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Von Anderswo

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03.03.2020
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Von Anderswo

Ich bin auf einem Floß in dieses Land gekommen. Ich ließ es am Ufer zurück, weil ich keine Verwendung mehr dafür hatte, ich hatte wieder festen Boden unter den Füßen und hörte wieder andere Geräusche als das Schwappen der Wellen, das Pfeifen des Windes und das Krächzen der Möwen.
Zuerst habe ich gegessen. Ich habe Sand gegessen, einfach, um etwas im Magen zu haben. Ich hatte gehofft, zwischen dem Sand Schildkröteneier zu finden, und stattdessen wurde ich gefunden. Von ihnen, dem Mann und der Frau, ich sah sie über den Sand auf mich zugeprescht kommen, ich war mir sicher, dass sie kamen, um … ich weiß nicht, was ich dachte. Aber ich weiß, dass ich ihnen nicht vertraute und ich deshalb die Flucht ergriff, dass ich dem Mann deshalb den Arm brach, als er mich einholte und versuchte, mich festzuhalten. Ich hatte nichts im Magen außer einem Haufen Sand, und trotzdem war ich stark und unberechenbar, ich sah das Weiß meiner Knöchel durch die Haut schimmern, als das Weiß seiner Knochen durch die Haut brach. Der Mann gab auf, er blieb dort liegen, aber die Frau lief mir weiter nach, rief nach mir, so laut und so krächzend wie die Möwen, und am liebsten hätte ich auch ihr den Arm gebrochen, einfach um ihr klarzumachen, dass ich jetzt Ruhe brauchte, dass ich nichts wissen wollte von ihren Worten, die ich sowieso nicht verstand.

Ich flüchtete ins Landesinnere. Ich aß noch mehr, ich aß Baumrinde und Blätter, ich grub Wurzeln aus und biss mir an ihnen die Zähne stumpf, ich trank schlammiges Wasser, das nicht nach Meersalz schmeckte, und erbrach alles in einem stinkenden, dampfenden Schwall. Dann kam die Nacht, und mit ihr das Licht.

Plötzlich war es da. Zuerst war es nicht mehr als ein Fleck in der Finsternis, doch je näher ich mich heranwagte, desto deutlicher sah ich es leuchten. Es bewegte sich. War lebendig. Ich gab mir Mühe, nicht entdeckt zu werden, setzte jeden Schritt mit Bedacht, ich war der ungebetene Gast, war der Eindringling im Revier dieses fremden Wesens, und noch konnte ich nicht wissen, ob es mir freundlich gesinnt war. Ich taumelte. Schwankte. Mein Hirn drohte überzulaufen.
Aber nichts, was so schön war, konnte böse sein, sagte ich mir, nichts, was so tanzte, so schwebte … Und so trat ich ihm gegenüber, willenlos und schwach, und wurde von seinem Lichtschein durchflutet. Ich war blind. Ich war glücklich.

Aber dann hörte ich ihn, ich hörte den Mann mit dem gebrochenen Arm und ich hörte die Möwe und begriff, dass sie es war, die mich blendete. Die Möwe krächzte, ich knurrte, sie kam auf mich zu und ich biss zu, ich riss ihr das Fleisch aus dem Rumpf und aus der Wade und schluckte es unzerkaut herunter und das leuchtende Ding fiel aus ihrer Hand auf den Boden. Dann schlug ich meine Krallen in das Gesicht des Mannes, und ich weiß nicht, was danach geschah. Ich habe es vergessen, verdrängt, nie gewusst, ich weiß nur noch, wie ich mit brennender Lunge und brennendem Schädel wieder zu mir kam, an einem Ort, den ich nie zuvor gesehen hatte, eingesperrt, gefangen, mit Stäben vor meinem Hundemaul, meinem Wolfsmaul, und wie mich seitdem Nacht für Nacht Albträume aus dem Schlaf reißen, wie ich alles in Frage stelle, wie ich der festen Überzeugung bin, dass es das Floß niemals gegeben hat, dass ich in Wahrheit von unter dem Wasser komme, von hinter den Wolken, von irgendwo anders, wo es keine Möwen gibt und keine Menschen und auch sonst nichts … Alles Lüge, alles Illusion …

 

Hallo Akka und herzlich willkommen bei den Wortkriegern!

Ich habe deine Geschichte gerne gelesen. Die Selbstdarstellung des / der Schiffsbrüchigen als tierische, halb wahnsinnige Bestie ist dir gut gelungen. Sprachlich passen hier z.B. die Wiederholungen mit "Ich".
Ein paar Ungereimtheiten zeigen sich mir aber:

Renate und Oliver. So nannte ich sie, weil ich das, was sie sagten, nicht verstand.
Den Zusammenhang zwischen den Namen und dem Nichtverstehen verstehe ich nicht.

Ich sah sie auf allen Vieren durch den Sand auf mich zugeprescht kommen, ich sah Schaum auf ihren Lefzen, sah das Gelb in ihren Augen und
Mir ist klar, dass du hier aus der Sicht des "Tieres", das sich in die Enge getrieben fühlt, schreibst. Aber warum erfindest du dann hier so konkrete wolfsartige Attribute? Gerade auf allen Vieren passt doch hier nicht. So durcheinander kann es ja nicht sein, wenn es vorher noch die beiden Renate und Oliver nennt.

Meiner Ansicht nach liegt das Problem hier darin, dass du einerseits die Sicht des schiffsbrüchigen "Tieres" darstellen willst, andererseits aber immer wieder die Sicht des später genesenen Erzählers zeigst. Das geht durcheinander und lässt dann die eigentlich reizvolle Tierperspektive nicht mehr authentisch wirken.
Weitere Beispiele hierfür sind, dass Es erkennt, dass Oliver einen Gips trägt, danach aber Renate als Möwe bezeichnet.
Auch die Spätsommerbäume mit den blattschwangeren Ästen passen nicht, weil du ja eigentlich noch die Tierperspektive hast. Vielleicht ist es möglich, die beiden Perspektiven besser zu trennen? Zu Beginn nur diese kurze, abgehakte, tierische Sprache und danach die blumige des nun wieder menschlichen Erzählers?

Dies sind meine Gedanken zu dieser interessanten Erzählung. Vielleicht sehen andere Kommentatoren dies ja auch anders - ich bin gespannt.

Ganz wichtig: Großes Lob für Rechtschreibung und Zeichensetzung :)

Noch ganz viel Spaß hier wünscht
Daeron

 

Hola @Akka,

ich schmunzle und schmunzle; es will gar kein Ende nehmen mit der Schmunzelei – so ein Zufall aber auch, dass Du exakt in Deinem Komm an @Nathanel das schreibst, was ich mir beim Lesen Deines Textes dachte:

Akka: schrieb:
Der Autor schreibt das Wort KaffeeWildnis auf ein Blatt. Schreibt einen Satz, schreibt noch einen, schreibt noch einen. Lässt sich treiben. Das Ergebnis ist ihm egal. Im besten Fall liest jemand mehr raus, als er eigentlich beabsichtigt hatte, zu sagen ... Ich glaube und hoffe nicht, dass dem so ist, aber stellenweise hatte ich echt das Gefühl ...

Amüsant, leider auch zutreffend.
Du schreibst tadellos, ohne Frage. So betrachtet könnte ich einen langen Text von Dir lesen. Es ist nur der Inhalt, mit dem ich ganz und gar nicht klarkomme. Doch das muss Dich nicht kümmern, mein Bier. Oder Du erklärst es im Nachhinein – und dann besagt das nur, dass es der Text nicht geschafft hat ...

Trotzdem werde ich Weiteres, des Stils wegen, gern von Dir lesen.

Bis dann also – und ein herzliches Willkommen bei uns!
José

 

Hallo @Daeron,

Den Zusammenhang zwischen den Namen und dem Nichtverstehen verstehe ich nicht.

Du hast recht, das macht so keinen Sinn.

Mir ist klar, dass du hier aus der Sicht des "Tieres", das sich in die Enge getrieben fühlt, schreibst. Aber warum erfindest du dann hier so konkrete wolfsartige Attribute? Gerade auf allen Vieren passt doch hier nicht. So durcheinander kann es ja nicht sein, wenn es vorher noch die beiden Renate und Oliver nennt.

Auch hier hatte ich wohl zu viel Spaß am Schreiben.

Und ich weiß genau, was du mit den vermischten Perspektiven meinst. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie ich das besser geregelt bekomme. Weil @josefelipe mich ja schon beim Steinewerfen entdeckt hat, überlege ich, die Geschichte noch auszuweiten, im besten Fall kann ich so beide Kritikpunkte auszumerzen und mein Glashaus retten. Dafür werde ich allerdings ein bisschen Zeit benötigen.

Danke für eure Kritik, und auch für das Lob, das hat mich sehr gefreut!

Liebe Grüße,
Akka

 

Hallo @Rob F,

fast hätte ich deinen Kommentar übersehen ...

Deine Kritik geht ja in eine ähnliche Richtung wie die von @Daeron. Seitdem überlege ich, wie ich weitermache, ich möchte die Geschichte ungerne schon aufgeben. Entweder baue ich die bestehende Handlung aus, bringe ein bisschen mehr/interessanteren Konflikt unter und lasse den "Erzähler" in den Hintergrund treten oder aber ich mache eine deutlich längere Geschichte daraus . Für beide Varianten schweben mir Ideen vor. Das Endergebnis wird aber noch auf sich warten lassen, wenn es so weit ist, werde ich dir/euch gerne noch mal Bescheid geben. Bis dahin schaue ich mich noch ein wenig im Forum um.

Vielen Dank für deinen Kommentar!

Liebe Grüße,
AKka

 

Lieber @Akka, vorneweg erstmal ein herzlich Willkommen!
Direkt mit Flash Fiction einzusteigen, wo jedes Wort sitzen muss und keines zuviel sein darf, ist mutig und dir teilweise zumindest gelungen. So en gros lese ich das ganz gerne, auch wenn der Text mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet.

Ich bin auf einem Floß in dieses Land gekommen. Ich ließ es am Ufer zurück, weil ich keine Verwendung mehr dafür hatte, ich hatte wieder festen Boden unter den Füßen und hörte wieder andere Geräusche als das Schwappen der Wellen, das Pfeifen des Windes und das Krächzen der Möwen.
Starke Exposition, bin sofort im Thema, da schimmert schon was durch.

Damals war ich ein anderer Mensch, als ich es jetzt bin.
Den Satz habe ich rausgegriffen, weil ich daran das Problem aufzeigen kann, das ich mit dem Text habe. Was du schreibst ist leider nur eine Behauptung, die durch nichts unterlegt wird und so leider im luftleeren Raum hängenbleibt, denn ich erfahre nichts über deinen Prota, außer dass er ein wildes Tier war und jetzt nicht mehr ist und ich frage mich: Warum war er das? Und wodurch ist er das jetzt nicht mehr? Da wird keine Entwicklung, kein Prozess sichtbar, das eine ergibt sich nicht aus dem anderen. Du schreibst dazu nur:
und wie ich dann langsam, sehr langsam, wieder Mensch wurde, wie mich bis dahin Nacht für Nacht Albträume plagten und aus dem Schlaf rissen, wie ich alles in Frage stellte, wie ich der festen Überzeugung war, dass es das Floß niemals gegeben hatte, dass ich in Wahrheit von unter dem Wasser kam, von hinter dem Mars, von irgendwo anders, wo es keine Möwen gibt und keine Menschen und auch sonst nichts … Alles Lüge, alles Illusion …
Leider erfahre ich nichts darüber, wie das Ganze motiviert ist, wo ist der Ursprung von allem, wodurch kommt es zur Veränderung? Doch diese Info benötige ich für ein Textverständnis. Ohne das schaut es aus wie ein hübsch und gekonnt bestickter Vorhang, doch wenn ich den beiseiteziehe, ist die Bühne dahinter leer.

Mein ganz subjektives Leseerlebnis. Peace, ltf.

 

Hallo @linktofink,

danke für das nette Willkommen!

Dein Kommentar hat das Fass mehr oder weniger zum Überlaufen gebracht. Auch dafür danke ich dir! Ich hab die Schwachstelle des Textes zwar schon zuvor ausgemacht - vor allem auch dank deiner Vorkommentatoren -, aber du hast noch mal ganz deutlich aufgezeigt, woran es gehapert hat bzw. was an der Geschichte nicht "funktioniert" hat.

Ich habe bis heute Mittag noch geschwankt zwischen a) Text verlängern, "Doppelperspektive" ausbauen und erklären oder b) Text verknappen, zweite Perspektive weglassen. a) hab ich verworfen, und b), einfach so, wäre glaube ich auch zu simpel gewesen. Deshalb habe ich das jetzt noch ein wenig ausgebaut und einen kleinen Twist eingebaut. Ich hoffe, das gut der Geschichte gut.

Würde mich sehr freuen, wenn du noch mal eine kurze Rückmeldung dalässt, ob du jetzt vielleicht doch etwas hinter dem Vorhang entdecken kannst. Nur wenn du magst und die Zeit findest natürlich, so oder so noch mal vielen Dank für den Anstoß.

Liebe Grüße,
Akka

 

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