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Wut

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02.01.2011
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Wut

Er rief mich an, da war es mitten in der Nacht. Ich brauchte zehn, zwanzig Sekunden, bis ich bei klarem Verstand war, aber als ich seinen Namen auf dem Display erkannte, wusste ich sofort Bescheid. Ich setzte mich auf die Bettkante, fuhr mir durch die Haare und blickte einen Augenblick aus dem Fenster. Draußen war es tiefschwarz, sternenlos, bloß das weiße Licht der Straßenlaterne fiel auf den Gehweg und das Wohnhaus gegenüber. Hinter mir hörte ich meine Freundin atmen, langsam und gleichmäßig. Ich strich ihr über die Wange, dann nahm ich ab.
An seiner Stimme erkannte ich sofort, dass wieder etwas nicht stimmte. Er fragte mich, ob ich schon geschlafen hätte, er fragte mich, ob ich morgen arbeiten müsse. »Nein«, sagte ich, dann: »Was gibt’s?« Ich schloss die Augen und gähnte, ich konnte es nicht zurückhalten.
»Irgendwas stimmt nicht mit mir«, sagte er, »ich hatte gerade so ’nen komischen Traum, und jetzt bin ich aufgewacht, und irgendwas stimmt nicht mit mir.«
Ich öffnete meine Augen wieder. Dann erzählte mir mein Bruder von seinem Traum; und je weiter er voranschritt, desto dünner und brüchiger wurde seine Stimme – und je dünner und brüchiger sie wurde, desto mehr sah ich ihn vor mir: meinen Bruder, in seinem schwarz-rot-karierten Hemd, auf dem Ledersessel im Wohnzimmer; seit ein paar Wochen konnte er nirgendwo mehr schlafen, nur noch auf diesem Ledersessel. Er konnte weder stehen noch liegen noch auf einem Möbelstück sitzen, außer eben auf diesem Sessel. Er saß jeden Morgen und jeden Nachmittag auf diesem Ledersessel, und wenn er nachts aufwachte und mich anrief, saß er immer noch dort. Meine Eltern trugen ihn auf die Toilette und sie trugen ihn in die Dusche, und überall litt er furchtbare Schmerzen, und er litt so lange, bis er wieder auf seinem Sessel sitzen und durchatmen konnte.
Er erzählte mir also von seinem Traum, und als er fertig war, sagte er: »Ich weiß nicht, wieso mich das so tangiert. Aber seit ich aufgewacht bin, kann ich an nichts anderes mehr denken, und jetzt denke ich, dass irgendwas nicht mit mir stimmt, weißt du, im Kopf, dass ich durchdrehe.«
Ich stand auf und sah wieder hinaus, in die Dunkelheit, zu der Laterne, die dünn und hoch ihr Licht über den Gehweg ergoss. Im Glas des Fensters erkannte ich die Umrisse meines Spiegelbildes. Ich sah das leuchtende Display an meinem Ohr; und ich sah ihn vor mir, wie er auf seinem Sessel saß und auf meine Antwort wartete.
Ich sagte ihm, dass er sich keine Sorgen machen solle, ich sagte ihm, dass dieses Gefühl von den Schmerzmitteln käme, »von den starken«, sagte ich, »die bringen deinen Kopf durcheinander«, sagte ich.
Ich hörte ihn atmen, dann sagte er plötzlich: »Ich weiß nicht, wie du das all die Jahre ausgehalten hast.«
»Was?«, sagte ich.
»Ich weiß echt nicht, wie du das all die Jahre mit ihm ausgehalten hast. Ich hasse ihn. Ich kann echt nicht über viele Menschen sagen, dass ich sie hasse, aber ihn hasse ich, echt.«
Bei den letzten Worten brach seine Stimme wieder. Ich sah auf meine Freundin, und sie lag dort, in der Dunkelheit, und ich hörte sie atmen, ganz gleichmäßig, ein und aus, und dann ging ich in die Küche, mit dem Handy am Ohr.

Vor zwei Jahren hatten sie die erste Geschwulst entdeckt, an seiner Bauchdecke – seitdem hatte er alles verloren: Freundin, Wohnung, Firma. Er hatte sich nie beklagt. Ich hatte ihn nie weinen sehen, ich hatte ihn nie trösten müssen. Er war sich immer sicher gewesen, dass er die Sache durchstehen würde. Aber seitdem er in dem Sessel saß, rief er mich jede Nacht an. Er wohnte bei meinen Eltern, und als ich achtzehn Jahre alt war, zog ich so weit weg von meinen Eltern, wie ich nur konnte. Mit dem alten, blauen Ford meiner Freundin besuchten wir meinen Bruder so oft wie möglich, aber immer blieb dieses Gefühl, zu wenig zu tun, nicht da zu sein. Ich dachte an meine Eltern, wie sie ihn vom Sessel auf die Toilette trugen, wie er sein Geschäft erledigte, wie sie ihm die Hose hochzogen und wieder zurückschleppten. Ich dachte an meinen Vater, wie er dabei schnauft und schwitzt, und wie diese Ader an seiner Schläfe anschwillt; wie sein Gesicht rot anläuft, sich anspannt, und wie seine Augen glasig werden – ja, so musste es aussehen.

Ich setzte Kaffee auf. Ich hielt das Handy noch am Ohr, und wir schwiegen. Ich schaute zur Wanduhr: vier Uhr sechsundzwanzig. Der Linoleumboden unter meinen Füßen war kühl und voller Krümel. Ich ließ das Licht aus, schaltete bloß die kleine Lampe über dem Herd ein.
»Er ist ein Affe«, sagte er.
»Ja«, sagte ich, »aber er tut alles für dich.«
Ich hörte ihn schnaufen, dann sagte er: »Ich weiß ja. Ich weiß das ja alles, und ich bin ihm ja auch dankbar dafür. Aber immer, wenn ich ihn sehe, kommt diese Wut in mir hoch. Ich kann nichts dagegen tun. Ich sehe sein Gesicht, und wie er frisst und pfeift und läuft, und alles in mir verkrampft sich, und ich hab einfach diese Wut in mir, weißt du.«
Ins Krankenhaus wollte er noch weniger als zu meinen Eltern. Es war nicht absehbar, wann sich sein Zustand verbessern würde, und meine Eltern hatten ein großes Haus mit Klimaanlage und verschiedenen Badezimmern, und der letzte Ort, zu dem er wollte, war das Krankenhaus.
»Erzähl mir von früher«, sagte er, und ich hörte, dass er sich in seinem Sessel zurücklehnte, um sich zu entspannten. »Erzähl mir von früher, so wie du’s immer machst.«
Ich setzte mich auf den Küchstuhl und hielt die Kaffeemaschine im Blick. Der rote Power-Knopf leuchtete in der Dunkelheit, und die Maschine gurgelte und Kaffee lief in die Kanne.
»Also gut«, sagte ich, und starrte weiter auf den Power-Knopf. »Also, wir wohnten alle in diesem kleinen Reihenhaus, in der Ebelshöhe. Uns ging es allen gut und wir hatten einen großen Garten, und wir hatten auch ein Baumhaus, und im Sommer spielten wir da drin immer bis spät in der Nacht. Und der Vater war nie sauer, er hatte nie seine Anfälle, weil sein Geschäft durchgehend gut lief, und er jeden Morgen zehn Kilometer joggte. Wir hatten nie diese andere Seite von ihm kennengelernt, er war der ausgeglichenste Mensch, den wir kannten. Jeden Nachmittag machte er sein Schläfchen auf der Couch, und wir beide lachten uns jedes Mal tierisch kaputt, wenn er dalag und so extrem laut schnarchte. Und wenn wir zu laut lachten, wachte er auf, und dann lachte er immer mit uns mit, weil er schon wusste, dass es um seine Schnarcherei ging.
Und in einem Sommer – ich weiß nicht mehr, welcher – baute er uns eine Seifenkiste, eine richtig gute, weißt du, eine silberne, mit echten Reifen und Lenkrad. Und wir rasten den ganzen August über bis zur Dämmerung damit die Wiese bei der Ebelshöhe runter. Und wenn es dunkel wurde, kam unsere Mutter rübergelaufen, und dann mussten wir nach Hause, zum Abendbrot. Und am Tisch haben wir mit glühenden Ohren von unseren Seifenkisten-Abenteuern erzählt, und unsere Mutter erzählte von den Nachbarinnen und welche Kuchen sie bald backen wollte, und der Vater erzählte von seinem Zehn-Kilometer-Lauf und von seinem Geschäft, und wie gut es dort lief und wie fleißig ihm die Leute seine Wasserfilter und Bodenheizungen abkauften.
Und im darauffolgenden Herbst, ich glaube, da wurde ich gerade eingeschult, da wollte der Vater in seinem Geschäft umbauen; und er ließ seinen einen Läufer-Kollegen kommen, und dann schlugen sie mit dem Vorschlaghammer unten im Keller eine Wand ein, weißt du, eine total belanglose: die Wand, die dort vor dem Waschbecken steht; und, du wirst es nicht glauben, aber als sie dabei waren, diese Wand einzuschlagen, merkten sie, dass da etwas ganz Komisches in ihr drin war. Und sie schlugen weiter und weiter, und plötzlich konnten sie diese Unmenge an Goldbarren da herausziehen, aus der Wand. Und, so ehrlich wie unser Vater nun mal war, ging er zur Polizei und wollte den Besitzer des Goldes finden; aber niemand meldete sich, und nach einem Jahr bekamen wir plötzlich einen Brief, vom Richter, und darin stand, dass das Gold laut einem Gesetz jetzt uns gehörte.«
»Ja«, sagte mein Bruder, »das ist gut, das mit dem Gold. Das gefällt mir. Erzähl weiter.«
»Okay. Also, nachdem uns dieser Brief erreicht hatte, waren unser Vater und unsere Mutter natürlich total aus dem Häuschen, und von da an flogen sie viermal im Jahr in die Karibik, und niemand der beiden musste mehr arbeiten, und der Vater verkaufte seinen Laden, aber wir lebten weiter in dem kleinen Reihenhaus in der Ebelshöhe, weil es uns dort so gut gefiel und weil es uns dort allen so gutging. Und mit deinem Erbe bist du in das Erlebnispark-Geschäft eingestiegen, weißt du, du hattest das mit der Seifenkiste nie vergessen, und weil du nicht wusstest, was du sonst mit deinem Geld machen solltest, hast du dir Anteile an einem Erlebnispark gekauft, so richtig mit Achterbahnen und Delfinen-Shows und alles.«
»Erlebnisparks mag ich wirklich«, sagte mein Bruder.
»Ich weiß«, sagte ich. »Und seitdem leitest du diesen Park, und du bist ständig dabei, neue Achterbahnen und Attraktionen zu entwickeln. Und ich bin ein berühmter Maler geworden, ich habe mir von meinem Erbe die besten Zeichenlehrer der Welt einfliegen lassen, und die haben mir alles gezeigt, was sie wissen, und ich male auf überdimensional großen Leinwänden das abgefahrenste Zeug: Landschaften, Menschen, alles.«
»Das würde zu dir passen«, sagte er, und lachte leise.
»Und wir beide leben noch in dem Reihenhaus, und unsere Eltern sind fast nur noch in der Karibik, und einmal im Jahr besuchen wir sie dort.«
»Das klingt gut«, sagte er.
Wir schwiegen einen Augenblick, und ich sah, dass der Kaffee durchgelaufen war.
»So wär’s wirklich schön«, sagte er. »Ich würde abgefahrene Achterbahnen bauen lassen, mit Tunneln und Loopings. Die Delfinen-Show würde ich wahrscheinlich schließen lassen, wegen den Tieren.«
»Ja«, sagte ich, »stimmt.«
Wir schwiegen wieder, und ich hörte seinen Atem.
»Ich glaube, ich sollte noch ein bisschen schlafen«, sagte er.

