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Wie ein Adler so frei

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03.05.2017
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Wie ein Adler so frei

Wenn er die Nase voll hat, dann kommt er hier hinauf, liegt manchmal stundenlang im Grün der Wiese und betrachtet die Wolken, die träge oben vorbeischwimmen. Er mag die Wolken, weil sie ihm jedes Mal eine andere Geschichte erzählen. Von Drachen, Schiffen, Hunden, manchmal auch Walen.
Er mag sie, weil sie ihn einfach so daliegen und zusehen lassen. Sie fordern nicht. Reden nicht. Sagen ihm nicht, er solle sein Zimmer aufräumen oder endlich seine Hausaufgaben machen. Schimpfen nicht, wenn er zu lang draußen war oder endlich ins Bett gehen soll.
Wenn er genug hat, schließt er die Augen. Dann sind sie weg und er hat seine Ruhe. Sie erzwingen seine Aufmerksamkeit nicht, auch nicht seinen Gehorsam. Das mag er am liebsten. Sie sind nicht laut, brüllen ihn nicht an. Sie sind durch und durch friedliche Geschöpfe.
Das mag er eigentlich noch viel mehr.

Das Gras ist weich wie ein Bett und duftet noch dazu. Wenn es hoch genug ist, findet man ihn nicht, selbst wenn man nach ihm sucht. Das ist allerdings - zum Glück, denkt er - noch nie vorgekommen.
In seinem Bett im Zimmer hat er sich früher manchmal unter der Decke verkrochen, aber da war es dunkel und stickig und wirklich verstecken konnte er sich darin nicht. Erst hat er seinen Herzschlag gehört, ganz laut, und das Rauschen in seinen Ohren, bis das Gebrüll beides übertönte. Es folgte ihm ins Dunkel und hallte in seinen Gedanken wider, dass er es noch hören konnte, lange nachdem die Eltern aufhörten zu streiten. Es hatte sich eng mit seinem Zimmer verwoben, verfolgte ihn bis in seine Träume oder stichelte ihn, damit er gar nicht erst einschlief.
Wenn die Eltern gestresst waren und nicht einander hatten, um sich anzubrüllen, dann schimpften sie mit ihm. Oft wusste er nicht einmal, dass er etwas falsch gemacht hatte, aber sie fanden immer einen Grund. Dann warf ihm der Vater vor, er sei nicht Mann genug, der Junge. Oder seine Mutter sagte ihm, er sei zu rücksichtslos, unordentlich und faul.
Einmal hat sein Vater ihn geschlagen. Mit der flachen Hand auf die Wange, dass es nur so klatschte. In der Betäubung, die danach über ihn hinwegschwappte, war er sich nicht einmal sicher gewesen, was mehr wehtat – das ewig nachhallende Brüllen oder die Schelle, die ihm Atem und Würde geraubt hatte.
Im Grunde, musste er feststellen, war es ihm gleich. Schmerz ist Schmerz.

Nur hier draußen ist er sicher, denn hierhin folgen sie ihm nicht. Ob es ihnen die Anstrengung nicht wert ist oder ob sie dann einfach in der Tür stehen bleiben und die Luft anbrüllen, weiß er nicht genau. Was für ihn zählt, ist die Sicherheit und die Ruhe. Unter den Wolken wartet er so lang, bis der Vater in die Kneipe geht und die Mutter im Sessel einschläft. Dann rennt er zurück und schleicht sich leise in sein Zimmer.
In der Schule fehlt er nun häufiger, weil er seinen sicheren Ort nicht verlassen will. Inzwischen ist es seiner Klassenlehrerin aufgefallen, denn wenn er doch hingeht, hebt sie halb streng, halb besorgt die Brauen. Einmal wollte sie sogar mit den Eltern darüber sprechen, aber er hatte wild den Kopf geschüttelt.
Nur das nicht.
Dann würden sie ihn noch vor der ganzen Schule zur Schnecke machen, hatte er gedacht, aber den Mund gehalten. So würde er niemals über die Eltern reden, das haben sie ihm früh und unmissverständlich beigebracht. Also war er ein guter Sohn gewesen und der Lehrerin gegenüber standhaft geblieben, bis sie seufzend mit den Schultern zuckte und ihn gehen ließ.

