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- 15.07.2004
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Gedankenfick
Natürlich ist es nicht Annikas Körper, über den meine Finger fahren. Es ist nicht ihr Atem, der mein Gesicht streift, nicht ihre Brust, die sich an meine schmiegt, und auch nicht ihr Unterleib, der sich mir feucht und fordernd entgegendrängt.
Es ist ja noch nicht einmal ihr Bett, in dem ich liege.
Und dennoch ist wieder einmal sie es, die ich ficke.
Wenn ich meine Augen schließe, treibe ich es mit ihr. Dann sehe ich sie unter mir liegen, den Mund leicht geöffnet und auf der Stirn ein Diadem aus kleinen Schweißperlen. Ich sehe diesen seltsamen Glanz in ihren Augen, den ich nur von ihr kenne, und der mich zu jemandem werden lässt, der ich eigentlich gar nicht bin, ja, der ich noch nicht einmal sein will. Zumindest dann nicht, wenn die Springflut aus Lust und Geilheit in meinem Kopf verebbt ist, und mein Verstand wieder die Oberhand gewinnt.
Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass ich den Sex mit Paula nicht zu schätzen wüsste. Er ist in Ordnung, manchmal sogar mehr als das. Bis zu einem gewissen Punkt zumindest.
Nach über einem Jahr Beziehung sind wir gut aufeinander abgestimmt. Paula weiß, wie sie sich im Bett bewegen muss, und wo sie mich berühren darf. Sie weiß sogar, wie sie stöhnen soll.
Was sie nicht weiß, ist, dass ich meine Augen schließen muss, um zum Orgasmus zu kommen. Dass ich gar keine andere Wahl habe. Ich habe schon so oft dagegen angekämpft, aber es ist sinnlos. Ich verliere.
Ich verliere immer.
Irgendwann schließe ich beim Akt die Augen – und treibe es mit Annika.
„Schau mich an!“, sagt Paula.
Sie flüstert es mir ins Ohr, während wir uns lieben. Mit sanfter, leiser Stimme. Trotzdem klingt es wie ein Schrei.
SCHAU MICH AN! SCHAU MICH AN! SCHAU MICH AN!
Ihre Worte knallen gegen meine Schädeldecke wie ein von einem Katapult abgeschossener Gummiball.
Ich umfasse mit beiden Händen ihren Kopf, drücke ihr heftig meine Zunge in den Mund, bin mit einem Mal fast grob zu ihr.
Sie stöhnt auf und blickt mir direkt in die Augen.
„Schau mich an!“, bittet sie erneut.
„Ich liebe dich” sage ich, und es ist die Wahrheit.
Aber noch während ich die Worte ausspreche – diese wahren Worte – spüre ich, wie mich neues Verlangen durchflutet. Aber nicht nach ihr.
Nicht nach Paula.
Meine Augenlider zittern.
Der Flummi in meinem Kopf gibt keine Ruhe.
SCHAU MICH AN!
Wenigstens einen kurzen Moment lang will ich ihr diesen Wunsch noch erfüllen.
Ich bin mir bewusst, dass Paula keine Schuld an alledem trägt. Ebenso wenig wie vor ihr Klara, Svenja und Ann-Kathrin. Oder zwischendurch Yvonne.
Was könnte ich ihnen schon vorwerfen? Dass ich mit ihnen geschlafen habe, während ich in Gedanken mit einer anderen vögele? Dass es mich nicht in Ekstase versetzt hat mit ihnen? Dass ich nur dann kommen kann, wenn ich Annika vor mir sehe. Nur dann, wenn ich mir vorstelle, wie ich meinen harten Schwanz in ihren Schoß ramme?
Wie also könnte ich ihnen Vorhaltungen machen? Sie konnten mich nicht retten.
Nicht einmal Paula kann das.
Vielleicht hätte ich mich selbst retten können – wäre ich damals nur schon Mann genug gewesen.
Die Erinnerung daran verfolgt mich bis heute, wie ein schlechter Geruch, den man nicht abschütteln kann. Und an den man sich im Laufe der Zeit so sehr gewöhnt hat, dass man ihn insgeheim schon mag und nicht mehr drauf verzichten will.
Die Gedanken schweifen zurück an jene Nacht im Zeltlager damals im Juni vor fast zwanzig Jahren. Siebzehn war ich damals.
Obenrum ein großer Macker, der beim Schwimmen vor den Mädchen mit seinen läppischen Muskeln prahlte.
Untenrum ein dummes Kind, das gewohnt war, mit sich selbst zu spielen.
Es ist ein Kuss auf die Stirn, der mich weckt.
Annika strahlt mich an. Mit ihrer Taschenlampe und ihrem Lächeln.
„Die pennen schon alle”, sagt sie. Ihre Stimme ist eine einzige Herausforderung. „Ich bin noch nicht müde.”
Statt zu antworten, grinse ich dümmlich.
Annika legt sich neben mich.
So dicht, dass ich ihren Atem an meiner Schulter spüre. Ich bekomme eine Erektion und hoffe, dass Annika sie nicht bemerkt.
Sie flüstert jetzt.
„Du wusstest, dass ich kommen würde, oder?“
Ich nicke.
Natürlich nicke ich.
Aber ich hatte keine Ahnung.
Annika streicht mit ihrem Zeigefinger langsam über meinen Hals und malt unsichtbare Herzchen.
„Ist es das erste Mal für dich?“
Jetzt weiß ich nicht, ob ich nicken soll.
Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Alles, was ich wahrnehme, ist die Art, wie sie mich anschaut. Der Glanz in ihren Augen.
Es ist der Blick, den ich nie mehr vergessen werde.
„Begehrst du mich?“
Es ist nicht das erste Mal, dass Paula mich das fragt.
Ich bin darauf vorbereitet. Zucke nicht einmal mit der Wimper, als ich ja sage.
Genauso, wie ich es immer geübt habe.
Genauso, wie ich es auch bei allen anderen gesagt habe.
Meine Stimme klingt fest und glaubhaft.
Ich könnte dieses Ja tausendmal wiederholen, es würde immer gleich klingen.
Sicher und routiniert.
Paula lächelt. Sie räkelt sich unter mir wie eine Katze. Streichelt meinen Po. Küsst mein Ohr. Umfasst meine Hüfte. Ihre Berührungen sind genau auf mich abgestimmt. Es ist alles so, wie ich es mag. Sie ist die perfekte Liebhaberin.
Das glaube ich zumindest. Beurteilen kann ich es nicht.
Schließlich bin ich noch nie bis zum Ende bei ihr geblieben.
Was wäre passiert, wenn Annika damals nicht in mein Zelt gekommen wäre? Wenn ich sie einfach zurückgewiesen hätte? Oder wenn die Dinge zwischen uns in dieser Nacht anders gelaufen wären?
Wie oft habe ich mir diese Fragen schon gestellt?
Ich kenne sämtliche Antworten darauf.
Ich weiß nur nicht, welche die richtige ist.
„Es wird schön werden“, verspricht mir Annika.
Ich sehe sie an und glaube ihr. In diesem Moment würde ich ihr alles glauben. Sie legt sich auf den Rücken. Ihr Mund ist leicht geöffnet und auf ihrer Stirn glänzen Perlen aus Schweiß. Es sieht beinahe aus wie ein Krönchen.
Ihre Zunge schnellt hervor und trifft die meine, bevor sie wieder in ihrem Mund verschwindet. Wie ein Einsiedlerkrebs, schießt es mir durch den Kopf. Wie ein Einsiedlerkrebs, der sich blitzschnell seine wehrlose Beute greift und sich dann wieder in sein Schneckenhaus zurückzieht.
„Machs mir!“
Mit diesen zwei Worten reißt mich Annika aus meinen unsinnigen Gedanken.
Ihre Stimme zittert leicht.
Sie spreizt die Beine.
Ich tue nur so, als würde ich hinsehen.
„Machs mir!“, fordert sie erneut.
Das Zittern in ihrer Stimme ist verschwunden.
In diesem Moment wird mir klar, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt.
Ich klettere über sie, traue mich aber nicht, sie anzublicken. Mein Blick ist starr auf die blaue Zeltwand gerichtet.
Annika umfasst mit der Hand mein Glied. Sofort spüre ich in meinen Lenden ein heftiges Ziehen.
„Warte!“, sagt sie. „Warte! Ich helfe dir.“
Aber ich habe keine Hilfe mehr nötig. Ich schaffe es noch nicht einmal bis zum Ziel.
Es ist alles vorbei, bevor es überhaupt begonnen hat.
Annika kichert leise und fragt mich nach einem Taschentuch. Erst jetzt sehe ich die Bescherung, die ich auf ihrem Nachthemd angerichtet habe.
Unter mir stöhnt Paula lautstark auf.
„Hör nicht auf!”, sagt sie. „Hör bloß nicht auf!“
Ich muss mich beherrschen, um nicht laut aufzulachen.
Natürlich weiß ich, wie gern Paula mit mir schläft. Weil es so lange dauert. Weil ich mir Zeit lasse und auf sie zu warten pflege. Ich weiß sogar, dass sie vor ihren Freundinnen damit prahlt und mich dann augenzwinkernd als den perfekten Liebhaber bezeichnet.
Ich bin mir nie wirklich sicher, ob sie das tatsächlich glaubt. Oder ob sie sich vielleicht bloß selber etwas vormachen will.
SCHAU MICH AN!
Es fällt mir immer schwerer, Paulas Blick zu halten.
Annika ist mir nicht böse gewesen. Sie hat mich danach sogar noch ein bisschen im Arm gehalten und getröstet. Trotzdem bin ich ihr am nächsten Tag aus dem Weg gegangen. Ebenso wie in den nächsten Wochen.
Monaten.
Jahren.
Aber nachts, wenn ich allein auf meiner Matratze lag, habe ich sie in Gedanken zu mir geholt. Wieder und wieder habe ich es dann mit ihr getrieben.
Richtig getrieben.
Um mir zu beweisen, dass ich es besser kann.
Oh ja, ich kann es besser! Schon beim nächsten Mal war ich beinahe perfekt. Es war auf einem Scheunenfest, zwei Monate nach dem Desaster im Zeltlager, als ich merkte, wie sehr sich mein Training ausgezahlt hatte. Das Mädchen unter mir – eine angetrunkene Partybekanntschaft deren Namen ich vergessen habe – jauchzte lange vor Vergnügen und überhäufte mich noch beim Akt mit Komplimenten.
Doch nach einer knappen Stunde war die Lust aus ihren Gesichtzügen gewichen und ihre Miene wirkte bloß noch anspannt.
Und irgendwann fragte sie mich patzig, ob ich heute noch abspritzen wolle.
Manchmal sagt Paula kichernd, dass ich der perfekte Pornostar wäre. Natürlich nur im Spaß, aber vielleicht stimmt das sogar. Ich habe kein Problem damit, dass mein Schwanz steht. Er steht ewig und drei Tage, wenn es sein muss.
Ich habe lediglich ein Problem, mit offenen Augen zu kommen.
Als ich meine Augen schloss, dauerte es nicht einmal mehr dreißig Sekunden.
Sofort sah ich das Bild.
Annika.
Ihren Körper. Den halbgeöffneten Mund. Das Krönchen auf ihrer Stirn.
Vor allem aber den erlösenden Blick.
Ich erinnere mich an den erleichterten Seufzer des Mädchens, als ich endlich in ihr kam.
Und daran, dass sie mich danach gar nicht schnell genug von sich herunterschieben konnte.
Sie verschwand leicht schwankend, ohne Abschiedskuss und ohne jedes weitere Wort.
Es machte mir nichts aus, weil sie mir egal war.
Das Schlimme ist nur, dass es Paula oftmals nach unserem Sex fast genauso eilig hat wie dieses namenlose Mädchen, ihren Körper von meinem zu lösen, um dann wortlos im Bad zu verschwinden.
„Du brauchst nicht mehr zu warten. Ich bin schon zweimal gekommen.“
Paula hält mich immer noch mit ihrem Blick gefangen.
Ihre Worte sind warm und liebevoll.
Und sie tun mir weh. Zerreißen mich beinahe.
Ich liebe dich, Paula.
Diesmal spreche ich es nicht aus.
Ich komme mir wie ein Lügner vor, denn ich weiß, dass ich den Kampf auch diesmal wieder verlieren werde.
Es gibt keine Rettung für mich.
Ausgerechnet durch Annika ist mir das klar geworden.
Ich weiß natürlich, dass sie hier aussteigen wird. Ich habe alles recherchiert, Es war einfach, denn ich bin gut darin, Sachen in Erfahrungen zu bringen. Vor vier Wochen habe ich mich zurück in ihr Leben geschlichen. Nicht wie ein Dieb, sondern eher wie ein Spanner. Ihre Bahn kommt um siebzehn Uhr. Vom Bahnhof braucht sie gerade einmal drei Minuten bis nach Hause und sie nimmt immer den Ausgang Ost.
Annika glaubt natürlich, dass unser Wiedersehen reiner Zufall sei. Es dauert einen Augenblick, bis sie mich erkennt. Dann aber scheint sie sich über das Treffen zu freuen.
Sie umarmt mich, lächelt die ganze Zeit, auch als ich sie frage, ob sie einen Kaffee mit mir trinken möchte.
Aus dem Kaffee werden fünf Biere.
Sie erzählt mir all die Dinge, die ich schon weiß. Von ihrem abgebrochenen Studium, dem Job als Krankenschwester und ihrem Ex-Freund, dem sie vor knapp zwei Monaten den Laufpass gegeben hat.
Ich erzähle ihr größtenteils Lügen, um sie ins Bett zu bekommen. Es ist viel einfacher als ich gedacht habe.
Nach dem zweiten Bier halten wir Händchen.
Nach dem vierten Bier schmecke ich nur noch ihren Lippenstift.
Das fünfte Bier trinken wir nicht einmal mehr aus.
Ich habe es für Paula gemacht.
Weil ich sie liebe.
Vor allem aber habe ich es für mich getan.
Weil ich mich meiner Liebe endlich nicht länger schämen will.
Manchmal muss man alte Wunden wieder aufreißen, damit sie endlich verschorfen.
Das habe ich zumindest geglaubt.
Im ersten Moment scheint es zu klappen.
Ich gleite in Annika hinein. Nehme sie so, wie ich es all die Jahre im Kopf geübt habe.
„Gott, hast du Fortschritte gemacht, seit dem letzen Mal“, sagt sie stöhnend.
Ich spüre wie meine Lust zunimmt.
Diesmal gibt es keine Zeltwand, die ich anstarren könnte. Mein Blick ist stur auf ihr Gesicht gerichtet.
Es ist fast alles so, wie ich es in Erinnerung hatte. Annikas Mund ist leicht geöffnet, Schweißperlen glitzern auf ihrer Stirn.
Nur ihr Blick ist anders.
Verzerrter. Fordernder. Ohne diesen bestimmten Glanz.
Annika kommt unter mir. Ihr Becken zuckt. Ihr Atem geht stoßweise.
Mein Schwanz steht wie eine Eins. Ist hart und groß wie immer. Hört nicht auf, sie zu bearbeiten.
Annika beißt sich auf die Lippen, während sie sich lustvoll unter mir windet.
Meine Erektion bleibt, aber meine Erregung verflüchtigt sich.
Es ist alles da.
Bis auf den Blick.
Ihr Blick stimmt nicht.
Panik steigt in mir hoch.
„Fick mich!“
Annikas Stimme hallt in meinem Ohr, aber es fällt mir schwer mich darauf zu konzentrieren.
Probeweise schließe ich die Augen.
Sofort sehe ich Annika vor mir. Sie sieht genauso aus wie in Wirklichkeit, denn in meiner Fantasie ist sie mit mir gemeinsam gealtert.
Fast nichts unterscheidet das Bild von der Frau, die ich gerade ficke.
Und trotzdem ist es völlig anders.
In meinen Kopf schaut sie mich so an, wie ich es mag.
So, wie ich es brauche.
Geheimnisvoll. Gefährlich. Mit jenem geilen Glanz, der mich erbeben lässt.
Plötzlich spüre ich ein Ziehen in meinem Hoden.
Als ich die Augen wieder aufreiße und Annika unter mir schwitzen sehe, verschwindet es schlagartig.
Annika kommt erneut. Krallt sich an mir fest. Beißt mir in die Schulter.
Es ist dieselbe Frau wie in meinem Kopf.
Und trotzdem…
Sie schreit mir irgendwelche Schweinereien ins Ohr. Ihre Zunge tanzt in meinem Mund Salsa und ihre Finger trommeln auf meinem Hintern den Takt dazu.
Mit einem Mal will ich nur noch, dass es vorbei ist.
Ich fühle mich unendlich müde.
Ich schließe meine Augen und pumpe mich leer.
Danach habe ich geheult.
Ich konnte nichts dagegen machen, die Tränen schossen einfach aus mir heraus. Annika hat mich verwundert angesehen und mich dann in den Arm genommen.
Wie beim ersten Mal im Zelt hat sie versucht, mich zu trösten. Sie dachte wahrscheinlich, dass ich ein schlechtes Gewissen wegen meiner Freundin hätte.
Dabei musste ich heulen, weil ich sie nicht begehre. Weil sie mir egal ist. Weil sie nichts, rein gar nichts, in meinem Inneren berührt.
Und weil sie trotzdem in gewisser Weise der Grund für meinen wirklichen Betrug ist.
Ich habe ich geheult, weil ich endlich verstanden hatte.
Nein, es ist nicht Annika, die mich nicht loslässt.
Es ist das Bild von ihr in meinem Kopf, das mich auf ewig gefangen hält.
„Schau mich an!“
Paula keucht mehr, als dass sie redet.
Es fällt mir immer schwerer, ihrer Bitte Folge zu leisten. Der Drang, mich in Annikas Bild zu flüchten, droht nun übermächtig zu werden.
Paula stößt einen spitzen Schrei aus. Ich kann spüren, dass sie eine Gänsehaut hat. So wie immer, wenn sie einen Orgasmus bekommt.
„Nummer drei“, sagt sie tonlos.
Ich versuche zu ergründen, ob ihre Stimme vorwurfsvoll klingt.
„Ich liebe dich“, wimmere ich ihr ins Ohr.
Und noch einmal: „Ich liebe dich.“
Die Antwort ist kurz und kalt.
„Nun mach schon!“
Ich schließe meine Augen und schäme mich.