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Wendepunkte

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11.07.2015
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Wendepunkte

Chester Miller saß in seinem Auto. Der Regen prasselte gegen die Scheiben. Er holte sein Handy hervor: Drei Anrufe in Abwesenheit. Doch der folgende Anruf wird sein ganzes Leben verändern und ihn physisch und psychisch völlig zerstören.
Chester, auch Ches genannt, hatte schon in jungen Jahren seine Leidenschaft zum Text entdeckt. Er wälzte sich für sein Alter schon sehr früh, durch dicke Romane, die andere Kids höchstens aus den Wohnzimmerschränken ihrer Eltern oder unter dem Fuß ihres Wackelnden Schreibtisches kannten. Aufgewachsen war er in einer Kleinstadt. In so einer Stadt, man könnte fast Dorf sagen, in der jeder jeden kannte. Der kleine Ches wurde von jedem zweiten gegrüßt, wenn er in die kleine, aber lange, Einkaufsstraße entlang schlenderte. Ein kleiner dürrer Junge, mit fast weiß blondem Haar, süße Bäckchen und immer ein Lächeln im Gesicht. Als Kind gefiel ihm die Aufmerksamkeit sehr, er hatte das Gefühl dazu zu gehören und nicht übersehen zu werden. Mit zunehmenden Alter begeistert es einen nicht mehr so sehr, die wachenden Augen seiner Mitmenschen ständig auf sich gerichtet zu haben. Wenn die Nachbarn sofort Bescheid wussten, sollte man mal erst morgens nach Hause kommen oder lauten Besuch empfangen und dann das Getuschel und die fragenden, fast schon verurteilenden Blicke der älteren Generation, auf der Bank vor der Hauswand. Nein, umso älter Chester wurde, umso mehr wuchs das Verlangen nach der Ferne in ihm. Er wollte in eine Großstadt und wusste schon früh, dass er schreiben will. Ein Autor, der seine verrücktesten aber auch verblüffendsten und mitreißendsten Gedanken und Fantasien zu Papier bringt. Das war sein Traum... und er wurde wahr.
Jedoch verlief nicht alles so wie er es sich vorgestellt hatte. Mit (18) begann der junge Miller eine Ausbildung als Elektroniker, in einer großen namenhaften Firma. Sein Vater William hatte nicht ganz Unschuld daran. Dieser arbeitete schon lange dort und war mit den Jahren gut aufgestiegen. "Ein wenig Vitamin B schadet niemandem", pflegte er immer zu sagen. William war ein lebensfroher und freundlicher Mensch. Ging offen auf alle Leute zu und wurde auch gern herzlich schon von weitem gegrüßt. Ein mittelgroßer Mann, lichtes dunkel blondes Haar, wie sein Sohn blaue Augen, einen Schnäuzer im rundlichen Gesicht und leichtem Bierbauch, an dem er viele Jahre gearbeitet hatte. Mit einem Grinsen im Gesicht streichelte er gerne mal über diesen: "Wozu Sixpack wenn man ein Fass haben kann". Er war sich für nix zu schade. Wo andere schon leicht erröteten, konnte er nur herzlich lachen. Er war gut zu seinem einzigen Sohn. Ließ ihn viel durch gehen, obwohl es auch, wie bei den meisten Teenagern, Fasen gab, an denen sich Ches nicht von seiner besten Seite zeigte und dafür dann die passende Ansage bekam und die Konsequenzen tragen musste. Dennoch, er stand immer hinter seinem Nachkommen und nicht selten war er von Stolz erfüllt. Genau so, wie er stolz war, ihn in einem "vernünftigen" Beruf zu wissen. Gern faselte William beim Abendessen wie groß die besagte Firma mit den Jahren geworden ist. Er wollte zwar, als er in dieser angefangen hatte auch nicht gleich dort bleiben. Doch einmal eingearbeitet und nach der ersten Beförderung, folgten noch viele weitere, änderte sich seine Meinung. Seine Frau saß mit am Tisch und versuchte ihren Sprössling die Industrie schmackhaft zu machen. "Du kannst ja immer noch nebenbei ein Buch schreiben, wenn dir danach ist", sagte sie mit sanfter und zuversichtlicher Stimme, Chester mit einem Lächeln in die Augen schauend. "Die Zukunft ist noch nicht geschrieben und es kann noch so viel passieren und auch du wirst noch mehr als einen Wendepunkt erleben. Aber du brauchst erstmal eine gute Grundlage, auf die du vielleicht auch im Notfall zurück greifen kannst." Der junge Miller gab dann auch irgendwann nach und sah ein was seine Eltern ihm rieten. Wenn auch mit Wehmut. Die sich zum Schluss seiner Ausbildung auch bestätigte. Es gab zwar auch Momente, in denen er Spaß an seiner Arbeit hatte und er froh war diesen Schritt gegangen zu sein. Dennoch wurde ihm klar, dass dies nicht seine Berufung ist. Im Praktischen war er nicht ungeschickt und hatte auch viel Freude am Basteln, Schrauben und Werkeln aber die Theorie... Er zog seine Ausbildung trotzdem durch und bestand mit einer durchschnittlichen 2,7. Damit war er völlig zufrieden. Vor allem nachdem es Fasen gab, in denen ein Abschluss nicht in Reichweite schien. Seine Vater und seine Mutter waren sehr stolz auf ihren Jungfacharbeiter. Chesters Mutter war eine schlanke blonde Frau mit ebenfalls blauen Augen, der selbst im Alter noch hinterher gepfiffen wurde. Sie sah nicht alles ganz so locker wie ihr Ehemann, vor allem wenn es um Alkohol und der gleichen ging. Jedoch, sie tat viel für ihre Kinder und versuchte, sie auf die bestmögliche Weise zu erziehen. Was ab und zu auch anstrengend für Ches und seine fünf Jahre jüngere Schwester war, nach außen immer perfekt und makellos wirken zu müssen. Sie wuchsen eher in einer Generation auf, dessen Motto "lieber peinlich als langweilig" war. Dadurch geriet die kleine Familie nicht nur einmal in aufbrausende Diskusionen und Situationen.
Chelse hieß ein weiteres Mitglied dieser Familie. Ein schlankes Mädchen mit, ja eigentlich auch blondem Haaren und blauen Augen. Doch genau wie ihr Bruder hatte sie den Hang zum Ausgefallenen und Veränderungen. Sie beide fingen irgendwann an sich ihre Haare dunkel zu färben, was zu der Zeit aber oft zu einem modernen Haarschnitt dazu gehörte. Also, das Färben. Sie war genau so durchgeknallt und lebensfreudig wie Chester. In jungen Jahren gab es oft Streit zwischen den beiden. Wie man so schön sagt "Mord und Totschlag". Doch mit dem Alter kommt die Reife und die beiden schweißten immer mehr zusammen und waren füreinander da. Eigentlich eine ganz normale Familie, die wie jede andere Familie ihre Eigenheiten mitbrachte.
Einige Jahre vergingen.
Die Geschwister lernten das Leben kennen. Mit seinen Höhen und Tiefen. Seinen wundervollen Geschichten, seinem Schmerz und Glück. Mit Freunden, die gingen und kamen, mit wahren Freunden und falschen Ratten und die, bei denen, egal wie lange man sich nicht gesehen hatte, es einem immer wieder so vor kommt, als hätte man sie gestern erst gesehen. Sie lernten die Liebe kennen und gebrochene Herzen. Sie lernten das Leben kennen, mit all seiner Liebe und all seinem Hass und mit all seinen Wendepunkten.
" Auch du wirst noch mehr als einen Wendepunkt erleben" ... an diese Worte würde der Junge Miller noch oft denken. Im Schlaf wird es ihn verfolgen.

