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Zwei Gläser einer Brille

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07.07.2015
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Zwei Gläser einer Brille

Ich höre den Schlüssel im Schloss, seufze. Meine Seele liegt noch überall in der Wohnung verstreut und ich mache mich daran, die Fetzen aufzusammeln und notdürftig aneinander zu kleben, bevor sie durch die Schallwellen dröhnenden Computer-Geballers aufgewirbelt und womöglich zum Fenster hinaus geweht werden, wo sie dann unauffindbar sind.
Ich werfe einen Blick aus meiner Zimmertür hinaus. Tom sieht fertig aus. Er starrt, die Hände auf die alte Kommode gestützt, die bei uns auf dem Flur steht, sein Spiegelbild an, das ihn voll selbstzweifelnder Gewissheit aus dem Spiegel über der Kommode heraus ansieht. „Warum immer ich?“ Der Grammatik nach eine Frage, nach der Intonierung eine Feststellung. Er richtet sich auf, geht in sein Zimmer. Tür zu. Computer-Geballer.
„Lass uns spazieren gehen“, sage ich zu meiner Seele und nehme die Leine von der Garderobe. Zu Anfang muss ich sie hinter mir herziehen, sie will zurück, ins Bett, schlafen. Doch dann erreichen wir den Waldrand. Leichter weißer Nebel steigt vom nassen Asphalt auf wie Dampf aus einer Thermoskanne. Ich binde meine Seele los und sie beginnt sich zögernd an den Bäumen zu reiben, die raue Rinde zu fühlen, am Gras zu riechen und zu kichern, wenn es sie an der Nase kitzelt. Wir erreichen eine kleine Lichtung und ich setze mich auf einen feuchten Stein. In der Ferne das Knattern eines Mopeds, das sich durch den dichter werdenden Nebel kämpft und nur leise, fast sanft an mein Ohr dringt. Dann ist es still.
Ich beobachte meine Seele, wie sie herum tollt, an Blumen schnuppert, ein Kaninchen jagt und denke über Tom nach. „Warum immer ich?“, hat er gesagt. Ein komischer Satz von jemandem, der sich ständig von sich selbst ablenken muss. ‚Ich‘ ist, in Toms Fall, gleich dem Bild der anderen. „Warum immer das Bild der anderen?“, sage ich vor mich hin und muss schmunzeln, dann seufzen. Ich rufe meine Seele zu mir und eilig kommt sie gelaufen. Wir schmiegen uns zusammen auf den feuchten Stein. Ich versuche, im Wald sitzend, in ihrer Welt spazieren zu gehen. Doch wir sind wie zwei Gläser derselben Brille mit unterschiedlichen Stärken. Alles ist verschwommen, wenn ich versuche, die Welt durch ihre Augen zu sehen. Ich schätze sie hat eine Hornhautverkrümmung.
Ich seufze - wieder, „Wir müssen gehen.“ und lege ihr die Leine an. Sie trottet brav neben mir her, nach Hause, wehrt sich nicht. Es ist schon dunkel geworden und der Nebel noch dichter. Seite an Seite treten wir aus dem Wald heraus und blicken auf die Lichter der kleinen Stadt herunter. Der Nebel lässt alles friedlich erscheinen. Ich bin merkwürdig ergriffen von dem Anblick und halte für einen kurzen Augenblick die Leine nur lose in der Hand. Meine Seele reißt sich los und flüchtet in den Wald zurück, die Leine hinter sich herziehend. Ich rufe ihr nach. Doch der Nebel scheint die Laute zurück in meinen Mund zu schieben. Ich mache mir Sorgen. Wird sie zurückfinden? Doch hier gibt es nichts, das ich tun kann.
Ich gehe nach Hause. Ich stehe da, die Hände auf die alte Kommode gestützt und starre mein Spiegelbild an, das aus einem Parallel-Universum zurück sieht. In mein Zimmer, Tür zu, schlafen.
Ich träume von einem Sehtest und der Augenarzt berichtet mir mit ernster Miene die Ergebnisse. Ihr linkes Auge muss raus. Glasauge.
Ich erwache, weil sich meine Tür öffnet. Ich rechne mitTom, will sauer werden, aber es fehlt an Kraft. Gut so. Denn es ist meine Seele, die schuldbewusst dreinblickend in der Tür steht. Sie ist völlig durchnässt, zittert. Sie sieht zerzaust aus, die Leine hat sie verloren. Sie springt zu mir ins Bett, unter meine Decke. Die gelben Lichter der Straßenlaternen haben sie durch den Nebel nach Hause geführt.

 

Hallo Arete!

Da dein Text inzwischen schon sein Seit-10-Tagen-unkommentiert-Jubiläum feiern kann, wuppe ich ihn mit meinem Kommentar mal wieder in die Sphären der Aufmerksamkeit.

Stilistisches:

=> Wortwiederholungen: Danach solltest du den ganzen Text durchforsten, denn so liest sich das nicht gut. Beispiel: "Er steht, die Hände auf die alte Kommode gestützt, die bei uns auf dem Flur steht und starrt sein Spiegelbild an, das ihn voll selbstzweifelnder Gewissheit aus dem Spiegel über der Kommode heraus ansieht" => Zweimal "steht", zweimal "Kommode", zweimal "Spiegel". Das kannst du besser, da bin ich mir sicher.

