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Der Basketballjunge

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27.07.2001
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Der Basketballjunge

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Das erste Mal sah ich ihn Anfang April. Es war einer der ersten warmen Tage, und er hatte eine blaue Skaterhose und ein knallgelbes T-Shirt an. Und natürlich Turnschuhe. Selbst im Hochsommer trug er die, wenn er draußen vor seinem Haus ein paar Körbe warf, wie ich später feststellte.
Als Lukas' Familie einzog, dachte ich mir noch nichts weiter dabei. Ich hatte ihn nicht mal gesehen, als der große Umzugswagen vorfuhr und ein paar kräftige Männer anfingen, Sofas, Schränke und Dutzende von Umzugskartons auszuladen und in das kleine Vorstadthaus zu bringen, das gerade zuvor aufwändig renoviert worden war. Selbst als ich einige Tage später plötzlich einen nagelneuen Basketballkorb über dem Garagentor hängen sah, wusste ich noch nicht, wie sehr diese neuen Nachbarn mein Leben verändern würden – obwohl ich natürlich schon ab und an mal aus meinem Zimmerfenster schaute und hoffte, endlich zu erfahren, wie alt der Junge war, der dort eingezogen war. Natürlich hatten auch meine Eltern den Umzug mitverfolgt und meine Mutter hatte auch schon die üblichen Begrüßungskekse vorbeigebracht und sich wahrscheinlich zum Affen gemacht, wie immer, wenn neue Nachbarn einzogen.
Wäre ich vier oder fünf Jahre jünger gewesen, hätte mir meine Mutter sicher auch gesagt, ich solle doch mal gegenüber vorbeischauen und den neuen Nachbarsjungen begrüßen, denn bestimmt hatte sie Lukas bei ihrem obligatorischen Keksritual schon gesehen. Aber ich war nun mal keine vier oder fünf Jahre jünger, und obwohl meine Mutter sich immer noch Sorgen darum machte, dass ich keine Freunde hatte (dabei bin ich inzwischen volljährig und konnte mir meine Sorgen ganz alleine machen), glaubte sie wohl, ich hätte kein Interesse an Lukas, weil ich eben vier oder fünf Jahre älter war als er – und er vier oder fünf Jahre jünger als ich.
Nun, jedenfalls sah ich ihn an diesem Tag Anfang Mai das erste Mal, zwei Wochen, nachdem sie eingezogen waren, und sein Anblick traf mich wie ein Schlag. Fast wäre ich mit meinem Rad gegen unseren Gartenzaun gefahren, als ich diesen großen, schlanken Jungen mit seinen viel zu riesig wirkenden Händen sah, die einen orangefarbenen Basketball hielten. Lukas sah mich nicht, dafür sah ich nichts anderes als ihn. Erst als ich unseren Zaun mit meiner rechten Hand streifte, wachte ich auf und zog mein Rad blitzschnell nach links, worauf ich aus dem Gleichgewicht geriet und mit voller Wucht auf das Straßenpflaster stürzte. Als Lukas meinen unterdrückten Schrei hörte, ließ er seinen Basketball, mit dem er gerade zu einem neuen Wurf ansetzen wollte, fallen, und fragte mich über die Straße, ob alles okay sei. Ich brachte kein Wort raus. Ich weiß nicht, ob es an seinem Anblick oder seiner Stimme lag (oder der Tatsache, dass er mich tatsächlich ansprach), aber ich blieb stumm wie ein Fisch. Nachdem ich ein paar Sekunden lang reglos dagelegen und ihn nur angestarrt hatte, kam er zu mir herüber und reichte mir die Hand.
„Hey, bist du auf den Kopf gefallen oder bist du stumm?“ fragte er mit seiner zauberhaften Stimme.
Ich ergriff mechanisch seine Hand, die sich warm und weich anfühlte, deren Berührung mich aber trotzdem wie ein Blitzschlag traf, und er half mir hoch. Ich betrachtete benommen meine rechte Hand, die sich allzu sehr mit dem Gartenzaun angefreundet hatte und verzog das Gesicht, als ich sah, dass sie reichlich Schrammen abbekommen hatte – und einen Holzsplitter, aus dessen Einstichstelle ein wenig Blut tropfte.
„Alles okay?“ fragte Lukas noch einmal und schaute mich etwas erstaunt an.
Bestimmt fragte er sich, ob ich noch alle Tassen im Schrank hatte oder ob überhaupt jemals welche drin gewesen waren. Schließlich schaffte ich es doch noch, ein „J-ja, danke“ zu stammeln, während ich versuchte, seinem Blick auszuweichen. Lukas zuckte mit den Schultern, was mir noch einen Stich versetzte (wie kindlich er noch wirkte, und trotzdem war er schon so groß) und wandte sich zum Gehen. Doch im letzten Moment hielt er noch einmal inne, als hätte er etwas wichtiges vergessen, und fragte:
„Wie heißt du?“
„Äh, Jan“, sagte ich.
„Cool. Ich bin Lukas“, meinte er. „Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“
„S-sicher. Wir sind ja fast Nachbarn“, stammelte ich und hätte mir am liebsten die Zunge abgebissen. Fast Nachbarn? Wir waren Nachbarn, verdammt! Lukas wandte sich wieder seinem Basketball zu und beachtete mich nicht weiter, während ich versuchte, meine rasenden Gedanken und Gefühle zu ordnen. Schließlich schob ich mein Fahrrad unter unser Carport und versuchte, das Rad mit zittrigen Fingern abzuschließen. Als es mir endlich gelungen war, stand auch schon meine Mutter freudestrahlend in der Tür und begrüßte mich.
„Hallo Janni, das Essen ist schon fertig.“
Ich hasste es, wenn sie mich so nannte. Aber heute störte mich das kaum. Ich war noch zu durcheinander von der Begegnung, die ich eben gemacht hatte. Und ich fragte mich, für wie bescheuert mich Lukas nach diesem ersten Kontakt wohl halten musste.

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In den nächsten Wochen sah ich ihn öfters. Manchmal, wenn ich nachmittags von der Schule nach Hause kam und er mit höchster Konzentration Körbe warf, worin er wirklich gut war, meist aber, wenn ich eigentlich Hausaufgaben machen musste und ich das „Wumpta! Wumpta!“ seines Basketballs auf dem Straßenpflaster hörte. Es gelang mir kein einziges Mal, mich nicht davon ablenken zu lassen.