Die Geschwister stehen nun an der Schwelle zum erwachsen werden.
Miller, der mit der Weile ein normal gebauter junger Mann geworden war, mit kantigem Gesicht und drei Tage Bart an Kinn und Kiefer, hatte schon öfter, nach seiner Ausbildung, seinen Arbeitgeber gewechselt, wenn auch ungewollt. Was sein Vater natürlich gar nicht gerne sah. Aber mit Unterstützung kann Miller dennoch immer rechnen, egal in welcher Situation. Doch dies sollte bald alles keine Bedeutung mehr haben. Dies sollte alles bald nicht mehr sehn. Nichts wird mehr so seien wie es war, wenn das Schicksal gnadenlos zuschlägt.
Es war ein düsterer, regnerischer und windiger Morgen. Chester war auf dem Weg zu seinem Hausarzt. Nein, krank war er nicht. Er hatte nur mal wieder verschlafen und besorgte sich nun seine Entschuldigung. Im Wartezimmer stellte er noch schnell den Klingelton seines Smartphones aus. Er konnte es nicht leiden, wenn in diesem ruhigen kleinen Raum sein aktuelles Lieblingslied plötzlich laut erschallte. In dem Raum, in dem jeder seine Nase in veralterte Zeitschriften oder dem Handy vergrub und man meistens nicht mehr Worte als "Hallo" oder "Guten Tag" zu hören bekam, außer das Gequengel von nervigen kleinen Kindern, die auf ihre Mutter nicht hören wollten. Im Radio liefen die Nachrichten und nebenbei schnappte der Wartende Fetzen eines Berichts über ein Flugzeugabsturz auf. "Schon wieder einer?",fragte er sich im Stillen. Doch er wartete nicht lange. "Ein Vorteil in dieser Gemeintschaftspraxis", dachte sich Miller. Er erfand schnell etwas von Kopfschmerzen und Übelkeit. Das zieht immer. So schnell er rein gekommen war, so schnell war er auch schon wieder draußen in seinem Auto. Mit einem Rezept für Kopfschmerztabletten und ACC Tropfen und einem gelben Schein.
Sein Coupé war einer der älteren Generation, einer Oberklassen Marke. Zwar noch ohne H-Kennzeichen aber zumindest zwei Jahre älter als er selber. Die neueren Modelle waren ihm alle zu rund und er liebte es, wenn man den Sound des Wagens hörte. Genauso wie er eine nicht all zu extreme Leidenschaft für die Straße hegte. Er genoss es einfach, Stundenlang durch die Gegend zu fahren. "Da kann man seine Gedanken so schön schweifen lassen", hatte er oft als Argument gebracht. Er war kein Protzer, der mit diesem Fahrzeug irgendetwas Beweisen musste und die Marke war ihm beim Kauf wirklich nicht das Wichtigste. Er stand einfach auf den Look der alten Autos und war froh das Glück zu haben, seine Vorlieben in diesen preislich angemessenen Gefährt gefunden zu haben. Dieses führte ihm auch immer wieder vor Augen, was für ein Glück er mit seinen Eltern hatte, die ihm erlaubt hatten, sein Sparkonto für diese Leidenschaft plündern zu dürfen. Zu Anfang, wie Teenager nun mal so sind, präsentierte er dieses auch gern. Sprach ihn nun einer auf das Auto an, oder muss er sich wieder mal mit einem "hater" rumschlagen, die meinen, einen zu kennen oder mit mehr Ps. prahlen zu müssen, antwortete er nur trocken: "Es ist nur ein Auto.". Aber für ihn hatte es Charakter.
Der Regen prasselte gegen die Scheiben. Chester holte sein Handy hervor: Drei Anrufe in Abwesenheit. Er zuckte kurz zusammen als dieses plötzlich vibrierte. Die Nummer kannte er nicht. "Hallo?" Eine raue dunkle Männerstimme antwortete ruhig und sachlich: "Ja, Hallo? Bin ich da mit Chester Miller, dem Sohn von William und Alica Miller verbunden?" "Ja der bin ich. Worum gehts denn?" Der Regen wurde lauter und nach einer kurzen Pause hörte man den Jungen entsetzt fragen: "Das ist ein schlechter Scherz?" Im selben Augenblick zitterte Ches am ganzen Körper. Jetzt wurde ihm wirklich schlecht. Seine Augen weit aufgerissen gleitete ihm das Handy aus der Hand und landete unglücklich, so dass die Freisprecheinrichtung aktiviert wurde. Sein Puls raste und das Schlagen seines Herzens wurde so stark, dass man diesen mit bloßem Auge an der Bewegung seines Shirts hätte sehen können. "Hallo? Herr Miller?" Durch das Getöse des Regens und wie in Trance drangen die Worte wie Messerstiche zu ihm durch. "Nein das ... kein Scherz ... Ihre Eltern waren ... Maschine ... Absturz ... mir leid ... Formalitäten ... Hallo?" Beschissener hätte es einem nicht beigebracht werden können, außer vielleicht über Skype mit live Bilder von der Unfallstelle. Völlig aufgelöst stürzte der Benachrichtigte aus seinem Wagen. Zusammen gekrümmt und auf allen Vieren durchnässte seine Kleidung in der Pfütze, auf dem harten kalten Betonboden des Parkplatzes. Es brach aus ihm heraus und er heulte. Er heulte, wie er es noch nie getan hatte. Sein Körper bebte und der Junge nahm gar nichts mehr wahr. Er konnte gar nicht mehr aufhören, war außer Kontrolle und es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor, die er den salzigen Geschmack auf seinen Lippen spürte und seine Augen fest zu kniff.
Nach einiger Weile konnte er sich wieder aufrichten, doch saß noch lange an sein Auto gelehnt dort. Dass die Zigarette in seiner rechten Hand schon längst erloschen und durchgeweicht war störte ihn wenig. Er starrte nur ins Leere und seine Gedanken überschlugen sich.
"Chelse!" Schoss es wie eine Silberkugel durch seinen Kopf. Ihr Handy war aus. Mit quietschenden Reifen bremsend hielt er vor ihrer Wohnung. Drückte jede Klingel, die er mit zitternder Hand ergreifen konnte und sprintete die Treppe hinauf. An der Wohnungstür angekommen hämmerte er heftig dagegen und ... diese öffnete sich. Sie war nur angelehnt. "Chelse?!" er stürmte durch die Räume auf der Suche nach seiner kleinen Schwester. Erfolglos. Niemand da und auf einmal viel ihm auf dass hier irgendetwas nicht stimmt. Als hätte eine Bombe eingeschlagen, überall Klamotten verstreut. In der Küche eine Milchtüte die ihren Inhalt auf dem Boden verteilt hatte. Aber irgendwie sah es auch leerer hier aus und dann viel sein Blick auf ein knitteriges Stück Papier auf dem Sofatisch. Etwas stand dort geschrieben. Diese zitterige Handschrift war die des Mädchens: " Hey kleiner Bruder. Wenn du das hier ließt hast du es sicher schon erfahren. Ich halte das nicht aus. Ich muss weg. Ich werde dich finden aber du musst mir versprechen, bis dahin stark zu bleiben. Mach doch was aus deinem Schreib ..Ding. Starte einen Neuanfang. Besauf dich ruhig erstmal richtig, wenn es dir hilft aber fall nicht wieder in ein Loch. Denn da bin ich schon. Ich kann dir gerade nicht viel sagen, denn ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen und ich will nicht dass du mich so siehst. Du musst jetzt für uns beide stark sein! Ich will nur dass du weißt, dass ich dich über alles liebe und wir werden uns wieder sehen! Versprich mir das! Ich muss weg. Versprech es mir! Deine kleine Nervensäge und dich über alles liebende Schwester"
Stille ... gar nix war zu hören. Der gebrochene Mann kniete wieder auf dem Boden und wieder überkam es ihn. Er hämmerte schluchzend seine Faust in den Boden, schlug immer wieder zu, bis diese aufplatzte und das Blut diesen rot färbte. Chester spürte nichts bis auf den stechenden zerreißenden Schmerz in seiner Brust. Zum ersten Mal in seinem Leben wusste er, was es heißt wirklich alleine zu sein. Er war so allein.

