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Serie Zeit des Wandels - Der Aufstieg

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21.03.2007
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Zeit des Wandels - Der Aufstieg

Immer tiefer grub sich das Axtblatt in den massiven Stamm. Die Sonnenstrahlen, welche das dichte Blätterdach durchdrangen, tauchten das Wäldchen in ein seltsames Licht. Blätter schimmerten in den wundervollsten Herbsttönen und die heimischen Vogelarten ließen es sich nicht nehmen, die letzten warmen Tage zu nutzen. Ihr vergnügtes Zwitschern untermalte die zauberhafte Atmosphäre des Hains. Wieder durchschnitt ein markerschütterndes Krachen das Konzert des Waldes.
Ein junger Mann mit dunklen schulterlangen Haaren schlug kräftig auf einen der Baumriesen ein. Seine weinrote Tunika wies bereits große dunkle Schweißflecken auf. Strähnen seines feinen Haares klebten ihm im Gesicht.
Der monotone Aufprall bohrte sich in seinen Kopf. Er riss ihn weit zurück in die Vergangenheit. Da waren sie wieder! Er hörte die dumpfen Glockenschläge des kleinen Tempels, die Schreie der hilflosen Dorfbewohner, die Gebete der Priester. Die Angst bebte ihn ihm, die Angst eines kleinen Jungen um sein kostbarstes Gut. Dann breitete sich wieder jene merkwürdige Leere in seinem Innersten aus. Die Schläge der Axt wurden immer heftiger und schneller.
Der Baum kippte und begrub zahlreiche kleine Sträucher unter seiner Last.

Das durchdringende Knarren hatte Elara aufmerken lassen. Rasch legte sie die gesammelten Blüten und Wurzeln in ihren Korb und machte sich auf den Weg.
Ihre blauen Augen suchten die Umgebung ab.
»Yendan, ist alles in Ordnung?«, fragte sie in die Tiefen des Waldes.
Endlich entdeckte sie ihn. Er saß auf den Knien, den Oberkörper nach vorn geneigt. Sein Brustkorb bebte heftig. Gierig sog sein Mund die Herbstluft in die Lungen.
Schnell eilte Elara zu ihm. Zärtlich legte sie ihm ihre Hand auf die Schulter.
»Was ist los? War es wieder …«
Sie machte eine kurze Pause. Yendan schaute sie mit ernster Miene an und nickte. Elara blinzelte verständnisvoll und nahm ihn in den Arm. Mit einer Hand fuhr sie ihm durch das dunkle seidige Haar.
»Es wird alles gut. Das verspreche ich dir.«
Yendan spürte ihre warme Wange an seinem Gesicht. Er liebte ihren Duft, genüsslich nahm er ihn in sich auf. Irgendwie erinnerte er ihn an Apfelernte. Wieder flüchteten seine Gedanken in seine Kindheit.

»He, seht mal wer da ist«, tönte Mendot.
Er war einer der stärksten Jungen im Dorf und als übler Raufbold bekannt. Yendan hatte von Bruder Isbert den Auftrag bekommen, bei der alljährlichen Apfelernte zu helfen. Die Sorten, die hier im Norden wuchsen, waren bei weitem nicht so süß, wie ihre Verwandten aus dem sonnigen Süden. Aber der Duft der Apfelernte war überall der selbe.
Die anderen Kinder des Dorfes scharten sich um Mendot.
»Unser kleiner Irrer soll bei der Ernte helfen. Kannst du das denn überhaupt?«
Mendot blickte sich beifallsheischend um. Die umstehenden Kinder brachen in lautes Gelächter aus.
Der Raufbold fühlte sich bestätigt und führte sein böses Spiel weiter.
»Warst du denn ein so dummer Knabe, dass dich deine Eltern nicht mehr wollten? Deswegen haben sie dich wohl zum Priester gegeben?«
Ein heftiger Schmerz durchfuhr Yendan, als er an seine Eltern erinnert wurde. Er wollte dem Burschen etwas entgegen, aber er blieb stumm. So wie schon oft davor. Mit seinen kalten dunklen Augen blickte er seine Peiniger an.
»Was ist los, du Missgeburt? Hat es dir wieder einmal die Sprache verschlagen, oder bist du sogar zu dumm meine Frage zu verstehen?«
Yendan antwortete wieder nicht. Schlagartig wurde ihm die Luft aus der Lunge gepresst. Der Apfel hatte die Rippen getroffen. Angestachelt durch ihren Anführer, griffen nun auch die anderen Mädchen und Jungen zu den Äpfeln.
»Los, Sohn Balrogs, renn schon zu deinem Aufpasser! Wir wollen dich nicht bei uns! Hast du das verstanden?«
Yendan schloss die Augen. Er würde nicht vor dieser Meute davonlaufen.
»Hört sofort auf damit!«
Die Stimme klang warm und freundlich. Das Mädchen, zu dem sie gehörte, hatte langes blondes Haar. Sie trug ein blaues Sommerkleid.
»Ist es etwa das, was ihr unter der Güte und Gerechtigkeit des Himmelsfürsten versteht? Ihr nennt ihn einen Sohn Balrogs, doch selbst benehmt ihr euch wie wilde Tiere.«
Selbst Mendot blickte betroffen zu Boden. Das Mädchen sprach die Worte mit einer Reife, welche so gar nicht zu ihrem kindlichen Äußeren passen wollte.
Sie eilte zu Yendan.
»Ist alles in Ordnung bei dir?«
Er nickte. Freundlich lächelte sie ihm zu. Dann ergriff sie seine Hand und die beiden machten einen weiten Spaziergang. Elara erzählte ihm viele Geschichten über das Dorf und seine Einwohner. Yendan hingegen beschränkte sich auf das Zuhören. Er liebte ihre Stimme. Die Art wie sie sprach. Manchmal wurde sie zu schnell und dann überschlugen sich ihre Worte. Darauf folgte meist ein beschämtes Kichern.
Viel zu schnell verging dieser Nachmittag.

Damals hatte er Elara kennen gelernt und bis heute war sie die einzige, die sich um sein Wohlergehen sorgte. Er vertraute ihr. In den vergangenen Götterläufen hatte er ihr Stück für Stück erzählt was damals in Rasgar passiert war. Er hatte ihr von den Ängsten und Albträumen berichtet, die ihn plagten. Sie hatte ihm gut zugeredet und versucht ihn zu trösten. Immer wenn er Hilfe brauchte, war sie da gewesen.
»Fühlst du dich wieder besser?«
Elaras Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
»Ja, ich … Danke, dass du hier bist.«
Sie schenkte ihm ein sanftmütiges Lächeln.
»Du solltest dann den Baum entästen, damit wir uns auf den Rückweg machen können. Die Sonnenscheibe ist schon weit gewandert.«
Ohne ein weiteres Wort machte sich Yendan an die Arbeit. Danach verstauten sie das geschlagene Holz in dem geflochtenen Weidenkorb. Elara schnallte ihn Yendan auf den Rücken. Schnellen Schrittes machten sie sich auf den Weg ins Dorf.

Als sie den kleinen Tempelbau erreichten, verabschiedeten sie sich herzlich voneinander. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Yendan stellte den Korb in einem kleinen Holzanbau ab. Dann schob er vorsichtig die Haustür auf. Im Inneren herrschte Dunkelheit. Nur eine einzige Kerze verbreitete ein schummriges Licht. Bruder Isbert saß an dem kleinen runden Holztisch.
»Ist das der Dank dafür, dass ich mich so aufopferungsvoll um dich kümmere? Wo bist du die ganze Zeit gewesen?«
Yendan kannte den Klang der Stimme. So bedrohlich und feindselig klang sie nur, wenn der Priester dem Wein zu sehr gefrönt hatte.
»Antworte gefälligst!«
Krachend stellte der fettleibige Mann seinen Weinpokal auf den Tisch. Yendan zuckte zusammen.
»Ich habe Feuerholz geschlagen, wie ihr es mir aufgetragen habt.«
Isbert kniff die Augen zusammen. Langsam stand er auf, wobei er sich mit den Händen auf den Tisch stützen musste. Wankend schritt er auf Yendan zu.
»Soso, Holz machen warst du also.«
Yendan wurde von der Wucht des Hiebes zu Boden gerissen. Die Faust hatte ihn genau an der rechten Schläfe erwischt.
»Das habe ich dir also beigebracht? Deinen Vormund zu belügen? Ich habe dich mit der Tochter des Schreibers gesehen!«
Wütend trat der glatzköpfige Priester nach Yendans Oberkörper.
»Ein ehrbares Mädchen wie sie, wird nie etwas mit einem Bastard wie dir anfangen. Niemals!«
Yendan spürte die Tritte kaum. Er hatte sich an die Schikanen Bruder Isberts gewöhnt. Selbst die Beleidigungen machten ihm nichts mehr aus. Als Knabe hatte er oft Nächte lang geweint, doch heute ertrug er die Schmerzen, ohne einen einzigen Laut von sich zu geben.
Yendan fand Bruder Isbert war im Grunde nichts anderes als sein Götze Kor. Die Männer und Frauen auf Myanvar nannten ihn gutgläubig den Boten des Himmelsfürsten. Nach außen hin war der Priester fromm und gutherzig. Doch wenn er etwas getrunken hatte, dann zeigte er sein wahres Gesicht.
Yendan hatte auch die Gelegenheit gehabt, das wahre Gesicht des gelobten Himmelsfürsten zu betrachten. Jene hämisch lachende Fratze, welche zuschaute, als ein ganzes Dorf dem Blutrausch dieser Bestien zum Opfer fiel.
Er glaubte nicht mehr an die Güte und Gerechtigkeit der Götter. Sie hatten ihn im Stich gelassen.

Etwas später hatte Bruder Isbert von seinem Opfer abgelassen und sich weiter dem Wein zugewandt. Jetzt lag er in seinem Stuhl und gab ein brummendes Schnarchen von sich.
Yendan rieb sich die Schläfe. Der Fausthieb hatte ihm beinahe die Besinnung geraubt. Kurzzeitig blickte er den fetten Mann an. Er versuchte zu verstehen was den Priester zu diesen Taten trieb. War es einfach Boshaftigkeit, die von Zeit zu Zeit aus ihm heraus brach? War er es leid ständig den frommen Mann zu spielen?
Oder hatte er sogar Angst Yendan an jemand anderen zu verlieren? Isbert war einsam und sein Leben neigte sich dem Ende zu. Vielleicht fürchtete er, seine letzten Götterläufe allein verbringen zu müssen.
Yendan richtete sich auf und ging in seine Kammer. Er schauderte. Wieder war da dieses Gefühl gewesen. Es war nicht das erste Mal. Yendan konnte es nicht beschreiben, es fühlte sich an wie Wut und Hass, nur viel mächtiger. Bei jedem Unrecht, das ihm zugefügt wurde, schien etwas in ihm zu wachsen.
Erschöpft ließ er sich auf sein Lager fallen. Während des Schlafes quälten ihn die wohlbekannten düsteren Träume.