Wenn er einmal groß ist, stellt er sich vor, während er im Gras liegt und die Wolken betrachtet, wenn er groß ist, wird er sich nicht mehr hierhin flüchten müssen. Ein Haus will er haben, am besten ganz weit weg. Aber auch in der Nähe einer Wiese, eine, die genauso ist wie die hier.
Und er will gemeinsam mit seinen Kindern dort hingehen, lachen und herumtoben. Wenn sie müde werden, würden sie sich ins hohe Gras legen, den Geschichten der Wolken zusehen und sich genauso geborgen fühlen, wie er es jetzt tut.
Wenn er einmal groß ist, wird er der beste und netteste Vater der Welt sein, das schwört er sich jedes Mal, wenn er dort liegt und in den Himmel sieht. Und er wird eine Frau haben, die er liebt. Genau wie seine Kinder. Nie wird er laut werden oder sie gar schlagen.

Über ihm schwimmen die Wolken träge dahin, formen einen Vogel – einen Adler, denkt er sich, der frei und unbekümmert über die Welt hinwegsegelt.
Wenn er einmal groß ist, dann wird er genauso frei und unbekümmert sein.
Lange kann es doch nicht mehr dauern.
Und bis dahin bleibt er vielleicht einfach hier liegen.
Finden wird ihn hier ja sowieso niemand.

 

"Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie
sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch."
Matthäus 6,26; Lutherbibel​

Wer ist schon so frei wie ein Adler?
Kein Vogel ist frei, selbst Luther musste nach der Bulle um sein Leben bangen. Jeder, dem danach war, hätte ihn totschlagen können - ohne Landfriedens- oder sonstigen Rechtsbruch zu begehen. Luther war "vogelfrei", was bedeutet, den Vögeln (von Geiern bis Rabenvögeln hinab) zum Fraß gegeben werden.

Ich wünsche niemand "Vogelfreiheit"!

Und doch ist Dein Text voller Poesie - die natürlich den Natur- und allen anderen Gesetzen leise widerspricht und Ordnungsrufe wie körperliche Züchtigung einen Träumer nicht in den (bürgerlichen) Realismus zwingen können.

Und was zu Anfang wie eine Neuauflage des "Taugenichts" klingt

Wenn er die Nase voll hat, dann kommt er hier hinauf, liegt manchmal stundenlang da und betrachtet die Wolken, die träge oben vorbeischwimmen. Er mag die Wolken, ...
erweist sich als ein Produkt pädagogischer Zwänge, die man seit Piaget, A. S. Neill und vor allem den 1968-ern überwunden glaubte, die aber - nicht nur hier - fleißig Urständ feiern, weil sich wieder das Recht des Stärkeren durchsetzt und der nackte Egoismus - die Ellenbogengesellschaft des Neoliberalismus.

Aber,

liebe Jana,

"schwimmen" Wolken wirklich? Sind sie nicht eher getriebene des Windes? Gibt also der Wind die Grade der Freiheit an? Auch er ist nur Getirebener, der vor allem dem mehr oder weniger starken Vakuum und den Naturgesetzen folgt - also wird er eigentlich "gezogen"?

Das Mündel will Vormund werden! Und dann?

Junger Mensch, schau dass Du nicht in eine immerwährende Spirale gerätst, bleib anders als die andern. Und quäl Deine Kinder nicht in das Förmchen, in dem schon Gott seinen Nachwuchs presste - dass er sie nach seinem Bilde schuf! Wandel - in seiner Vieldeutigkeit - ist angesagt.

Mir gefällt's - nicht so sehr das Was, als das Wie und es wird - was immer ich zwischendurch sag - jedes Mal besser. Da gibt's nix zu mäkeln - nicht die kleinste Flüchtigkeit ...

zegt

Het windje

 

Liebe Jana Retlow,

du bist wieder da und damit auch gleich eine neue Geschichte von dir.

Eine Geschichte, die berührt, weil man zu deinem Protagonisten Empathie entwickelt.

