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Der alte Löwe

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01.12.2009
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Der alte Löwe

Ja, dieser Spanier kann tanzen. Obwohl er mindestens fünfzehn Pfund leichter ist als ich, hat er mich im Griff. Er gibt sich herrschsüchtig, fragt nicht, klopft nicht an - er dirigiert mich rückwärts, vorbei am Bass, an den Violinen und schließlich an den beiden Bandoneóns, bis uns das Licht flutet. Er starrt mich mit stechenden Schwarzaugen an, die den ganzen Abend schon meine Beine taxiert haben. Ich weiß nicht, ob sein Blick mir etwas sagen soll oder ob er sich einfach nur auf das konzentrieren muss, was unterhalb unserer Schultern passiert.

Und dann ist da noch der Blick des alten Löwen. Ich kann ihn im verrauchten Zwielicht nicht sehen, aber ich weiß, dass seine Augen mir folgen, abwartend, amüsiert und ein bisschen hungrig. Der kleine Spanier fordert zu viele Ganchos, zeigt meine Beine, tanzt eigentlich allein und für sein Publikum. Ich lehne seine Einladung ab - Gracias, keinen Drink mehr - und lasse ihn stehen. Der Löwe wartet schon im Treppenhaus.

In der Wohnung ist es noch dunkler als unten im Lokal, aber wir kennen uns aus. Er nimmt meinen Mantel und meine Handtasche. Dann nimmt er mich; ich spüre seinen Arm unter meiner Achsel, rieche das Aroma von Rauch und verbranntem Scheinwerferstaub im Gewebe seines Hemdes und auf meiner Haut.

Wir tanzen durch die kühle Stille des Zimmers, im Takt seines geflüsterten „Rat-tat-tat-tat“. Stoff raschelt, Ledersohlen rutschen über das Parkett. Er ist stämmig, er fühlt sich gut an und er führt mich ohne Druck, gibt federleichte Signale mit Brust und Bauch, die mir Raum für Entscheidungen lassen. Meine Hüfte stimmt zu, als er mich zum Sofa tanzt. Ich falle langsam, seinen hungrigen Mund auf meinem. Heiß schmiegt sich seine Hand unter meinem Rock nach oben. Ich lasse mich von ihm spreizen, pfählen und im Rhythmus wiegen, furche durch sein Fell und kralle mich in schweres Fleisch. Er kommt vor mir, nimmt die Finger zur Hilfe und lässt sie Ochos und Giros tanzen, bis ich seinen Namen stöhne.

„Leonard.“
Er tritt die Zigarette aus, während er sich zu mir umdreht. „Hallo!“
Sein Kuss kratzt auf meinen Lippen, die immer noch ein bisschen wund sind. Er nimmt meinen Mantel und meine Aktentasche, hält mir die Tür auf. Die Mädchen streiten sich auf dem Rücksitz. Mit etwas Glück sind sie nächstes Wochenende wieder unterwegs. Als hätte er meine Gedanken gelesen, raunt mir der Löwe unter dem lautstarken Gezicke hindurch zu: „Samstag tanzen?“

Ich kuschle mich tiefer ins Nappa und lächle.

 
Zuletzt bearbeitet:

Salve Annelie und herzlich willkommen auf KG.de,

Dein Text ist für mich ein kleines, feines Sprach- und Formvergnügen. Du erzählst nicht zu viel und nicht zu wenig. Die Worte sitzen, Kontext und Atmosphäre verleihen selbst dem sich spreizen und pfählen lassen Zärtlichkeit.
Nicht zu vergessen, dass Du angenehm aus dem Erotik-Klischees ausbrichst, in denen der mittelalte, untersetzte Ehemann den Kürzeren zieht, und Madam sich höchst genüsslich mit dünnen, dominanten Spaniern vergnügt.

Alles in allem hat es Spaß gemacht, das zu lesen. :)

LG, Pardus

 

Hey Annelie,

ich mochte die Geschichte auch, sie ist kurz, knackig und nicht zu feucht, außerdem ist mir kein Rechtschreibfehler aufgefallen, das freut mich immer besonders.
Anders als Pardus lese ich nicht, daß der alte Löwe zu kurz kommt. Ich sah ihn als Souverän, der seiner Frau beim Tanzen mit einem anderen zusehen kann, ohne eifersüchtig zu werden, im Gegenteil, er sieht es gern. Was hat die Frau ein Glück, hab ich gedacht. Und der Mann hat auch Glück, er darf kommen, wann er will. :D

Ich bin gespannt auf Deine nächste Geschichte.
Makita.

 

Hallo Annelie!

Mir hats auch gefallen. Schön, wie du den Sex beschreibst ganz ohne Schmutz und klebrige Worte. Der Tanz trägt die Gedanken beschwingt vom Anfang bis zum Ende.

Hübsch, hübsch. :)

yours

 

Anders als Pardus lese ich nicht, daß der alte Löwe zu kurz kommt.

Da habe ich mich wohl mistverständlich ausgedrückt - ich meinte natürlich, der düpierte Göttergatte entspräche dem Klischee. Welches dankenswerterweise hier vermieden wurde.

 

Hallo Annelie,

deine Geschichte gefällt mir ausserordentlich gut. Frisch und mit teilweise unverbrauchten Bildern kommt sie ausgewogen daher und macht Freude beim Lesen.

Mit ganz wenigen Worten schaffst du es, viel von der Familie zu erzählen.
Wenn meine Mitmoderatorin einverstanden ist, werde ich die Geschichte empfehlen.

Viele Grüße
bernadette

 

Hallo Annelie

auch auf die Gefahr, dass dir das viele Lob über den Kopf tanzt ;) kommt auch von meiner Seite eine Gratulation für diese feine Geschichte.
Da stimmt Ton und Tempo, und es knistert tatsächlich, was ich in vielen Geschichten in dieser Rubrik vermisse.
Weiter so :)

grüßlichst
weltenläufer

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo zusammen!

Pardus, es freut mich sehr, dass dir die Geschichte gleich aus mehreren Gründen ein Vergnügen war. Ich habe übrigens nicht bewusst mit einem Erotik-Klischee brechen wollen. Diesem Lob werde ich also nicht gerecht, finde es aber natürlich trotzdem toll, für originell gehalten zu werden! ;)

Makita, "Souverän" gefällt mir. Der alte Löwe sollte allerdings nicht als der dominantere Teil der Beziehung beschrieben werden (kommt er so rüber?), aber eben als ein Mann, der erfahren genug ist, um zu wissen, wie er auch kampflos ans Ziel kommt. Und natürlich darf er dahin kommen, wann er will - schließlich weiß er auch, was zu tun ist, um diesbezügliche Enttäuschungen im Keim zu ersticken :)

Yours truly, wie schön, dass du die Musik bis zum Schluss gehört hast!

Bernadette, auch dir vielen Dank für deinen ermutigenden Kommentar. Besonders freue ich mich über das "ausgewogen" - das Überarbeiten der Geschichte hat nämlich ein Vielfaches ihrer eigentlichen "Schreibzeit" gebraucht. Über die Empfehlung freue ich mich sehr!

Weltenläufer - zu spät, ich bin schon geplatzt:) Hach, was freue ich mich, dass es für dich geknistert hat.

Nochmal danke an Euch alle fürs Lesen und die ermutigenden Kommentare!

Annelie

 

Hallo Annelie,

herzlich willkommen hier auf kg!
Wunderbare Geschichte und wenn bernadette sie nicht bald in die Empfehlungen setzt, tu ichs. :)
Tänzelnde Leichtigkeit und doch in präzisen Tanzschritten. Ich hatte die Hintergrundfarben vor Augen, roch die Umgebung und war dicht dabei. Einfach gut gemacht.
Endlich mal wieder eine Geschichte, deren erotische Momente mir zusagen hier auf kg.

Wenn ich dir ein Buch empfehlen darf, dann das, welches ich grad lese, Katrin Dorn's Tangogeschichten. Daran hat mich deine Geschichte sofort erinnert. Ihr seid euch verdammt ähnlich. Bin mir sicher, dass du an ihren Tangogeschichten Lesefreude haben würdest.
Wenn du Interesse hast, es nicht bekommst, schick ich dir meins gerne zu, wenn ichs in den nächsten Tagen ausgelesen habe.

Lieben Gruß
lakita

 

Vielen Dank, Lakita, für deinen Kommentar und das Lob. Vielen Dank auch für dein liebes Angebot! Im Moment habe ich noch Lesestoff für ein paar Wochen, aber ich werde mir Titel und Autorin merken (kenne beide bisher nicht und bin gespannt!) und mir das Buch besorgen. Behalte deins mal - wer weiß, ob du es nicht doch nochmal lesen willst.

Liebe Grüße

Annelie

 

Hallo Annelie,

eine sehr gelungene, federleichte Geschichte! Mit nur wenigen Pinselstrichen hast Du Stimmung erzeugt und bewiesen, dass eine starke Kurzgeschichte nicht unbedingt lang sein muss, um den Leser mitzunehmen. Das Ganze ist auch sprachlich schön - Hut ab!

Viele Grüße vom
gox

 

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