Das übermütige Krähen eines Hahnes verkündete den nächsten Morgen. Yendan streckte sich. Obwohl er eine Weile geschlafen hatte, fühlte er sich jetzt noch schlechter. Kraftlos schlurfte er zu der Waschschüssel. Das kalte Wasser rann über sein heißes Gesicht. Es wirkte belebend und wohltuend.
Danach verließ er das Haus. Hier draußen war es am frühen Morgen bereits sehr frisch, aber die Sonnenscheibe bahnte sich bereits ihren Weg über den Horizont. Sie tauchte das kleine Dorf in ein warmes Rot.
Fröstelnd rieb er sich die Arme. Er musste hier weg, brauchte Zeit für sich. Es gab einen wunderschönen Ort ganz in der Nähe. Dort würde ihn niemand finden, der es nicht sollte.

Elara schob vorsichtig die kleinen Zweige zur Seite. Hatte sie es doch gewusst. Yendan lag am kleinen Teich, den Oberkörper entblößt und kaute auf einem langen Grashalm.
Hier kam er immer her, wenn er nachdenken wollte. Nur ihr hatte er diesen Platz gezeigt. Alles hier an diesem Ort wirkte beinahe unwirklich. Das kleine Bächlein, welches plätschernd in den Teich floss. Die bunten Baumkronen, welche sich im Wasser spiegelten. Es war ein Ort der Ruhe und des Friedens. Als würde der Himmelsfürst selbst seine schützende Hand über diesen Flecken Erde halten.
Leichtfüßig näherte sie sich Yendan. Dieser blickte auf.
»Hier versteckst du dich also.«
Elaras Stimme klang warm und vertraut wie immer. Sie trug eine lindgrüne Tunika. Yendan freute sich, sie zu sehen.
»Hast du Lust mir etwas Gesellschaft zu leisten?«, fragte er und deutete mit seiner Hand auf den Platz im Gras.
»Sicher doch, sonst hätte ich dich ja nicht gesucht.«
Yendan breitete ihr sein Hemd aus. Sie setzte sich zu ihm.
»Ich wusste, dass ich dich hier finden könnte. Bruder Isbert hat überall im Dorf nach dir gefragt. Gab es wieder Ärger?«
Er drehte seinen Kopf ein wenig, so dass sie seine Schläfe sehen konnte.
»Verstehe«, sagte sie.
Yendan glaubte ihr nicht. Wie sollte sie ihn verstehen? Elara war ein beliebtes Mädchen. Alle Bewohner des Dorfes hielten große Stücke auf sie. Ihr Vater hatte eine eigene Schreibstube und war ein angesehener Mann. Doch Yendan wusste, dass sie nur versuchte ihn zu trösten.
»Über was denkst du denn nach, Yendan?«
Ernst starrte er in das klare Wasser. Er konnte kleine bunte Fische erkennen.
»Ich möchte von hier weg, Elara. Ich halte es nicht mehr aus.«
Ihre blauen Augen musterten ihn fragend.
Yendan wusste nicht, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Er wollte nicht nur weg aus dieser Gegend, sondern dieser Welt den Rücken kehren. Schon mehrmals hatte ihn diese Todeslust heimgesucht. Doch immer hatte sich etwas in seinem Inneren gesträubt, den Plan in die Tat umzusetzen.
Yendan glaubte, dass wieder einmal die Götter die Schuld daran trugen. Sie hatten noch nicht genug von ihrem grausigen Spiel. Er hatte noch nicht genug gelitten.
»Ich habe Angst. Wenn ich nichts tue, wird etwas Schreckliches passieren.«
Elara griff seine Hand. Yendan erschauderte unter ihrer sanften Berührung.
»Ich will nicht, dass du fort gehst«, flüsterte sie.
Zärtlich küsste sie ihn auf die Wange. Yendan schaute sie mit seinen dunklen Augen an. Dann wendete er sich von ihr ab und starrte wieder in den See.
»Ich bin nicht gut für dich, Elara. Du solltest ein Leben führen, wie du es verdienst.«
»Das werde ich, Yendan. Mit dir an meiner Seite.«
Wieder blickte er ihr tief in die Augen.
»Was ist? Hast du mir nichts zu sagen?«, fragte sie.
»Ich wünschte mir … jetzt weinen zu können.«
Elara erschrak über seine letzten Worte. Sie dachte nach. In all den Götterläufen in denen sie Yendan jetzt kannte, hatte sie nie eine Träne in seinen Augen bemerkt. Selbst als kleiner Junge, wenn ihm großes Unrecht geschehen war, hatte er nicht geweint.
»Hör mir zu, Yendan. Egal was passiert, ich werde immer zu dir halten! Hast du das verstanden?«
Elara war enttäuscht. Sie hatte eine Reaktion von ihm erwartet. Eine Antwort, oder eine Umarmung vielleicht. Yendan aber rührte sich nicht. Eine Weile suchte sie noch nach Antworten in seinem Gesicht. Dann starrten die beiden grübelnd in das Wasser.

Die Oberfläche des kleinen Teiches schimmerte golden. Die Sonnenscheibe hatte bereits einen weiten Bogen gezogen.
Elara war schon lange gegangen, doch Yendan saß immer noch an dem kleinen Teich und grübelte. Er mochte Elara sehr. Sie war unheimlich einfühlsam und liebevoll. Aber das war auch der Grund für seine Angst. Was würden die Leute sagen? Diese Beziehung wäre nur schlecht für Elaras Ruf. Das konnte er nicht verantworten. Sie würde schon irgendwie darüber hinwegkommen. Etwas Schmerz war immer noch besser, als ein Leben lang die stechenden Blicke in seinem Rücken zu spüren. Er wollte sie nur schützen, doch irgendwas zerbrach dabei auch in ihm. Seufzend stand er auf und schlich müde durch den Wald.

Erschrocken riss er die Augen auf. Deutlich hatte er die Berührung an seiner Brust gespürt. Ein widerlicher Geruch schlug ihm entgegen. Er kannte ihn zu gut. Die ekelhafte Mischung aus kaltem Schweiß und Alkohol.
Bruder Isbert stand schwer atmend neben seinem Lager.
»Du würdest mich doch nicht allein lassen, mein kleiner Ausreißer«, lallte er.
Wieder strichen seine kalten nassen Finger über Yendans nackte Brust. Ekel stieg in Yendan auf. Wütend stieß er den Arm des Priesters beiseite. Ohne Vorwarnung hieb ihm der fette Mann die flache Hand auf den Brustkorb.
»Du kleiner Bastard! Ich habe mich dein ganzes Leben um dich gekümmert. Du solltest dich erkenntlich zeigen!«
Yendan sprang auf. Mit aller Kraft stieß er Isbert zur Seite. Das war das erste Mal, dass er sich gegen seinen Vormund zur Wehr setzte. Es fühlte sich gut an.
Der Priester verlor das Gleichgewicht und kippte nach hinten über. Yendan wollte das Haus verlassen.
»Du hättest zusammen mit der Dirne, die du Mutter schimpfst, verrecken sollen!«
Isberts Worte brannten sich in sein Innerstes. Yendans Atmung beschleunigte sich. Sein Puls raste. Was passierte hier? Es griff nach ihm. Dieses Mal war es zu spät, er konnte sich nicht wehren. Er, welcher die ganze Zeit in ihm war, hatte nun die Kontrolle.

Ein grauenhafter Schrei durchschnitt die Nachtruhe. Nach und nach wurden Lichter in den Hütten entzündet. Zwei Stadtgardisten waren als erstes auf der Straße. Beide hatten sich mit einer Hellebarde gerüstet. Eine kleine Laterne spendete ihnen etwas Licht.
»Ich glaube es kam aus dem Haus des Priesters.«
Unverzüglich setzten sie sich in Bewegung.
»Hoffentlich ist es kein Überfall. Seitdem die Flüchtlingstrecks …«
»Schnauze!«, unterbrach ihn der ältere Gardist grob.
»Willst du, dass man uns gleich hört und uns eine Falle stellen kann, Gero?«
Der Jüngere blickte getroffen zu Boden.
Vorsichtig schlichen sie um das Haus und suchten nach Hinweisen.
»Hier draußen ist niemand. Drinnen ist auch nichts zu erkennen. Wir haben es also nicht mit einer größeren Gruppe zu tun. Wir schleichen uns jetzt nach vorn und treten die Tür ein.«
Gero gab durch ein kurzes Nicken zu erkennen, dass er verstanden hatte.
Mit einem gewaltigen Knall flog die alte Tür aus den Angeln. Die beiden Gardisten stürmten in die Stube. Ein grauenhafter Gestank stieg ihnen in die Nase.
Schützend hielten sie sich ihre Arme vors Gesicht.
»Was ist das, Arthog?«
Doch der ältere Mann antwortete nicht. Entschlossen bahnte er sich seinen Weg durch die Räume der kleinen Hütte. Gero wich ihm nicht von der Seite.
Arthog blieb stehen.
»Bei Kor!«
Gero schaute an ihm vorbei. Als er den Grund für Arthogs Ausruf entdeckte, übergab er sich auf den Fußboden. In dem Zimmer lag eine schrecklich verstümmelte Leiche. Überall fehlten Stücke des geschundenen Körpers. Der Kopf war brutal vom Hals getrennt worden und lag einige Schritt weit entfernt. Mitten in diesem Chaos kniete der irre Junge. Seine Arme waren blutverschmiert. In seiner Faust hielt er einen schartigen Dolch. Seine dunklen Augen starrten gegen die Zimmerwand.
Arthog gewann die Fassung zurück und richtete die Spitze seiner Hellebarde auf den Kopf des Jungen.
»Das Spiel ist aus, leg deine Waffe nieder«, befahl er mit fester Stimme.
Yendan zeigte keine Reaktion. Er blickte den Gardisten nicht einmal an.
»Gero, nimm ihm das Messer ab. Dann bringen wir ihn in die Wachstube.«
Der Angesprochene zögerte kurz, dann beschloss er aber, dass es wohl besser war seinem Vorgesetzten zu folgen.

Vor Bruder Isberts Haus hatte sich bereits das halbe Dorf versammelt. Neugierig versuchten sie zu ergründen, was hier vor sich ging. Plötzlich kehrte Stille ein.
Yendan wurde aus der Tür gestossen. Die Hände hatte man ihm auf den Rücken gebunden. Danach folgten die beiden Stadtgardisten. Entgeistert schaffte sich Arthog Platz. Dabei achtete er nicht besonders auf das Wohl der Dorfbewohner.
»Geht nach hause, hier gibt es nichts zu sehen!«
Doch die aufgebrachte Meute dachte gar nicht daran, seiner Aufforderung Folge zu leisten.
»Was sollen wir jetzt machen, Arthog?«, fragte Gero unsicher.
»Na was wohl, wir müssen ihn so schnell wie möglich von hier wegbringen. Es wird nicht lange dauern, dann trauen sich die ersten Mutigen ins Haus.«
Sie hasteten zur Stadtwache. In ihrem Rücken konnten sie wütende Schreie und entsetztes Kreischen hören.
»Bring ihn rein und verschließ die Tür, sonst nehmen die Bauern die Hinrichtung gleich selber in die Hand!«
Nachdem Gero mit Yendan durch die Tür verschwunden war, baute sich Arthog mit seiner Hellebarde vor der Stadtwache auf. Er war fest entschlossen König Siegborns Kodex zu verteidigen. Jeder Mann und jede Frau im Gorokreich hatte eine Verhandlung verdient!

