee zugrunde. Auseinandersetzung eines Vaters mit einem Fremden, der von seinem Sohn dazu benutzt wurde, Selbstmord zu begehen.
Ich würde den Rahmen der Geschichte ändern und sie auf dem Friedhof spielen lassen. Unmittelbar nach der Beerdigung des Sohnes. Den S-Bahnfahrer als Zaungast, der dem Jungen Mann die letzte Ehre erweist. Damit hätte ich den Leser schon in der Grundstimmung der Geschichte. Ich würde Begriffe wie Ackergaul und Kobold weglassen, weil sie in die Ernsthaftigkeit des väterlichen Denkens nicht hineinpasst. Der Vater sollte seine Sätze beenden dürfen um seine Sorgen besser verstehen zu können. Die Beziehung zu seinem Sohn ist nur aufgebaut auf Leistung und schön beschrieben. Mir gefällt auch die Wandlung vom Ankläger zum reuigen Vater, dem es während des Gespräches dämmert, dass in der Beziehung zu seinem Sohn etwas krank war. Ich finde auch die Andeutung, schon der Dritte in sieben Jahren super, weil es eine gesellschaftskritische Aussage ist, die das Leistungsdenken und Gesellschaftlich vorgegebene Werte hinterfragt. Warum bringen sich junge Männer oder Frauen im besten Alter und in der Höhe ihres Zenits um? Ich finde die Geschichte gelungen und würde sie gerne einigen Eltern zum Lesen geben. Allerdings würde ich sie länger machen, weil ich das Team richtig spannend finde. Vielen Dank dafür.

 

Hej @Maskenball ,

die thematische Auseinandersetzung mit dem Thema Depression im Leistungssport ist allemal Geschichte wert. So lese ich das zumindest.

Für meinen Geschmack wird diese Form aber dem Thema nicht gerecht. Weder was den Stil, den Ton angeht, noch die Kürze oder der Effekt, den Leser hinzuhalten. So wird die Dichte des Gesamten nicht deutlich, weil keiner von den drei Protagonisten wirklich ausgeleuchtet wird, weder als Person, noch in ihrer Handlung. Allesamt kommen sie viel zu kurz, ich erfahre nichts über sie und ihren Platz in der Geschichte. Ich erfahre auch sonst nichts, außer dass der Vater wütend auf den S-Bahn-Fahrer ist, was zumindest einen recht unsympathischen Charakter aufzeigt, noch welchen Leidensweg der Sohn gegangen sein muss, nichts vom Vater-Sohn-Verhältnis, auch nicht viel vom Vater selbst, außer seinem Stolz auf die Leistung seines Sohns. Einzig dem armen S-Bahn-Fahrer nehme seinen Frust ab, nur wirkt auch der viel zu unbeteiligt für seinen Entschluss nicht mehr seinen Job auszuüben.

Am Ende merke ich, dass keine Emotion in mir zurückbleibt und dabei leide ich und freue mich so gerne mit den Protagonisten einer Geschichte. Hier erreicht mich nichts.

Du hättest dir Zeit lassen und die Charaktere wachsen lassen können, möglicherweise in gedachten Rückblicken als Dialog, oder in einem echten Gespräch zwischen dem S-Bahn-Fahrer und dem Vater.

Ich kann diese Geschichte keinem der mir bekannten Wortkrieger zuordnen, wage aber zu behaupten, dass es sich bei dem/der Autor*In um einen weniger routinierten Schreibling handelt. :shy:

Ich bin sehr gespannt, wer sich dahinter verbirgt und wie er diese Geschichte zu bearbeiten gedenkt.

Freundlicher Gruß. Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @Maskenball!

Dein (zu kurzer) Text lässt mich unbefriedigt zurück. Das an sich hochinteressante Thema wird m.A.n. nicht ausreichend dargestellt. Ich weiß am Ende nichts. Deshalb fehlt mir auch jegliche Empathie für alle drei Figuren. Weder erfahre ich etwas über das Innenleben des Sohnes, noch über das Innenleben des U-Bahnfahrers. Nur die Verzweiflung, Trauer und Abneigung des Vaters zeigst du mittels abwertender Beschreibung: Was war mein Sohn für ein toller, attraktiver, zukunftsträchtiger Athlet, und welch mickriger, unappetitlicher Knilch mit ungepflegten gelben Zähnen bis du, du Kobold, Hänfling, Männchen.
Wohl beschreibst du die sportlich herausragenden Leistungen, aber nicht einmal richtest du den Scheinwerfer auf das Innenleben des Sohnes. So bleibt er für mich blass. Zu blass für Empathie mit einer so schrecklichen Tat.
Dies aufzuzeigen, ginge via Vater relativ leicht, mittels Rückblick auf ein Gespräch, ein gemeinsames Erlebnis, etc. das würde den Sohn lebendiger, sein Motiv spürbarer machen. Möglicherweise würde dann auch die Rolle des Vaters, als Erzieher, als ehrgeiziger Trainer? kritisch beleuchtet werden. Dafür bräuchte der Text aber mehr Substanz.

Das wusste nur einer.
Dieser Satz lässt eine Menge Interpretation zu.
Das wusste nur er, lasse ich nicht gelten, da ich mir schwerlich vorstellen kann, dass der Sohn zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Abgang plante. Hätte er da noch fleißig trainiert?
Das wusste nur Gott? Mögliche Lösung für Religiöse.
Der U-Bahnfahrer konnte es nicht wissen. Also wer?
Doch nun scheint es so, als spreche ich nur jedes fünfte Word davon.
Ich denke, hier wäre der Konjunktiv angebracht: spräche, würde sprechen

Der Vergleich mit dem Reiher ist erstklassig. :thumbsup:

Netten Gruß,
Manuela :)

 

Hallo Maske, ich fand’s solide geschrieben, aber (und da muss ich mich einigen anderen Meinungen anschließen) viel zu kurz, um eine emotionale Bindung zu irgendwem der drei aufzubauen. Dabei ist die Thematik echt spannend. Wie "Mörder“ und Hinterbliebene miteinander umgehen. Hoffe, du hast weiter so gute Ideen.
Gruß

Wieder und wieder, ein Besessener und doch scheinbar mühelos mit Armen wie Baumstämme.
Der Satz ist total wirr. Also ich verstehe was gemeint ist, trotzdem hat er mich aufgrund seiner Wortstellung rausgerissen.
jetzt.
„Es tut mir leid“, sage ich noch einmal, konzentriert wie ein Sprengmeister bei der Bombenentschärfung
Sehr cool.
Wort

 

Hallo Mensch hinter der Maske,

das ist ja ein sehr interessantes Konzept, dieser Maskenball - auch wenn ich noch nicht lange genug dabei bin, um mitraten zu können. Nun wurde zu der Geschichte ja schon einiges gesagt, ich habe die anderen Kommentare aber nicht gelesen, um einen möglichst eigenen, unverfälschten Leseeindruck zu geben. Verzeih mit deswegen bitte Wiederholungen.

#
„Finn …“, murmele ich, selbst nach einem Sinn suchend. „Was ihn auch immer auch an diesem Tag … Er war nicht so … Sie müssen ihm …“
Dem Ganzen liegt was total spannendes zugrunde. Der Fahrer hat den Jungen (unfreiwillig) getötet. Jetzt bittet aber das Ich, Elternteil des Toten, den Fahrer um Verzeihung. Gleichzeitig ist aber auch das Ich noch mitgenommen von dem Tod seines Sohnes, was ja verständlich ist, und ist dem Mann irgendwo böse, was eigentlich nicht verständlich ist, durch die Umstände aber doch verständlich wird. Und nebenbei deutet sich an, dass Finns Selbstmord auf Leistungsdruck zurückzuführen und das Ich daran mitverantwortlich ist.
Dieses Verhältnis ist dir richtig gut gelungen, weil es (emotionale) Tiefe hat und ungewöhnlich ist. Die Umsetzung aber finde ich schwierig; schwierig ist auch, den Grund dafür zu finden.

Ein Versuch, die Probleme des Textes zu defininieren:

1. Emotional erreicht mich der Anfang des Textes überhaupt nicht. Und das ist verwunderlich, denn das Thema ist hochemotional, es ist ebenso emotional geschrieben und mich persönlich beschäftigt der Tod in Geschichten eigentlich (fast) immer.
2.

„Lassen Sie das!“, unterbreche ich den Mann harsch. „Mir tut es leid. Ich weiß nicht, warum …“. Meine Stimme bricht und der Satz wird nur in meinem Kopf vollendet.
„Sie trifft … nun, er hat wohl … also… Sie haben nicht ... an dem … was …“
Weiter komme ich nicht. Es geht nicht. Da sind keine Worte mehr in mir. Nichts. Keine Wut, nicht mal mehr Trauer. Ich bin leer.
Hier deutet sich langsam das tatsächliche Verhältnis zwischen den beiden an. Das löst du dann in einer Art Twist auf, doch das funktioniert für mich nicht. Wirkt zu künstlich. Und erreicht mich nicht so, wie es sollte.

Leider funktionieren also - zumindest für mich - die beiden wichtigsten Aspekte des Textes nicht: die Emotionen und der Twist. Ich möchte dir einen Vorschlag machen:

Du schreibst zwar emotional und darin nicht schlecht, das hat man aber auch alles schon tausendmal gelesen. Ich hab mich fast geschämt, bei einem solchen Thema mit den Augen zu rollen und zu sagen: Jaja, kenn ich doch, kenn ich doch.

Eine Ausnahme ist das hier übrigens, um mal was richtig positives zu sagen:

Irgendwie improvisiere ich mich durch den Text. Stelze durch die Phrasen wie ein Reiher durch den Sumpf.
Das habe ich so geliebt!
Und auch der erste Absatz war toll, vor allem das Ende.
Der Mann, der meinen Sohn getötet hat, sieht müde aus. Seine dünnen Fingern trommeln nervös und ohne jedes Taktgefühl auf der Tischplatte. Ein-, zweimal öffnet er den Mund und ich sehe große, gelbe Zähne, das Gebiss eines Ackergauls, aber es kommt kein Wort raus. Nicht einmal ein Wiehern.

Aber ansonsten:
Neben Finn würde er wie ein hässlicher, alter Kobold aussehen, durchfährt es mich. Aber Finn ist tot. Während der Kobold hier hockt und dieselbe Luft atmet wie ich.
Die Sache mit dem Kobold ist nett, das Fette kommt mir wie kopiert vor. Das will ich dir nicht unterstellen, aber so wirkt's halt, weil das echt ne Standartformulierung ist, irgendwie.
Ich will das nicht hören, will ihm das Maul stopfen, ihm einfach die seit Wochen immer wieder zurechtgelegten Worte ins Gesicht schreien.
Wut, jaja, kennt man. Und Worte zurechtgelegt und dann im entscheidenen Moment vergessen ... kennt man auch.
Es ist so absurd, dass ich beinahe lachen muss.
Klingt böse, sorry, aber: schnarch.
Finn war fast zwei Meter groß. Nicht kaputt zu kriegen. Und so verdammt talentiert. Die Handballwoche hatte ihn nach der vergangenen Saison zu einem der drei hoffnungsvollsten Spielern in der 3. Liga Nord-Ost gekürt. Mit Siebzehn bereits die Nummer eins im linken Rückraum, der Königsposition. Ein Talent, wie man es nur alle zehn, zwölf Jahre findet. Und trotzdem: absolut klar im Kopf. Lemgo war an ihm dran, die Füchse auch, von denen gab sogar ein konkretes Vertragsangebot. Ja, selbst die SG Flensburg-Handewitt hatte Interesse.
Und das hat mich dann auch überhaupt nicht erreicht. Jaja, okay, das Ich findet den Sohn toll, der war ja so talentiert ...

