Was ist neu

Vom Esel, vom Wagen, von der Zigeunerin

Mitglied
Beitritt
06.12.2004
Beiträge
79
Zuletzt bearbeitet:

Vom Esel, vom Wagen, von der Zigeunerin

Ein Wagen rollte auf einer Straße durch die Hügel. Auf den Hügeln waren Felder, und, da es Herbst war, Bauern, die eifrig ihre Sensen schwangen. Der Himmel war unwahrscheinlich blau, ohne auch nur eine Wolke. Nur die rote, abendliche Sonne war von einer liebevollen Hand an ihn geheftet worden. Auf dem Wagen saß eine Zigeunerin in ihrem zu der Sonne passenden roten Kleid, und spielte eine Flöte. Gezogen wurde die kleine Karawane von einem faulen, starrsinnigen Esel, den die Zigeunerin von Zeit zu Zeit mit ihrer Rute antreiben musste.

Die Bauern hatten keine roten Kleider. Die ihrigen waren grau-lederbraun-zerlumpt, aber deren Besitzer waren nichtdestotrotz heiter, denn ihre Gegend war eine wohlhabende. Sie hatten Bier und Brei, Apfelwein und nicht selten auch Fleisch. Aber vor allen Dingen hatten sie gute Kameraden, die einem stets zur Hilfe eilen wollten, wenn dies vonnöten war. Sie arbeiteten zur Zeit viel, aber bei gutem Wetter, mit guten Freunden, und mit einer Gewissheit, dass der Abend ihre Arbeit in der Wirtschaft feiern wird, da arbeitet es sich leicht. Nun aber würde die Zigeunerin ihr Dorf besuchen.

Das Dorf, von welchem unsere Geschichte handeln will, lag auf einer Straße, die, wie der lokale Graf stets behauptete, einst von den Römern angelegt worden war. Auch zur Zeit, von der wir berichten, war die Straße groß und recht bedeutend, obschon auch keine Soldaten in ihren feschen Uniformen darüber marschierten. Beschritten wurde sie aber von verschiedenen Vagabunden, die von der einen Stadt in die andere gingen. Natürlich hielten sie in unserem vom Heugeruch durchdrungenen Dorfe an, brachten verschiedene seltene Handwerksgüter, aßen, tranken und erfreuten die Bevölkerung mit den unwahrscheinlichsten Geschichten, nahmen aber auch stets die hiesigen Sagen aufmerksam mit, aufdass andere Dörfer davon hören konnten. Deshalb stand die Gastfreundschaft oben auf der Liste der bäuerlichen Tugenden dieser Gegend. So wurde auch die Zigeunerin herzlich begrüßt.

Als der Wagen mit dem Esel und der Zigeunerin von den Bauernkindern gesichtet wurde, verbreitete sich die Kunde davon ziemlich rasch. Die Bauern bemühten sich, ihre Arbeit schneller abzurunden. Natürlich arbeiteten sie gewissenhaft, ja, sie erfreuten sich der Arbeit, aber wenn Gäste in ihr Dorf kamen, da wollten sie so schnell wie möglich fertig werden. Vor allem, wenn es eine Zigeunerin ist, die vorbeifährt – denn Zigeuner sind aufregend. Sie sind immer gut im Erzählen, Singen und Musizieren, ihre Frauen aber können zaubern. Sie wissen die Zukunft vorauszusagen und kennen Sprüche, die das Unheil abwenden. So eilten die Männer gleich ihren Kindern schon früh in ihr Dorf zurrück, denn die Zigeunerin war schon da.

Die Zigeunerin hatte zwar keine Waren, war aber heiter und fröhlich, sowie begabt darin, selbst das nüchternste Dorf schon bald zum Singen und Tanzen zu bringen. Sie war jung und recht mager, ihr Haar war lang und dunkel. Manche behaupteten, sie sei schön gewesen, aber es war nicht wirklich der Fall. Was sie so anders, so reizend machte, war ihre äußerste Lebhaftigkeit, die sie von den Bauersfrauen unterschied, die zwar ihre nur zu oft trunkenen Männer temperamentvoll zu schelten vermochten, nicht aber eine fröhlich unbesorgte Stimmung verbreiten konnten.Vielmehr mussten Männer ihre Frauen recht mühevoll anflehen, doch bitte etwas spendabler sein zu dürfen. Unsere Geschichte aber handelt von der liebenswürdigen Zigeunerin. Es war schon recht seltsam, das sie sich alleine auf Reisen begab.

Die Sonne begann, sich hinter den Hügeln zu verbergen, während im Osten sich einige Wolken zeigten. Im Dorfe aber wurde gefeiert. Wein und Bier wurde ohne Maß eingeschenkt, Brote und Kuchen wurden gebacken. Ein dicker, bärtiger Bauer hatte sogar ein Schaf geschlachtet! Feuer wurde in der Dorfmitte entfacht, während die Tische mit Laternen geschmückt wurden. Es wurde ja auch langsam dunkel, und die Zikaden stimmten ihr Lied an. Die Dorfbevölkerung aber sprach und lachte, und jeder wartete durch den Geruch angestachelt, wann das Schaf endlich geniesbar werden würde. So auch die Zigeunerin, die allerdings recht verwundert über eine derart warme Aufnahme war, und sich erst finden musste, um der Situation gerecht zu handeln.

Der Dorfjude und der Pfarrer tranken den kirchlichen Rotwein aus einem Kruge. Der Pfarrer war alt, grau und scheinbar zerbrechlich. Dem war aber in der Tat nicht so, denn er war ein Mann vom starken Willen – und der Wille kann oft einen Mangel an Körperkraft ausgleichen. Streng, ja gar neophytisch in seiner Jugend, wurde der Pfarrer nach Jahren in diesem Dorfe von der allgemeinen Gemütsfreude angesteckt, und konnte nicht anders, als jeden seiner Mitbürger zu lieben. Bemerkenswerterweise verband ihn mit dem Juden eine besonders tiefe Freundschaft, die wohl darin ihren Grund hatte, dass beide Männer für die dörflichen Verhältnisse ziemlich belesen und gebildet waren. Auch hatte der Pfarrer den Ehrgeiz, den Juden, der ja an sich ein guter, schlauer Mensch war, zu dem wahren Glauben zu bekehren, und damit zumindest eine Seele zu retten. So sprach er ihn beständig in einem scherzhaften Ton über Glaubensfragen an, worauf der Jude stets im selben, wenn auch etwas respektvolleren Tonfall antwortete. Er war ja ein Sproß einer Rabbinerfamilie. Er wurde von jedem gemocht, eigentlich.

Die Zigeunerin erzählte von Wundern und Zaubern, von großartigen Erfindungen und unerhörten Begebenheiten, die sie allesamt miterlebt zu haben schwor. Früher würden solche Reden den Pfarrer vielleicht befremden, aber nun war er ein weiser, alter Mann, und hatte keine Lust, die Stimmung zu zerstören mit langweiligen Predigten oder bösen Konfliktaufhetzungen. Er ließ die Zigeunerin sprechen, und die Bauern lauschen, wenngleich es der Sache des Aberglaubens, den es zu bekämpfen galt, unheimlich verhalf. Die Bauern lauschten auch gespannt, der Jude und der Pfarrer aber kommentierten das Gesagte nur ab und zu auf eine ironisch-sarkastischen Weise, die die Bauern nicht verstanden, die Zigeunerin aber kunstvoll ignorierte.

Dann war das Schaf fertig, und man aß und trank sich satt. Der Zigeunerin wurde ein warmer Platz zum Übernachten gegeben. Noch während der Nacht aber begann es zu regnen, und zwar recht stark. Die Wolken, von einem stürmischen Wind angetrieben, benetzten den Himmel, und bedeckten ihn vollständig. Die Bauern gingen nur widerwillig, und doch lebensfroh auf ihre Felder, denn sie wussten, das sie gerade ihre künftigen Kuchen und Brote, ihr künftiges Bier und ihr künftiges Schnaps aufsammelten. Die Zigeunerin aber blieb den ganzen Tag lang in dem ihr zugewiesenen Stall, wie auch den nächsten Tag. Am dritten Tag aber verstarb sie, so früh wie man eigentlich nur selten starb.

Sie wurde feierlich zu Grabe getragen, mit allem Gebührenden, doch ohne wahrer Klage um sie: man hatte sie noch nicht recht gekannt. Schade fand man es trotzdem, dass eine derart junge Frau plötzlich vom Tod ereilt wurde. Man gedachte der eigenen Endlichkeit. Sie wurde dort beigesetzt, wo auch die Christen ihre Ruhe fanden, ohne allerdings einen Namen auf einem Grabstein zu haben. Man wusste nicht, wie sie hieß, und stellte ein schlichtes Kreuz auf. Der Pfarrer sprach, und jeder nahm sein Hut ab. Dann gingen sie an die Arbeit, mit der Zigeunerin in den Gedanken. Jeder wurde nachdenklich, aber nicht wirklich traurig.

Dann wurden einige Bauern schwach. Sie fühlten sich krank, gingen aber trotz allem jeden Tag auf die Felder. Es war ja Erntezeit, und wenn man nicht hinausging, würde man im Winter weniger essen. Gerade im Winter ist Nahrung eine große Notwendigkeit. Wenn es kalt ist, wenn der Schnee liegt, wie fröhlich macht einen dann der Kuchen? Sehr fröhlich! Dann aber verstarben die ersten. Man war traurig, und klagte. Es waren Brüder und Väter, Schwester und Mütter, Söhne und Töchter, die dieses Mal verschieden waren. Man war traurig, als die ersten zwei starben. Als vier Bauern tot waren, wussten die anderen Kranken, das sie auch sterben mussten. Es wurden mehr Gräber gegraben, als nötig, da man wusste, das mehr Leute sterben würden.

Als zwölfe tot waren, der Pfarrer aber schwer krank, da sagte einer, die Zigeunerin sei eine Hexe gewesen. Die Erde, so dachte man, wollte die Zigeunerin nicht aufnehmen, und so wollte Gott sie bestrafen. Den Pfarrer und die Bevölkerung sollte bestraft werden, weil sie teuflisch-abergläubige Geschichten, die verfluchten Sprüche und Vorhersagen der Zigeunerin toleriert hatten. So beschloss man, sie auszugraben.

Sie schien immer noch schön zu sein, in ihrem roten Kleid. Bleich war sie geworden, ihre Fingernägel aber lang, wodurch sie noch stärker an eine Hexe erinnerte. Die Bauern wurden unschlüssig, als sie die Zigeunerin sahen, doch eine jede Möglichkeit, ihr Leben, das Leben ihrer Nächsten zu retten, war ihnen Willkommen. Traurig bahrte man sie auf. Traurig, aber mit Hoffnung, sah man das Feuer am Waldrande, doch stand man weit abseits, um nicht den grässlichen Zerfall ihres Körpers beobachten zu können.

Auch der Graf wurde traurig, als er erfuhr, das in seinen Ländereien eine Seuche wütete. Traurig befahl er, Wachen auf der Straße aufzustellen, die die Wanderer am weiter-, die Bauern aber am fortziehen hindern sollten, aufdass sich die Krankheit nicht verbreiten konnte. Traurig und vergeblich suchen wir den Namen des Dorfes, von dem unsere Geschichte handelte, auf neueren Landkarten. Traurig erinnern wir uns an die Zigeunerin, ihren Wagen und ihren Esel.

 

Hallo Anton von Mi!

Ein paar Korrekturen:

ohne auch nur einer Wolke
Das r muss weg.

Sonne war von einer liebevollen Hand auf ihn geheftet worden
mein Sprachverständnis sagt an ihn.

zu der Sonne passenden roten Kleid, und spielte eine Flöte
Das Komma ist eher zu viel.

Angetrieben wurde die kleine Karawane von einem faulen, starrsinnigen Esel
Von einer Karawane spricht man erst, wenn mehrere Tiere/Gespanne hintereinander unterwegs sind. Dies scheint hier nicht der Fall zu sein. Und wie ein fauler starrsinniger Esel irgendetwas antreibt - siess Bild kann ich mir auch nicht vorstellen.

Die ihrigen waren grau-lederbraun-zerlumpt, aber sie waren nichtdestotrotz heiter, denn ihre Gegend war eine wohlhabende.
Jetzt mal abgesehen von der altmodischen Sprache:
1. glaube ich kaum, das die Kleider heiter waren,
2. wohlhabende Gegend und zerlumpte Kleider?
3. die Zusammenstellung Wolstand erzeugt Heiterkeit ist auch gewöhnungsbedürftig.

Kammeraden, die einem stets zur Hilfe eilen wollten,
Kameraden mit einem m - und die wollten wohl, aber sie schafften es nie?

mit einer Gewissheit, dass der Abend ihre Arbeit in der Wirtschaft feiern wird,
der Gewissheit wäre besser. Und meinst Du wirklich, dass der Abend die Arbeit feiern wird - da würde ich nicht so heiter sein.

verschiedenen Vagabunden, ... brachten verschiedene seltene Handwerksgüter
Vagabunden brachten nie Handwerksgüter mit sich. Es gab reisende Handwerker, die vor allem Reparaturen ausführten, aber kaum Waren mit sich führten und kaum Geschichten erzählten. Vaganten erzählten (sangen) Geschichten. Und Vagabunden schmiß man möglichst gleich raus, wenn man seinen Wohlstand behalten wollte.

Vielmehr mussten Männer ihre Frauen recht mühevoll anflehen, doch bitte etwas spendabler sein zu dürfen.
Wobei spendabler? Das verstehe ich in diesem Zusammenhang nicht. Und ich stelle mir gerasde bidhaft vor, wie so ein Bauer auf den Knien seine Frau bittet : Darf ich heute spendabel sein?

und die Zikaden stimmten ihr Lied an.

die wohl darin ihren Grund hatte, dass beide Männer

Der Zigeunerin wurde ein warmer Platz zum Übernachten gegeben

Schnapps
in heutiger Rechtschreibung mit einem p

Am dritten Tag aber verstarb sie, so früh wie man eigentlich nur selten starb.
Worauf beziehst Du dieses früh? Auf die drei Tage - könnte sein, dass ein schneller Tod Anzeichen einer ansteckenden Krankheit ist. Oder auf ihr Alter? Junge Menschen starben damals oft.

doch ohne wahre Klage um sie: man kannte sie noch nicht recht.
Jetzt besteht ja auch keine Gelegenheit mehr zum Kennenlernen. man hatte sie (noch) nicht recht kennengelernt wäre sprachlich und grammatikalisch besser.

Sie wurde dort beigesetzt, wo auch die Christen ihre Ruhe fanden
Dann ist der Pfarrer wirklich sehr abgeklärt gewesen - oder hatte er ihr die Sterbesakramente gereicht?

Es waren Brüder und Väter, Schwester und Mütter, Söhne und Töchter, die dieses Mal verschieden waren. Man war traurig, als die ersten zwei starben. Als vier Bauern tot waren,
Da stimmen die Zahlenverhältnisse nicht. Brüder, Väter usw. ergeben auch bei engen Verwandschaftsverhältnissen wenigstens vier Personen, aber es starben erst nur zwei, und dann vier Bauern.

wussten die anderen Kranken, dass sie auch sterben mussten
Statt des mussten wäre würden besser.

Mit einem Vorrat wurde gegraben
Gewiß nicht, ein Vorrat ist doch keine Schaufel. Ich würde diesen Satzteil weglassen, da er nur eine Doppelung ist.

wollte der Gott sie bestrafen
Welcher Gott? Das der solltest Du streichen.

weil sie teuflisch-abergläubige Geschichten, die verfluchten Sprüche und Vorhersagen der Zigeunerin toleriert hatten. So beschloss man, sie auszugraben.

Waren wirklich die Sprüche verflucht? Und ich denke, man beschloß sie zu verbrennen und nicht nur, sie auszugraben.

war ihnen willkommen

Traurig bahrte man sie auf. Traurig, aber mit Hoffnung, sah man das Feuer am Waldrande, doch stand man weit abseits, um nicht den grässlichen Zerfall ihres Körpers beobachten zu können.

Wer ist denn man? Doch wohl die Bauern, also warum nicht das schreiben? Und woher wussten die Bauern, dass der Zerfall grässlich war, wenn sie doch weitab standen?

Traurig erinnern wir uns an die Zigeunerin, ihren Wagen und ihren Esel.
Was ist eigentlich mit dem Wagen und dem Esel geschehen?

Also zur Geschichte:
Du besfhreibst ausschließlich, wörtliche Rede kommt nicht vor. Dadurch verliert die Geschichte schon sehr viel. Dann benutzt Du eine altertümlich wirkende Sprache, aber damit wird die GEschichte nicht historisch. Es ist zwar aus einigen Bezügen klar, dass die Geschichte wohl nicht im 20. Jahrhundert spielt, aber einen wirklichen Bezug auf eine bestimmte Zeit gibt es auch nicht.

Die Idee - ein lebensfrohes Dorf wird ausgelöscht, weil es jeden Menschen freudig aufnimmt - ist ausbaufähig.

Lieben Gruss

Jo

 

Hallo, Jobär

Zu allererst möchte ich mich herzlich für die Korrektur bedanken. Die habe ich nun eingebaut, was meine Geschichte viel schöner macht. Was ist geschehen mit dem Esel und dem Wagen? Ja, die sind nun alleine, ohne die Zigeunerin, was allein schon traurig ist:D Aber ja, es stimmt, ich sollte sie genauer und häufiger erwähnt haben. Die Geschichte lässt sich zeitlich durchaus in die Zeit zwischen 1517 (davor gab es keine Pfarrer, die Katholiken haben Priester; es gab auch vor 15-16 Jh. nicht viele Zigeuner bzw. Sinti u. Roma in Europa) und 1918 (danach gab es keine Grafen, die in ihren Ländereien irgendwelche Wachposten aufstellen konnten, auch die Medizin wurde selbst in ländlichen Gegenden allmählich geregelt) einordnen. Ich habe beschlossen, die Geschichte in dieser Rubrik zu veröffentlichen, weil die Problematik m.E. nur für eine bestimmte Zeit typisch ist. Heute ist eine Schilderung des Aussterbens eines Dorfes wegen einer Seuche hoffentlich nicht mehr aktuell (Zumindest in Europa). Danke für die konstruktive Kritik.

Gruß
A.v.M.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom