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Serie Als wir uns verloren [4]: Götterdämmerung

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10.02.2000
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Als wir uns verloren [4]: Götterdämmerung

»Interessierst Du Dich nicht dafür?«
Ich musterte Dangsons zerfurchtes Gesicht. Seine Frage erreichte meine Gedanken nicht, nur bewegte Lippen in der Kühle des norditalienischen Morgens. Ich spürte die klamme Kälte im Granattrichter, in dem wir wie alte Hunde auf den Tod warteten.
»He! Hannes! Ich red mit Dir.«
»Hm?«
»Ob Du Dich nicht dafür interessierst?«
»Für was?«
»Mensch, seit einer Viertelstunde rede ich auf Dich ein. Für Wagner. Für die Götterdämmerung, den Ring der Nibelungen.«
Ich schüttelte den Kopf, lauschte dabei in die Stille der vergehenden Nacht. Noch war es ruhig.
»Komm schon, wie kann man sich nicht für solch ein Epos begeistern?«
Ich hob mein Handgelenk vor die Augen, sah auf die Armbanduhr, das verdreckte Glas mit dem Riss quer drüber, in dem sich das Licht brach und man kaum etwas erkennen konnte. Es war kurz vor fünf.
»Das hast Du mich schon mal gefragt, Sigurd. Weißt Du noch? Vor drei Jahren, kurz vor Kiew, als wir den Kessel dicht machten. Und schon da hab ich Dir gesagt, dass mich der ganze Quatsch nicht interessiert.«
Er sah mich traurig an. Ein Schweigen wuchs zwischen uns heran, das der heiligen Stille dieses Morgens den Garaus machte, sie zerquetschte, wie nur die Sprachlosigkeit zwischen den Menschen es vermochte. Dangson, der beste Fahrer in der Panzerjäger-Abteilung, die nun fast ohne Panzerjäger war, ohne Benzin, mit ein paar lausigen Granaten und Haftminen im Gepäck. Eine Gänsehaut rollte wie schwere Dünung meinen Rücken hinab. Ich sah es mit einem Mal klar vor mir. Dangson war kein Freund, noch nicht mal mehr ein Kamerad. Der Krieg nahm uns alle Freunde und alle Fähigkeit, Freund zu werden, er entfernte uns vom Menschengeschlecht. Der große Zeiger rückte auf die volle Stunde vor. Fünf Uhr.
»Tut mir leid, Sigurd.«

Es wummerte in der Ferne, dumpfe Schläge, wie an einer Perlenschnur aufgereiht, wanderten von links nach rechts den Horizont entlang. Zwischen das herannahende Jaulen der Granaten mischten sich die gurgelnden Klänge anfliegender amerikanischer Jagdbomber. Ich legte mich ruckartig auf den Bauch, öffnete meinen Mund, und atmete aus. Dangson landete neben mir, mit dem Gesicht im feuchten Lehm. Ich drehte meinen Kopf zu ihm, seine Augen zwei Handbreit vor meinen. Thor schwang seinen Hammer und schmetterte ihn auf das Erdreich vor uns, vielleicht hundert Meter entfernt. Abschussdonnern, Jaulen und Explosionen vermischten sich zu einer höllischen Kakophonie. Meter um Meter näherten sich die Einschläge. Nach jeder Salve korrigierten die Haubitzen um einen Zehntelgrad nach oben. Neunzig Meter, achtzig Meter, siebzig Meter. Dangson schrie wie ein Irrer gegen den Luftdruck an, der unsere Lungen marterte, unser Trommelfell zerreißen wollte, sechzig Meter, fünfzig. Jede Explosion in unserer Nähe, hob uns einige Zentimeter an. Krampfhaft klammerten wir uns aneinander. Vierzig Meter, dreißig, Dangson kratzte mit den Fingernägeln eine Wurzel frei. Wir hielten uns an ihr fest. Zwanzig Meter. Schnell einatmen und wieder raus mit der Luft, sonst zerfetzt es die Lungen. Niemals schlagen Granaten zweimal auf der selben Stelle ein, klärte uns Biegel vor langer Zeit auf. Die Hölle war heran. Dreckbrocken, Steine, alles was die Erde hergab, landete auf unseren zusammengekrümmten Körpern. Urplötzlich kam die Stille, meine Ohren hatten den Dienst quittiert, trügerische Stille. Der Luftdruck quetschte unsere Körper, drückte das Blut aus den Adern, ließ die kleinsten von ihnen platzen, in den Augen, auf den Wangen. Ich weinte.

Null Meter. Meine Ohren hörten wieder. Warum? Links und rechts die Einschläge, das heiße, sirrende Pfeifen der Metallsplitter. Dann waren wir unten durch, die Wand aus Granaten wanderte weiter, auf unsere Hauptstellungen zu, den Hang hinauf. Ich wollte nicht mehr aufstehen, mich nicht mehr umdrehen. Nur noch den Geruch dieser wunderschönen italienischen Erde in meine Nase ziehen. Bei diesem Duft musste sie ungemein fruchtbar sein. Ich dachte an rote, reife Tomaten, pfeffrig beim Hineinbeißen. Dangson röchelte. Ich drehte ihn auf die Seite. Schwarzes Blut rann ihm aus beiden Nasenlöchern, dicke Bäche die Wangen hinab, auf den feuchten Lehm. Der Glanz in den Augen flackerte, mit der Hand zog er einen Zettel aus einer Tasche der Feldjacke, dann versickerte sein Leben zwischen dem Dreck. Ich drehte ihn auf den Rücken, riss seine Hundemarke ab und nahm den Zettel an mich, steckte ihn schnell ein, denn die Jagdbomber gingen in den Tiefflug über. Hastig zog ich Dangsons Leiche und seinen Rucksack auf mich drauf. Wie Nähmaschinen donnerten die Flugzeuge auf die Gräben am Hang zu und dezimierten, was keine Deckung gefunden hatte. Mir war es gleich. Leben oder sterben, da gab es keinen Unterschied mehr.

Dangson wurde zunehmend steifer, kälter, sein Blut verkrustete, die ersten Fliegen kamen, die Würmer rochen den roten Saft und leckten sich die Lippen nach dem morgendlichen Horsd’œuvre.

Lohnte sich ein Blick auf die Uhr? Die Luft war erfüllt von panzerbrechender Munition der Flugzeuge, von den Schrapnells unserer Acht-Acht. Langsam schob ich mich den Hang des Granattrichters hinauf, mühsam, Dangson auf mir, die Stiefelabsätze in den Lehm gedrückt. Lange konnte es nicht mehr dauern. Schon ein Stück weiter oben vernahm ich das typische Geräusch der amerikanischen Panzermotoren; eindeutig Sherman. Die Lader pressten ihre Luft in den Kolbenraum und pfiffen dabei ihr Lied. Die Jagdbomber drehten ab, ich kroch vorsichtig unter Dangson hervor, öffnete seinen Rucksack und zog die Haftminen heraus. Vorsichtig nahm ich die Zünder aus der Schachtel und drehte sie ein. Dann schob ich mich weiter den Hang hoch, nahm den Stahlhelm ab, schaufelte mir Dreck auf den Kopf und lugte vorsichtig über die Kante. Fünfzig oder sechzig Meter vor mir entdeckte ich die Türme mehrerer Sherman. Dazwischen geduckt vorrückende Infanterie. Ich war im Eimer! Wie sollte ich jemals Haftminen unter den Panzern anbringen? Ich würde sofort ein dankbares Ziel für die Soldaten. Überrollen lassen konnte ich mich schon mal nicht. Was tun? Gefangennahme? So dicht an der Front gab es keine Gefangenen.

