Wieder einer dieser Tage...
Für Maurice (Mo)
Es war wieder einer dieser Tage. Einer dieser Tage, an denen sie nichts zutun hatte, außer wieder an ihn zu denken. Maurice, der 2 1/2Jahre älter als sie war. Sie konnte an nichts denken, außer an seine schönen, großen, grauen Augen, mit denen er sie immer so süß anlächelte, wenn er sie denn mal beachtete. So unsterblich verliebt, wie in ihn, war sie noch nie. Seitdem sie ihn kannte, fand das Wort „Liebe“ eine ganz neue Bedeutung für sie. Sie saß stundenlang auf ihrem Bett, in dem er geschlafen hatte, mit den Gedanken bei ihm. Sie las mindestens eine Millionen Mal seine SMS, die mit „SaBBiSchatz“ anfingen. Darüber war sie so glücklich. Aber je öfter sie darüber nachdachte, wie es mit ihm und ihr wohl in nächster Zeit aussehen würde, desto größer wurde die Illusion, aber desto klarer auch die Realität. NIEMALS würde sie ihn bekommen. NIEMALS. Er ist doch viel zu gut für sie. Er kann jede haben. Warum sollte er sich denn mit einer wie Ihr abgeben?! Diese Gedanken zerfraßen sie. Jeder einzelne ein weiterer Stich in ihr Herz. So langsam bekam sie Tränen in den Augen. Und dann stürmt auch noch ihre Mutter, mit der sie sich überhaupt nicht gut verstand, in der Tür und meckerte sie mal wieder wegen einer 5 aus. Sie denkt sich: „Ist doch nur ´ne 5 in Mathe…eine mehr oder weniger macht eh nichts aus…ich schaff die Klasse 8 eh nicht! Was solls?!“ Die Worte ihrer Mutter schlang sie einfach herunter, ohne ihnen auch nur ein wenig Beachtung zu schenken. Es war Ihr nämlich vollkommen egal, was sie sagte. Sie legte sich wieder auf ihr Bett. Ihr Kopf war leer. Die Gedanken an ihn waren auf einmal wie verflogen. Sie legte sich wieder auf ihr Bett. Machte das Fernseh an, zappte kurz durch alle Musikprogramme und blieb bei einem hängen. Da lief dieses Lied. Das Lied, das sie immer hörte, wenn sie traurig war und nicht mehr weiter wusste. Schnell schaltete sie wieder aus. Sie wollte nicht wieder rückfällig werden, nicht wieder zur Rasierklinge greifen, nicht wieder rote Tränen weinen. Sie schob ihren Ärmel hoch. Sah ihren vernarbten Arm. Die Narben bildeten ein M, mit einem großen Herz drumherum. Dann war noch „All I want“ zu lesen. Sie war nicht stolz darauf. Oder doch? Sie wusste es selbst nicht so genau. Sie schob den Ärmel wieder runter. Knautschte ihr vom weinen rotes Gesicht ins Kissen und versuchte sich wegzuwünschen. Irgendwo hin, wo es keinen Schmerz gab, keinen Kummer, wo alles gut war. Sie drehte sich um und machte die Augen wieder auf. Sie war immer noch da. Leider. Sie ging ins Bad, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Sie holte sich aus dem Schrank ein Tuch zum Abtrocknen. Daneben lagen sie. Die Rasierklingen des Freundes ihrer Mutter. Sie nahm sie in die Hand, schloss dann die Badezimmertür ab. Sie setzte sich auf den mit Rosa-Stoff überzogenen Toilettendeckel und starrte Löcher in die kalte, geflieste Wand. Es fühlte sich gut an, die Klinge in der Hand zu halten, alles einmal zu vergessen. Sie schob ihren Ärmel wieder hoch, strich mit der Klinge über ihren Arm. Es fühlte sich immer besser an. Auf einmal hatte sie richtig Lust dazu, sich wieder zu schneiden, nein, zu ritzen. Langsam und immer wieder sagte sie es. Ritzen. Ritzen. Ritzen. Sie ritzte über das M mit dem Herzen drumherum einen großes Kreuz. Sie wollte es nicht mehr sehen. Jetzt sah es fast so aus wie ein Stern. Sie genoss es, das Blut fließen zu sehen. Wie es langsam über ihren Arm strömte. Jetzt fühlte sie sich gut. Nach langem Dasitzen und Nichtstun wischte sie sich mit dem Tuch, das eigentlich dafür gedacht war, ihr Gesicht zu trocknen, das Blut vom Arm ab. Dann die Rasierklinge. Sie legte sie zurück in den Schrank zu den andern Rasierklingen, krempelte den Ärmel runter, schloss das Bad auf und ging ins Wohnzimmer zu ihrer Mutter. Sie entschuldigte sich für die 5 und versprach mehr zu lernen. Ihre Mutter entschuldigte sich ebenfalls, weil sie so geschrieen hatte. Dann ging sie wieder in ihr Zimmer, löschte alle „ SaBBischatz-SMS“, legte Gute-Laune-Musik auf und tanze los. Jetzt war die Welt wieder in Ordnung.