Als sich der Tumult vor der Wachstube gelegt hatte, klopfte es zaghaft an die Tür.
»Gero, geh mal aufmachen, das ist bestimmt der Totengräber«, ließ sich Arthog aus einem kleinen Nebenraum vernehmen.
Gero stand müde von seinem Stuhl auf und öffnete die Tür. Seine Augen weiteten sich.
»Elara, was willst du denn hier? Weiß dein Vater, dass du dich mitten in der Nacht im Dorf rumtreibst?«
Das Mädchen blickte ihn ernst an.
»Kann ich ihn sehen?«
»Wen denn? Ach so, du meinst … Moment, da muss ich erstmal nachfragen.«
Kurze Zeit später stand der Gardist wieder in der Tür.
»Eigentlich ist es ja gegen das Gesetz. Aber wir glauben, dass du nicht versuchen wirst, den Gefangenen zu beeinflussen.«
»Das werde ich nicht«, sagte sie überzeugend.
Sie wurde in einen kleinen Raum geführt. Yendan saß auf einem Holzstuhl. Der Raum hatte kein sonstiges Mobiliar und keine Fenster, soweit Elara das erahnen konnte. Erst die kleine Laterne Arthogs brachte etwas mehr Licht ins Dunkel. Man hatte den armen Kerl gesäubert und in schlichte graue Gewänder gesteckt.
Yendan blickte kurz auf. Als er Elara erkannte, senkte er den Blick schnell wieder.
»Könnt ihr uns allein lassen?«, fragte sie die beiden Gardisten, welche sich links und rechts von Yendan aufgebaut hatten.
»Tut mir leid, junge Dame, aber wir müssen davon ausgehen, dass er immer noch gefährlich ist. Bitte bleibt dort stehen.«
Arthogs Stimme klang verständnisvoll. Dennoch hatte er ihr deutlich gemacht, dass er in diesem Punkt keinen Widerspruch dulden würde.
Elara versuchte Yendan in die Augen zu schauen. Immer wieder entzog er sich ihren Blicken.
»Warum hast du das getan, Yendan?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
»Hat er dich wieder geschlagen, oder schlimmer? Du musst den Gardisten erzählen was passiert ist, Yendan.«
Der Angesprochene schwieg weiter. Elara liefen dicke Tränen über die Wangen.
»Warum sagst du es ihnen nicht, du Dickkopf? Denk doch auch mal an mich! Ich will dich nicht verlieren. Wenn du nicht redest, dann werden sie dich hängen!«
Elaras Worte schmerzten. Yendan aber hatte seinen Entschluss bereits gefasst. Dies würde sein Ende sein. Endlich konnte er seinem kümmerlichen Dasein entfliehen.
Diesmal würden andere das Richtbeil führen. Männer mit weniger Hemmungen als er selbst.
Yendan beugte den Kopf nach hinten und schaute ihr direkt in die verweinten Augen.
»Ich liebe dich.«
Unter heftigen Weinkrämpfen rannte sie aus dem Zimmer. Gero folgte ihr.
Arthog schüttelte den Kopf, dann nahm er die kleine Laterne und verließ ebenfalls das Zimmer. Dunkelheit umhüllte Yendan.

Auf dem Dorfplatz herrschte bereits reges Treiben. Unter wüsten Beschimpfungen und Verfluchungen wurde Yendan zum Galgen geführt.
Arthog drückte ihm den Schaft seiner Hellebarde in die Kniekehle, so dass Yendan vor dem Richter niederkniete. Dieser trug ein weißes Gewand mit goldenen Symbolen. Angewidert blickte er auf den Angeklagten hinab.
»Gefangener, gesteht ihr den Mord an unserem Priester Bruder Isbert?«
Seine laute klare Stimme war auch in den hintersten Reihen zu vernehmen. Schlagartig kehrte Ruhe ein. Alle Blicke ruhten auf Yendan.
»Ja, ich gestehe«, entgegnete er mit fester Stimme.
Wieder ergossen sich Schimpftiraden über ihn. Der Richter brachte die Menge mit einer Bewegung seiner Hand zum schweigen.
»Habt ihr noch etwas zu eurer Verteidigung vorzutragen, bevor ich das königliche Urteil spreche?«
»Nein«, schallte es über den Platz.
»Dann sei es so. Hiermit verkünde ich das Urteil, im Namen König Siegborns, dem weisen Vertreter unseres Himmelsfürsten. Der Angeklagte wird des Mordes an einem Gottesdiener schuldig gesprochen und wird nun die Läuterung durch den Strick erfahren.«
Die Menge begann zu toben. Genau das hatte der Mörder ihrer Meinung nach verdient. Arthog griff Yendan bei den Armen und führte ihn auf ein kleines Podest. Er prüfte den Halt der Schlinge, dann gab er dem Richter das Zeichen, das alles bereit war. Yendan schloss die Augen.

»In Deckung!« Der Aufschrei kam irgendwo aus den hintersten Reihen. Ein Hagel Pfeile ergoss sich über die Dorfbewohner. Schmerzensschreie waren zu hören.
Yendan blickte sich überrascht um. Dann sah er sie. Die Tiermenschen kamen von allen Seiten und fielen über die Menschen her. Ihre Äxte und Hämmer tobten unter den Dorfbewohnern und forderten Opfer um Opfer. Niemand kümmerte sich mehr um Yendan, der immer noch unter dem Galgen stand. Rings um ihn feierten die Bestien ein Schlachtfest unter den unbewaffneten Bürgern. Sie waren gekommen, um ihn sterben zu sehen und jetzt mussten sie selber ihr Leben lassen.
Er fuhr zusammen. Konnte das nicht Elaras Stimme gewesen sein? Fieberhaft suchte er den Platz ab. Sie war es wirklich! Verzweifelt versuchte sie gleich zwei der Untiere abzuwehren.
Yendan kämpfte mit dem Strick. Endlich hatte er die Schlinge soweit gelockert, dass sie über seinen Kopf passte. So schnell er konnte rannte er zu Elara. Mit einem gewaltigen Sprung rammte er einer der Bestien seine Schulter in die Rippen. Der Aufprall traf die Kreatur unvorbereitet. Sie kippte unter der Wucht zur Seite weg und ließ ihre Axt fallen. Yendan nutzte die Gunst des Augenblicks und griff nach der Waffe. Ein kräftiger Hieb trennte der gefallenen Bestie den rechten Arm ab. Ein verzerrtes Blöken erklang.
Der nächste Schlag galt der Kreatur, die Elara bedrohte. Yendan hörte, wie ihre Rippen splitterten, als die Axt in ihren ungeschützten Rücken fuhr.
Dann packte er Elara bei der Hand. Er spürte ihren Körper beben. Sie rannten los, immer weiter. Yendan hieb voller Verzweiflung um sich. Die Angst setzte eine ungeheure Energie in ihm frei. Doch diese Angst galt nicht seinem Leben, sondern einzig und allein Elaras.
Sie erreichten die äußersten Häuserreihen.
»Reiß dich zusammen, Elara, wir schaffen das!«, brüllte er sie an.
Ein heftiger Schmerz durchzog seinen Körper. Yendan kam ins Straucheln und kippte vorn über. Ein grob geschnitzter Holzpfeil hatte ihm die Wade durchbohrt. Elara blickte sich um.
»Renn weiter verdammt, renn zum Teich und versteck dich dort!«
Elara schaute ihn verzweifelt an. Sie drehte sich um und rannte so schnell sie nur konnte. Yendan atmete erleichtert aus. Einen Augenblick hatte er befürchtet, sie würde bei ihm bleiben.
Mühevoll wälzte er sich auf den Rücken. Über ihm hatte sich ein weiterer Tiermensch aufgebaut und bleckte bedrohlich die Zähne. Yendans Miene versteinerte, als er das Stammeszeichen auf der Brust des Monsters erkannte.
Endlich war es soweit. Yendan genoss es diesmal, als er sich wieder in ihm meldete. Sie wurden eins.

Die Schreie und der Geruch nach Blut spornten ihn an. Seine Männer hatten ganze Arbeit geleistet. Nur einige waren noch in kleine Scharmützel verwickelt. Er und seine Truppe hatten die menschliche Siedlung spielend genommen.
Jetzt war es an der Zeit die Hütten zu plündern, danach würde er sie dem Feuer übergeben. Leider war es ihm verwehrt geblieben selbst ein paar Schädel zu zertrümmern. Keiner seiner Gefolgsleute wäre fähig gewesen, die Truppenbewegungen zu koordinieren.
Eine größere Ansammlung seiner Soldaten erweckte seine Aufmerksamkeit. Das roch nach Ärger. Knurrend bahnte er sich seinen Weg durch die menschlichen Überreste.
Unterwürfig machten seine Gefolgsleute dem federgeschmückten Häuptling Platz. Erstaunt neigte er den Kopf zur Seite und betrachtete nachdenklich die Szene, welche sich ihm bot.
Ein junger Mensch mit schwarzen Haaren hieb hasserfüllt auf zwei seiner Gefolgsleute ein. Rings um den Kampfplatz lagen bereits mehrere tote Krieger seiner Truppe. Trotz vieler Verletzungen kämpfte der Mensch tapfer. Er musste gewaltige Schmerzen leiden, schien diesen aber keine Beachtung zu schenken. Tobend wie die Wut selbst hackte und stach er auf seine Gegner ein.
Ein gewaltiger Schwinger traf ihn am Bein. Tief fuhr die Schneide in seinen Oberschenkel. Der Mensch sackte auf die Knie, doch er dachte gar nicht daran aufzugeben. Er befand sich in einem Kampfesrausch, wie er ihn bis jetzt nur bei den Schamanen und Häuptlingen seines Volkes kannte.
Entschlossen bellte er zwei Befehle. Zwei der Krieger, die das Spektakel bis jetzt staunend beobachtet hatten, schlichen sich in den Rücken des Menschen und schlugen mit einem Dolchgriff zu. Nach mehreren dieser Schläge sackte der Mensch endlich vornüber.