Ein Junge träumt im Gras liegend und die Wolken betrachtend von einer Zukunft, in der ihn seine Eltern nicht mehr drangsalieren, weil er sein Zimmer nicht aufgeräumt, seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, weil er wieder einmal zu spät war. Sie schimpfen und brüllen ihn an. Bis zu dieser Stelle kann ich deinem Text gut folgen, weil die beschriebene Situation eine bekannte ist. So geht es sicher vielen Kindern, die den Anforderungen der Eltern nicht gerecht werden können, deren Eltern nicht verständnisvoll sind, sondern brüllend und schimpfend mit ihnen umgehen; Kinder, die sich wegträumen in eine Zukunft, in der sie alles anders machen möchten als ihre Eltern. Ein bekanntes Szenarium, das du mit wenigen Sätzen zeichnest; zum Schluss das Bild des Adlers, der sich frei und unbekümmert in die Lüfte schwingt. Da ist viel Bekanntes in deinem Text. Nur etwas ist anders – und das hat mich als Leser fragend zurückgelassen:

Jedes Mal haben sie die Decke einfach hochgehoben und ihn weiter angebrüllt. Dann hat es Schläge gehagelt, auf den Rücken, gegen seine Seiten, die Arme. Sein Gesicht hat er immer am besten beschützt, indem er sich zu einer Kugel rollte wie ein Igel.

Aber oft genug waren sie schneller und dann klatschte die flache Hand gegen seine Wangen.

Nur hier draußen ist er sicher, denn hierhin folgen sie ihm nicht.

Besonders froh ist er darüber, dass die Lehrer in der Schule ihn jetzt seltener auf seine blauen Flecken ansprechen.

Mich überrascht die Brutalität, mit der die Eltern auf das doch eher normale Fehlverhalten ihres Sohnes reagieren und auch, dass sie es beide tun. Der Junge hat blaue Flecken. Nicht einmal, sondern oft, ist er brutal geschlagen worden. Und immer scheinen es beide zu sein, Vater und Mutter, die ihn quälen.
Hier vermisse ich eine Erklärung, einen Begründungszusammenhang, der mir erklärt, warum beide so handeln, warum sie ihren Sohn gemeinsam und so brutal bestrafen. Das ist mMn nicht die Regel. Normalerweise gibt es einen aggressiven Elternteil, oft den alkoholisierten Vater, und eine Mutter, die sich mehr oder weniger passiv verhält, zuschaut, vielleicht einfach deshalb, weil sie keine Chance gegen den dominanten Vater hat. Aber dein Text suggeriert, dass auch die Mutter so brutal handelt wie der Vater.

Und da fehlt mir in deiner Geschichte ein Hintergrund: Warum handeln beide Eltern so? Was ist los mit dieser Mutter, die sich ihrem Kind gegenüber genauso verhält wie der brutale Vater? Warum sind sich beide einig im Drangsalieren des Jungen?
Was ist los mit diesen Eltern, die gemeinsam ihren Sohn aus seinem Bett reißen und ihn schlagen? Was sind das für Eltern?

Ist dieser Sohn so nervend und renitent? Ich finde dafür keinen Hinweis in deinem Text. Ich sehe nur einen verträumten Jungen, der Ruhe und Frieden sucht.
Oder sind die beiden Eltern so gestresst von ihrem anstrengenden Alltag? Auch davon spricht dein Text nicht.

Du beleuchtest konsequent die Seite des Jungen, was er wahrnimmt und denkt. Das kannst du mMn durchaus so machen, wenn es sich um eine aus allgemeiner Erfahrung nachvollziehbare Hintergrund-Situation handelt, aber nicht, wenn das Verhalten der Personen so besonders ist. Dann suche ich als Leser nach einem erklärenden Hinweis.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du die Brutalität und das gemeinsame Handeln der Eltern nachträglich eingefügt hast, vielleicht um etwas mehr Drama zu erzeugen. Ich glaube nämlich, dieses Sich-Wegträumen deines Protagonisten würde genauso gut funktionieren, wenn es sich lediglich um einen Jungen handelte, der vor seinen ständig nervenden und verbal Disziplin und Gehorsam einfordernden Eltern flieht und im Gras seine Ruhe sucht. Die Dramatik der gemeinsam schlagenden Eltern halte ich für übertrieben, solange du sie nicht begründest oder thematisierst.

Und noch etwas: Ich erkenne an dieser berührenden kleinen Wolkenreise des Jungen leider nichts, was den Tag ‚Philosophisches’ verdient. Er träumt sich weg aus seiner im Moment bedrückenden Gegenwart in eine Zukunft, die er sich freier und leichter vorstellt. Das ist eine sehr persönliche Ebene, die mMn nur wenig mit philosophischen Sinn- und Daseinsfragen zu tun hat.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Liebe Jana,

Deine Geschichte hat eine schöne Ruhe, die sehr gut zu dem wolkenbeobachtenden Jungen passt. Wie auch er habe ich mich in den schönen Formen, in der Poesie des Zufluchtortes verloren. Trotz der dramatischen Thematik hat der Text in mir eine ganz ruhige und leicht melancholische Stimmung erzeugt.

Das Gras ist weich wie ein Bett und duftet noch dazu.
Das klingt so bequem, da wünscht man sich gleich hin :)

Die Schläge, die von Seiten seiner Eltern auf den Jungen einprasseln, haben bei mir allerdings nicht so viel Eindruck hinterlassen. Ich glaube, es liegt daran, dass mir ihr Verhalten nicht ganz glaubhaft vorkommt.

barnheim hat ja schon beschrieben, dass die Brutalität der Eltern etwas übertrieben wirkt, vor allem auch, weil es eben beide gleichsam sind, die sich auf den Jungen stürzen. Ich finde es zudem seltsam, dass es die beiden anscheinend überhaupt nicht wundert, wenn ihr Kind über Nacht irgendwo draussen verschwindet.

Sagen ihm nicht, er solle sein Zimmer aufräumen oder endlich seine Hausaufgaben machen. Schimpfen nicht, wenn er zu lang draußen war oder endlich ins Bett gehen soll.

Wenn sie ihn für solche ganz normale Missetaten bestrafen, dann werden sie Weglaufen ganz bestimmt auch nicht akzeptieren. Am Anfang habe ich sogar kurz gedacht, es seien vielleicht gar nicht die Eltern, die ihn verprügeln, sondern andere Personen in seinem Haus (Geschwister o.ä.), und er wolle die Sache nur vor seinen Eltern verbergen. Das macht keinen Sinn, da er ja explizit davon träumt, ein guter Vater zu sein. Es sind also die Eltern, aber ich verstehe ihr Verhalten überhaupt nicht.

Ich stimme barnheim zu, ich denke, die Geschichte würde auch mit weniger Brutalität auskommen. Denn eigentlich geht es ja um die kleine Flucht, die auch toll sein kann, wenn man vor ganz normalen Sorgen wegrennt. Es müssen nicht brutale Schläge beider Eltern sein.

Abgesehen davon finde ich die Geschichte sehr schön.

 

Guten Morgen Friedrichard und danke für den Kommentar!
Er hat mich ein wenig zum Nachdenken gebracht, ich denke doch, dass ich darauf beharren muss, dass das Thema "frei wie ein Vogel" hier als eine positive Assoziation steht. Denn es handelt sich nicht um ein "zum Abschuss frei sein", sondern um die Freiheit, die Unantastbarkeit, die einem Adler im Flug zugeschrieben wird.
Und ja, die Wolken schwimmen, denn wenn der kleine Junge auf der Wiese liegt und in den Himmel starrt, dann wird das Oben zum Unten und dann schwimmen die Wolken im blauen Meer des Himmels.

Vielen Dank für das abschließende Lob und deinen erneuten Besuch, hat mich sehr gefreut!

Guten Morgen auch an barnhelm und Archivarin (herzlich willkommen bei den Wortkriegern an dieser Stelle! :) ),

eure Kritik war so konstruktiv wie berechtigt und ich möchte mich ganz herzlich bei euch dafür bedanken! Bei erneutem Durchlesen habe ich gemerkt, dass eure Anmerkungen mir tatsächlich selber schon aufgefallen sein mussten, aber ich hab dem Ganzen keinen Namen geben können.
Ihr habt mir jetzt einen Denkanstoß mitgegeben, der mich dazu verleitet hat, die Thematik ein wenig zu verschieben. Es geht jetzt mehr um psychische Gewalt und ein Kind gefangen in den Streitereien zwischen den Elternteilen. Es ist jetzt weniger brutal und - finde ich jedenfalls - realistischer.