Das Problem ist insgesamt nicht deine Schreibe an sich, denn die ist durchaus gekonnt, das Problem ist eher, dass man ja nun doch schon oft genug von Eltern gelesen hat, die ihre Kinder verloren haben. Da einfach nur auf Emotional zu pochen bringt's dann irgendwann nicht mehr. Da braucht's was eigenes. Und das kannst du ja durchaus liefern, du hattest da ja einen großartigen Einfall:

Ich erstarre. Und warte selbst nur noch darauf, dass mich der Zug überrollt.
Der Mann, der an jenem Tag die S-Bahn steuerte, diese Bahn, dieses verfluchte Bahn, dieser verfluchte Mann nimmt meine Hand. Die Geste ist abstoßend und tröstlich zugleich. In mir zerbricht etwas. Ich glaube nicht, dass ich noch weiterkann.
Die erstaunlich dunkle Stimme spricht zu mir.
„Ihr Sohn war der Dritte in sieben Jahren. Wussten Sie das? Irgendwann reicht`s. Ich fahr nicht mehr. Ich kann das nicht mehr. Will nicht mehr!“
Ich frage mich, warum du das so als Twist aufgebaut hast. Wirkt auf den ersten Blick wie eine gute Idee, aber wenn der Text erst mit dem Twist interessant wird, dann liest man meist gar nicht bis zum Twist.
Ich würde die gleiche Geschichte also von Anfang an anders aufziehen. Von Anfang an zeigen, was hier Sache ist - nicht jede gute Geschichte braucht eine Wendung! Vielleicht Mehrperspektivisch arbeiten? Auktorialer Erzähler also? Das Emotionale reduzieren (wozu wahrscheinlich auch ein auktorialer Erzähler notwendig wäre), weil man das schon kennt, und sich auf das Verhältnis der Figuren und die Schuldfrage konzentrieren, weil man das noch nicht kennt. Oder vielleicht nicht auktorial, aber den Fahrer als Perspektive? Ich würde da ein bisschen experimentieren, was genau davon am besten funktioniert, kann dir dir natürlich schlecht sagen.
Bleibt für mich die Frage: Ist der Text zu kurz?
Ich finde, du kannst zwei Wege gehen: Deutlich ausbauen oder verdichten, konkretisieren und richtig gute Flash-Fiction schreiben. In der aktuellen Fassung ist der Text, meines Erachtens, von der Länge her Flash-Fiction und vom Inhalt eine stark gekürzte Kurzgeschichte. Aber Flash-Fiction muss mehr sein als das, das ist eine ganz eigene Art, zu schreiben.
Seit ich letztens Flash Fiction, 72 Very Short Stories gelesen habe, bin ich ja sehr angetan von dem Genre. Kennst du das Buch? Falls nicht, würde ich es dir als Inspiration sehr ans Herz legen. Da ist wirklich viel gutes drin, was mich jetzt im Nachhinein ein bisschen an deine Geschichte erinnert (wenn man sie etwas anders aufzieht).

#​

Ich will das also noch einmal auf den Punkt bringen: Interessant an deinem Text ist das Verhältnis zwischen den beiden Figuren und die Frage, wer hier wen für schuldig betrachtet, wer wem Vorwürfe macht und wer da richtig denkt. Wieviel von diesen Gedanken sind von emotionen geleitet, wieviele sind richtig, etc. Uninteressant ist, dass der Vater emotional vom Tod seines Sohnes berührt ist ... das ist offensichtlich, darauf würde ich nicht zu viele Worte verschwenden. (Kann man natürlich machen, aber dafür müsste man als Leser zu sowohl Vater und Sohn schon eine viel engere Beziehung haben, z.B. in einem Roman)

Aber ganz eindeutig kann ich dir auch nicht sagen, was du anders machen musst. Auf jedenfall den Twist rausschreiben, finde ich jedenfalls (ist aber natürlich deine Entscheidung ...). Vielleicht steht ja in den restlichen Kommentaren noch was passendes. Trotz allem habe ich deine Geschichte gerne gelesen, denn ab dem Twist wurde sie ja richtig interessant.

Viele Grüße,
Manfred

 
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Hey xy,

ich gehe mal davon aus, dass die Kürze gewollt ist. Flashfiktion ist nicht das Genre in dem ich irgendwie bewandert bin, insofern ist das in etwa so, als würde ich versuchen, einen Horrortext zu kommentieren. Ich finde das sau schwer, innerhalb von ein paar Zeilen eine komplette Geschichte zu schreiben, mit Motiven und Thema und allem drum und dran. Vielleicht gibt es eben so verdammt wenige, die das echt leisten können und viele, die es nicht tun und mir deshalb der Zugang zum Genre so verleidet ist. Aber ich finde, dass der Text hier aber tut. Zumindest rechne ich ihm den Versuch dazu hoch an. Und ja, durch die Themenwahl hast Du es Dir hier echt nicht leicht gemacht. Das ist schon ein Brocken, dazu drei Personen, deren Motive innerhalb der Kürze nur angerissen werden können. Was den Punkt des emotionalen Miterlebens betrifft, keine Ahnung, ich leide auch bei den Kurzen von Wondraschek nie emotional mit - aber dessen Geschichten sind trotzdem sau stark, halt auf einer anderen Ebene. Will damit sagen, das Texte auch auf Basis anderer Ebenen funktionieren. Funktioniert der Text für mich? Ja und nein. Auf jeden Fall aber finde ich ihn spannend, in Hinsicht auf den Twist, die Figurenkonstellation und dem Thema. Und auf der anderen Seite ist Twist aber auch immer was konstruiertes, etwas, wo man den Leser bis zu einem gewissen Punkt bewusst in die Irre führt - durch Lücken und Auslassungen und genau das merkt man den Twisttexten auch an. Ist für mich eher eine Frage, ob man das mag oder eben nicht, so ganz generell. Ich eher nicht, aber es gibt Leser, die sich gern drauf einlassen, schätze, wir sind hier nicht repräsentativ für die Lesermehrheit da draußen. Meistens sind es ja Leute, die frisch in Forum kommen, die positive Kommentare unter solche Texte schreiben.
Sprich, ich finde den Text in erster Linie mutig - weil er mit den hier gewohnt und geliebten "Ideale" bricht. Deshalb hänge ich ihn mir aber noch lange nicht übers Bett :p Kann jedoch auch den Reiz nachvollziehen, sich daran mal abzuarbeiten.

Der Mann, der meinen Sohn getötet hat, sieht müde aus. Seine dünnen Fingern trommeln nervös und ohne jedes Taktgefühl auf der Tischplatte. Ein-, zweimal öffnet er den Mund und ich sehe große, gelbe Zähne, das Gebiss eines Ackergauls, aber es kommt kein Wort raus. Nicht einmal ein Wiehern.
Natürlich sieht man in dem Mann, der den Sohn getötet hat nur Abstoßendes. Als Leser mag ich es aber nicht, wenn man Figuren so derart vorführt, sie auf dem Marktplatz der Lächerlichkeit ausstellt. Mir hätte es gereicht, ihn klein und mickrig zu zeigen, was Du ja auch später brauchst. Und ich finde es in Hinsicht auf das Ende auch nicht stringent, wenn der Vater/Autor anfangs so über den Mann wertet/richtet - das widerspricht seiner Motivation des Handels im weiteren Verlauf.

Es ist so absurd, dass ich beinahe lachen muss.
Kaufe ich ihm auch nicht ab. Weil es ja gar nicht um ein Kräftemessen geht. Natürlich kannst du die Fährte für den Leser darauf ausrichten, aber lass ihn diesen Fehlschluss ziehen, dass darf nicht deine Figur tun, denn die weiß ja ... Sprich, zeig den Mann klein und schmächtig und den Sohn groß und stark - dann fragt der Leser sich schon die richtigen Fragen.

Der Mann mir gegenüber ist ein Hänfling. Komplett unauffällig. Der Schatten eines Schattens.
Das wäre doch eine prima Beschreibung den Mann einzuführen.

Wieder und wieder, ein Besessener und doch scheinbar mühelos mit Armen wie Baumstämme. Finns Körper ist ein Panzer. Ich sitze auf einem Medizinball und schaue ihm zu.
Ist mir zu plakativ.

Dass er noch drei Stunden zu leben hat, ahne ich nicht. Das wusste nur einer.
Den Satz dagegen finde ich super. Der funktioniert für mich. Völlig wertungsfrei - und klar denke ich dabei nicht an Finn. So meine ich - lass den Leser seine eigenen "Fehlschlüsse" ziehen.

Neben Finn würde er wie ein hässlicher, alter Kobold aussehen, durchfährt es mich. Aber Finn ist tot. Während der Kobold hier hockt und dieselbe Luft atmet wie ich.
Nein, nein, nein! So sieht er den Mann nicht, bei dem er sich entschuldigen will. Never! Und wieder so ein Vorführen. Ganz hässlicher Zug des Autors.

„Was wollen Sie von mir hören? Dass es mir leidtut?“, fragt der Mann nach einer Weile mit erstaunlich tiefer Stimme. Sein Tonfall ist distanziert, passt nicht zu dem, was er sagt. „Ich kann mir nur vage vorstellen, was Sie gerade durchleben. Als ich hörte, dass Sie mich treffen wollen, war ich nicht sicher, ob das wirkl …“

Um ein Haar verliere ich die Beherrschung. Ich will das nicht hören, will ihm das Maul stopfen, ihm einfach die seit Wochen immer wieder zurechtgelegten Worte ins Gesicht schreien. Ich bin hier, um eine letzte Sache für Finn zu tun. Etwas, dass ich tun muss, weil er es selbst nicht mehr kann. Finn war ein guter Junge. Bis zum Schluss klar im Kopf.
Oder wolltest Du tatsächlich, dass der Vater erst im Verlauf seinen Irrtum begreift, dass er ihn anfangs tatsächlich für verantwortlich hält? Aber das macht aufgrund des Tatherganges keinen Sinn für mich und dann würden sich die Sätze hier auch widersprechen. Außerdem ist das dann echt bisschen viel, was Du hier alles in den paar Zeilen unterbringen möchtest. Wie gesagt, den Leser dazu bringen das zu denken, was der Vater denkt, aber der Vater selbst denkt das nicht.

„Lassen Sie das!“, unterbreche ich den Mann harsch. „Mir tut es leid. Ich weiß nicht, warum …“. Meine Stimme bricht und der Satz wird nur in meinem Kopf vollendet.
Das passt für mich.

Das Männchen schaut mich immer noch an,
wertend (siehe oben)

Aber Finn wollte nicht nach Flensburg wechseln.
Das Motiv des Sohnes. Bisschen schwach auf den Rippen als Motiv für sein Handeln - oder? Ich finde nicht, dass der Text hier eine umfassende, psychologische Betrachtung braucht, um am Ende zu funktionieren, aber deswegen schmeißt sich doch keiner vor die Bahn. Druck und Hochleistungssport dagegen sind für mich schon eher ein Motiv. Das ganze Leben muss dem untergeordnet werden. Das Sportler über Jahre hinweg nur für dieses eine Ziel leben, ist keineswegs selbstverständlich. Sportpsychologen sind zu diesem Thema extrem gefragt. Gilt natürlich auch für andere Bereiche - klassische Musikausbildung, Ballett etc.
Also, Finn will nicht mehr. er hat andere Ziele und Träume, und weil er aber so gut ist, fällt es auch schwer, zu sagen, okay, ich kann/mag nicht mehr. Was ich gut finde, ist der Stolz des Vaters, wie er ihn beim Training beobachtet, wie er über ihn redet. Hat was von - der Sohn muss bringen, was Vater nicht vergönnt war, der sein Leben als Ersatzleben für den Vater eintauscht. Steckt irgendwo in den Zeilen, das wäre eine Erkenntnis, die der Vater da ganz zart anfangen könnte zu begreifen. Das er ihn in den Tod geschickt hat. Indem er anfangs nur von den Erfolgen berichtet und zum Ende hin auch sagt, dass Finn die Hantel nach dem Training an die Wand geschmissen hat. Keine Ahnung, aber wenn man das subtil im Text unter bekäme, wäre ich ein Fan!

Ich habe die einstudierten Sätze vor Augen, die ich mehrmals täglich wiederhole und normalerweise im Schlaf aufsagen kann. Doch nun scheint es so, als spreche ich nur jedes fünfte Word davon. Irgendwie improvisiere ich mich durch den Text. Stelze durch die Phrasen wie ein Reiher durch den Sumpf.
Nice!

Weiter komme ich nicht. Es geht nicht. Da sind keine Worte mehr in mir. Nichts. Keine Wut, nicht mal mehr Trauer. Ich bin leer.
Das auch.

Finn steht nun unmittelbar vor mir. So als wäre er real. Mit baumstammdicken Armen, aber ohne Panzer. Zu allem entschlossen in diesem letzten Moment.
Okay, hier greifst Du das wieder auf. Aber ich mochte es am Anfang nicht. Vielleicht hat er einfach seinen Glanz der Augen verloren, sein Strahlen über Siege, irgendwas anderes, was seine Unzufriedenheit mit dem Leben ausdrückt, was man aber lange nicht einordnen konnte, nicht wahrgenommen hat, weil man es nicht sehen wollte. Das Panzerding ist ja wieder eine Papawertung.