Ein dumpfer pochender Schmerz durchzog seinen Kopf. Unter großer Anstrengung gelang es Yendan endlich die Augen zu öffnen. Das rechte Auge war allerdings so angeschwollen, dass er seine Umgebung nur durch einen schmalen Spalt wahrnahm.
Yendan zuckte zurück, als er den Tiermenschen über sich erblickte. Hatte dieser Albtraum denn nie ein Ende? Ängstlich blickte er sich um.
Der Tiermensch schien sein Erwachen bemerkt zu haben. Behutsam legte er ihm die haarige Klaue auf den Unterarm. Yendans Gedanken kreisten. Er verstand nicht, was hier vor sich ging.
»Du jetzt Sicherheit«, krächzte sein Gegenüber.
Yendan schätzte, dass der Tiermensch schon ein beträchtliches Alter erreicht haben musste. Sein Fell färbte sich bereits an einigen Stellen silbrig und die gelben Augen wirkten seltsam trübe und verschwommen.
»Was mache ich hier, braucht ihr mich als Opfer?«, zischte Yendan trotzig.
Mittlerweile war ihm egal, was noch auf ihn wartete, er hatte schon lange mit seinem Leben abgeschlossen. Der Tiermensch bleckte die Zähne.
»Häuptling glauben du heiliges Blut in dir. Nie gesehen Mensch in Blutrausch. Du Geschenk der Götter für Rasresch, erobern Welt. Schlacht in Dorf war Zeichen.«
Hatte er das richtig verstanden? Diese Barbaren glaubten gerade er würde göttliches Blut in sich tragen. Gerade er, der allen Menschen Unglück brachte? Die Tiermenschen würden ihren Irrtum wahrscheinlich schnell bemerken. Dann würde er endlich den ersehnten Frieden finden.
Während er dass Innere des großen Rundzeltes betrachtete, reichte ihm der alte Rasresch Fleisch und Wasser. Nach einiger Zeit fiel Yendan wieder in den Schlaf.

Verträumt schlenderte er über die saftig grüne Wiese. Der Duft der vielen Blüten stieg ihm in die Nase. Die Sonnenscheibe wärmte ihn. Nirgends am Himmel war eine Wolke zu sehen.
Yendan drehte sich um. Hatte er nicht gerade das Lachen von Kindern gehört? Fröhlich rannte er in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Seine Schritte waren leichtfüßig. Er glaubte den Boden nicht einmal zu berühren. In kürzester Zeit legte er eine gewaltige Strecke zurück. Wälder zogen an ihm vorbei, kristallklare Seen und riesige Gebirgszüge.
Dann entdeckte er sie endlich. Das war ja … Elara! Sie tanzte mit einer Gruppe kleiner Kinder um einen wunderschönen Brunnen. Ihr Gesicht strahlte vor Freude. Während sie von einem Fuß auf den anderen hüpfte, wirbelte ihr goldenes Haar durch die Luft. Ihr Lachen rieselte wie ein warmer Sommerregen auf Yendans Seele.
Er kannte dieses blaue Sommerkleid. Hatte sie es nicht immer in ihrer gemeinsamen Kindheit getragen? Es stand ihr immer noch ausgezeichnet.
Die Kinder trugen ebenfalls farbenfrohe Kleidung. Alle hatten sich bunte Bänder in das Haar geflochten. Er rief ihnen zu und winkte übermütig. Warum bemerkten sie ihn denn nicht?
Der Brunnen war aus weißem Marmor gefertigt. Ein begabter Künstler hatte filigrane Verzierungen in den Stein gehauen. Man konnte edle Pferde erkennen und Ritter in fantastischen Rüstungen.
Woher kam nur diese fremdländische Musik? Sie erinnerte Yendan an eine Flöte, doch irgendwie war sie auch wieder ganz anders.
Plötzlich begann sich alles um ihn herum zu drehen. Die Töne wurden immer schneller. Das Lachen und die Gesänge klangen verzerrt. Das Blau des Himmels verschwand! Dunkle Wolken schoben sich vor die Sonnenscheibe.
Die Melodie beschleunigte weiter. Der unbekannte irrwitzige Musikant versuchte sie direkt in Yendans Innerstes zu brennen. Aufhören!
Aus dem Brunnen quoll eine zähe rote Flüssigkeit. War das Blut? In dicken Rinnsalen ergoss sie sich über die Verzierungen. Wo waren die Kinder? Ach, da waren sie ja! Kleine verkohlte Leichen lagen rings um den Brunnen verstreut. Und Elara? Auch sie war noch da. Mit leeren Augenhöhlen blickte ihn der Schädel vorwurfsvoll an. Das blaue Sommerkleid war zerschlissen und blutverschmiert. Elara! Sie hörte ihn nicht mehr.
Yendan fiel auf die Knie, voller Verzweiflung legte er den Kopf in seine Hände. Irgendetwas stimmte nicht. Dann sah er das Blut.

Yendans Heimatdorf glich mittlerweile einem Heerlager. Das beherzte Eingreifen der Einwohner aus den umliegenden Dörfern hatte das Schlimmste verhindert. Nur ein paar Hütten waren den Flammen zum Opfer gefallen. Die Hauptmänner waren damit beschäftigt, die Überlebenden des Überfalls nach wichtigen Hinweisen zu befragen. Auch Elara und Arthog standen in der Menge.
Einfache Soldaten versorgten die Pferde und teilten Waffen an freiwillige Landsknechte aus. König Siegborn hatte angeordnet diesen hinterhältigen Anschlag mit Blut zu vergelten. In dem ganzen Trubel nahm niemand die vermummte Gestalt wahr, welche über den Dorfplatz schlich.
Sie trug einen schwarzen Mantel mit einer weiten Kapuze, die ihr tief ins Gesicht fiel. Darunter konnte man lediglich ein fein geschnittenes Kinn und etwas bleiche Haut erkennen. Sie blieb bei einem großen Blutfleck stehen. Mehrere Leichen von Rasreschkriegern waren hier aufgetürmt.
Vorsichtig blickte sie sich um, doch es schien sich niemand für sie zu interessieren. Dann ging sie in die Knie und berührte den blutgetränkten Boden. Er war hier gewesen! Sie jagte ihn schon seit einer Ewigkeit und nun spürte sie überdeutlich seine Präsenz. Was für eine Wohltat.
Diesmal würde es ein anderes Ende nehmen. Sie würde ihn ein für allemal vernichten.

Yendan trat aus dem Zelt. Seine Augen brauchten eine Weile, um sich an das Licht des Tages zu gewöhnen. Scheinbar hatte sich die ganze Sippe der Tiermenschen hier versammelt. Die wilden Kreaturen beobachteten ihn neugierig. In einigem Abstand erkannte er den Häuptling. Er trug einen bunten Federschmuck und musterte Yendan berechnend. Mit einer Bewegung seiner Hand winkte er ihn zu sich. Yendans Begleiter folgte ihm.
Die ersten Schritte waren noch etwas unsicher, doch er hatte sich bereits beträchtlich erholt. Der alte Tiermensch hatte ihn beinahe aufopferungsvoll umsorgt. Auch Yendans Wunden waren unter den Kräutern gut verheilt. Er blieb einen Schritt vor dem Häuptling stehen und schaute ihm in die Augen. Yendan zeigte keine Angst, was den Anführer der Sippe scheinbar verunsicherte.
Dann schien er sich aber zu fassen und bellte einige Laute. Die Versammelten gaben laute Schreie von sich und schlugen mit ihren Äxten und Speeren gegen ihre Holzschilde.
»Mensch, Prüfung«, übersetzte Yendans Begleiter.
»Müssen beweisen, Ehre würdig!«
Yendan nickte, worauf die versammelte Menge wieder Jubelrufe von sich gab.

Das Geschwisterpaar der Nacht zeigte sich bereits am Himmel, obwohl die Sonnenscheibe noch nicht ganz verschwunden war. Im Kampf gegen die Dunkelheit tauchte sie den Wald in ein bedrohliches Blutrot.
Wie auch am Morgen hatte sich der Großteil der Sippe auf dem kleinen Platz eingefunden. Die Frauen hatten sich mit bunten Bändern und Federn geschmückt, während die Männer ihre Uniformen und Rüstungen trugen. Zahlreiche Kinder rannten mit Fackeln durch die Menge. Die Stimmung war ausgelassen, es wurde getrunken und getanzt. Als Yendan zwischen die Tiermenschen trat, kehrte Ruhe ein. Missachtende, aber auch faszinierte Blicke musterten ihn.
Er trug jetzt eine schwarze Lederhose und dazu passende Stiefel. Sein bleicher nackter Oberkörper schimmerte im Licht der Abendsonne. Seine Unterarme und sein Kopf waren durch lederne Rüstungsteile geschützt.
Selbst die barbarischen Tiermenschen schienen die dämonische Aura zu spüren, welche den Jungen umgab. Fest entschlossen trat er vor den Häuptling, dann beugte er den Kopf als Zeichen des Respekts.
Dann traten drei weitere Tiermenschen neben ihn. Yendan wusste, dass sie heute ebenfalls ausziehen würden, um ihre Mannbarkeit zu erlangen. Es war ein uraltes Ritual der Rasresch, um ihre Würdigkeit als Krieger zu beweisen. Wer bei der heutigen Prüfung versagte, brauchte nicht zu seinem Stamm zurückzukehren. Sein Betreuer hatte ihm genau erklärt, wie diese Nacht verlaufen würde. Er war bereit.
Der Häuptling entblößte einen Tisch mit den unterschiedlichsten Waffen. Die jungen Tiermenschen entschieden sich alle für die doppelschneidige Axt. Yendan jedoch wählte ein relativ leichtes Schwert, worauf einige der Umstehenden in böses Gelächter ausbrachen. Der junge Mensch ließ sich dadurch aber nicht beeindrucken. Konzentriert vollführte er einige Hiebe, um das Gewicht der Waffe zu prüfen.
Der Schamane machte durch tiefe Knurrlaute auf sich aufmerksam. Er trat vor die Prüflinge und hielt ihnen eine dampfende Schale unter die Nase. Yendan fuhr zusammen, der beißende Rauch trieb ihm Tränen in die Augen. Er verstand nicht, was der Schamane nun knurrte und bellte, doch es gehörte zum heiligen Ritual.
Dann brachte man sie an den Rand des Dorfes. Riesige gepanzerte Hunde kläfften in ihren Rücken. Die versammelte Meute brach in Jubelrufe aus. Es war soweit.
Yendans Herz schlug schneller, seine Muskeln krampften. Ein inbrünstiger Schrei hallte durch den Wald, der Schamane hatte das Zeichen gegeben.
Die Prüflinge stürzten sich in die Dunkelheit der Wälder. Kurze Zeit später ließ man auch die wütenden Kriegshunde von ihren Leinen, welche sich tobend an die Verfolgung machten.