Als wir uns verabschiedet hatten, holte ich eine Tasse aus dem Schrank und schenkte mir Kaffee ein. Dann ging ich zum Küchenfenster und blickte hinaus. Der Mond schwebte sichelförmig über der Stadt, ein paar Lichter brannten im Hochhaus gegenüber. Ansonsten nichts als Dunkelheit. Ich trank vom Kaffee und dachte an meine Freundin, die drüben lag, in der Dunkelheit. Ich dachte auch an meinen Bruder, wie er in seinem Ledersessel saß und sich zurücklehnte und die Augen schloss.
Dann dachte ich über diese Wut nach, von der er gesprochen hatte; und ich erinnerte mich an früher, als kein Tag verging, an dem wir uns nicht vor den Launen unseres Vaters fürchteten – kein Abend, an dem ich keine Bauchschmerzen bekam, wenn ich meine Eltern draußen vor dem Milchglas der Haustüre stehen sah.
Meine Mutter arbeitete in seinem Büro, und er war der große Mann für alles: Verkäufer, Fachmann, Einzelhändler. Wenn er Großkunden gewann oder Heizsysteme an ganze Gebäudekomplexe verkaufte, schritt er abends pfeifend durch die Haustür, kochte groß auf und wollte, dass wir alle an einem Tisch saßen und aßen, so wie es die Familien im Fernsehen taten.
Aber das Geschäft lief nie gut. Er schaffte es nie, genug zu verkaufen, die Banken saßen ihm immer im Nacken. Er war keiner dieser prügelnden Väter, er schlug uns nie. Aber hatte er miese Laune, erwartete er von uns, seiner Familie, dass wir dafür herhielten: Er ging jeden Tag arbeiten, bis zur Erschöpfung, und daran waren wir schuld. Er tat es für uns. Das sagte er uns: Schaut her, ich bin euer Vater, und ich arbeite mich tot für euch.
Am Esstisch redete er ausschließlich vom Geschäft, von neuen Kunden und alten, die ihm abgesprungen waren, vom Einkauf und neuen Trends, was meine Mutter falsch gemacht hatte und was sie noch tun müsse. Und wenn einer von uns Kindern während seines Monologs lachte oder stöhnte, drehte er durch, schrie uns so lange an, bis wir heulten. Später kam er dann zu uns aufs Zimmer, setzte sich auf die Bettkante und sprach davon, dass er so beschäftigt, so erschöpft sei, dass er das alles nur für uns tue. Schließlich sagte er, dass es ihm leid tue; und ob wir es verstehen würden, ob wir ihm verziehen würden; und wir sagten: Ja, wir verzeihen dir.
Mein Bruder traf das schwerer als mich. Vielleicht, weil er älter war, weil er bis zu meiner Geburt mit ihm und meiner Mutter alleine gewesen war. Ich hatte ihn oft beobachtet, meinen Bruder: Im Kindergarten und in der Grundschule – jedes Mal versteinerte er, wenn ein anderes Kind kam und ihn schubste oder beschimpfte. Er blieb einfach stehen, und starrte auf den Boden. Wäre ich nicht irgendwann gekommen und hätte die anderen Kinder weggeboxt, sie hätten alles mit ihm gemacht. Auch danach bei den Lehrern sagte er nichts. Er blickte einfach auf seine Schuhe, stumm, und wartete darauf, sich wieder hinsetzen zu dürfen – erst später, nachdem wir zuhause waren, kam das dann alles in ihm hoch; dann schlug er stundenlang mit rotem Kopf auf Wände ein, oder hämmerte sich mit den Handflächen gegen den Schädel. Er sagte, er könne das nicht rauslassen, er sagte, da sei diese Wut in ihm, und er fürchte, er bringe jemanden um, wenn er sie rauslasse. Er sagte, er hasse unseren Vater; er sagte, er hasse ihn, wenn er ihn nur sehe, wie er abends gut gelaunt zur Tür reinkomme, wenn er pfiff, wenn er Schweinebouletten anbriet und wir uns alle an den Tisch setzen mussten, um ihm zuzuhören. Er sagte, er hasse ihn noch mehr, wenn er gute Laune hätte, denn dann sähe er, was uns unser Vater alles vorenthalten hätte: das unbeschwerte Gefühl von Zuhause, von Familie.
Mit sechzehn verlor ich schließlich die Angst vor meinem Vater. Ich wollte sehen, wie weit er gehen würde – ich musste es einfach wissen. Abends erkannte ich schon an seinen Schritten unten im Erdgeschoss, dass irgendetwas in ihm los war, dass er Druck ablassen musste. Ich hörte, wie er Töpfe und Geschirr durch die Küche warf: Es war ihm nicht sauber genug, würde er später sagen; er arbeite sich tot für uns, und wir würden nicht mal richtig abspülen können, würde er sagen – ich kannte das ganze Spiel. Als ich runter ging und in die Küche lief, begann ich einfach zu lachen. Ich sah ihn an und lachte – ich wusste nicht, woher das kam, aber das Lachen war echt, nicht gespielt. Er drehte sich zu mir, und brüllte, was das soll, wer mir das Recht gäbe, ihn auszulachen. Sein Kopf war blutrot, die Ader an seiner Schläfe pumpte, und ich tat nichts, als zu lachen. Mein Vater schrie wieder – und als er merkte, dass ich einfach weiterlachte, packte er mich, an den Schultern; ich spürte, wie diese Wut in ihm nach mir griff; und ich spürte auch, wie er mit sich haderte, mich anzufassen, wie da eine unsichtbare Grenze existierte, die ein Teil von ihm nicht überschreiten konnte. Dann begann er, mich zu schütteln: Er schüttelte mich und schrie, und ich lachte: ein, zwei Minuten lang – bis er meine Schultern losließ und mich am Hals packte: Und ich fühlte seine Hände, wie sie mich umklammerten, aber nicht zugreifen konnten, völlig schlaff waren; da wusste ich, wie weit er gehen konnte, wo seine Grenze lag.
Als er losließ, lagen wir beide auf dem Boden: Er über mir, mit den aufgerissenen Augen, dem weißen Hemd und dem Jackett; mit dem roten Gesicht und der angeschwollenen Ader; und ich auf den Fliesen, lachend. Mein Vater stand auf und blickte mich ein letztes Mal an – dann lief er rüber ins Wohnzimmer, schmiss die Kommode um, knallte die Haustüre zu, und wir sahen ihn bis zum nächsten Abend nicht wieder.
An diesem Tag verlor ich die Angst vor meinem Vater, und ich wusste, dass ich so weit weg ziehen würde, wie ich nur konnte.
Mein Bruder hatte nie dieses Erlebnis; er hatte es nie geschafft, abzuspringen, sich loszureißen. Mein Vater bezahlte ihm das Studium und die Wohnung, und als Gegenleistung fuhr mein Bruder an den Wochenenden nach Hause, setzte sich an den Tisch, hörte sich seine Reden an und ließ sich anschließend beleidigen, und irgendwann im Laufe des Wochenendes verzieh er meinem Vater, und Sonntagabend fuhr er zurück, mit hundertneunzig Stundenkilometern, und schlug zuhause auf Wände ein oder ging so lange joggen, bis er zusammenbrach.
Erst, als mein Bruder seine Firma gründete, sein Mädchen kennenlernte und endgültig auszog, verlor sich diese Wut in ihm, und es gab nur noch einzelne Momente, in denen ihn die Leute nicht verstanden: Wenn er nach der Arbeit stumm in den Garten lief, und dort mit einem Stock auf einen Baum eindrosch; wenn er nachts stundenlang die Landstraße auf und ab joggte, nachdem ein Bekannter im Restaurant beiläufig einen Witz über ihn gerissen hatte.
So lebte mein Bruder drei, vier Jahre lang, immer mit dieser verschütteten Wut in sich; und als die ersten Geschwulste auftauchten, fragte ich mich, ob es da nicht einen Zusammenhang geben könnte, zwischen all dem angestauten Hass und diesen Beulen, die ihm wuchsen.

Es war schwer, über all das nachzudenken. Die Sonne ging auf, und ich stand noch immer mit der Kaffeetasse am Küchenfenster; und als ich mich zu meiner Freundin legte, überkam mich ein solches Beben, dass ich am ganzen Körper zu zittern begann; und je heftiger mich dieses Zittern schüttelte, desto mehr verschwammen auch all die Bilder in meinem Kopf: Der Ledersessel; die Goldbarren; die endlosen Monologe am Esstisch; – bis sie mir vorkamen, als hätten sie so nie existiert; als wären sie Teil eines großen Mosaiks, Bruchstücke unzähliger dieser kleinen Geschichten, die ich mir ständig ausdachte: Und als wäre auch ich bloß ein Teil einer solchen Geschichte, als wäre ich schon lange tot, und bloß die Idee eines anderen.

 

Hallo zigga,

sauberes Stück Arbeit hast du da geleistet. Gefällt mir wahnsinnig gut. Ich habe noch die letzte Geschichte, die ich von dir gelesen habe im Kopf, die mit den Terroristen, und die hat mir leider ganz und gar nicht gefallen. Diese hier wiederum hat mich von vorne bis hinten begeistert. Die Art, wie der Bruder am Telefon spricht:

»Irgendwas stimmt nicht mit mir«, sagte er, »ich hatte gerade so ’nen komischen Traum, und jetzt bin ich aufgewacht, und irgendwas stimmt nicht mit mir.«
»Ich weiß nicht, wieso mich das so tangiert. Aber seit ich aufgewacht bin, kann ich an nichts anderes mehr denken, und jetzt denke ich, dass irgendwas nicht mit mir stimmt, weißt du, im Kopf, dass ich durchdrehe.«
Dieses Wiederholen mancher Teile ... ich mag solche wörtlichen Reden, bekomme sie aber, wenn ich sie versuche, nie wirklich gut hin. Klingt bei mir nicht wirklich realistisch.

Die Story an sich erinnert etwas an eine düstere Version von Big Fish - was ist wahr, was ist nicht wahr, was ist wirklich passiert etc. Was mir hier vielleicht einen Deut besser gefallen hätte, wäre, wenn du dem Bruder eine kleine Kopfmacke verpasst hättest. Irgendetwas, das ihn etwas leichtgläubiger gemacht hätte, dann hätte er die Geschichte wahrscheinlich auch noch schöner gefunden. (Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass die Sache mit den Goldbarren nicht gestimmt hat) Und das wäre irgendwie nett gewesen, wenn der Bruder, der weiß, was der Vater für ein Arschloch sein kann, seinem hirngeschädigten Bruder, der mit dem Arschloch-Vater zusammenleben muss, eine schöne Vergangenheit "einredet", damit sein Leben etwas erträglicher wird und der Bruder sich, wenn es zuhause schlecht läuft, in diese Vergangenheit zurückziehen kann.

Der Sprachstil selbst ist äußerst prägnant, wobei ich jetzt nicht sagen kann, woran das genau liegt, er ist aber sehr gelungen und passt zu der gedrückten Stimmung der Geschichte.

Habe wirklich nichts daran auszusetzen und nur Lob für dich - ich hoffe du verzeihst mir die Schleimerei.

lg,
zash

 

Hi zigga

»Irgendwas stimmt nicht mit mir«, sagte er, »ich hatte gerade so ’nen komischen Traum, und jetzt bin ich aufgewacht, und irgendwas stimmt nicht mit mir.«

An der Stelle hattest du mich. Das fand ich schon einen richtig guten Einstieg, und ich war gespannt, in welche Richtung sich das entwickeln würde.