Während ich grübelte, ob ich mich unter Dangson tot stellen sollte, gab es trocken klingende Schläge aus nordöstlicher Richtung. Granaten zischten schnell über meinen Kopf hinweg. Panzerabwehr. Heftiges Feuer entwickelte sich. Treibladungen explodierten, verbrannten fauchend alles Lebendige in den Stahlwannen, keine Zeit für einen Schrei. Der nächste Sherman explodierte, noch einer. Ich hielt mir die Ohren zu. Wie aus heiterem Himmel ein Schatten über mir, ein amerikanischer Infanterist, der wohl Richtung rettenden Trichter lief und tot neben mir landete. Ich schnappte mir sein Sturmgewehr, die Ersatzmagazine, und starrte einen Moment lang in seine schreckgeweiteten Augen. An seinem Hals klebte ein silbernes Kreuz mit einer zerkratzten Inschrift. Aus seinem Rückentornister entnahm ich die Handgranaten und kroch nach oben. Das Abwehrfeuer wurde immer heftiger, die Motorengeräusche der Panzer schwiegen oder heulten wild auf, die Infanteristen riefen sich Befehle zu, schrien unter den MG-Treffern auf, verlangten nach Sanitätern. Vorsichtig spähte ich über die Kante. Von der Angriffsspitze war nicht mehr viel übrig geblieben und der Rest wurde unbarmherzig mit Feuer belegt. Mir war nicht ganz klar, woher das Feuer kam. Auf keinen Fall aus unseren Hangstellungen. Unser Aufgebot dort war lächerlich.

Mit einem dumpfen Schlag setzte die Artillerie wieder ein. Schnell rutschte ich den Trichter bis zum Boden hinab, zog Dangson und den Amerikaner mit nach unten und deckte mich mit ihnen zu. Artillerie bedeutete immerhin, dass der Angriff stockte. Ihre eigenen Soldaten würden sie nicht unter Feuer nehmen. Aber dafür setzten sie jetzt sicher alles daran, jeden Quadratzentimeter hier ein paar Mal von unten nach oben zu drehen. Nach all den Jahren war mir klar, was der Befehlshaber auf der anderen Seite gerade angewiesen hatte: Ich will, dass da drüben alles eingeebnet wird! Da war mit einem Mal der klare Gedanke, nicht mehr herauszukommen. Ich überließ den Krieg sich selbst, drückte das infernalische Getöse weit weg, in eine dunkle Ecke, und dachte an meine Schuljahre in Nürnberg, meinen Deutschlehrer. Der Gedanke an Dangson und seinen Faible für Wagner zog diesen Lehrer aus dem Wust meiner Erinnerungen hervor. Wagner, sagte er, Wagner, das ist der Jugend kein Begriff mehr. Aber ihr werdet noch daran denken. Ihr werdet bitter büßen dafür, ihn vergessen zu haben. Wehe Euch! Ein Anfall von Heiterkeit, von Irrwitz, überfiel mich. Ich lachte und wünschte mir diesen Idioten in eben diesen Granattrichter. Hastig zog ich den Zettel aus meiner Jackentasche, faltete ihn auf, schob den Rucksack des Amerikaners ein wenig beiseite, um Licht zu haben. Ich las, was da gekritzelt stand.

Nun kommt der dunkle
Drache geflogen,
die Natter, hernieder
aus Nidafelsen.
Das Feld überfliegend,
trägt er auf den Flügeln,
Nidhöggur, Leichen.
Und nieder senkt er sich.

Ein wuchtiger Einschlag hob mich und die beiden Leichen ein großes Stück hoch, Unmengen von Dreck prasselten auf uns nieder, deckten alles zu, den steifen Dangson, den Amerikaner, mich, Dunkelheit umschloss uns, feuchte Erde steckte in meinem Mund. Wild stürzten meine Gedanken durcheinander, bevor sich ein schwarzer Vorhang über mich legte.

Als ich wieder erwachte, spürte ich den Dreck in meiner Nase. Ich bekam Luft, widrigen Gestank zwar, aber besser als nichts. Zäh fügten sich die Stücke aus meiner Erinnerung zu einem Bild. Der Einschlag unmittelbar neben mir, sicher keine zehn Meter. Wahrscheinlich retteten die beiden Leichen mir sogar das Leben. Ich wusste nicht, wie viel Erde auf uns lag, aber es war immerhin still. Kein Gefechtslärm, keine Einschläge. Sollte ich es wagen? War das überhaupt möglich, hier rauszukommen? Es gab Anweisungen für den Fall einer Verschüttung. Aber wollte ich das überhaupt? Sie werden unter Sauerstoffabschluss einfach einschlafen, hatte man uns erklärt. Versuchen Sie erst einen Finger durchzubohren, dann die Hand, den Arm, geben sie Zeichen mit der Hand, aber rufen sie nicht, denn das verbraucht zu viel Sauerstoff. Ja, vielleicht, dachte ich, vielleicht würde ich ja liegen bleiben, aber nicht mit zwei Leichen über mir. Alleine möglicherweise, ein Grab für mich alleine, aber nicht mit den beiden, nicht mit mir. Also bohrte ich vorsichtig, stellte mir vor, ein Löwenzahn zu sein, der sich auf den Weg zum Licht machte, zurück in die Welt, zurück ins Leben. Ich brach durch, noch ehe mein Arm ganz gestreckt war.

Die Zeit hörte auf zu existieren. Ähnlich wie vor einem Angriff, wenn alle in einer Art Blase steckten, die uns gegenüber der Welt isolierte. Ich wedelte mit meiner Hand, aber nicht zu stark, denn die Erde rutschte nach und klemmte meinen Arm zusehends fester ein. War es Tag oder Nacht? Meine Hand - das einzig sichtbare Zeichen von Leben unter einem klaren Sternenhimmel? Ich musste hier raus! Unbedingt! Voller Zweifel zog ich meine Hand zurück. Schwitzend begann ich mich zu drehen, etwas stach in meine Hüfte, der Karabiner vielleicht, eine der Handgranaten? Hoffentlich löste ich nicht aus Versehen einen der Zündstifte. Es klappte, zäh, langsam, aber durch die beiden Toten blieb mir am Ende genug Platz, um mich auf den Bauch zu drehen. Dann klemmte ich die Ellenbogen unter meine Brust und stemmte mich in kurzen Abständen nach oben, ließ nach, drückte erneut, ließ wieder nach, immerzu. Ich spürte, wie der Sauerstoff knapp wurde, das Kohlendioxid meine Sinne eintrübte, noch ein paar Versuche, mehr nicht. Plötzlich meinte ich, Stimmen zu hören, Deutsch wurde gesprochen, gemurmelte, leise Worte. Wie wahnsinnig stemmte ich mich gegen die Last der Erde, drückte, keuchte, der Schweiß brach wie ein Sturzbach aus mir heraus. Ich gab verzweifelt nach und dämmerte weg, hinüber in eine tiefe Schwärze.

