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Der Ring des Grafen

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05.01.2015
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Der Ring des Grafen

Jonathan, Akt I​

Was war es in den letzten Tagen kalt geworden!
Dieses Jahr ließ der Winter nichts anbrennen und entschloss sich, einen Monat früher als üblich zuzuschlagen. Schneidende Winde peitschten die ersten Schneefälle nach Courthaven, die zuerst als Graupel an die Fenster klopften und sich schließlich in feine Schneekristalle verwandelten.
»Da sieht man mal wieder, dass die Regulation nicht an den kleinen Mann denkt!«, schimpfte ein glatzköpfiger Ladenbesitzer, der die fallenden Flocken vom Eingang seines Geschäfts aus beobachtete. »Wie können die es zulassen, dass der Winter so früh anfängt? Haben die bei der Antragsstelle gepfuscht?«
»Ich glaube, du verstehst nicht ganz wie die Jahreszeiten funktionieren«, entgegnete der müde aussehende Bäcker von nebenan, der zum Rauchen sein Geschäft verlassen hatte. »Zu Beginn eines neuen Jahres bekommen die ihre Arbeitsmonate zugeteilt; da wird nichts beantragt. Letztes Jahr hat man dem Sommer mehr Zeit zugesprochen und diesmal ist eben der Winter dran.«
Jonathan Voltaire saß zwischen den beiden Herrschaften und lauschte der Diskussion von seinem gemütlichen Felldeckchen aus, dass zwar fürchterlich stank, aber in den eisigen Nächten Wärme spendete. Auf seinem Schoß ruhte eine Dose ohne Etikett, die er vorbei gehenden Passanten vor die Nase hielt; vor den Elementen schützten ihn ein alter Kapuzenpullover und ein abgetragener Stoffmantel voller Löcher, den er beim Bankett der Mottendelegation - einem Zusammenschluss von Rollenspielern, die ihre Darstellung von Kleinschmetterlingen viel zu ernst nahmen - vom Buffet geklaut hatte.
Eure Probleme hätte ich gerne, dachte er, als er wieder mal von einem passierenden Mann ignoriert und weg gedacht wurde. Ihr steht in euren überheizten Läden, umringt euch mit Essen und beschwert euch darüber, dass ihr Morgens ein bisschen Schnee schieben müsst, bevor ihr mit dem Tagesgeschäft anfangt.
»Weißt du, was mich wirklich am frühen Wintereinbruch stört?«, fragte der Bäcker.
»Was denn?«, wollte sein Kollege wissen, von dem Johnny nicht wusste, was er genau verkaufte. In seinem Schaufenster stand hiervon Etwas und davon Etwas, der Junge war sich sicher, dass das Geschäft „Unnützer und zusammengeklauter Plunder“ hieß.
»Morgen Früh werden wir ein bisschen Schnee schieben müssen, bevor wir mit dem Tagesgeschäft anfangen.«
Der Irgendwelches-Zeug-Verkäufer seufzte. »Unvorstellbar. So schwer wie wir hat es sonst keiner. Der kleine Mann zieht immer die Arschkarte!«
Ungläubig sah Johnny zwischen den beiden Herren hin und her. Ja, nee. Ist schon klar, ihr zwei Pappnasen. Warum fallt ihr euch nicht gleich in die Arme und knutscht rum?, dachte er und schluckte den Gedanken, der ihm beinahe als gesprochenes Wort aus dem Mund gekrochen wäre. Seit sein Vater ihn mit zwölf Jahren vor die Tür gesetzt hatte, hatte sich Johnny alleine durchgeschlagen und bisher drei Winter auf der Straße überlebt; der vierte schien der bisher schlimmste zu werden. Man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass ein weiterer Monat Eiseskälte für einen Straßenjungen nichts Gutes versprach und ein bisschen Schnee eines der geringeren Übel war. Ich brauche Geld, dachte er und klapperte mit der Dose, in der lediglich ein paar Coronets vor sich hin klimperten. Geld, neue Kleidung und was zu Essen.
Klink, klink, klink. Ein fülliger Mann mit einem hohen Zylinder warf eine Hand voll Münzen in seine Dose. Verblüfft sah Jonathan zu ihm auf. Das hier war Courthaven! Nach Upper Downhaven galt die Tochterstadt von Musical Dumpster als die geizigste Bande, die man sich nur vorstellen konnte. Metaphorisch gesehen waren die Einwohner rote Drachen, die auf ihrem riesigen Goldhaufen hockten und jedem Feuer entgegenspuckten, der zu intensiv an eine Münze dachte. Johnny wollte überhaupt nicht hier bleiben, doch die kräftigen Schneefälle hatten eine Weiterreise unmöglich gemacht. So sah er sich gezwungen, für ein paar Tage in Courthaven zu lagern.
»Danke«, sagte er perplex, sah zuerst in seine Dose und dann zu seinem Spender.
»Dafür musst du mir nicht danken, junger Mann«, antwortete der ältere Herr, der mit seinem breiten und farblich zum Niederschlag passenden Schnauzbart wackelte. »Ich wollte meinem Enkel nur zeigen, dass eine kleine Spende die Seele reinwäscht.«
»Pffffffrrrrrt«, zischte ein Ballon, der sich bei näherer Betrachtung als der eben erwähnte Enkel offenbarte. Das Kind war kugelrund, hatte eine knallrote Nase und aufgedunsene Wangen, die seine Augen komplett von der Außenwelt abschotteten. Es trug einen Matrosenanzug und wurde von zwei Dienern die Straße entlang gerollt.
»Jetzt komm, Mortimer. Wir haben irgendeinem Penner etwas Geld gegeben und uns somit die Absolution erkauft. Erstehen wir ein Geschäft und brennen es nieder, denn jetzt geht das in Ordnung!« Der Mann klopfte dreimal mit seinem Gehstock auf den Boden und wollte sich auf den Weg machen, da sein Enkel bereits voller Vorfreude durch die Einkaufsstraße kullerte und an den Wänden abprallte, doch Johnny zupfte dem netten Spender am Arm.
»Wartet!«, rief er und griff sich die Hand des Mannes, die er überschwänglich schüttelte. »Danke. Danke, danke, danke.«
»Ich sagte bereits, dass du mir nicht danken musst«, antwortete der Alte, der auf das Händeschütteln angewidert reagierte und zurückwich. Er wischte sich die Hände an seinem Gehrock sauber und schritt im Schwebegang davon.
»So ein nettes Kerlchen«, schwärmte Johnny und warf einen Blick in seine Dose. »Das sind doch bestimmt fünf Crowns. Damit kann ich mir eine Kleinigkeit zu Essen kaufen.« Bling machte es, als er den Ring in die Dose fallen ließ, den er dem netten Herrn vom Finger gezogen hatte. »Und der dürfte mir beim Pfandleiher eine ganze Stange Geld bringen.«
Wenn man auf der Straße überleben wollte, musste man die Idee des Gutmenschen schnellstens ablegen. Jonathan hatte das rasch gelernt. Den meisten Leuten war es völlig gleich, wer da in der Gosse lag und vor sich hin klapperte - es war einfacher, nicht hinzusehen und sich die Ohren zuzuhalten. Die wenigsten erklärten sich bereit, einem Straßenjungen Arbeit anzubieten, die nicht absolut entwürdigend war und noch weniger Menschen waren vom Schicksal eines Obdachlosen so berührt, dass sie sich seines Schicksals annahmen.
Oft hatte Jonathan daran gedacht, Zeitungsartikel zu veröffentlichen, in denen stand wie traurig er war und wie schlecht es ihm ging und das ganze Ding mit Bildern zuzupflastern, auf dem er mit nassen Augen und einer leeren Suppenschüssel posierte, denn auf so was fuhren die Leute ab. Leider fehlten ihm die Fertigkeiten dazu und er bedauerte es jedes mal aufs neue, wenn er die Schafe in feinen Anzügen reagieren sah, nachdem irgendeine dubiose Lampenfirma plötzlich Spenden für die Kriegsopfer im Sandland sammelte, obwohl es da seit 30 Jahren keinen Krieg mehr gegeben hatte.
»In irgendeinem Land geht es irgendwelchen Menschen schlecht!«, riefen sie. »Lasst uns eine große Spendenaktion für diese unbekannte Firma veranstalten, die keine Sau kennt, aber die diesen traurigen und mitreißenden Bericht verfasst hat! Wir können uns ganz sicher sein, dass das eingenommene Geld da ankommt, wo es gebraucht wird; schließlich haben sie Fotos von traurigen Kindern! Und jetzt schiebt den widerlichen Penner beiseite, der das Bild unserer schönen Stadt beschmutzt und den man einschläfern sollte, denn er steht unserem Spendenmarsch im Weg!«
Von dieser Scheinheiligkeit hatte Jonathan die Nase gestrichen voll. Wenn sie mir nicht helfen wollen, helfe ich ihnen dabei, mir zu helfen, dachte er. Eine Tasche war einfacher auszuräumen, wenn der Bestohlene angestrengt in die andere Richtung sah, um den traurigen Augen eines Straßenjungen auszuweichen.
In den letzten vier Jahren war er richtig gut darin geworden, den Leuten beim Helfen zu helfen.