Ich danke euch für euren Besuch und wünsche euch einen schönen Tag!

Jana

 

Hallo Jana Retlow,
das Motiv "Wolkenbilder sehen" als Flucht aus dem brutalen Erziehungsumfeld, das ist schön konstruiert. Ich frage mich, ob es dann nicht zu schön, zu versöhnlich, zu poetisch am Ende rüberkommt, weil es sprachlich ja auch so detailgenau die duftende Wiese als weiches Bett und so weiter beschreibt. Klar, als Kontrast zum Prügeln ist das passend. Aber spätestens da, bei der Schilderung der Gewalt, empfinde ich den Sprachduktus als zu ungebrochen, als zu fließend aus der fast romantischen Naturbeschreibung heraus. Das ist aber nur so eine Idee. Aus der Erfahrung heraus leiden Kinder mit diesem Background an schrecklichen Bindungsstörungen, enwickeln hochkomplexe Strategien zwischen Liebessehnsucht und Aggression. Dieses Zerrissene finde ich da nicht sondern eher einen versöhnlichen Weichzeichner, der die Szenerie mit dem Traum von einer bürgerlichen Geborgenheit abschließt. Weiß nicht. Klar berührt die Grundkonstellation. Aber wird sie wirklich der Situation gerecht? Vielleicht liege ich aber auch völlig falsch und missachte, dass man diese Schicksale auch aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten kann. und Du hast hier eben einen tröstlich-melancholischen Standpunkt gewählt, der wohl auch möglich ist. Aber als Idee kannst Du mit meinen Gedanken vielleicht was anfangen.
Herzliche Grüße
rieger

 

Hallo rieger,

Ich kann deine Gedanken durchaus nachvollziehen, möchte jedoch meine Intentionen, wie ich das Innenleben des Jungen beschrieben habe, ein bisschen erklären.
Ich tendiere dazu, in meinen Geschichten gerne mal aus der Klischee-Ecke auszubrechen oder der Realität einen neuen Anstrich zu geben, weil für mich gerade das den Reiz der Fiktion ausmacht.
Wir alle wissen ja, was mit solchen Kindern passieren kann, sehen oft genug Beispiele in der Realität.
Dieser Text enthält viel Träumerisches - warum nicht auch den Wunsch, dass dieser Junge aus der Situation stärker und sanftmütiger herausgeht?
Es muss ja auch nicht zwangsläufig so passieren, dass der Protagonist zum liebsten Vater aller Zeiten wird, aber ich denke, er hat allen Grund dazu, sich das in seiner Situation vorzunehmen.
Eine aggressive Haltung hätte, finde ich, nicht in diese Situation gepasst.

Ich hoffe, ich konnte dir meinen Standpunkt etwas näherbringen und bedanke mich ganz herzlich für deinen Besuch.

Liebe Grüße,

Jana

 

Hallo Jana Retlow,

ich steige mal sofort in den Text:

Wenn er die Nase voll hat, dann kommt er hier hinauf, liegt manchmal stundenlang da und betrachtet die Wolken, die träge oben vorbeischwimmen.
“hier” und “da” gefällt mir nicht so recht. Weiß nicht warum, aber es klingt wie unterschiedliche Orte, also erst hier, dann da.

liegt manchmal stundenlang da
so daliegen
Hier würde ich eine Umschreibung ändern.

Wenn es hoch genug ist, findet man ihn nicht, selbst wenn man nach ihm sucht.
Das „wenn es ist“ verstehe ich nicht. Ist das Gras nun, also heute, hoch genug, das man ihn nicht sieht, oder liegt er an anderen Tagen im höheren Gras?

Das ist allerdings - zum Glück, denkt er - noch nie vorgekommen.
Okay, das erklärt meine Frage oben, aber nun frage ich mich, warum “zum Glück”? Will er denn gefunden werden? Ich denke doch eher, nicht.

So geht das nun schon eine Weile.
In der Schule fehlt er nun häufiger, weil er seinen sicheren Ort nicht verlassen will.
Wortwiederholung.
Welchen Ort will er nicht verlassen? Die Wiese? Aber er schleicht sich doch jeden Abend sowieso wieder nach Hause und in der Schule können seine Eltern ihn doch nicht anbrüllen. Oder hat er in der Schule auch Probleme?

Wenn er einmal groß ist, wird er der beste und netteste Vater der Welt sein
Ja, traurig. Welcher Junge hat sich das nicht schon mal gesagt und stellt dann 20 Jahre später fest, dass er nicht anders ist. :(

Eine schöne Geschichte, die zum Nachdenken anregt. :thumbsup:

Schönen Tag und liebe Grüße,
GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Manlio,

Die vage Beschreibung seines Rückzugsortes ist so gewollt. Mir war nur wichtig, dass es eine Wiese ist, die ihm einen weichen Untergrund und eine ungestörte Sicht auf die Wolken bietet - die sind ja das wichtigste Element an diesem Ort.

Sie sind durch und durch friedliche Geschöpfe.
Schöner Kontrast zu den Eltern.
Danke dafür. Schön, dass es so rübergekommen ist :)

So geht das nun schon eine Weile.
Irgendwie gefällt mir der Einschub nicht (leichter Perspektivbruch).
Gut, ich schau mir die Stelle nochmal an und überlege mir, ob ich kürzen oder etwas ersetzen sollte.

Das mit der heilen Welt werde ich drinnen lassen, da der Junge sich so eine Zukunft tatsächlich herbeiwünscht. Er stellt sich ein Ideal vor, das er gerne erreichen würde und reagiert auf die aktuelle Extremsituation mit dem Wunsch nach dem kompletten Gegenteil.

Vielen Dank für deinen Besuch und die Kritik. Hat mich gefreut!

Liebe Grüße,

Jana

Hallo GoMusic,

Das "hier" und "da" und "so daliegen" werde ich ändern, danke für den Hinweis!

Deine Verwirrung mit dem hohen Gras betreffend:
Es geht darum, dass das Gras nicht regelmäßig gemäht wird und es deshalb Zeiten gibt, in denen es ihn vollkommen versteckt (was die Schutzfunktion des Ortes bekräftigt). Man würde ihn nicht entdecken können, selbst wenn die Eltern sich die Mühe machen würden, ihm zu folgen. Das tun sie aber nicht und darüber ist er froh, da es ja in seinem besten Interesse ist, nicht gefunden zu werden.

Die Wortwiederholung werde ich rausnehmen. Die Sache mit der Schule lässt sich so erklären, dass es durchaus auch morgens am Frühstückstisch zum Streit kommen kann und der Junge flüchtet dann eben nicht in die Schule, sondern muss sich erstmal an seinem sicheren Ort beruhigen. Und wenn er erstmal dort ist, hat er auch keinen Grund, diesen zu verlassen, um in die Schule zu gehen.

Eine schöne Geschichte, die zum Nachdenken anregt.
Vielen Dank, das freut mich sehr! :)

Danke für deine Kritik, ich hab mich sehr über deinen Besuch gefreut!

Liebe Grüße,

Jana

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jana Retlow
jetzt war ich doch auch mal neugierig, was und wie du so schreibst. Und siehe da - es hat sich gelohnt.

Ich fand deine kleine Geschichte über den Jungen, der sich in sein Versteck flüchtet, sehr berührend. Er lässt sich von den Wolken trösten, flieht aus einer ihn bedrückenden Realität und träumt sich in eine Zukunft, in der alles anders ist. In der er bestimmt und alles, alles besser macht.
Wenn er - hoffentlich - vorher aus seinem kleinen Versteck herausschlüpft. Diese kleine Wendung am Schluss ist mir aufgefallen. Ein kleiner schwarzglühender Stichler im Traumland.
Deine Geschichte spielt mit verschiedenen Ebenen, das mochte ich an ihr. Es ist einmal nur der kleine Ausschnitt aus dem Leben des Jungen, das kleine Versteck, das alle Kinder mehr oder weniger haben und brauchen - und gleichzeitig ist es auch eine Geschichte darüber, dass so ein Versteck Trost und Schutz gibt, aber auch vielleicht so sehr gebraucht wird, dass das Verstecken zur Bestimmung wird, zu einer die Realität des Kindes beeinflussenden und dadurch möglicherweise genau die Verwirklichung der Träume verunmöglichenden Bedingung. Das wird am Ende nur angedeutet, und die Geschichte hätte das vielleicht auch gar nicht gebraucht, aber mir gefiel das irgendwie.