Vorweg: Ich bin etwas hin- und hergerissen. Auf der einen Seite finde ich das sehr intensiv erzählt, ich finde auch du beschreibst den Vater sehr gut und ich kann absolut nachvollziehen, wie er mit dieser psychischen Gewalt seine Familie terrorisierte. Auf der anderen Seite kann ich aber auch nicht ganz verstehen, warum der Erzähler seinen Bruder da nicht rausholt:

Ich hörte ihn atmen, dann sagte er plötzlich: »Ich weiß nicht, wie du das all die Jahre ausgehalten hast.«
»Was?«, sagte ich.

An der Stelle hat man ja noch wenig Infos, da liest man beim ersten Mal drüber, aber wenn man den ganzen Text kennt - würde der Erzähler hier wirklich "Was?" fragen. Glaube ich nicht. Er weiß doch genau, um was es geht.

»Er ist ein Affe«, sagte er.
»Ja«, sagte ich, »aber er tut alles für dich.«
Ich hörte ihn schnaufen, dann sagte er: »Ich weiß ja. Ich weiß das ja alles, und ich bin ihm ja auch dankbar dafür.

Auch die Unterhaltung wirkt seltsam, wenn ich den Kontext betrachte. Warum nimmt der Erzähler den Vater hier in Schutz? Er hat ja selbst jahrelang unter ihm gelitten, war aber eben stärker als sein Bruder - was du gut herausstellst, auch an dem Beispiel, dass er seinen älteren Bruder in der Schule verteidigt hat - und konnte sich lösen. Sein Bruder ist in der psychischen Abhängigkeit hängengeblieben - aber wie kann der Erzähler hier sagen: "Er tut alles für dich." Der Vater zerstört seinen Bruder - oder hat ihn schon zerstört - und dem Erzähler ist das doch auch bewusst.

Die Geschichte mit den Goldbarren finde ich eine tolle Idee. Da kommt die ganze Tragik des Geschehens heraus, wenn er mit solch einer erfundenen Geschichte seinen Bruder trösten muss, ihm ein Leben zeigt, das möglich gewesen wäre - das ist sehr traurig. Hast du aber toll dargestellt.

Mit dem zweiten Teil - als er von der Wirklichkeit erzählt - bin ich nicht so begeistert. Es wirkt auf mich etwas distanzierter, eher heruntererzählt (was natürlich deine Absicht war), obwohl es gut geschrieben ist. So fügt es sich auch gut in den Aufbau der Geschichte ein. Mir fällt da auch nix Besseres ein - Rückblenden wären eine Möglichkeit, würden aber auch wieder einen Bruch geben. Also es passt schon, aber von der Wirkung erreicht es mich nicht ganz so sehr wie die erfundene Geschichte. Obwohl du - wie gesagt - den Vater schon toll darstellst, mit den Details, der pulsierenden Ader, dass er nie körperliche Gewalt anwendet, weil das eine Grenze für ihn ist - das ist irgendwie gruselig, vielleicht hätte der ältere Bruder mit körperlicher Gewalt besser umgehen können, aber dieser Psycho-Terror über Jahre ist eine echte Folter.

Ich habe mich schon gefragt, warum der Erzähler nie aktiver versucht hat, seinen Bruder da rauszuholen (vielleicht hat er es, aber die Geschichte schweigt dazu - wobei dieses "er tut alles für dich" dagegen spricht). Er hat ihm ja sonst auch geholfen, warum hier nicht? War ihm hier die eigene Flucht wichtiger? Aber warum das, wo er doch zum Zeitpunkt der Flucht den Vater eigentlich schon "besiegt" hatte? Das sind so Fragen, die ich mir nach dem Lesen gestellt habe. Vielleicht bindet ihn ja auch noch etwas an den Vater, Mitleid etwa:

Später kam er dann zu uns aufs Zimmer und sprach davon, dass er so beschäftigt, so erschöpft sei, dass er das alles nur für uns tue. Schließlich entschuldigte er sich, und wir sagten, dass wir ihm verzeihen würden.

Hier hätte ich mir gewünscht, dass du noch etwas mehr auf das heutige Verhältnis des Erzählers zum Vater eingehst.

Auch die Sache mit dem Sessel hab ich nicht so ganz verstanden. Warum sitzt der Bruder immer da drin und hat überall sonst so schreckliche Schmerzen? Warum ist er in seinem jetzigen Zustand nicht in einem Krankenhaus?

Sonst ist das aber echt eine tolle Geschichte. Wie gesagt, intensiv und glaubwürdig erzählt. Paar Kleinigkeiten noch:

Ich setzte mich auf den Küchstuhl

Küchenstuhl

Mein Bruder traf das schwerer als mich.

Meinen Bruder

zwischen all dem angestauten Hass und diesen Beulen, die ihm wuchsen

in ihm wuchsen

Viele Grüsse,
Schwups

 
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Hey zigga

Ich tu mich schwer mit dem Text.

Den Anfang finde ich super, überhaupt das ganze Gespräch am Telefon, die Atmosphäre, die du aufbaust, da dachte ich, das ist zigga in Bestform. Die Dialoge sind sehr gut, auch der Satzrhythmus:

Ich sagte ihm, dass er sich keine Sorgen machen solle, ich sagte ihm, dass dieses Gefühl von den Schmerzmitteln käme, »von den starken«, sagte ich, »die bringen deinen Kopf durcheinander«, sagte ich.

Du hast vier mal "sagte ich" drin, aber das funktioniert gut, im Gegenteil, du bekommst dadurch so einen eigentümlichen drive rein, das hat mir gefallen.

Im ersten Abschnitt ist mir nur die Wortwiederholung "sofort" negativ aufgefallen, er erkennt gleich zweimal sofort etwas.

Tja, ich war also mittendrin in deiner Geschichte, ich las mit Begeisterung, der Typ hängt auf und der Text bricht weg.
So habe ich es zumindest empfunden. Denn es folgt eine Riesenrückblende, du versucht die auch szenisch anzureichern, das habe ich schon gemerkt, aber ich hab das trotzdem als Tell gelesen. Und zwar als Tell der eher langweiligeren Sorte, der Text verliert da an Spannung, ich meine nicht Spannung im Sinne von Ich-will-unbedingt-wissen-wie-es-weitergeht, sondern Spannung im Sinne von Intensität, von Zwischenräumen, von offenen Fragen, auch das Atmosphärische ging mir verloren. Ich weiss nicht genau, woran es liegt, (weil auch diese Passagen gut geschrieben sind), aber vielleicht ist die Gesamtkonzeption mitverantwortlich. Du baust da diese unheimliche Szenerie mitten in der Nacht auf, skizzierst auf subtile Weise die Beziehung zwischen den beiden Brüdern, und dann kommt (bis auf den allerletzten Absatz) einfach nur noch ein Rückblick, den man auch gut mit den Worten: "Ich erzähle jetzt noch was über unseren Vater, das macht dann alles viel verständlicher" hätte einleiten können.

Vielleicht liegt es auch daran, dass du so Tell-Elemente drin hast: "Mit sechzehn verlor ich meine Angst" oder "Mein Bruder hatte nie dieses Erlebnis".

Womöglich könntest du das gesamte Gespräch ausdehnen, über den gesamten Text ziehen, die Rückblenden verteilen, flockiger einstreuen? Das wird verdammt anstrengend, du musst die am Telefon schweigen lassen. "Erzähl noch eine Geschichte" - "Nein, ich möchte schlafen" - "Weisst du noch, als...?" Aber vielleicht würde sich das lohnen, diese Atmosphäre, auch das Geheimnis, weshalb der Bruder einen solchen Hass verspürt, länger aufrecht zu erhalten.

und als die ersten Geschwulste auftauchten, fragte ich mich, ob es da nicht einen Zusammenhang geben könnte, zwischen all dem angestauten Hass und diesen Beulen, die ihm wuchsen.

Diesen Gedanken hatte ich schon, als der Begriff "Geschwulst" das erste Mal fiel. Ich finde, das solltest du dem Leser überlassen.

Ich will noch mal deine Sprache, die Erzählstimme, die Atmosphäre loben, das ist im ersten Teil sehr stark. Aber für mich hat sich der Text während dem Lesen gewissermassen verflüchtigt und ich bin am Ende - weil die Geschichte so toll beginnt - fast ein wenig frustriert davor gesessen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Hallo zusammen,

das ging ja schnell! :D Ich gehe mal der Reihe nach vor ...


Hallo zash,

sauberes Stück Arbeit hast du da geleistet. Gefällt mir wahnsinnig gut.
Danke dir und freut mich, dass du was mit anfangen konntest.

Dieses Wiederholen mancher Teile ... ich mag solche wörtlichen Reden, bekomme sie aber, wenn ich sie versuche, nie wirklich gut hin. Klingt bei mir nicht wirklich realistisch.
Weiß nicht, ob du das nicht ohnehin schon machst, aber mir hilft es oft, meine Dialoge laut vorzulesen. Ich schreibe das dann auch so mit, wie es sich für mich authentisch anhört, gibt ja Leute, die krampfhaft versuchen, ihre Dialoge zu literarisieren, aber das klingt oft so unnatürlich, so aufgesetzt, ich finde, man sollte nicht scheuen, ruhig im gesprochenen Wort Wiederholungen und Umgangssprache zuzulassen. Kein Plan, ob dir das jetzt weiterhilft :D

Was mir hier vielleicht einen Deut besser gefallen hätte, wäre, wenn du dem Bruder eine kleine Kopfmacke verpasst hättest.
Das ist echt eine gute Idee. Der Bruder wirkt ja jetzt schon etwas kindlich - so ist das ein gemeinsames Träumen. Aber ja, ich denke mal drüber nach, finde ich gar nicht übel.

Der Sprachstil selbst ist äußerst prägnant, wobei ich jetzt nicht sagen kann, woran das genau liegt, er ist aber sehr gelungen und passt zu der gedrückten Stimmung der Geschichte.

Habe wirklich nichts daran auszusetzen und nur Lob für dich - ich hoffe du verzeihst mir die Schleimerei.

Geil, immer her mit der Schleimerei!! :D

Wenn du Bock hast, schreib mal rum, was dir an der Terroristen-Geschichte nicht getaugt hat, oder wieso du sie nicht mochtest. Ehrlich, interessiert mich.

Big Fish kenne ich übrigens nicht, schaut aber gut aus, Tim Burton. Werde ich mir die Tage mal ansehen, schätze ich.

Danke dir fürs Vorbeischauen, Lesen, Kommentieren, und richte deiner Mitbewohnerin ruhig mal nen schönen Gruß aus! :D


Servus Schwups,

schön, wieder von dir zu hören!

Vorweg: Ich bin etwas hin- und hergerissen.
Mit dem zweiten Teil - als er von der Wirklichkeit erzählt - bin ich nicht so begeistert.
Ja, ich auch. Arbeite seit zwei Wochen an der Geschichte, und jetzt war ich an so einem Punkt, wo ich mir dachte, was solls, ist ja ein Schreibforum, mal sehen, was die anderen dazu sagen.
Also ich kann deine Kritik absolut nachvollziehen, und ich sehe sie genauso. Die Story hat zwei Teile, der zweite wirkt irgendwie etwas anorganisch, etwas lebloser und angehängt; er muss da sein, aber irgendwie wirkt das nicht so organisch. Ich wüsste auch nicht, wie ich den Tell-Abschnitt jetzt in den anderen Text oder "Stil" mit einfügen könnte ... ich bin da wirklich etwas überfragt. Ehrlich gesagt hatte ich klammheimlich gehofft, dass diese Problematik mit dem Text bloß in meinem Kopf vorherrscht, und es anderen Leuten gar nicht auffällt. :D Aber gut!