Stattdessen rollte ich mit meinem Bürostuhl ans Fenster, stützte meine Arme auf der Fensterbank ab und schaute ihm zu, wie er den Ball immer wieder im Korb versenkte, bis er die Lust daran verlor und zurück ins Haus ging. Während er mit dem Ball dribbelte oder ihn nach einem Treffer wieder aus dem Gebüsch neben der Haustür hervorholte, betrachtete ich fasziniert sein zartes Gesicht mit den kräftigen Augenbrauen, seine haarlosen Waden und seinen schlanken Körper, aber vor allem seine großen Hände, deren Berührung sich mir fest ins Gehirn eingebrannt hatte. Was hätte ich nicht dafür gegeben, noch einmal von diesen Händen berührt zu werden. Nicht nur an meinen Händen, sondern am ganzen Körper, einfach überall.
Schließlich träumte ich sogar von ihm, nicht nur am Tag, wenn ich mit mir selbst beschäftigt war, sondern auch nachts. Aber vor allem schaute ich aus dem Fenster. Wann immer ich seinen Basketball draußen hörte, ließ ich alles stehen und liegen, um den wundervollen Anblick draußen zu betrachten. Ich holte mir dabei keinen runter oder so, ich bin schließlich kein Spanner, ich genoss einfach nur diese Momente, in denen mir Lukas so nahe war – und in denen er sich doch in so unerreichbarer Ferne befand.
Eigentlich hätte ich ja nur zu ihm hinübergehen brauchen und ihn ganz lässig ansprechen müssen. Er hätte wahrscheinlich sogar mal seinen geheiligten Basketball aus der Hand gegeben und mich ein paar Körbe werfen lassen. Das Problem war bloß, ich war viel zu schüchtern, um ihn anzusprechen. Und ich war ein echt mieser Basketballspieler. Kein Wunder, wenn man immer nur vor dem Computer hockt, oder?
Außerdem fragte ich mich, ob es Lukas nicht seltsam vorkommen würde, wenn jemand, der ein halbes Jahrzehnt älter war als er (und noch fast einen ganzen Kopf größer), plötzlich so viel Interesse an ihm zeigte. Andererseits habe ich ihn erst vor zwei Wochen mit einem Klassenkameraden spielen sehen, der fast einen ganzen Kopf kleiner war als Lukas – aber eben nicht vier bis fünf Jahre jünger.
Immer wieder spielte ich im Kopf durch, wie ich ihn ansprechen würde, wie ich ihn einfach fragen würde, ob ich auch mal ein paar Körbe werfen dürfte.
„Klar“, würde er antworten, und mir mit einem strahlenden Lächeln die orange Gummikugel zuwerfen.
Ich würde den Ball nehmen und ihn geschickt und zielsicher in den Korb bugsieren – jedenfalls in meiner Fantasie, in Wahrheit hätte ich mich sicher ziemlich blamiert. Es hätte viele Gelegenheiten gegeben, Lukas anzusprechen, denn schließlich sah ich ihn fast jeden Tag da draußen, und ich hätte mir nur einen Vorwand suchen müssen, um zu ihm rauszugehen, zum Beispiel den Müll rausbringen, einen Brief in den Kasten werfen oder die Post reinholen. Und ich traf ihn oft genug auch zufällig, wenn ich wirklich gerade was zu erledigen hatte oder aus der Schule nach Hause kam. Mehr als „Hi!“ zu sagen traute ich mich aber nicht, und mehr als „Hi!“ bekam ich auch nicht als Antwort. Lukas zeigte keinerlei Interesse an mir, und er schien auch nicht mein Interesse an ihm zu bemerken.
Im Laufe des Sommers wurde es immer extremer und ich fragte mich, ob ich langsam den Verstand verlor, da ich an nichts anderes mehr denken konnte als an den süßen Nachbarsjungen. Natürlich sackten auch meine Schulnoten ab, und natürlich bemerkten das auch meine Eltern. Sie hielten mir ständig Predigten, dass das Abijahr das wichtigste Schuljahr überhaupt sei und dass ich mich doch endlich mal auf den Hosenboden setzen und lernen solle. Warum ich immer schlechter wurde als ohnehin schon (ein sonderlich guter Schüler war ich nie), interessierte sie nicht die Bohne, oder zumindest fragten sie nicht nach. Irgendwie war ich auch froh darüber, denn die Wahrheit hätte ich ihnen nie erzählen können, und ich wusste auch nicht, was ich sonst hätte sagen sollen. Also sagte ich nur, ich würde mich bemühen, mehr für die Schule zu tun und mich mehr anstrengen. Kontrolliert hat das natürlich keiner, aber so waren meine Eltern zumindest vorerst zufrieden gestellt. Sie glaubten, sie hätten ihre erzieherische Pflicht damit erfüllt und kümmerten sich wieder um ihren eigenen Kram.

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Irgendwann, es war Anfang September und die Tage wurden schon kürzer, stellte ich fest, dass Lukas immer seltener draußen spielte. Und ich bemerkte auch langsam einige Veränderungen an ihm. Nicht nur, dass er plötzlich in die Höhe schoss (seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte schien er mindestens zehn Zentimeter gewachsen zu sein), ich bemerkte auch erschreckenderweise, dass sich sein „Hi!“, immer noch das einzige Wort, das wir miteinander wechselten, plötzlich heiser und kratzig anzuhören schien. Lukas kam in den Stimmbruch, und dabei war er noch keine 14.
Irgendwie hatte ich nie einen Gedanken daran verschwendet, dass er älter und irgendwann erwachsen werden würde, einfach, weil ich gehofft hatte, dass er ewig so bleiben würde, in diesem Zustand zwischen Kindheit und Jugend, groß gewachsen und ein junger Teenager, aber doch noch so zart und jungenhaft. Und sein Stimmbruch schien diesen Zustand plötzlich zu beenden, schien ihn zu zerstören, und aus dem Jungen, der er fast 14 Jahre gewesen war, plötzlich einen Jugendlichen zu machen. Irgendwann würde er anfangen zu saufen und zu rauchen, Mofa zu fahren und die ersten Freundinnen mit nach Hause bringen, und dann wäre Lukas für immer verloren, ein weiteres Kind, das seiner Kindheit entwachsen ist.
Als ich in dem Alter war, hatte ich diese Gedanken nie gehabt. Warum auch, schließlich merkt man das selbst kaum, wie man sich in der Pubertät plötzlich rasend schnell verändert, wie man in die Höhe schießt, wie aus einem Jungen ein junger Mann wird.
Ich weiß nicht mal mehr, wann ich meinen Stimmbruch hatte, weil ich es damals gar nicht bemerkte, und weil ich auch nicht das Gefühl hatte, mit dem Ende der Kindheit etwas zu verlieren. Nun wurde mir aber schmerzlich bewusst, dass ich kein Kind mehr war, dass ich erwachsen war, bald 19 werden würde und immer noch fünf Jahre zu alt für Lukas war. Und ich hatte das Gefühl, etwas sehr wichtiges verloren zu haben und fragte mich, welchen Sinn das Leben noch hatte, wenn die schönste Zeit des Lebens mit dem Ende der Kindheit ebenfalls endete.

