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Was bleibt ist die Ewigkeit?

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21.08.2001
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Was bleibt ist die Ewigkeit?

Christina J. Kraenzlin
Was bleibt ist die Ewigkeit?

Ich möchte sterben. Mich mit den Wogen der Luft über die Stadt erheben und geschmeidig über die weißen Schäfchen-Wolken gleiten, um mich der Himmelsmacht hinzugeben und zu vergessen, was die kalten Schatten der Vergangenheit bewegt. Ich möchte mich loslösen von den harten Asphaltstraßen, die vom Staube der Zivilisation bedeckt, meinen Füßen keinen Halt gewähren, so dass ich in ein tiefes Loch falle, das keinen Boden hat, um meinen Sturz zu bremsen. Ich habe alles verloren, was das Leben noch lebenswert machte. Habe die Ketten zerreißen lassen, die mich so fest verbunden hielten, so dass nun das Bannar der großen Hoffnung mit losen Enden daliegt und niemals mehr das Bündnis zwischen uns verstärkt und festhält.

Mein Name ist Alina Owens und ich bin 17 Jahre alt, 1,66 m groß, habe hellbraune Haare, blaue Augen. So steht es jedenfalls in meinem Personalausweis. Doch das stimmt nicht ganz. Meine Haare sind blond geworden, von der Sonne und meine Augen? Ja, die sind rot. Scheinbar seit Ewigkeiten sind sie rot umrandet, von dem Kummer, der sich in meine Seele frisst. Auch das Bild in dem Ausweis ist nicht dasselbe, welches ich heute sehe, wenn ich in den Spiegel schaue. Meine Haare sind nicht mehr so lang. Ich habe sie abgeschnitten. Obwohl er sie so gemocht hat. Oder gerade deshalb.

Die Nacht ist hereingebrochen. Ihr Gesicht erscheint vor mir und sieht mich strafend an. Ich greife nach dem Bild, doch es verschwindet im Rauch der nächtlichen Stille, ohne mir ein Anzeichen für seinen weiteren Weg zu zeigen. Ich spüre eine Träne aus meinem Auge dringen, die langsam auf meiner heißen Wange einsickert. Sie hasst mich, das weiß ich. Sie hasst mich so sehr, wie sie mich vorher geliebt hat und ich kann sie verstehen. Es ist gut, so wie es ist, auch wenn es weh tut.

Ich liebe ihn. Oder nicht? Vielleicht hasse ich ihn auch, für das was er tat. Der Prinz meiner Träume. Das Bild aus meinem Ausweis neben seinem Gesicht umfasst das unbändige Glück, das ich empfand, als wir so stark verbunden waren. Dieses Gefühl versuche ich festzuhalten, doch es schwindet, wie die Sonne vor der Nacht. Er hat mir genommen, was ich am meisten geliebt habe auf dieser Welt. Sich selbst.

Die Wand ist kahl und weiß. Sie versprüht Kälte. Doch ich habe einen Punkt, den ich fixiere, während ich hier wie gefangen auf meinem Bett liege. Nicht den Mut und die Kraft, mich zu bewegen und nach dem Foto zu greifen. Ich sehe sie. Und sehe nichts außer ihr.

Vor einem Monat fing alles an. Das Dilemma meine ich. Davor war alles perfekt. Vor einem Monat wurde er so komisch. Wenn ich gefragt habe, was los sei hat er mit nichts geantwortet. Aber das stimmte nicht.

Vor einem Monat fing alles an. Ich habe versucht es zu verstecken, doch ich wusste, dass sie es merkte. Sie ist zu klug, als dass ich sie hintergehen könnte. Von da an zerissen die Qualen meiner Seele jedes Gefühl, das in mir aufzukeimen drohte. Bei jedem Geständnis ihrer Zuneigung floh ich innerlich der drohenden Versuchung, die die Stiche in mein Herz bohrten und die Klauen des Schicksals zerfetzten alles, was mir mal etwas bedeutet hat.

Der Sommer war so traumhaft. Wir haben Urlaub gemacht, auf Korsika. Wir hatten ewig dafür gespart. Es war nicht der einzige Urlaub, den wir zusammen verbrachten, aber der letzte. Es war so schön. Die Sonne lachte die ganzen drei Wochen zu uns hinab auf die grüne Insel. Ich höre noch das Meer. So schön.

Das Rauschen des Meeres klingt in meinen Ohren. Das sanfte Aufschäumen der kleinen Wellen, die unermüdlich an das weiche Ufer laufen. Schneeweißer Sandstrand, noch abends warm von der goldenen Sonne, die tagsüber die Welt erwärmt und wenn es spät ist, rot glühend hinter dem Meer am Horizont verschwindet. Dieser Feuerball, in all seinen brennenden Farben verfolgt mich in meinen Träumen, in denen es jedoch kein Meer der Welt schafft, diese Glut zu löschen. Ihr Lachen klingt mir in den Ohren. Wie ein Kreisel drehte sie sich mit ausgestreckten Armen im Wind der Nacht, wobei ihr glockenklares Lachen die Dunkelheit erhellte. Bis sie das Gleichgewicht verlor, doch ich war da und habe sie aufgefangen.

Er hat mich immer aufgefangen. Egal, was ich tat. Er hätte alles für mich getan, das weiß ich so genau, wie ich alles für ihn getan hätte. Und jetzt ist es vorbei. Er hat mich zerbrochen, wie einen Spiegel, wie Glas, einfach zerstört.

Ich habe sie belogen. Das gebe ich zu. Ich habe mich dem Gedanken hingeworfen, dass es so für sie leichter ist. Ich wollte sie nicht verletzen und war ihr in meinem Herzen immer treu, auch wenn sie das nun nicht mehr glaubt. Auch nachdem ich das getan habe, wofür sie mich nun hasst.

Ich liebe dich nicht mehr. Punkt. Dabei hat er mich angesehen, als machten ihm diese Worte, die für mich den Weltuntergang bedeuteten gar nichts aus. Diese Gleichgültigkeit in seinen Augen hätte ich nie für möglich gehalten.

Ich stand lange vor dem Spiegel und habe geübt, wie ich es am besten sage. Je länger ich den Spiegel betrachtete, um so zerfallener wirkte mein Bild. Ein Gespenst schaute mich an, mit bleichem Gesicht und tiefen Rändern unter den Augen, nicht mehr der glühende Körper eines jungen Mannes, dem nirgends auf der Welt mehr Glück hätte zuteil werden können, wie das Glück, ein Mädchen wie meines an seiner Seite zu haben.

Vielleicht hat ihn mein verständnisloser Blick dazu bewegt, zu erklären und mich begreifen zu lassen, was er da eigentlich sagte, denn plötzlich wurde seine Stimme wieder so sanft wie früher. Verzeih, mein Engel. Er hat mich so oft seinen Engel genannt. Verzeih, hat er gesagt. Ich habe jemanden kennengelernt, mit dem ich von nun an zusammen sein will.

Sie sei attraktiv und sehr wohlhabend, und generell eine sehr gute Partie, die ich mir nicht entgehen lassen dürfte. Ich habe ihr das Herz gebrochen. Ich habe beobachten können, wie sich ihre sanften blauen Augen mit dem flüssigen Salz der Seele füllten. Sie starrte mich an, als hätte ich meinen Ursprung aus der Erschaffung eines fremden Planeten, auf den ich nun, da ich ihr diese Nachricht überbrachte ganz zu verschwinden drohte. Es war hart für uns beide, denn auch ich habe gelitten, denn ich wollte ihr niemals den Schmerz unterbreiten, wie ich es tat. Ich dachte es sei das Beste. Ehrlich währt am längsten.

Es hört sich vielleicht egoistisch an, aber ich konnte nicht glauben, dass er jemals jemanden so lieben könnte, wie mich. In meinen Gedanken und Träumen hatte er mir all seine Wärme, das ganze Ausmaß seiner Liebe geschenkt und nun sagte er, dass er für eine fremde Frau mehr empfand? Mein Leben war in diesem Augenblick vorbei und alles was er noch hinzufügte ließ mich kalt. Die Sehnsucht nach dem Tod, das Erlösen dieser unbändigen Qual, die mit gierigem Verlangen mein Herz zerriss und hinunterschlang, ist jetzt beinahe so groß, wie das Gefühl, seinen Körper neben meinem spüren zu wollen. Ich hasse diese Frau!

Mein Atem ist flach. Eine unsichtbare Hand drückt auf meinen Brustkorb, der das Heben erschwert und mit einer ungeheuren Kraft meinen Körper zum Ersticken zwingt. Ich wünschte sie wäre jetzt bei mir. Hielte mit ihren zarten blassen Fingern meine Hand und schenkte mir das bezaubernde Lächeln, welches das Eis im Himalaja zum Schmelzen bringt, so dass es in einer großen Flutwelle der Gefühle den Abhang herniedersank, an dessen Ende ich stehe und mich gerne ertränken lasse. Ihr Antlitz in der Sonne stehen zu sehen, wie das einer Göttin. Doch eigentlich will ich das nicht. Es wäre nicht recht. Ich bete nur, sie tut sich nichts an.

