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Wilfried Erdmann: Ich greife den Wind. Bernard Moitessier: Tamata

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31.08.2008
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Wilfried Erdmann: Ich greife den Wind. Bernard Moitessier: Tamata

Zwei große alte Segler schreiben ihre Rückblicke, das jeweils letzte nach einer Reihe vielgelesener Bücher. Wilfried Erdmann, ausgebrochen aus engen Verhältnissen in der DDR, bricht auf, weil ihn die Unruhe packt, radelt nach Nordafrika, von dort bis nach Indien, fast ohne Geld. Was er hier an Gastfreundschaft und Unterstützung erfährt, zeigt uns, was wir in Deutschland nie hatten, und was Europa und die USA in Afrika zerstört haben. Man stelle sich vor, ein junger Araber würde ohne Geld mit dem Fahrrad von Irland bis in den Ural reisen; wie würde es ihm wohl ergehen? Man stelle sich vor, heute würde ein deutscher Jugendlicher durch Nordafrika bis nach Indien reisen; wie würde es ihm ergehen?- Es folgen Rückblicke auf die vielen Segeltouren, die erste Weltumsegelung mit einem kleinen Holzboot, spätere Reisen in die Südsee mit Familie, zwei Weltumsegelungen einhand und nonstop, einmal mit dem Wind, einmal gegen den Wind – in vielen anderen Büchern beschrieben, aber auch hier erfahren wir nicht, was ihn in diesen langen einsamen Zeiten bewegt hat. Dazwischen alltägliches: von der Mühsal, vom Schreiben zu leben, manchmal etwas zu unternehmen, worüber man wieder schreiben kann, und, mehrmals in diesem Buch der Satz: bei Mädchen kam ich immer gut an. Hier hätte es einer Lektorin bedurft, hätte geholfen. Manche Ratschläge des erfahrenen Mannes verwundern immer noch, spezielle für Segler: ich halte nichts von einer Rollfock, nun gut, soll er halt im Seegang auf dem Vorschiff herumturnen und Vorsegel wechseln, aber auch allgemein erstaunliche Aussagen wie: ich höre nie den Seewetterbericht. Das ist hart; wie viele haben die Querung der Biskaya nicht überlebt, weil sie in einen Sturm geraten sind, und nun das. Erdmann hat überlebt, aber vielleicht fordert nicht jeder seinen Schutzengel so heraus.

Als Erdmann in Gibraltar gerade sein Boot gekauft hat und sich mit ersten Probeschlägen mit dem Segeln vertraut macht, kommt da eine unordentliche abgewetterte Stahlyacht in den Hafen, ein Ehepaar darauf, die routiniert vor Anker gehen. Es sind Bernard Moitessier mit seiner Frau; sie haben gerade eine geplante Weltumsegelung abgebrochen und sind von Tahiti nonstop rund Kap Hoorn nach Gibraltar gesegelt – Moitessier ist für extreme Entscheidungen bekannt. Die drei lernen sich kennen, und Moitessier erklärt Erdmann, wie man mit dem Sextanten umgeht. Es fruchtet bescheiden, denn Erdmann startet ohne funktionierendes Radio und ohne Uhr, kann also seine geographische Länge nicht bestimmen, und hat wohl auch seine Probleme mit dem Sextanten, denn er verfehlt die angepeilte Insel in der Karibik und entgeht nur knapp einer Strandung.- Moitessier ist in Indochina aufgewachsen und in diesem Alterswerk erfahren wir erstmalig von seiner Jugend als Sohn eines französischen Händlers, seiner Arbeit in Vietnam, seinen ersten Fahrten auf einem Frachtsegler. Diese Schilderungen leben, sie sind voller Farbe und Freude am Leben, und voller Schicksalsschläge, die der Indochinakrieg mit sich bringt. Moitessiers Aufbruch hat etwas von einer Flucht, vor Indochina, dem Krieg, aber nicht dem Menschen. Die Reise dieses so oft allein segelnden Mannes ist voller tiefer Begegnungen mit Menschen. Wir erfahren, noch einmal, alles steht auch in einzelnen Büchern, von seiner Teilnahme an einem Wettbewerb, wer als erster und wer als schnellster einhand die Welt umrundet, und wie er, in einer Position, die für seinen Konkurrenten nicht einholbar ist, das Rennen abbricht, nach Kap Hoorn nicht zum Ziel und zum Sieg nach England steuert, sondern nochmal zum Kap der guten Hoffnung, nochmal durch den Indischen Ozean segelt, um nach einer ununterbrochenen eineinhalbfachen Erdumrundung in Tahiti anzulegen. Mit einem Einlaufen in England, im Siegestaumel, danach herumgereicht in den Talkshows, hätte er seine Seele verkauft, hört man später. Moitessiers Buch ist voller Weisheit und Liebe zum Leben, und: er kann schreiben.

 

Setnemides schrieb:
Moitessiers Buch ist voller Weisheit und Liebe zum Leben, und: er kann schreiben.
Mit der Erwähnung dieses außergewöhnlichen Mannes hast du mich eben auf eine Zeitreise in meine Jugend geschickt …

Vielen, vielen Dank dafür, Set!

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