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Wahrheit

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24.06.2001
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Wahrheit

Jetzt sitze ich hier allein bei Kerzenschein und ich weiß bereits die Wahrheit. Sie wird nicht kommen. Niemals wird sie kommen, um zu schauen, wie es mir geht. Und ich weiß auch, dass ich ein elender Feigling bin, während ich die Wände betrachte, an denen Schatten tanzen. Ich hatte mir alles so schön vorgestellt, doch es gab keine Zukunft. Das ganze Haus ist still und leer und ich kann mein Herz schlagen hören, wie es sich in meiner Brust zusammenzieht, als wollte es hinaus. Hinaus zu ihr. Als wollte es mich verlassen, weil ich so bin wie ich bin. Jedesmal wenn ich sie sah konnte ich die Stimme meines Verstandes vernehmen, wie sie dem Herz befahl doch endlich still zu sein und sich nicht zu regen. Und ich ertappte mich stets dabei, wie ich in Kreisen um sie zog. Sie die Sonne, ich die Erde. Doch wenn wir uns berührten, so beschwor mich der Verstand, wäre dies fatal, denn nichts würde so bleiben wie es war- für keinen von uns beiden. Ich hatte Angst vor der Veränderung, Angst um mein leidliches kleines Leben, das ich bisher geführt hatte, in dem ich alles so sicher glaubte, in dem alles so rational und greifbar war. Ich war es nicht gewohnt, auf Menschen zuzugehen und zu erkennen, dass ich liebte. Ein großes Wort: Liebe. Doch auch irgendwie kitschig und verbraucht. Wo doch die Welt sonst voll Zorn und Argwohn ist. Es gibt keinen Romeo und keine Julia und es hat sie vermutlich auch zu keiner Zeit gegeben, weil es keine Liebe gibt. Sie ist kein Nehmen und Geben, sondern nur das Geben des einen und das Nehmen des anderen. Das ist mir jetzt bewusst. Ich brauche sie, doch sie - sie braucht mich nicht. Wenn wir uns sehen komme ich auf sie zu und spüre ihre Nähe und bin geborgen für einen Augenblick. Ich tauche ein in ihre Augen, so tief und geheimnisvoll und schwebe nur auf der Woge des Moments. Möchte nie wieder zurück, von wo ich kam. Ich hänge an ihren Lippen, wenn sie spricht und sehe ihr Haar, das in der Sonne glänzt, wie Fäden von Sonnenlicht. Sie nimmt mich gefangen nur dadurch, dass sie da ist und ich lasse es geschehn. Reglos. Dann ist sie fort und ich gehe weiter, mein Geist noch immer wie gelähmt. Ich gehe vorbei und kann meine Beine nicht mehr bändigen, auch die Gedanken nicht, denn der Verstand reisst sie mit sich fort. Dann bin ich sicher, dass eine weitere Gelegenheit ungenützt verstrichen ist, vielleicht die letzte und ich stürze in das tiefe Loch der Wirklichkeit. Und in der Ferne verschwindet sie Arm in Arm mit einem anderen. Und ich bleibe zurück und wünsch ihr das Glück, das sie verdient.

 

So, das ist das erste und vermutlich auch das letzte Mal, dass ich unter der Rubrik "Romantik" schreibe, weil ich mich in diesem Sektor für nicht besonders begabt halte. Diese Kurzgeschichte ist vor fünf Minuten entstanden und ich finde ebenso überstürzt klingt sie auch... Aber für mich persönlich bedeutet sie eine Art "Selbsttherapie", weil ich etwas ähnliches selbst erlebt habe. Ich hoffe ich kann dadurch anderen Menschen ein wenig Hoffnung geben und nun bleibt mir nur noch, alle unglücklich Verliebten zu grüßen.

Toby

 

"Sie ist kein Nehmen und Geben, sondern das Geben des einen und das Nehmen des anderen"

Mit diesem Zitat könntest du berühmt werden!

Viele Grüße

 

Hallo Toby,

dieser Text ist ein gelungenes Stimmungsbild, voller Resignation, aber mit treffsicheren Beschreibungen der eigenen Gefühlslage. Das Stimmungsbild ist auf eine bestimmte Erfahrung bezogen, der allerdings im Text absolute Gültigkeit zugesprochen wird. Dieser Vorgang des Verabsolutierens einer momentanen negativen Seelenstimmung ("Es gibt keine Liebe...") ist zwar jedem feinfühligen Leser aus der geschilderten Situation heraus verständlich, doch bleibt das gedankliche Ergebnis deshalb doch nicht weniger falsch.

Die "Liebe", was auch immer sie bedeuten mag, ist ein sehr umfassender Begriff, als idealer Grenzwert kaum zu erreichen, aber als psychische Energie derart mächtig und universell wirksam, dass man ihr nicht grundsätzlich jegliche Existenz absprechen kann. Interessant wäre es nun, zu untersuchen, inwieweit sie mit egoistischen Bestrebungen innerlich zusammenhängt, wie diese auch aussehen mögen. Irgendwo habe ich einmal den Satz gelesen, in der "Liebe" sei der Gegensatz zwischen Altruismus und Egoismus aufgehoben.

Warum ich dieses überhaupt schreibe? Ich meine, du solltest dich nicht von der Rubrik "Romantik/Erotik" endgütlig verabschieden. Dafür sind deine Texte zu gut.

Mit freundlichen Grüßen!

Hans Werner

 

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