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Meine Kindheit hatte wohl geendet, als ich mich das erste Mal richtig verliebt hatte, mit 15. Natürlich hatte ich auch vorher schon das eine oder andere Mal für jemanden geschwärmt (allerdings waren das immer Mädchen, und auch in meinem Alter), aber fürs richtige Verliebtsein war ich damals wohl noch zu jung. Aber mit 15, da war ich plötzlich richtig verknallt, und mir wurde da auch das erste Mal bewusst, dass ich anders war. Es war schon erschreckend genug, dass ich mich auch da schon in einen Jungen verliebte, denn zuvor hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, schwul sein zu können, doch der Junge, in den ich mich damals verguckte, war erst zehn Jahre alt, hieß Florian und war mein Cousin.
Ich hatte mich nie sonderlich für Florian interessiert, gerade auch als Kind nicht. Klar hatte ich ihn mal auf dem Arm, als er ein Baby war, und ich weiß noch, dass ich mal mit ihm mit Lego gespielt hatte, als ich neun oder zehn war, aber wir hatten nie etwas gemeinsam unternommen. Bis zum Geburtstag meines Vaters vor drei Jahren, als Florian sich langweilte und meine Mutter deshalb vorschlug, dass wir zusammen ins Freibad gehen könnten. Eigentlich hatte ich gar keine so große Lust, Babysitter zu spielen, aber irgendwas gefiel mir an dem Gedanken, mit ihm etwas zusammen zu unternehmen, und so packte ich meine Badehose ein (und auch eine alte von mir für ihn), holte zwei Badetücher aus dem Wäscheschrank und machte mich mit ihm auf den Weg. Es wurde einer der schönsten, aber auch einer der verwirrendsten Nachmittage meines Lebens.
Im Freibad herrschte Hochbetrieb, denn es war Mitte August, und vor den Umkleidekabinen hatten sich lange Warteschlangen gebildet.
„Wir hätten uns die Badehosen schon zu Hause unterziehen sollen“, meinte ich, „jetzt können wir ewig warten.“
„Ist doch egal, dann ziehen wir uns halt im Gebüsch um“, sagte Florian.
Also suchten wir uns im hinteren Teil der Liegewiese einen freien Platz, legten unseren Kram ab, schnappten uns die Badehosen und krochen ins Gebüsch. Wir zogen uns voreinander aus, und warum auch nicht, schließlich waren wir Jungs und konnten nichts voneinander abgucken. Dummerweise bekam ich eine Erektion, als ich Florians nackten Jungenkörper sah. Schnell zog ich meine Badehose an und hoffte, mein Cousin würde nichts bemerken. Tat er auch nicht, dachte ich jedenfalls, und wir tollten einige Zeit im Wasser herum, bis wir keine Lust mehr hatten. Anschließend legten wir uns auf die Liegewiese und warteten, dass die Badehosen trockneten.
Ein paar Minuten saßen wir nur schweigend da und schauten dem Treiben um uns herum zu, als Florian plötzlich fragte: „Sag mal, bist du schwul?“ Ich dachte, ich hätte mich verhört, denn die Frage traf mich völlig unerwartet.
Ich schaute Florian an, der mich angrinste und auf eine Antwort wartete. „Warum fragst du?“ wollte ich wissen.
„Na, weil du vorhin 'nen Steifen bekommen hast, als wir uns umgezogen haben.“ Ich wurde knallrot im Gesicht.
„Ist ja nichts schlimmes“, fuhr Florian fort. „Meine Klassenlehrerin hat gesagt, dass das was ganz normales ist.“
Ich wunderte mich, was die Kinder heutzutage in der Grundschule schon alles lernten, sagte aber nichts weiter dazu. Für Florian schien das Thema damit erledigt, doch ich wurde nachdenklich. Konnte er vielleicht sogar recht damit haben? Aber warum sollte ich gerade dann solche Gefühle kriegen, wenn ich sah, wie sich mein zehnjähriger Cousin umzog?
Auf dem Heimweg sagte ich zu Florian: „Übrigens, ich bin nicht schwul.“
„Schon okay, brauchst dich ja deswegen nicht zu schämen“, war seine Antwort, während er mich wieder angrinste.
Wir sprachen bis heute nie wieder darüber, aber dieser Nachmittag im Schwimmbad hatte mich doch sehr nachdenklich gemacht, und ich konnte abends lange nicht einschlafen, weil ich immerzu an meinen Cousin denken musste. Dieses Bild, wie er nackt vor mir stand, hatte sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt, und ich wurde es für eine lange Zeit nicht los. Jedes Mal, wenn ich Florian sah, überkam mich eine tiefe Sehnsucht nach ihm, aber gleichzeitig auch eine tiefe Traurigkeit, weil ich schon damals irgendwie wusste, dass er viel zu jung war. Außerdem war er mein Cousin. Und da ich ihn nur selten sah, legten sich die Gefühle für ihn auch irgendwann wieder.
Beim Basketballjungen war das anders. Mit ihm war ich nicht verwandt, und ihn sah ich nicht nur alle paar Monate, sondern beinahe täglich. Und schließlich kam der Tag, an dem ich tatsächlich mit ihm Kontakt aufnahm.

- 5 -
Schon eine Woche vorher hatte meine Mutter gesagt, dass Frau Schmidtke ihren 50. Geburtstag mit einer großen Gartenparty feiern wollte, und dass die ganze Nachbarschaft eingeladen war, natürlich auch unsere Familie.
„Wird Lukas auch da sein?“ fragte ich, bereute dies aber sogleich, als ich das Stirnrunzeln meiner Mutter sah.
„Ich denke mal schon, außer natürlich, sie sperren Lukas in seinem Zimmer ein.“ Ja, auch für ihren Sarkasmus hasste ich meine Mutter manchmal, aber zumindest sorgte der diesmal dafür, dass ich dieses Gespräch nicht noch weiter vertiefen musste.
Mir stand nun die längste Woche meines Lebens bevor, denn ab diesem Moment dachte ich an nichts anderes mehr als an den kommenden Freitag und die Gartenparty. Leider (manchmal auch zum Glück) habe ich eine sehr lebhafte Fantasie, ich schaff's selbst heute noch, mir nachts Gespenster und Einbrecher einzubilden, und so malte ich mir Dutzende von Situationen aus, wie ich Lukas richtig ansprechen könnte. Am Ende kam aber doch alles ganz anders, denn so viel man sich auch in seiner Fantasie einfallen lassen kann, die Realität ist doch oft noch ein ganzes Stück einfallsreicher.