=> Zeichensetzung: Regeln zur Zeichensetzung bei der wörtlichen Rede ansehen. Hier: "gehen.“, sage ich" => Punkt weg, da der Satz mit der Redebegleitung weiter geht.

Inhaltlich: Das mit der Seele, die deine Protagonistin in verschiedene Bilder personifiziert - das finde ich schwierig und verwirrend. Erst ist die Seele leichte Fetzen, dann eine Art Haustier, wie ein Hündchen, dann sieht die Seele anders scharf als deine Protagonistin, bzw. verschwommen - ich habe keine Ahnung, warum du das machst und was du damit erzählen willst.

Fazit: Dein Text ist ein einziges Fragezeichen für mich.

Vielleicht bekommst du nun noch andere Kommentare.

Grüße,
Chris

 

Hey Chris.

Danke für deinen Kommentar, ich hatte schon befürchtet, dass da nichts mehr kommen würde. Den Stil-Fehler und den Zeichsetzungsfehler habe ich korrigiert.

Dass ein gewisses Fragezeichen bleibt, ist nicht vollkommen unbeabsichtigt. Für den Protagonisten ist das, was er erlebt, ebenso verwirrend, diffus und unklar. Allerdings hatte ich gehofft, folgendes würde klar werden:
Es handelt sich hier um einen Menschen, der eine Getrenntheit von Körper und Verstand auf der einen Seite und seiner Seele oder seinem emotionalen Ich erlebt; der also mit sich selbst uneins ist und sich sehnlichst wünscht, wieder zu einer inneren Einheit zu finden. Daher auch diese Undefiniertheit der Seele (mal Fetzen, mal wie ein Hündchen).

Ich gebe gerne zu, dass diese KG ein Experiment ist. Gerade aus diesem Grunde wäre ich für weitere Kommentare sehr dankbar. Denn im Moment ist das Ganze noch ein Experiment ohne Ergebnis und das ist weitaus unbefriedigender als ein Experiment mit einem schlechten oder unerhofften.

Grüße
Arete

 

Hallo Arete,

die Grundidee der Geschichte gefällt mir sehr gut, die Umsetzung teilweise weniger.
Diese fehlende Harmonie, mit der der Protagonist (Geschlecht ist nicht klar für mich) hadert, würde ich als Unzufriedenheit mit der Lebenssituation sehen.
Das hat - wäre ich betroffen - zur Folge, dass ich mich hinterfragen würde, an was das liegt und würde eine Erklärung suchen, damit ich etwas ändern kann. Das fehlt mir - dieses Bild, die Seele von der Leine zu lassen, ist um übertragenen Sinn ja auch nur ein Jammern an einer bestehenden Situation.
Besser gefallen würde mir, wenn das Ich mit der Seele diskutiert oder sich irgendwie reibt, das kann ja auch in einem inneren Monolog passieren, so dass neue Impulse entstehen.

So ist alles dahinter wie davor, der Protagonist hat sich halt etwas ausgeheult - über ein Thema, zu dem ich als Leser keinen Zugang bekommen habe. Der Tom steht da als Hülle für irgend ein Problem, was nicht genannt wird. Gehe aus dem Abstrakten etwas heraus, damit die Geschichte erdiger wird.

So zucke ich nach dem Lesen die Schultern.

Vielleicht helfen dir meine Gedanken etwas.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hi bernadette.

Danke für deine Anregungen.

Erstmal cool, dass du mit der grundsätzlichen Idee etwas anfangen kannst.
Ich verstehe, was einem als Leser vielleicht fehlt, um wirklich mit dem Geschehen in Kontakt zu kommen. Wenn ich deinen Kommentar richtig verstehe, ist dafür der Hauptgrund, dass zu wenig Konkretes zu finden ist. Also keine Beschreibung (und nicht einmal eine Andeutung) des eigentlichen Problems oder der Ursache des Problems. Und so bleibt man als Leser relativ teilnahmslos.

Ich glaube, es stimmt, dass ein Hinterfragen der Situation natürlich wäre. Ich hatte beim Schreiben den Gedanken, dass gerade die Unwissenheit über Problemursachen zusätzlich zermürbend wirkt. Ich denke, man ist im Leben oft vor Probleme gestellt, deren Ursache sich nicht ergründen lässt. Aber das sollte ich wirklich deutlicher machen. Vielleicht muss ja nicht gleich eine Lösung des Konflikts geboten werden, aber eine gewisse Reflexion wäre doch angemessen. Ich werde mal darüber nachdenken, wie und wo man das einbauen kann.

Danke auf jedenfall für den Kommentar. Ich fand ihn außerordentlich hilfreich.

Grüße
Arete

P.S.: Das Geschlecht des Protagonisten/der Protagonistin ist tatsächlich nicht klar, aber ich denke auch von geringer Bedeutung. Ich schätze, die Problematik ist gewissermaßen genderübergreifend :)

 

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