Yendan schlich voran. Seine Sinnesorgane arbeiteten auf Hochtouren. Seine Ohren erfassten jedes noch so kleine Geräusch. Er würde diese Aufgabe meistern.
Vor einigen Sonnenläufen hatte er noch darüber nachgedacht, am Tag der Prüfung einfach in der Dunkelheit der Wälder zu verschwinden. Vielleicht wäre er in den Süden gegangen, in den Küstenstädten suchte man immer Seefahrer und Söldner. Aber während unendlicher Grübeleien hatte er dann einen anderen Entschluss gefasst. Das hier war sein Schicksal. Es war ein Neubeginn. Die Menschengötter und die Menschen selbst hatten ihn sein ganzes Leben lang verstossen und gequält. Alle hatten sie ihn im Stich gelassen und dafür würden sie büßen. Er selbst würde Elend und Verderben über die Menschheit bringen. Sie alle sollten leiden, so wie er selbst.
Vielleicht war es ja auch wirklich etwas Göttliches was ihn ihm wohnte. Er spürte es nun noch deutlicher, als jemals zuvor. Wie ein dunkler Schatten lag es über seiner Seele. Es beschützte und zerfraß ihn gleichermaßen.
Blitzschnell wirbelte er herum, als er das Knacken in seinem Rücken vernahm.

Die Tür der kleinen Gaststube öffnete sich. Die wenigen Besucher, die sich dort eingefunden hatten, blickten kurz auf und wandten sich dann wieder ihren Gesprächen zu. Elara versuchte den düsteren Schankraum zu überblicken. Dann entdeckte sie die vermummte Gestalt an einem der hintersten Tische.
»Ihr möchtet mich sprechen?«
Elara konnte ihre Nervosität nicht verstecken. Die tiefgezogene Kapuze verschaffte ihr keinerlei Eindrücke ihres Gegenübers.
»Ich bin froh das ihr kommen konntet, bitte setzt euch, Elara.«
Das junge Mädchen erschrak. Die Stimme gehörte zweifellos zu einer Frau. Sie hatte einen sanften Ton, dennoch klang sie eigenartig kühl.
Elara kam der Aufforderung nach.
»Nun, wie kann ich euch helfen?«
Elara wollte das hier so schnell wie möglich hinter sich bringen. Die ganze Situation war ihr mehr als unheimlich.
Sie glaubte zu erkennen, dass sich der Mund der verhüllten Frau zu einem Lächeln verzog.
»Ich brauche Informationen, Elara. Die Dorfbewohner erzählten mir, du hattest guten Kontakt zu ihm.«
Elaras Augen weiteten sich.
»Zu wem soll ich guten Kontakt gehabt haben? Um was geht es denn hier überhaupt?«
Mit einer langsamen und geschmeidigen Bewegung zog sich die Frau die Kapuze vom Kopf. Elara stockte der Atem. Eine Elfe! Hier auf Myanvar. Elaras Gedanken stoben in alle Richtungen davon. Jedes Kind wusste, dass es Elfen in der alten Heimat gab, doch während die Menschen vor den Erdbeben und Überschwemmungen geflohen waren, wollte dieses Volk ihre angestammte Erde nicht verlassen.
Sie sah genau so aus, wie sie die Alten immer beschrieben. Für menschliche Begriffe war sie übernatürlich schön. Langes seidiges Haar fiel ihr über die Schultern. Klare dunkle Augen strahlten Intelligenz und Selbstvertrauen aus. Die Züge des Gesichts waren sehr fein und markant.
»Ich sehe, du bist etwas überrascht?«
Elara nickte. Fasziniert versuchte sie sich auf jedes Detail der fremden Frau zu konzentrieren.
»Du hast den Überfall gut überstanden, Elara?«
»Mehr oder weniger. Ich habe keine Verletzungen davongetragen, aber der Schock sitzt immer noch sehr tief. Unsere Hütte ist teilweise den Flammen zum Opfer gefallen, zum Glück war Vater gerade außerhalb des Dorfes.«
»Das ist gut.«
Die Elfe legte ihre Hand auf Elaras. Das Mädchen wollte ihren Arm zurückziehen, dann ließ sie ihn aber liegen. Die Haut der Elfe war seltsam kühl und fühlte sich irgendwie unecht an.
»Es ist wichtig, dass du mir jetzt gut zuhörst, Elara. Mein Name ist Salaria. Ich gehöre zu einem alten Priesterkult meines Volkes. Mein ganzes Leben habe ich der Bekämpfung einer düsteren Macht verschworen und ich glaube, dass diese Macht sich hier im Norden Myanvars versteckt.«
»Was für eine düstere Macht?«, fragte Elara neugierig.
Die Elfe blickte sich im Schankraum um.
»Ein Dämon, mächtiger und älter, als es sich ein Mensch vorstellen könnte. Er hat bereits Tod und Verderben über unser Volk gebracht, als an das Menschengeschlecht noch nicht einmal zu denken war. Sein Name ist Bölthorn.«
»Bölthorn …«, wiederholte das Mädchen ehrfurchtsvoll.
»Aber was hat das mit mir zu tun, Salaria?«
»Der Dämon kann allein nicht existieren, er braucht einen Wirt. Dabei ist es ihm ganz gleich, ob es sich um einen Elf, einen Menschen, oder aber ein anderes Geschöpf handelt. Mit der Zeit wird der Dämon in seinem Wirt wachsen, um irgendwann sein Bewusstsein zu übernehmen. Ich habe die Vermutung, dass dein Freund diesem Dämon als Wirt gedient hat.«
»Yendan?«
Elara schüttelte energisch den Kopf. Salaria presste ihren Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete Elara etwas leiser zu sprechen.
»Aber es ist egal«, sagte Elara traurig.
»Yendan ist tot. Er hat mir während des Überfalls mein Leben gerettet, doch dann traf ihn ein Pfeil. Ich habe ihn im Stich gelassen.«
Große runde Tränen liefen ihr über die geröteten Wangen.
Die Elfe schaute ihr tief in die Augen.
»Habt ihr seine Leiche gefunden?«
Elara verwunderte diese Frage. Nach kurzem Überlegen schüttelte sie den Kopf.
»Arthog hat überall nach ihm gesucht, doch es gab keine Spur. Die meisten von uns sind in das nahe liegende Wäldchen geflüchtet, dort ist er aber nicht aufgetaucht.«
»Es ist wichtig, dass du mir alles erzählst, was du über ihn weißt, vielleicht ist es noch nicht zu spät!«

Langsam bahnte sich das Blut den Weg über seinen linken Oberarm. Yendan war während des Kampfes gegen einen Baum geprallt und hatte sich ein großes Stückt Haut abgeschürft. Zum Glück war er aber dem Axthieb entgangen. Die Schneide hatte sich tief in das massive Holz gegraben.
Ohne weiter nachzudenken legte Yendan beide Hände ineinander und sprang nach oben. Der Hieb traf punktgenau den Kiefer des Tiermenschen. Dieser ließ erschrocken von seiner Waffe ab und taumelte einige Schritte rückwärts. Die beiden Gegner starrten sich in die Augen.
Yendan gefiel was er sah. Der Tiermensch schien Angst vor ihm zu haben. Selbst diese primitiven und gewalttätigen Wesen schienen seine Macht zu spüren. Noch vor wenigen Augenblicken hatte der Tiermensch ihn angegriffen. Wahrscheinlich konnte er es nicht ertragen, dass ein Mensch dieses heilige Ritual mit ihm und seinen Stammesbrüdern vollziehen sollte. Jetzt musste er die Konsequenzen tragen. Die Zeit der Schwäche und des Erduldens war nun endgültig vorbei. Ohne Widerstand fuhr der scharfe Stahl durch den behaarten Hals. Yendans Opfer gab einige röchelnde Laute von sich und blickte den Menschen entsetzt an. Kalte dunkle Augen erwiderten den Blick, dann begann Yendan seine Klinge zu drehen.

Die gurgelnden Schmerzenslaute hatten die anderen Rasresch angelockt. Als die beiden den Kampfplatz erreichten, blieben sie in einiger Entfernung stehen und musterten Yendan misstrauisch. Der junge Mann beachtete die beiden Neuankömmlinge nicht weiter und befreite seine Klinge mit einem heftigen Ruck. Der leblose Körper seines Gegners fiel mit einem dumpfen Laut auf den Waldboden.
Yendan wandte sich den beiden anderen zu. Sie tauschten einige kurze Laute aus, dann beugten sie ihre Köpfe. Ein finsteres Lächeln lief über Yendans Gesichtszüge.
Mit einer Bewegung seines Schwertarmes bedeutete er ihnen ihm zu folgen. Lautlos schlichen sie durch den düsteren Wald. Die Rasresch wurden nervös. Yendan merkte das an ihrer beschleunigten Atmung. Sie mussten etwas gewittert oder gehört haben. Ihre animalischen Instinkte waren denen der Menschen vielfach überlegen. Als Yendan die beiden fragend musterte, deutete einer von ihnen auf eine Stelle im Wald links von ihnen. Nach intensivem Spähen konnte auch Yendan einen kleinen Lichtkegel ausmachen. Die Gruppe schlich sich näher heran.
Etwa zehn Menschen saßen dort um ein kümmerliches Lagerfeuer versammelt. Der Kleidung nach zu urteilen, musste es sich um Jäger oder Holzfäller handeln.
Yendan blickte seine Begleiter fragend an. Sie legten lediglich den Kopf zur Seite. Scheinbar hatten sie das Denken eingestellt. Er war ihr Führer, sie erwarteten Befehle. Als er schließlich nickte, taten sie es ihm gleich und griffen zu ihren Äxten.

Wie Balrogs schwarze Dämonenreiter fuhren sie unter die Menschen. Die Äxte der Rasresch spalteten spielend leicht Schädel, während Yendan einen mörderischen Tanz vollführte. Immer wieder stach er zu, parierte, schlug von oben herab. Die Lust am Morden stieg mit jedem Opfer. Sein Inneres schien ihm für diesen Tribut zu danken.
Als Yendan wieder Herr seiner Sinne war, lagen alle Menschen leblos, oder verstümmelt um Hilfe schreiend am Boden.
Seine beiden Begleiter hatten ebenfalls gute Arbeit geleistet und musterten ihren Anführer ehrfurchtsvoll. Dann machte sich die Gruppe an die Arbeit. Die Trophäen ihres Sieges landeten in einem dafür mitgebrachten Sack. Als einer der Tiermenschen das Leiden eines schwer verletzten Mannes beenden wollte, hielt ihn Yendan davon ab und strafte ihn mit bedrohlichen Blicken.
Als sie sich auf den Rückweg machten, ließen sie zwei der Menschen mit ihren Qualen zurück.