Als meine Familie auf der Feier eintraf (meine Eltern hatten mich sogar dazu gebracht, mir gute Klamotten anzuziehen, obwohl ich mich in Jeans und T-Shirt immer viel wohler fühlte), waren noch nicht allzu viele Leute da, nur ein paar ältere Typen, die ich noch nie gesehen hatte, wahrscheinlich irgendwelche Verwandten unserer Nachbarn. Zu meiner Enttäuschung war Lukas nirgends zu sehen, und ich traute mich auch nicht, Frau Schmidtke nach ihm zu fragen. Schließlich hatte ich bisher noch nie offen Interesse für Lukas gezeigt, und ich hatte die Sorge, dass sie sich darüber wundern würde. Also wartete ich ab. Irgendwann würde er schon auftauchen.
Doch er tauchte nicht auf. Aus lauter Langeweile probierte ich das ganze Buffet durch und unterhielt mich mit ein paar von den älteren Typen, da meine Familie zufällig bei denen am Tisch saß. So erfuhr ich einiges über Lukas' Onkel, der irgendwo im Ruhrgebiet aufgewachsen war, und ließ mir von Lukas' Opa einige Erlebnisse aus der Kriegsgefangenschaft erzählen. Nach gefühlten zwei Stunden reichte mir das aber und ich stand auf und schaute mich etwas im Garten um, in dem viele kleinere Grüppchen von Leuten standen, hauptsächlich unsere Nachbarn.
„Du siehst aus, als wäre dir auch ziemlich langweilig“, hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir.
Ich zuckte etwas zusammen und drehte mich um. Ich schaute in das Gesicht eines Jungen – oder eher jungen Mannes –, der etwa ein, zwei Jahre älter zu sein schien als ich.
„Hi, ich bin Kevin“, sagte er und streckte die Hand aus. Ich nahm sie entgegen und schüttelte sie.
„Ich heiße Jan“, sagte ich und fügte hinzu: “Ja, sonderlich spannend finde ich's bisher nicht. Vor allem, wenn man mit den Verwandten der Schmidtkes am Tisch sitzt und sich was über den Krieg erzählen lassen muss.“ Kevin grinste.
„Ja, mein Opa erzählt ständig jedem davon, ob man's hören will oder nicht.“
„Opa? Bist du etwa mit Schmidtkes verwandt?“ Der Junge nickte.
„Ich bin Tante Susannes Neffe.“
„Also der Cousin von Lukas?“ fragte ich.
„Ja, wieso?“ wollte Kevin wissen.
„Ach, nur so. Hab mich bloß gefragt, wo Lukas heute steckt. Sonst sehe ich den ständig auf der Straße Basketball spielen.“
„Ich glaube, der mag den Trubel nicht so. Geht mir ähnlich. Vor allem, wenn sonst keiner in meinem Alter da ist. Habt ihr etwa nur Rentner in der Nachbarschaft?“
„Fast“, antwortete ich. „Hier gab's nicht viele Kinder, als ich aufgewachsen bin. Eigentlich nur zwei, aber die sind leider schon vor Ewigkeiten weggezogen.“
„Na ja, jetzt hast du ja Lukas“, sagte Kevin grinsend.
„Der ist leider ein paar Jahre zu jung“, antwortete ich und hoffte, dass sich das Bedauern echt anhörte.
„Stimmt“, antwortete Kevin, „aber wir können ja trotzdem mal zu ihm hochgehen. Der hockt bestimmt vor seinem PC. Er ist der totale Computerfreak.“
„Echt? Bin ich auch“, antwortete ich.
„Na, dann müsstet ihr euch ja blendend verstehen“, sagte Kevin und klopfte mir auf die Schulter.
Wir machten uns auf den Weg zum Haus, Kevin vor mir und ich mit rasendem Herzen hinter ihm.
„Hi Lukas, ich hoffe, wir stören nicht“, rief Kevin fröhlich, als er die angelehnte Tür zu Lukas' Zimmer öffnete.
„Nee, kein Problem, kommt rein“, antwortete die süßeste Stimme, die ich je gehört hatte (auch wenn sie zu meinem Leidwesen schon ein wenig stimmbrüchig klang).
Wir betraten das Zimmer, und ich schaute mich in Lukas' Allerheiligstem um. Der Raum war ein wenig kleiner als mein Zimmer, aber trotzdem nicht so eng, dass man Platzangst kriegen musste. Links neben der Tür stand ein Regal, vollgestopft mit Büchern und Comics, und daneben ein Kleiderschrank. An der gegenüberliegenden Wand befanden sich das Bett und ein Nachtschrank und an der Fensterwand stand ein Schreibtisch, der vollgeräumt war mit allen möglichen Zetteln, Büchern und Ordnern. Mitten drauf stand ein Computer, vor dem der Junge meiner Träume saß. Vor dem Schreibtisch standen noch zwei Stühle, auf die wir uns jetzt fallen ließen, Kevin neben Lukas, ich neben Kevin. Lukas drückte eine Taste und auf dem Bildschirm erschien das Wort „Pause“ über einer Anno 1701-Insel. Lukas drehte sich zu uns um.
„Na, ist euch auch zu langweilig geworden da draußen?“
„Ja. Du kennst ja unsere liebe Verwandtschaft“, sagte Kevin. „Das ist übrigens Jan.“ Er zeigte auf mich.
„Hey, du bist doch der, der nicht Rad fahren kann“, meinte Lukas grinsend.
Ich nickte nur, weil ich kein Wort hervorbrachte. Kevin schaute mich erwartungsvoll an.
„Nicht Rad fahren? Die Story musst du mir erzählen.“
Ein paar Sekunden brachte ich kein Wort hervor. Dann versuchte ich, nicht mehr in Lukas' Richtung zu schauen und mich auf Kevin zu konzentrieren.
Das löste meine Anspannung etwas und ich sagte: “Ach, ist 'ne peinliche Geschichte. Vor ein paar Monaten, kurz nachdem Lukas' Familie eingezogen war, bin ich mal vom Rad gefallen, weil ich zu nah an unseren Gartenzaun gekommen war. Ist aber nix weiter passiert.“
„Auch wenn ich erst dachte, du hättest dir was am Kopf getan, so wie du mich angeschaut hast“, fügte Lukas lachend hinzu. Ich versuchte weiterhin, ihn nicht anzuschauen und stellte fest, dass ich dann sogar mit ihm sprechen konnte.
„Ach, ich war nur etwas verwirrt, weil ich gerade in Gedanken war und dann halt dieser kleine Unfall passierte.“
Das war nicht mal gelogen, auch wenn ich weder Lukas noch Kevin wohl jemals erzählen dürfte, was für Gedanken das gewesen waren. Es entstanden einige Sekunden peinlichen Schweigens.
„Was spielst du denn da?“ fragte Kevin Lukas, um diese unangenehme Stille zu unterbrechen.
„Anno 1701, sieht man doch“, war Lukas' Antwort. „Ich bin gerade beim Szenario mit dem Gorillagott, das ist aber verdammt schwer.“
„Vielleicht kann dir Jan weiterhelfen, er ist auch so'n Computerfreak, hat er gesagt.“
„Echt?“ sagte Lukas und sah mich an.
Ich versuchte, über Lukas hinwegzuschauen und seinem Blick auszuweichen, doch es gelang mir nicht, und seine Augen schauten genau in meine. Mein Herz raste und wieder hatte mich diese lähmende Apathie getroffen, die mich dazu brachte, nichts mehr aus mir rauszubringen.
„Na ja ... Also ...“ stammelte ich.
Mehr kam nicht aus meinem Mund, und ich fragte mich, ob es nicht besser gewesen wäre, gleich gar nichts zu sagen.
„Du bist wirklich komisch“, sagte Lukas stirnrunzelnd.
„Aber echt mal“, fügte Kevin hinzu.
Ich blieb stumm, aber meine Gedanken und Gefühle fuhren Achterbahn. Ich hasste mich für meine Schüchternheit und Feigheit. Das war die Chance meines Lebens, endlich konnte ich mich mit Lukas unterhalten, noch dazu über Computerspiele, die mich im Gegensatz zu Basketball wirklich interessierten, und ich ließ sie einfach an mir vorübergehen. Aber genauso sehr hasste ich mich dafür, dass ich überhaupt solche Gefühle für Lukas hatte. Das war nicht richtig, er war fünf Jahre jünger als ich. Aber obwohl mein Verstand mir das immer wieder sagte, blieben die Gefühle trotzdem da. Und sie wurden nicht schwächer, sondern eher stärker. Gerade in diesem Moment natürlich.
Plötzlich dachte ich nur noch eins: „Ich muss hier raus.“
Wieder in Richtung Kevin gewandt, fragte ich: „Äh, darf ich mal aufs Klo?“
Statt Kevin antwortete Lukas: „Klar, kein Problem. Einfach auf dem Flur die nächste Tür rechts.“
Ich sprang von dem Stuhl auf und rannte aus dem Raum. Auf dem Flur hörte ich noch, wie Kevin „Wirklich ein komischer Freak“ sagte, dann ging ich ins Badezimmer, schloss die Tür ab und ließ mich zu Boden sinken.
Ich fing zitternd an zu heulen, möglichst leise, damit die zwei im Nebenzimmer mich nicht hören konnten. Was war ich doch für ein Weichei. Ich konnte nicht mal einen 14-jährigen Jungen ansprechen, ohne ins Stottern zu kommen. Kevin hatte Recht, ich war wirklich ein Freak. Aber ich wusste nicht, was ich dagegen tun konnte. Weder gegen meine Gefühle, noch gegen meine Schüchternheit, die meinen Gefühlen im Weg stand, die mich aber andererseits auch wieder davor schützte, eine Dummheit zu begehen. Allerdings, war es eine Dummheit, mit Lukas über Computerspiele zu reden? Das war schließlich nicht verboten, genauso wenig wie Basketball spielen. Und gegen mein Stottern, wenn ich Lukas ins Gesicht schaute, half nur eins: Dagegen ankämpfen. Und vielleicht würde das Problem ja ganz von alleine verschwinden, wenn ich mich erstmal ein wenig mit Lukas unterhalten würde und von meinen Gedanken und Gefühlen abgelenkt wäre.
Ich hatte also nur zwei Möglichkeiten: Wie ein Feigling weglaufen, wieder nach unten gehen und mir die vielleicht einzige Chance, Lukas besser kennen zu lernen, entgehen zu lassen, oder mir die Tränen abzuwischen, aus diesem verdammten Badezimmer zu gehen und mich mit Lukas über Anno 1701 zu unterhalten. Ich weiß nicht, wie ich es schaffte, den Mut dafür aufzubringen, aber ich entschied mich für letzteres.
Als ich zurück ins Zimmer kam, stellte ich erstaunt fest, dass Kevin verschwunden war. Lukas versuchte weiter, den Gorillagott zu besänftigen, drückte aber erneut auf Pause und drehte sich zu mir um, als ich ihn fragte, wo Kevin sei.
„Der ist wieder runter gegangen, meine Tante wollte irgendwas von ihm.“ Er blickte mich erwartungsvoll an, während ich unentschlossen im Türrahmen stand.
„Kannst dich ruhig setzen, der Stuhl beißt nicht“, sagte er.
Das tat ich auch, allerdings ohne in Lukas' Richtung zu blicken. Ich hatte Angst, dass mich die rasenden Gedanken, die sich zumindest ein wenig beruhigt hatten, wieder überwältigen könnten.
„Du bist also auch Computerfreak“, versuchte Lukas noch einmal, ein Gespräch in Gang zu bringen, nachdem ich abermals einige Sekunden geschwiegen hatte.
„Ja, eigentlich hocke ich immer nur vor dem PC“, sagte ich schließlich tonlos.
Erneut entstand eine unangenehme Pause. Während ich auf den Bildschirm starrte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Lukas mich mit einem Stirnrunzeln musterte.
„Wenn er wüsste, wie süß er mit diesem Gesichtsausdruck aussieht“, dachte ich, schob das aber schnell beiseite, bevor noch weitere Gedanken in der Richtung folgen konnten.
„Du bist nicht gerade gesprächig, weißt du das?“ sagte Lukas.
Ich seufzte und antwortete: „Ja, leider. Bin eher nicht so die Riesenstimmungskanone“, wobei ich aber weiterhin den Gorillagott auf dem Monitor anschaute, anstatt Lukas in die Augen zu blicken.
„Deshalb bist du wohl auch von da unten geflüchtet“, sagte Lukas.
Ich antwortete: „Ja, Feiern sind nicht so mein Ding. Man weiß nie, mit wem man sich da unterhalten soll. Außer den Nachbarn kenne ich ja keinen von denen. Und mit denen habe ich auch nichts groß am Hut, die sind ja alle schon Rentner.“
„Ja, finde ich auch ziemlich blöd. Hier in der Straße wohnt niemand, der in meinem Alter ist“, sagte er, und fügte dann hinzu, als hätte er gar nicht dran gedacht: „Außer dir vielleicht. Aber du bist ja auch schon ein, zwei Jahre älter als ich.“
Ich wandte mich vom Gorillagott ab und wagte es nun doch, zumindest auf seine Nase zu schauen (bloß nicht in die Augen).
Ein, zwei Jahre? Mir war klar, dass ich jünger aussah, aber für wie alt hielt der mich?
„Ich glaube, das sind mehr als ein, zwei Jahre“, antwortete ich.
„Kommt drauf an, wie alt du bist“, sagte er.
„Ich bin 18, werde aber in drei Monaten 19“, sagte ich.
