You've Got A Way
You've got a way with words
You get me smiling even when it hurts
There's no way to measure what your love is worth
I can't believe the way you get through to me...
„Also, ich mach mich aufn Weg. Meine Mutter wird sich schon wundern, wo ich abgeblieben bin“, kündigte Leonie tief seufzend an, fast schon melancholisch der Tatsache gegenüber, dass sie nun ihre Freunde verlassen musste, an einem Freitagabend. „Pass auf, dass dich der große, böse Wolf nicht wegschnappt“, scherzte Tom belustigt als fast die ganze Clique in schallendes Gelächter ausbrach. „Ach, halt deine Klappe“, entgegnete ihm Leonie und zog sich ihre Jeansjacke an. „Tschüss.“ „Warte, ich komm mit“, rief Bilal ihr nach und trank hastig seinen Pfefferminztee aus, während Leonie mit einem Mal stehen blieb und sich nach ihm umdrehte. „Was soll’n das, Bilal? Es ist noch nicht mal zehn Uhr!“, wandte Ahmed beleidigt ein. Er war völlig überzeugt gewesen, dass vor allem die beiden als Ägypter die Nacht durchmachen würden, da sie späte Stunden gewohnt waren.
„Ich muss meine Facharbeit noch fertig kriegen. Ich will nicht die gesamten Ferien dran sitzen“, erklärte Bilal mit leicht genervt klingender Stimme, was der Blick in seinen Augen nur noch verstärkte. „Ey Alter, du bist viel zu schlau für uns“, lachte Tom and grinste seinen Kumpel verschmitzt an. „Wir sind jetzt weg. Tschau“, lächelte Bilal und sah Leonie zur Tür nickend an als diese ihren Schritt wieder aufnahm. „Byebye, ihr beiden Turteltäubchen!!“, röhrte Ahmed ihnen hinterher. „Halt die Klappe“, griente Susann, Leonies beste Freundin, und nippte an ihrem Saft.
„Bilal?“, flüsterte Leonie womit sie ihre Stimme als erste erhob. Er summte ein fast unverständliches „Was?“ und schaute sie von der Seite her an. „Ähm, wie geht’s eigentlich deiner Schwester?“ „Layla? Ihr geht’s klasse, danke. Die Grippe ist schon wieder so gut wie weg und sie seht auch deutlich besser aus“, erzählte Bilal und von seiner Tonlage und dem Blick in seinen Augen her wurde es offensichtlich, wie sehr er sich um seine kleine Schwester kümmerte. „Und wie geht’s, du weißt schon, deiner Mutter?“, fragte er besorgt. „Ganz gut“, seufzte Leonie als Antwort „sie hat so ihre guten und ihre schlechten Tage. An den guten trinkt sie nur Bier und lässt mich meine Arbeiten machen, an den schlechten greift sie zu Wodka und schreit mich unaufhörlich an. Es hängt davon ab, wie ich mich ihr gegenüber verhalte.“ „Hey, Leonie, es hängt überhaupt nicht von dir ab, ist das klar?“, betonte Bilal nachdrücklich und fasste ihre Schultern mit sanftem Griff. „Lass uns weitergehen“, schlug sie monoton vor und wandte ihr Gesicht ab. „Nicht bevor du mir zuhörst.“
„Also gut, aber mach schnell.“ „Willst du kurz mit hoch kommen? Wir können in meinem Zimmer ungestört reden“, schlug er vor als Leonie entdeckte, dass sie bereits vor dem Haus von Bilals Eltern angekommen waren. „Aber nur kurz“, flüsterte sie und folgte ihm mit gesenktem Kopf.
„Kann ich mich auf dein Bett setzen?“, fragte sie mit einem zarten Lächeln. „Klar. Ich hol uns nur schnell etwas zu trinken“, hauchte Bilal flüchtig dahin, im Begriff, wieder durch die Tür zu verschwinden. Leonie nickte ihm dankbar hinterher und wandte ihren neugierigen Blick seinem Zimmer zu. Die Wände waren in Eierschale gestrichen, einer recht seltenen Farbe was Jungs betraf, und die Möbel aus Kiefernholz passten perfekt in dieses Bild. Leonie hatte noch nie ein solch gemütliches Zimmer gesehen – selbst das von Susann war nur minder behaglich. Als ihr Blick auf Bilals Bett ruhte, bemerkte sie, dass sie es sich auf einer unifarbenen, beigen Bettwäsche bequem gemacht hatte. Es sah ganz so aus, als bevorzugte Bilal eindeutig Einfarbiges, doch konnte Leonie ihn nur allzu gut verstehen. Sie verabscheute Tapeten mit Oma-Motiven darauf und genauso wenig mochte sie Auto-Bettwäsche. Was sie jedoch am meisten hasste, waren Shirts mit aufgedruckten HipHop-Motiven, wie sie sie jeden Tag in der Schule sah. Glücklicherweise war nichts von alledem bei Bilal anzufinden und Leonie schätzte dies sehr an ihm.
„Du trinkst doch Kirschsaft, oder? Wir haben leider gerade nichts Anderes, sonst hätte ich es dir ja gern angeboten“, gab Bilal zerknirscht zu. „Ach, gib schon her. Ich liebe Kirschsaft“, grinste Leonie und nahm genüsslich einen ersten großen Schluck. „Also, noch mal wegen vorhin –“ „Ich will jetzt nicht darüber reden, Bilal“ unterbrach ihn Leonie barsch. „Nein, Leonie, ich wollte dir das schon seit Ewigkeiten sagen.“ „Na dann, schieß los“, ächzte sie und nahm einen weiteren Schluck. „Das mag jetzt hart klingen, aber deine Mutter braucht dringend professionelle Hilfe. Es kann einfach nicht sein, dass du ihr alles abnimmst. Du trägst selbst die Verantwortung über sie und dich selbst und das ist dir einfach nicht zuzumuten.“ „Was soll ich denn machen? Hä? Sie anzeigen?“, fuhr Leonie ihn wütend an und fühlte sich plötzlich entblößt. „Nein, aber was ist denn mit deinem Vater? Kann er dir denn nicht helfen?“ „Verdammt, Bilal, ich kenne meinen Vater nicht! Ich hab doch auch schon oft darüber nachgedacht, aber das Jugendamt einschalten will ich auch nicht. Was hab ich denn sonst noch für Möglichkeiten? In einem Jahr mach ich das Abitur, ich hab einfach keine Zeit dafür, meine Nerven an so etwas zu verlieren!“, schluchzte sie, zerfressen von Schuld- und Hassgefühlen ihrer Mutter gegenüber.
„Hey, es wird alles wieder gut“, flüsterte er beruhigend und setzte sich neben sie auf das Bett, um sie in die Arme zu nehmen. Das war es, was sie brauchte – jemand, der ihr sagte, es würde alles wieder in Ordnung kommen und sie bräuchte sich keine Sorgen um die Zukunft zu machen. „Ich halte das nicht mehr aus, Bilal“, schniefte sie in sein schwarzes Shirt und umklammerte ihn fest, als wäre er ihr Fels in der Brandung, ihr Ritter, der sie aus ihrem Gefängnis befreien würde. „Schsch, wein dich erstmal aus, Leonie. Danach bring ich dich nach Hause und ich werde nicht gehen ehe ich weiß, dass es dir gut geht. Okay?“ Leonie brach aus ihrer Umarmung heraus und betrachte ihren Gegenüber aufmerksam. Bilal lächelte sie warmherzig an, doch erkannte sie in seinen Augen, wie besorgt er anscheinend um sie war. „Danke, Bilal. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde“, schniefte sie erneut und rieb ihre Nase mit ihrer Handfläche. „Warte, ich hab hier irgendwo Taschentücher“, warf er sanft ein und reichte ihr so viel er auf einmal greifen konnte. „Au weia, ich muss jetzt schrecklich aussehen“, lachte sie durch ihre Tränen hindurch und schnaubte in eines der Taschentücher.
„Das ist nicht wahr. Du warst noch nie so zauberhaft wie jetzt“, lächelte er zärtlich und wischte die Tränen mit seinem Daumen von ihrer Wange. Und sie wusste, dass er es war, ihr Prinz, der sie aus ihrer Hölle befreien würde.