Der Mann, der an jenem Tag die S-Bahn steuerte, diese Bahn, dieses verfluchte Bahn, dieser verfluchte Mann nimmt meine Hand.
Okay, er will ihn für den Tod verantwortlich machen. das macht die Figur aber extrem unglaubhaft. Ich fand schön, dass er sich anstelle seiner Sohnes bei ihm entschuldigen wollte.

„Ihr Sohn war der Dritte in sieben Jahren. Wussten Sie das? Irgendwann reicht`s. Ich fahr nicht mehr. Ich kann das nicht mehr. Will nicht mehr!“
Mit letzter Energie plätschern ein paar der eingebläuten Worte aus mir heraus.
„Finn …“, murmele ich, selbst nach einem Sinn suchend. „Was ihn auch immer auch an diesem Tag … Er war nicht so … Sie müssen ihm …“
Jetzt bin ich es, der unterbrochen wird.
„Vergeben?“
Sogar zum Nicken fehlt mir die Kraft. Es ist vorbei.

„Der Dritte in sieben Jahren!“, sagt der Mann, von dem mein Sohn sich töten ließ.
„Der Dritte in sieben Jahren. Ich kann das nicht mehr.“
Würde m.M. nach voll ausreichen.

Ist spannend, wie sich da zwei Männer gegenübersitzen, wo der eine dem anderen vorwirft, Schuld daran zu sein, dass das Leben die Richtung gewechselt hat. Auch wenn der Vater dem Fahrer nicht die Schuld aufbürden kann, irgendwo tief in ihm drin, ist er natürlich sauer, hätte er nicht den Zug gefahren, hätte er noch bremsen können? Dieser Zweifel bleibt ja. Schon auch, weil er seinen Sohn freisprechen will, was natürlich nicht gelingen kann. Und dieses wackelige Kartenhaus erst recht zusammenfällt, wenn der Mann sagt, drei in sieben. Ich kann nicht mehr. Weil der letzte Strohhalm damit untergeht.

Ja, ich finde den Text tatsächlich spannend. Ich hätte ihn etwas anders angefasst, wie unschwer zu bemerken und ob das dann besser funktionieren würde, keine Ahnung. Schätze aber, dass gerade wenn man so verdichtet, auf Stringenz auf keinen Fall verzichtet werden kann. Und genau die finde ich nicht wirklich.

Hut ab für den Versuch! Und ich habe mich nicht ungern mit dem Text auseinandergesetzt. Ich glaube sogar, dass er funktionieren könnte.

Beste Grüße, Fliege

Nachtrag: Wenn es Dir gelingen würde, zuerst den Leser denken zu lassen, der Fahrer ist der Mörder - hin zu der Erkenntnis, der Sohn ist Selbstmörder hin zu der Erkenntnis des Vaters, seinen Sohn in den Tod getrieben zu haben, wegen Druck und stellvertretendem Leben und so (muss gar nicht groß ausgeführt werden und der Gedanke ist ja auch neu und ein ganz zartes Pflänzlein - das der Leser groß machen muss) - dann wäre ich schwer beeindruckt und ich möchte gern glauben, dass der Text das könnte.

 

So, ganz kurz in der Mittagspause, die lange Antwort gibt es dann heute abend.
Ich habe das hier "verbrochen" und es hat echt Spaß gemacht, zu erleben, wie der Text besprochen wurde.
Das war ein Versuch und ganz vieles, was ich mich selbst gefragt habe und für mich nicht wirklich nach Beendigung der Geschichte greifbar war, wurde mir hier beantwortet.
Es war eine echt spannende erfahrung, weil ich den Maskenball mal dazu nutzen konnte, mich an einem Text auszuprobieren, den ich so sonst nie geschrieben bzw. gepostet hätte. Fängt schon damit an, dass ich niemals nicht bislang mich an Flashfiction versucht habe.
Danke fürs Kommentieren, mehr in Kürze. :)

 

Heute Abend schaffe ich endlich die lange Antwort (zummindest einen Teil davon).

To be continued...

 

So, danke für die Geduld.
Dann fange ich mal an. Erst einmal grundsätzlich: Es hat riesen Spaß gemacht den anonymen Maskenball für diesen Text nutzen zu können. Das war eine megaspannende Erfahrung, die ich zwar mit „Butenschön sichert sich ab“ schon mal gemacht habe, damals allerdings mit einem Text, von dem ich total überzeugt war, und den ich jederzeit auch sofort unter meinem Nick hier veröffentlicht hätte. Was diesmal definitiv anders war.
Ich wollte unbedingt Flash Fiction schreiben. Ich habe mit einem Freund lange über Flash Fiction diskutiert. Ich bin kein Fan davon, die meisten Texte kranken an ziemlich den selben Problemen, die auch mein Text hat. Und ich habe bislang auch noch nie einen Text in dieser Rubik veröffentlicht. Unsere Diskussion ging darum, ob es möglich ist mit dieser Form a) richtig große Gefühle zu beschreiben, b) ein richtig schweres Thema anzufassen und das c) gleich mehrerer Personen elementar betrifft. Ich glaube, dass das geht (und bin überzeugt, dass es hier im Forum Könnerinnen und Könner gibt, die das hinbekommen), war mir aber nach Fertigstellung des Textes ziemlich sicher, dass mir das nicht so richtig überzeugend gelungen ist. Nicht missverstehen, ich mag den Text irgendwie und bin auch bereit, für ihn in die Bresche zu springen, weil ich das ganze Konstrukt immer noch sehr interessant halte. Aber es sind hier sehr viele Punkte kritisch aufgeführt worden, mit denen ich sofort mitgehen würde. Kurzum: In dieser Runde habe ich echt was gelernt.

So jetzt zu den einzelnen KommentatorInnnen:

@Carlo Zwei


Gute erste Sätze. Geschliffen.

Das freut mich ;). Danke.


Würde ich aus dem Tell schieben. Da denke ich noch, es ist irgendeine Geiselnahme oder so etwas, habe Thriller im Kopf. Beinahe muss ich lachen, würde ja fast schon reichen, um die Frage hervorzurufen: Aber warum lacht die Person trotzdem nicht?

Ja, guter Punkt, kommt bei der Überarbeitung raus


Da musste ich an meine Fußballstory denken Da sind die Füchse die gegnerische Mannschaft.

Die Füchse Berlin sind eine Erstligamanschaft aus Reinickendorf. Die gibt es also wirklich. Apropos: Wie ist denn der Titel von deiner Fußballgeschichte.? Würde ich gern lesen!

Hier meinte ich, ein bisschen Chutney rauszulesen :-)

Danke. Das fasse ich als Kompliment auf J … @Chutney


Maskenball schrieb:

Lob im Fachmagazin


könnte man benennen.


Ist oben benannt. Handballwoche! Gibt es wirklich. :p


Die langwährende Unklarheit darüber, was der Mann genau getan hat, wer er ist, in welchem Kontext die sich genau unterhalten, an welchem Ort; dann, was die erzählende Person für ein Verhältnis zu Finn hatte und wie Finn gestorben ist, das führt bei mir dazu, dass ich emotional nicht wirklich reinkomme in den Text, dass es für mich auch nach hinten raus konstruiert wirkt und auf diesen Reveal zugespitzt – dann noch die abgeschlossene Wandlung im letzten Halbsatz, einfach sehr technisch. Es führt vor allem aber zu Unklarheit bei mir.

Das ist sehr spannend, weil das für mich beim Schreiben durchaus einer der Grundkonflikte war. Geht das, diese Unklarheit, der Twist am Ende und trotzdem beim Leser in dieser Kürze eine emotionale Bindung aufzubauen? Ich bin jetzt nicht so vermessen, dass ich schreibe: geht nicht. Ich glaube das kann man schaffen. Mir ist das hier aber offenbar nicht so geglückt. Was ich bereits beim Posten ein bisschen befürchtet habe. Hier ist mir die (selbstgewählte) Kürze des Textes ein bisschen zum Verhängnis geworden.


deses bestimmte Gefühl, wenn du einen Text liest und dich fragst, was du verpasst hast, und eigentlich möchte der/die Autor/in, dich auf die Folter spannen und ja, Spannung erzeugen, aber du hast vor allem das Gefühl etwas verpasst zu haben und das Gefühl, kein klares Bild von den Dingen zu kriegen. Dann am Schluss: Die Auflösung. Wie ein Rätsel, dass sich dann nochmal auflöst. Aber du konntest auch nicht wirklich miträtseln. Das klingt jetzt negativ, ich sehe das aber schon vor dem Hintergrund guten Handwerks.

Ich finde, dass gar nicht so negativ und bedanke mich erst mal für das Kompliment, was ich hier auch rauslese. Beim Rest kann ich nicht wirklich widersprechen. Ich glaube, der Twist ist zu viel des Guten. Zumindest für die Gattung Flash Fiction. Ich kann deine Kritik hier gut nachvollziehen.


Dann im letzten Halbsatz diese im Vergleich zum Tell bessere Infovergabe. Sogar sehr gute Infovergabe (ich habe die mal aus spoiler-Gründen nicht zitiert). Und trotzdem lese ich da sehr den/die Autor/in raus und eine sehr schnell vollzogene Wandlung. Der Mann kann nichts dafür, erklärt das und ist sehr freundlich, dann wird eine Verarbeitung des Themas bei der erzählenden Person angedeutet. Dem fehlt was, ich kann schwer den Finger drauflegen.

Das ist so spannend, weil es wirklich so ist, wie ich es beim Schreiben auch gefühlt habe. Jetzt werde ich mal ein bisschen persönlich: Das war ein relativ krasses Wechselbad der Gefühle, dass ich so sonst beim Schrieben zwar auch, aber selten so extrem habe. Ich bin von „ ja, ist gut so, dass kann man so verstehen, durch diese Andeutung versteht man auch den Vater, bzw. den Bahnfahrer“ (wobei der Vater für mich im Mittelpunkt steht) zu „viel zu kryptisch, nur angerissen, wirkt so nicht“ gependelt.


Vor allem motivational wirkt das auch etwas wackelig. Okay, der ist bereit, sich zu treffen, er ist doch selbst genauso Opfer. Klar, bei dem, was passiert ist, ist so ein Verhalten (die ganzen Anschuldigungen) schon nicht abwegig. Als Außenstehender sehe ich aber das Überzogene daran (was für eine Schuld trifft da den Vater Fahrer (edit: Freudscher Vertipper ). Ich weiß ja auch nicht, ob er hätte bremsen können oder nicht. Für mich hat sich da einer vor den Zug geworfen. Wahrscheinlich aus Leistungsdruck, aber das wird nur hauchdünn als Möglichkeit aufgebaut) und ich sehe diese Reaktion im Zusammenhang mit der Schwere des Verlustes, den Phasen der Trauer, wie auch immer. Dadurch frage ich mich dann schon: was erzählt mir die Geschichte? Erstmal eine emotionale Wandlung, aber viel mehr ist da nicht und so hat das dann für mich etwas von einer kurzen Filmszene. Zugleich ist diese Filmszene schon sehr ratgebermäßig geschrieben (das könnte so nach Lajos Egri oder Robert McKee geschrieben sein). Mir fehlt da das Persönliche. Klar Handball und so. Aber das ist alles sehr auf den Platz seiner Funktion bei der technischen Entwicklung dieses Plots beschränkt. 'Technisch' hat für mich auch immer etwas Kühles, weshalb mich so ein Zugang zu Emotionen nur selten überzeugt, weil ich das einfach nicht authentisch finde. Hollywood kriegt das bei mir dann meistens trotzdem hin, weil es einfach so üppig und stellenweise so verdammt gut ist. Aber da stecken auch hunderte Millionen Dollar und die Arbeit von zig Professionellen drin und nicht nur einer/m.

Auch hier kein Widerspruch. Die Figur des Sohnes habe ich bewusst sehr vage anlegen wollen, sein Motiv ist bewusst offengelassen, a) wegen der Kürze des Textes und b) weil ich es interessant fand, den Leser, die Leserin darüber im Unklaren zu lassen. Ja, der Leitungsdruck könnte ein Grund gewesen sein, es könnte aber genauso gut eine unglückliche Liebe oder was auch immer dahinterstecken. Ich finde, die Frage, ob das zu wenig ist und ob das die Lesenden unzufrieden zurücklässt ebenso legitim wie interessant.
Die Einordnung der Schuldfrage beim Vater finde ich spannend, war für mich der entscheidende Punkt beim Schreiben. Das hat mich am meisten Interessiert. Auch hier habe ich versucht, viel offen zu lassen und dem Leser nur Andeutungen mitzugeben, die ihn in die eine oder andere Richtung führen können. Ich persönlich finde: Der Vater entschuldigt sich am Ende, ja, aber die Frage ist doch, wo er eigentlich die Schuld sieht. Beim Fahrer, bei sich, bei Finn, der doch so ein guter Junge war? Ich sehe total ein, dass das im Text nicht so rüberkommt, wie ich erhofft habe, mag aber die Idee, dass vage zu halten eigentlich immer noch. Die Kunst wäre hier, es gleichzeitig vage UND verständlich zu machen ;)

Also gut geschrieben ist es, aber die Rechnung geht für mich nicht auf. Liebe Maske, ich hoffe, du lässt dich von meinem Leseeindruck nicht runterziehen und nimmst es sportlich.

Überhaupt nicht. Die Kritik hat mir viel gegeben, das mit der Rechnung will ich keineswegs abstreiten und ich fand und finde es sehr spannend, mich damit auseinander zu setzen. Danke dafür.

Ich glaube, dieser Text ist von Fliege. Nach einigem Erwägen und Ausschließen habe ich auch auf Chutney oder Raindog getippt. Aber ich bleibe dabei. Fliege. Handball war definitiv eine Fährte. Vielleicht auch dieses Thema S-Bahn. Mal sehen, was die anderen so denken.

Ok, du hast mich am Ende für Chutney, @Raindog und @Fliege gehalten. Holla! Das ist ein ziemliches Kompliment. Jeder von den Dreien.


Danke und LG svg

Ich merke gerade, dass wird hier doch noch länger, als ich erwartet habe, aber ich nutze ich den morgigen mFreitag und das Wochenende, um alle Kommentare gebührend zu beantworten.

To be continued…

 
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Füchse Berlin

hehe, ja die Reinickendorfer Füchse. Hab früher auch gegen die gespielt (Bei Internationale). Den Namen hab ich dann erst nach einer Vorlesung in älterer deutscher Literatur gecheckt..
Die Story, weil du fragtest, heißt übrigens „Freundschaftsspiel“

LG

 
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So, weiter geht’s.

Moin @Peeperkorn

In meinen Augen ist das ein missglückter Text, weil er die beiden Dinge, die darin angelegt sind, nicht gleichzeitig leisten kann.

Ist nicht unbedingt der erste Satz, den man unter seiner Geschichte lesen will :D, aber hey, ist fair, zumal du vieles ansprichst, was ich auch so empfunden habe. Und du warst der Erste, der eine sehr euphorische Kritik damals unter „Butenschön sichert sich ab“ geschrieben hat, insofern schließt sich hier der Kreis ;). Wie gesagt, es ist nicht so, dass ich zu der Kurzen hier nicht stehe, ich mag die irgendwie, aber vieles von dem, was ich damit transportieren wollte, ist nicht so wie geplant beim Leser angekommen. Und ja, ich wollte hier definitiv zuviel mit einem kuzen Text erreichen.
Aber der Reihe nach:

Maskenball schrieb:

Das wusste nur einer.

An diesem Satz lässt sich, denke ich, einiges festmachen. Wenn der Text die (durchaus interessante) Konstellation zwischen den beiden Männer ausleuchten will, wenn da gezeigt werden soll, wie schwierig diese Situation ist - worauf die zahlreichen Verweise auf die emotionale Verfassung und das Innenleben des Ich-Erzählers hindeuten - dann müssten die Leser*innen mit dieser Konstellation auch vertraut gemacht werden. In diesem Fall stünde hier aber: "Das wusste nur er." Niemand, der wirklich seine Geschichte erzählte, würde an dieser Stelle eine solche Unschärfe einbauen. Diese Unschärfe steht hier nur deshalb, weil die Autorin / der Autor die Leser absichtlich im Unklaren halten wollte, um dann am Ende einen Twist und eine Auflösung vorzulegen. Das bedeutet aber für mich, dass der Text weder Fisch noch Vogel ist. Ich verlasse mich grundsätzlich auf eine Autorin / einen Autor. Wenn mir ein unzuverlässiger Erzähler präsentiert werden soll, dann verlasse ich mich darauf, dass mir der Autor einen Hinweis darauf gibt. Wenn es einen Twist geben soll, dann verlasse ich mich darauf, dass dadurch nicht meine gesamte bisherige Lesart ad absurdum geführt wird. Das ist hier für mein Empfinden nicht der Fall. Der Text führt mich mit dem ersten Satz gezielt aufs Glatteis und entwertet am Ende meine bisherige Leseerfahrung. Das kann reizvoll und spannend sein. In diesem Kontext aber, wo es offenbar darum gehen soll, sich in diese Situation hineinzuversetzen und irgendwie mitzufühlen / mitzudenken, funktioniert das meiner Meinung nach nicht.


Hier musste ich echt grinsen und hab mich gleichzeitig ein bisschen über mich selbst geärgert. Warum? Rate mal, welchen Satz ich als allerallerletzten noch geändert habe! Und jetzt rate mal, was da vorher stand! Genau: das wusste nur er.
Beim letzten Durchlesen vor dem Posten habe ich es geändert, weil ich den von dir beschriebenen Effekt stärken wollte, den Überraschungsmoment am Ende. Offenbart zu sehr.

Die ganze Twist-Sache ist eh einer der heiklen Punkt an dem Text, da gebe ich dir Recht, das war auch mein Gefühl. Auch wenn ich den ja absichtlich setzte, weil genau das eben der Versuch war: Was passt alles in Flash Fiction, wieviel kann ich dem Leser, der Leserin auf einer Seite zumuten, können gleichzeitig Gefühle, Charaktere und ein Twist überzeugend vermittelt werden. Genau daran habe ich mich versucht und genau darüber habe ich auch nach Fertigstellung des Textes immer noch gezweifelt. Insofern finde ich deine klare Aussage hier sehr hilfreich und wichtig – auch weil sie mir als Autor zeigt, dass ich meinen eigenen Zweifeln trauen darf (was ich nicht immer einfach finde, auch bei anderen Texten nicht.)

Ein ganz klein bisschen anders, stehe ich zu dem unzuverlässigen Erzähler. Die liebe ich. Ich mag das. Sowohl lesen, als auch selbst schreiben. Ich brauch da auch nicht unbedingt den Hinweis, weil ich es als Leser mag, lang e im Unklaren zu sein, aber ich verstehe total deinen Einwand. Und ja – wenn es dich völlig überrumpelt hat, dann war es zu viel, ich hätte gern eine Ambivalenz hier hergestellt. Alles ist möglich, in jede Richtung kann hier gedacht werden. Da wäre der von dir angesprochen und von mir zum Schluss geänderte Satz mit §Das wusste nur er“ wahrscheinlich sogar deutlich zielführender gewesen.

Wenn ich mich nun aber doch auf das Psychologische, Emotionale einlasse, dann ist mir das zu holzschnittartig. Gut ist natürlich diese Ambivalenz: Das Gegenüber ist einer, der getötet hat, ein Ackergaul, ein Schatten eines Schattens, da gibt es ein gerüttelt Mass an Projektion und Hass. Auf der anderen Seite hat sich der Ich-Erzähler ja etwas ganz anderes vorgenommen, er will etwas geradebiegen, er will es für seinen Sohn tun. Das finde ich wirklich spannend, dieser Konflikt oder eben diese Ambivalenz. Aber im Text prallt das ziemlich unvermittelt aufeinander, da gibt es wenig Schwanken und wenig Schattierung, eher springt der Text zwischen diesen Extremen hin und her. Ich denke daher, dass der Text viel zu kurz ist, um der Thematik gerecht zu werden. Ich würde mir wünschen und fände es spannend, wenn du dieser Thematik noch mal in größerem Umfang nachgehen würdest.

Vollste Zustimmung. Die Kürze killt den Text. Und ja, mein größter Kritikpunkt an mich selbst war vor dem Hochladen, dass vieles nur ganz knapp angerissen wird. Für mich als Autor ist es vielleicht noch etwas klarer als für den Leser, die Leserin. Aber sehr spannend ist für mich zum Beispiel, dass du es so liest, als wolle er sich für den Sohn entschuldigen. (was natürlich auch so angelegt ist, da sind wir wieder bei der Sache mit alles sehr vage lassen, um am Ende zu überraschen. Die Kritik lasse ich hier definitiv gelten.) Könnte man es nicht auch so verstehen, dass der Vater sich nur deshalb entschuldigt, weil SEIN guter Sohn so etwas nicht macht. Ist die Motivation des Vaters dann nicht eher Selbstsucht.
Ja, ich bin bei dir. Das ist ein Grund, warum ich m it dem Text nicht richtig glücklich bin, in einem längeren Kontext hätte ich das anders aufgebaut. Ach, ich merke gerade wieder, warum ich Flash Fiction nicht so richtig mag ;)

Handwerklich kann mich der Text nicht so ganz überzeugen. Das liegt unter anderem daran, dass an einigen Stellen gesagt wird, wie ich eine Szene lesen soll oder was gerade eben gezeigt worden ist.

Ich werde den Text daraufhin nochmal lesen. Was sicherlich stimmt, ist, dass ich Regieanweisungen einsetzen, um die Kürze des Textes beibehalten zu können.

Diesen Vergleich hier finde ich sehr schön:
Maskenball schrieb:

Stelze durch die Phrasen wie ein Reiher durch den Sumpf.


Und wieder musste ich grinsen. Das ist nämlich der Satz, den ich als vorletztes eingefügt habe. Und hier war ich mir echt nicht schlüssig, ob das Bild passt. ;)

Ich weiss nicht, wer den Text geschrieben haben könnte, auf keinen Fall aber eine der drei Autorinnen, die Carlo Zwei genannt hat.

Nee, haben sie nicht ;)

Lieber Peeperkorn, das Schöne am Maskenball ist, dass sich Verrisse (ich habe deinen übrigens als sehr freundlich und durchaus auch stellenweise lobend wahrgenommen) viel leichter lesen, als wenn man direkt seinen Nick drübersetzt. Gerade wenn es sich, um einen Versuch handelt, den man im Ergebnis selbst. Nicht so ganz greifen kann.
Dein Kommentar hat mir dabei geholfen.
Als Folge tendiere ich dazu, deutlich mehr Fleisch, um die Geschichte zu packen, und das Terrain der Flash Fiction schleunigst wieder zu verlassen.
Herzlichen Dank und LG

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Moin @kiroly,

danke für deinen langen Kommentar. Ich finde es sehr cool, dass die Kommentare zum Text zum Teil länger sind als der Text selbst, und das ist nicht als Kritik gemeint, sondern zeigt mir einfach, warum „Wortkrieger.de“ nach wie vor ne geile Seite ist.

Ich denke, dass Sprache und Perspektive die emotionale Wucht der Themen nicht leisten können. Das mag härter klingen, als es sich anhört. Die Beziehungen zwischen den drei Charakteren des Textes - Finn schließe ich mit ein - sind emotional überfordernd und massiv.

Ja, genau das war die Frage, die ich mir gestellt habe. Geht das auf so engen Raum. Ich habe es oben schon mal geschrieben, mache es aber gern noch einmal: ich glaube, es gibt Autorinnen und Autoren, die das können, mir ist es nicht geglückt

Der Vater glaubt, der S-Bahn-Fahrer habe das Kind getötet. Der S-Bahn-Fahrer fühltsich schuldig, bittet um Verzeihung und Verständnis. Warum Finn gestorben ist - aus einer suizidalen Handlung, Fahrlässigkeit, Mutprobe, Unfall - wird für mich nicht deutlich. Ich tendiere stark zum Suizid Finns.

Kurzer Einschub: Ja, ist von mir als Suizid gedacht. Hier wollte ich nicht einmal vage sein, während eine gewisse Ungenauigkeit sonst ja gewollt und angelegt war. Spannend aber, dass du gleich weitere plausible Möglichkeiten aufzählst, die für mich überhaupt keine Rolle beim Schreiben gespielt haben. Für mich war der Selbstmord ganz klar.

Die gewählte Ich-Perspektive schildert jedoch die Interpretation des Vaters, der sich einen Suizid nicht vorstellen kann, anders als der S-Bahn-Fahrer. Suizid des eigenen Kindes bedeutet jedoch für den Vater, eine mögliche Schuld zu empfinden, doch schließt der Vater den Suizid aus. Ob er ihn verdrängt, ob er nicht anders kann, präzisiert der Text meiner Meinung nicht. Ich lese die letzten Zeilen als "knapp vor der Auflösung".

Ich freu mich gerade echt über die Interpretation. Hier ein klares Jein von mir (soweit ich mir das als Autor leisten kann, weil letztlich ja doch der Lesende entscheidet.) Ich finde es spannend, dass du offenbar ausschließt, dass der Vater einen Suizid seines Sohnes ausschließt. Ich habe mich beim Schreiben viel mehr gefragt, wie kann er sich den plausibel machen, den Suizid „schönreden“, sich und seinen Sohn emotional davon freisprechen und trotzdem den S-Bahn-Fahrer auf einer rationalen Ebene davon freisprechen. Und nein, ich glaube nicht, dass mir das geglückt ist ;).

Die Beziehung zwischen Vater und Sohn reduzierst du in Deinem Text auf den Handballsport. Finn stand auf dem Sprung in den Profi-Sport, als er starb. Das wirkt auf mich distanziert. Standen sich Vater und Sohn so distanziert? Wolltest du in deinem Text einen ehrgeizigen Vater schildern, der die Sportkarriere des Sohns in den Vordergrund rückte? Das ist ja ein recht klassisches Motiv: Überehrgeizige Eltern, die ihre Kinder überfordern, Warnsignale nicht wahrnehmen, bis es zum Zusammenbruch kommt. Wie dieser Zusammenbruch aussieht, spiegelt die familiäre Beziehung wieder. In deinem Text hast du den Suizid gewählt (falls es so gekommen ist), also - es mag zynisch klingen - den radikalsten Bruch, der menschlich vorstellbar ist.

Und wieder spannend, weil (ich glaube, dass ich das schon oben schon geschrieben habe) ich das Motiv nicht unbedingt beim Sport sehe. Finn kann sich auch wegen einer unglücklichen Liebe oder persönlichen Problemen vor den Zug geworfen haben. Hier ist bei der Kürze der Geschichte vielleicht der Satz „Aber Finn wollte nicht nach Flensburg wechseln“, das Problem, den ich aber zugegebener Maßen als Finte eingebaut habe. Letztlich könnte der weitergehen: Finn wollte sich das Leben nehmen.

Sowohl S-Bahn-Fahrer und Vater müssen mit dem Tod umgehen. Zum S-Bahn-Fahrer: Er bittet um Vergebung, er fühlt sich schuldig. Die technischen Eigenschaften der S-Bahn machen den Schienensuizid so extrem, so traumatisierend: Der S-Bahn-Fahrer wusste, dass Finn sterben wird und er wusste, dass er als Verantwortlicher nichts, gar nichts tun kann.

Zustimmung, auch wenn ich das alles aufgrund des Genres versucht habe, in einem einzigen, sich wiederholenden Satz, bzw. in der kurzen Reaktion des Fahrers reinzubekommen.

Die Perspektive ist die des Vaters. Ich als Leser erfahre, wie der Vater fühlt und denkt. Das ist die härteste Perspektive, die für das Setting gewählt werden kann. Denn hier fallen ambivalente Emotionen und Denkweisen wild übereinander her: Schuld oder Verständnis für den S-Bahn-Fahrer? Akzeptanz des Suizids oder nicht? Eigene emotionale Überforderung oder der Versuch, sich zu kontrollieren? Ich bin ehrlich: Ich weiß gar nicht, wie so etwas als Kurzgeschichte geschrieben werden kann, ohne "holzschnittartig" zu wirken. Das ist so krass gigantisch überviel, was in diesem Augenblick auf den Mann einprasselt, dass der überhaupt noch einen Gedanken fassen kann ... irre. Einfach irre.

Und auch hier Zustimmung: Wenn ich den Text überarbeite, wird er länger und genau dieser Aspekt eine größere Rolle spielen. Gerade das finde ich interessant. Und ich dachte, man könne das in der Kürze angedeutet herauslesen. Ich sehe ein: sehr, sehr schwierig.

Mich würde der Kern deines Textes interessieren. Geht es dir um Schuld und Vergebung? Um Verarbeitung des Suizids eines Angehörigen? Um Leistungsdruck, den Eltern auf ihre Kinder ausüben? Um Suizid im Bahnverkehr? Oder um Verdrängung? Ganz subjektiv fände ich letztes Thema am interessantesten, aber dann entstände hier ein ganz neuer Text.

Kann ich dir klar beantworten: Um Schuld und Verdrängung. Die beiden Dinge. Ich sehe ein, dass sich das bei der Kürze des Textes nicht mit dem gleichzeitigen Twistwunsch deckt. Letzteren kann man durchaus in Frage stellen, oder in einem längeren Kontext runder einfügen. Und generell habe ich es dafür zu unklar gehalten.

Nebenbei gefragt: Wo ist eigentlich die Mutter?
Ganz ehrlich? Keine Ahnung ;) Die war mir aber nicht wichtig in diesem Text.

Nachtrag:

Ich denke, auf den Verfasser treffen folgende Merkmale zu:
- wohnhaft in Berlin (Handballliga Nord-Ost und S-Bahn) oder mit biographischem Bezug zu Berlin


Nee, aus Kiel. Ich mag Berlin nicht sonderlich. Drei meiner Ex-Freundinnen leben da inzwischen. Was aber nichts mit Berlin zu tun, den die drei sind alle sehr nett und es gibt noch guten Kontakt. Sollte ein zufällig mitlesen: liebe Grüße! ;)
- jemand, der noch nicht so lange am Schreiben ist

hmmmm ;) Zeit ist relativ!

oder
- jemand, der schon sehr lange schreibt, jedoch beim Schreiben zwei Orientierungspunkten gefolgt ist: a) einfache Sprache und b) hoher Dilemma-Gehalt, woraus ich c) folgere: Eher publikumswirksam

a und b stimmt definitiv, c war mir jetzt nicht so wichtig. Zu a) irgendwie verbinde ich einfachere Sprache mit Flash Fiction. Sage aber nicht, dass das wirklich so ist. Und generell muss man wohl konstatieren: Es gibt hier eindeutig sprachgewaltigere Autorinnen und Autoren als mich.
- ohne, dass ich das jetzt irgendwie negativ werten mag, aber jemand, der einen Schreibratgeber gelesen hat, in dem von einer kleinen Figurenkonstellation, einer möglichst komplizierten moralischen Ausgangslage für die Figuren, einem gütigen Ende und einer eingängigen Sprache als beste Merkmale einer ordentliche Kurzgeschichte berichtet wird und diese Merkmale anwenden wollte

Hier liegste mal komplett falsch. Ich habe in meinem Leben noch keinen Schreibratgeber gelesen (außer vor langer Zeit mal das Buch von Stephen King, aber das ehrlich gesagt auch nur immer mal wieder so nebenbei). Sollte ich vielleicht aber mal tun. ;)

Lieber kiroly, auch dir vielen Dank für den äußerst interessanten und hilfreichen Kommentar.

LG svg

WIRD FORTGESETZT

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin @Billi, erst einmal, danke für deine Geduld.

Schwierig. Aber ich probiers mal.

Ja, schwierig trifft es gut. ;) Und danke fürs Probieren.

Die Geschichte liegt einer grandiosen Idee zugrunde. Auseinandersetzung eines Vaters mit einem Fremden, der von seinem Sohn dazu benutzt wurde, Selbstmord zu begehen.
Ich würde den Rahmen der Geschichte ändern und sie auf dem Friedhof spielen lassen. Unmittelbar nach der Beerdigung des Sohnes. Den S-Bahnfahrer als Zaungast, der dem Jungen Mann die letzte Ehre erweist. Damit hätte ich den Leser schon in der Grundstimmung der Geschichte. Ich würde Begriffe wie Ackergaul und Kobold weglassen, weil sie in die Ernsthaftigkeit des väterlichen Denkens nicht hineinpasst. Der Vater sollte seine Sätze beenden dürfen um seine Sorgen besser verstehen zu können.

Ja, ich werde in einer längeren Variante (zu der Kürze der Geschichte ist ja nun schon viel gesagt worden, war ja das Experiment) genau darauf eingehen. Wobei, möglicherweise kämen in einer längeren Fassung die von dir erwähnten Begrifflichkeiten auch anders rüber. Das muss ich ausprobieren. Aber danke für den hilfreichen Hinweis.


Die Beziehung zu seinem Sohn ist nur aufgebaut auf Leistung und schön beschrieben. Mir gefällt auch die Wandlung vom Ankläger zum reuigen Vater, dem es während des Gespräches dämmert, dass in der Beziehung zu seinem Sohn etwas krank war. Ich finde auch die Andeutung, schon der Dritte in sieben Jahren super, weil es eine gesellschaftskritische Aussage ist, die das Leistungsdenken und Gesellschaftlich vorgegebene Werte hinterfragt. Warum bringen sich junge Männer oder Frauen im besten Alter und in der Höhe ihres Zenits um?

Das freut mich, dass es in dieser Kürze offenbar in einem gewissen Rahmen funktioniert. Auch hier gilt: In einer längeren Fassung würde das natürlich ausgebaut werden. Trotzdem noch einmal: Danke für das Lob :).


Ich finde die Geschichte gelungen und würde sie gerne einigen Eltern zum Lesen geben. Allerdings würde ich sie länger machen, weil ich das Team richtig spannend finde. Vielen Dank dafür.

Wird sie demnächst ;). Ich habe zu danken.

LG svg

Moin @Kanji

die thematische Auseinandersetzung mit dem Thema Depression im Leistungssport ist allemal Geschichte wert. So lese ich das zumindest.

Das freut mich schon mal sehr, dann war das Posten nicht umsonst :D… Allerdings: Ja, der Grund für den Selbstmord (schrieb ich ja schon oben) KÖNNTE mit dem Leistungssport und dem Druck zu tun haben, muss aber in dieser Version nicht. Spannend ist für mich, wie es sich entwickelt, wenn ich die Geschichte länger mache. Ob ich dann vage bleiben kann, oder automatisch mehr über Finns Motive schrieben muss und werde. Weiß ich noch nicht stand heute, wird sich aber zeigen.

Für meinen Geschmack wird diese Form aber dem Thema nicht gerecht. Weder was den Stil, den Ton angeht, noch die Kürze oder der Effekt, den Leser hinzuhalten. So wird die Dichte des Gesamten nicht deutlich, weil keiner von den drei Protagonisten wirklich ausgeleuchtet wird, weder als Person, noch in ihrer Handlung. Allesamt kommen sie viel zu kurz, ich erfahre nichts über sie und ihren Platz in der Geschichte. Ich erfahre auch sonst nichts, außer dass der Vater wütend auf den S-Bahn-Fahrer ist, was zumindest einen recht unsympathischen Charakter aufzeigt, noch welchen Leidensweg der Sohn gegangen sein muss, nichts vom Vater-Sohn-Verhältnis, auch nicht viel vom Vater selbst, außer seinem Stolz auf die Leistung seines Sohns. Einzig dem armen S-Bahn-Fahrer nehme seinen Frust ab, nur wirkt auch der viel zu unbeteiligt für seinen Entschluss nicht mehr seinen Job auszuüben.

Ja, gut und fair analysiert und ich gehe damit. Du beantwortest viele meiner Fragen, die ich vor dem Posten des Testes hatte. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber der Versuch war in Flash Fiction so viel wie möglich reinzupacken, teilweise nur angedeutet und dann noch einen Twist am Ende haben. Sagen wir mal so: Es war ein hoher Anspruch, der nur flach ungesetzt werden konnte ;).

Am Ende merke ich, dass keine Emotion in mir zurückbleibt und dabei leide ich und freue mich so gerne mit den Protagonisten einer Geschichte. Hier erreicht mich nichts.


Ja, finde ich auch ich nachvollziehbar.

Du hättest dir Zeit lassen und die Charaktere wachsen lassen können, möglicherweise in gedachten Rückblicken als Dialog, oder in einem echten Gespräch zwischen dem S-Bahn-Fahrer und dem Vater.

Wird demnächst in einer längeren Version umgesetzt. Na ja, versucht umzusetzen ;)

Ich kann diese Geschichte keinem der mir bekannten Wortkrieger zuordnen, wage aber zu behaupten, dass es sich bei dem/der Autor*In um einen weniger routinierten Schreibling handelt.

Aua :lol:… nein ernsthaft, in Flash Fiction trifft das absolut zu. Ich finde deas Genre echt schwer. Und was mich natürlich voll gefreut hat. Dass du mich nicht erkannt hast, obwohl du für die Lesung ja ganz viele meiner Texte lesen musstest. Das war nett ;)

Danke für deine Zeit, Gedanken und den hilfreichen Kommentar.


LG svg


Wird fortgesetzt!

 

Hi @Manuela K.,

zunächst einmal, entschuldige bitte die lange Zeit die zwischen deinem Kommentar und meiner Antwort vergangen sind, ich bin beruflich derzeit sehr stark eingebunden und gehöre gerade zu den Menschen, die trotz Covid oder genauer gerade wegen Covid fast mehr arbeiten als vor der Pandemie.
Ich habe mich über deinen Kommentar gefreut und viel Interessantes für mich herausgezogen. Dafür schon mal vielen Dank an dieser Stelle

Dein (zu kurzer) Text lässt mich unbefriedigt zurück.

Da warst du nicht die einzige und ich arbeite derzeit an einer längeren Version. Ich habe es ja schon vorher geschrieben, das Experiment möglichst viel, möglichst dramatisch, möglichst angedeutet mit überraschendem Twist in einen möglich kurzen Text unterzubringen ist tendenziell eher misslungen. ?
Das an sich hochinteressante Thema wird m.A.n. nicht ausreichend dargestellt.

Teil eins des Satzes freut mich natürlich, denn ich finde das Thema nach wie vor sehr reizvoll. Teil zwei stimmt leider noch immer ?.


Ich weiß am Ende nichts. Deshalb fehlt mir auch jegliche Empathie für alle drei Figuren. Weder erfahre ich etwas über das Innenleben des Sohnes, noch über das Innenleben des U-Bahnfahrers. Nur die Verzweiflung, Trauer und Abneigung des Vaters zeigst du mittels abwertender Beschreibung: Was war mein Sohn für ein toller, attraktiver, zukunftsträchtiger Athlet, und welch mickriger, unappetitlicher Knilch mit ungepflegten gelben Zähnen bis du, du Kobold, Hänfling, Männchen.
Wohl beschreibst du die sportlich herausragenden Leistungen, aber nicht einmal richtest du den Scheinwerfer auf das Innenleben des Sohnes. So bleibt er für mich blass. Zu blass für Empathie mit einer so schrecklichen Tat.
Dies aufzuzeigen, ginge via Vater relativ leicht, mittels Rückblick auf ein Gespräch, ein gemeinsames Erlebnis, etc. das würde den Sohn lebendiger, sein Motiv spürbarer machen. Möglicherweise würde dann auch die Rolle des Vaters, als Erzieher, als ehrgeiziger Trainer? kritisch beleuchtet werden. Dafür bräuchte der Text aber mehr Substanz.

Auf der einen Seite super, denn das war genau eine der Fragen, die ich mir beim Schreiben gestellt habe, was weiß der Leser, die Leserin am Ende? Und reicht er oder ihr das?
Den Sohn habe ich in dieser Kürze hier bewusst ausgeblendet.
Aber: Die Substanz ist nicht da. Und dann macht das ganze Experiment wenig Sinn, bzw. ist für die Leserschaft unbefriedigend. Auch da bin ich bei dir.

Maskenball schrieb:

Das wusste nur einer.

Dieser Satz lässt eine Menge Interpretation zu.
Das wusste nur er, lasse ich nicht gelten, da ich mir schwerlich vorstellen kann, dass der Sohn zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Abgang plante. Hätte er da noch fleißig trainiert?
Das wusste nur Gott? Mögliche Lösung für Religiöse.
Der U-Bahnfahrer konnte es nicht wissen. Also wer?

Hier freue ich mich wieder, weil diese Interpretationsfreiheit schon so gewollt war. Im Prinzip kann hier zumindest bei erster Lektüre auch noch der S-Bahn-Fahrer gemeint sein. Das schließt ja erst der Twist am Ende aus.


Maskenball schrieb:

Doch nun scheint es so, als spreche ich nur jedes fünfte Word davon.

Ich denke, hier wäre der Konjunktiv angebracht: spräche, würde sprechen


Danke, ändere ich gleich.

Der Vergleich mit dem Reiher ist erstklassig.
Vögel gehen immer :p


Liebe Manuela, herzlichen Dank, nochmals soryy fürs Wartenlassen und LG
svg

Jetzt wollen die Hunde raus, aber dieses Wochenende mach ich alle Kommentare fertig, hab mal frei ?

 

Hallo Maske, ich finde diese Geschichte richtig klasse. Sie hat alle Elemente, die eine Kurzgeschichte haben sollte. Sie beginnt mitten im Geschehen und als Leser*in muss man sich erst einmal orientieren, wer, wo ist. Nach und nach klärt sich der Sachverhalt auf, doch bis es soweit ist, durchlebt man eine gedankliche Reise. Ich hatte erst gedacht beide Personen sitzen sich vielleicht in einem Gefängnis gegenüber. Dazu passte dann der abwehrende Satz: „Was wollen Sie von mir hören? Dass es mir leidtut?“

Später klärt sich auf, dass der erfolgreiche Sohn sich vor die S-Bahn geworfen hat und ich finde gut, dass hier dann die Sichtweise des S-Bahnfahrers widergespiegelt wird. Den Part hätte ich mir noch etwas ausführlicher gewünscht, sonst war alles top - meiner Meinung nach.

Was mir bei der Kritik der anderen auffällt, ist, dass hier die Charakteristika einer Kurzgeschichte kritisiert werden. Aber genau die müssen rein. Zudem ist jede Geschichte, ganz gleich welchen Genres, konstruiert. Das muss sie ja auch, um Wirkung zu zeigen. Also nicht entmutigen lassen. Weiter so!

 

Und die nächste Runde ;) ...

Moin @Pepe86,

auch hier zunächst einmal sorry fürs lange Warten. Danke für deinen Kommentar.

Hallo Maske, ich fand’s solide geschrieben, aber (und da muss ich mich einigen anderen Meinungen anschließen) viel zu kurz, um eine emotionale Bindung zu irgendwem der drei aufzubauen. Dabei ist die Thematik echt spannend. Wie "Mörder“ und Hinterbliebene miteinander umgehen. Hoffe, du hast weiter so gute Ideen.

Danke, freut mich, dass es dir von der Schreibe her gefallen hat. Was das andere betrifft: Ich denke ja immer, boah svg, jetzt verteidige deine Kurze mal ein bisschen mehr, aber ihr – und in diesem Fall du hast – bzw. habt ja recht ;). Sie ist zu kurz. Deswegen auch hier, was ich schon anderen geschrieben habe: ich stricke in einer neuen Version mehr Fleisch dran. Nur: Wann diese Version kommt steht noch ein bisschen in den Sternen. ;)


Maskenball schrieb:

Wieder und wieder, ein Besessener und doch scheinbar mühelos mit Armen wie Baumstämme.

Der Satz ist total wirr. Also ich verstehe was gemeint ist, trotzdem hat er mich aufgrund seiner Wortstellung rausgerissen.

Ja, verstehe ich. Eigentlich gut, dass du so empfindest, denn hier wollte ich das Gedankenchaos des Vaters aufzeigen. Ob es rüberkommt, ist wahrscheinlich auch eine Frage der Kürze bzw. Länge. Der Satz ist für die Überarbeitung auf jeden Fall notiert.


Wird gleich geändert.

LG svg


Moin @Manfred Deppi
die Entschuldigung weiteroben, gilt natürlich auch für dich ;)

Dem Ganzen liegt was total spannendes zugrunde. Der Fahrer hat den Jungen (unfreiwillig) getötet. Jetzt bittet aber das Ich, Elternteil des Toten, den Fahrer um Verzeihung. Gleichzeitig ist aber auch das Ich noch mitgenommen von dem Tod seines Sohnes, was ja verständlich ist, und ist dem Mann irgendwo böse, was eigentlich nicht verständlich ist, durch die Umstände aber doch verständlich wird. Und nebenbei deutet sich an, dass Finns Selbstmord auf Leistungsdruck zurückzuführen und das Ich daran mitverantwortlich ist.
Dieses Verhältnis ist dir richtig gut gelungen, weil es (emotionale) Tiefe hat und ungewöhnlich ist. Die Umsetzung aber finde ich schwierig; schwierig ist auch, den Grund dafür zu finden.

Darüber habe ich mich gefreut, denn trotz allem Versuchscharakter soll der Text natürlich auch etwas aussagen. Ich will und kann mich nicht hinter dem Argument „das war ein Flash-Fiction-Experiment“ verstecken. Der Text muss natürlich trotzdem etwas transportieren. Bei der Umsetzung bin ich, wie ich es auch schon bei vielen Vorkritikern schrieb, voll bei dir.

Ein Versuch, die Probleme des Textes zu defininieren:

1. Emotional erreicht mich der Anfang des Textes überhaupt nicht. Und das ist verwunderlich, denn das Thema ist hochemotional, es ist ebenso emotional geschrieben und mich persönlich beschäftigt der Tod in Geschichten eigentlich (fast) immer.
2.

Maskenball schrieb:

„Lassen Sie das!“, unterbreche ich den Mann harsch. „Mir tut es leid. Ich weiß nicht, warum …“. Meine Stimme bricht und der Satz wird nur in meinem Kopf vollendet.

Maskenball schrieb:

„Sie trifft … nun, er hat wohl … also… Sie haben nicht ... an dem … was …“
Weiter komme ich nicht. Es geht nicht. Da sind keine Worte mehr in mir. Nichts. Keine Wut, nicht mal mehr Trauer. Ich bin leer.

Hier deutet sich langsam das tatsächliche Verhältnis zwischen den beiden an. Das löst du dann in einer Art Twist auf, doch das funktioniert für mich nicht. Wirkt zu künstlich. Und erreicht mich nicht so, wie es sollte.

Leider funktionieren also - zumindest für mich - die beiden wichtigsten Aspekte des Textes nicht: die Emotionen und der Twist. Ich möchte dir einen Vorschlag machen:

Du schreibst zwar emotional und darin nicht schlecht, das hat man aber auch alles schon tausendmal gelesen. Ich hab mich fast geschämt, bei einem solchen Thema mit den Augen zu rollen und zu sagen: Jaja, kenn ich doch, kenn ich doch.


Ja, auch hier bin ich durchaus bei dir. Der Twist am Ende ist ein Problem. Zumindest bei der kürze des Textes. Ob es in einer längeren Version besser funktioniert, muss ich ausprobieren. Um den Twist am Ende einigermaßen glaubhaft ausspielen zu können, habe ich die Emotionen vage gelassen, um den Leser, die Leserin relativ lange auf einer anderen Spur zu lassen. Das hat nicht funktioniert, bzw. nimmt dem Text die Tiefe, die er aufgrund seines Themas verdient hätte.

Eine Ausnahme ist das hier übrigens, um mal was richtig positives zu sagen:

Maskenball schrieb:

Irgendwie improvisiere ich mich durch den Text. Stelze durch die Phrasen wie ein Reiher durch den Sumpf.

Das habe ich so geliebt!
Und auch der erste Absatz war toll, vor allem das Ende.

Maskenball schrieb:

Der Mann, der meinen Sohn getötet hat, sieht müde aus. Seine dünnen Fingern trommeln nervös und ohne jedes Taktgefühl auf der Tischplatte. Ein-, zweimal öffnet er den Mund und ich sehe große, gelbe Zähne, das Gebiss eines Ackergauls, aber es kommt kein Wort raus. Nicht einmal ein Wiehern.


Auch bei einem Geht-so-Text freut man sich über Lob ;). Danke!

Aber ansonsten:

Maskenball schrieb:

Neben Finn würde er wie ein hässlicher, alter Kobold aussehen, durchfährt es mich. Aber Finn ist tot. Während der Kobold hier hockt und dieselbe Luft atmet wie ich.

Die Sache mit dem Kobold ist nett, das Fette kommt mir wie kopiert vor. Das will ich dir nicht unterstellen, aber so wirkt's halt, weil das echt ne Standartformulierung ist, irgendwie.

Maskenball schrieb:

Ich will das nicht hören, will ihm das Maul stopfen, ihm einfach die seit Wochen immer wieder zurechtgelegten Worte ins Gesicht schreien.

Wut, jaja, kennt man. Und Worte zurechtgelegt und dann im entscheidenen Moment vergessen ... kennt man auch.

Maskenball schrieb:

Es ist so absurd, dass ich beinahe lachen muss.

Klingt böse, sorry, aber: schnarch.

Böse gibt es hier nicht ;). Angestrichen und wird bei der Überarbeitung nochmal genau angesehen.

Maskenball schrieb:

Finn war fast zwei Meter groß. Nicht kaputt zu kriegen. Und so verdammt talentiert. Die Handballwoche hatte ihn nach der vergangenen Saison zu einem der drei hoffnungsvollsten Spielern in der 3. Liga Nord-Ost gekürt. Mit Siebzehn bereits die Nummer eins im linken Rückraum, der Königsposition. Ein Talent, wie man es nur alle zehn, zwölf Jahre findet. Und trotzdem: absolut klar im Kopf. Lemgo war an ihm dran, die Füchse auch, von denen gab sogar ein konkretes Vertragsangebot. Ja, selbst die SG Flensburg-Handewitt hatte Interesse.

Und das hat mich dann auch überhaupt nicht erreicht. Jaja, okay, das Ich findet den Sohn toll, der war ja so talentiert ...


Der einzige Punkt, wo ich widerspreche. (Ha, jetzt verteidige ich meine Kurze doch einmal ;)) Zumindest bei dieser Kurzfassung. Vielmehr scheint der Vater nicht zu haben von seinem Sohn. Was eine Menge über ihn aussagt, wie ich finde. Ich streite nicht ab, dass das durch die Textkürze vielleicht zu stark gewichtet ist, aber ich glaube, in einer langen Fassung fände ich es auch interessant, wenn dieser Aspekt, ein Vater, der seinen toten Sohn vor allem nur als das Sporttalent betrauern kann, das er gewesen ist, interessant.

Das Problem ist insgesamt nicht deine Schreibe an sich, denn die ist durchaus gekonnt, das Problem ist eher, dass man ja nun doch schon oft genug von Eltern gelesen hat, die ihre Kinder verloren haben. Da einfach nur auf Emotional zu pochen bringt's dann irgendwann nicht mehr. Da braucht's was eigenes. Und das kannst du ja durchaus liefern, du hattest da ja einen großartigen Einfall:

Maskenball schrieb:

Ich erstarre. Und warte selbst nur noch darauf, dass mich der Zug überrollt.
Der Mann, der an jenem Tag die S-Bahn steuerte, diese Bahn, dieses verfluchte Bahn, dieser verfluchte Mann nimmt meine Hand. Die Geste ist abstoßend und tröstlich zugleich. In mir zerbricht etwas. Ich glaube nicht, dass ich noch weiterkann.
Die erstaunlich dunkle Stimme spricht zu mir.
„Ihr Sohn war der Dritte in sieben Jahren. Wussten Sie das? Irgendwann reicht`s. Ich fahr nicht mehr. Ich kann das nicht mehr. Will nicht mehr!“

Erweitern ...

Ich frage mich, warum du das so als Twist aufgebaut hast. Wirkt auf den ersten Blick wie eine gute Idee, aber wenn der Text erst mit dem Twist interessant wird, dann liest man meist gar nicht bis zum Twist.
Ich würde die gleiche Geschichte also von Anfang an anders aufziehen. Von Anfang an zeigen, was hier Sache ist - nicht jede gute Geschichte braucht eine Wendung! Vielleicht Mehrperspektivisch arbeiten? Auktorialer Erzähler also? Das Emotionale reduzieren (wozu wahrscheinlich auch ein auktorialer Erzähler notwendig wäre), weil man das schon kennt, und sich auf das Verhältnis der Figuren und die Schuldfrage konzentrieren, weil man das noch nicht kennt. Oder vielleicht nicht auktorial, aber den Fahrer als Perspektive? Ich würde da ein bisschen experimentieren, was genau davon am besten funktioniert, kann dir dir natürlich schlecht sagen.


Hier bin ich wieder ganz an deiner Seite. Der Twist ist ein Problem. S.o. Ich bin noch nicht ganz schlüssig, wie ich bei einer Überarbeitung damit verfahren soll und werde,

Bleibt für mich die Frage: Ist der Text zu kurz?
Ich finde, du kannst zwei Wege gehen: Deutlich ausbauen oder verdichten, konkretisieren und richtig gute Flash-Fiction schreiben. In der aktuellen Fassung ist der Text, meines Erachtens, von der Länge her Flash-Fiction und vom Inhalt eine stark gekürzte Kurzgeschichte. Aber Flash-Fiction muss mehr sein als das, das ist eine ganz eigene Art, zu schreiben.
Seit ich letztens Flash Fiction, 72 Very Short Stories gelesen habe, bin ich ja sehr angetan von dem Genre. Kennst du das Buch? Falls nicht, würde ich es dir als Inspiration sehr ans Herz legen. Da ist wirklich viel gutes drin, was mich jetzt im Nachhinein ein bisschen an deine Geschichte erinnert (wenn man sie etwas anders aufzieht).

Deutlich ausbauen? Ja! Verdichten? Eher nein! Ich bin schon vor diesem Versuch nicht mit Flash Fiction wirklich warm geworden, das hat sich jetzt nicht wirklich geändert. Aber danke für den Lesetipp, klingt spannend, lehrreich und werde ich mir mal zu Gemüte führen

Aber ganz eindeutig kann ich dir auch nicht sagen, was du anders machen musst. Auf jedenfall den Twist rausschreiben, finde ich jedenfalls (ist aber natürlich deine Entscheidung ...). Vielleicht steht ja in den restlichen Kommentaren noch was passendes. Trotz allem habe ich deine Geschichte gerne gelesen, denn ab dem Twist wurde sie ja richtig interessant.

War ein interessanter Einblick für mich, danke für deine Mühe und den Kommentar.
LG


Moin @Rob F
Müßig zu schreiben, aber die Entschuldigung fürs lange Warten lassen gilt natürlich auch dir.

auch wenn ich gerne etwas lese oder schreibe, was Raum für Interpretationen lässt, bei dem Manches bewusst im Unklaren bleibt, finde ich es bei dieser Handlungsidee eher unpassend.

Zustimmung! Ich bin inzwischen mehr als überzeugt ?
Denn ich finde die Idee, die schwierige emotionale Situation, ziemlich gut für eine Kurzgeschichte. Vor allem auch, es als Gesprächssituation zwischen dem S-Bahn-Fahrer und Finns Vater zu gestalten. Für mich würde der Text deutlich gewinnen, wenn du es demnach auch nur als "leicht verständlichen" Dialog schreibst und dich auf die Emotionen der beiden Personen konzentrierst. Vielleicht auch mal bewusste Gesprächspausen einsetzt, einer von beiden könnte z.B. rauchen, oder so in diese Richtung als Schwerpunkt.

Nicht uninteressanter Gesichtspunkt, den ich bei einer Überarbeitung mit in meine Überlegungen einbeziehen werde.

Da schließe ich mich vorherigen Kommentaren an, du versuchst hier eine kreative Darstellung zu finden, durch die der interessante Mittelpunkt der Handlung verloren geht.

Und nochmal: Ja. Zustimmung!

Noch einige Details:

Maskenball schrieb:

Der Mann, der meinen Sohn getötet hat, sieht müde aus.

Guter Einstieg in die Geschichte, mal schon mal neugierig!

Maskenball schrieb:

Seine dünnen Fingern trommeln nervös und ohne jedes Taktgefühl auf der Tischplatte.

Finger

Maskenball schrieb:

Die Handballwoche hatte ihn nach der vergangenen Saison zu einem der drei hoffnungsvollsten Spielern in der 3. Liga Nord-Ost gekürt.

Spieler

Maskenball schrieb:

Ein Talent, wie man es nur alle zehn, zwölf Jahre findet. Und trotzdem: absolut klar im Kopf.

Ist das so ungewöhnlich ... ?

Maskenball schrieb:

Lemgo war an ihm dran, die Füchse auch, von denen gab sogar ein konkretes Vertragsangebot.

"es" fehlt

Maskenball schrieb:

Eine meine letzten Erinnerungen an Finn ist, wie er bei uns im Keller Gewichte stemmt.

meiner ; stemmte

Maskenball schrieb:

Sein Tonfall ist distanziert, passt nicht zu dem, was er sagt.

Wie genau ist ein Tonfall distanziert?
Mag an mir liegen, aber da kann ich mir nichts drunter vorstellen.

Maskenball schrieb:

Als ich hörte, dass Sie mich treffen wollen, war ich nicht sicher, ob das wirkl …“

Kein Leerzeichen.

Maskenball schrieb:

Mir tut es leid. Ich weiß nicht, warum …“. Meine Stimme bricht und der Satz wird nur in meinem Kopf vollendet.

Kein Punkt nach den abschließenden Anführungszeichen.

Maskenball schrieb:

Das Männchen schaut mich immer noch an, sagt aber nicht mehr.

nichts

Maskenball schrieb:

Ich habe Angst, dass ich es sonst nicht zu Ende bringe, dass mir die Kraft fehlt und dann all die Anstrengung der letzten Zeit umsonst gewesen ist.
Ich habe gedacht, alles sei in bester Ordnung.

Das zweite "dass" würde ich streichen, und du könntest hier beim Satzbeginn variieren.

Maskenball schrieb:

Irgendwie improvisiere ich mich durch den Text. Stelze durch die Phrasen wie ein Reiher durch den Sumpf.

Hier würde ich einen Satz draus machen, also ein Komma nach "Text", dann klein weiter.


Danke fürs gründlich Lesen und das finden von so vielen kleinen Flüchtigkeitsfehlern. Da gehe ich nachher ran. Das schockt mich fast mehr, als das misslungene Experiment. Dass ich noch so viele Flusen übersehen habe.
Ganz kurz noch zu deiner Frage, ob so ein Talent so ungewöhnlich ist. Ja. Kommt aufs Talent an, aber es gibt diese sogenannten Generationen-Spieler.

Danke und LG

Moin @Fliege
du weißt schon, was für die anderen gilt, gilt natürlich auch für dich, sorry fürs lange nicht Antworten.


ich gehe mal davon aus, dass die Kürze gewollt ist.

In aller gewollten Kürze die Antwort: jupp ?
Flashfiktion ist nicht das Genre in dem ich irgendwie bewandert bin

Moi non plus ?. Ich habe das Genre bisher gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Aus gutem Grund, wie man sieht. :P

Aber ich finde, dass der Text hier aber tut. Zumindest rechne ich ihm den Versuch dazu hoch an. Und ja, durch die Themenwahl hast Du es Dir hier echt nicht leicht gemacht. Das ist schon ein Brocken, dazu drei Personen, deren Motive innerhalb der Kürze nur angerissen werden können.

Dicke Insektenumarmung für Fliege!

Was den Punkt des emotionalen Miterlebens betrifft, keine Ahnung, ich leide auch bei den Kurzen von Wondraschek nie emotional mit - aber dessen Geschichten sind trotzdem sau stark, halt auf einer anderen Ebene. Will damit sagen, das Texte auch auf Basis anderer Ebenen funktionieren. Funktioniert der Text für mich? Ja und nein. Auf jeden Fall aber finde ich ihn spannend, in Hinsicht auf den Twist, die Figurenkonstellation und dem Thema. Und auf der anderen Seite ist Twist aber auch immer was konstruiertes, etwas, wo man den Leser bis zu einem gewissen Punkt bewusst in die Irre führt - durch Lücken und Auslassungen und genau das merkt man den Twisttexten auch an. Ist für mich eher eine Frage, ob man das mag oder eben nicht, so ganz generell. Ich eher nicht, aber es gibt Leser, die sich gern drauf einlassen, schätze, wir sind hier nicht repräsentativ für die Lesermehrheit da draußen. Meistens sind es ja Leute, die frisch in Forum kommen, die positive Kommentare unter solche Texte schreiben.
Sprich, ich finde den Text in erster Linie mutig - weil er mit den hier gewohnt und geliebten "Ideale" bricht. Deshalb hänge ich ihn mir aber noch lange nicht übers Bett Kann jedoch auch den Reiz nachvollziehen, sich daran mal abzuarbeiten.

Ich glaube, er sähe eingerahmt überm Bett sehr gut aus. Ach. Was soll ich schreiben. Außer danke. Ich fühle mich verstanden. Ich mag ja Twisttexte, wenn sie überzeugend sind. Dumm nur, dass es dieser hier nicht wirklich ist. Er sähe trotzdem gerahmt überm Bett super aus.

Natürlich sieht man in dem Mann, der den Sohn getötet hat nur Abstoßendes. Als Leser mag ich es aber nicht, wenn man Figuren so derart vorführt, sie auf dem Marktplatz der Lächerlichkeit ausstellt. Mir hätte es gereicht, ihn klein und mickrig zu zeigen, was Du ja auch später brauchst. Und ich finde es in Hinsicht auf das Ende auch nicht stringent, wenn der Vater/Autor anfangs so über den Mann wertet/richtet - das widerspricht seiner Motivation des Handels im weiteren Verlauf.

Volle Zustimmung. Das würde ich abschwächen bei einer neuen Version.


Es ist so absurd, dass ich beinahe lachen muss.
Kaufe ich ihm auch nicht ab. Weil es ja gar nicht um ein Kräftemessen geht. Natürlich kannst du die Fährte für den Leser darauf ausrichten, aber lass ihn diesen Fehlschluss ziehen, dass darf nicht deine Figur tun, denn die weiß ja ... Sprich, zeig den Mann klein und schmächtig und den Sohn groß und stark - dann fragt der Leser sich schon die richtigen Fragen.

Ja. Auch hier hast du recht. Spannender Weise habe ich den Satz relativ spät hinzugefügt, weil ich dachte, hier muss eine Reaktion kommen. Scheint mir jetzt aber auch so nicht treffend, Danke für den Hinweis

Dass er noch drei Stunden zu leben hat, ahne ich nicht. Das wusste nur einer.

Den Satz dagegen finde ich super. Der funktioniert für mich. Völlig wertungsfrei - und klar denke ich dabei nicht an Finn. So meine ich - lass den Leser seine eigenen "Fehlschlüsse" ziehen.


Ich habe ja schon bei @Peeperkorn etwas zu diesem Satz geschrieben. Das war das allerletzte Element, was in diesen Text reingekommen ist. Ihr habt ne unterschiedliche Auffassung zu dem Satz ;) ... Ich freue mich über deine Deutung, so war es gedacht, verstehe aber Peeperkorns Kritik daran gut.
Neben Finn würde er wie ein hässlicher, alter Kobold aussehen, durchfährt es mich. Aber Finn ist tot. Während der Kobold hier hockt und dieselbe Luft atmet wie ich.

Nein, nein, nein! So sieht er den Mann nicht, bei dem er sich entschuldigen will. Never! Und wieder so ein Vorführen. Ganz hässlicher Zug des Autors.


Das tut ein bisschen weh, weil du mich in der (mir damals bei Schreiben noch nicht ganz klaren) Unentschlossenheit, was ich eigentlich WIRKLICH mit diesem Text anstellen will, entlarvst. Der S-Bahn-Fahrer war ganz am Anfang viel unsympathischer. Allerdings halt nur aus dem Blickwinkel des Vaters heraus. Ich habe es später abgeschwächt, die Passage (weil sie mir sprachlich gefallen hat) aber aus schriftstellerischer Eitelkeit drin gelassen. Ist mir ein bisschen peinlich jetzt.

Um ein Haar verliere ich die Beherrschung. Ich will das nicht hören, will ihm das Maul stopfen, ihm einfach die seit Wochen immer wieder zurechtgelegten Worte ins Gesicht schreien. Ich bin hier, um eine letzte Sache für Finn zu tun. Etwas, dass ich tun muss, weil er es selbst nicht mehr kann. Finn war ein guter Junge. Bis zum Schluss klar im Kopf.

Oder wolltest Du tatsächlich, dass der Vater erst im Verlauf seinen Irrtum begreift, dass er ihn anfangs tatsächlich für verantwortlich hält? Aber das macht aufgrund des Tatherganges keinen Sinn für mich und dann würden sich die Sätze hier auch widersprechen. Außerdem ist das dann echt bisschen viel, was Du hier alles in den paar Zeilen unterbringen möchtest. Wie gesagt, den Leser dazu bringen das zu denken, was der Vater denkt, aber der Vater selbst denkt das nicht.

„Lassen Sie das!“, unterbreche ich den Mann harsch. „Mir tut es leid. Ich weiß nicht, warum …“. Meine Stimme bricht und der Satz wird nur in meinem Kopf vollendet.


Ganz ehrlich. Ja wollte ich wirklich. Ich wollte mit diesem kurzen Text einfach viel zu viel ?

Aber Finn wollte nicht nach Flensburg wechseln.

Das Motiv des Sohnes. Bisschen schwach auf den Rippen als Motiv für sein Handeln - oder? Ich finde nicht, dass der Text hier eine umfassende, psychologische Betrachtung braucht, um am Ende zu funktionieren, aber deswegen schmeißt sich doch keiner vor die Bahn. Druck und Hochleistungssport dagegen sind für mich schon eher ein Motiv. Das ganze Leben muss dem untergeordnet werden. Das Sportler über Jahre hinweg nur für dieses eine Ziel leben, ist keineswegs selbstverständlich. Sportpsychologen sind zu diesem Thema extrem gefragt. Gilt natürlich auch für andere Bereiche - klassische Musikausbildung, Ballett etc.
Also, Finn will nicht mehr. er hat andere Ziele und Träume, und weil er aber so gut ist, fällt es auch schwer, zu sagen, okay, ich kann/mag nicht mehr. Was ich gut finde, ist der Stolz des Vaters, wie er ihn beim Training beobachtet, wie er über ihn redet. Hat was von - der Sohn muss bringen, was Vater nicht vergönnt war, der sein Leben als Ersatzleben für den Vater eintauscht. Steckt irgendwo in den Zeilen, das wäre eine Erkenntnis, die der Vater da ganz zart anfangen könnte zu begreifen. Das er ihn in den Tod geschickt hat. Indem er anfangs nur von den Erfolgen berichtet und zum Ende hin auch sagt, dass Finn die Hantel nach dem Training an die Wand geschmissen hat. Keine Ahnung, aber wenn man das subtil im Text unter bekäme, wäre ich ein Fan!


Da habe ich ja schon ne Menge bei den Antworten zuvor geschrieben und wir beiden haben uns darüber auch schon ausgetauscht. Der Sport bzw. Leitungsdruck muss nicht das Motiv für den Freitod sein. Kann. Muss aber nicht. Aber auch hier wird die Kürze des Textes ein Problem.

Ich habe die einstudierten Sätze vor Augen, die ich mehrmals täglich wiederhole und normalerweise im Schlaf aufsagen kann. Doch nun scheint es so, als spreche ich nur jedes fünfte Word davon. Irgendwie improvisiere ich mich durch den Text. Stelze durch die Phrasen wie ein Reiher durch den Sumpf.

Nice!

Weiter komme ich nicht. Es geht nicht. Da sind keine Worte mehr in mir. Nichts. Keine Wut, nicht mal mehr Trauer. Ich bin leer.

Das auch.


Danke. ;) Freut man sich dann als Autor ja doch drüber :p

Finn steht nun unmittelbar vor mir. So als wäre er real. Mit baumstammdicken Armen, aber ohne Panzer. Zu allem entschlossen in diesem letzten Moment.

Okay, hier greifst Du das wieder auf. Aber ich mochte es am Anfang nicht. Vielleicht hat er einfach seinen Glanz der Augen verloren, sein Strahlen über Siege, irgendwas anderes, was seine Unzufriedenheit mit dem Leben ausdrückt, was man aber lange nicht einordnen konnte, nicht wahrgenommen hat, weil man es nicht sehen wollte. Das Panzerding ist ja wieder eine Papawertung.


Kurze Frage hier. Ist eine Papawertung hier unpassend. Ist ja immerhin der Erzähler. Bin da ein bisschen unschlüssig.

Der Mann, der an jenem Tag die S-Bahn steuerte, diese Bahn, dieses verfluchte Bahn, dieser verfluchte Mann nimmt meine Hand.

Okay, er will ihn für den Tod verantwortlich machen. das macht die Figur aber extrem unglaubhaft. Ich fand schön, dass er sich anstelle seiner Sohnes bei ihm entschuldigen wollte.

„Ihr Sohn war der Dritte in sieben Jahren. Wussten Sie das? Irgendwann reicht`s. Ich fahr nicht mehr. Ich kann das nicht mehr. Will nicht mehr!“
Mit letzter Energie plätschern ein paar der eingebläuten Worte aus mir heraus.
„Finn …“, murmele ich, selbst nach einem Sinn suchend. „Was ihn auch immer auch an diesem Tag … Er war nicht so … Sie müssen ihm …“
Jetzt bin ich es, der unterbrochen wird.
„Vergeben?“
Sogar zum Nicken fehlt mir die Kraft. Es ist vorbei.

„Der Dritte in sieben Jahren!“, sagt der Mann, von dem mein Sohn sich töten ließ.

„Der Dritte in sieben Jahren. Ich kann das nicht mehr.“
Würde m.M. nach voll ausreichen.


Und noch ne Frage, weil es mir später bei einer Überarbeitung weiterhilft. Ich stimme hier inhaltlich total überein mit dir. Aber ist es störend, dass der Vater unsympathisch rüberkommt, dass er sich irgendwie entschuldigen will, aber den Mann gleichzeitig mitverantwortlich machen WILL. Nicht er als Vater hat versagt, nicht Finn ist schuld, der Mann ist es, der die Bahn gefahren hat. Obwohl der Vater es eigentlich besser weiß. Letzter Rettungsanker für den Papa quasi.

Ist spannend, wie sich da zwei Männer gegenübersitzen, wo der eine dem anderen vorwirft, Schuld daran zu sein, dass das Leben die Richtung gewechselt hat. Auch wenn der Vater dem Fahrer nicht die Schuld aufbürden kann, irgendwo tief in ihm drin, ist er natürlich sauer, hätte er nicht den Zug gefahren, hätte er noch bremsen können? Dieser Zweifel bleibt ja. Schon auch, weil er seinen Sohn freisprechen will, was natürlich nicht gelingen kann. Und dieses wackelige Kartenhaus erst recht zusammenfällt, wenn der Mann sagt, drei in sieben. Ich kann nicht mehr. Weil der letzte Strohhalm damit untergeht.

Ja, ich finde den Text tatsächlich spannend. Ich hätte ihn etwas anders angefasst, wie unschwer zu bemerken und ob das dann besser funktionieren würde, keine Ahnung. Schätze aber, dass gerade wenn man so verdichtet, auf Stringenz auf keinen Fall verzichtet werden kann. Und genau die finde ich nicht wirklich.


War total hilfreich, dein Kommentar. Danke!!! Interessant sowie so. Irgendwann, wenn du mich mal bei der Copy-Challenge ziehst, ist das hier DEIN Text ;). Wäre sehr interessant, etwas du daraus machst. Und sehr frustrierend, weil er dann wirklich gut würde (ernst gemeinstes und von Herzen kommendes Kompliment!)
Hut ab für den Versuch! Und ich habe mich nicht ungern mit dem Text auseinandergesetzt. Ich glaube sogar, dass er funktionieren könnte.

Danke dafür ;)

Nachtrag: Wenn es Dir gelingen würde, zuerst den Leser denken zu lassen, der Fahrer ist der Mörder - hin zu der Erkenntnis, der Sohn ist Selbstmörder hin zu der Erkenntnis des Vaters, seinen Sohn in den Tod getrieben zu haben, wegen Druck und stellvertretendem Leben und so (muss gar nicht groß ausgeführt werden und der Gedanke ist ja auch neu und ein ganz zartes Pflänzlein - das der Leser groß machen muss) - dann wäre ich schwer beeindruckt und ich möchte gern glauben, dass der Text das könnte.

Und am Ende dann noch mal so richtig Druck aufbauen! Super, Fliege! :D:lol:

LG svg

@Hella, sehe gerade, dein Kommentar ist noch dazu gekommen, bekommst morgen Antwort. Hier schon mal ein Danke :)

 

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