Was ist neu

Von der Liebe einer Ameise

Mitglied
Beitritt
16.03.2013
Beiträge
92
Zuletzt bearbeitet:

Von der Liebe einer Ameise

Vor vielen, vielen Jahren, als die Menschheit noch tief verborgen in der Erde schlummerte, lebte in einem kolossalen Haufen eine Ameise namens Tola. Sie war eine einfache Sucherin und so musste sie ihre Wohnung mit hunderten Schwestern teilen. Sie besaß im Grunde nichts, außer ihren scharfen Werkzeugen, ihrem Panzer und ihr bisschen Leben. Nichtsdestotrotz war sie zufrieden damit. Es war nämlich so, dass Besitz und Eigentum in der Welt der Ameisen keine Bedeutung hatten.

Als Tola an einem verregneten Septembermorgen auf der Suche nach Essbaren durch das nasse Gehölz krabbelte, entdeckte sie ein Rosenblatt. Sie nahm es in die Zange und machte sich auf den Rückweg, denn dies schien ihr eine geeignete Nahrung für die anderen zu sein.
Doch plötzlich blieb sie stehen. Tola legte das Blütenblatt behutsam auf einen Kiesel und betrachtete es von allen Seiten. Sie tastete es mit den Fühlern ab und zog seinen Duft ein. Auf eine sonderbare Weise fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Da kam ihr der Einfall, dieses Rosenblatt ihr Eigen zu nennen und mit niemanden auf der Welt teilen zu wollen.
Ängstlich blickte sie umher. Hatte sie jemand gesehen? Schnell versteckte sie das Blatt unter einer alten Wurzel und machte sich auf den Nachhauseweg.

Am Bau angekommen, wurde sie von einer großen Wächterin aus der Menge gezogen.
„He, du da! Wie kannst du es wagen ohne Beute zurückzukehren?“
Tola schluckte.Vor lauter Aufregung hatte sie doch tatsächlich vergessen, Nahrung mitzubringen. Seine Aufgabe zu vernachlässigen, galt bei Ameisen als ein schweres Verbrechen.
„D-doch!“, stotterte Tola. „Ich habe eine Beere gefunden, aber dann kam plötzlich eine Amsel herabgestürzt und hat sie mir gestohlen!“
Die Wächterin begann aus vollem Halse zu lachen.
„Na, dann sei froh, dass sie dich nicht gleich mit gestohlen hat! Morgen bringst du dafür das Doppelte, klar?“
Tola nickte und beeilte sich ins Innere des Baus zu kommen, froh, dass ihr die Ausrede eingefallen war, doch auch mit dem Gefühl, Unrecht begangen zu haben.

„Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“ Tiko war Tolas Lieblingsschwester. Die beiden waren etwa gleich alt und redeten abends oft über die Erlebnisse des Tages. Dass Tola etwas bedrückte, war ihrer Freundin gleich aufgefallen.
Zuerst druckste Tola herum, doch schließlich verriet sie Tiko flüsternd ihr Geheimnis. Und auch, wie sehr sie Angst um ihren neuen Schatz hatte, denn so manches Tier wären doch heilfroh, wenn es solch ein bezauberndes Rosenblatt besäße.
Tiko verstand nicht ganz, was in ihre Schwester gefahren war.
„Aber es ist doch nur ein gewöhnliches Blatt, das Teil einer Pflanze, nichts weiter!“
„Für mich nicht ...“, seufzte Tola, „... nicht für mich.“

Als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen den nebeligen Dunst erwärmten, konnte man die kleine Ameise über den Waldboden eilen sehen. Tola hatte in der Nacht nicht schlafen können und ungeduldig auf den Beginn ihrer Schicht gewartet. Zielgenau peilte sie das Versteck an. Bald würde sie ihren Schatz mit den Fühlern umschließen.
Doch es kam wie es kommen musste, die Stelle an der sie das Blatt gelegt hatte, war leer. Tola suchte unter jedem Steinchen und jedem Ästchen, doch es half alles nichts.
Verzweifelt begann sie zu heulen.

„Wo gibt’ s denn so was? Eine Ameise, die weint? Das hab ich auch noch nicht gesehen.“
Erschrocken sah Tola auf. Vor ihr schwebte eine Biene.
„Ach, was geht' s dich an“, sagte Tola gleichgültig.
Aber die Biene ließ nicht locker: „Du siehst aus, als hättest du was verloren.“
„Ich verliere nur meine Zeit mit dir“, grummelte Tola und wollte weggehen.
„Nun warte doch“, summte die Biene, „vielleicht kann ich dir ja helfen.“
„Warum solltest du?“, fragte Tola.
„Schau!“, sagte die Biene und deutete auf ihren Hinterleib. Darin steckte eine rote Dorne.
„Wenn du mich mit von meinen Schmerz erlöst, werde ich dir bestimmt helfen. Denn sicherlich weißt du, dass man aus der Luft eine viel bessere Perspektive hat, als wenn man auf dem Boden umher krabbelt.“ Die Biene schaute Tola erwartungsvoll an.
Da gab sich die Ameise einen Ruck und zog die Dorne heraus.
Voller Freude flog die Biene einen Looping und landete schließlich neben Tola.
„Sag schon, was hast du verloren, kleine Retterin!“
Und Tola beschrieb der Biene ihr vermisstes Rosenblatt, so detailreich und blumig, wie nur sie es vermochte.
Auch die Biene konnte nicht verstehen, warum Tola so viel daran lag, ein einfaches Blatt zu finden. Aber sie hatte versprochen zu helfen und summte endlich:
„Ich weiß, wo das Blatt herstammt. Ein paar Bäume weiter steht ein großer Busch Rosen mit derselben Farbe. Wenn du willst, führe ich dich dort hin.“
Tola nickte eifrig und trippelte vor Aufregung mit den Beinchen.

Die Ameise blickte den gewaltigen Rosenstrauch empor. Am liebsten hätte sie der Biene die Fühler geküsst, doch die war schon längst wieder auf Nektarsuche davon geschwebt.
„Nimm dich in acht vor den Rosen“, hatte sie noch gesummt.
Die Sonne blinkte durch das Blätterdach. Tola war sich sicher, noch nie so etwas Schönes gesehen zu haben.
Jetzt wusste sie, nicht das Blatt war das Ziel ihrer Wünsche, nein, den ganzen Strauch wollte sie für sich haben.
Berauscht von der Duft- und Farbenpracht machte sie sich an den Aufstieg.
Spitze Dornen setzten dabei ihrem Panzer zu, fast verlor sie ein Auge. Aber es war ihr gleich, denn sie fühlte keinen Schmerz. Sie wollte nur eines: hoch, hinein in die Blütenkrone. Mit jedem geschafften Abschnitt klopfte ihr Herz schneller.
Endlich oben angelangt, glaubte sie fast, den Himmel erreicht zu haben. Feierlich schlüpfte sie in die am lieblichsten duftende Rose.

An diesem Abend kam Tola nicht mit leerer Zange zurück. Den Teil eines toten Käfers hatte sie im Gras entdeckt. Nie und nimmer hätte sie etwas von ihrem Rosenbusch gebracht.
Auch heute ließ sie die Wächterin nicht einfach vorbei.
„Ah, die kleine Sucherin hat heute Glück gehabt“, rief sie spöttisch.
„Nicht viel, aber immerhin“, piepste Tola.
„Moment, bleib mal stehen!“ Die Wächterin trat ganz nahe an sie heran und tastete sie mit den Fühlern ab. Schließlich sagte sie:
„Du hast so einen süßlichen Duft an dir. Der stammt wohl kaum von dem alten Käfer, oder?“
Tola hatte sich zwar gründlich vom Blütenstaub gereinigt, doch die Riechorgane einer Wächterin waren wohl nicht so leicht zu überlisten. Sie überlegte kurz und sagte:
„Ich musste ihn unter einigen Gänseblümchen hervorziehen. Die Erinnerung an ihren Gestank treibt mir noch immer Tränen in die Augen.“
Misstrauisch beäugte sie die Wächterin und raunte dann:
„Irgendwas stimmt nicht mit dir. Du weißt, dass es für dich Konsequenzen haben wird, wenn du uns was vorenthältst?“
„Sicher, das würde ich nie tun“, sagte Tola und ging in den Bau.