Zurück im Lager warf Yendan dem Häuptling den Sack mit menschlichen Überresten vor die Füße. Der Häuptling knurrte bedrohlich, war dies doch eine Respektlosigkeit des Menschen. Einer von Yendans Begleitern eilte zu dem Sack und enthüllte die Schädel und Waffen, welche man als Beweis für die erfolgreiche Jagd mitgebracht hatte, woraufhin die Menge in ein lautes Jubeln ausbrach. Die Rasreschkrieger hoben ihre Waffen in die Luft und stimmten eine Art Kriegsschrei an. Yendan und der Häuptling lieferten sich immer noch ein Blickduell, bis endlich der Schamane des Stammes auftauchte und Yendan einen Krug in die Hand drückte.
Als er den Becher gen Himmel hob, erwiderten die umstehenden Rasresch die Geste. Den Rest der Nacht feierte die Sippe zügellos. Schon lange hatten die Prüflinge nicht mehr so viele Trophäen von der Jagd mitgebracht. Die Rasresch waren überzeugt, dass dieser Mensch zu ihnen gehörte. Er war kaltblütig und unberechenbar wie Thornquil selbst. Sein Wissen über das Menschengeschlecht und seine Sprache würden ihrem Stamm von großem Nutzen sein, wenn man ihn kontrollieren könnte.

Es war bereits dunkel, als sich die beiden Schatten am Rande des Dorfes trafen.
»Gut, dass du gekommen bist, Elara«, sagte die Elfe.
»Wir müssen uns beeilen. Die Einheiten werden in den nächsten Tagen gen Norden aufbrechen, um Vergeltung zu üben. Wir müssen vorher deinen Freund finden, um eine Katastrophe zu verhindern. Wenn die Soldaten einmal marschieren, werden sie unsere Suche erheblich behindern. Außerdem ist es nur noch eine Frage der Zeit bis Bölthorn ihn ganz beherrscht. So können wir ihn vielleicht noch überlisten.«
»Wie meinst du das, Salaria? Wir werden ihm doch nicht wehtun, oder? Yendan meine ich.«
»Es gibt vielleicht einen Weg dies zu umgehen. Wenn Bölthorn aber bereits zu viel Einfluss auf ihn hat, wird auch der Wirt bei dem Bannritual sterben. Ich weiß es ist schwierig für dich, aber du musst immer daran denken, dass es dann nicht mehr Yendan ist, der seinen Körper beherrscht, sondern der Dämon. Ich brauche dich, Elara. Dich kennt er, dir vertraut er.«
»Sag es ruhig, ich bin dein Köder!«, stieß Elara wütend hervor.
»Ja, es ist wahr. Aber mach dir bewusst, Elara, dass du die Möglichkeit hast, die Menschen der Nordmark, vielleicht ganz Myanvars vor einem großen Unheil zu schützen.«
Elara antwortete nicht.
»Hast du alles dabei, was wir für die Reise benötigen?«, fragte die Elfe.
»Ja.«

Die beiden Frauen schritten schnell aus. Sie hatten sich nach Norden gewandt. Salaria war sich ziemlich sicher, dass sie den Dämon dort finden würden. Sie spürte seine Präsenz und er war nicht weit weg.
Als die beiden einen Waldweg betraten, hielt Salaria plötzlich inne.
Elara kniff die Augen zusammen. Was war das? Ein seltsames Licht hatte sie geblendet.
»Entschuldige, ich kann meine Fähigkeiten hier auf Myanvar noch nicht einschätzen«, sagte Salaria besorgt.
»Du kannst die Augen jetzt wieder öffnen.«
Das grelle weiße Licht hatte sich in ein angenehmes Orange verwandelt. Eine kleine schimmernde Kugel schwebte über der Hand der Elfe. Elara kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Wir Elfen beherrschen die Energieflüsse der Welt schon seit langer Zeit, doch die Ströme auf Myanvar sind viel mächtiger und impulsiver als in unserer Heimat. Ich habe gehört, selbst ihr Menschen könnt sie unter Umständen nutzen.«
Die kleine Kugel schwebte nun von Salarias Handfläche und leuchtete ihnen den Weg in einigen Schritt Entfernung.
»Salaria? Darf ich dich etwas fragen?«
»Nur zu!«
»Wieso soll sich dieser Dämon gerade Yendan ausgesucht haben?«
»Weißt du, Bölthorn ist sehr mächtig und er hat gewaltige Fähigkeiten. Doch wenn er in seiner Reinform existiert und keinen Wirt hat, ist er auf Hilfe angewiesen. Er kann nur in einen Wirt einfahren, wenn dieser instabil ist, wenn Wut und Hass alle anderen Gefühle überlagern. Diese beiden Emotionen sind wie Nahrung für den Dämon, desto mehr davon vorhanden ist, umso schneller wird er stärker werden.«
»Wie willst du ihn denn dann besiegen?«
Salaria ließ sich mit der Antwort einige Zeit.
»Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. Wenn er den Höhepunkt seiner Macht bereits erreicht hat, werde auch ich ihn nicht aufhalten können.«
»Warum erzählen wir nicht den Soldaten was wir vorhaben, sie würden uns bestimmt helfen.«
»Das wäre nicht sonderlich klug. Yendan würde uns kaum vertrauen, wenn wir mit hunderten Kriegern anrücken. Alles was Yendan fühlt oder weiß, spürt auch der Dämon. Die Soldaten würden nur seine Hülle töten, wir müssen aber Bölthorn vernichten, verstehst du das?«
»Ja, ich verstehe.«
Salaria spürte sofort, über was das Mädchen nachgrübelte. Voller Mitgefühl legte sie Elara ihre Hand auf die Schulter.
»Ich verspreche dir noch einmal, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um Yendan nicht zu verletzen.«
Dicke Tränen bahnten sich ihren Weg über Elaras Wangen. Die Elfe drückte das junge Mädchen fest an sich und versuchte es zu beruhigen.

Das Rundzelt des Häuptlings war mit prächtigen Trophäen geschmückt. Überall hingen Kostbarkeiten aus geplünderten Dörfern. Teilweise handelte es sich dabei um menschlichen Kitsch, den die Rasresch scheinbar für wertvoll hielten. Die weisen Männer des Stammes, einige Krieger und Yendan mit seinem Betreuer, saßen in einem Halbrund um den Häuptling und den Schamanen versammelt.
Yendan ließ sich die ihm immer noch fremden Knurrlaute von seinem Diener übersetzen. Der Häuptling hatte ihm den alten Rasresch zum Geschenk gemacht. Es handelte sich bei diesem Exemplar um einen Unfreien. Nach dem Recht der Tiermenschen hatte er es nicht verdient mit einem Namen angesprochen zu werden. Yendan aber interessierte dieses Verbot nicht weiter. Er hatte seinen Begleiter und Übersetzer auf den Namen Kromlok getauft, was einige Krieger der Sippe sehr erzürnt hatte. Kromlok war der Standartenträger Thornquils selbst. Ein Mensch, der sich mit Thornquil verglich und ein Unfreier als sein heldenhafter Bannerträger? Die bloße Vorstellung war für die meisten Rasresch schon eine einzige Provokation. Aber Yendan stand unter dem persönlichen Schutz des Häuptlings und des Schamanen und selbst ohne diese mächtigen Befürworter hätte sich niemand an dem unheimlichen Menschen vergriffen.
Während sich die Rasresch scheinbar angeregt unterhielten, spuckte der junge Mann in das kleine Feuer. Alle Anwesenden blickten auf. Yendan hielt den drohenden Blicken stand und flüsterte Kromlok einige Sätze ins Ohr.
Der alte Rasresch übersetzte das Gesagte, worauf die Versammelten in wütendes Schnauben ausbrachen. Yendan hatte verkünden lassen, dass er den Häuptling der Sippe für unfähig hielt. Niemandem nütze es etwas kleine Siedlungen auszulöschen und sich hier wie die Hasen vor dem Menschenheer Siegborns zu verstecken. Es war notwendig die Stämme zu vereinen, um Tod und Verderben über den Süden zu bringen. Als ein Teil dieser Sippe forderte er sein von Thornquil gegebenes Recht den Häuptling zu einem Kampf zu fordern.
Die Emotionen der Rasresch schienen überzukochen. Wild mit den Klauen gestikulierend blökten sie durcheinander. Yendan schenkte dem Häuptling noch einen entschlossenen Blick, dann stand er auf und verließ das Zelt.
Draußen sog er die kühle Nachtluft in sich ein. Diese Barbaren verstanden nicht, um was es hier ging. Ihnen genügte es zu plündern und zu brandschatzen. Doch er hatte größeres im Sinn.
»Rasresch wütend. Sie nicht akzeptieren Mensch als Herausforderer. Häuptling aber nicht Feigling. Wollen kämpfen.«
Yendan blickte Kromlok mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck an.
»Lass uns jetzt schlafen gehen, wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns.«