Wieder dieses Gemurmel. Ein heller Lichtstreifen mit schwachen Konturen darin, unsere Küche daheim, aber wo war Mutter? Ich spürte eine Hand, sie schüttelte mich und sprach meinen Namen.
»Hannes?«
Dann wurde mir bewusst, dass ich meine Augen noch geschlossen hielt, dass ich mich in einem Traum befand, auf dem Weg zurück ins Leben.
»Hannes, wach auf.«
Es war Franz Stimme. Er lebte.
»Hannes, na komm schon. Ich habe eine warme Hühnerbrühe für Dich. Mit wirklichem Hühnerfleisch.«
Mein Geruchssinn setzte ein, als ich meine Augen öffnete, das Tageslicht sah, die alten Mauern, Fenster an der gegenüberliegenden Wandseite. Alles schien noch ein wenig langsam zu sein, das Riechen, die Bewegungen um mich herum.
»Wo bin ich?«
Franz trat von der Seite in mein Blickfeld.
»Hannes. Gott sei Dank. Ich hatte schon befürchtet, Dich auch noch verloren zu haben.«
»Franz … bin ich also noch nicht tot?«
»Nein, ganz im Gegenteil. Der Arzt meinte, es bliebe vielleicht ein Dachschaden zurück, aufgrund des Sauerstoffmangels, aber lieber einen lebenden Dachschaden als einen toten Hannes.«
Er grinste auf eine Art, die mich an meinen Großvater erinnerte. Ein warmes, joviales Grinsen, wissend, fast ein wenig dankbar.
»Ich habe Hunger.«
»Klar, Moment …«, er half mir hoch, stopfte zwei Kissen in meinen Rücken und drehte sich nach einer großen Schale um.
»Hier. Soll ich Dich füttern?«
Ich nickte, und konnte es kaum erwarten, die köstlich duftende Brühe zu schlürfen, schillernde Fettaugen, weißes Fleisch, Möhren. Der erste Löffel kam, und in diesem Moment war ich glücklich.

Mit einem Stück Kommissbrot rieb ich die Schüssel sauber und hätte glatt noch eine Portion vertragen. Ich sah zu Franz, der sich mit einem verwundeten Leutnant im Nachbarbett unterhielt, als der Divisionsarzt an mein Bett trat und die Anamnesetafel studierte.
»Wie geht es Ihnen?«
»Gut, Herr Oberst.«
»Denken Sie mal an früher, an ihre Jugend, ihre Eltern. Sind Sie der Meinung, etwas vergessen zu haben?«
»Nein, Herr Oberst.«
»Rang, Name und Abteilung?«
»Oberfeldwebel Hannes Widmann, Richtschütze in der Panzerjäger-Abteilung 334, 334. Infanterie-Division, Herr Oberst.«
»Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass keine Spätfolgen der Sauerstoffarmut auftreten. Wenn Sie möchten, können Sie noch eine Woche hier bleiben zur Beobachtung.«
»Danke, Herr Oberst, aber ich fühle mich diensttauglich.«
Er zog eine Augenbraue nach oben, tiefe Furchen bildeten sich auf seiner Stirn.
»Sie sind sich sicher?«
»Vollkommen sicher, Herr Oberst.«
»Hm, wie Sie möchten. Ich schreibe Sie diensttauglich. Melden Sie sich bei Major Kappler.«
»Jawohl, Herr Oberst.«
Er musterte mich noch einmal mit schief gelegtem Kopf, dann ging er zum Nachbarbett. Franz salutierte und ließ vom Leutnant ab, drehte sich mir zu und setzte zu einem Satz an. Ich kam ihm zuvor.
»Hilf mir auf, Franz. Ich bin wieder diensttauglich.«
»Was? Diensttauglich? Aber …«
»Nichts wie raus hier.«
Seinen Gesichtszügen nach zu urteilen, hielt er mich für verrückt. Wer tauschte schon freiwillig das Lazarett gegen die Front?
»Na gut, Hannes. Wie Du meinst.«
»Der Oberst sagte, ich solle mich bei Kappler melden. Ist der denn auch hier?«
»Von unserer Abteilung ist nichts mehr übrig. Lediglich Kappler, Du und ich. Kappler bekam einen glatten Oberarmdurchschuss. Er sitzt aber schon wieder an einem Schreibtisch und hat irgendwie ein Kommando bekommen. Wahrscheinlich gehen uns einfach die Offiziere aus …«
Ich erhob mich vorsichtig, stützte mich auf den Bettrahmen, und sah mich um. Nichts als Betten und Verwundete im ganzen großen Saal.
»Sag mal Franz, wo sind wir hier eigentlich?«
»In Teramo. Das hier ist das Universitätsgebäude.«
Ich blickte an mir herab. Meine Uniform war völlig zerschlissen und strotzte vor Dreck.
»Gehen wir zu Kappler.«

Der Major trug seinen Arm in einer Binde aus Uniformstoff. Sein Büro hatte keine Tür, also klopfte Franz an den Rahmen.
»Reinkommen«, war die Antwort.
Kappler war seit Ende 41 der Kommandant unserer Sturmgeschütz-Abteilung. Bis auf zwei Mannschaften, waren wir im Laufe der vielen Monate regelmäßig aufgefrischt worden mit immer jüngeren Männern. Unerfahren in allem, und schneller verheizt, als ein schlechtes Stück Brennholz.
»Biegel und Widmann! Gott noch eins, bin ich froh Sie zu sehen! Lebend vor allem! Wie wär’s mit einem guten Ramazotti?«
»Gerne, Herr Major«, antworteten wir wie aus einem Mund.
»Setzen Sie sich, kommt, setzt Euch, verdammt! Wir duzen uns jetzt, wenn kein anderer dabei ist, oder?«
Franz sah mich an. Ich nickte.
»Gerne, Herr Major, also … Walter.«
»Genau! Walter ab jetzt.«
Er zog aus einer Umlaufmappe zwei Schulterstücke, dazu ein EK zweiter Klasse, und warf es mir in den Schoß.
»Verdammich, Hannes, das hätte ich glatt vergessen. Meinen Glückwunsch zur Beförderung, Leutnant Widmann. Lass Dir später im Keller eine neue Uniform geben, was Du da anhast, sind ja nur noch Fetzen. Das EK kannst Du Dir selber ans Revers heften.«
»Äh, vielen Dank … Walter.«
»Nur nicht so schüchtern. Wir baden seit einer Ewigkeit zusammen in der selben Jauche. Das ganze Blechzeug hilft uns hier auch nicht mehr raus. Ich hab’s Dir ausgehändigt, nun bist Du Offizier. Gute Offiziere sind inzwischen so selten wie Siege.«
Er zog aus einer Schublade drei große Becher, stellte sie auf den Tisch, nahm den Ramazotti und reichte ihn Franz.
»Bitte mach auf, Franz. Mein Arm macht das noch nicht mit.«
»Natürlich.«
Franz zog den Korken und schenkte uns allen ein Glas voll. Kappler schnappte sich eines und hob es hoch.
»Prost! Auf unser Wohl.«
Wir taten es ihm nach.