Ich habe dieses Weib gesehen. Von weitem, aber das war ihr Glück. Ich habe mich gerade noch davon abhalten können, ihr die Dosen, mit denen ich an der Kasse im Supermarkt stand an den Kopf zu schleudern. Sie hat mich nicht gesehen. Sonst hätten sie womöglich meine Blicke getötet. Sie passt gar nicht zu ihm. Ist viel zu elegant, viel zu schön und hochnäsig. Er gehört zu mir! Er liebt sie nicht. Vielleicht ihr Geld, aber nicht sie. Das hätte ich nie von ihm gedacht.

Flimmernde Hitze, wie in den Weiten der Sahara gaukelt mir mein Auge vor. Die klaren Linien schmelzen zusammen, die Tür verschwindet in der Wand und sperrt Körper und Seele in diesem hässlichen, trostlosen Zimmer ein. Meine Muskeln erschlaffen, ich habe nicht die Kraft mich zu erheben, um die Freiheit aufzusuchen. Die Freiheit, deren Sinn so viel bedeutet. Die Gedanken sind verworren und unklar, ich habe Angst, ihr Bild aus meinem Kopf zu verlieren. Ich habe Angst, den Verstand zu verlieren.

Ich könnte aus dem Fenster springen. 13. Stock, wäre eine Möglichkeit. Ich könnte es aber auch sein lassen. Vielleicht will er das nur? Nein! Es ist nicht fair so zu reden. Er will nicht mein Unglück, das hat er damals schon gesagt, wo er mir alles erzählte. Aber ich sehne mich so nach ihm und werde nie aufhören, dies zu tun. Doch vielleicht kann ich lernen, damit umzugehen. Ich könnte es versuchen. Obwohl der Tod die einfachere Lösung darstellt. Aber so vieles war nicht einfach. Auch bei uns nicht und wir haben es geschafft. Vielleicht schaffe ich es auch allein. Mit ihm in meiner Vergangenheit. Doch ich weiß, und kann es beschwören, ich werde ihn auf immer und ewig lieben, bis über den Tod hinaus. Mein Herz gehört ihm. Vielleicht sollte ich doch den einfacheren Weg nehmen...?

Sie ist tot. Meine Kehle ist trocken und schnürt sich zusammen, mein Herz findet kaum Kraft, weiter zu schlagen und die Flammen in meinem Körper brodeln auf und können nicht erstickt werden, blutrot breiten sie sich aus. Meine Seele schreit stumm ihren Namen in die Nacht hinaus und meine Hand krallt sich an den Fetzen Papier, der mir dies Unglück erklären soll. Er ist verknittert, schmutzig und feucht von Schweiß und Tränen, doch mein Geist sieht ihn mit wachem Auge und entziffert das dunkle Schriftbild: "Ein tragischer Unfall hat sich gestern an der Cross Road Ecke Railway - Station zugetragen. Ein junges Mädchen überquerte diese unüberschaubare Straße und wurde von einem LKW erfasst. Der angetrunkene Fahrer hatte die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und riss den Körper der 17jährigen über mehrere Meter mit. Das Mädchen erlag in der Nacht ihren Verletzungen."
Jetzt begreife ich. Ich habe sie gesehen. Ihren schlaffen Körper auf der Trage, mit Blut getränkt. Doch meine Kleine war bei Bewußtsein und sah mich auch. Ich hätte gar nicht hier sein sollen. Hätte meinen Kopf in den Kissen vergraben und mich der zerstörerischen Hoffnung auf ein neues und besseres Leben unterwerfen sollen. Doch von einem inneren Zwang heraus war ich aufgestanden und habe mich im Flur des Krankenhauses wiedergefunden. So habe ich sie sehen können. Und sie mich. Sie schaute mir in die Augen und drang tief in meine Seele. Und sie verstand. Sie verstand, warum ich so handelte. Sie verstand die Lüge. Ich wollte zu ihr, doch ein Pfleger kam herbeigeeilt und packte mich an den Armen. Ich war zu schwach, um Widerstand zu leisten, doch ich drehte mich noch einmal um, und sah, wie sie lächelte. Ihre Lippen formten leise Worte, die die Seelen des Raumes zu mir hinübertrugen, so dass nur ich sie hören, spüren und begreifen konnte. Der Pfleger führte mich auf mein Zimmer und gab mir Tabletten, doch ich war benebelt von diesem Zusammentreffen, dass das Beruhigungsmittel überflüssig war. Erst später kam das Zittern, doch jetzt bin ich wieder ruhig.
Mein Körper ist schwach, ich liege nur noch da und denke an sie. Wie ich es auch schon zuvor tat. Meine Krankheit ist im Endstadium. Ich werde ihr bald folgen, doch ich habe keine Angst. Sie wird mich empfangen, das hat sie mir gesagt. "Ich warte" waren die Worte. Ich wollte sie schützen, ihr nicht sagen, dass ich sterben muss, so erfand ich eine Lüge. Doch es musste so kommen, wie es kam. Wir gehören zusammen, bis in alle Ewigkeit, und darüber hinaus. ...

 

Hallo Christina!

Deine Geschichte ist sehr ergreifend und fesselnd. Irgendwie spürt man, dass wohl ein großer Teil davon leider auf persönlichen Erfahrungen basieren muss. Leider deshalb, weil man auf solche Erfahrungen wohl besser verzichten möchte.
Ich finde Deine Art zu schreiben wirklich gut.

Was mich allerdings ein bißchen verwirrt hat, was ich auch nicht ganz verstanden habe, war der Perspektivenwechsel. SChreibst Du aus der Sichtweise zweier verschiedener Menschen? Das kam meiner Meinung nach aus dem Text nicht so ganz klar heraus.

Aber ansonsten hat mir Deine Geschichte sehr gut gefallen. Sie war vor allem sehr emotional und das hielt mich am Lesen.

Viele Grüße!
Andrea

 

Hallo Chrissy,

das ist ein schöner und ergreifener Text. Ich muss gestehen, dass ich ihn zweimal gelesen habe. Und zwar wollte ich versuchen, von den ersten sehr emotional bestimmten Lese-Eindrücken wegzukommen und den realistischen Hintergrund zu erfassen, der dem Text zugrunde liegt.

Was ich verstanden habe, sind nun folgende Dinge. Es wird aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt, dem "Er" und der "Sie". Der Leser hat hierbei das Problem, dass er nicht recht weiß, auf welche Seite er sich schlagen soll. Offenbar handelt die Geschichte von einer sehr tiefgehenden Liebe, die aber unglücklich endet, weil er die Beziehung beendet. Allerdings hat auch er seinen inneren Grund, am Ende des Textes spricht er von einer "Lüge", die sie verstanden, begriffen und verziehen hat. Eine dritte Person, eine andere Frau, wird nur am Rande erwähnt und sehr flüchtig gezeichnet.

Die ersten Abschnitte scheinen einen Zeitpunkt des Erzählens zu bestimmen, an dem alles schon "vorbei" ist. Dann kommt in der Mitte der Satz "vor einem Monat fing alles an". Von da an wird chronologisch erzählt bis zum Ereignis ihres Todes, bis zur Begegnung im Krankenhaus, die eine gewisse Versöhnung bringt. Nun aber stellt sich die Frage, wo liegt der Erzählstandort für die ersten Abschnitte? Ist sie hier bereits tot, reflektiert sie aus dem Jenseits. Er scheint sie verloren zu haben und trauert ihr nach.

Das sind so ganz vordergründige Fragen, die ich mir als Leser stelle, nicht etwa, weil ich den Text schulmeisterlich auf einen Leisten spannen möchte, sondern schlichtweg, weil ich ihn verstehen möchte. Hätte mich der Text in seiner sprachlichen Schönheit nicht sehr berührt und angesprochen, ich würde nicht so pedantisch nach dem Inhalt fragen.

Mit vielen Grüßen

Hans Werner

 

Hallo zusammen!

Ich freue mich, dass euch meine Geschichte gefallen hat und möchte nun endlich die noch offenstehenden Fragen versuchen zu beantworten.
Zunächst mal wurde richtig erkannt, dass ich aus der Sicht zweier Personen geschrieben habe, deren Gedankengänge sich den Absätzen entsprechend abwechseln. Der erste Absatz erzählt also aus der Sicht des jungen Mannes, der eine schwere Krankheit hat, welche auch der Grund für seine Lüge ist. Durch eben diese Krankheit geschwächt, sind seine Gedanken teilweise etwas wirr und er steigert sich immer mehr in den Verlust seiner großen Liebe. Die ganze Zeit über liegt er im Krankenhaus und ist allein, denn da er nicht wollte, dass sie unter seiner Krankheit zu leiden hat, hat er die Lüge mit der fremden Frau erfunden. Sie dagegen ist bei sich daheim, da sie ja nicht weiß, dass er im Krankenhaus liegt. Auch sie steigert sich immer mehr in ihre Gefühle. Als sie nach dem Unfall in dasselbe Krankenhaus eingeliefert wird, wie er und erkennt, dass er krank ist, kann sie ihm verzeihen. Sie verspricht ihm, im Jenseits auf ihn zu warten und er versteht, dass selbst seine Krankheit sie nicht trennen kann.

Mit vielen lieben Grüßen

Chrissy!

 

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