„Nun komm schon Tiko, ich kann ihn fast schon sehen!“ Tola lief ungeduldig im Kreis. Sie hatte es am gestrigen Abend geschafft, ihre Freundin zu überreden, mit zum Rosenstrauch zu kommen. Tiko schaute sich alle paar Meter misstrauisch um, denn ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, von Wächterinnen bei ihrer Unternehmung ertappt zu werden.
Endlich standen sie vor der riesigen Pflanze.
„Schön“, sagte Tiko, „ein wirklich schöner Rosenstrauch! … Aber können wir jetzt bitte nach etwas Fressbarem suchen? Wir haben schon genug Zeit verschwendet.“
Tola schüttelte den Kopf. „Nichts da! Du wirst natürlich mit mir hoch krabbeln. Wie willst du sonst wissen, wie es sich in der Blüte anfühlt?“ Und sie begann an einem der Stämme empor zu steigen.
Tiko stand immer noch da und blickte unsicher umher.
„Tola, ich möchte nicht. Ich habe dir versprochen mitzukommen. Aber ich klettere da nicht hoch. Was sollte ich auch dort oben? Es schickt sich für eine Sucherin nicht, so was zu tun.“
„Jetzt komm schon, was ist schon dabei?“, wollte Tola wissen.
„Eine Sucherin hat die Aufgabe, Nahrung aufzuspüren. Was wird aus dem Staat, wenn wir alle irgendwelchen schönen Blumen hinterherrennen?“
„Und was wird aus mir, wenn ich nicht zu meiner geliebten Rose darf? Mein Leben hat ohne Sie keinen Sinn mehr.“
„Ich glaube langsam, du bist verrückt geworden.“
Traurig blickte Tola ihre beste Freundin an. Ihr wurde klar, dass sich ihre Wege trennen würden.

„Hallo, ihr beiden!“
Erschrocken zuckte Tiko zusammen. Sie hatte die Stimme der Wächterin gleich erkannt. Langsam schritt diese aus dem Dickicht.
„Gibt' s Probleme bei der Arbeit?“
Tiko zitterte am ganzen Leib.
„Nein, alles in Ordnung, Frau Wächterin“, stammelte sie.
„Schön. Und du da oben? Was hast du dort zu suchen?“
Tola kam ein Stück herunter und rief: „Ich habe hier oben etwas gefunden. Etwas, was unserem Dasein einen völlig neuen Sinn geben wird. Etwas wundervolles.“
Die Wächterin grinste.
„Da steht also eine kleine Sucherin auf einer Rose und hat etwas wundervolles entdeckt. Warum ist uns das bloß nicht früher aufgefallen? Hm, mir scheint, dir sind die Ausdünstungen der Blüten in den Kopf gestiegen.“
Dann richtete die große Ameise sich auf und schrie:
„Du kommst jetzt runter und machst dich an die Arbeit!“
Tola schaute sie unbeeindruckt für eine Weile an.
„Gut, wie du willst“, sagte die Wächterin im ruhigen Ton. "Entweder du machst was wir dir sagen, oder du bist eine Verstoßene. Du wirst nie wieder den Schutz des Staates genießen und draußen in der Nacht um dein Leben zittern. Es könnte auch vorkommen, dass wir dich eines Tages umbringen, denn schließlich gehörst du ja nicht mehr zu uns.“
Tola lächelte und sagte daraufhin: „Tiko, meine liebe Freundin! Mach dir um mich keine Sorgen und vermisse mich nicht. Ich habe meine Bestimmung gefunden und werde nun gehen, denn für mich gibt es keine Wahl mehr.“ Dann verschwand sie im Grün des Rosenstrauchs.
Tiko nickte nachdenklich und folgte schließlich der Wächterin in den Wald.

Tola hatte es sich in ihrer Lieblingsblüte bequem gemacht. Sie schwelgte in ihrem Duft und war über und über mit Blütenstaub bedeckt. Geschützt vor der kühlen Nachtluft träumte sie von endlosen, sich im Wind wiegenden Rosenbeeten.
Am Morgen sammelte sich der Tau im Blütenkelch zu einem Becken. Der süße Nektar stieg langsam aber stetig an, bis Tola ganz untergetaucht war.
Und alles, der Ameisenbau, ihre Aufgabe und auch ihre Existenz, löste sich in Bedeutungslosigkeit auf, denn nun war sie eins mit dem Rosenstrauch geworden.

 

Hej Cybernator,

als Idee find ich das nett, eine Ameise, die ausschert und mit einem Rosenblatt ihr Glück sucht und letztendlich auch findet. Gegen Ende nimmt die Suche rauschhafte Züge an, es hat etwas hedonistisches, dieses Ertrinken in der Blüte.

Grundsätzlich sollte man bei Kindergeschichten wohl darauf achten, dass Inhalt und Form einigermaßen zusammenpassen. Wörter wie "Allgemeinwohl","Existenz" und "Bedeutungslosigkeit" würd ich bei dem sonstigen Inhalt eher nicht benutzen.

Inwiefern ist sie eins mit dem Rosenstrauch geworden? Ist sie im Tau ertrunken oder hat sie sich in Blütenstaub aufgelöst?

Leicht irritierend find ich von der Aussage her, dass das leblose Rosenblatt so ein große Bedeutung für die Ameise hat, dass sie den heimischen Bau und alles Leben darin aufgibt.

Nur mal so als Vorschlag, alles fett markierte könnte raus, ohne am Sinn groß was zu ändern.
Vor vielen, vielen Jahren, als die Menschheit noch tief verborgen in der Erde schlummerte ?, lebte in einem kolossalen Haufen eine Ameise namens Tola. Sie war eine Arbeiterin und so musste sie ihre Wohnung mit hunderten Schwestern teilen. Sie besaß im Grunde nichts, außer ihren scharfen Werkzeugen, ihrem Panzer und das bisschen Leben, das ihr innewohnte. Nichtsdestotrotz war sie zufrieden damit. Es war nämlich so, dass persönlicher Besitz in der Welt der Ameisen keine Bedeutung hatte. Alles diente dem Allgemeinwohl. Das Volk war alles, der Einzelne zählte nichts.

Sie tastete es mit den Fühlern ab zog seinen Duft ein.
ab KOMMA sog

LG
Ane

 

Hallo cybernator,

Die Geschichte hat was Liebenswürdiges an sich. Sie kommt mit minimalen Inventar aus und will dabei doch eine große Wahrheit vermitteln. (?)
Ich habe die Geschichte gerne gelesen, aber in meinen Augen verliert sie gen Ende etwas an Kraft. Mir persönlich ist die Auflösung zu lahm. Also letztlich gibt sie alles auf und wird glücklich. Okay, auch dass sie dabei anscheinend ertrinkt, in Ordnung. Die Moral ist dann aber, dass Selbstsucht der falsche Weg ist und man immer für das Allgemeinwohl handeln soll?
Hm. Irgendwie fehlt mir da ein Teil. Zum einen die Motivation (aus dem einstiegs erzählten Trott auszusteigen) zum anderen die Faszination (für die Blüte, die das gesamte Dasein plötzlich umkrempelt)
Ich weiß nicht, das wirkt noch nicht so ganz stimmig auf mich.

Grüßlichst
Weltenläufer

 

Hej Ane!

Erstmal Dankeschön!

Grundsätzlich sollte man bei Kindergeschichten wohl darauf achten, dass Inhalt und Form einigermaßen zusammenpassen
.
Da hast du recht. Irgendwie passt das alles noch nicht ganz zusammen. Ich wollte schon eine Kindergeschichte schreiben, aber eben auch für Erwachsene. Letztendlich passt der Schluss dann nicht so recht in eine Kindergeschichte. Mit so was Existentiellen beschäftigten sich Kinder halt noch gar nicht oder weniger. Ich finde Kinder sollte man schon andere Inhalte übermitteln.
(Ich habe es meinem Sohn (7) vorgelesen, der hat mich danach nur irritiert angekuckt und gesagt: Sie war nur zwischen normal und sehr gut :), was ein vernichtendes Urteil darstellt.)

Vielleicht wird es besser, wenn ich so Brocken wie

"Allgemeinwohl","Existenz" und "Bedeutungslosigkeit"
in eine kindgerechtere Sprache bringe. Das könnte ich probieren.
Ich denke aber auch, dass man für Kinder durchaus eine Sprache benutzen sollte, die für sie etwas neues und ungewohntes birgt.

Leicht irritierend find ich von der Aussage her, dass das leblose Rosenblatt so ein große Bedeutung für die Ameise hat, dass sie den heimischen Bau und alles Leben darin aufgibt.

Vielleicht sollte ich die Veränderung noch deutlicher machen. Sie war ja zuvor zufrieden. Dann wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Da werde ich noch ein paar Tage einbauen.

Warum gerade ein Rosenblatt?
Da kann ich mich nur Tiko und der Biene anschließen: Keine Ahnung was in sie gefahren ist.:confused:

Liebe Grüße
Cybernator

 

Hallo Weltenläufer!

Schön, dass du dich mit der Geschichte befasst hast!

Die Moral ist dann aber, dass Selbstsucht der falsche Weg ist und man immer für das Allgemeinwohl handeln soll?

Ich wollte ausdrücken, dass Liebe zuerst mal "selbstsüchtig" machen kann, im nächsten Schritt aber immer "selbstlos". Klar ist das nicht gerade förderlich für das Allgemeinwohl, aber so ist es mit der Liebe: Sie kann selbst so fundamentale Strukturen wie die Arbeitswelt einer Ameise auf den Kopf stellen.
Jetzt kommt es vielleicht darauf an, was man unter "Liebe", ein Sammelbegriff, verstehen möchte.

Also, (bitte das nicht falsch verstehen) ich kann das nicht ganz nachvollziehen, wie du auf diese Moral kommst. Richtig und Falsch kann es hier nicht geben. Ob Liebe überhaupt moralisch ist?
Eine Moral muss so eine Geschichte schon haben. Hm, ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, jetzt brummt mir nur der Schädel :hmm:

Irgendwie fehlt mir da ein Teil. Zum einen die Motivation (aus dem einstiegs erzählten Trott auszusteigen) zum anderen die Faszination (für die Blüte, die das gesamte Dasein plötzlich umkrempelt)

Das geht mir auch so, irgendwas fehlt da noch. Ich werde versuchen, genau auf diese beiden Aspekte nochmals einzugehen, damit der Schluss nachvollziehbarer wird.

Liebe Grüße
Cybernator

 

Hallo Cybernator

Ich finde es eine poesievolle Geschichte, wenn auch, wie bereits angemerkt wurde, inhaltlich unvollendet.

Mir ist die Fähigkeit (noch) nicht gegeben, es mit Kinderaugen zu betrachten, auch wenn man sagt, (im Alter) werden sie wie die Kinder. :D Deshalb habe ich sie vorab rein mit meinem Empfinden als Erwachsener gelesen, mich ganz auf die Intention des Autors einlassend. Danach habe ich noch literaturtheoretische Aspekte herangezogen, um meiner subjektiven Meinung etwas Objektivität beizumischen.

Als Leser, dessen bevorzugte Lektüre nicht Märchen sind, betrat ich dieses Wunderland mit offenen Augen und noch unbelastet. Was mir auch gleich auffiel, war die reife Sprache, die als Adressaten eher Erwachsene wählt. Nun, wenn diese es Kindern vorlesen, was i. d. R. im Dialekt erfolgt, mögen sich gewisse Ausdrücke m. E. vielleicht egalisieren. Soll es für Kinder als Lesestück erfahrbar sein, wäre eine Vereinfachung von manchen Ausdrücken aber sicher unabdingbar.

Die Einleitung beginnt mit einem Satz, der stereotypisch für Märchen klingt, er verweist auf eine weit zurückliegende Zeit. Ein weiteres Strukturelement, das mit den meisten Märchen übereinstimmt, ist, dass die Erzählstimme in der dritten Person bleibt, kein Ich-Erzähler auftritt, ausgenommen der direkten Reden.

Was mich inhaltlich etwas verwunderte, war die Hervorhebung einer minderen Wertigkeit der Ameise durch den Erzähler, welcher sie zu Beginn anmerkte, um mit einen „Nichtsdestotrotz“ ihre Zufriedenheit zu postulieren. Vom Status und der sozialen Rolle her, gehört sie doch zu einer Mehrheit, deren Lebenssinn mit ihren Aufgaben erfüllt wird.
Erst bei der vergleichenden Betrachtung, was u. a. das Wesen von Märchen ausmacht, wurde mir bewusst, dass eine soziale Identifikation für den Leser bei Märchen meist inhärent ist. So werden Probleme des Alltags transportiert, meist materielle Sorgen oder familiäre Ungewissheit, der nicht planbare Lebenslauf oder Erfahrungen im Umgang mit andern Menschen, die vielen Lesern einen Brückenschlag zum eigenen Leben ermöglichen könnten.

Die Handlung der Ameise ist egozentrisch, hier liegt schon eine Abweichung zur gängigen Struktur von Märchen vor. Meist ist diesen eine angemessen soziale oder auch die Differenzen zwischen Gesellschaftsschichten überwindende Rolle gegeben. Märchen waren insofern schon immer moralisierende Instrumente, das vermeintlich Gute propagierend und erfüllend.
Das Motiv könnte sich in der Betörung durch den Duft des Rosenblattes erklären. Zur Hinwendung auf den rechten Weg der ihr erfahrenen Sozialisation wäre eine Besinnung, dass die andern Ameisen abwechselnd auch an diesen Rosenblattbädern teilhaben könnten, eine mögliche Variante um aus dem Dilemma der unzureichenden Auflösung zu kommen. Das Stichwort Philosophisches käme dann auch mehr zum Tragen.

Zwei Dinge, die mich noch aus der Märchenwelt rissen waren:

Sie nahm es in die Zange und machte sich auf den Rückweg, denn dies schien ihr eine geeignete Nahrung für die anderen [zu] sein.

Da kam ihr in den Sinn, dieses Rosenblatt ihr Eigen zu nennen und mit niemanden auf der Welt teilen zu wollen.

Bei diesen einleitenden Worten in Bezug zum auftretenden Besitzanspruch habe ich etwas Mühe mit der Sinngebung. Sinn drückt Verschiedenes aus, doch hier wirkt es mir nicht die Sache abdeckend. Allgemeinsprachlich verwendet man diesen Ausdruck, wenn man sich an etwas erinnert, was hier nicht zutrifft. Treffender wäre z. B.: Da kam ihr der Einfall, …

So, mehr will ich Dir da nicht in Deine Intentionen hineinreden. Du wirst sicherlich noch die richtigen Wendungen finden.

Ungeachtet der aufgeschobenen Vollendung habe ich es aus meiner subjektiven Sicht ganz gern gelesen. ;)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon!

Entschuldige bitte meine späte Antwort. Aber ich wollte die Geschichte vorher noch überarbeiten.

Ein herzliches Dankeschön für deinen interessanten Beitrag. Mir wurde dadurch klar, wie sich die moralisierende Intention der Märchen von der meiner Geschichte unterscheidet.
Wie oben gesagt, ist Moral im Thema Liebe keine eindeutige Sache. Schwer, sie als sinngebend zu betrachten. Aber andersherum macht es auch keinen Sinn. Rumi sagt: Wenn ich zur Liebe gelange, zerbricht mein Stift.
Wenn ich mir die klassischen Märchen anschaue, dann geht es oft um das große Glück, was mit Schönheit, Reichtum, Heirat/Familie und einer netten Wohnung gleichgesetzt wurde. Da hat sich nicht viel verändert, wenn man mal durchs Fernsehprogramm zappt.
Von dieser Betrachtung aus, hat auch meine Ameise ihr Glück gefunden. Der Unterschied liegt in ihrer Ichbezogenheit und dem Nichtteilhaben der Gemeinschaft an ihrem Schicksal. Gab' s bei den Klassikern am Ende ein großes Fest, geht sie in die ewigen Jagdgründe ein. Ich glaube auch, dass nicht jeder damit etwas anfangen kann und muss.
Ich habe jedenfalls noch den Versuch eingebaut, die Freundin daran teilhaben zu lassen und dann noch Tolas deutliche Entscheidung wider die Gesellschaft. Ob es dadurch runder wird?

Liebe Grüße,
Cybernator

 

Hallo Cybernator

Doch, ich denke es Dir gelungen, den Inhalt und die Poesie der Geschichte zu vertiefen. Beim Lesen gelangte ich flink durch den Stoff. Die erweiterte Handlung gibt dem Ganzen nun auch tieferen Sinn und findet einen Abschluss, der zwar manche vielleicht traurig stimmt, doch in seiner anmutigen Darstellung auch kleine Leser nicht erschrecken wird.

Es sind noch Kleinigkeiten, die mich stutzen liessen:

„He, du da! Wie kannst du es wagen ohne Beute zurück zu kehren?“

Zusammengeschrieben dünkte es mich eleganter: zurückzukehren

„Nicht viel, aber immer hin“, piepste Tola.

Ebenso hier: immerhin

Macht dir um mich keine Sorgen und vermisse mich nicht.
Da Tola sich der Macht des Ameisenstaates entzieht, ist das t hier hinfällig.

Geschütz[t] vor der kühlen Nachtluft träumte sie von endlosen, sich im Wind wiegenden Rosenbeeten.

Dafür kann das t hier einziehen, um sie vor Geschütz und Kanonendonner der Nacht zu schützen.

Es war mir ein Vergnügen, die neue Version zu lesen. :thumbsup:

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon!

Schönen lieben Dank, dass du nochmal geschrieben hast und auch für deine Anerkennung!
Dank eurer Hilfe darf die Ameise nun in Frieden ruhn. :)

Grüße
Cybernator

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom