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Von Wüstentagen, Frauenquoten und dem Sorgerecht

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Von Wüstentagen, Frauenquoten und dem Sorgerecht

Ich möchte Euch heute das Buch »Was Männer nie gefragt werden – Ich frage trotzdem mal.« von Franzi Kühne, erschienen bei Fischer, ISBN 978-3-596-70582-5, vorstellen. Das Buch beruht auf dem Konzept, dass männlichen Interviewpartnern Fragen gestellt werden, die sonst sinngemäß meist nur Frauen gestellt werden. Darunter Fragen wie »Was können Sie, was junge Frauen nicht können?«, »Wie bringen Sie Familie und Karriere unter einen Hut?« oder auch »Verraten Sie uns, was Sie in Ihrem Koffer haben?«
Der Autorin zur Folge war es gar nicht so einfach, Interviewpartner für dieses Experiment zu gewinnen. Desto bemerkenswerter ist es, dass sie es geschafft hat, ganz unterschiedliche Vertreter des männlichen Geschlechts zum Interview zu bewegen wie z. B. den Sänger Axel Bosse, Starkoch Christian Rach, Siemens-Urgestein Joe Kaeser, die Politiker Gregor Gysi und Heiko Maas, oder den Dominikaner Frater Rafael Maria Klose.

Auf dem ersten Blick klingt das Experiment sehr witzig. Teils ist es das auch. Die Männer zeigen sich irritiert, teils auch leicht beleidigt. Fynn Kliemann zieht das Resümee, dass in den Fragen stets ein »Infragestellen« der eigenen Leistung zu finden sei: »Immer so ein ›Schaffst du das denn? Kannst du das denn? Hast du nicht vielleicht doch Angst …‹« (S. 186).
Gleichfalls zeigt sich, dass die Männer erstaunlich reflektiert auf die Fragen eingehen. Das Buch lohnt sich bereits wegen dieser intimen Einblicke, so Joe Kaeser: »Es gibt Dinge, die hängen mir nach, Sachen, die ich verpasst hab, die unwiederbringlich sind. Der erste Schultag der ältesten Tochter zum Beispiel, da war ich nicht da. Ich weiß nicht einmal, wo ich war, aber ich war nicht da.« (Seite 141).
Diese Einblicke sind interessant und teils bewegend, aber gleichzeitig merkt man als Leser:in: »Hoppla, warum werden Frauen eigentlich so intime Fragen gestellt, aber Männern eigentlich nicht?«
Und noch viel bedeutender ist die Erkenntnis: »Bei diesen Fragen geht es eigentlich gar nicht um den Job, die jeweilige Kernkompetenz und um die beruflichen Aufgaben.«

Dies zeigt vor allem eines: Frauen sind immer noch eine Ausnahme in Führungspositionen. Sie erwecken eine Art von Interesse bei ihren Interviewpartnern und -partnerinnen, die die Fragen quasi vor dem Hintergrund des »klassischen Frauenbildes« stellen, weshalb Themen wie Kleidung, Kinderbetreuung oder die Vorbildrolle in das Zentrum des Interviews gestellt werden.
Dies führt dann aber auch zu der Erkenntnis, dass Frauen dieses Spiel auch allzu oft mitspielen und vielleicht sogar mit einem gewissen Stolz antworten, dass sie Kind und Karriere woopen und sich natürlich Gedanken über ihren Außenauftritt machen.

Helmut Thoma bringt das sogar auf den Punkt: »Die Fragen sind nie das Problem. Das Problem sind immer die Antworten.« (S.181).
Darüber lohnt es sich zu reflektieren.

Ein Buch wie dieses kommt nicht um die Frage nach der »Frauenquote« herum. Die Autorin gibt sich selbst zwiegespalten, befürwortet sie aber letztlich. Heiko Maas sagt: »Und ehrlich gesagt: Es ist ja die gesetzliche Frauenquote auch nur in den Aufsichtsräten. Das, was darunterliegt, die Vorstandsetagen, und das, was wir dort an Leitvorgaben gemacht haben, an die sich zu wenige halten, ist ein noch mal viel größerer Bereich.« (S. 78).
Ich habe selbst lange mit der Frauenquote gehadert, weil ich immer dachte, dass sich mein Wissen, mein Können, meine Erfahrung durchsetzen müssten. Vielleicht muss man/frau/d aber auch erst einmal im Berufsleben ankommen, um zu sehen, dass es da Strukturen, Netzwerke und auch Vorurteile gibt, die gar nichts mit Wissen-Können-Erfahrung zu tun haben. Mir gefiel daher das Resümee der Autorin, dass man/frau/d die Frauenquote weniger als Quote, sondern als notwendige Zielvereinbarung sehen sollte.

Das Buch arbeitet dabei sehr gut auf, dass die unterschiedlichen Chancen bereits viel früher beginnen, als bei der Stellenausschreibung.
Spannend fand ich in diesem Zusammenhang daher den sehr provokanten Vorschlag von Jochen König: »Wer Vollzeit arbeitet und nicht mindestens sieben Monate in Elternzeit geht, könnte beispielsweise grundsätzlich das Sorgerecht verlieren.« (S. 213). Das mit den Sorgerecht sehe ich etwas kritisch, da ich mir sicher bin, dass so mancher zugunsten seiner Karriere und zulasten der Karriere des Partners/der Partnerin darauf verzichten würde. Der Gedanke einer siebenmonatigen Elternzeit ist aber interessant. Einen ähnlichen und weitergehenden Gedanken hatte ich auch schon, indem aber jeder diese sieben Monate (zwangsweise) bekommt, wenn nicht für Elternzeit, dann für ein kurzes Sabbatical. Wobei gewisse Ungleichheiten nicht auszuradieren sind: natürlich kann ein kinderloser Single eine solche Auszeit nutzen, um sich fortzubilden, was denen in Elternzeit vermutlich weitestgehend verwehrt bleibt.

Aber es muss ja nicht gleich ganz so radikal sein. Sehr schön und damit schließe ich diese Rezension fand ich nämlich eine Gepflogenheit der Dominikaner. Frater Rafael erzählt: »In unserem Gemeinschaftsleben besteht die Möglichkeit sich einmal einen Wüstentag zu nehmen, also sich einen Tag ganz zurückzuziehen und nachdenken zu können.«
Vielleicht ist es das, was uns manchmal fehlt. Ein Wüstentag, an dem man/frau/d sich von allen Verpflichtungen, auch der Familie, komplett zurückziehen kann, um sich selbst zu orten und vielleicht wäre das auch schon ein Schritt zu besseren Antworten auf gutgemeinte Fragen. Ich möchte jedenfalls Fränzi Kühnes Buch wärmstens empfehlen.

 

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