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Vielleicht heute Abend

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25.04.2020
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Vielleicht heute Abend

Vielleicht heute Abend.
Ed sieht hinab in den Abgrund der Häuserschluchten. Unten wirren die Menschen umher, ungeachtet der Uhrzeit. Einige gehen nach Hause, andere zur Arbeit und wieder andere vertreiben sich vielleicht einfach ihre Zeit auf der Straße. Wüssten sie doch was gleich vielleicht auf sie zukommen könnte.
Vielleicht heute Abend.
Ed steht an der Kante des Häuserblocks, so wie schon viele Abende zuvor.
„Heute. Heute Abend mach‘ ich’s.“ sagt er zu sich selbst.
Doch auch dieses Mal versagen ihm die Knie. Sie wollen einfach nicht. Und auch dieses Mal zieht er sich zurück, entfernt sich von der Kante und verlässt das Dach.
„Nächstes Mal.“ denkt er sich. „Wenn mich hier oben schon niemand beachtet, dann vielleicht dort unten. Nächstes Mal.“

Also wieder zurück zur Wohnung. Die immer gleichen hippen Bilder grinsen ihn an, von denen der Innenausstatter gesagt hat, jeder seiner Kunde hat solche nun in seiner Wohnung. Seine pastellgrün gestrichene Wand begrüßt ihn, genauso wie seine Retromöbel, die in einem Jahr jeder haben wollen wird. Ed sei ihnen durch seinen Innenausstatter einen Schritt voraus. Zumindest laut dessen Aussage.

Ed hasst diese Dinge. Er braucht keine ungemütliche Retro-Couch, kein Bild, auf dem einfach nur ein schwarzer Strich gemalt ist und keine Wand, die beim bloßen Anblick den Lebenswillen tötet. Hätte er wenigstens jemanden, den er mit seiner Wohnung beeindrucken könnte. Doch Freunde hat Ed keine. Warum weiß er auch nicht. Vielleicht, weil er immer so missmutig dreinblickt. Oder blickt er immer so missmutig drein, weil er keine Freunde hat? Auch seine Soziophobie könnte ein Faktor sein. Die ist nicht sonderlich hilfreich dabei eine Partnerin zu finden. Nicht, dass er Gelegenheit dazu hätte. Wenn ihn nicht gerade sein langweiliger Bürojob im Call-Center daran hindert, dann seine Abneigung gegen Alkohol oder die Aversion gegen Schmutz, laute Musik oder Betrunkene. Auch an Cafés findet Ed keinen Gefallen. Schuld ist seine Weizen- und Glutenunverträglichkeit. Die einzige Möglichkeit, die ihm in den Sinn kommt, ist Menschen über seine Familie kennen zu lernen, doch die sind hunderte von Kilometern entfernt. Und die Familienmitglieder, die noch Leben, hat Ed mit Absicht hinter sich gelassen. Rundum, Ed spricht in seiner Freizeit nicht oft mit anderen Menschen. Hin und wieder ein höfliches, aber nervöses Hallo auf dem Hausflur, mehr nicht.

Umso verwunderter ist er, als er eines Abends, bei seinem regelmäßigen Besuch auf dem Hausdach eine Frau trifft.
An guten Tagen wäre er vielleicht wütend geworden, dass seine abendliche Routine gestört wird. Vor allem, weil die Frau an seinem Lieblingsplatz steht. Von dort sieht er nämlich direkt auf die belebte Straße und alle dort unten würden ihn sehen.
Doch heute ist keiner dieser Tage. Leidenschaftslos geht er auf sie zu, um sie zu bitten, seinen Platz zu verlassen.
„Ähh… ähhm… Entschuldigung? Können Sie da bitte herunterkommen?“
„Kommen Sie bitte nicht näher! Lassen Sie mich allein!“
„Aber ich will doch nur…“
„Ja ja, Sie wollen nur helfen! Und mich überreden von der Kante wegzugehen! Aber Sie kennen mich nicht. Und Sie wissen auch nicht, warum ich hier stehe. Wären Sie an meiner Stelle, würden Sie dasselbe tun!“
„Nein, Sie verstehen nicht…“
„Doch, doch! Ich verstehe genau! Sie wollen mir jetzt erzählen, dass ich das nicht tun müsse. Dass es immer noch etwas in meinem Leben gibt, für das es sich zu leben lohnt. Dass meine Familie sehr traurig wäre! Dass meine Mutter und mein Vater… Meine Familie ist…“ Zum ersten Mal dreht die Frau sich um. Ed blickt gedankenverloren in ihr hübsches Gesicht. Sie sieht normal aus denkt er sich. Nur die Tränen, die ihre Wangen hinabrollen, sehen aus, als gehörten sie dort nicht hin.
„Sie wissen gar nichts über mich!“
„Sie… Sie stehen auf meinem Platz…“, flüstert Ed.
„Was haben Sie gesagt? Nein, mein Leben geht Sie gar nichts an! Sie wissen nicht wie mir zu Mute ist! Sie wissen nicht, wie es ist, wenn man nicht aufhören kann zu weinen, egal was man tut! Sie sind nur… Sie sind nur hier, um… um mir… zu helfen… Warum?“
„Kommen Sie bitte dort weg.“
Nach und nach tritt die Frau von der Kante zurück. Sie steigt den Vorsprung hinab und scheint einige Zeit in Gedanken versunken.
„Es tut mir leid. Sie versuchen mir zu helfen und ich brülle Sie nur an.“ Die Tränen auf ihren Wangen trocknen langsam.
„Sie sollten dort nicht stehen.“
„Ich wäre nicht gesprungen, wissen Sie? Ich… mir geht es zurzeit nicht so gut… Ich bin erst vor kurzem hierhergezogen und finde mich noch nicht so zurecht.“
„Das kenne ich.“
„Danke… danke, dass Sie hier sind und… mich abgehalten haben. Also ich wäre wirklich nicht gesprungen, aber… Dankeschön. Vielleicht…, wenn die Umstände anders sind, dann… können wir ja vielleicht ein weiteres Mal reden… Also nicht hier auf dem Dach“, die Frau lacht laut, „sondern vielleicht in einem Café oder so…, wenn Sie Lust haben?“
„Wenn Sie nicht mehr hier hochkommen.“
„Nein, natürlich nicht.“ Sie bewegt sich zur Tür und zieht diese auf. „Ich freue mich schon auf unser Gespräch… Gute Nacht.“ Und mit diesen Worten verschwindet sie durch die Tür und Ed schaut ihr gedankenverloren nach. Sie war nett, denkt sich Ed. Doch die Tränen standen ihr nicht. Ed hofft, dass sie in der Zukunft weniger weinen wird. Dann kommt sie auch nicht mehr hier hoch.

Langsam bewegt er sich zu seiner Lieblingsstelle, weit über der Straße. Ed blickt hinab und sieht in den Abgrund der Häuserschluchten. Immer noch wuseln die Menschen auch zu dieser Uhrzeit durch die Stadt. Doch seine Knie zittern nicht. Dieses Mal nicht.
Vielleicht heute Abend.

 

Ich bin etwas unschlüssig. Am Anfang ist man sich nicht sicher, worum es geht. Dann wird klar, dass er jeden Abend überlegt, sich nach unten zu stürzen, und beim nächsten Mal eine Frau auf seinem Platz steht. Diese geht dann aber doch fröhlich weg. Und er überlegt wieder. Irgendwie bin ich vom Plot nicht vollständig überzeugt.

Unten wirren die Menschen umher, ungeachtet der Uhrzeit.
Vielleicht besser "schwirren" als "wirren". Und vielleicht eher "zu Tages- und Nachtzeit".
Wüssten sie doch was gleich vielleicht auf sie zukommen könnte.
Wüssten sie doch, was ...
Konjunktiv und vielleicht wirkt etwas zu viel.
„Heute. Heute Abend mach‘ ich’s.“ sagt er
"..ich's," sagt er. (Komma am Ende der direkten Rede)
„Nächstes Mal.“ denkt er sich.
"... Mal," denkt er sich.
immer gleichen hippen Bilder
Warum ist "hippen" kursiv?
jeder seiner Kunde hat solche nun in seiner Wohnung
"nun" wirkt zuviel.
dabei eine Partnerin zu finden
"dabei, eine Partnerin zu finden"
als er eines Abends, bei seinem regelmäßigen Besuch auf dem Hausdach eine Frau trifft.
"auf dem Hausdach, eine Frau trifft"
dreht die Frau sich um
dreht sich die Frau um
Sie sieht normal aus denkt er sich
aus, denkt er sich
Sie wissen nicht wie mir zu Mute ist!
nicht, wie mir
„Kommen Sie bitte dort weg.“
Nach und nach tritt die Frau von der Kante zurück.
"Nach und nach tritt die Frau von der Kante zurück." Wie groß ist die Kante? Eher "Die Frau tritt von der Kante zurück."
Also nicht hier auf dem Dach“, die Frau lacht laut, „sondern vielleicht in einem Café oder so…, wenn Sie Lust haben?“
Erst will sie sich umbringen, dann lacht die Frau am Ende und will in ein Café. Das ist eine sehr schnelle Wendung und nicht so überzeugend.

Grüße
Stefan

 

Hey, danke für das Feedback, :thumbsup:
wie sieht deiner Meinung nach insgesamt das Sprachbild aus? (bis auf die fehlenden Kommata)

 

Sorry, wenn ich hier mal kurz reingrätschen muss ...

„Heute. Heute Abend mach‘ ich’s.“ sagt er
"..ich's," sagt er. (Komma am Ende der direkten Rede)
"... ich's", sagt er.

„Nächstes Mal.“ denkt er sich.
"... Mal," denkt er sich.
"... Mal", denkt er sich.

Satzzeichen außerhalb der wörtlichen Rede/Gänsefüßchen, wenn Redebegleitsatz folgt.

Gute Grüße, GoMusic

 

wie sieht deiner Meinung nach insgesamt das Sprachbild aus? (bis auf die fehlenden Kommata)
Hmm, bin mir nicht sicher, was Du mit Sprachbild meinst. Bin kein Germanist.

Und ja, Kommata bei wörtlicher Rede nach den Gänsefüßchen.

 

Damit meine ich, ob du an der Wortwahl, Satzbau, Satzlänge/-kürze, etc. etwas zu beanstanden hast.
Nun, konkrete Dinge hatte ich schon in der ersten Antwort aufgezählt. Ansonsten ist es ja die künstlerische Freiheit, ob Sätze kürzer oder länger sein sollen. Der Rest ist meines Erachtens Geschmackssache und eine Frage des persönlichen Stils.

 

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