Es ist so, dass ich einfach Lust habe, ganze, runde Geschichten zu erzählen, weißt du, nichts vom Plot, was nach dem Lesen noch halb kryptisch irgendwo zwischen den Zeilen hängt, und man muss durch viel Kopfarbeit sich das irgendwie selbst zusammenschustern ... ich habe gerade einfach Lust, wirkliche runde Eindrück von Figuren oder einem Plot zu geben, wo man sich danach befriedigt zurücklehnen kann und nicht das Gefühl hat, irgendwas würde fehlen, sei nicht ganz klar. Deswegen der zweite Teil, auch wenn das irgendwie nur so semiintensiv wirkt.


Auch die Unterhaltung wirkt seltsam, wenn ich den Kontext betrachte. Warum nimmt der Erzähler den Vater hier in Schutz?
Hm, ich finde es gar nicht so komisch. Meine Grundkonstellation war, dass der Bruder einfach keine andere Möglichkeit hat, als bei seinen Eltern/dem Vater vorübergehend zu wohnen. Viele Schwerkranke würden auch ein solches Elternhaus in Kauf nehmen, sage ich jetzt mal, anstatt in einem Krankenhaus zu liegen, wo sie bloß an ihr Kranksein erinnert werden und überall andere Kranke sehen und bloß Krankenhausessen zu sich nehmen können. Gerade, weil das mit dem Vater ja so ein Hin und Her ist; (zumindest hatte ich das so vor Augen) er ist schon scheiße, aber er balanciert da auf einem schmalen Grat, wo man, geraden, wenn man in einer psychischen Abhängigkeit wie der Bruder ist, dann doch immer zurückkommt, doch immer verzeiht, obwohl man das tief in sich drin eigentlich gar nicht will, sich da ganz anderes abspielt. Das war zumindest mein Plan.

Ich habe mich schon gefragt, warum der Erzähler nie aktiver versucht hat, seinen Bruder da rauszuholen
Naja, aber was soll er tun? Letztendlich muss sich jemand wie der Bruder da doch irgendwann aus eigener Kraft herauslösen, rebellieren, die Verbindung kappen; wenn man das nicht schafft, bleibt man da ewig hängen.
Aber gut, wenn das bei dir irgendwie etwas unklar blieb, werde ich das im Hinterkopf behalten und bei einer Überarbeitung noch mal darauf achten, das etwas klarer herauszustellen, wie ich das meine.

Obwohl du - wie gesagt - den Vater schon toll darstellst, mit den Details, der pulsierenden Ader, dass er nie körperliche Gewalt anwendet, weil das eine Grenze für ihn ist - das ist irgendwie gruselig, vielleicht hätte der ältere Bruder mit körperlicher Gewalt besser umgehen können, aber dieser Psycho-Terror über Jahre ist eine echte Folter.
Das freut mich!

Vielleicht bindet ihn ja auch noch etwas an den Vater, Mitleid etwa:
Genau, ich hatte das so vor Augen, dass er sich nicht lösen kann, dass er immer wieder verzeiht und sagt: Ok, ja, du bist so arm dran, ich nehme das hin.

Auch die Sache mit dem Sessel hab ich nicht so ganz verstanden. Warum sitzt der Bruder immer da drin und hat überall sonst so schreckliche Schmerzen?
Es ist so, dass Krebspatienten oft bei Tumoren z.B. im Rücken große Probleme haben, schmerzfrei zu liegen/sitzen. Oft sind das dann einzelne Liege-/Sitzpositionen (die besonders gut in einzelnen Möbelstücken funktionieren), die dann besonders schonend/schmerzfrei wahrgenommen werden, und die Personen versuchen dann natürlich so oft wie möglich in dieser schmerzreduzierten Position zu verharren.

Sonst ist das aber echt eine tolle Geschichte. Wie gesagt, intensiv und glaubwürdig erzählt.
Super, ich freue mich!

Danke dir für dein Feedback, fürs Lesen, das ganze Allround-Programm! Kleinigkeiten sind auch schon ausgebessert, danke.

 

Hi Peeperkorn,

vielen Dank für deinen Kommentar! Deine Einschätzungen bringen mich immer sehr weiter, danke dir.

Ich tu mich schwer mit dem Text.
Ich mir auch so ein wenig! :D

Den Anfang finde ich super, überhaupt das ganze Gespräch am Telefon, die Atmosphäre, die du aufbaust, da dachte ich, das ist zigga in Bestform.
geil!
Du hast vier mal "sagte ich" drin, aber das funktioniert gut, im Gegenteil, du bekommst dadurch so einen eigentümlichen drive rein, das hat mir gefallen.
Danke dir, manchmal reizt es mich, ein wenig mit Konventionen zu brechen, v.a. wenn ich glaube, dass das den Sprung zu etwas "Eigenem" schafft

Tja, ich war also mittendrin in deiner Geschichte, ich las mit Begeisterung, der Typ hängt auf und der Text bricht weg.
So habe ich es zumindest empfunden.
Ja, also, ich hab das schon Schwups geschrieben, ich kann das nachvollziehen. Ich habe das sogar hier mehr oder weniger hochgeladen, um das herauszufinden. Ich habe das Teil zur Hälfte geschrieben, hatte die Reststory/-plot im Kopf, und dann wollte ich einfach so ein rundes Teil draus machen, schön zum Ende hin auserzählt, nichts groß Kryptisches, keine Lücken, die dem Leser auch nach Ende des Lesens stören, sondern ein, ja, "rundes" Bild des Konflikts der beiden Prots. Weiß nicht, ob mir das gelungen ist, aber das war mein Anliegen.
Wie ich die zweite Hälfte besser einfädeln kann, da stand ich ein paar Tage auf der Leitung, und dann dachte ich mir, was solls, das hier ist ein Schreibforum, vllt fällt den Lesern ja dieser "Bruch" im Erzählen, der Wandel von Show in zu Tell gar nicht groß auf, oder ich kann sie mit der (Hintergrund-)Geschichte so gut mitnehmen, dass sie das nicht groß stört. Wir sind alles selbst Autoren, und uns fällt so etwas natürlich wesentlich schneller auf, als normale Leser; auch jetzt bin ich noch unschlüssig, wie ich das finden soll - einerseits gefällt mir die Geschichte an sich wahnsinnig gut, ich mag meine Prots, ich mag es auch, dass ich dort die Hintergrundgeschichte lesen kann, andererseits fehlt für mich natürlich im letzten Drittel die dunkle Atmospähre, die ich davor aufgebaut habe, und das schöne Show. Da bin ich ganz bei dir. Mal sehen, was ich aus diesem Text mache. Ich finde ihn persönlich nicht schlecht, bloß die Rückblende ist eben nicht die 100%. Ich überlege mal weiter, wie ich das schöner einflechten könnte, und bastle ein bisschen herum, evtl. rolle ich die Geschichte teilweise noch mal neu auf, ich muss mal sehen, evtl. stört mich das Tell in zwei Wochen auch überhaupt nicht mehr, und gefällt mir vllt sogar besser. Ich muss mal sehen.

und als die ersten Geschwulste auftauchten, fragte ich mich, ob es da nicht einen Zusammenhang geben könnte, zwischen all dem angestauten Hass und diesen Beulen, die ihm wuchsen.
Diesen Gedanken hatte ich schon, als der Begriff "Geschwulst" das erste Mal fiel. Ich finde, das solltest du dem Leser überlassen.
Immer schwierig mit dem Weglassen! :D Ich persönlich finde das einen guten Bogen, der noch mal die Brücke rüber zu der Krankheit schlägt, und alles "rund" erscheinen lässt, ansonsten befürchte ich, dass man als Leser nach Lesen der Story den Eindruck hat, das Ganze hätte nicht so ganz den konsequenten roten Faden. Ich schaue mal.

Ich will noch mal deine Sprache, die Erzählstimme, die Atmosphäre loben, das ist im ersten Teil sehr stark. Aber für mich hat sich der Text während dem Lesen gewissermassen verflüchtigt und ich bin am Ende - weil die Geschichte so toll beginnt - fast ein wenig frustriert davor gesessen.

Super! Ich danke dir noch mal, Peeperkorn, auch für dein Lob natürlich. Ich verstehe deine Kritik voll, habe aber den Eindruck, da selbst noch keine 100%ige Meinung bzw. Konstruktionsverbesserungen im Storygerüst vor Augen zu haben.

Gruß,
zigga

 

Hey zigga

also, hm.

Mir geht es ähnlich wie Peeperkorn. Die erste Hälfte finde ich super, die zweite dann enttäuschend.

Mir fehlt in dieser Geschichte auch die Spannung und der Konflikt, denn im Grunde "passiert" ja nichts - der Protagonist telefoniert mit seinem Bruder und dann erzählt er seine/ ihre Lebens- und Familiengeschichte. Aber da ist keine Wendung, nichts.
Ich meine, das ist toll geschrieben, eine berührende Szene, aber ich könnte mir das eher als Teil von etwas Längerem vorstellen.

Ich geh trotzdem mal durch -

Er rief mich an, da war es mitten in der Nacht. Ich brauchte zehn, zwanzig Sekunden, bis ich bei klarem Verstand war, aber als ich seinen Namen auf dem Display erkannte, wusste ich sofort Bescheid.
Finde ich einen super ANfang!

An seiner Stimme erkannte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Er fragte mich, ob ich schon geschlafen hätte, er fragte mich, ob ich morgen arbeiten müsse. »Nein«, sagte ich, dann: »Was gibt’s?« Ich schloss die Augen und gähnte, ich konnte es nicht zurückhalten.
Nach den ersten beiden Sätzen und dem "ich erkannte, dass etwas nicht stimmte" dachte ich: "Okay, irgendwas ist passiert." und ich hatte auch das Gefühl, dass der Protagonist das dachte ... und dann gähnt er, das passt für mich irgendwie nicht rein, das klingt dann wieder so nach Langeweile. Wenn ich mir Sorgen mache/ angespannt bin, gähn ich doch nicht, oder?
Okay, später kommt dann raus, dass der Bruder öfter anruft, dann versteh ich das. Dann passt es aber nicht, dass du durch die ersten Sätze so eine Spannung aufbaust.
Verstehst du, was ich mein? :D

Und ich bin ein berühmter Maler geworden, ich habe mir von meinem Erbe die besten Zeichenlehrer der Welt einfliegen lassen
von welchem Erbe denn? Wer hat ihm denn was vererbt? Die ELtern leben in dieser Vorstellung ja zumindest noch.

Meinen Bruder traf das schwerer als mich. Vielleicht, weil er älter war, weil er bis zu meiner Geburt mit ihm und meiner Mutter alleine gewesen war. Schon in jungen Jahren hatte mein Vater irgendetwas in ihm gebrochen, das keiner mehr reparieren konnte;
Den Satz brauchst du m.M.n. nicht, der erklärt mir hier zu viel - das wird schon durch die darauffolgenden Sätze deutlich, in denen du beschreibst, wie er sich im Kindergarten verhält. Abgesehen davon finde ich den Satz ein bisschen "floskelhaft" ;)

Er sagte, er könne das nicht rauslassen, er sagte, da sei diese Wut in ihm, und er fürchte, er bringe jemanden um, wenn er sie rauslasse.
ist mir auch zu viel erklärt

Sein Kopf war blutrot, die Ader an seiner Schläfe pumpte, und ich tat nichts, als zu lachen. Mein Vater schrie wieder – und als er merkte, dass ich einfach weiterlachte, packte er mich, an den Schultern;(...) Dann begann er, mich zu schütteln: Er schüttelte mich und schrie, und ich lachte: ein, zwei Minuten lang – bis er meine Schultern losließ und mich am Hals packte:
die Szene hat mich irgendwie an "No Exit" erinnert :D (weißt du, welche Szene ich meine?)