Die Baumriesen warfen lange düstere Schatten. Ihre Äste bewegten sich harmonisch im Wind. Man hatte für den traditionellen Kampf eine kleine Lichtung gewählt, welche tief versteckt im Wald lag. Es hatte schon hunderte solcher Kämpfe um die Häuptlingswürde gegeben, doch an diesem Abend war alles anders.
Nur die besten Krieger des Stammes waren anwesend und hatten einen weiten Kreis um die beiden Rivalen gebildet. Brennende Fackeln tauchten den Ritualplatz in ein schummriges Licht.
Kein Laut war zu vernehmen, zu angespannt war die Stimmung. Die Tiermenschen wussten nicht, wie sie mit diesem Menschen umgehen sollten. Laut ihrem Codex stand ihm dieses Recht eindeutig zu, da sie ihn als vollwertiges Mitglied ihres Stammes akzeptiert hatten. Während des Tages hatten Gerüchte die Runde gemacht, der Mensch wolle im Falle seines Sieges die Stämme vereinen und nach Süden aufbrechen. Welche Zukunft stand ihnen wohl bevor?
Der Häuptling hatte sich in ein Lederwams gehüllt und trug seinen bewährten Kriegshammer auf dem Rücken. Seine Hörner hatte er mit schwarzen Federn verziert. Yendan hingegen trug lediglich eine Hose und lederne Armschützer. Kromlok reichte ihm eine kleine dunkle Axt.
Dann begannen auch schon die Trommeln zu schlagen. Die beiden Rivalen umkreisten sich wie wilde Tiere. Keiner ließ den anderen aus den Augen.
Yendan wirkte beinahe schwächlich gegen den massiven Tiermenschen, der ihn um etwa einen Kopf überragte.
Yendan sprang nach vorn, um eine Finte zu schlagen. Der Rasresch aber hatte so einen Trick erwartet und ließ nicht von seiner Deckung ab. Kräftig führte er einen Hieb mit seiner Rückhand, traf aber nur Yendans Schulter.
Plötzlich stürmte der Häuptling unerwartet nach vorn, schlug aber nicht mit seiner Waffe zu, sondern trat dem Menschen mit voller Wucht gegen das linke Knie. Yendan sackte vorn über und landete auf dem harten Waldboden. Schnell zuckte er mit seinem Kopf nach rechts, drehte sich dann aber blitzschnell zur anderen Seite weg. Sein Ablenkungsmanöver hatte Erfolg. Der Dorn des Kriegshammers grub sich mit einem dumpfen Ton in den Erdboden.
Das scharfe Axtblatt fuhr tief in den Oberarm des Häuptlings. Dickes Blut verklebte das dunkle Fell. Ein lautes Blöken ließ den gesamten Kampfplatz erzittern. Ein gewaltiger Klauenschlag traf Yendan im Gesicht. Die scharfen Krallen hatten ihm ganze Hautstücke herausgerissen. Er blutete stark. Ein Stück weiter oben und er hätte sein Auge verloren.
Beide Kämpfer hatten sich nun aufeinander eingestellt, das erste Abtasten war vorüber. Immer wieder attackierten sie und landeten harte Treffer, ohne dass einer die Oberhand gewonnen hätte. Yendan war schon lange von den düsteren Schatten übermannt worden. Wie im Wahn hackte er auf den Rasresch ein, vernachlässigte dabei seine Deckung und kassierte zermürbende Schläge. Durch geschicktes Ausweichen gelang es ihm dennoch, dem todbringenden Hammer zu entgehen.
Als der Tiermensch wieder einen wuchtigen Schlag mit dem Hammer führte, nutzte Yendan seine Chance. Er sprang nach vorn und brachte den körperlich überlegenen Gegner durch einen Axtschlag gegen den Oberschenkel zu Fall. Yendan saß nun auf dem Häuptling und versuchte ihm mit dem Stiel seiner Axt die Luft zu rauben.
Eine kräftige Klaue packte ihn jedoch am Hinterhaupt und schleuderte ihn wie ein lästiges Tier davon.
Yendan hörte das Stampfen der Hufe. Der Tiermensch musste nun direkt neben ihm stehen. Der Rasresch atmete schwer, schien aber noch genügend Kraft zu haben einen Schlag mit seinem monströsen Hammer zu führen.
Yendan öffnete die Augen, sah wie der Hammerkopf direkt auf seinen Schädel zu raste. Schützend hob er die Hände vor das Gesicht.
Kromlok blickte zur Seite. Soll es nun schon alles vorüber sein? War er ab morgen wieder der namenlose Sklave?
Ein widerliches Gurgeln ließ ihn zusammenfahren. Kromlok zwang sich zum Kampfplatz zu schauen. Der Häuptling der Sippe wälzte sich in einem Feuerinferno. Verzweifelt versuchte er die Schmerzen aus sich herauszuschreien. Hin und her wälzte er sich auf dem Boden, doch die Flammen loderten weiter.
Yendan hatte die Augen weit aufgerissen und starrte kalt auf sein leidendes Opfer. Es war also endlich soweit. Er besaß nun mehr Macht, als er sich vorstellen konnte. Dieses Etwas, was da in ihm wohnte war doch eine göttliche Kraft.
Mit einem Mal ebbten die Flammen ab und ließen nur einen dampfenden verkohlten Haufen zurück. Ein widerlicher Gestank von vebranntem Fleisch und Haaren lag über der Lichtung.
Die Rasresch blickten mit weit aufgerissenen Mäulern zu Yendan. Kromlok war der erste, der die Fassung zurückerlangte. Stolz schritt er zu seinem Herrn und kniete vor ihm nieder. Nach und nach taten es ihm immer mehr der Krieger gleich.
Yendan legte ein bösartiges Lächeln auf. Diese Sippe war ihm bereits ergeben, doch es würden noch viele folgen.

Rasend schnell verbreitete sich die Kunde, von dem Menschen mit den besonderen Fähigkeiten. Er hatte es geschafft, die Herrschaft über einen Tiermenschenstamm zu erringen.
In den ersten Tagen nach seinem Sieg stießen immer wieder Freiwillige zu Yendans Armee. Sie stellten ganze Einheiten. Selbst einige Streitoger scharten sich um den neuen Günstling Thornquils. Die Häuptlinge der anderen Tiermenschensippen verhielten sich in der Mehrzahl unterwürfig und ließen ihre Treue, oder aber zumindest ihre Loyalität Yendan gegenüber verkünden.
Yendan saß in seinem Rundzelt. Die Plane wurde beiseite geschoben und Kromlok kam herein.
»Meutenbändiger angekommen, warten auf Inspektion.«
Der alte Rasresch verbeugte sich ehrfurchtsvoll und drehte sich um.
»Einen Moment, Kromlok! Komm her und setz dich einen Moment zu mir.«
Der Tiermensch gehorchte.
»Du hast mir noch nie erzählt, wo du eigentlich unsere Sprache gelernt hast.«
»Kromlok nicht mehr junger Krieger, gefangen von Menschen. In Menschenstadt gemacht Experimente. Kromlok verloren Ehre. Doch jetzt alles anders, Meister Yendan hier.«
Der junge Mann blickte den alten Tiermenschen eine Weile stumm an. Er verehrte ihn wirklich, er vergötterte ihn. Genau das war es, was ihm zustand. Er war ein Gott! Letzte Nacht hatte ihm ein Traum auch den Namen des Gottes geflüstert: Bölthorn!
Yendan trat nach draußen. Eine ganze Gruppe von Meutenbändigern hatte sich vor seinem Zelt versammelt. An ihren Ketten rissen wütende Hunde. Einige sahen aus wie riesige schmutzige Ratten.
Ihre Kiefer richteten sich gegen alles was sich bewegte. Immer wieder mussten ihre Führer an den Würgern zerren, oder mit der Dornenpeitsche eingreifen, damit sie sich nicht gegenseitig zerfleischten.
Einige Schritt entfernt waren gewaltige Oger damit beschäftig Bäume zu fällen, um Belagerungsmaschinen zu bauen.
»Wenn der Zustrom der Freiwilligen weiter anhält wird es nicht mehr lange dauern, Kromlok. Dann werden wir ein neues Zeitalter begründen.«

»Ich kann es nicht glauben, er ist es wirklich!«
Salaria stieß Elara unsanft zur Seite. Beinahe wäre das Mädchen unter die Hufe eines Ogers geraten.
»Du musst besser aufpassen«, zischte die Elfe.
»Unsere Körperstruktur hat sich durch den Zauber nicht verändert. Lediglich unsere Konturen sind für andere Wesen verzerrt. Wir sollten uns beeilen, die Aufrechterhaltung dieses Spruchs kostet mich sehr viel Energie, die ich später noch dringend brauchen werde!«
»Dann los«, flüsterte Elara.
Vorsichtig schlichen die beiden Frauen durch die aufgebrachte Menge. Überall wurde gehämmert und gesägt. Immer wieder mussten sie schnell zur Seite springen, um nicht von einem der Tiermenschen über den Haufen gerannt zu werden.
Salaria wusste, dass sie sich in höchster Gefahr befanden, eine kleine Konzentrationsschwäche und die Bestien würden sie wahrnehmen und töten.
Nach einiger Zeit erreichten sie Yendan, der dicht bei einigen Hunden stand. Elara erkannte ihn kaum wieder. Selbstgefällig stand er inmitten der Tiermenschen und beobachtete deren geschäftiges Treiben. Irgendetwas Dunkles umgab ihn, was selbst die Tiermenschen dazu veranlasste, einen großen Bogen um ihn zu machen.
Sie schoben sich nah an den Hunden vorbei, welche plötzlich in lautes Knurren verfielen. Eine der Hundekreaturen sprang nach vorn und schnappte nach Salaria. Diese sprang instinktiv zur Seite und entging nur knapp den tödlichen Fängen. Blitzschnell presste sie ihre Finger an die Schläfen und konzentrierte sich auf den Zauber. Sie durfte keinen Fehler machen.
Der Hund war Yendan bei seinem Angriff auf die Unsichtbare ziemlich nahe gekommen. Er warf dem Hundeführer einen strafenden Blick zu und gab Kromlok zu verstehen, dass sich die Meutenbändiger ein Quartier suchen sollten.
Nachdenklich strich sich der junge Mann über das Kinn. Seltsam, er war sich sicher diesen eigentümlichen Geruch zu kennen.
Erschrocken drehte er sich um, doch entdeckte nichts. Elara! Sie musste hier gewesen sein. Er spürte einen warmen Druck auf seiner Wange. Er griff nach diesem Gefühl. Was er zu fassen bekam war wundervoll weich und feingliedrig. Er kannte diese Hände. Er liebte sie. Wie konnte das nur möglich sein. War dies alles nur ein verrückter Traum, wie so oft in den vergangenen Nächten?
»Yendan, ich bin es, Elara.«
Der junge Mann erstarrte.
»Was, aber wie ...«
»Psst, lass uns wo anders reden. Kennst du einen Ort, wo wir ungestört sind?«
Elaras liebevolle Stimme ließ ihn erzittern. Kurz blickte er sich um. Niemand schien ihn zu beobachten. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging.
Als er sich an dem kleinen Bach im Gras niederließ, traute er seinen Augen nicht. Mitten aus dem Nichts entstand das Bild Elaras! Sie war wunderschön, wie immer wenn er sie zuvor gesehen hatte.
»Du bist hier, Elara. Du hast mich gefunden.«
»Ja, ich habe dich gefunden, Yendan. Ich möchte dich nach hause holen.«
»Yendan ...«
Er fühlte sich seltsam als er seinen eigenen Namen aussprach.
»Es ist zu spät! Mein Platz ist hier. Ich bin ein Gott für meine Untertanen. Ich werde sie in ein neues Zeitalter führen.«
»Yendan, das bist nicht du, der da spricht. Es ist der Dämon!«, brach es aus ihr heraus.
Er blickte sie kalt aus seinen dunklen Augen an.
Dann zerschnitt etwas die Luft und riss ihn nach hinten. Regungslos lag er im Gras.
Salarias Gestalt erschien. Elara brach in Tränen aus.
»Du hast ihn getötet! Du hast versprochen ...«
»Sei still! Es war bereits zu spät, er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Noch einen Augenblick länger und der Dämon hätte dich getötet.«
»Du lügst, du ...«
»Eine Jägerin, was für eine angenehme Überraschung.«
Den beiden Frauen gefror das Blut in den Adern. Es war seine Stimme gewesen. Ungläubig blickten sie zu ihm hinüber. Ein bösartiges Gelächter erklang.
»Wie oft wird sich dieser Augenblick wohl noch wiederholen. Eure Geweihtenschaft wird es wohl nie aufgeben?«
»Nicht so lange noch einer eurer Art sein Unwesen treibt«, gab die Elfe trotzig zurück.
Yendan erhob sich.
»Leider wirst du nicht mehr das Vergnügen haben diesen Moment zu erleben, denn heute werde ich deinem Treiben ein Ende setzen.«
Dann fiel sein Blick auf Elara.
»Und du? Ich dachte du wärest zu mir gekommen, um mit mir die Welt zu verändern. Doch du hast mich in eine Falle gelockt. Ich habe dir im Dorf das Leben gerettet, weil ich dich liebe, doch das scheint dir wohl nichts zu bedeuten.«
»Das hier bist nicht du!«
Das Mädchen kämpfte mit den Tränen.
»Du brauchst nicht weinen, für uns ist es eh zu spät. Was will schon ein Gott mit einer Sterblichen?«
Yendans Augen funkelten sie fanatisch an.
»Ich werde dir beweisen, dass du kein Gott bist!«
Salaria hielt ihre Handflächen übereinander. Zwischen ihnen wuchs ein kleiner Feuerball. Als er die Größe einer Mannesfaust erreicht hatte, schoss er geradewegs auf Yendan zu. Dieser hob seinen Arm. Der Feuerball verlangsamte sich.
»Ich bitte dich, Jägerin.«
Der Feuerball änderte die Richtung, behäbig schwebte er auf die Elfe zu. Salaria setzte ihre ganze Kraft ein und dennoch konnte sie die Kugel aus flammender Energie nicht stoppen. Ihr traten Schweißtropfen auf die Stirn.
Sie spürte bereits die glühende Hitze. Dann berührte sie die Kugel. Gefräßig verzehrten die Flammen ihre helle Robe. Dann drang der Feuerball seitlich in ihren Bauch. Sie schrie vor Schmerzen, wand sich und konnte doch nicht entfliehen.
Elara schrie ebenfalls wie von Sinnen, ohnmächtig irgendetwas zu unternehmen. Während sich die glühende Kugel immer weiter in den Körper der Elfe fraß, fanden immer mehr neugierige Tiermenschen den Weg zu ihrem Meister. Blutdürstend starrten sie auf die sterbende Elfe.
Yendan setzte dem mitleiderregenden Schauspiel ein Ende. Salarias Körper wurde in viele Teile zerrissen, ihr Blut bespritzte die Umstehenden.
Yendan wandte sich Elara zu.
»Sie war stark, doch hast du gesehen, wie spielend leicht ich sie töten konnte? Es hat mich nicht einmal einen kleinen Teil meiner Energie gekostet. Und nun meine Liebe, wirst auch du von uns gehen müssen«
Elara hatte aufgehört zu weinen. Voller Hass und Ekel blickte sie ihn an. Er ging zu ihr, presste sie an sich und küsste sie.
Elara stieß ihn von sich und spuckte ihm ins Gesicht. Die versammelten Rasresch hielten gebannt den Atem an.
»Es ist Zeit.«
Unsichtbare Hände legten sich um Elaras Kehle. Eine gewaltige Kraft erlaubte es ihr nicht mehr Luft in sich aufzunehmen. Sie röchelte, kämpfte gegen die Kraft. Sie versuchte die Hände von ihrem Hals zu lösen, doch sie griff immer wieder ins Leere. Sie spürte, wie das Leben aus ihrem Körper wich.
Sie bemerkte, wie Yendans Körper von Krämpfen geschüttelt wurde. Seine Untergebenen wurden unruhig.
Dann konnte sie es sehen. Über seine Wangen liefen große runde Tränen.
»Es tut mir so leid, vergib mir, Elara!«
»Ich liebe dich, Yendan.«
Elara hatte den Satz mehr gehaucht, als gesprochen. Ihr Herzschlag setzte aus.
Yendan sackte in sich zusammen und blieb regungslos liegen.