Graf Wilson, Akt II​

Wilhelm Wilson saß in seinem komfortablem Bürosessel, lehnte auf seinem Schreibtisch und besah die nackte Hautfläche, an der sich wenige Stunden zuvor der Verlobungsring seiner verblichenen Frau Emily befunden hatte. Der fehlende Druck des zu engen Goldschmucks fühlte sich seltsam an, als ob er oberkörperfrei in einen kalten Regenschauer rannte. Er strich mit den Fingern über die bleiche Hautstelle und dachte nach.
Wann ist das passiert? Ich war mit meinem Enkel Mortimer in der Stadt, um ihm zum Geburtstag ein Geschäft zu kaufen und habe mit niemanden, außer diesem heruntergekommenem Straßenjungen gesprochen. Hat er etwas damit zu tun? Sicherlich nicht. Er hatte Mühe, die Dose festzuhalten und war vor Freude betrunken, als ich ihm die fünf Crowns gegeben habe.
Es ergab überhaupt keinen Sinn. Sein ganzes Leben lang war Willy - so durften ihn nur seine Freunde nennen - ein Raubtier. Er war immer auf der Pirsch und seiner Konkurrenz einen Schritt voraus. In Upper Downhaven bezeichneten ihn sogar die Skrupellosen als skrupellos. Nichts und niemand war seinen perfiden Geschäftstaktiken gewachsen; unter ihm kollabierten die kleinen Einzelhändler und über ihm zitterten die Großkonzerne vor dem Tag, an dem das wilde Tier durch den Fußboden brechen würde, um sie zu verschlingen.
Ein Jäger lässt sich nicht jagen, dachte er, Dafür sind seine Sinne zu scharf. Hatte er sich über all die Jahre hinweg geirrt? Waren ihm die Schatten seienr Konkurrenz entgangen, die ihm auf Schritt und Tritt folgten und ohne sein Wissen von ihm lernten? Auch der König der Tiere wurde nachlässig, wenn es niemanden zu fürchten gab, man den ganzen Tag auf der steinernen Anhöhe seiner Savanne lag und sich mit den abgenagten Knochen seiner Untergebenen umgab. Schlossen sich alle verbliebenen Konkurrenten zusammen, um ihn mit gezielten Nadelstichen in den Wahnsinn zu treiben, weil er sich einen Tag zu lang auf seinem hohen Felsen ausgeruht hatte?
»Das ist doch albern!«, rief er in den finsteren und stillen Raum, in dem ein knisterndes Kaminfeuer verzweifelt versuchte, denselben Takt wie die Standuhr anzuschlagen. Willy aktivierte das Metronom auf seinem Schreibtisch, um es den Flammen einfacher zu machen. »Niemand stiehlt von Graf Wilhelm Wilson. Quincy!«
Durch die Tür trat ein nach vorne gebeugter Mann in seinen späten Siebzigern. Haare waren ihm keine geblieben, wenn man die, die aus den zahlreichen Leberflecken auf seiner Glatze wuchsen, nicht mitzählte. Er hatte eine lange Nase und die Haut an seinen Wangen wurde von der Schwerkraft zielstrebig gen Boden gezogen. Seine buschigen Augenbrauen ähnelten einem schlecht verschnittenem Busch und wucherten über die kleinen, milchig blauen Augen. Er trug ein großes Silbertablett, auf dem eine Teetasse stand, in der er mit einem Löffel herumrührte.
»Der Ring meiner Frau ist verschwunden«, sagte Wilhelm, nahm seinem Diener die Teetasse ab und trank einen Schluck, als er durch das raumhohe Fenster auf die verschneiten Straßen Courthavens blickte. Der ortsansässige Winterdienst war mit den Schneemassen völlig überfordert und schaufelte gegen die vom Himmel gleitenden Eiskristalle an, die sich ohne Skrupel und Rücksicht auf Verluste auf den freigeschaufelten Stellen niederließen.
»Ein Dieb, Graf Wilson?«, fragte der treue Quincy, der bereits hier gearbeitet hatte, als Willys Vater das Haus erstand. Willy erinnerte sich an einen fröhlichen Mann, der ihn nach der Schule immer mit einem Plätzchen begrüßte und musterte sein gealtertes Ebenbild, dass immer noch, Tag für Tag, mit einem Keks an der Tür auf ihn wartete, wenn er aus dem Büro nach Hause kam.
»Ausgeschlossen«, sagte Wilhelm und schüttelte mit dem Kopf. »Meine Konkurrenz fürchtet mich und Diebe wissen, was ihnen blüht, wenn sie von Wilhelm Wilson stehlen! Es gibt nur eine einzige logische Erklärung für das Verschwinden meines Rings.«
Wilhelm drehte sich zu seinem Diener um, der mit Mühe seinen Kopf anhob, damit er seinen Meister in die Augen schauen konnte.
»Ihr meint doch nicht etwa ...« Quincy brach mitten im Satz ab.
»Doch, alter Freund.« Wilhelm nickte, stellte die Tasse auf dem Fensterbrett ab und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Seine Gedanken verloren sich in den Erinnerungen an seine verstorbene Frau. Er sah, wie sie ihn anlächelte, hatte ihren Geruch in der Nase und dachte an ihr herzliches Lachen, das diese tristen Räumlichkeiten immer mit Freude erfüllt hatte. Er hasste diesen Gestank, den Krach den sie veranstaltete, wenn sie beim kleinsten Witz viel zu laut lachte und ihr debiles Gegrinse. »Der Geist meiner toten Frau ist zurück gekehrt, um sich ihren Verlobungsring zu holen, den ich ihr am Tag ihrer Beerdigung vom Finger gezogen habe.«
Quincy fiel vor Schreck das Tablett aus den knochigen Händen. »Oh Gott.«
»Sag den Männer Bescheid«, befahl Wilhelm, »Wir gehen auf Geisterjagd!«