Mein Bruder hatte nie dieses Erlebnis; er hatte es nie geschafft, abzuspringen, sich loszureißen.
ist mir auch zu viel erklärt ...

Sprachlich ist der Text ansonsten super, vor allem die erste Hälfte! Da gibt es kaum einen Satz, den ich verändern würde! Die Beziehung zwischen ihm und seinem Bruder, die ganze Situation, das hast du sehr schön eingefangen.

Ich hoffe, du kannst mit den Anmerkungen was anfangen! :)

Lieben Gruß,

Tintenfisch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Tintenfisch!

Ja, den zweiten Teil der Story, den hassen alle! :D
Ich kann das schon nachvollziehen. Als ich das geschrieben hab, hab ich mir meine Wortkrieger-Brille aufgesetzt und auch diesen "Bruch" bemerkt, der dann bei der Rückblende einsetzt. Ich war mir nicht sicher, ob das nur ich so sehe, weil ich zu tief im Text drin war, oder ob das auch der allgemeine Leser wahrnimmt und schlecht findet.
Das Ding ist bloß, dass ich mir halt bewusst war, dass das auf irgendeine Art "falsch" ist, der zweite Teil, irgendwie etwas Verbotenes, aber sobald ich meine Wk-Brille abgenommen habe und den Text als "Testleser" gelesen habe, hat mich das komischerweise gar nicht so gestört. Vielleicht liegt das an ein paar Storybändern, die ich die letzte Zeit gelesen habe, und deren Geschichten so gar nicht nach "Gerüsten" aufgebaut sind, die wir hier mehr oder weniger verwenden, aber die trotzdem für mich sehr gut funktioniert haben. Kann aber auch gut sein, dass ich das Teil einfach viel zu oft gelesen habe, und mich das weichgekocht hat, auf irgendeine Art, und ich mal paar Wochen warten muss, und wenn ich das dann noch mal lesen, sehe und empfinde ich das so wie ihr. Im Moment ist es aber fast so, als ob ich das Gerüst mit der zweiten Hälfte gar nicht schlecht finde, mir die Geschichte darin einfach gefällt, und ich das Gefühl habe, ich könnte den Leser mit dem Vorhangöffnen und Erzählen der Früher-Geschichte mit dem Vater gut durch die zweite Hälfte mitziehen ... mal sehen.

von welchem Erbe denn? Wer hat ihm denn was vererbt?
kann man nicht vor dem Tod schon vererben? :D Ich meinte natürlich den Anteil am Gold.

die Szene hat mich irgendwie an "No Exit" erinnert (weißt du, welche Szene ich meine?)
äähm ... ich bin mir nicht ganz sicher! :D

Aber da ist keine Wendung, nichts.
Findest du echt? Das war als Wendung geplant: So lebte mein Bruder drei, vier Jahre lang, immer mit dieser verschütteten Wut in sich; und als die ersten Geschwulste auftauchten, fragte ich mich, ob es da nicht einen Zusammenhang geben könnte, zwischen all dem angestauten Hass und diesen Beulen, die ihm wuchsen.
Praktisch die Erkenntnis, dass diese Wut die Krankheit ausgelöst haben könnte. Ja, klar, ich wollte halt über die Prügelszene, die Goldgeschichte und so Aktion reinbringen, aber im Endeffekt fokussiert sich die Handlung auf ein Vorhangöffnen der Hinter-/Familiengeschichte. Ich schau mal, was ich mit mache, mit der Story. :D

Danke dir fürs Vorbeischauen+Lesen+Kommentieren, Tintenfisch!

 

Ich nochmal.

kann man nicht vor dem Tod schon vererben?
Also, juristisch gesehen ... :D
nein, also ich finde halt, dass "erben" mit dem Tod verbunden wird, mich hats bisschen verwirrt, ist aber ja nur ne Kleinigkeit

indest du echt? Das war als Wendung geplant: So lebte mein Bruder drei, vier Jahre lang, immer mit dieser verschütteten Wut in sich; und als die ersten Geschwulste auftauchten, fragte ich mich, ob es da nicht einen Zusammenhang geben könnte, zwischen all dem angestauten Hass und diesen Beulen, die ihm wuchsen.
Okay, das hat für mich dann als Wendung zu wenig Raum eingenommen.

Ich versteh dich schon, dass du den Text magst, ich find ihn ja auch schön. Ich finde auch nicht, dass du etwas "Verbotenes" damit machst. Für mich hats halt nur nicht so funktioniert ;)

 

Hej Zigga,

ich finde die Idee, dass Wut zu Krankheit führt, nicht verkehrt. Für mich hätte es aber gereicht, wenn du das angedeutet hättest, ohne es so ausdrücklich in den Raum zu stellen.

So kann ich mich nicht richtig für die Geschichte begeistern. Mir ist da niemand nahe gekommen und oft ist das für mich der Fall, wenn die Figuren zu wenig Präsenz haben.

Vielleicht liegt es daran, dass es viele Erinnerungen und dagegen nur wenig Gespräch in der Gegenwart gibt.

Dem Bruder kann ich Wut und Krankheit kaum abnehmen, für mein Empfinden wird beides zu wenig gezeigt. Erzählt schon ...

Ein wenig Interesse an der Figur regt sich bei mir lediglich für den Vater, den empfinde ich als am stärksten gezeichnet. Ich hab gerade nur einen kleinen Bildschirm, sonst würd ich versuchen das am Text zu erklären, jetzt ist es erstmal ein Gefühl.

Bei dem Erzähler fiel mir noch auf, dass er im Text mehrmals "meine Freundin" sagt. Das klingt unpersönlich und passt für mich nicht zu dem intimen Gespräch mit dem Bruder. Oder auch zu den eigenen Gedanken.

Da Du selber ja anscheinend recht zufrieden mit der Geschichte bist, hoffe ich, dass Du Du meine Überlegungen ... verschmerzen kannst. ;)

Gruss
Ane

 

Gute Nacht, Ane,

Nee, zufrieden bin ich nicht!! :D Eher hin- und hergerissen, ich habe das Gefühl, ich hätte die Story gut noch mal 2, 3 Wochen liegen lassen und dann noch mal lesen sollen, dann hätte ich wohl eine klarere Meinung dazu.

Ja, stimmt schon, ich habe hier mal viel durch Tell und weniger wirklich durch Handlung erzählt, vielleicht war das auch so ein Ausprobieren für mich, ob das denn nicht doch funktioniert.
Das "meine Freundin" spielt sich ja lediglich in der Gedankenwelt des Prots ab, ich hab jetzt gar keine Erklärung dafür, wieso ich das gemacht habe, vielleicht, weil die Freundin am wenigsten eine Rolle spielt, und eher als Teil der Stimmung/Charakterisierung des Prots fungiert.

Ja, ist immer so ein Balanceakt, wie viel zeigt man, wie viel sagt man, und wie viel lässt man im Ungesagten, und wo ist da die Goldene Mitte. Ich schaue mal, was ich mit dem Text hier mache, ob ich ihn in 2, 3 Wochen noch mal neu aufrolle, oder ob ich ihn in den Ordner der missglückten Fragmente stecke, oder ob ich ihn plötzlich total abfeiere, weiß man ja nicht. :D

Danke dir auf jeden Fall für deine Einschätzung, ich werde sie im Hinterkopf behalten, Ane, hat mich gefreut, wie immer.

Gruß
zigga

 

Hallo @zigga,

nach Michails Deal habe ich mir ein paar ältere Sachen von dir angesehen – und danach in der Familie verteilt; F-F-Alarm ist bei uns jetzt zu einem festen Begriff geworden und du hast neue Fans bekommen :-)
Ich will damit sagen, zigga, dass es eine deiner großen Stärken ist, Geschichten mit viel Personal zu schreiben und jedem deiner Figuren Leben einzuhauchen. Ich empfinde das wirklich als sehr lebensnah, wie du schreibst.

Hier hast du mal was anderes gemacht, eine ruhige Geschichte mit einem Protagonisten und keinen aktiven Nebenfiguren. Der Bruder am Telefon bekommt für mich aber schon ein Gesicht und natürlich der Protagonist, den habe ich gleich in mein Herz geschlossen. Dem Vater bin ich, dadurch dass ich ihn nur über das Erzählen kennengelernt habe, nicht sehr nahe gekommen – klingt jetzt sicher dämlich, das Kennenlernen und Nahekommen, aber ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken könnte. Es ist halt schon ein wenig wie im echten Leben, mit den Figuren in einer Geschichte. Man muss sie persönlich kennenlernen, um sich ein Bild, einen Eindruck verschaffen zu können – nun ja, für mich ist es halt so.

Mit meiner eigenen Schreiberei komme ich zur Zeit nicht weiter, weil mir nix mehr gefällt, was ins Erzählen abdriftet und ich das Show einfach noch nicht richtig drauf habe. Das hat, und da nehm ich jetzt auch kein Blatt vor den Mund, nach dem intensiven Auseinandersetzen mit Michails Deal angefangen. Jetzt hänge ich da irgendwie fest, lese diese Geschichte und finde im zweiten Teil eben das, was ich mir abgewöhnen will :-) Echt zigga, du machst es mir nicht leicht.

Ich finde es gut, dass du das hier mal so ausprobiert hast. Mir hätte es anders zwar besser gefallen, doch die Geschichte ist interessant und ich mag den Protagonisten und seinen Bruder. Von daher passt das schon. Doch dieses Rundum-Wohlfühlgefühl hat ein bisschen gelitten.

Nun, das ist dir jetzt sicher keine große Hilfe gewesen. Dein Anliegen war, ein rundes Bild des Konfliktes darzustellen? Das hast du, finde ich, sehr gut hinbekommen. Für mich sind keine Fragen offen.

Lieber Gruß
Tintenfass

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Tintenfass,

nach Michails Deal habe ich mir ein paar ältere Sachen von dir angesehen – und danach in der Familie verteilt; F-F-Alarm ist bei uns jetzt zu einem festen Begriff geworden und du hast neue Fans bekommen :-)
Ja abgefahren :D Das ehrt mich sehr und freut mich natürlich. Vielen Dank dir auch für das Lob, und es gibt natürlich nichts Besseres, als wenn man hört, dass jemand die eigenen Texte durchforstet hat.

Hier hast du mal was anderes gemacht, eine ruhige Geschichte mit einem Protagonisten und keinen aktiven Nebenfiguren. Der Bruder am Telefon bekommt für mich aber schon ein Gesicht und natürlich der Protagonist, den habe ich gleich in mein Herz geschlossen. Dem Vater bin ich, dadurch dass ich ihn nur über das Erzählen kennengelernt habe, nicht sehr nahe gekommen – klingt jetzt sicher dämlich, das Kennenlernen und Nahekommen, aber ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken könnte. Es ist halt schon ein wenig wie im echten Leben, mit den Figuren in einer Geschichte. Man muss sie persönlich kennenlernen, um sich ein Bild, einen Eindruck verschaffen zu können – nun ja, für mich ist es halt so.
Nee, klingt auf keinen Fall dämlich. Ich verstehe, was du meinst. Ist interessant, denn z.B. fand Ane den Vater am schärfsten gezeichnet, und bekam zu den anderen nur schwierig einen Draht. Bei dir ist das ja genau anders herum - sagt jetzt nichts über dich als Leser aus, finde das nur einen interessanten Fact.