Die zweite Runde tranken wir schon etwas langsamer. Ich erhob mich und ging die wenigen Schritte zum Fenster, sah hinaus in den italienischen Frühling, die sandfarben verputzen Häuser. Am Ramazotti nippend, drehte ich mich um und entdeckte an der Wand in unserem Rücken einen Bildkalender mit einem reichlich farbigen Motiv.
Franz erzählte Kappler, wie er mich aufspürte, ausgrub, und mit einem italienischen Kriegsgefangenen zur Division schleppte. So erfuhr ich auch, dass wir das Glück einer ankommenden Entsatztruppe hatten, sonst wären wir überrannt worden. Ich war es leid, immer nur vom Krieg zu hören, von dieser und jener Linie, Gustav und wie sie großspurig genannt wurden. Lieber begutachtete ich den Kalender ein wenig näher. Ich trat dicht vor ihn und erstarrte. Schnell kramte ich nach dem Zettel, den mir Dangson in diesem Granattrichter zusteckte, zog ihn aus der Tasche, aber er war nicht mehr als ein Stück Lehm. Franz Stimme trat völlig in den Hintergrund, als ich das Kalendermotiv betrachtete und die Götterdämmerung erkannte. Odin kämpfte mit dem Fenriswolf, umgeben von einer orangeroten Flammenwand, rechts dahinter rangen Freyr und Surt. Schnell steckte ich den Zettel wieder ein, stellte den Ramazotti auf eine Anrichte und blätterte weiter. Thor tötet die Midgardschlange, auf dem nächsten Blatt warnt Heimdall seine Göttergenossen mit seinem Gjallarhorn vor dem heranziehenden Inferno, und schließlich setzte Surt die Welt in Brand. Ich drehte mich weg, schwer atmend, hockte mich auf einen Stuhl und sah aus dem Fenster. Franz und Kappler redeten über den Schlamassel, in dem wir steckten. Der Weltenbrand. Wir hatten ihn entfacht, und er würde uns verschlingen. Was war das? Warum begegnete er mir so häufig? Gerade jetzt.

»Hannes? He!«
»Hm?«
Franz kam her und legte seine Hand auf meine Schulter.
»Sag mal, bist Du sicher, dass Du nicht noch ein paar Tage hierbleiben möchtest? Du scheinst ein wenig abwesend zu sein. Vielleicht der Sauerstoff …«
»Nein, lass mal. Mir geht es gut.«
»Walter hat nach Dangson gefragt. Er war mit Dir im Trichter und liegt immer noch da draußen. Hast Du zufällig seine Hundemarke abgemacht?«
Ich erinnerte mich daran, das gemacht zu haben, aber … sorgfältig wühlte ich meine Taschen durch und fand sie in der Hose.
»Hier. Hab sie abgemacht und eingesteckt.«
»Wie ist er gestorben?«, wollte Kappler wissen. »Bei der Erfüllung seiner vaterländischen Pflicht, nehme ich an …«
Ich stutzte und musste grinsen.
»Klar, ist er fürs Vaterland gestorben. Ihm hat es die dänischen Lungen zerrissen. Das war’s.«
Kappler sah mich an, Franz ging zurück an den Schreibtisch und schenkte sich nach.
»Kein schöner Tod«, murmelte er in sein Glas hinein. »Er war unser bester Fahrer. So viel steht fest. Ich kenne keinen, der ahnte, wenn ein Geschütz auf Dich gerichtet war, und dann sofort anwinkelte. Keine Ahnung, wie oft die Granaten einfach abprallten. Mein Gott …«
Ich sah zu Franz, der seinen Ramazotti in einem Zug kippte. Kappler steckte Dangsons Hundemarke in einen Umschlag.
»Sag mal, Walter, ist das dein Kalender da an der Wand?«, wollte ich von Kappler wissen.
Er sah mich überrascht an.
»Welcher Kalender?«
Ich deutete mit dem Daumen über meine Schulter.
»Ne, keine Ahnung, fällt mir jetzt erst so richtig auf. Von mir ist der nicht. Ist das ein Kalender von diesem Jahr?«
»Nein, ist ein ewiger Kalender.«
Kappler winkte ab.
»Scheiß auf den Kalender. Wir haben den Gestellungsbefehl nach Casoli. Zwar wird die Abteilung wieder aufgefrischt, aber der Ersatz ist noch nicht da. Bis dahin helfen wir dort aus.«
»Aushelfen?«
Kappler nickte abwesend, sah zwischen uns hindurch, vielleicht auf den Fenriswolf. Ich schenkte uns nach.

Zu unserem großen Vorteil war es seit Tagen stark bewölkt, ab und zu regnerisch, von den Bergen kam der Nebel herunter, und die nächsten Tage sollte es so bleiben. So entging den alliierten Flugzeugen unsere Tätigkeit. Die zum Arbeitsdienst herangezogenen Italiener schaufelten sich in den hellen Lehmboden hinein. Alle zwanzig Meter gruben wir uns in die Erde, warfen den Dreck vorne und an den Seiten des Loches auf. Ich zog von Aushub zu Aushub und kontrollierte die Maße. Als ich die letzte Grube meines Abschnittes in Augenschein nahm, beobachtete ich einen Moment die zwei Gefreiten und die acht Italiener. Mit Pflock und Richtschnur vermaß einer der beiden immer wieder die Eckpunkte.
»Gefreiter Schmitz!«
Er kam eilig auf mich zu, salutierte.
»Was für ein Panzer soll hier drin stehen?«
»Ein Panther, Herr Leutnant.«
»Kommen Sie mal mit.«
Ich zog ihn an seinem Ärmel zur vorderen Kante des Lochs. Von hier hatte man einen weiten Blick Richtung Osten, den Fluss entlang.
»Wie weit können Sie von hier sehen?«
»Etwa fünf Kilometer.«
»Und wie tief?«
»Tief?«
»Ja. Sehen Sie den Talgrund?«
»Nein. Der Hügel hat einen Bauch.«
»Was ist, wenn der Gegner auf dieser Seite des Talgrundes ist. Könnten Sie ihn beschießen?«
»Nein, Herr Leutnant.«
»Wie weit können Sie die Kanone absenken?«
»Acht Grad, Herr Leutnant.«
»Acht Grad … da treffen Sie den Gegner nicht mal, wenn er über den Bauch kommt. Mit acht Grad haben Sie sogar Schwierigkeiten, das gegenüberliegende Flussufer zu treffen. Sie müssen in ihrer Grube nach vorne ein Gefälle einplanen. Graben Sie hier fünfzig Zentimeter tiefer.«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
»Und der Sichtschutz nach oben muss perfekt werden. Denken Sie daran.«
»Verstanden, Herr Leutnant.«
»Dann mal los.«
Ich nickte ihm auffordernd zu. Dieser Kerl war nicht älter als zwanzig. Ich bezweifelte, dass er die nächsten zwei Wochen überlebte.

