Was ist neu

Die Schicksalssinfonie

ive

Mitglied
Beitritt
20.05.2005
Beiträge
8

Die Schicksalssinfonie

Die Schicksalssinfonie


Tom zappelte. Er zappelte wie ein Fisch, der gerade an einem Köder angebissen hatte und nun versuchte, sich vom Haken zu lösen, um somit seinem Schicksal zu entfliehen und weiterleben zu können. Es war klar, dass es Tom nicht gelingen würde. Er fühlte, wie die großen Hände seinen Hals zudrückten. Er röchelte nach Luft. Seine Kräfte ließen nach und bald zappelte er schon nicht mehr.
Thomas schaute von oben in Toms unschuldige Kinderaugen. Sie sahen aus, als flehten sie ihn an. Er sah auf seine Hände, die diesen kleinen dünnen Hals zudrückten. Dann schlossen sich Toms Augen. Thomas richtete sich auf und betrachtete eine kurze Weile den jetzt leblosen Körper.
Dann ging er zu seiner Plattensammlung. Er hatte eine Vorliebe für klassische Musik. Er entschied sich für Beethovens Fünfte, denn Thomas fand, dass die Schicksalssynfonie wie für diesen Moment gemacht war.
Am meisten gefiel ihm bei der Fünften der scharfe Kontrast zwischen dem ersten und zweiten Satz. Der Erste schafft durch sein extrem kurzes und rhythmisch prägnantes Motiv eine Art von Geschwindigkeit und Spannung, wobei der Zweite mit seinem weit ausholendem und geschwungenem Thema eher entspannend, fließend und fast schon ruhig wirkt. Trotzdem sind beide Sätze monströs und mitreißend.
Thomas wusste, dass er sich gerade im zweiten Satz befand, den Ersten hat er überstanden.
Auf dem Regal in der Küche, hatte er einen guten alten Whisky aufbewahrt, von dem er sich nur zu besonderen Situationen einen Schluck gönnte und diese Situation war eine besondere. Er goß sich ein Glas halbvoll mit Whisky und die andere Hälfte füllte er mit kaltem Wasser. Dann machte er es sich in seinem Sessel bequem und zündete sich eine Zigarette an.
Er schaute auf den leblosen Körper, der mitten im Raum auf dem Boden lag. Die Flöten und Streicher verliehen diesem Anblick eine epische Wirkung und durch die Scheibe fielen ein paar Sonnenstrahlen auf die wunderschöne Leiche. Thomas schloss die Augen, er sah sich selbst auf einer Hochzeit tanzen, wild im Kreis mit fetten Damen und er selbst mal wieder viel zu betrunken. Diese Gedanken wurden schnell verworfen und vergessen, denn er wollte diesen einzigartigen Moment nicht dadurch zerstören. Stattdessen fing er an, über Tom nachzudenken. Er erinnerte sich daran, wie er ihn vor vier Wochen das erste Mal in sein Haus gelockt hatte und musste schmunzeln, weil er niemals gedacht hatte, dass der Süßigkeitentrick wirklich funktioniert. Er war stolz auf sich, denn anfangs hatte er auch gezweifelt, ob er den Kleinen richtig behandeln und mit ihm spielen könnte. Aber nach einer kurzen Phase der Eingewöhnung war auch das kein Problem mehr gewesen. Er hatte ihm bei seinen Hausaufgaben geholfen und hatte versucht, ihm Schach beizubringen, aber da Tom immer wieder vergessen hatte, wie sich die einzelnen Figuren bewegen durften, hatte er es irgendwann aufgegeben und nur noch Mensch-Ärger-Dich-Nicht oder MauMau mit ihm gespielt.
Einige Male hatten sie sich auch gestritten. Es ging meist um Kleinigkeiten, wie zum Beispiel, dass Tom noch mehr Kekse gewollt hatte, aber Thomas fand, dass er schon genug gehabt hatte. Oder auch als Thomas vor Tom ein Glas Whisky getrunken hatte, obwohl er sich vorgenommen hatte, dies nie zu tun, und Tom dann unbedingt auch mal probieren wollte. Er war sauer geworden und meinte, dass Whisky nichts für kleine Kinder sei.