Ja, ist schon so, dass ich im Prinzip auch auf Show stehe, und weniger auf Tell. Will aber nicht gesagt sein, dass Tell nicht funktionieren kann; gibt genug gute Geschichten bzw. Romane, die sehr erzählend gehalten sind, mir als Leser aber genügend Bilder vor die Augen zaubern, dass ich voll dabei bin, und die Geschichte zündet. Ich hab schon in den Vorkommentaren erwähnt, dass ich auch nicht so ganz mit der Story hier zufrieden bin. Der Tell-Teil wurde von fast allen mehr oder weniger kritisiert, selbst bevor ich den Text hier hochgeladen habe, hat mir der Tell-Teil dieser Story schon Bauchschmerzen bereitet, und ich wollte mal sehen, ob das anderen auch auffällt. Ja mhm, manchmal denke ich mir, die Autoren hier aus dem Forum wären verwundert, was für Kurzgeschichten da draußen von namenhaften Autoren publiziert und gefeiert werden - da würden einige (der Kurzgeschichten) hier glatt durchfallen, behaupte ich mal. :D Aber das ist natürlich keine Rechtfertigung. Die Story muss zünden, hier verschieße ich wohl ein wenig Pulver, da muss ich nachlegen oder mal sehen, was ich mit dem Teil hier mache.

Nun, das ist dir jetzt sicher keine große Hilfe gewesen.
Doch, klar, war es, Leseeindrücke bringen mir immer was. Danke dir dafür.

Mit meiner eigenen Schreiberei komme ich zur Zeit nicht weiter, weil mir nix mehr gefällt, was ins Erzählen abdriftet und ich das Show einfach noch nicht richtig drauf habe. Das hat, und da nehm ich jetzt auch kein Blatt vor den Mund, nach dem intensiven Auseinandersetzen mit Michails Deal angefangen.
Einerseits ehrt es mich, dass die Story so in deinem Kopf geblieben ist, andererseits finde ich es schade, dass sie dich irgendwo bremst. Mach doch einfach mal weiter; wenn dir das Show dort gut gefallen hat, kannst du ja mal probieren, wie das für dich klappt, was aus dir herauskommt, wenn du so nah an deinem Prot schreibst. Falls es dich beruhigt: Ich hab das Teil auch nicht von heute auf morgen rausgehauen, du kannst meine Exfreundin fragen, die hat schon immer die Augen verdreht, wenn ich monatelang abends um zehn mich an meinen Schreibtisch mit der Aussage verkrochen habe, ich schreibe noch ein bisschen an Michails Deal. :D

Dein Anliegen war, ein rundes Bild des Konfliktes darzustellen? Das hast du, finde ich, sehr gut hinbekommen.
Ja und nein. Mein Anliegen ist zuerst mal immer, eine fette Story zu erzählen. :D Rundes Bild hin oder her, am Ende möchte ich den Leser schon irgendwo bedienen und was Ordentliches liefern und mitnehmen - wenn das durch ein "rundes Bild" leidet, stimmt was nicht.

Du siehst, ich bin noch immer unschlüssig und weiß noch nicht ganz, wie ich die Story hier einordnen/bearbeiten soll. Hast mir aber weitergeholfen, danke dir für deine Einschätzung und Zeit! :)

Gruß
zigga

 

Hej zigga,

die Bruder-Beziehung ist gut eingearbeitet. Die Rollen verteilt, die Stimmung gut fühlbar. Ich mag die Ruhe und die Gelassenheit, die viel über die beiden aussagt.
Die offensichtlich ausgedachte Geschichte über eine goldene Kindheit ist rührend und eine hübsche Idee, die nächtlichen Monster zu vertreiben. Sehr fein auch immer wieder der Blick auf die eigene Gegenwart in Form der ruhig schlafenden Freundin. Eine wirklich stimmige Atmosphäre.
Und deswegen erscheinen mir die nachfolgenden Beschreibungen über den Charakter des Vaters, der durchsichtigen Mutter unangemessen und farblos.
Am meisten aber irritiert mich der Titel zum Text. Die ganze Zeit warte ich auf die Wut. Die wird lediglich erwähnt. Vom Bruder, und durch den Vater. Aber gerade dieses zentrale Thema ist für mich nicht spürbar. Eher eine nächtliche Melancholie und Rückschau.
Mit den Fähigkeiten Stimmungen zu erzeugen, hätte ich mir die Wut gewünscht.
Das klingt jetzt doof, aber in diesem Fall ist es so. :D

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Peace Kanji,

die Bruder-Beziehung ist gut eingearbeitet. Die Rollen verteilt, die Stimmung gut fühlbar. Ich mag die Ruhe und die Gelassenheit, die viel über die beiden aussagt.
Die offensichtlich ausgedachte Geschichte über eine goldene Kindheit ist rührend und eine hübsche Idee, die nächtlichen Monster zu vertreiben. Sehr fein auch immer wieder der Blick auf die eigene Gegenwart in Form der ruhig schlafenden Freundin. Eine wirklich stimmige Atmosphäre.
Jo danke, freut mich, dass du die Atmosphäre so gespürt hast.

Und deswegen erscheinen mir die nachfolgenden Beschreibungen über den Charakter des Vaters, der durchsichtigen Mutter unangemessen und farblos.
Am meisten aber irritiert mich der Titel zum Text. Die ganze Zeit warte ich auf die Wut. Die wird lediglich erwähnt. Vom Bruder, und durch den Vater. Aber gerade dieses zentrale Thema ist für mich nicht spürbar. Eher eine nächtliche Melancholie und Rückschau.
Mit den Fähigkeiten Stimmungen zu erzeugen, hätte ich mir die Wut gewünscht.
Das klingt jetzt doof, aber in diesem Fall ist es so.
Jaa ... :D ist angekommen. Ist halt das gute, alte Tell, damit Emotionen zu erzeugen ist, naja, weiß auch nicht. Kann ich nachvollziehen, dass man gerne diese Wut auch so serviert bekommt, wie die anderen Emotionen, mein Fehler (keine Ahnung ob Fehler hier das richtige Wort ist :D)
Der Bruder und Prot sind halt die einzigen, die man wirklich in Szenen kennenlernt, die anderen sind alle im Off, versteheh ich schon. Ich schau mal, was ich mit der Story mache, ob ich die umschmeiße, umbastle, oder irgendwie noch mal neu aufrolle oder sowas, haben ja schon die meisten anderen angemerkt, in ähnlicher Weise! Aber ja, die Wut muss man auch so spüren, stimmt schon.

Danke dir auf jeden Fall für deine Einschätzung und fürs Lesen, Kanji!


Gruß
zigga

 

Hallo zigga,

an sich finde ich deine Geschichte richtig gut.
Hättest du allerdings das Szenische vom Anfang durch den ganzen Text gezogen, hätte es mir sogar noch besser gefallen. :thumbsup:

Wo ich einen Augenblick darüber nachdenken musste, ob der kranke Bruder vielleicht auch geistig ein wenig zurückgeblieben ist, war die Stelle, als er von der Achterbahn und der Delfinshow sprach. Das fand ich ein wenig verwirrend.

Texliches:

und ich auf den Fließen, lachend.
Fliesen

Also, da ruft ihn der kranke Bruder fast jede Nacht an, weil er nicht schlafen kann und er erzählt ihm erfundene Geschichten, bis er wieder einschläft. So weit, so gut. Nur finde ich diesen „Erklärteil“ über den Vater nicht ganz passend zum Rest der Geschichte.

Ich hätte versucht, dies mit in den Dialog einzubauen oder vielleicht in einem späteren Gespräch mit seiner Freundin, die aufwacht und genervt ist und endlich mal wissen will, was denn da (seit Wochen?) los ist.

Ja, viel mehr kann ich gar nicht sagen. Vielleicht kannst du trotzdem was damit anfangen.
Schönen Abend noch.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hi zigga

In irgendeinem Kommentar schreibst du, dass dich die Geschichte seit ein paar Wochen umtreibt. Das merkt man ihr an. Ich meine, die Kürze der Zeit von der Idee zur Veröffentlichung. Mir kommt’s unausgereift vor. Einige wirklich gute Sprachbilder, Charaktere, die ich greifen kann, ein Konflikt. All das ist super, aber worauf es hinausläuft, was mich berühren soll, das bleibt merkwürdigerweise ein Rätsel. Da ist die Wut, da ist das Bruder-Bruder-Ding, der Konflikt mit dem Vater, der gar nicht richtig ausbricht und am Ende eine Wendung, die das Ganze möglicherweise zu einem Traum erklärt.

Stilistisch wäre glaube ich weniger mehr. Du überziehst den Text, so wie ich ihn lese, mit irgendwo fixierten Blicken: Die Freundin (die ist ja eh mehr ein Objekt, bleibt nutzlos im Bett liegen), die Lichter draußen, die Laterne, den roten Knopf der Kaffeemaschine. Der Traum ist superschön, führt aber ins Nichts, ebenso wie die Ledersesselsymbolik (an der Stelle wieder so ein paar kafkaeske Bilder, wie man sie hier mittlerweile öfters liest.)
Aber he, zigga, trotzdem eine klasse Geschichte, an der du aber echt arbeiten solltest, dann kommt das mit der Wut auch besser rüber, das wirkt auf mich etwas zahm.

Textstellen:

Er saß jeden Morgen und jeden Nachmittag auf diesem Ledersessel, und wenn er nachts aufwachte und mich anrief, saß er immer noch dort. Meine Eltern trugen ihn auf die Toilette und sie trugen ihn in die Dusche, und überall litt er furchtbare Schmerzen, und er litt so lange, bis er wieder auf seinem Sessel sitzen und durchatmen konnte.
mit dem Sessel, das ist ein super Bild, auch wenn ich es nur als Komfortzone deuten kann, die er nicht verlassen will.

»Ich weiß nicht, wieso mich das so tangiert.
was'n Wort

Ich stand auf und sah wieder hinaus, in die Dunkelheit, zu der Laterne, die dünn und hoch ihr Licht über den Gehweg ergoss.
schön, aber der fixiert halt bisschen oft irgendwas

Er wohnte bei meinen Eltern, und als ich achtzehn Jahre alt war, zog ich so weit weg von meinen Eltern, wie ich nur konnte.
okay, aber warum muss ich mir denken. :shy:

Aber immer, wenn ich ihn sehe, kommt diese Wut in mir hoch. Ich kann nichts dagegen tun.
warum?

»Also gut«, sagte ich, und starrte weiter auf den Power-Knopf.
jetzt der Power-Knopf.

– baute er uns eine Seifenkiste,
wer baut denn heute noch Seifenkisten? 50er/60-er Jahre?

; und er ließ seinen einen Läufer-Kollegen kommen
und ein Läufer-Kollege, klingt komisch.

Und mit deinem Erbe bist du in das Erlebnispark-Geschäft eingestiegen, weißt du, du hattest das mit der Seifenkiste nie vergessen, und weil du nicht wusstest, was du sonst mit deinem Geld machen solltest, hast du dir Anteile an einem Erlebnispark gekauft, so richtig mit Achterbahnen und Delfinen-Shows und alles.«
:Pfeif:heißt das nicht: Delfin-Show?

Der Mond schwebte sichelförmig über der Stadt, ein paar Lichter brannten im Hochhaus gegenüber.
:Pfeif:schön

An diesem Tag verlor ich die Angst vor meinem Vater, und ich wusste, dass ich so weit weg ziehen würde, wie ich nur konnte.
mm, reicht das aus?

als wären sie Teil eines großen Mosaiks, Bruchstücke unzähliger dieser kleinen Geschichten, die ich mir ständig ausdachte: Und als wäre auch ich bloß ein Teil einer solchen Geschichte, als wäre ich schon lange tot, und bloß die Idee eines anderen.
jetzt die Wendung zur Illusion, die mir zu unvermittelt kommt.

Lieben Gruß
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bea Milana maria.meerhaba GoMusic Isegrims!
Danke für euren tollen Kommentare und sorry für die lange Wartezeit, war die letzten Tage bloß mit dem Handy unterwegs, und nie an einem PC.
Bea Milana

es ist schon viel zu deiner KG gesagt worden und ich kann mich dem Gros nur anschließen, ohne es zu wiederholen. Ich finde, du hast das gut geschrieben, keine Frage, aber der zweite Teil wirkt sehr erinnerungslastig.
Ja danke dir, und ich kann mich dem auch nur anschließen, befürchte ich.

Focus Bruder-/ Vater Verhältnis
Die interessanteste Figur ist für mich der Vater, der sich tot arbeitet und die Familie tyrannisiert. Ich kann sehr gut nachempfinden, wie sehr der Rest der Familie unter diesem Druck, den er weitergibt, leidet. Was und warum der Vater allerdings den Bruder zerbrochen hat und deshalb womöglich Schwulste wachsen, naja, also, nimms mir nicht übel, das fand ich doch "behauptet", eben weil mir die Bilder und Gründe (geht auch im Tell!) dafür fehlen. So hat mich die Wut des Bruders nicht erreichen können. MMn. ist das der Hauptgrund, warum der zweite Teil nicht funktioniert. Neben dem inhaltlichen Manko wirkt das zudem brav aufgezählt, erklärt, ohne zu der Tiefe des Dramas vorzudringen.
Ja, im zweiten Teil ist irgendwo der Wurm drin kann auch sein, dass das Tell in Ordnung ist, aber einfach nicht straff und packend umgesetzt. Ich werde mich da in ein paar Wochen noch mal drübersetzen und deinen Kommentar im Hinterkopf behalten, dass die Wut mehr spürbar sein muss, man das als Leser mehr nachvollziehen können muss, hast schon recht!

- den Text umstellen, also den Tell-Teil zerstückeln und homogon in den ersten Teil einbinden. Manchmal funktioniert das und bringt eine Dynamik hinein, die jetzt fehlt.
Es gibt noch mehr erzählerische Möglichkeiten als Block A und Block B.
Wäre auch eine Option, die dann aber mir im schlechtesten Fall den schönen Vorwärts-Drive im ersten Teil nehmen würden (war meine Befürchtung, als ich auch schon darüber nachgedacht hatte)

- mehr über den Dialog erzählen, der Intensität und Stärke besitzt. Warum nicht das Drama der beiden Brüder in einen packenden langen Dialog legen? Eventuell ein Geheimnis offenbaren, das sein Bruder erst jetzt erzählen kann. Was hat der Vater gemacht? Hat er ihn als kleinen Jungen misshandelt, ihm Zigaretten auf den Körper ausgedrückt, ihm das Kissen auf den Mund gepresst, ihn beinahe erstickt, geschlagen, ihm ständig das Gefühl gegeben, er wäre ein missratenes, ungewolltes Kind, das nur im Weg steht. Ist der Bruder eventuell ein Kuckucksei und gar nicht der leibliche Sohn des Vaters? Verstehst du, ich will doch mehr erfahren, um nachvollziehen zu können, warum der Bruder diese Wut in sich trägt und der andere nicht. Kann er diese Wut ausleben? Hat er eine Therapie begonnen (oder aufgegeben), um dieses beherrschende Gefühl aufzuarbeiten? (Sind nur Fragen, die du dir stellen kannst, musst du mir nicht beantworten ...)
ok, ist angekommen! Mehr Information :D

Satzzeichen: Hier ist mir die geradezu verschwenderische Verwendung des Semikolons und des Doppelpunkts aufgefallen. Das hat mich zum Teil sehr gestört, zum Schluß sogar genervt. Es scheint dir stilistisch gut zu gefallen, aber ich möchte dir den Rat geben, beide Satzzeichen sparsamer einzusetzen. (Ich war mal eine zeitlang schwer in den Gedankenstrich verliebt und verwendete ihn so oft, dass mir jemand den weisen Ratschlag gab, es nicht zu übertreiben).
Ja, das kreiden mir ab und an immer mal wieder Kommentatoren an, ich kann das auch schon nachvollziehen. Ich glaube nur, dass ich bloß durch Punkte und Kommata nie den Erzähler mit dem Drive und Sound hinkriege bzw. erschaffen kann, ohne Semikolons und Doppelpunkte öfter als andere zu verwenden. Ich mag das einfach, wie es sich so liest :D Kann sein, dass ich es in fünf Jahren als (späte) Jugendsünde zurückblicke, oder es mir einfach nicht mehr gefällt, oder kanna uch sein dass ich mich irre und andere Leser gar nicht diesen Rhythmus beim Lesen haben, den mir diese Konstellation gibt. Mhm. Also im Augenblick mag ichs so, auch wenn ich die Kritik nachvollziehen kann!

Vielleicht ist der ein andere Impuls dabei, der dich weiterbringt,
Auf jeden Fall! Selbst wenn Kommentatoren Kritiken von anderen wiederholen, bringt mir das was, weil ich mir denke: Das war keine Einzelmeinung, sondern da gibt es mehr, die diesunddas stört. Die Wut muss mehr spürbar gemacht werden, ich muss das Tell szenischer gestalten, ausbauen, glaube ich, das werde ich zumindest mal probieren. Ich werde weiter dran rumbasteln, sobald ich wieder Zeit habe.

Geht gleich weiter!

Also danke dir fürs Lesen und Kommentieren, Bea!


Hallo maria.meerhaba

Er rief mich an, da war es mitten in der Nacht.
Du weißt, wie ich gerne über den ersten Satz meckere. Keine Angst, deiner ist ganz okay. In seiner Kürze baut er gleich mehrere Bilder auf und das gefällt mir :3 Ein schöner erster Satz.
das freut mich.

Draußen war es tiefschwarz, sternenlos, bloß das weiße Licht der Straßenlaterne fiel auf den Gehweg und das Wohnhaus gegenüber.
Ach, ich wünschte, ich könnte auch eine Umgebung so elegant und schön beschreiben können :/
mach dich mal nicht klein, und schmeichel mir mal nicht so! :D

Ich schaute zur Wanduhr: vier Uhr sechsundzwanzig.
Oh, mann, ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schlimm kranke Menschen sein können und wie sie selbst manchmal gar nicht merken, dass sie den anderen schaden. Ich hatte einen Onkel, der war todkrank und jedes Mal wenn er rauchte, musste ihn die Familie danach sofort ins Krankenhaus bringen und obwohl er wusste, was passierte, wenn er sich eine Zigarette anzündetet, hat er trotzdem alle zwei, drei Tage geraucht. Voll arg. Ich glaube, wenn man so schlimm dran ist, merkt man nichts von der eigenen Umgebung mehr.
Ja, ist wohl auch eine Charakterfrage, wer man im Kern ist, und das zeigt sich dann in (solchen) Extremsituationen, sag ich mal. Oder: Wenn man sich ständig mit der eigenen Gesundheit auseinandersetzen muss, kann man nach einiger Zeit natürlich auch mal zeitweise das eigene Umfeld vergessen, da ist schon was dran.

Ich kann mich nicht erinnern, wann sich jemals mein Vater bei mir entschuldigt hat. Allein deshalb macht es deinen Vater für mich sympathischer und ich mag ihn mehr als meinen eigenen. Siehste, da vermische ich meine eigenen Gefühle und Erinnerungen hinein und kann nicht ganz objektiv kritisieren :/ Im späteren Verlauf erzählst du uns, was für ein Arschloch er ist, aber dieses eine Detail mit der Entschuldigung werte ich instinktiv so hoch, dass ich das Arschloch in ihm nicht erkennen kann. Weißt du, eine ehrliche Entschuldigung auszusprechen, das ist nicht einfach, zumindest nicht für mich und vielleicht sorgt eben dieses eine Detail dafür, dass ich in ihm kein Monster sehe. Und er kümmert sich um seinen Sohn. Auch wenn er gemein ist und so, er kümmert sich trotz allem um seinen Sohn und überlässt nicht alles der Mutter. Es geht, ich schaffe es nicht, stattdessen beginne ich deinem Erzähler nicht mehr zu glauben.
Ja, das ist ein interessanter Einwand. Ich glaube, ich hab den ganzen Tell-Teil einfach zu "unszenisch" (ist das paradox? :D) gestaltet. Also, zu wenig gezeigt. Ich hatte diese Entschuldigung eher so vor Augen, dass der Vater halt die Worte sagt, aber es nicht wirklich ernst meint ... das hat sich für mich daran gezeigt, dass er es ja immer wieder macht, diese Schikane, sich zwar dann wieder entschuldigt, aber im Prinzip ist das ja ein Lippenbekenntnis, hohle Worte, wenn darauf keine Taten folgen. Das war zumindest meine Idee dahinter.

ich gehöre wohl auch zu denen, die hin und hergerissen sind und nicht wirklich wissen, ob ihnen die Geschichte gefällt oder nicht. Ein Jain wird dir wohl nicht gefallen, aber etwas anders kann ich dir leider nicht anbieten. Der Anfang ist stark, du hast mich gleich reingezogen und mir alle Figuren sympathisch gemacht, was nicht selbstverständlich ist, sondern eine große Übungssache.
Ja, für mich ist das auch noch so halbgar, ich verstehe das

Davor hast du gute Arbeit geleistet, da hat es mir gefallen, da gibt es von meiner Seite nichts zu bemängeln, aber danach kam es mir so vor, als wäre dir die Puste ausgegangen und du hättest dich nur noch auf das Ende hingearbeitet, um am Schluss nichts zu erzählen und die Geschichte abzuschließen. Die Botschaft kommt rüber, ich weiß, was die Geschichte zu erzählen versucht, aber ja … ich glaube, du verstehst schon :3 Ich sehe gerade, ich habe mich im Grunde nur wiederholt, was die anderen dazu auch geschrieben haben, im Grunde ist es keine konstruktive Kritik von mir. Was soll’s, ich wollte halt los werden, dass mir die erste Hälfte sehr gut gefallen hat :3
Oook, also ich verstehe :D! Ich werde das noch mal überarbeiten, wenn ich Zeit habe. Ich bin ja selbst nicht ganz zufrieden. Das ist wohl so ein Rohkonstrukt, v.a. im zweiten Teil muss ich da nachlegen und alles so darstellen, wie ich es vor Augen habe, damit man das als Leser zu 100% schluckt, glaube ich.

Also danke fürs Lesen und Vorbeischauen, Kommentieren, immer gerne, maria.

Hallo GoMusic,

an sich finde ich deine Geschichte richtig gut.
Hättest du allerdings das Szenische vom Anfang durch den ganzen Text gezogen, hätte es mir sogar noch besser gefallen.
Also auch dir danke fürs Lesen und kommentieren! Im Grund bestätigst du die Kritiken der anderen, und das bring tmir schon was, weil ich dann weiß, dass da wohl tatsächlich was dran sein muss. Aber freut mich natürlich, dass du auch etwas Positives abgewinnen konntest von der Story, das zeigt mir, dass das eigentlich für mich so ein Stadium ist, wo ichs noch nicht veröffentlicht hätte, und ich noch weiter dran gearbeitet und umgeschrieben hätte, was ich mit Sicherheit auch tun werde. Ja, das kann man nicht ausschließen, dass der Bruder auch geistig Schaden genommen hat, das stimmt schon, zash würde es sogar gefallen, das auszubauen .... für mich war die Figur einfach kindlich oder ein Kindskopf, oder halt jemand, der einfach noch gerne sich an solchen Dingen erfreut - gibt es ja jede Menge erwachsener Männer.