Als ich auf dem Rückweg war, kam ich am Unterstand für die italienischen Zwangsarbeiter vorbei. Geschrei drang aus dem Erdbunker. Ich ging hinein. Ein Feldwebel drosch auf einen jungen Mann ein. Er trieb ihn mit dem Gewehrkolben durch den Bunkerraum, zwischen zwei Reihen von Arbeitern hindurch. Ein Gefreiter sah mich und salutierte.
»Herr Leutnant!«
Ich schritt auf den prügelnden Feldwebel zu und riss ihn an seinem Oberarm zu Boden. Er setzte seinen Karabiner an, erkannte aber schnell, wer vor ihm stand.
»Stehen Sie auf!«
Mühsam kam er hoch, nahm jedoch nur zögerlich Haltung an.
»Sie sind neu hier, Herr Leutnant«, flüsterte er. »Sie wissen nicht, wie das funktioniert. Hören Sie …«
Ich versetzte ihm einen Schlag in die Magengrube. Er knickte ein, zwang sich wieder in aufrechte Haltung, da schlug ich erneut zu. Stöhnend ging er in die Knie.
»Stehen Sie auf!«
Auf seinen Karabiner gestützt, kam er wieder hoch. Sein Blick war der eines Menschen vor dem Mord, kochende Wut, mühevoll gebändigt. Die Italiener starrten stur geradeaus, bis auf den Mann, der vom Feldwebel geprügelt wurde. Der wischte sich das Blut aus dem Gesicht und fixierte mich. Zwischen mir und dem Feldwebel lagen keine fünfzig Zentimeter. Ich deutete das Funkeln in seinen Augen richtig, das Zucken seiner Mundwinkel, die sich spannende Schulter, seine Wut kochte über. Meine Hände schnellten nach oben, schlossen sich um seinen Kopf und rissen ihn nach unten, meinem Knie entgegen, das ihn unter dem Kinn traf. Er kippte zur Seite und blieb liegen. Dann drehte ich mich um.
»Wie heißen Sie, Gefreiter?«
Er zitterte.
»Lambert, Herr Leutnant.«
»Geben Sie den Männern Arbeit, aber bleiben Sie korrekt.«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
Ich ließ ihn stehen und ging ins Freie.

Am Abend des zweiten Tages waren alle Panzer eingegraben, so tief, dass nur noch der Einstieg herausschaute. Darüber hatten wir einen regelrechten Wald angelegt, Bretter und Bohlen, mit Erdreich bedeckt, am Hang Büsche ausgegraben, auf den Abdeckungen wieder eingepflanzt, ordentlich gegossen, damit sie nicht so schnell braun wurden. Dazwischen Tarnnetze, gespickt mit großen Ästen. Von oben waren die Stellungen so gut wie nicht mehr zu erkennen. Hinter den Panzern ließen wir Platz, um sie zurückfahren zu können. Für alle würde der Sprit nicht reichen, zumindest die Wertvolleren sollten aber entkommen. Letztendlich machten wir uns dennoch keine Illusionen. Wir rannten mit löchrigen Blecheimern durch die Gegend und versuchten den Weltenbrand zu löschen. Dangsons Frage hing wie ein Fluch über mir.

Biegel und ich saßen im Befehlsunterstand, als der Kommandeur der Abteilung eintrat und umgehend auf uns zukam. Wir erhoben uns und salutierten. Stumm nickte der Oberst, grüßte nachlässig zurück und musterte uns einen Moment. Er war schon zu lange im Krieg. Wie viele andere, die schon seit Anbeginn dabei waren, hatte auch er den Hundertkilometer-Blick. Wir Alten wussten jedoch, dass es der Blick nach innen war, tief in die eigenen Abgründe, grenzenlos nach Jahren im Krieg.
»Wer von Ihnen ist Widmann?«
»Ich, Herr Oberst.«
»Sie haben einen Feldwebel von mir verprügelt. Warum?«
»Er hat einen italienischen Arbeiter mit dem Gewehrkolben unablässig geschlagen.«
Er biss sich auf die Unterlippe und knabberte mit den Zähnen an ihr.
»Vielleicht hat er es verdient, der kleine Itaker.«
»Die Weisung der Division war eindeutig, Herr Oberst. Italiener dürfen zu Arbeiten herangezogen werden, aber sie sind gut zu behandeln.«
»Ich kenne die Weisung, Widmann … aber sehen Sie, vielleicht ist Feldwebel Henrik einfach der Kragen geplatzt, denn am Anfang haben die Itaker mehr schlecht als recht auf unserer Seite gekämpft, wir mussten dauernd ihren Arsch retten, dann verpissen sie sich und erdreisten sich auch noch zu einer Kriegserklärung an uns. Nicht wahr?«
Kurz nur flackerte in seinen Augen so etwas wie Wachsamkeit, Leben, ein Licht auf, dann erlosch alles wieder und verschwand in tiefer Dunkelheit.
»Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Oberst, dass ein italienischer Junge, kaum älter als zwanzig, dafür verantwortlich ist.«
»Sie würden es also wieder tun?«
»Der Feldwebel ist in meinen Augen ein Sadist. Er würde alles und jeden prügeln, wenn er einen Grund hat, egal ob Italiener, seine Frau oder seine Kinder.«
Der Oberst nickte fortwährend, es hatte schon fast was Pathologisches.
»Ja, Leutnant, ich verstehe. Mir scheißegal, ehrlich. Nächstes Mal schlagen sie ihn halt tot. Mir so was von scheißegal …«
Er sog tief die Luft ein und starrte an die Decke vom Unterstand, zog mit seiner Hand einen länglichen Splitter vom Holz, steckte ihn in seinen Mund und kaute darauf herum.
»Weitermachen, meine Herren.«

In der Nacht kamen die vorgeschobenen Beobachter zurück und informierten uns über den gegnerischen Aufmarsch. Uns standen Kanadier gegenüber, die mit einer Panzerspitze im Morgen das Flusstal erreichen konnten, wenn wir ihre Geschwindigkeit richtig einschätzten. Das Wetter war auf unserer Seite. Die Nächte waren feucht und vormittags bedeckte Nebel die Hänge. Eine tiefe Wolkendecke verhinderte hochanfliegende Bomber und die alliierten Jäger fanden wenig Platz zwischen Wolkendecke und Boden, um ausreichend zu manövrieren. Gegen drei Uhr besetzten wir die Stellungen. Franz zog einen Spumante aus der Feldjacke, drückte den Korken nach oben, es ploppte und der Schaumwein sprudelte heraus.
»Hier, Hannes, nimm einen tiefen Schluck.«
Ich nahm ihm die Flasche ab und ließ mir den Sekt langsam durch die Kehle rieseln. Er schmeckte fantastisch.
»Stell Dir vor, Hannes, es wäre Frieden, und wir beide würden da drüben in Pescara an der Mole sitzen, auf das Mittelmeer schauen, Spumante saufen und … ja, vielleicht angeln?«
Ich lächelte ihn an, gab ihm die Flasche.
»Wo hast Du das Gesöff her?«
»Hat mir Kappler gestern gebracht. Irgendwie ist er ein Meister im Organisieren von feinstem Alkohol.«

Er setzte die Flasche an und ließ den Inhalt gekonnt in sich laufen. Dann rülpste er so laut, dass einige der Männer erschreckt herschauten.
»Hier, nimm den Rest mit. In welchem Panzer bist Du?«
»Drei weiter, der Tiger. Du hast den Panther?«
»Ja, Hannes … ich denke, wenn es nicht aufklart, haben wir gute Aussichten, die Stellung eine Weile zu halten. Wir haben jede Menge Feuerkraft hier eingegraben.«
Wir schwiegen plötzlich; wie verabredet. Dann regte sich etwas in mir, ein Gedanke, flüchtig nur, aber ich konnte deutlich sehen, dass Franz denselben Gedanken hatte. Ich schluckte trocken einen Kloß hinunter. Kurz nur ließ der Tod uns eine Nachricht zukommen, wie ein Blatt, das vom Wind durch ein offenes Fenster herein geweht wird, man aber nicht zu fassen bekommt.
»Wird schon schief gehen, Hannes.«
Er drückte mir die Schultern mit beiden Händen. Ich nickte ihm zu.

Ich sah durch die Optik auf das gegenüberliegende Flussufer. Dann räumte ich den Platz und setzte mich auf die Kommandantenposition. Es war kurz nach fünf Uhr und schon hell genug, um das Flussufer erkennen zu können.
»Sehen Sie mal hindurch, Schneider. Sehen Sie den Kirschbaum, der da so einsam zwischen zwei Felsen steht?«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
»Wie weit ist der entfernt?«
Er schwieg und starrte durch die Zieloptik, seine Daumen strichen unentwegt über seine Zeigefinger.
»Na?«
»Zwei Kilometer?«
»Sie sollen nicht raten. Jede Granate ist wertvoll. Wenn sie daneben geht, haben wir eine Chance weniger und der Gegner eine mehr. Ich will eine fixe Angabe.«
»Zweitausendzweihundert Meter.«
»Räumen Sie den Platz und lassen Sie mal Burgmüller ran.«
Burgmüller zwängte sich an Schneider vorbei, sah durch die Optik.
»Tausendneunhundert Meter.«
Ich musterte beide.
»Gut, die Wahrheit liegt wie immer dazwischen. Sie kommen alle gerade von der Panzerschule. Ich kann ihnen nur raten, auf ihr Gefühl zu vertrauen. Alle Formeln und der ganze technische Kram sind ja nicht schlecht, wenn die Chose gesittet und ruhig abläuft, aber wenn es bunt wird, dann hilft ihnen ihr Gefühl am ehesten. Bleiben Sie vor allem ruhig.«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
Ich steckte meinen Kopf durch die Luke.
Auf dem Motordeck kniete der Ladeschütze, ebenso ein Frischling wie die beiden anderen.
»Eder, die Munitionsluke bleibt offen. Haben Sie alles so organisiert, dass der Nachschub reibungslos läuft?«
»Jawohl, Herr Leutnant, ich habe zwei von der Flak, die nach hinten laufen und die Granaten holen. Sie müssen nur sagen, welche. Ich gebe sie Ihnen dann durch das Luk.«
»Sehr schön.«

Gegen sechs Uhr kam über Funk der Befehl zu absolutem Stillschweigen. Die Beobachter meldeten Feindkontakt aus Richtung elf Uhr. Ich wählte eine stärkere Vergrößerung in der Schere, aber es war noch nichts zu sehen.
»Sollen wir den Turm Richtung elf Uhr drehen, Herr Leutnant?«
»Nein, Burgmüller. Wir verhalten uns still. Sie wissen, dass wir hier sind, aber nicht genau wo und was sie erwartet.« Ich sah in seine blauen Augen. »Wie schnell können Sie nachladen?«
»Na, ich schaffe das so in neun oder zehn Sekunden, Herr Leutnant.«
»Ich gebe ihnen sieben.«
Erneut sah ich durch die Schere und drehte sie langsam von links nach rechts. Dann entdeckte ich Bewegung. Per Funk kam der Hinweis auf Infanterie, vermutlich Pioniere, die das Flusstal auf Minen prüften, sich dann wieder zurückzogen. Der Fluss selbst war kein Hindernis für die Panzer, da er viel zu flach war und ein stabiles Schotterbett besaß. Dann rollten die ersten Sherman langsam über einen vorgelagerten Hügel.
»Schneider, wie breit ist ein Sherman?«
»Zwei Meter zweiundsechzig breit und zwei Meter vierundsiebzig hoch.«
»Sehr gut.«
Der Befehl kam, die Panzer bis in Flussmitte kommen zu lassen, das würde ihre Beweglichkeit stark einschränken. Burgmüller, der in der Ladeschützenposition saß, begann zu schwitzen. Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter.
»Denken Sie nur an ihre Aufgabe.«
Dann geschah es.

Durch die Wolkendecke brachen Granaten. Sie zogen wirbelnde Wolkenfetzen nach sich und schlugen auf der anderen Seite des Flusses ein, mitten auf den Abhang, über den die Kanadier dem Fluss zusteuerten. Es rauschte und orgelte in tiefen Tönen und mächtige Explosionen wirbelten Panzer, Infanterie und italienische Erde durcheinander. Im Nu war die gesamte Angriffslinie in Panik. Die Sherman zeigten uns ihre Oberseite. Wenn das nicht der Moment war, auf den wir warteten.
»Schneider, nehmen Sie das Visier 1000, Entfernung 1750 Meter, zielen Sie 1 Strich vorhaltend. Burgmüller, laden Sie Vierziger.«
Es knackte kurz im Funk.
»Meine Herren, Major Schramm hier, die Götter kommen uns zu Hilfe. Nutzen wir die Panik und geben ihnen den Rest. Feuer frei.«

Burgmüller und Schneider funktionierten wie am Schnürchen. Ich musste bei den stehenden Sherman kaum nachkorrigieren, nur diejenigen, die sich an unser Flussufer retten wollten und deren Geschwindigkeit mit einberechnet werden musste, erforderte mein Eingreifen. Wir schossen sie regelrecht zusammen. Kein einziger der Panzer kam heil aus der Sache heraus. Eine Stunde später war alles vorbei und wie auf ein geheimes Zeichen, begann es zu regnen. Alle Anspannung fiel von uns ab, Schneider und Burgmüller jubelten, klopften sich auf die Schultern, ich legte den Bordfunk beiseite, kletterte aus dem Luk, sprang auf den Grubenboden, lehnte mich an die Holzbohlen und schloss meine Augen. Das Jauchzen meiner Besatzung vernahm ich nur noch aus der Ferne, wie durch eine rauschende Wasserwand, als stünde ich hinter einem Wasserfall, der alles verschleierte. Meine Atmung ging wie wild, mein Herz hämmerte. Eine Panikattacke? Angst? Hände klopften auf meine Unterarme.

»Herr Leutnant?! Hallo?! Geht es Ihnen nicht gut?«
Mühsam riss ich mich zusammen und schaute in diese jungen Augen.
»Toll, unsere Artillerie hat sie platt gemacht.«
»Nein, Burgmüller, das war nicht unsere Artillerie. So große Geschütze haben wir nicht.«
Sie sahen mich erstaunt an.
»Nicht unsere Artillerie?«
»Haben Sie die Geschoßbahnen nicht gesehen? Durch die Wolken?«
»Nein …«
»Das war freundliches Feuer, ihre eigenen Leute. Eine falsche Angabe oder etwas falsch verstanden, das Feuer liegt zu kurz, und schon trifft es die eigenen.«
In ihren Augen entdeckte ich diese jugendliche Ungläubigkeit.
»Mein Gott …«, entfuhr es Burgmüller.
»Ja, Burgmüller, die Götter, die erlauben sich manchmal Späße, nicht wahr? Da unten liegen zwei Abteilungen Sherman, einhundertzwanzig Panzer, samt Mannschaften, verbrannt, zerteilt oder noch halb lebendig in ihren metallenen Särgen, dazwischen die Infanterie, die gar nicht mehr wusste, wohin sie rennen sollte. Die Götter, Burgmüller, die Götter …«

Ich stieß mich von den Bohlen ab und ging Richtung Befehlsunterstand. Unterwegs begegnete ich einer Kompanie Gebirgsjäger, die sich auf den Weg ins Tal machte. Franz saß vor seinem Unterstand und trank gerade einen tiefen Schluck aus einer Ramazotti-Flasche. Ich ging zu ihm. Durch einige Wolkenlücken trafen uns Sonnenstrahlen, helle Flecken auf dem Lehm. Die Ränder der Wolkenlücken sahen aus wie glühende Watte. Es würde nicht mehr lange gutgehen mit uns. Den Fenriswolf verlangte es nach dem letzten Blut, nach unserem Blut.

 
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Mahlzeit!

Dies ist eine der Fortsetzungen von Winterstarre. Da es bei solchen Geschichten, die im 2. WK spielen, immer Menschen gibt, die ein Zuwenig an Schuld anmahnen, und welche, die ein Zuviel beklagen, weise ich ausdrücklich darauf hin, dass mir diese Geschichten von meinem Opa erzählt wurden, als ich noch ziemlich klein war. Da er sie mir über viele Jahre immer und immer wieder herunter predigte, prägten sie sich eben ein. Ich war im Alter von 5 - 8, als das aus ihm herausbrach, auf unzähligen Schwarzwaldwanderungen.

Damals hatte ich keine Ahnung von Schuld oder Unschuld. Der Zweite Weltkrieg ist hinlänglich erforscht. Ich gebe also das wieder, was seinen Worten nach passierte. Ich weiß, dass er sich schuldig fühlte. Uns Spätergeborenen trifft keine Schuld am Krieg. Aber uns kann die Schuld treffen, daraus nichts gelernt oder nicht die richtigen Schlüsse gezogen zu haben. Im Übrgen scheint diese Schuld jede Generation aufs Neue zu treffen.

Zu den Begriffen:
Ich warte mal ab, was Euch an Begriffen auffällt ...

 

Nabend flammbert,

also es sind einzelne Punkte seiner Erzählungen.
1. Er wurde verschüttet, als sie den Auftrag hatten, sich überrollen zu lassen, um Haftminen unter den Panzern anzubringen.
2. Er war im Lazarett, Sauerstoffmangel.
3. Sie haben die Panzer eingegraben aus Spritmangel.
4. Italiener wurden zwangsverpflichtet und man hat ihren "Verrat" bestraft.
5. Freundliches Feuer auf der Gegenseite.
6. Technikkram, den er immer wieder brachte, also "Fremdwörter" aus der Panzerschule, von dem ich viel weg gelassen habe, weil das nicht wirklich interessiert.

Jetzt recherchiere ich die Truppenbewegungen aus Fachbüchern, habe Infomaterial von der Wehrmachtauskunftstelle in Berlin über ihn und setze so das Bild zusammen.

Der Teil hier spielt ja im Frühjahr 44 in Italien. Seine Division hat sich zwischen Bologna und den Alpen 45 ergeben. 43 wurde er nach Italien versetzt, als die Alliierten auf Sizilien und bei Salerno landeten. Es kommen also noch einige Geschichten, auch aus Russland.

In seiner Mannschaft gab es diesen Dänen wirklich, ebenso diesen Bayer, den Biegel Franz, wie er hier heißt. Den Satz werde ich Richtung Deiner Formulierung mal umbauen. Die Sprache allgemein aus damaliger Zeit ist schwierig. Muss man viel lesen aus der Zeit, um es so klingen zu lassen.

Meinen Dank an Dich für die Lesezeit.

Gruß
Morphin

 
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Kurz nur ließ der Tod uns eine Nachricht zukommen, wie ein Blatt, das vom Wind durch ein offenes Fenster herein geweht wird, man aber nicht zu fassen bekommt.

"Ab jetzt würde ich nie mehr irgend jemanden in meinem Leben um Vergebung bitten können", schloss ich im Anschluss an Deine „Winterstarre“,

lieber Morphin,

nicht ahnend, das die Geschichte fortgesetzt würde.

Da war mit einem Mal der klare Gedanke, nicht mehr herauszukommen. Ich überließ den Krieg sich selbst, drückte das infernalische Getöse weit weg, in eine dunkle Ecke, und dachte an meine Schuljahre in Nürnberg, meinen Deutschlehrer. Der Gedanke an Dangson und seinen Faible für Wagner zog diesen Lehrer aus dem Wust meiner Erinnerungen hervor. Wagner, sagte er, Wagner, das ist der Jugend kein Begriff mehr. Aber ihr werdet noch daran denken. Ihr werdet bitter büßen dafür, ihn vergessen zu haben.
Im ersten Satz des Zitates schimmert so etwas wie die Passage gegen Ende des Nibelungenliedes durch, als die in der Herberge (im „Saal“) von Etzels Burg sich verteidigenden Burgunden (als die Besitzer des Hortes werden sie Nibelungen genannt und Hagen wusste von allem Anfang an um das "Schicksal" des Heerzuges) die Oberhand zu gewinnen scheinen und Kriemhild befiehlt, den Saal zu verschließen und hernach abzufackeln. In dem Durcheinander (aus Leichenbergen und Verwundeten) befiehlt Hagen den Überlebenden, Durst und Flammen mit dem Blut der Toten zu löschen …

Trivialitäten (in der Reihenfolge ihres ersten Auftritts):

Es war kurz vor Fünf.
Immer klein, da eigentlich „fünf [Uhr]“
Ab und zu Flüchtigkeiten
Ein[…] Schweigen wuchs zwischen uns heran, …

Dangson war kein Freund, noch nicht mal mehr ein Kamerad.
Feiner Unterschied, auf den Sebastian Haffner schon in seinen autobiografischen Schriften hingewiesen hat. Freundschaft ist immer frei, während der Kamerad der ist, mit dem man das Zimmer (die Kammer) teilt – i. d. R. unfreiwillig.

Der Glanz in seinen Augen flackerte, mit der Hand zog er einen Zettel aus einer Tasche seiner Feldjacke, dann versickerte sein Leben zwischen dem Dreck.
Die Inflation „ … seinen … einen … einer … seiner … sein …“ ließe sich reduzieren -
das nicht der Prot gemeint ist, sondern D. wissen wir schon beim Glanz der Augen und wessen Feldjacke wird er getragen haben, wenn nicht seine eigene? Vllt. besser
Der Glanz in [den] Augen flackerte, mit der Hand zog er einen Zettel aus einer Tasche [der] Feldjacke, dann versickerte sein Leben zwischen dem Dreck.

… nahm den Stahlhelm ab …
Erinnert mich, wohlwissend, dass dergleichen niemand auf dem, aber doch mancher im Kopf trägt, an den Bund der Frontsoldaten von 1918, der nicht erst mit der Harzburger Front sein unrühmliches Ende fand.
Genügte nicht „Helm“, der ja nicht mehr aus Leder sein wird?

Versuchen sie erst einen Finger durchzubohren, dann die Hand, den Arm, geben sie Zeichen mit der Hand, aber rufen sie nicht, denn das verbraucht zu viel Sauerstoff.
Vllt. hier die Höflichkeitsform „Sie“?

Besser mit Komma:

Meine Hand[,] das einzig sichtbare Zeichen von Leben unter einem klaren Sternenhimmel?
Oder noch besser mit Gedankenstrich …

Er war am Leben.
Nenn ich politisch unkorrekt, wie ich halt bin, German Gerundium – warum nicht einfach „er lebte“?

Komma

Mein Geruchssinn setzte ein[,] als ich meine Augen öffnete, das …
Im Gegensatz beim Vergleich mit als
…, aber lieber einen lebenden Dachschaden[…] als einen toten Hannes.«
…, und schneller verheizt[…] als ein schlechtes Stück Brennholz.

Gott noch eins, bin ich froh[, S]ie zu sehen!

»Setzen ie sich, kommt, setzt [E]uch, verdammt! Wir duzen uns jetzt, …

(die anschließende Einschränkung
… wenn kein anderer dabei ist, oder?«
belegt, dass es bei der Höflichkeitsformel trotz des vertraulicheren Du' bleiben wird ...

Eine letzte Flüchtigkeit

Mit Pflock und Richtschnur verma[ß] einer der beiden immer wieder die Eckpunkte.

Diesmal zum Schluss ein uraltes Zitat:

„da hat daz mære ein ende diz ist der Nibelvnge not“,​

das auch als „lit“ mal endet (Handschrift C).

Gruß

Friedel,
der sich wahrscheinlich noch mal meldet.

 

Nabend Friedrichard,

vielen Dank für Deine Mühe. Habe so weit alles aktualisiert. Das mit dem "Stahlhelm" ist gewollt, denn das Wort "Stahlhelm" ist auch in andere Sprachen übergegangen. Seit dem WK2 weiß die halbe Welt, was gemeint ist. So ähnlich wie "Kindergarden" oder "Rucksack".

Die anderen Teile folgen auch noch, hab nur vergessen, den ersten Teil als "Serie" zu markieren. Im Nachhinein geht das nicht mehr. Aber momentan liegt so viel auf Halde, auch noch aus vergangenen Jahren, da muss ich mich erst sortieren.

Gruß
Morphin

 

„...
Wie ich der Liebe abgesagt,
Alles was lebt
soll ihr entsagen!
Mit Golde gekirrt,
nach Gold nur sollt ihr noch gieren!
…"

Wagner, sagte er [der Deutschlehrer], Wagner, das ist der Jugend kein Begriff mehr. Aber ihr werdet noch daran denken. Ihr werdet bitter büßen dafür, ihn vergessen zu haben.
Diese Prophezeiung sollte sich bitter erfüllen, wie alle wissen sollten, nicht nur wir,

lieber Morphin,

indem ein Wagner-Verehrer aus einer gänzlich anderen Ecke die linke Gesellschafts- und Staatskritik Wagners total umdeutet zu einer rechten Weltanschauung, die insofern gar als konservativ bezeichnet werden kann, da sie das Wirtschaftssystem unangetastet lässt. Hitler missbraucht den Mythos Bayreuth zur Freisetzung kämpferischer Kräfte. Der nordische Mythos wird als bewegte Bilder erst im Bau der Autobahnen und schließlich in Feldzügen in Szene gesetzt, selbst im unbeweglichen Schützengraben, muss aber immer wieder durch Gewaltausbrüche erhärtet werden, wobei „verfolgungswürdige“ Minderheiten als „Schwarzalben“ herhalten müssen, den Kampfeswillen der Mehrheit wach zu halten. Erstaunlich diese Wandlung Wagners, wenn man bedenkt, dass inzwischen etwa das Rheingold (das einleitende Zitat spricht darin Alberich) als eine Kritik des Kapitalismus aufgefasst wird.

Schon das Deutsche Wörterbuch v. J. und W. Grimm [Bd. 8, Sp. 1157 f.] weist genauer als heute der Duden [Bd. 7, S. 284] die Lehensübersetzung seit 1772 (!) als fehlerhaft nach – als Zusammenführung des altnordischen / -isländischen ragna rökkr (Götter Verfinsterung) und ragna rök (Götter Schicksal). Dazu muss man wissen, dass die Alten eine zyklische Welt sich vorstellten und keine lineare, welche die Vorfahren von uns Heutigen mit Einführung des Christentums und einer gewissen Fortschrittsgläubigkeit uns aneigneten. Dieser zyklischen Auffassung entspricht der Kreislauf der Jahreszeiten, wo nicht nur im nordischen Mythos das Alte dem Neuen Platz machen muss (im Kleinen wird Baldr ermordet, um im Frühling wieder aufzuerstehn. Die ägyptische Variante läuft uns jedes Jahr mit der Wintersonnenwende selbst in Kaufhäusern übern Weg, wenn Isis, die Gattin des Osiris mit ihrem Kinde Horus uns als Madonna den Weg kreuzt.

„Über eines Heidentempels
halbversunknem Steingebild
brütete der junge Frühling,
hatte, was da unten, wild
aus der Götterdämmrung Abgrund
noch die Menschenseele schreckt,
heiter mit unschuld'gen Blumen
und mit Reben überdeckt.“
Eichendorff​

Überm Basteln an dieser kleine Notiz,

lieber Morphin,

fiel mir endlich auf, was mir doch ein ganz klein' bissken fehlt an diesen zwei Kapiteln (Winterstarre dazugenommen) individueller Kriegsgeschichte, obwohl sie - würd ich sonst so hartnäckig dabei bleiben? – gut erzählt sind. Erst in Deinen Antworten schimmert es durch: Es ist an sich die Vergangenheitsbewältigung des Großvaters, die ein Icherzähler vielleicht gar nicht leisten kann, wenn der Text ungebrochen herüberkommt.

Natürlich kann man Humor und Ironie über solchem Geschehen verlieren, vielleicht fürchtet man sogar, die Ernsthaftigkeit der Erzählung zu verlieren oder sarkastisch zu werden. Aber dem Großvater wird doch nach ca. 20 Jahren und mehr der Humor, Ironie und Selbstironie doch wiedergekommen sein, wenn ihm denn das Lachen überhaupt abhanden gekommen sein sollte. Erst recht gilts Dir als dem Nach-Erzähler – noch mal geschätzt 50 Jahre später. Dadurch werden die Geschichten keineswegs zum Witz (da wären sie schon viel zu lang für). Ohne den Text großartig zu verändern, könnte dies über zwei Dinge geschehen, eine Rahmenhandlung und die Einführung einer weiteren Person in der Rahmenhandlung: Den Enkel. Die Rahmenhandlung wäre dann, wie der Großvater (nun tatsächlich der Icherzähler) dem Enkel seine Kriegserlebnisse erzählt. Da darf er auch mal stocken, stolpern, ja sogar sich verheddern. Und die Geradlinigkeit würde gelegentlich durchbrochen …

Und es hätte die Struktur der ganz frühen Epen: Es würde als mündlich weitergegebene Erzählung auch jedermann ersichtlich.

Gruß und (vorsorglich) ein schönes Wochenende vom

Friedel
So viel oder wenig für heute vom
Friedel
* Alberich in Rheingold

 

Mahlzeit Friedrichard,

Du hast es sozusagen intuitiv erfasst. Es gibt ihn tatsächlich, den Rahmen, den Enkel. Das Ganze entsteht gerade in der Romanform. Es ist die ganz frühe Kindheit des Enkels, seine ersten 8 Jahre, als dies und das passierte, der Opa unter anderem täglich mit ihm spazieren ging und dabei erzählte und auch stockte und weinte und grinste und so weiter.

Diese beiden Geschichten sind sozusagen komprimierte Auszüge aus der ganzen Erzählung. Natürlich gehört dazu auch die BRD in den 60ern, Kindergarten, Schule. Du hast es quasi "gespürt".

Das freut mich ja.

Grüße
Morphin

 

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