Einige Wochen vergingen. Begleitet vom täglichen Komasaufen und Verschanzen in der dunklen Bude seiner verschwundenen Schwester. Chester war vor dem Zwischenfall eigentlich fleißig dabei gewesen, seine eigenen vier Wände zu finden, hatte aber noch keinen Erfolg gehabt. Sämtliche Kontaktversuche von außerhalt hatte er ignoriert. Irgendwann auch sein Handy und die Wohnungsklingel abgestellt.
Eines Abends saß er, wie die meiste Zeit, vor dem Sofa auf dem Boden und starrte auf den mit der Weile angetrocknete krustige Blutfleck. Miller verzog keine Miene, um ihn herum herrschte mehr als Chaos. Leere Fast Food Schachteln, Dosen, stinkende Teller mit vergammelten Essensresten und überall leere Flaschen. Eine davon in seiner rechten Hand. In der linken den Brief von Chelse gingen ihn immer wieder ihre geschriebenen Worte durch den Kopf. Doch dann wurde ihm klar was er tun muss. Wenn auch nicht für sich selber, dann wenigstens für seine Schwester. Für seine Familie. Geistesabwesend schnappte er sich einen Block und einen Stift und ... "ich verspreche es dir!"... fing an zu schreiben.
Einige Jahre später. Der Junge Miller hatte damals seinen ersten Bestseller verfasst und von heute auf morgen alles hinter sich gelassen. Die verunstaltete Wohnung, sein Elternhaus, seine Stadt, seine Heimat. Er hatte es geschafft. Er lebte nun in einer Großstadt. Er wurde ab und zu erkannt, lief von Interview zu Interview und erzählte seine Geschichte wie er vom Abgrund aufgestiegen war und sich selbst gerettet hat. Dass er es ohne diesen Brief, den er immer bei sich trug wahrscheinlich keine Hoffnung mehr gesehen hätte. Doch er hoffte und bat jedes Mal in der Öffentlichkeit, ihm Bescheid zu geben, falls irgendjemand seine Schwester gesehen hatte. Er flehte, sie solle sich bei ihm melden und er würde nie aufhören, auf sie zu warten und sie zu suchen.
Eines Abends genoss Miller in seinem schick modernen Apartment noch ein Glas Wein vor dem Großbildfernseher, als es unerwartet an der Tür klopft. Mit fragendem Blick ging Miller zur Tür. Er zuckte, als er durch den Spion schaute und sah noch ein zweites Mal hin. Er konnte es nicht glauben " Kann das...?", fragte er sich stammelnd. Er öffnete vorsichtig die Tür. Er wurde kreide bleich. Die hübsche Frau, die dort auf seiner Türschwelle weinend zusammenbrach ... es war Chelse. Das Glas zersprang in tausend Teile, als es den Boden erreichte und Chester seine Hände vor den Mund schlug. Er sackte nieder, seine Augen wurden nass. Er beugt sich zu ihr vor und zog seine kleine Schwester an sich heran. Jetzt schluchzten beide und lange bekam keiner von ihnen ein Ton heraus. Dann hörte der Schriftsteller die Worte zwischen den Heullauten seiner Blutsverwandten, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließen und ihm sofort am ganzen Körper Gänsehaut bescherte.
"... Mama .... Koma .... sie lebt. "

 
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Hallo Abiss,

und herzlich Willkommen hier im Forum!

Den Titel hab ich abgeändert. Dass es sich um eine Kurzgeschichte handelt, sollte ja klar sein. Was jetzt das Studien-Storyboard bedeuten soll, weiß ich nicht so recht. Also falls du sagen willst, du hast als Vorrecherche irgendwelche Fallstudien zur Traumatabewältigung der Hinterbliebenen von Flugopfern betrieben, dann schreib das in einen Extrapost unter die Geschichte.

So aber nun zum Text. Hast du dir vorher überlegt, was er bezwecken soll? Also sonderlich berühren konnte er mich nicht, auch die Spannung kam relativ spät auf und konnte auch nicht gehalten werden. Die Geschichte hat einen großen Knackpunkt, was viele Anfänger nicht beherzigen. Da wird viel zu viel erzählt und zu wenig gezeigt, vor allem zu Beginn. Eine gut durchdachte Story sollte es schaffen dem Leser ein Gefühl für den Charakter zu geben aber auch die Geschichte, das was eigentlich erzählt werden will, voranbringen. Für mich beginnt alles eigentlich hier:

Es war ein düsterer, regnerischer und windiger Morgen.
Wenn du dem Leser ein Bild der Familie vor der Katastrophe zu präsentieren willst - was ja durchaus Sinn macht, weil es einen Bruch darstellt -, dann konzentrier dich auf einzelne Szenen. Ich hab da mal eine Geschichte von Stephen King gelesen, lange her, und ich bin jetzt zu faul zum Rauskramen, aber da ging es auch um ein Geschwisterpaar. Und der Bruder erhält einen Brief, glaube ich, von seiner Schwester, die mittlerweile in der Stadt lebt, depressiv, und es ist ein Abschiedsbrief. Der Bruder erinnert sich dann an das Spielen in der Scheune, wie sie immer wieder diese Leiter hochklettern und ins Heu springen, bis es einmal schief geht und eine Sprosse durchbricht. So sollte man so eine Geschichte angehen. Sich auf zwei bis drei Szenen beschränken, diesen Leben einhauchen. Am besten verknüpfst du die dann noch irgendwie. Wer sagt denn, dass es immer chronologisch aufgebaut sein muss? Regel Nummer eins beim Schreiben ist, den Leser gleich zu Beginn zu fesseln. Dein Einstieg ist nicht optimal. Dass du mit der Szene im Auto einsteigst, ist gut. Aber nur zu sagen "der folgende Anruf wird sein Leben zerstören", das ist halt wieder tell statt show. Lass ihn doch gleich schluchzen und zusammenbrechen.
Ein mittelgroßer Mann, lichtes dunkel blondes Haar, wie sein Sohn blaue Augen, einen Schnäuzer im rundlichen Gesicht und leichtem Bierbauch, an dem er viele Jahre gearbeitet hatte. Mit einem Grinsen im Gesicht streichelte er gerne mal über diesen: "Wozu Sixpack wenn man ein Fass haben kann".
Diese ganzen Adjektive kannst du streichen. Das sagt nichts über die Person aus. Höchstens dieser Spruch ... ja, der macht ihn ganz sympathisch, obwohl man den auch schon oft gehört hat.

Der kleine Ches wurde von jedem zweiten gegrüßt, wenn er in die kleine, aber lange, Einkaufsstraße entlang schlenderte. Ein kleiner dürrer Junge, mit fast weiß blondem Haar, süße Bäckchen und immer ein Lächeln im Gesicht.
Hier hätte man auch einen Cut setzen können. Und dann zeigen, wie er sich im Spiegel betrachtet, verkatert, Augenränder bis zum Kinn, einfach richtig beschissen aussieht.


Doch dies sollte bald alles keine Bedeutung mehr haben. Dies sollte alles bald nicht mehr sehn. Nichts wird mehr so seien wie es war, wenn das Schicksal gnadenlos zuschlägt.
Ja, ich hab's kapiert. ;) Im Ernst, das braucht es nicht. Lieber gleich einsteigen. Vllt mit "Es geschah an einem regnerischen ..."

"Nein das ... kein Scherz ... Ihre Eltern waren ... Maschine ... Absturz ... mir leid ... Formalitäten ... Hallo?" Beschissener hätte es einem nicht beigebracht werden können, außer vielleicht über Skype mit live Bilder von der Unfallstelle.
Das ist zwar, wenn man das so losgelöst vom Kontext betrachtet ein guter Satz. Aber da lese ich zu stark den Autor raus. Du musst dich immer fragen, was der Prota in dieser Situation denkt. Das ist wohl der unpassendste Moment in der Geschichte für einen solchen Vergleich, auch wenn er gut klingt.

Kurz gefasst: Mehr Dialog, prägnante Szenen und weniger Adjektive und die Sache wäre runder.

Und der Schlussakkord ist für mich nicht stimmig. Das klingt er nach Widerauferstehung. Also dass sie im Koma liegt, hätte schon früher vorkommen müssen, was andererseits das Überraschungsmoment zerstört hätte. Aber so kommt das zu effekthascherisch rüber.

Schönes Wochenende wünscht

Hacke

 

Danke Hacke für die brauchbare Kritik. :)
Dieser Text war eine "Hausaufgabe" fürs Studium im der Übung Storyboard / -telling. Daher hatte ich
dies in der Überschrift erwähnt. Der Text ist demnach schnell entstanden und wurde nicht gründlich durchgeplant oder bearbeitet.
Ein Feedback hierzu war mir dennoch wichtig. Dieses kann ich gut verwenden sollte ich demnächst, wie geplant, mit meiner ersten richtigen Geschichte / Roman beginnen.
Deine Anmerkungen kann ich gut nachvollziehen und werd sie mir zu Herzen nehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Abiss

 

Hallo Abiss,

willkommen bei den Wortkriegern.

Eine Hausaufgabe oder Übung als Text hier zu posten ist schon mal ein guter Anfang :thumbsup:

Ich finde, dass Hacke dir gute Hinweise gegeben hat, die du auch für die Überarbeitung dieses Textes nutzen solltest.
Es geht hier im Forum schließlich nicht darum, Kritiken und Meinungen zu bekommen und diese für die jeweilige Geschichte ungenutzt zu lassen.
Denn wie ich dich verstanden habe, willst du die Anmerkungen erst für deine nächsten Projekte nutzen. Mach dir keine Sorgen, auch für deine nächsten Texte wirst du passende Anmerkungen erhalten, wenn du beweist, dass du sie dir auch zu Eigen machst und nicht wieder nur für deine übernächsten Texte sammelst ...

Also ran an die Arbeit. Was spricht dagegen, den Text deiner "Übung" nicht zu ändern? :)

Liebe Grüße,
GoMusic

 

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