Thomas war nicht aufgefallen, wie viel er in seinem gedankenverlorenen Zustand getrunken hatte. Er schaute auf die Whiskyflasche, sie war halb leer.
Wieder betrachtete er den schönen toten Tom. Für einen kurzen Augenblick spielte er mit dem Gedanken ihn auszuziehen und mit ihm Geschlechtsverkehr zu haben, aber dann verwarf er auch diesen Gedanken schnell, denn das war nie das, was er gewollt hatte.
Der dritte Satz der fünften Sinfonie von Beethoven ist ein Scherzo, welches eine recht düstere Färbung hat und die Funktion einer spannungssteigernden Überleitung zum Finale übernimmt.
Thomas wusste, was er jetzt tun musste. Er holte eine Säge und brachte sie ins Badezimmer. Dann schleifte er Tom ebenfalls dorthin, zog ihn aus und bugsierte ihn in die Badewanne. Das Gewicht des Jungen überraschte Thomas, aber vielleicht kam es ihm auch nur so schwer vor, weil er zu viel getrunken hatte.
Er fing mit den Fingern der rechten Hand an. Zuerst traute er sich nicht die Haut zu durchsägen, aber nachdem er sich kurz überwunden hatte, war es ein Kinderspiel, jedenfalls bei den Fingern. Er legte die Finger vorsichtig ans Ende der Wanne.
Dann trennte er den Unterarm vom Oberarm ab und schließlich den Oberarm von der Schulter. Die Wanne war Blutverschmiert und es hatte sich ein kleiner Fluß aus Blut Richtung Abflussloch gebildet.
Er hatte jedesmal bei den Gelenken große Probleme, denn er fand nie den Spalt, wo die Säge genau durchsägen konnte, also sägte er immer erst ein paar Mal in den Knochen, bis er merkte, dass es wieder falsch war. Die Sehnen ließen sich auch nicht leicht durchschneiden. Thomas Stirn war schweiß- und blutverschmiert. Das Blut pochte ihm in den Schläfen und er war einige Male kurz davor umzukippen.
Als er auch mit dem linken Arm fertig war, war es draußen schon dunkel geworden.
Die Beine ließen sich noch schwerer als die Arme abtrennen. Die Knie waren kaum durchzusägen und den Oberschenkel von der Hüfte loszubekommen, war das größte Problem.
Als er auch damit fertig war, stand er kurz auf und blickte in die Badewanne. Am linken Ende der Wanne waren Zehen, Füße, Finger, Hände, Unterarme, Oberarme, Unterschenkel und Oberschenkel zu einem Haufen gestapelt. Rechts daneben lag Toms Oberkörper mit Hals und Kopf dran. Toms kleines weißes Gesicht war mit Blut verschmiert.
Bevor er weitermachte, gönnte er sich erst noch einen Schluck Scotch. Dann trennte mit viel Sorgfalt den Kopf ab. Die Hüfte ließ er am Oberkörper. Er wusste auch nicht recht, wie er sie hätte abtrennen sollen.
Aus der Küche holte er einen großen Müllsack und füllte ihn vorsichtig mit den abgetrennten Körperteilen.
Wieder war er stolz auf sich. Er hatte gedacht, dass ihm furchtbar schlecht werden würde, wenn er Tom zerstückelte, aber er fühlte sich ganz gut.
Nachdem er eine Zigarette geraucht und noch einen Whisky getrunken hatte, nahm er den großen schweren Sack und ging damit aus dem Haus.
Der vierte Satz erhält das Schwergewicht in der fünften Sinfonie und hat einen sehr triumphierenden Charakter. Wieder ist ein starker Gegensatz auffallend, diesmal zwischen dem dramatisch-düsteren Anfangssatz und dem jubilierenden Schlusssatz.
Er legte den Müllsack auf den Beifahrersitz seines Autos, denn er dachte, dass niemand sich etwas dabei denken würde, wenn er so offentlichlich damit rumfahre.
Das Autofahren fiel ihm wegen des Whiskys schwer. Er versuchte, so gerade wie möglich zu fahren, aber selbst wenn er ab und zu auf die andere Fahrbahn geriet, war es nicht weiter schlimm, denn die Straßen waren leer. Es schien, als wollten ihm die anderen Autofahrer einen Gefallen tun und verzichteten nur für ihn auf ihr Auto.
Obwohl er Probleme mit dem Fahren hatte, war er gut gelaunt, als er in die Apensenerstraße einbog. Er musste nur noch irgendwo einen geeigneten Platz suchen um die Leiche verschweinden zu lassen. Er hatte vor erstmal nach Holvede zu fahren.
Er schaltete den CD-Spieler an und hörte sich den vierten Satz der fünften Sinfonie von Beethoven an.
Euphorie stieg in ihm auf, er merkte, wie seine Mundwinkel sich zu einem kleinen Grinsen verzogen, wie er anfing zu schwitzen, wie er lauthals mitsang. Er kam immer mehr in Fahrt. Er fühlte sich so lebendig wie noch nie und er war überwältigt von seiner Tat. Bald würde er endgültig von Tom Abschied nehmen müssen. Vielleicht würde er sich ja einen neuen kleinen Jungen suchen. Er stellte sich vor, wie er aussehen sollte. Er müsste auf jeden Fall blond sein.
Plötzlich ging ein Blaulicht hinter ihm auf und er hörte die lauten Sirenen. Seine Eurphorie schwankte blitzartig in Todesangst um. Der Schweiß der Erregung verwandelte sich in Schweiß der Furcht. Das Blut pochte in seinen Schläfen.
Er überlegte, ob er nicht einfach anhalten sollte, denn die Polizei war nur auf sein Fahrverhalten aufmerksam geworden. Aber wenn er anhielte, würden sie ihn mitnehmen und das Auto zur Wache fahren und dann würden sie die zerstückelte Leiche bemerken und alles wäre vorbei.
Immerwieder versuchte die Polizei ihn zu überholen, um ihn dann ausbremsen zu können, aber Thomas ließ sie nicht vorbei und blieb hartnäckig. Schließlich rammten sie ihn immer wieder von hinten, doch in seinem Wahn hatte Thomas den Wagen unter Kontrolle.
Sie verließen gerade Apensen, als Thomas der Gedanke kam, dass der Streifenwagen bestimmt schon Verstärkung angefordet hatte. Mit einem weiteren Wagen könnte er es noch aufnehmen, aber gegen drei hat er keine Chance.
Aber dann gelang es ihnen, Thomas von der Straße zu bringen. Sie überholten ihn zur Hälfte und schoben dann mit ihrer Front sein Heck nach rechts, sodass er die Kontrolle verlor. Sein Auto landete im Straßengraben.
Es dauerte einen kleinen Moment, bis er sich wieder orientieren konnte. Dann griff er instinktiv den Müllsack und sprang aus dem Auto.
Er rannte so schnell er konnte. Die Polizisten verfolgten ihn jetzt zu Fuß. Sie schrien hinter ihm her. Er solle anhalten, aber er wollte nicht.
Alles wäre vorbei. Er musste sie nur abschütteln, nur irgendwie vor ihnen fliehen und dann die Körperteile vergraben.
Schweiß lief ihm die Stirn runter. Er hielt den Sack fest an seinen Oberkörper gepresst. Er fühlte Toms Hand und drückte sie fest. Diese kleine schöne Hand.
Plötzlich stolperte Thomas. Er ließ den Sack fallen. Arme, Beine und Füße fielen heraus. Er hatte keine Zeit, sie wieder aufzuheben. Er rannte schnell wieder los.
Die Polizisten erkannten, was auf der Straße lag. Sie zogen ihre Waffen und richteten sie auf Thomas Rücken.
Die fünfte Sinfonie von Beethoven endet mit sieben lauten Viertelschlägen im Orchester.

 

Erinnert mich irgendwie an American Psycho.. aber vor allem daran.. prowozieren des prowozieren willen ;-)

 

Hallo ive,

wow. Wirklich, eine tolle Geschichte!

Ich fand sie brauchte ein wenig, um in Fahrt zu kommen. Anfangs dachte ich auch noch "Och nö. Kaum sind entfürte Kinder in den Medien, geht es in den Geschichten wieder los". Ab dem Zersägen war ich dann aber voll und ganz gefangen. Keine übertrieben schaurigen Details. Einfach gut!
Vielleicht ist mein großer Nachteil dabei, dass ich das besagte Stück von Beethoven entweder nicht kenne, oder einfach gerade keine Melodie im Ohr habe.
Es war aber doch ziemlich offensichtlich, dass sich deine Geschichte stark am Aufbau der Musik orientierte undversucht sie harmonisch zu begleiten.
Wie gut das gelungen ist, kann ich nun leider nicht beurteilen, aber ich kann sagen, dass ich mich sehr freue, sie gelesen zu haben.

Beim letzten Satz zog sich ein Schauer den Nacken runter! :thumbsup:

Fazit: Sehr gerne gelesen. Und in meinen Augen empfehlungsreif.

Liebe Grüße,
:zensiert:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo ive,

normalerweise mache ich mir zu empfohlenen Geschichten, die nicht meinem Geschmack entsprechen, nicht allzu viele Gedanken. Man weiß ja, wie unterschiedlich Geschmäcker sein können. Kein Grund, eine Empfehlung in Frage zu stellen.

Aber eine empfohlene Geschichte, das jedenfalls ist mein Anspruch, sollte, egal was man inhaltlich davon halten mag, grundsätzlich auch formalen Ansprüchen gerecht werden.

Nun denn, mir gefällt deine Geschichte inhaltlich nicht. Das ist Geschmacksache. Sie hat aber auch gravierende handwerkliche Schwächen.

Ich greife nur mal eine Sequenz heraus:

Er überlegte, ob er nicht einfach anhalten sollte, denn die Polizei war nur auf sein Fahrverhalten aufmerksam geworden. Aber wenn er anhielte, würden sie ihn mitnehmen und das Auto zur Wache fahren und dann würden sie die zerstückelte Leiche bemerken und alles wäre vorbei.
Immerwieder versuchte die Polizei ihn zu überholen, um ihn dann ausbremsen zu können, aber Thomas ließ sie nicht vorbei und blieb hartnäckig. Schließlich rammten sie ihn immer wieder von hinten, doch in seinem Wahn hatte Thomas den Wagen unter Kontrolle.
Sie verließen gerade Apensen, als Thomas der Gedanke kam, dass der Streifenwagen bestimmt schon Verstärkung angefordet hatte. Mit einem weiteren Wagen könnte er es noch aufnehmen, aber gegen drei hat er keine Chance.
Aber dann gelang es ihnen, Thomas von der Straße zu bringen. Sie überholten ihn zur Hälfte und schoben dann mit ihrer Front sein Heck nach rechts, sodass er die Kontrolle verlor. Sein Auto landete im Straßengraben.
Es dauerte einen kleinen Moment, bis er sich wieder orientieren konnte. Dann griff er instinktiv den Müllsack und sprang aus dem Auto.
Er rannte so schnell er konnte. Die Polizisten verfolgten ihn jetzt zu Fuß. Sie schrien hinter ihm her. Er solle anhalten, aber er wollte nicht.


Das liest sich alles sehr hölzern und ohne jede Dynamik. Die "Abers" und "danns" (deshalb habe ich sie markiert) liegen in deinen Sätzen wie Stolpersteine herum.

Formulierungen wie

- Er rannte so schnell er konnte
- Die Polizisten verfolgten ihn jetzt zu Fuß
- Sie schrien hinter ihm her
- Er solle anhalten, aber er wollte nicht.

wirken unbeholfen und ingesamt erscheint mir diese Passage unfreiwillig komisch. "... aber er wollte nicht? Wen wundert's - mit einem Sack voller Leichenteile auf dem Rücken!

Meiner Ansicht nach müsstest du noch sehr hart an den Formulierungen arbeiten und dich bemühen, deine Sprache origineller und präziser einzusetzen.

Es gibt dennoch gute Passagen in der Geschichte, aber die sind eher rar.

Ich persönlich halte es für verdammt schwer, schockierende Texte subtil und sprachlich anspruchsvoll zu gestalten. Da gehört ein ausgereiftes Können und eine präzise Formulierungskunst dazu. In dieser Liga spielt deine Geschichte nicht.

Dennoch erkennt man unter dem Strich zweifellos handwerkliche Fähigkeiten bei dir, an denen du arbeiten solltest.

"Er rannte so schnell er konnte." ist einfach nur eine grauenhafte Beschreibung!

Nimm mir diese offenen Worte bitte nicht übel.

Grüße von Rick

 

@ Basti08

Nein, dieser Satz war nicht an dich gerichtet, sondern steht im Zusammenhang mit meinen Ausführungen zuvor. Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass ich mich in der Regel nicht dazu verleiten lasse, eine Empfehlung anzuzweifeln weil mir die empfohlene Geschichte inhaltlich nicht gefallen hat.

Ich komme ja am Ende zu ähnlichen Einsichten wie du, was die (mangelhafte) formale Qualität der KG betrifft, insofern hat mich, das gebe ich zu, die Empfehlung zumindest irritiert. Ich habe die Geschichte aufgrund der Empfehlung gelesen und war am Ende extrem enttäuscht. Die Begründung dafür habe ich in meinem Kommentar geliefert.

Mit deinem Kommentar haben meine Ausführungen natürlich nichts zu tun.

Grüße von Rick

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom