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Was für ein Abend
Ich tastete mich im Dunkeln vorwärts. Chancenlos hoffte ich, auf eine Türe zu stossen. Mir wurde schwindelig. Ich blieb stehen und lehnte mich an die Wand. Ich setzte mich, mit angezogenen Beinen, auf den Boden. Mein Kopf lag auf meinen Knien und ich schluchzte leise. Es war zum verrückt werden. Trotzdem schlief ich irgendwann ein.
Ab und zu sah Louis ein junges Mädchen mit einem älteren Mann die Treppe zur ersten und zweiten Etage hochsteigen. Louis wusste genau, was das bedeutete, aber im Moment kümmerte ihn das wenig, denn er war auf der Suche nach seiner Schwester.
„Hey Louis“, die Stimme kam Louis irgendwie bekannt vor, „was machst du denn hier? Ich dachte du gehst nicht in solche Clubs…“ Louis drehte sich um und sein Mund verzog sich zu einem Lachen. Es war Ethan. Sie begrüssten sich mit einem Handschlag und Louis sagte:
„Hey Ethan. Schön dich zu sehen.“
„Und, was machst du hier in diesem finsteren Club?“, wollte Ethan wissen.
„Naja“, meinte Louis, „eigentlich suche ich meine Schwester. Sie ist mal wieder ausgebüxt.“
„Deine Schwester? Das ist Elea, nicht wahr?“, meinte Ethan. Louis nickte.
„Aber sag mal, die ist doch bestimmt schon 15 Jahre alt oder so“, sagte Ethan.
„Ja, sie ist 16“, Louis wusste nicht, wie er es formulieren sollte, „aber sie ist sehr naiv. Sie glaubt allen alles und sieht nur das Gute in den Menschen. Heute Abend ist sie einfach mit ihren Kollegen und Kolleginnen weggegangen. Ich will gar nicht wissen, was ihr alles zustossen könnte!“
„Okay. Aber wieso suchst du gerade in diesem extremen Club?“, wollte Ethan wissen.
„Einer aus ihrer Klasse fährt auf diesen Club ab und ist heute Abend mit Elea und den andern unterwegs“, war Louis' Antwort, „deshalb muss ich nun auch weiter. Sie ist nicht hier. Rufst du mich an, wenn du sie siehst?“
„Ja klar“, meinte Ethan.
Die beiden verabschiedeten sich und Louis ging in die Bar gegenüber des Clubs, um ein Glas Cola zu trinken.
Ich hörte Schritte. Sie kamen von überall und doch von nirgendwo. Es machte mich ganz wahnsinnig. Ich schloss die Augen und hielt mir die Ohren zu. Ich hörte das schnelle Pochen in meinen Ohren.
Dann packten mich plötzlich zwei starke, grobe Hände an der Hüfte und hoben mich einfach hoch. Ehe ich mich versah hing ich einem grossen Typen über der Schulter. „Hey! Lass mich sofort herunter!“, schrie ich. Aber der Kerl sagte kein Wort, hielt mich noch fester und ging weiter durch den Raum. Ich wehrte mich und versuchte, mich loszumachen. Als ich merkte, dass ich keine Chance hatte, gab ich schnell auf, um die Kraft für später aufzuheben. Ich hatte ja keine Ahnung, was noch auf mich zukommen würde.
„Was ist?“, fragte er etwas irritiert.
„Entschuldigung“, das Mädchen holte Luft, „ich bin Anja. Eine Mitschülerin von Elea.“ Louis sah sie etwas verblüfft an. Er hätte nicht gedacht, dass es so einfach würde, seine Schwester zu finden.
„Wo ist Elea?“, fragte Louis mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Das ist genau mein Problem“, antwortete Anja, „wir können sie nicht finden. Sie ist weg, genau wie Rafi!“
Okay, Louis wusste, dass es doch nicht einfach würde. Was hatte seine Schwester bloss vor? Sie war schon immer gut im Verstecken spielen gewesen. Aber jetzt war sie schon 16 und die Spiele wurden gefährlicher, jedenfalls um diese Zeit irgendwo draussen auf der Strasse oder in Clubs und Bars.
Louis war nicht sonderlich begeistert: „Na toll. Und jetzt?“
„Genau deswegen suche ich dich“, erwiderte Anja, „du musst mir helfen sie zu finden, bevor noch etwas passiert. Die anderen sind nochmals in die Bars und Discos gegangen, in denen wir vorher waren.“ Louis zahlte seine Cola und zog Anja aus der Bar. Draussen auf der Strasse fragte er sie:
„Und wie hast du gedacht, könnte ich dir nun helfen?“
„Keine Ahnung“, meinte Anja, „ich dachte du könntest mich begleiten, wenn ich in Rafis Stammclubs und Bars suche. Ich will dort nämlich nicht alleine hin.“
„Okay“, Louis war damit einverstanden, „aber wie kommst du darauf, dass ich Elea dort finde, wo Rafi ist? Der ist ja, so viel ich gehört habe, nicht gerade ein Lamm…“
„Ich weiss, aber ich bin sicher dass er ihr gefolgt ist, als sie frische Luft schnappen ging. Ich denke, sie sind gemeinsam verschwunden.“ Diese Erklärung war akzeptabel.
Das Licht kam von einem Zimmer, dessen Türe offen stand. Ich schaute vorsichtig hinein. Niemand war zu sehen. Das Ganze gefiel mir überhaupt nicht. Ich durchquerte das ganze Zimmer bis ich auf der gegenüberliegenden Seite stand und die Türe im Auge hatte. Ich versteckte mich hinter einem Sessel und wartete. Eine Minute war vergangen als sich die Wand hinter mir bewegte. Erschrocken drehte ich mich zu ihr um. Sie wurde hochgezogen. Ich verstand nicht, wie ich diesen Vorgang ausgelöst hatte. Dann sah ich in ein kleines Zimmer hinein. Mir gegenüber war eine Türe. Ich schlich auf Zehenspitzen zu ihr und schaute durch das Schlüsselloch. Ich sah einen kleinen Korridor. Kein Mensch war zu sehen. Ich trat durch die Tür und öffnete eine nach der anderen, die vom Korridor wegführten. Eine Türe führte in die Männer-Toilette, eine Weitere in die Frauen-Toilette. Die Dritte war mit „Putzkammer“ angeschrieben. Die vierte Türe, zu meiner Rechten, war weder angeschrieben noch hatte sie ein Schlüsselloch. Ich öffnete und schrie laut auf.
Anja griff nach Louis' Hand und sagte:
„Komm.“ Sie zog Louis hinter sich her. „Entschuldigen Sie, haben Sie Rafi gesehen?“, fragte Anja den Barkeeper. Dieser antwortete mit rauchiger Stimme:
„Ja. Vorher war er kurz hier und hat ein Glas Whisky hinuntergekippt. Dann ist er wieder gegangen.“
„War er alleine?“, fragte Anja ungeduldig. Den meisten Typen muss man alles zur Nase raus ziehen. Der Mann erwiderte:
„Nein. Da war so ein Mädchen dabei. Muss sehr, sehr jung sein. Er nannte sie Lea oder so ähnlich. Sie wollte keinen Whisky mittrinken, trotz ihres kranken Gesichts."
„Danke".
Die ganze Zeit über schrie ich: „Lasst mich los! Was fällt euch eigentlich ein! Hilfe!“ Dann schob mir einer der Kerle einen grossen Schwamm in den Mund und band ein Tuch um meinen Kopf. Mein Schreien wurde um einiges gedämpft.
„Anhalten!“, schrie Anja. Sie sprang aus dem Wagen und dem Schatten nach. Louis rief ihr noch hinterher:
„Anja, bleib hier!“, aber sie war schon weg. Also musste er hinterher. Als Louis Anja gefunden hatte, sass sie weinend auf dem Boden. In ihren Armen ein zweites, ebenfalls weinendes Mädchen.
„Was zum Kuckuck..“, doch Anja liess Louis nicht ausreden.
„Das ist Irina“, schluchzte sie, „sie hat gesehen, wie Rafi in eines der Abbruchhäuser gebracht wurde.“ Irina flüsterte:
„Sie haben ihn einfach mitgenommen und das fremde Mädchen auch.“
„Welches Mädchen? Wieso mitgenommen? Was läuft hier eigentlich?“, Louis war ganz verwirrt. In was war er da hineingeraten…
„Elea und Rafi sind entführt worden. Eigentlich nur Rafi. Er hat wohl mal wieder etwas nicht bezahlt. Aber sie haben Elea mitgenommen“, überlegt Anja schon wieder etwas ruhiger. Louis half den beiden Mädchen hoch und sie gingen zurück zu seinem Auto. Er half Irina beim einsteigen und sah Anja fragend an.
„Ich weiss nicht, was wir tun sollen“, sagte sie verzweifelt. Den Dreien wurde allerdings die Entscheidung sofort abgenommen.
„Ich habe es nicht!“, schrie Rafi zurück, „und im Moment bin ich gerade unfähig es zu organisieren.“ Der Kerl schlug Rafi und zischte:
„Die Witze werden dir gleich vergehen. Muss halt deine Freundin dafür büssen!“ „Nein!“, rief Rafi, „das könnt ihr nicht machen!“
„Oh doch“, der Typ grinste belustigt, „wir können machen was wir wollen. Keiner wird uns davon abhalten. Ich zeig es dir.“
Er drehte sich um und kam auf mich zu. Ich machte meine Augen weit auf. Eine Sekunde später quietschte ich los und Tränen schossen mir in die Augen. Ich biss ganz fest auf den Schwamm. Der Kerl hatte meinen Busen so fest gedrückt, dass mich der Schmerz von oben bis unten überfiel.
„Hört sofort auf!“, Rafi wurde rasend, doch er konnte nichts tun. Der Typ, der mich festgehalten hatte, riss mich nun vom Stuhl hoch und stiess mich weg. Ich stolperte und fiel auf den kalten, harten Betonboden. Es tat sehr weh. Doch das war noch nicht alles. Alle lachten und einer begann auf mich einzutreten. Ich krümmte mich zusammen und versuchte mich gegen die Tritte zu schützen. Rafi schrie und schimpfte. Irgendwann verlor ich das Bewusstsein.
„Das ist Rafi!“, Anja rannte los. Louis setzte sich in den Wagen und fuhr sofort hinterher.
Anja befreite Rafi von seinen Stricken. Louis drehte sofort das andere Bündel um. „Elea!“, er war zutiefst erschrocken. Elea blutete im Gesicht und war bewusstlos. Irina kam, mit einer Decke aus dem Auto gelaufen und gemeinsam wickelten sie Elea ein. Während Louis sie hoch hob, zückte Irina das Handy und telefonierte mit dem Krankenhaus. Louis legte Elea auf die Beine von Anja und Rafi, die bereits im Auto sassen. Irina setzte sich auf den Beifahrersitz und sie düsten los in Richtung Krankenhaus.
„Elea“, mein Bruder beugte sich über mich.
„Was ist passiert?“, brachte ich flüsternd heraus.
„Es wird alles gut“, lächelte mein Bruder und nahm mich in den Arm.