Gern geblieben bin ich aber auch wegen deiner schönen Sprache. Da gibts keine gewaltigen oder gar pathetischen Wortungetüme, du arbeitest sehr mit dem Klang.

Wenn er die Nase voll hat, dann kommt er hier hinauf, liegt manchmal stundenlang im Grün der Wiese und betrachtet die Wolken, die träge oben vorbeischwimmen. Er mag die Wolken, weil sie ihm jedes Mal eine andere Geschichte erzählen. Von Drachen, Schiffen, Hunden, manchmal auch Walen.
Er mag sie, weil sie ihn einfach so daliegen und zusehen lassen. Sie fordern nicht. Reden nicht. Sagen ihm nicht, er solle sein Zimmer aufräumen oder endlich seine Hausaufgaben machen. Schimpfen nicht, wenn er zu lang draußen war oder endlich ins Bett gehen soll.
Als Beispiel zitiere ich einfach mal den ersten Abschnitt.
Du arbeitest sehr mit Hauptsatz-Nebensatz-Konstruktionen, mit Einschüben, die aber nicht allzu sehr auseinanderklaffen, variierst Satzlängen, betonst durch Ellipsen. Du arbeitest sehr mit Rhythmen, Vokalklängen, nimmst Satzausschnitte wiederholend auf.
Im ersten Abschnitt fand ich das besonders deutlich. Als kleines Beispiel nur die Wiederholung von "Er mag", die dann variiert wird durch die Gliedsätze. Das Positive des "mag" wird passend zum Inhalt weich fortgesetzt. Oder im Unterschied dazu dann die knappen Sätze, die inhaltlich die Anforderung an ihn wiedergeben: Fordern nicht. Reden nicht.
Das liest sich einfach sehr elegant und flüssig. Und gliedert durch die unterschiedlichen Betonungen auch den Inhalt.

Danach gibt es zwar auch paar Stellen, bei denen ich zeitmäßig so bissel unsicher war, ob das so ganz hinhaute, aber dazu mag ich jetzt gar nicht kommen.

Ich wollte einfach mal das andere loswerden. :)

Viele Grüße an dich von Novak

 

Hallo Bas,

freut mich, dass du zu dieser Geschichte zurückgefunden und sie doch noch kommentiert hast.

Gefallen hat sie mir gut, deine Geschichte. Wahrscheinlich weißt du schon, dass du einen flüssigen, fehlerfreien, eleganten Schreibstil hast, dem man gerne ... zuhört oder so.
Danke für das Kompliment! Man gibt sich ja immer Mühe, ne ;)

Zu konkret mit der Beschreibung der Streitszenen wollte ich gar nicht werden, wie du selbst schon geschrieben hast. Es hätte den eigentlichen Charakter der Geschichte zu sehr verkehrt, denn der Fokus liegt ja auf dem Rückzugsort, zu dem der kleine Junge aus dem Alltag flüchtet.

Ich möchte mich ganz herzlich für deinen Besuch und das Lob bedanken. Hat mich sehr gefreut!

LG Jana

Hallo Novak,

jetzt war ich doch auch mal neugierig, was und wie du so schreibst. Und siehe da - es hat sich gelohnt.
Wow, das hört man doch gerne! Schön, dass du hierhergefunden hast :)

Riesig gefreut habe ich mich darüber, wie du dich mit der Geschichte auseinandergesetzt hast - ich finde, dass die Anlayseansätze mich als Schreibende ein gutes Stück weiterbringen, weil man dabei immer sehr viel über die eigenen Texte lernt.

Gern geblieben bin ich aber auch wegen deiner schönen Sprache. Da gibts keine gewaltigen oder gar pathetischen Wortungetüme, du arbeitest sehr mit dem Klang.
Vielen Dank dafür! Gewaltige Wortungetüme habe ich gezielt vermieden, damit die Erzählperspektive des Jungen authentisch ist. Freut mich, dass es angekommen ist.

Auch dir nochmal herzlichen Dank für deinen Besuch und den Kommentar!

Einen schönen Abend und liebe Grüße,

Jana

 

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