Alles szenisch zu gestalten ist natürlich hart und extrem schwierig, ich werde mal schauen, wie ichs hindeichsel!

Danke dir auf jeden Fall noch mal, GoMusic, alles Gute dir.


Rest folgt!


Gruß
zigga

 

Hallo Zigga,

Ich finde auch, dass deine Geschichte viel Potential hat. Jedenfalls geht sie mir nicht wirklich aus dem Kopf seitdem ich sie ziemlich bald nach dem Einstellen zum ersten Mal gelesen habe.

Er war keiner dieser prügelnden Väter, er schlug uns nie. Aber hatte er miese Laune, erwartete er von uns, seiner Familie, dass wir dafür herhielten: Er ging jeden Tag arbeiten, bis zur Erschöpfung, und daran waren wir schuld. Er tat es für uns. Das sagte er uns: Schaut her, ich bin euer Vater, und ich arbeite mich tot für euch.

Ich finde es gut, dass der Vater keine körperlichen Mißhandlungen verübt. Darüber gibt es schon viel Literatur und ich finde es gerade spannend was für verheerende seelische Verletzungen es in einer sogenannten "normalen Familie" geben kann. Dieser Vater bringt seine Kinder in einen schweren inneren Konflikt, in dem die Wut eben gerade nicht sein darf, weil da Schuldgefühle sind und weil der Vater schwach erscheint und weil Kinder dazu neigen ihre Eltern zu schützen. Ich überlege sogar, ob es dem Text vielleicht gut tun würde, wenn von Wut gar nicht die Rede wäre. Die Annahme, dass die Wut es ist, die den Älteren krank macht, wäre für mich überzeugender, wenn die Wut noch erheblich verschleierter wäre. Wenn z.B. aggressive Aspekte dem Vater gegenüber in dem anfänglichen Traum angedeutet werden und der Kranke darüber erschrocken ist. Ich glaube, schon das wäre für den Leser klar genug und viele weitere Erklärungen würden sich erübrigen.

Und der Vater war nie sauer, er hatte nie seine Anfälle, weil sein Geschäft durchgehend gut lief, und er jeden Morgen zehn Kilometer joggte. Wir hatten nie diese andere Seite von ihm kennengelernt, er war der ausgeglichenste Mensch, den wir kannten. Jeden Nachmittag machte er sein Schläfchen auf der Couch, und wir beide lachten uns jedes Mal tierisch kaputt, wenn er dalag und so extrem laut schnarchte.

Das ist so ein Beispiel, wo ich auch denke, du traust dem Leser zu wenig zu. Schon im ersten Satz ist klar, dass der Vater doch Anfälle hatte, dass es eine andere Seite gab. Das Fettgedruckte erscheint mir sehr doppelt gemoppelt.
Inhaltlich finde ich es wieder sehr gelungen, dass dieser Vater möglicherweise nicht so sehr in seine zerstörerischen Verhaltensweisen verfallen wäre, wenn das Geschäft besser gelaufen wäre. Was zwar nicht sein Verhalten gegenüber seiner Familie entschuldigt, aber ihn dennoch als einen Verzweifelten, Getriebenen zeigt. Ich finde es wichtig, dass du diesen Vater so differenziert darstellst, nicht nur als Arschloch. Dass seine Söhne ihn hassen und lieben. Der Ältere scheint völlig verstrickt in seinem Verhältnis zum Vater und das geht nur wenn es da viele, sich widersprechende Gefühle gibt.
Außerdem ist das der Teil wo dein Text dem Tag "Gesellschaft" gerecht wird. Wie die Bedingungen unter denen in dieser Gesellschaft Geld verdient oder nicht verdient wird, das Klima in den Familien bestimmt.

Ich dachte an meinen Vater, wie er dabei schnauft und schwitzt, und wie diese Ader an seiner Schläfe anschwillt; wie sein Gesicht rot anläuft, sich anspannt, und wie seine Augen glasig werden – ja, so musste es aussehen.

Tolle Stelle. Wie quälend muss es sein, auf jemanden wütend zu sein, der sich (wieder!) so für einen anstrengt.

»Ja«, sagte ich, »aber er tut alles für dich.«

Interessant. Der Bruder versucht hier die Wut des Älteren zu beschwichtigen. Wie die Mutter früher? Weil er doch froh ist, dass die Eltern die Verantwortung für den Bruder tragen und auch ihn damit entlasten? Ist es die Wut selber, die ihm auch selber Angst macht und das, was sie bewirken könnte?

Wenn er Großkunden gewann oder Heizsysteme an ganze Gebäudekomplexe verkaufte, schritt er abends pfeifend durch die Haustür, kochte groß auf und wollte, dass wir alle an einem Tisch saßen und aßen, so wie es die Familien im Fernsehen taten.
Aber das Geschäft lief nie gut.

Ich würde "nie" durch "selten" ersetzen, sonst hätte die Situation, die du davor beschreibst ja nie stattgefunden. Schön, wie sich andeutet, was der Vater eigentlich für einen Traum hat. Er wirkt wie ein Alkoholiker, der immer wieder in seine Mechanismen fällt.

Meinen Bruder traf das schwerer als mich. Vielleicht, weil er älter war, weil er bis zu meiner Geburt mit ihm und meiner Mutter alleine gewesen war. Schon in jungen Jahren hatte mein Vater irgendetwas in ihm gebrochen, das keiner mehr reparieren konnte;

Ich glaube ein Hinweis, warum der ältere Bruder so gebrochen ist, wäre gut. Meine Phantasie wäre, dass er in irgendeiner Weise nicht den Erwartungen entsprochen hat, die der Vater besonders an den Erstgeborenen hatte. Ich würde ihn nicht geistig behindert machen, aber dass er vielleicht schon von Geburt an irgendwelche Schwierigkeiten hatte, das würde schon passen. Auch das würde diese Tragik im Verhältnis zum Vater deutlich machen. Das müsste auch nicht endlos lang erklärt sein, vielleicht würde schon ein blöder Spitzname reichen, den sein Vater ihm als Kind gegeben hat.


Mein Bruder hatte nie dieses Erlebnis; er hatte es nie geschafft, abzuspringen, sich loszureißen. Mein Vater bezahlte ihm das Studium und die Wohnung, und als Gegenleistung fuhr mein Bruder am Wochenende nach Hause, setzte sich an den Tisch, hörte sich seine Reden an und ließ sich anschließend beleidigen, und irgendwann im Laufe des Wochenendes verzieh er meinem Vater, und Sonntagabend fuhr er zurück, mit hundertneunzig Stundenkilometern, und schlug zuhause auf Wände ein oder ging so lange joggen, bis er zusammenbrach.

Diese erklärenden Stellen schwächen meiner Meinung nach den Text enorm.
Vielleicht würde ich den Bruder gar nicht so explizit autoaggressiv werden lassen. (Dafür kriegt er ja den Krebs.) Du hast hier sogar drei Bilder für Wutreaktionen. Wahrscheinlich würde ein Bild kraftvoller wirken, z.B. nur die hundertneunzig Stundenkilometer.

Die Frauen in deinem Text, Mutter und Freundin, wirken schon fast komatös, irgendwie irritiert mich das, habe aber auch keine Idee dazu. Es geht ja auch hauptsächlich um das Verhältnis zwischen dem Vater und den Söhnen.

Tja und dann gibt es ja noch die Frage über Krankheitssursachen, die du in deinem Text behandelst. Hat dieser innere Konflikt, die nicht ausgelebte Wut den Bruder so krank gemacht? War er vielleicht wirklich von Anfang an schon verletzbarer? Oder liegt es an noch ganz anderen Faktoren? Oder an allem zusammen? Aber das sind genau die Fragen, die sich sowohl die Kranken, als auch die Angehörigen stellen. Und dir ist da eine sensible Geschichte gelungen.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo Zigga,

Deine Geschichte gefällt mir insgesamt sehr gut. Dazu gäbe es eine Menge zu sagen, und Du hast ja schon viele wertvolle Hinweise erhalten. Ich möchte mich bei meinem Kommentar auf ein einziges Detail beschränken, das ein bisschen mit dem zu tun hat, was Maria schon angemerkt hat. Die Be-Wertung des Vaters.

Um es verkürzt vorneweg zu sagen: Ich finde, es ist geradezu eine Mode geworden, die eigenen Eltern zu beschuldigen, sie hätten einen in der Kindheit traumatisiert. Der Mann, den Du da beschreibst, sehe ich absolut nicht als das Monster, das eine lebenslange Wut rechtfertigt. Und dass Schwups von Folter spricht, kann ich nun überhaupt nicht nachvollziehen.

Sicher wünschen wir uns von Eltern charakterliche Reife, wir wünschen uns, dass sie ihre Probleme nicht zu denen ihrer Kinder machen. Aber mal ganz ehrlich: Wie viele Menschen gibt es, die diesem Anspruch gerecht werden.

Der Vater ist ein Tyrann, ein Choleriker, jemand, der sich selbst nicht im Griff hat. Charakterlich ist das ein schwacher Mann und er gewinnt sicher nicht den Pokal für den besten Papa der Welt. Aber gibt es irgendwo einen Hinweis in Deinem Text, dass er seiner Familie schaden will? Gibt es einen Hinweis darauf, dass ihm seine Familie egal ist?

Er jammert abends über seine erfolglose Schinderei und wenn die Söhne darüber lachen oder stöhnen, schreit er rum. Okay, das ist nicht sonderlich mannhaft, aber die Söhne glänzen hier auch nicht gerade als beste Söhne der Welt.

Der (Stief-)Vater meines Vaters war Bergmann. Er sprach wenig, soff wie ein Loch, und wenn er miese Laune hatte, gingen meinen Vater und mein Onkel lieber in volle Deckung. Trotzdem habe ich von meinem Vater niemals Beschwerden gehört, über vermeintliche Traumatisierungen, die dieser Mann ihm durch seine rohe, unbeherrschte Art angetan haben mag.

In Deiner Geschichte kümmert sich der Vater um seinen kranken Sohn, pflegt ihn zu Hause, schleppt ihn aufs Klo. Millionen Kinder wären froh, wenn sie einen solchen Vater hätten.

Mit all dem möchte ich sagen, dass es für mein Verständnis deutlich mehr braucht, um bei mir als Leser den Eindruck zu erwecken, dass hier eine Wut entsteht, die ich nicht ebenfalls als Ausdruck charakterlicher Schwäche betrachte, sondern als gerechtfertigte Reaktion auf ein erlittenes Unrecht. (Aus chinesisch-konfuzianischer Sicht würde man dem Sohn wahrscheinlich sogar Undankbarkeit vorwerfen. Nach dieser Lesart wäre er der Buhmann in der Geschichte.)

Trotz dieses Einwands gefällt mir die Story gut. Ich sehe, dass Du einen Konflikt erzeugst, weil der kranke Sohn sich im Grunde gegen etwas stellt, von dem er sich bislang einfach nicht getrennt hat. Er ist in einer Familie gefangen, die ihm kein inneres, gefühltes Zuhause gibt und er ist zu schwach, zu abhängig, um sich zu lösen. Das finde ich gut gemacht und sprachlich ist das Ganze auch wunderbar gestaltet. Freu mich auf Deine Nächste.

Gruß Achillus

 

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