Jonathan, Akt III​

Der Dieb verließ die Fleischerei Jacobs mit einem vollen Beutel, vollem Magen und unverschämt guter Laune. Er leckte sich die Finger ab und steckte sich eine Bratwurst wie eine Zigarre zwischen die Zähne. Momentan interessierten ihn weder die fallenden Schneeflocken, noch die unverschämt hohe Wachpräsenz, die zur späten Abendstunde die schlecht gepflegten Straßen absperrte.
Für fünf Crowns konnte man in Courthaven große Mengen Wurst, Fleisch und sonstigen Krimskrams kaufen und der Gedanke an den fetten Umsatz, den der Ring ihn bringen würde, erfüllte seinen mit Linseneintopf vollgestopften Bauch mit Freude. So musste das immer laufen!
Jonathan malte sich aus, was er alles mit dem Geld anstellen würde und schlitterte über den Fußweg, als wäre er auf Schlittschuhen unterwegs. Zuerst nehme ich mir ein Zimmer in Innton, dann lasse ich den Zimmerservice kommen und mir den ganzen Raum mit Fleisch, Wein, und Süßigkeiten voll stellen. Danach fresse und trinke ich solange, bis ich platze!
Rums machte es, als er mit einem großen Mann kollidierte, der mitten auf dem Gehweg stand und den er während seiner Fantasterei übersah. Der Mann mit der runden Melone und dem roten, fein gezwirbelten Schnauzbart war einer von vielen, die sich auf der Straße eingefunden hatten und wild durcheinander riefen. Jonathan verstand kein Wort, doch offensichtlich waren alle aus irgendeinem Grund aufgebracht. Auf einem notdürftig zusammengezimmerten Podest aus Holzkisten und Farbeimern stand ein Offizier der Stadtwache - das erkannte Jonathan an der hellblauen Uniform und dem hohen Pelzhut - und rief etwas in ein Megaphon.
»Beruhigt euch, Bürger von Courthaven!«, gellte er mit glockenheller Stimme, die überhaupt nicht zu seiner kräftigen Statur passte. »Wir wissen, dass euch die Sirene beunruhigt, die seit zwei Minuten durchgehend durch die Gassen lärmt!« Jetzt wo er es sagte, hörte Jonathan es auch. »Ich fürchte, wir müssen Geisteralarm ausrufen!«
»Geisteralarm?«, rief eine Mutter, die ihre Tochter fest an der Hand hielt. »Den hatten wir bestimmt seit zwei Wochen nicht mehr!«
»Diese ektoplasmatischen Störenfriede lernen es wohl nie!«, rief ein anderer, »Wir müssen unsere Häuser räumen und zu heruntergekommenen Drecksbuden verkommen lassen, damit die einen Platz zum wohnen haben und dann tauchen sie trotzdem in den Wohnungen von braven Bürgern auf, um die Bilder umzuhängen, grauenhafte Botschaften des Terrors an die Wände zu schreiben und mit den Lampen zu wackeln. Das sind doch keine Zustände mehr!«
»Wir alle sind beunruhigt!«, rief der Wächter und machte eine beschwichtigende Geste mit der Hand. »Die Koalition für Geisterangelegenheiten ermittelt bereits im vorliegenden Fall und wird diese Sache so schnell wie möglich klären.«
Der Soldat zeigte auf vier Männer, die hinter ihm barfuß durch den Schnee tanzten und sich um die eigene Achse drehten. Sie trugen Nachthemden und Hüte aus Silberpapier, während sie hektisch mit den Armen in der Luft herum ruderten und »Hui, ui, ui, ui, ui« riefen. Die Menschen im Mob schwiegen und sahen den Männern bei der Arbeit zu. Einer von ihnen begann im Kreis zu laufen und hielt seine Hände so, als würde er mit einem Fahrzeug durch die Straßen tuckern, rief die ganze Zeit »Tuut, tuut, tuut« und presste im Anschluss Luft durch die geschlossenen Lippen.
Ohrenbetäubender Jubel brach aus und Hüte wurden in die Luft geworfen.
»Geistertruppe! Geistertruppe! Geistertruppe!«, riefen die Menschen als Einheit, fassten sich an den Händen und stimmten ein Lied an.
Jonathan blinzelte irritiert. Er kam schnell zum Entschluss, dass er keinen der anwesenden Bürger nach dem Grund für diesen Unsinn fragen musste, also schob er sich durch die Menschenmenge, raubte und klaubte hier und da ein paar Crowns aus den Taschen der Leute und blieb direkt vor dem Offizier der Stadtwache stehen, der zusammen mit seinen Kollegen alles andere als begeistert aussah. Die armen Wichte hatten eine lange Nacht vor sich.
»Was ist hier los?«, fragte er den Wächter mit den meisten Streifen und den hübschesten Sternchen auf der Uniform.
»Graf Wilson wurde ein Ring gestohlen«, sagte der Soldat. Sein Blick verlangte nach Gin und er roch, als hätten viele Leute diesen Wunsch erkannt. »Er hat Geisteralarm ausgerufen, weil er glaubt, dass seine Frau aus dem Jenseits zurückgekehrt ist.«
»Das klingt völlig plausibel. Stimmt es denn?«
»Wissen wir nicht«, sagte der Mann und zuckte mit den Schultern. »Bei der Antragsstelle für Spuk und Oberweltbesuche sind keine Anträge in diese Richtung eingegangen. Vielleicht hat sie sich durch ein Loch zwischen unseren Universen geschlichen oder einen korrupten Fährmann gefunden, aber das halten wir alle für sehr unwahrscheinlich. Die Gewerkschaft der Knochengestelle in billigen Mänteln ist sehr kleinlich, wenn es um die Akquise neuer Angestellter geht.«
Jonathan nickte und tat so als würde er zuhören. Der erste Satz hatte gereicht, um den Kern des Problems ausfindig zu machen. Geisteralarm am Arsch, dachte er und spielte mit dem Ring, den er in seiner Manteltasche verbarg. Vielleicht sollte ich dem guten Mann einen Besuch abstatten und diese Situation bereinigen, bevor die Menschen anfangen, die Friedhöfe niederzubrennen. Das würde den Zombies nicht gefallen.

Graf Wilson, Akt IV​

Von seinem Fenster aus beobachtete Graf Wilson eine schreiende Meute, die mit Staubsaugern bewaffnet in Richtung Zentralfriedhof eilte. Die Standuhr und der Glockenturm von Courthaven schlugen zur Geisterstunde, was bedeutete, dass die Ausgangssperre für paranormale Entitäten aufgehoben wurde und sie ihrem Tagesgeschäft nachgehen durften. Die Menschen wollten ihnen an staatlich subventionierten Spukhäusern und Gruften auflauern, um sie für die Dauer ihres Freiganges in geisterdichte Säcke einzusperren.
Ich werde es diesen verdammten Geistern zeigen, dachte er und krampfte seine Finger um ein Weinglas. Niemand nimmt Wilhelm Wilson etwas weg. Sogar der Tod hatte tief in die Taschen greifen müssen, als seine Frau das Zeitliche segnete. Der Graf hatte mit der Welt der Toten einen Vertrag ausgehandelt, die die Seelen aller ihm nahe stehenden Verwandten auf ein hübsches Sümmchen versicherten. Wer auch immer gerade in der Buchhaltung der Anderswelt saß, ärgerte sich bestimmt über den bürokratischen Fehler, den sein Vorgänger damals gemacht hatte.
»Feeeeettsaaaaaaack«, flüsterte jemand hinter ihm.
Er fuhr herum und sah sich in seinem abgedunkelten Raum um, doch er entdeckte niemanden.
»Wer ist da?«, fragte er die Leere.
»Ich bin deine Fraaaaau«, antwortete die kratzige Stimme.
»Seit wann hörst du dich an wie ein Junge im Stimmbruch?«, fragte Wilson und sah hinter seinen Sessel. Irgendjemand war bei ihm im Raum; er konnte hören, dass sich jemand durch das Zimmer bewegte. Flink wie eine Katze und still wie der fallende Schnee.
»Das weiß ich doch niiiiicht«, antwortete das Phantom. »Sag duuuuuu‘s mir.«
»Ich lasse mich nicht veralbern!«, rief der Graf und schlug auf den Lichtschalter, der sich neben der Tür befand. Nichts passierte. Die Lampe in seinem Zimmer blieb dunkel.
Klirr! Neben ihm zersplitterte eine Glühbirne an der Wand; Glasscherben flogen dicht an ihm vorbei, und verteilten sich auf seinem Teppich. Eine größere streifte an seinem Gesicht entlang, ohne bleibende Schäden zu verursachen. Willy zuckte zusammen und kauerte instinktiv. Die kleinen Splitter unter seinen Füßen knackten, als sie seinem Gewicht nachgaben und brachen.
»Gib es aaaaaauf«, stöhnte das Phantom. Wilhelm erkannte einen Schatten, der am Vorhang entlang huschte und hinter seinem Sessel verschwand. Die auf dem Kamin stehenden Bilder kippten der Reihe nach um. »Ich möchte meinen Riiiiiiing!«
»Du hast ihn doch bereits!«, antwortete er laut. Seine Stimme brach durch die Anspannung und war plötzlich zwei Oktaven höher.
»Du überlässt ihn mir niiiiiicht. Schickst sogar Leute nach miiiiiir.«
»Ich ... ich rufe sie zurück! Bitte hör auf, Unordnung zu machen und Vokale grundlos in die Länge zu ziehen. Das macht mich wahnsinnig!« Seine Augen wanderten hektisch durch den Raum. Kalter Angstschweiß benetzte seine Stirn und er traute sich kaum, seine Hand zu heben, um ihn abzuwischen.
»Sag mir nicht, wie ich meine Arbeit zu tun haaaaabe«, stöhnte der Geist. »Ich quatsch dir auch nicht in deine Angelegenheiten reeeeeein.«
Plötzlich streifte ihn irgendetwas. Er spürte etwas Körperliches, dass seinen Rücken berührte und hinauf zu seiner Schulter wanderte. Als kalte Finger seinen Nacken kitzelten, stieß er einen weibischen Schrei aus, sprang wie ein Frosch nach vorne und horchte auf, weil sein Körper ein lautes Pröt von sich gab. Eine unangenehme Masse füllte seine Hose und ein stechender Geruch breitete sich im Raum aus.
Schweigen. Wilhelm konnte die Scham in seiner Brust wachsen hören.
»Pf. Pfffft. Pfffpffbfrrt. Bahahahahahaha!« Das Phantom grölte los.
Willy hörte das verhöhnende Gelächter und drehte sich um. Am Boden lag - durch die Bewegungen deutlich zu erkennen - der Straßenjunge vom frühen Abend und hielt sich den Bauch.
»Du«, stellte er fest und nahm eine würdevollere Haltung ein. »Was willst du hier?«
»Ich hab deinen Ring gefunden!«, sagte der Bengel, setzte sich in einem Schneidersitz auf und hielt das durch die Finsternis verschleierte Schmuckstück hoch.
»Gib ihn wieder her!«, rief Willy und streckte eine Hand danach aus.
»Kostet aber.«, antwortete der Straßenjunge und entzog ihm seinen Besitz.
Niemand nimmt etwas von Wilhelm Wilson, ohne dafür zu bezahlen. »Ich habe dir bereits fünf Crowns gegeben! Sieh sie als deinen Finderlohn an und gib mir den Ring wieder! Er ist ein Andenken an meine verstorbene Frau!«
»Tatsächlich?« Der Junge betrachtete den Ring. »Das wird nicht billig, Großer.«
»Du kannst doch nicht einfach ...«
»Angebot und Nachfrage, Herr Graf.« Der Bube grinste frech und schob sein Gesicht nach vorne in den Schein des flackernden Kamins. Er war dreckig und hatte tiefe Augenringe, doch für einen Straßenbengel war er ein ansehnliches Kerlchen. Nicht besonders groß und ziemlich feminin, aber nichtsdestotrotz ein hübscher Kerl mit einem charmant-frechem Grinsen, das den Graf wütend werden ließ.
»Ich werde nicht für mein Eigentum bezahlen!«, schimpfte er und wollte aufstehen, doch der Inhalt seiner Hose machte sich mit seiner lauen Wärme bemerkbar und hinderte ihn daran.
»Besser wärs aber«, sagte der Frechdachs. »Du kannst entweder dafür bezahlen, dir damit dein Eigentum und mein Schweigen erkaufen oder musst die nächsten Tage alle Pfandleiher in der Umgebung abklappern und dir den Ring bei ihnen zurück kaufen. „Bist du der Graf, der sich eingeschissen hat, als man ihm auf die Schulter tippte?“, werden sie fragen und du wirst dir denken, dass es besser gewesen wäre, mir das Geld hier und jetzt zu geben. Du sitzt nämlich gerade schön in der Scheiße.« Der Junge musterte ihn und zog die Mundwinkel rauf. »Wortwörtlich.«
Niemand nimmt etwas von Wilhelm Wilson, ohne dafür zu bezahlen!, dachte er zuerst, doch dann glitten seine Gedanken zu den kommenden Geschäftsessen. Das Gerücht würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten, da jeder wusste, dass Pfandleiher Klatschbasen waren. Er sah sich am Tisch mit zwölf Vertragspartnern sitzen; jeder kannte die Geschichte, dass sah er in ihren Augen, doch niemand sagte etwas. Peinliches Schweigen rundherum und alle starrten angestrengt auf ihre Teller. War es das wert? Immerhin versprach der Bengel, dass er schwieg und viele Möglichkeiten blieben Willy nicht.
»Was möchtest du?«, fragte er gepresst.
Der Junge überlegte. »Als ich herkam, dachte ich an den Marktwert. 350 Crowns. Aber dann hast du dir eingeschissen und die Latte nochmal höher gelegt, weil du mir sagtest, dass es ein Erinnerungsstück ist. Als Geschäftsmann solltest du wissen, dass man nicht versucht, an das Gewissen anderer zu appellieren. Das zeugt von Schwäche und treibt den Preis hoch. 2000.«
Willy schlief das Gesicht ein. Ich habe den Jungen unterschätzt! »Das ist viel zu viel!«
»Für dich steht auch eine Menge auf dem Spiel, Herr Graf.«
»Sobald du hier raus bist, werde ich die Wache rufen!«, drohte Willy. Das sollte den Jungen unter Zugzwang setzen und den Preis drücken.
Blöderweise reagierte der forsche Kerl anders, als Willy erhoffte. Er lachte abfällig. »Ich bitte dich. Weißt du wie lange ich das schon mache?« Er setzte seine Kapuze ab und warf das lange Haar zurück, in dem neben einigen Holzperlen auch Coronetmünzen aus verschiedenen Städten der Landfills eingeflochten waren. »Der Herr Graf hat mich zu sich eingeladen und gesagt, er wollte mir etwas warmes zu Essen geben. Als wir dann bei ihm waren, hat er ... da hat er ... mich angefasst.« Der freche Mistkerl drehte seinen Kopf beschämt zur Seite und schaffte es tatsächlich, eine Träne aus seinen Augen zu pressen.
Wenn er der Stadtwache so gegenüber trat und die Wachen bei ihren Ermittlungen auf die vollen Hosen stießen, gab es richtig Ärger. Willy wollte sich gar nicht vorstellen, was die Stadtwache von ihm denken würde, wenn der kleine Mistkerl seine Geschichte auftischte und alle voller Fassungslosigkeit zu ihm blickten.
»Dich haben die Dämonen geschickt«, sagte Willy. Er war rat- und mittellos. Ein einfacher Straßenjunge zeigte ihm seine Grenzen auf. Das wilde Tier steckte in einem engen Käfig aus morschem Holz und konnte sich wegen mangelnder Bewegungsfreiheit nicht befreien. Es war beschämend.
»Nein, Herr Graf«, sagte der Junge und lächelte spitzbübisch. »Ich bin einfach nur gut in dem, was ich tue. Genau wie du.«
Der Graf schwieg lange. »Einverstanden. 2000. Ich bekomme meinen Ring und niemand erfährt etwas davon«, sagte er schließlich leise und sah auf den Boden. Wilhelm Wilson, geschlagen von einem Dreikäsehoch.
»Versprochen, bei der Ehre unter Banditen«, sagte der Junge grinsend.
Noch nie war es dem Graf so schwer gefallen, einen größeren Betrag Crowns auszuzahlen. Üblicherweise erhielt er im Gegenzug für so eine Summe etwas großes, das ihm entweder mehr Geld brachte oder das ihm für einige Wochen Freude bereitete, aber heute war alles völlig anders.

Jonathan, Akt V​

Der Geisteralarm war aufgehoben und die meisten Menschen gingen zu Bett. Auf den verschneiten Straßen traf Jonathan nur die üblichen Verdächtigen; den Winterdienst, betrunkene Ehemänner, die eine große Runde um das eigene Haus gingen, weil sie entweder Angst vor ihren Frauen oder keine Lust zum Heimgehen hatten, Wächter, die ihre Runden drehten und Halbstarke in Damenbegleitung, die in einem Anflug von Selbstüberschätzung in die Luft sprangen und gegen ein Straßenschild schlugen.
»Hast du das gesehen, Samantha?«, rief ein halbstarker. Seine Wangen glühten vor Aufregung.
»Ohja, echt beeindruckend«, murmelte Johnny, als er sah, dass das junge Mädchen ihrem Helden um den Hals fiel. »Seht nur, wer ich bin. Ich bin ein Vollidiot mit unfertigem Gesicht und einem grässlichem Modegeschmack! Indem ich dieses Schild geschlagen habe, habe ich meinen Status als Alphamännchen untermauert und der Gesellschaft gehörig eins ausgewischt!«
Leider hatte der Jugendliche vergessen, dass Schildklopperei in Courthaven als Verbrechen galt und übersehen, dass sich einige Stadtwachen auf der gegenüberliegenden Straßenseite befanden. Zwei Wächter sprinteten wie Kurzstreckenläufer auf der Flucht über die Straße und warfen sich dem Blondschopf mit gezogenem Gummiknüppel entgegen, als wollten sie eine Kugel für ihn abfangen. Sie rissen ihn mit solcher Wucht von den Beinen, dass sie sich mehrmals überschlugen. Als sie zum Stillstand kamen, prügelten sie mit Gummiknüppeln auf ihn ein, während ein dritter Wächter die Aussage des Straßenschildes aufnahm.
»Ich weiß auch nicht, was passiert ist«, sagte der völlig irritierte Mann im Stoppschildkostüm, der eine Arbeitsmaßnahme in Courthaven absolvierte - diese Art von Arbeit bekam man, wenn man sich als Obdachloser beim Einwohnermeldeamt vorstellte. »Ich stehe hier herum, erledige meine Aufgabe und wie aus dem nichts springt mich dieser Degenerierte an!«
Der Winterdienst schien den Kampf gegen die Schneemassen endgültig zu verlieren. Drei Männer mit Schippen versuchten, einen ihrer Kollegen aus einem aufgehäuften Schneeberg zu ziehen, unter dem er sich irgendwie eingeklemmt hatte. Wie genau das passiert sein sollte, erschloss sich Jonathan nicht.
»Lasst mich einfach zurück!«, rief der arme Mann mit bebender Stimme. »Sagt meiner Frau, dass ich sie liebe und ... das sie morgen diese Hosen waschen muss, die ein klitzekleines bisschen nass geworden sind!«
»Sprich nicht so, als wäre es vorbei, Mors!«, rief sein Arbeitskollege und zog mit aller Kraft. »Wenn wir dich schnell hier raus ziehen, kannst du die einfach über die Heizung legen und morgen wieder anziehen!«
Doch das war Jonathan egal. Er steuerte gut gelaunt eine Taverne an, die ihm jeder in der Stadt empfohlen hatte. Wandernapf nannte sich das Etablissement, das dafür bekannt war, nur für wenige Tage im Jahr in der Stadt zu sein und sonst den Kontinent zu bereisen. Eine fahrende Kneipe, die mal hier, mal da stand und für ihr ausgezeichnetes Essen hoch gelobt wurde.
Er hatte mehr als 2000 Crowns und ein fettes Wurstpaket in der Tasche. Jetzt konnte er Winter ruhig kommen! Jonathan wollte seine Ankunft mit einem zünftigen Mahl im Wandernapf feiern und der Jahreszeit damit mitteilen, dass er sich nicht einmal einer allmächtig wirkenden Wettererscheinung geschlagen geben würde.
Jonathan Voltaire! Er ist der größte, beste und schönste Mensch der Welt, dachte er, nahm Anlauf und schlitterte über den Gehweg. Mit einem Salto schwang er sich über die Wächter, die immer noch auf den Halbstarken einschlugen und landete unsanft mit dem Gesicht voran auf dem Boden. »Autf.«, brummte er.
Wieder einmal hatte er vergessen, dass ihm ein gedrehtes Ding keine Superkräfte verlieh.

 
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LIeber NWZed,

ich habe mich schnell eingelesen und war drin in der Handlung. Ich muss sagen, ein durchaus gekonnter Text, der, falls er Fehler enthielt, diese vor meinen gespannten Augen verbarg.

Also für eine Neulingsgeschichte – Hut ab. Dass du gerade an einer Schreibblockade leidest, interessiert kein Schwein, außerdem hast du dir damit selbst widersprochen. Eine echte Schreibblockade zeichnet sich ebendadurch aus, dass man nicht mal eben gegen sie anschreiben kann, und sei es nur zur Selbsttherapie. Das heißt, wenn man es doch versucht, kommt gequirlter Dünnpfiff raus, der sich nach Vollendigung von selbst zusammenknüllt und sein Seelenheil im Papierkorb sucht.

Ach so, du hast da noch was übersehen:

Willy aktiverte das Metronom auf seinem Schreibtisch
Kaufe ein i.

Viele Grüße
-- floritiv

 

Kritik verstanden. Überflüssige Floskeln zu Beginn des Textes werden entfernt! Danke für die Einweisung! :)

 

Hallo NWZed!

Ich habe deinen Text amüsiert gelesen. Gefällt mir.

So, und damit mein Kommentar ein wenig Gehalt hat: Ich habe Fehler gefunden. Einzeln raussuchen werde ich sie jetzt nicht, aber es waren ein paar ß-Fehler, mehrere kleingeschriebene Hauptwörter und Zeitenfehler (Vorvergangenheit), dazu ein Satzbeispiel:
»Ein Dieb, Graf Wilson?«, fragte der treue Quincy, der bereits in diesem Haus arbeitete, als die Familie seines Vaters es kaufte.
=> Den Satz verstehe ich ohnehin nicht. Die Familie von Quincys Vater hat das Haus gekauft? Du meinst sicher die des Grafen, oder? Auf jeden Fall muss es in die Vorvergangenheit.

Grüße,
Chris

 
Zuletzt bearbeitet:

Edit am frühen Morgen:

Satz nochmal überarbeitet und auf zu einer weiteren Fehlersuche! Ich bedanke mich für den Hinweis!

 

Großer Patch 2.0:

- Viele Stellen wurden umformuliert und umgeschrieben.
- Einige ß/ss-Fehler wurden behoben
- Vorvergangenheitsfehler wurden beachtet und (hoffentlich) beseitigt
- Neue Szenen und Absätze hinzugefügt, um eine deutlichere Charakterzeichnung zu ermöglichen
- Die Stoppschild-szene ist nun 50% weniger sinnlos. Der fehlende Betrag an Nonsens wurde durch eine weitere Szene ausgeglichen.
- An manchen Stellen wurde Exposition hinzugefügt, um Klarheit zu verschaffen.

 

Hallo NWZed,

so langsam bin ich hinter die Reihenfolge deiner Geschichten gekommen. :)

Ich glaube, es wäre wirklich gut, die als Serie zu kennzeichnen. Sie funktionieren zwar alle auch als Einzelgeschichten, aber wenn jemand die Abenteuer von Jonathan chronologisch verfolgen möchte, wäre es schon leichter, wenn man irgendwo einen Serienthread hätte und nach der Reihenfolge schauen kann.

Die Geschichte hier habe ich gern gelesen, und mich an vielen Stellen gut amüsiert.
Aber ich hab einen ähnlichen Eindruck wie bei den anderen Texten von dir, die ich vorher gelesen habe. Es ist nicht ganz einfach zu erklären. Ich habe immer so ein Gefühl, als ob die Geschichte zwar andauernd Witze reißt, aber an manchen Stellen eigentlich etwas Ernsteres sagen möchte - und das kommt sich dann manchmal in die Quere.
Einige Kommentare zu deinen anderen Geschichten haben den Vergleich zu den Scheibenweltromanen gezogen, und ich habe auch den Eindruck, das ist die Richtung wo du hinwillst. Pratchett kriegt aber irgendwie besser die Kurve, und ich habe eine Theorie, woran das liegt. Die ist noch relativ unausgegoren, also es kann gut sein, dass ich das in ein paar Tagen schon wieder anders beschreiben würde, aber ich sag dir mal meinen aktuellen Gedankengang: Ich glaube, Pratchett mag seine Figuren lieber als du. Denen passieren zwar auch sehr abgefahrene Sachen, und da entsteht auch viel Situationskomik, und die geraten auch manchmal in sehr peinliche Situationen. Aber ich habe eigentlich noch nie das Gefühl gehabt, dass er seine Figuren absichtlich der Lächerlichkeit preisgibt - nicht mal bei den Bösewichten, und schon gar nicht bei den Protagonisten, und auch nicht bei Nebenfiguren.
Und bei dir empfinde ich manche Stellen so, als ob du dich richtig angestrengt hast, um die Figuren so blöd wie nur irgend möglich dastehen zu lassen. Und das macht es schwer, Sympathien für die zu entwickeln. Die Scheibenweltfiguren habe ich total gern, die haben natürlich alle Macken und Schwächen, aber ich habe nie meinen Respekt für sie verloren. Beim Jonathan dagegen bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich den eigentlich mag.

Ich werde versuchen, das an ein paar Beispielen festzumachen. Abgesehen davon habe ich ziemlich viel Material für deinen Patch 3.0 gefunden :D

»Ich glaube, du verstehst nicht ganz wie die Jahreszeiten funktionieren«, entgegnete der müde aussehende Bäcker von nebenan, der zum rauchen sein Geschäft verlassen hatte.
Rauchen groß

Auf seinem Schoß ruhte eine Dose ohne Etikett, die er vorbei gehenden Passanten vor die Nase hielt; vor den Gezeiten schützten ihn ein alter Kapuzenpullover
Gezeiten sind Ebbe und Flut. Die Kleidung könnte ihn vor den Elementen schützen, oder vor der Witterung.

Ungläubig sah Johnny zwischen den beiden Herren hin und her, die sich voller Selbstmitleid gegenseitig in die Arme fielen und wimmerten.
Okay, hier ist schon mal so ein Beispiel. Die Szene funktioniert bis hierhin eigentlich sehr gut für mich - auf der einen Seite die Ladenbesitzer, die gar nicht wissen wie gut sie es haben, und sich über ein bisschen Schneeschippen beklagen, auf der anderen Seite Johnny, der sich Gedanken darüber machen muss, wie er den Winter auf der Straße überstehen soll. Und die Ideen zur Regulierung der Jahreszeiten sind hübsch und gut in den Text eingeflochten.
Und dann übertreibst du es total und machst es dadurch eigentlich kaputt. Du hast schon gezeigt, dass die Ladenbesitzer sich ihres privilegierten Daseins nicht bewusst sind und dass sie (aus Johnnys Sicht und auch der des Lesers) ungerechtfertigt herumjammern. Man ist als Leser schon an dem Punkt, dass man ihr Selbstmitleid ein bisschen lächerlich findet.
Aber das in die Arme fallen und Wimmern, das wirkt so ... aufgesetzt, übertrieben und theatralisch. Als würdest du weder den Leser noch die beiden Figuren für voll nehmen, und hättest das Ganze als Cartoon für nicht allzu schlaue Kinder angelegt. Das finde ich irgendwie schade, weil ich denke deine Art von Humor würde auch funktionieren, ohne dass es so weit überspitzt wird.
In einem anderen Text würde ich wahrscheinlich denken, das ist als bildhafte Beschreibung gemeint, die fallen sich da nicht wortwörtlich in die Arme und wimmern, das ist eine Beschreibung, was Johnny von ihnen hält. Aber dieser Text hier hat einen anderen Charakter, da muss man vieles wörtlich nehmen, was normalerweise metaphorisch wäre. :)

Seit sein Vater ihn mit zwölf Jahren vor die Tür gesetzt hatte, schlug sich Johnny alleine durch und erlebte bisher drei Winter auf der Straße; der vierte schien der bisher schlimmste zu werden.
Vorvergangenheit: hatte sich Johnny alleine durchgeschlagen und bisher drei Winter auf der Straße erlebt

Johnny wollte überhaupt nicht hier bleiben, doch die kräftigen Schneefälle machten eine Weiterreise nicht möglich.
hatten eine Weiterreise unmöglich gemacht

»Ich wollte meinem Enkel nur zeigen, dass eine kleine Spende die Seele reinwäscht.«
»Pffffffrrrrrt«, zischte ein Ballon, der sich bei näherer Betrachtung als der eben erwähnte Enkel offenbarte.
Später wird aus dem Enkel der Neffe des Grafen, da müsstest du dich auf eins festlegen.

Bling machte es, als er den Ring in die Dose fallen ließ, die er dem netten Herrn vom Finger gezogen hatte.
den - er hat ja nicht die Dose vom Finger gezogen :)

und noch weniger Menschen waren vom Schicksal eines Obdachlosen so berührt, dass sie sich ihres Schicksals annahmen.
seines

In den letzten vier Jahren war er richtig gut darin geworden, den Leuten beim helfen zu helfen.
erstes Helfen groß, ist substantiviert. Abgesehen davon finde ich den Satz sehr gut!

Wilhelm Wilson saß in seinem komfortablem Bürosessel, lehnte auf seinem Schreibtisch und besah die nackte Hautfläche, an der sich wenige Stunden zuvor der Verlobungsring seiner verblichenen Frau Emily befand.
befunden hatte

Nichts und niemand war seinen perfiden Geschäftstaktiken gewachsen; unter ihm kollabierten die kleinen Einzelhändler und über ihm zitterten die Großkonzerne vor dem Tag, an dem das wilde Tier durch den Fußboden brach, um sie zu verschlingen.
brechen würde, das ist noch nicht eingetreten. Abgesehen davon - auch ein super Satz. :)

Lag er die ganze Zeit über falsch? Übersah er in all den Jahren die Schatten seiner Konkurrenz
Hatte er die ganze Zeit über falsch gelegen? Hatte er in all den Jahren die Schatten seiner Konkurrenz übersehen...

Auch der König der Tiere wurde nachsichtig, wenn es niemanden zu fürchten gab,
Ich denke, nachlässig passt hier besser.

Schlossen sich alle verbliebenen Konkurrenten zusammen, um ihn mit gezielten Nadelstichen in den Wahnsinn zu treiben, weil er sich einen Tag zu lang auf seinem hohen Felsen ausruhte?
besser: ausgeruht hatte

Durch die Tür trat ein nach vorne gebeugter Mann in seinen späten siebzigern.
groß

Haare waren ihm keine geblieben, wenn man die, die aus den zahlreichen Leberflecken auf seiner Glatze wuchsen, nicht mitzählte. Er hatte eine lange Nase und die Haut an seinen Wangen wurde von der Schwerkraft zielstrebig gen Boden gezogen. Seine buschigen Augenbrauen ähnelten einem schlecht verschnittenem Busch und wucherten über die kleinen, milchig blauen Augen. Er trug ein großes Silbertablett, auf dem eine Teetasse stand, in der er mit seiner Nase herumrührte.
Wieder so ein Beispiel, wo es - für mein persönliches Empfinden - "zu weit" geht. Die Beschreibung von Quincy finde ich eigentlich gut, du zeichnest ein sehr deutliches Bild, man sieht jemanden vor sich. Und dann kommt das mit der Nase im Tee. Und das klingt jetzt blöd, aber wenn ich beschreiben soll wie das wirkt, müsste ich sagen: Du nimmst der Figur ihre Würde, nur um einen einzigen Gag unterzubringen, den es eigentlich nicht braucht.
Vielleicht gehe ich auch einfach mit einer falschen Erwartungshaltung an den Text, aber es geht mir halt relativ oft so - die Geschichte sagt: Hier, die Figuren leben in einer sehr seltsamen Welt mit ziemlich bizarren Regeln, aber es sind trotzdem Menschen wie du und ich - so scheibenweltmäßig halt. Und wenn ich mich darauf einlasse und mich für diese Menschen interessiere, dann sagt die Geschichte: Haha, reingefallen, in Wirklichkeit sind das Karikaturen, die ich alle ohne Rücksicht auf Verluste durch den Kakao ziehe.
Und ich habe gar nichts dagegen, Leute durch den Kakao zu ziehen. Aber das funktioniert aus meiner Sicht dann wirklich gut, wenn es gezielt passiert, und halt weniger gut, wenn es sich gegen alles und jeden richtet. Und in der Geschichte kommt halt wirklich fast jeder schlecht weg und sieht lächerlich aus. Das klingt jetzt alles so ein bisschen nach Gesinnungsterror, als würde ich die Geschichte dafür kritisieren, dass nicht nur die Reichen und Mächtigen ihr Fett wegkriegen - das meine ich gar nicht. Es ist halt so ein diffuses Gefühl, was mich schon über mehrere Geschichten von dir verfolgt und was ich jetzt versuche in (sehr sehr viele :D) Worte zu fassen. Ich denke mir eben, wenn du nicht alles lächerlich machen würdest, würde der Humor besser zur Geltung kommen.

Er sah, wie sie ihn anlächelte, hatte ihren Geruch in der Nase und dachte an ihr herzliches lachen, dass diese tristen Räumlichkeiten immer mit Freude erfüllte.
Lachen groß; das; erfüllt hatte

Er hasste diesen Gestank, den Krach den sie veranstaltete, wenn sie beim kleinsten Witz viel zu laut lachte und ihr debiles gegrinse.
Gegrinse groß. Und hier muss ich sagen: Der Gag hat bei mir richtig gezündet, da musste ich lachen.

Auf einem notdürftig zusammengezimmerten Podest aus Holzkisten und Farbeimern stand ein Offizier der Stadtwache - dass erkannte Jonathan an der hellblauen Uniform und dem hohen Pelzhut
das

»Wir müssen unsere Häuser räumen und zu heruntergekommenen Drecksbuden verkommen lassen, damit die einen Platz zum wohnen haben
Wohnen groß

Einer von ihnen begann im Kreis zu laufen und hielt seine Hände so, als würde er mit einem Fahrzeug durch die Straßen tuckern, rief die ganze Zeit »Hoot, hoot, hoot« und presste im Anschluss Luft durch die geschlossenen Lippen.
Das sieht so aus wie englische Lautmalerei. Also wenn ich es deutsch lese, müsste ich ja "hot hot hot" lesen, aber ich vermute, ich soll "huut huut huut" lesen - oder, wenn er ein Fahrzeug nachahmen soll, vielleicht "tuut tuut tuut".

»Bei der Antragsstelle für Spuk und Oberweltbesuche sind keine Anträge in diese Richtung eingegangen. Vielleicht hat sie sich durch ein Loch zwischen unseren Universen geschlichen oder einen korrupten Fährmann gefunden, aber das halten wir alle für sehr unwahrscheinlich. Die Gewerkschaft der Knochengestelle in billigen Mänteln ist sehr kleinlich, wenn es um die Akquise neuer Angestellter geht.«
Die Stelle mochte ich sehr. Diese kleinen Details über die Geisterwelt, und die Bürokratie, die da scheinbar herrscht - das finde ich richtig lustig. Und das zeigt doch: Du kannst witzig ein, ohne dass es auf Kosten von irgendjemanden passiert. Das ist einfach nur ein cleveres Spiel mit Zitaten von bestimmten Jenseitsvorstellungen, dafür muss sich niemand wie eine Karikatur verhalten.

Die Standuhr und der Glockenturm von Courthaven schlugen zur Geisterstunde, was bedeutete, dass die Ausgangssperre für paranormale Entitäten aufgehoben wurde und sie ihrem Tagesgeschäft nachgehen durften. Die Menschen wollten ihnen an staatlich subventionierten Spukhäusern und Gruften auflauern, um sie für die Dauer ihres Freiganges in Geisterdichte Säcke einzusperren.
geisterdichte klein. Und die Stelle gefällt mir auch sehr.


Sogar der Tod musste bezahlen, als seine Frau das zeitliche segnete
hatte bezahlen müssen; Zeitliche groß

»Seit wann hörst du dich an wie ein Junge im Stimmenbruch?«, fragte Wilson
Stimmbruch

»Sag du‘s miiiiiir.«
Geschmackssache, aber ich würde ja als Geist das u langziehen, also: Sag duuuuuu's mir. Das ist doch irgendwie traditioneller. Aber die ganze "Johnny spielt Geist"-Szene fand ich gelungen.

Eine größere striff an seinem Gesicht entlang, ohne bleibende Schäden zu verursachen.
streifte

Er spürte etwas körperliches, dass seinen Rücken berührte und hinauf zu seiner Schulter wanderte.
groß

aber nichts desto trotz ein hübscher Kerl mit einem charmant-frechem grinsen, dass den Graf wütend werden ließ.
nichtsdestotrotz ein Wort; Grinsen groß; das

Üblicherweise erhielt er im Gegenzug für so eine Summe etwas großes, dass ihm entweder mehr Geld brachte oder das ihm für einige Wochen Freude bereitete, aber heute war alles völlig anders.
das

Auf den verschneiten Straßen traf Jonathan nur die üblichen Verdächtigen; den Winterdienst, betrunkene Ehemänner, die eine große Runde um das eigene Haus gingen, weil sie entweder Angst vor ihren Frauen oder keine Lust zum heimgehen hatten, Wächter, die ihre Runden drehten und halbstarke in Damenbegleitung,
Heimgehen und Halbstarke groß

»Hast du das gesehen, Samantha?«, rief ein halbstarker.
groß

»Indem ich dieses Schild geschlagen habe, habe ich meinen Status als Alphamännchen untermauert und der Gesellschaft gehörig eins ausgewischt!«
Gefällt mir auch nicht. Das ist so ähnlich wie mit den Ladenbesitzern am Anfang. Wenn du es irgendwie hinkriegst, dass als Johnnys Interpretation zu kennzeichnen - was er sich unter den Gedanken des Halbstarken vorstellt, wäre es ganz witzig, aber wenn der Typ das da wortwörtlich sagt, dann ist er wieder so eine Cartoon-Figur.

Zwei Wächter tackleten den Blondschopf um und prügelten mit Gummiknüppeln auf ihn ein,
Nee, das ist wieder so ein Denglisch, das geht nicht. "... rissen den Blondschopf um" oder so.

»Ich weiß auch nicht, was passiert ist«, sagte der völlig irritierte Mann im Stoppschildkostüm, der eine Arbeitsmaßnahme in Courthaven absolvierte - diese Art von Arbeit bekam man, wenn man sich als Obdachloser beim Einwohnermeldeamt vorstellte. »Ich stehe hier herum, erledige meine Aufgabe und wie aus dem nichts springt mich dieser Degenerierte an!«
Das lebende Straßenschild wiederum fand ich witzig.

»Lasst mich einfach zurück!«, rief der arme Mann mit bebender Stimme. »Sagt meiner Frau, dass ich sie liebe und ... das sie morgen diese Hosen waschen muss, die ein klitzekleines bisschen nass geworden sind!«
»Sprich nicht so, als wäre es vorbei, Mors!«, rief sein Arbeitskollege und zog mit aller Kraft. »Wenn wir dich schnell hier raus ziehen, kannst du die einfach über die Heizung legen und morgen wieder anziehen!«
»Ich habe aus dem Gasthaus einen Salzstreuer geholt!«, sagte der dritte und fing an, Salz auf den Schneehaufen zu streuen, der so hoch war wie er selbst. »Wir können immer noch hoffen, Mors! Hoffen!«
Hmmm ... du ahnst wahrscheinlich schon, was ich davon halte? :)
Wenn der Salzstreuer-Teil weg wäre, dann fände ich es okay, denn den Witz, dass sich dieser dramatische Dialog um das Schicksal der Hose dreht statt um das Leben des Mannes, finde ich nicht übel. Aber der Salzstreuermann, der verhält sich dann wieder so dermaßen übertrieben doof, dass es mir nicht mehr gefällt.

Wandernapf nannte sich das Etablissement, dass dafür bekannt war, nur für wenige Tage im Jahr in der Stadt zu sein
das

Das war jetzt viel Text, und viel Kritik, aber das mache ich, weil ich deine Texte mag und sie in Bestform sehen möchte. :)

Grüße von Perdita

 

Vielen dank für die ausführliche Kritik, Perdita - um die Fehler werde ich mich gleich morgen Früh kümmern, du kannst sie also als bereits ausgemerzt ansehen.

Ich wollte trotzdem noch auf ein paar Dinge eingehen:

Ich habe immer so ein Gefühl, als ob die Geschichte zwar andauernd Witze reißt, aber an manchen Stellen eigentlich etwas Ernsteres sagen möchte

Damit hast du recht. Einer der Gründe, weswegen ich auf Wortkrieger gelandet bin: Ich suche meine Balance! Schräge Ideen habe ich genug, aber sie in einen in sich schlüssigen Text verstricken will gelernt sein.

Ich glaube, Pratchett mag seine Figuren lieber als du

Ich liebe meine Figuren. Jede einzelne von ihnen. Problem ist, dass ein kleines Männlein in meinen Kopf immer wieder "Mary Suuuuuue" ruft, wenn ich meinen Charakter etwas tun lasse, was er gut kann und ich dann unumstößlich anfange, einen Weg zu suchen, um diese Aktion auf der Waage ins selbe Maß zu bringen.
Manche Figuren gestalte ich mit Absicht doof, das ist wiederum richtig, weil eine leicht beeinflussbare Hülle schönes Grundmaterial für Satire ist, aber über meien Hauptcharaktere mache ich mir zuviele Gedanken. *g*

Und bei dir empfinde ich manche Stellen so, als ob du dich richtig angestrengt hast, um die Figuren so blöd wie nur irgend möglich dastehen zu lassen.

Wilson war in meinem Kopf als One Shot-Bösewicht konzipiert, der so stolz ist, dass er die dämlichsten Gründe für seine Nachlässigkeit sucht. Die anderen sind blöd-ignorant.

Beim Jonathan dagegen bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich den eigentlich mag.

Mein erster Gedanke bei ihm war, "den soll man nicht unbedingt mögen". Er ist ein Schwein. Ein Opportunist. Das, woraus seine Umgebung ihn gemacht hat. Ich möchte, dass der Leser ihn am liebsten packen, aus dem Text ziehen und schütteln möchte, bis er zur Besinnung kommt - der junge Mann hat noch einen laaaangen Weg vor sich und viel Zeit, um sich zu entwickeln und der Leser soll ihn an wichtigen Punkten dabei begleiten. Wenn er dabei unsympatisch rüberkommt, ist das an vielen Stellen so gewollt.
Wie gesagt, an vielen - nicht an allen. Ich habe deine Kritik zu Herzen genommen und werde schauen, wie ich aus Jonathan ein kompetenteres Arschloch machen kann.

Und dann übertreibst du es total und machst es dadurch eigentlich kaputt.

Gut zu wissen, denn dafür gibts den second Draft. Man kann Ideen ausprobieren und wenn sie nicht funktionieren, kommt der allmächtige Rotstift. Jetzt weiß ich, wo ich ihn ansetzen muss!

Man ist als Leser schon an dem Punkt, dass man ihr Selbstmitleid ein bisschen lächerlich findet.

Genauso sollte es sein - und deine Idee, dass ganze so umzumünzen, dass aus Jonathans Augen so aussieht - hatte ich bereits und werde die im nächsten Entwurf umsetzen.

Wieder so ein Beispiel, wo es - für mein persönliches Empfinden - "zu weit" geht

Mh, das ist ein kritischer Punkt. In meinem Kopf läuft die ganze Situation sehr Comichaft ab. Die Charaktere sind Zeichentrickfiguren und alle sehr Tim Burton'esk angehaucht. Wahrscheinlich lasse ich mich beim schreiben zu sehr davon beeinflussen. Ich werde sehen, was ich tun kann.

Haha, reingefallen, in Wirklichkeit sind das Karikaturen, die ich alle ohne Rücksicht auf Verluste durch den Kakao ziehe.

Damit hast du recht, Quincy soll kein Joke-Charakter sein. Die Nase kommt raus!

Ich denke mir eben, wenn du nicht alles lächerlich machen würdest, würde der Humor besser zur Geltung kommen.

Zyniker. So sind wir eben. *g* Ich verstehe, worauf du hinaus willst - in den letzten Geschichten habe ich mir wesentlich mehr Mühe damit gegeben, diese albernen Zeichnungen zu vermeiden.

Das sieht so aus wie englische Lautmalerei.

Da habe ich nur geschrieben, was mir in den Sinn gekommen ist. "Tuut, Tuut, Tuut" war nicht dabei, aber ist es jetzt. Wird ausgebessert!

Gefällt mir auch nicht. Das ist so ähnlich wie mit den Ladenbesitzern am Anfang. Wenn du es irgendwie hinkriegst, dass als Johnnys Interpretation zu kennzeichnen - was er sich unter den Gedanken des Halbstarken vorstellt, wäre es ganz witzig, aber wenn der Typ das da wortwörtlich sagt, dann ist er wieder so eine Cartoon-Figur.

War an der Stelle beabsichtigt. Ich mag Meta-Humor und nehme gern Klischees aufs Korn; es stimmt schon, dass ich das in Johnnys Gedankenwelt schieben kann, was ich auch tun werde, aber ich kann dir nicht versprechen, dass mir das nicht wieder passiert. *g*

Nee, das ist wieder so ein Denglisch, das geht nicht. "... rissen den Blondschopf um" oder so.

Mit dem Gedanken hab ich gespielt, aber das klang in meinem Kopf nicht wuchtig genug. Ich hatte die Szene im Kopf, dass man den Halbstarken dastehen und die Arme in die Hüfte stemmen sieht und dann wie aus dem nichts ein Wächter ins Bild geflogen kommt und ihn aus dem Blickwinkel der Kamera reisst.

Hmmm ... du ahnst wahrscheinlich schon, was ich davon halte?

Aye. Ich kümmere mich drum. Der Dialog kommt raus, aber der Typ mit dem Salzstreuer wird im Hintergrund stehen, weil ich die Idee persönlich toll fand, dass er tatsächlich meint, das wäre eine Lösung.

 

Update 2.5:

- Wieder einige Stellen umformuliert, entfernt, hinzugefügt.
- Die große Fehlerebereinigung von 2015 - Wortkrieger waschen Texte rein!

 

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