 

Hallo liebe Forengemeinde,

eigentlich ist der Text noch nicht so weit ...

Also her mit euren wüsten Beschimpfungen, "Buh"-rufen und Verhöhnungen!

Liebe Grüße
Ultra

 

Hallo Ultra!

Unter diesem Text steht jetzt schon seit einem Monat, dass er eigentlich noch nicht so weit ist, und du hast schon einen neuen Text gepostet. Sollen die Leser daraus schließen, dass dir dieser Text eigentlich egal ist? (Und im Serienthread steht er unter einem ganz anderen Titel!)

Aber gut, ich habe jetzt mal angelesen. Als erstes fiel mir auf, dass die Vögel in aller Seelenruhe herumzwitschern, obwohl ein Megalärm im Wald ist.
Als zweites: Der junge Mann im ersten Abschnitt hat keinen Namen. Ich kann ihn überhaupt nicht einordnen. Wer ist das?
Im nächsten Abschnitt kommen zwei Verliebte, im dritten Abschnitt wieder einige Leute. Das ist ziemlich viel auf einmal, du solltest mal sehen, ob du das nicht besser regeln kannst. Führe die Personen ein.

Auch diesen "Sohn Balrogs", was wohl ein Schimpfwort sein soll, kann ich nicht einordnen.
Und so geht es weiter. Du führst Dinge an (ich weiß nicht, ob sie in den anderen Teilen deiner Serie eine Relevanz haben), die ich nicht einordnen kann, z.B. das hier: "was damals in Rasgar passiert war". Ja, was war denn passiert? Eine kleine Zusammenfassung müsste da mindestens kommen.

Im vierten Abschnitt wird klar, dass der junge Mann aus Abschnitt eins Yendan war. Warum hast du ihm denn nicht sofort mit dem Namen eingeführt?

Ein Detail: "wie ihr es mir aufgetragen habt." => Das Anrede-Ihr wird, wie das Anrede-Sie, groß geschrieben.

Ich habe ein wenig weiter gelesen, da tauchen zwei Stadtgardisten auf. Und hier fällt mir auf, dass ich bisher gar nicht bemerkt habe, dass die Geschichte in einer Stadt spielt. Für mich war das alles sehr ländlich, höchstens dörflich. Und da du sehr viel beschreibst, habe ich so den leisen Verdacht, du setzt beim Beschreiben die Prioritäten nicht ganz richtig, sorry.

Weiter fällt mir auf, dass Yendan von den anderen immer "irre" genannt wird, aber auch hierfür kann ich überhaupt keinen Grund erkennen. Mir kommt er äußerst normal vor (naja, bevor er den Priester abschlachtet, aber sowas hat er ja sicherlich in der Vergangenheit nicht schon einmal getan - also, warum nennt ihn jeder "irre"?).
Und wie alt ist Yendan eigentlich? Er kam mir wie sechzehn, achtzehn vor, aber die Wachen nennen ihn "Junge", das ist für mich jünger, höchstens vierzehn.

"hatte sich bereits das halbe Dorf versammelt." => Okay, was machen Stadtwachen in einem Dorf?

Soweit ist der Text ja nicht schlecht geschrieben, aber dass die Tiermenschen genau zum rechten Zeitpunkt auftauchen, finde ich sehr konstruiert. (Was ist das überhaupt für Bestien? Die hast du bisher nicht erwähnt, auch keine Bedrohung durch sie - die Menschen gehen da doch ohne Furcht durch die Wälder, das passt nicht. Und warum können die Bestien [die blöken, also vermutlich Schafe sind] mit Pfeil und Bogen umgehen?)

"Yendan genoss es diesmal, als er sich wieder in ihm meldete. Sie wurden eins." => Hier muss ich denken, dass du dem Leser bisher wichtige Informationen verschwiegen hast, Vermutlich würde das, was du verschwiegen hast, das "irre" erklären.

Hier mache ich mal Schluss, denn der Text (der ja irgendwie noch nicht fertig ist) ist noch unglaublich lang und für mich sind da zu viele Unklarheiten drin, als dass es mich bis zum Schluss fesseln würde.

Grüße
Chris

 

Hallo Chris Stone,

danke für deine Antwort. Du greifst da einige Punkte auf, über die ich mir selber schon seit einiger Zeit Gedanken mache.
Die Geschichten können häufig nicht für sich allein bestehen. Sie bauen teilweise recht stark aufeinander auf, oder setzen das Lesen der Vorgänger voraus.
Wenn noch mehr Leser deiner Meinung sind und Sachverhalte im Unklaren bleiben, dann bitte ich die Moderatoren die Serienteile zu löschen, denn dann handelt es sich ja eher um eine fortlaufende Geschichte.

Zu den Ungereimtheiten. Ja die Geschichte spielt in einem Dorf. Die Gardisten wurden hier her verlegt, um die Menschen vor den Rasresch zu schützen.
Balrog ist der Gegenspieler des Himmelsfürsten Kor.
"Irre" bezieht sich auf die Tatsache, dass Yendan in die Obhut eines Priesters gegeben wurde, da man um sein Seelenheil fürchtete. Die Geschehnisse in Rasgar wurden im ersten Teil erklärt. Yendans Körper dient dem Dämon Bölthorn als Wirt.

Liebe Grüße
Ultra

 

Hi Ultra,

leider hält sich meine Zeit in Grenzen, deshalb in Kurzform

Warum du unter den Text schreibst er verdiene Buhrufe kann ich nicht nahcvollziehen, im Gegenteil!
Ich muss sagen, mir hat alles sehr gut gefallen. Die Charaktere sprachen mich an, die Geschichte war nachvollziehbar und ich du hast mit der Themenwahl genau meinen Geschmack getroffen! Ich kann dir nur raten, die Gedanken über die Tiermenschen viel weiter auszubeauen!
Auch das Ende veddient Applaus (bin halt ein kleiner Pessimist und mag tragische Enden!). Damit kann ich dir nur raten deinen Kommentar zu korrigieren! Von mir jedenfalls ein dickes Lob!

Ar Pharazon

 

So, jetzt wo ich ein wenig Zeit habe, noch einmal richtig und ich annehmbarer Rechtschreibung ;-).

Ich muss grundsätzlich erst einmal sagen, dass ich den Kritikpunkten Chris' nicht wirklich zustimmen kann. Die Geschichte stellt für mich eine geschlossene und in nahezu allen Punkt nachvollziehbare Handlung da. Die Charaktere sind (wie oben erwähnt) klar umrissen und sprechen mich mit ihrer Persönlichkeit und ihrem Auftreten an. Vor allem die Beschreibung der Tiermenschen nach dem ersten Angriff - also diese Bastardgestalten aus tierischem Äußeren und Instinkthandlungen und menschlicher Logik und Freuden - hat mich sehr angesprochen.
Im Thema Sprache habe ich wenig auszusetzen. Der text liest sich flott und durchgehend und bietet eigentlich keine Probleme.
Als letztes noch einmal ein Lob für das Ende. Wie schon gesagt mag ich diese tragischen und vernichtenden Enden wo jeder der etwas zu sagen hatte (mehr oder minder) tot ist.
Ich halte somit die Geschichte für sehr gelungen und würde mir wünschen noch mehr davon zu hören / lesen.

Tar Calion

 

Kor "hartezum Gruße!

Es freut mich, dass ich dir mit der Geschichte etwas Freude bereiten konnte! Mir ging es nicht darum, die Geschichte an sich schlecht zu reden. Der erste Kommentar war eher ironisch gemeint, denn bei kg.de gibt es oftmals "harte" Kritiken, welche aber umso nützlicher sind!
Vielleicht sagen dir ja auch die anderen Teile der Serie zu. Auf jeden Fall ersteinmal vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

Ultra

 

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