„Na gut, dann sind's fast vier Jahre. Ich bin 14, werde aber bald 15. In zehn Tagen, um genau zu sein.“
15? Er war fast 15? Und ich dachte, er hätte gerade erst seinen 14. Geburtstag hinter sich, wenn überhaupt. Das änderte zwar nichts daran, dass der Altersabstand immer noch viel zu groß war, aber fast 15 war schon mal besser als fast 14, oder?
„Siehst gar nicht aus wie 18“, meinte er.
„Das sagen alle. Ich bin's auch inzwischen gewöhnt, ständig kontrolliert zu werden, wenn ich mal ins Kino gehe.“
Zugegeben, das tat ich ohnehin nicht oft, aber das eine Mal, wo ich in einem Film ab 18 gewesen war, wurde ich kontrolliert – und die Kassiererin dachte auch erst, das wäre gar nicht mein Ausweis, weil ich auf dem Foto noch viel jünger aussah.
„Ich hätte dich auch für ein bisschen jünger gehalten. Aber nicht viel“, sagte ich.
„Hast du noch Geschwister?“ wollte Lukas wissen. „Nee“, war meine Antwort, „die hättest du sicher schon gesehen.“ Lukas zuckte mit den Schultern, was mich erneut schmerzhaft an unsere erste Begegnung erinnerte.
„Es hätte ja sein können, dass deine Geschwister schon ausgezogen sind. Könntest du ja auch schon, wenn du wolltest.“
„Klar könnte ich, aber irgendwie habe ich da noch nie groß drüber nachgedacht. Sicher nerven mich meine Eltern manchmal total, aber eigentlich finde ich's zu Hause ganz okay.“
“Na ja, ich eigentlich auch meist“, sagte Lukas, „trotzdem bin ich froh, wenn ich 18 bin. Dann kann ich endlich machen, was ich will und meine Eltern können mir auch nicht mehr vorschreiben, wann ich ins Bett gehe und so. Sind nur leider noch drei Jahre.“
„Die gehen schnell rum, glaub mir“, sagte ich. „Viel zu schnell“, fügte ich in Gedanken hinzu.
Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie Lukas mit 18 aussehen würde. Drei Jahre können verdammt viel ausmachen. Bei mir würde sich da nicht viel ändern. Ob man fast 19 oder fast 22 ist, das macht kaum einen Unterschied, aber zwischen 15 und 18 liegen Welten. Genauso wie zwischen fast 15 und fast 19, dachte ich wehmütig.
Ich wollte gar nicht, dass Lukas älter würde. So wie er jetzt war, war er perfekt. Und doch gab es nichts, was den Lauf der Zeit anhalten konnte. Genauso wie diesen Moment, den ich alleine mit ihm verbrachte. Wäre mir jetzt ein Lampengeist begegnet und hätte mir einen Wunsch erfüllt, ich hätte mir keine Traumvilla und auch keine Million gewünscht, sondern einfach nur, dass dieser eine Moment ewig anhalten würde.
„Hey, ich habe dich was gefragt“, sagte Lukas und riss mich aus meinen Gedanken.
„Äh, Tschuldigung, ich war gerade abgelenkt“, sagte ich wahrheitsgemäß.
„Wovon denn? Etwa von dem Gorillagott?“ fragte Lukas, der sich zu wundern schien, warum ich die ganze Zeit Löcher in seinen Computerbildschirm starrte.
„Ach, egal. Was hast du denn gefragt?“
„Ob du Lust hast, runterzugehen, auf diese ach so tolle Geburtstagsparty.“
Ich schüttelte den Kopf, bevor ich überhaupt genauer über die Frage nachdachte. Bloß nicht rausgehen! Ich wollte diesen Augenblick alleine mit Lukas so lange festhalten wie möglich.
„Ich hab da auch nicht wirklich Bock drauf“, meinte Lukas. Innerlich atmete ich auf. „Was für Spiele spielst du eigentlich so?“
„Spiele? Äh, wieso Spiele?“
Lukas zeigte auf den Monitor: „Na, Computerspiele.“
„Ach so. Na ja, vor allem Rollenspiele, Adventures und auch Strategiespiele. Anno 1701 habe ich auch. Bin aber noch nicht so weit.“
„Bist du gut in solchen Spielen?“ Ich überlegte kurz.
„Ach, na ja, geht schon“, sagte ich schließlich.
„Vielleicht schaffen wir ja gemeinsam das Szenario mit dem Gorillagott“, meinte Lukas und fügte hinzu: „Natürlich nur, wenn du Lust hast.“
Und ob ich Lust hatte. Ich rückte meinen Stuhl ein wenig näher an den Computer (und an Lukas) heran, vermied es aber weiterhin, den Jungen genauer anzuschauen, da ich Angst hatte, dass ich dann wieder ins Stottern kommen würde. Dann widmeten wir uns gemeinsam dem Gorillagott. Ich habe keine Ahnung mehr, wie lange wir vor seinem Computer hockten, Anno 1701 spielten und über Computerspiele im Allgemeinen und Strategiespiele im Speziellen fachsimpelten, aber es kam mir viel zu kurz vor. Als meine Eltern schließlich gehen und Lukas' Eltern ihn ins Bett schicken wollten, musste ich mich wohl oder übel von ihm verabschieden.
Als ich gerade schon gehen wollte, meinte er: „Moment, ich schreib dir mal eben meine ICQ-Nummer auf.“
Er riss einen Zettel vom Notizblock auf seinem Schreibtisch ab, kritzelte die Nummer drauf und gab ihn mir.
„So können wir in Kontakt bleiben und ich kann um Hilfe rufen, wenn ich bei der nächsten Anno-Mission nicht weiterkomme“, sagte er grinsend.
Ich drehte mich um und wollte gehen, weil meine Eltern zum wiederholten Male von unten gerufen hatten, da sagte Lukas noch: „Bist übrigens echt cool, gar nicht so'n Freak wie Kevin behauptet hat.“
Ich schaute ihn an und sagte: „Du bist auch ziemlich cool.“
Lukas lächelte mich an und für einen kurzen Moment trafen sich unsere Blicke. Und schon wieder hatte sich ein Bild tief in meinem Gehirn eingebrannt.
In dieser Nacht konnte ich sehr lange nicht einschlafen.

- 6 -
In den nächsten Tagen sprachen wir uns öfter – oder genauer gesagt: Wir lasen uns öfter. Wir diskutierten in ICQ stundenlang über Computerspiele oder erzählten uns, wie ätzend die Schule mal wieder gewesen war. Leider gingen wir nicht auf dieselbe, sodass wir nicht gemeinsam über unsere Lehrer lästern konnten, aber lustig war's trotzdem.
Dummerweise geschah das, was ich mir von einer Kontaktaufnahme mit Lukas erhofft hatte, nicht. Meine Gedanken und Gefühle für ihn schwächten sich nicht ab, nun, wo ich regelmäßig Kontakt mit ihm hatte, sondern sie wurden nur noch stärker. Alles in mir drängte mich dazu, ihm zu verraten, was ich für ihn empfand, was ich schon das allererste Mal, als ich ihn gesehen hatte, für ihn empfunden hatte, aber ich hatte andererseits auch wieder Angst davor, dass er sich dann von mir abwenden und nie wieder mit mir reden oder chatten würde.
Und genauso hatte ich auch die Sorge, dass er vielleicht seinen Eltern erzählen könnte, was für ein perverses Schwein auf der anderen Straßenseite wohnte. Ich fragte mich, ob so was wohl strafbar war. Bestimmt war das sexuelle Belästigung oder so was in der Richtung. Darum schwieg ich lieber.
Neun Tage nach der Gartenparty fragte mich Lukas, als wir uns in ICQ trafen: „Hast du Lust, morgen zu meiner Geburtstagsparty zu kommen?“
Ich schrieb zurück: „Klar, aber bin ich nicht zu alt?“
Lukas' Antwort war: „Nö, wieso? Kevin kommt auch. Würde mich freuen, wenn du auch kommst.“
„Klar, gerne. Soll ich irgendwas mitbringen?“
„Irgendwas zu knabbern, Chips oder so. Für Getränke ist gesorgt. Kevin bringt übrigens was zu saufen mit.“
„Was zu saufen?“ fragte ich.
„Ja, Sekt oder Wein oder so.“
„Darfst du das?“ wollte ich wissen.
„Nö, aber meine Eltern sind ja nicht da, die merken nix.“
„Aber ich weiß nicht, ob Alkohol so doll ist“, schrieb ich.
„Hey, ich werde 15!“ war seine Antwort.
Ich seufzte und dachte: „Tja, er wird wohl langsam erwachsen. Damit muss ich mich abfinden.“
Trotzdem freute ich mich natürlich auf die Party, obwohl ich natürlich auch etwas Angst hatte, Lukas wiederzusehen – und noch dazu einen Haufen anderer Jungs in seinem Alter.

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„Hi, Jan!“ begrüßte mich Lukas überschwänglich. „Bist der Erste“, sagte er. Das wunderte mich nicht, immerhin war ich eine halbe Stunde früher da.
„Erstmal herzlichen Glückwunsch und so“, sagte ich und schüttelte seine Hand, was mich schmerzhaft an unsere erste Begegnung erinnerte.
„Ich dachte, ich kann vielleicht noch ein bisschen bei den Vorbereitungen mithelfen“, sagte ich als Entschuldigung für mein frühes Auftauchen.
„Nee, ist schon alles vorbereitet“, sagte Lukas. „Aber du kannst ja mal schauen, was ich von meinen Eltern so alles bekommen habe.“
Ich schaute und staunte nicht schlecht darüber, womit sie ihn alles bedacht hatten. Er hatte einen neuen Drucker bekommen, zwei Computerspiele, einen Eastpak-Rucksack und noch einiges an Kleinkram.
„Nicht schlecht“, meinte ich, „so viele bekomme ich zum Geburtstag nie.“
„Warst wohl nicht brav genug, was?“ meinte Lukas grinsend.
„Sag mal, hast du eigentlich eine Freundin?“ fragte ich spontan. „Hä, wie kommst du denn jetzt darauf?“
„Ach, nur so. Bin halt neugierig.“
„Nee, hab keine. Du?“
„Auch nicht.“
„Vielleicht ist ja auf der Party eine für dich dabei“, meinte Lukas grinsend, „ich habe auch ein paar Mädels eingeladen.“
„Aber die sind doch sicher auch alle um die 15?“ fragte ich. „Klar, aber ist doch genau das richtige Alter für dich“, sagte Lukas.
„Ja, aber leider das falsche Geschlecht“, fügte ich in Gedanken hinzu.
Schließlich trudelten die ersten Gäste ein. Zwar wurden die mir alle mit Namen vorgestellt, aber ich hatte noch nie ein sonderlich gutes Namensgedächtnis, schon gar nicht, wenn ich mir 13 Namen auf einmal merken sollte. Ein paar von Lukas' Klassenkameraden sahen übrigens wirklich gut aus, und längst nicht alle waren schon im Stimmbruch. Trotzdem konnten die mich nicht wirklich ablenken, ich hatte weiterhin nur Augen für das Geburtstagskind, das gar nicht mehr so kindlich wirkte.
Die Party fing eigentlich ganz gut an. Ich war noch nie ein sonderlich großer Partygänger und war auch seit Jahren auf keiner Party mehr gewesen. Das lag wohl auch daran, dass ich die meisten Interessen der Leute in meinem Alter nicht teilte und ich unter Gleichaltrigen immer das Gefühl hatte, dass die anderen alle viel reifer und erwachsener waren als ich. Hier war das anders.
Unter den ganzen 14- und 15-Jährigen fühlte ich mich ziemlich gut aufgehoben und ich habe mich auch mit den meisten ganz nett unterhalten. Was mich nur etwas störte war, dass Lukas mich die meiste Zeit ignorierte und lieber mit seinen Klassenkameraden rumhing, vor allem aber mit einem Mädchen, das offenbar an ihm interessiert zu sein schien.
Als ich gerade mal wieder einen etwas zerknirschten Blick auf die beiden warf, meinte Kevin plötzlich: „Da kann man glatt neidisch werden, was?“
„Oh ja“ , seufzte ich, ohne groß drüber nachzudenken, erschrak dann aber plötzlich, als mir bewusst wurde, was ich gesagt hatte.
„Sie sieht aber auch verdammt gut aus“, meinte Kevin. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte natürlich das Mädchen gemeint, nicht Lukas.
„Und, wie findest du die Party so?“ fragte Kevin.
„Ganz okay soweit. Ich war erst etwas skeptisch, weil die alle jünger sind, aber die meisten finde ich doch ganz okay“, sagte ich.
„Ja, sind schon ganz coole Leute bei“, stimmte mir Kevin zu. „Vor allem die Mädels“, fügte er hinzu und warf mir einen seltsamen Blick zu, den ich nicht deuten konnte.
„Sag mal, weißt du eigentlich, wie das Mädchen heißt, dass da die ganze Zeit bei Lukas ist?“ wollte ich wissen und zeigte auf die beiden, die sich offenbar sehr amüsierten.
„Ich glaube, die heißt Lisa. Ist in Lukas' Klasse. Ich bin übrigens erstaunt, dass der so locker drauf ist heute, sonst ist der Mädels gegenüber immer total schüchtern. Liegt vielleicht am Alkohol.“ Ich schaute auf den Tisch, auf dem mittlerweile zwei leere Weinflaschen standen.
„Sag mal, findest du's eigentlich okay, dass die schon Alkohol trinken?“ fragte ich.
„Klar, warum nicht? Die sind doch alt genug, und es ist ja kein Wodka oder so was“, meinte Kevin.
„Trotzdem, ich weiß nicht.“
„Hey, sag bloß nicht, du hattest mit 15 noch nie Alkohol getrunken?“ fragte Kevin.
„Na ja, hatte ich damals wirklich noch nicht.“ Dass ich auch mit 16, 17 oder 18 keinen Alkohol getrunken hatte, brauchte ich ihm ja nicht auf die Nase zu binden. Natürlich hatte ich schon mal einen Schluck Sekt an Silvester oder auf Familienfeiern getrunken, aber nie mehr als nötig, und geschmeckt hatte es mir auch nie. Ich weiß auch gar nicht so genau, warum ich das Zeug nie anrührte.
Na ja, eigentlich weiß ich es schon. Irgendwie hatte ich immer Angst, dass ich dadurch zu enthemmt werden und Dinge ausplaudern könnte, die besser niemand wissen sollte. Andererseits war ich natürlich auch etwas neugierig, was alle am saufen so toll fanden, und vielleicht würde es mir ja sogar helfen, ein wenig enthemmter zu werden. Also ging ich auf den Tisch zu, auf dem neben den zwei leeren Flaschen noch zwei volle und eine angebrochene standen, nahm mir ein sauberes Glas und schüttete es randvoll mit Wein.
Ich war überrascht, dass das Zeug gar nicht mal so schlecht schmeckte, und je mehr ich davon trank, desto besser gefiel es mir und desto lockerer wurde ich auch. Der Abend gefiel mir immer besser, denn irgendwie hatte ich nun gar kein Problem mehr damit, dass Lukas mit einem Mädel rumturtelte. Das war bestimmt nichts ernstes, erst recht nicht in dem Alter. Nachdem ich schätzungsweise eine halbe Flasche Wein geleert hatte, spürte ich die Wirkungen des Alkohols doch schon deutlich. Ich bin zwar ziemlich groß, aber man muss bedenken, dass ich noch nie zuvor so viel getrunken hatte.
Ich begann, mich mit Kevin, der ebenfalls nicht mehr der nüchternste war, über irgendwelchen Blödsinn zu unterhalten. Was für welchen weiß ich gar nicht mehr so genau. Irgendwann kamen wir dann auch auf das Thema Freundinnen zu sprechen.
„Hast du momentan eine?“ fragte ich.
„Nö. Du?“ war die knappe Antwort.
„Auch nicht“, sagte ich. „Wie lange bist du denn schon solo?“ wollte ich wissen.
„Na ja, solo bin ich eigentlich nicht“, sagte Kevin und grinste.
„Aber du sagtest doch gerade ...“
„Ich sagte, dass ich keine Freundin habe, stimmt. Aber ich habe einen Freund.“ Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
„Moment, heißt das, du bist schwul?“ fragte ich.
„Genau das. Was dagegen?“
„Nein, ich war nur etwas verwundert. Du hattest doch vorhin gesagt, dass du Lukas beneidest, weil diese Lisa was von ihm wollte.“
„Ja“, sagte er, „ich rücke damit eben nicht immer gleich raus. Weißt du, bei vielen meiner Kumpels wäre ich unten durch, wenn die wüssten, dass ich schwul bin. Die denken immer gleich, man will dann was von denen. Darum sage ich's halt nur so wenigen Leuten wie nötig.“
„Und warum hast du's mir verraten?“ wollte ich wissen.
„Na ja, ich denke, dir kann man so was anvertrauen, du plauderst das nicht so schnell aus. Außerdem kennst du ja keinen meiner Kumpels, von daher ist das eigentlich egal“, erklärte er. „Aber nun zu dir. Warum hast du keine Freundin?“ Ich wurde rot.
„Na ja, also um ehrlich zu sein ...“
„Du bist zu schüchtern, gib's zu.“
„Na ja, das auch, aber ...“ Ich konnte ihm unmöglich die Wahrheit sagen.
Sollte ich einfach sagen, dass ich schwul sei? Irgendwie stimmte das ja auch, denn schließlich stand ich ja auf Jungs. Dass Lukas vom Alter her die Obergrenze war, brauchte ich ihm ja nicht zu verraten. Und vielleicht konnte er mir ja irgendwelche Tipps geben – auch wenn ich nicht genau wusste, was für welche ich mir erhoffte.
Nach einigem Zögern sagte ich also schließlich: „Okay, da du so ehrlich warst, will ich's auch sein. Ich bin ebenfalls schwul.“
„Echt? Cool!“ war Kevins Antwort.
„Warum?“ wollte ich wissen.
„Na ja, ist eher selten, dass man zufällig auf 'nen anderen Schwulen trifft. Außerdem muss ich zugeben, dass du nicht schlecht aussiehst, eigentlich sogar ganz gut.“
Ich sah ganz gut aus? Ich glaube, das war das erste Mal, dass mir jemand so ein Kompliment gemacht hatte. Ich selbst hatte mich eigentlich nie für sonderlich gut aussehend gehalten, manchmal, wenn ich mal wieder in einer meiner Depriphasen war, fand ich mich sogar richtiggehend hässlich. Und dann kam plötzlich einer daher, noch dazu einer, der älter war als ich, und meinte, ich sähe gut aus.
„Hattest du denn schon mal was mit 'nem Jungen?“ bohrte Kevin weiter nach.
Eigentlich wollte ich mir nicht die Blöße geben und verraten, dass ich noch Jungfrau war, aber der Alkohol hatte meine Zunge gelockert: „Ehrlich gesagt, bisher noch nie.“ Kevin wirkte nicht gerade überrascht.
„Du bist halt einfach zu schüchtern. Warum versuchst du nicht mal, irgendwie per Internet Kontakte zu bekommen?“
„Weil es verboten ist, sich als 18-Jähriger mit 14-Jährigen einzulassen“, dachte ich, hütete mich aber davor, das zu sagen. Was nützten mir irgendwelche Schwulenkontaktbörsen, wo ich nur auf Jungs in meinem Alter oder gar ältere traf? Die interessierten mich nun mal nicht die Bohne.
Statt die Wahrheit zu sagen versuchte ich also, der Frage auszuweichen: „Na ja, da habe ich bisher noch nie dran gedacht. Aber danke für den Tipp.“
Ich überlegte krampfhaft, wie ich das Thema wechseln konnte, bevor er mich noch weiter löcherte und ich dann womöglich doch noch was gesagt hätte, was ich hätte bereuen können.
„Äh, ich hole mir mal noch etwas Wein“, sagte ich, auf das leere Glas in meiner Hand blickend.
„Gute Idee“, sagte Kevin und folgte mir zum Tisch, wo inzwischen die letzte Weinflasche angebrochen war.
„Sieht aus, als müssten wir sparsam damit umgehen“, sagte Kevin. „Oder wir gehen mal eben rüber zur Tanke und holen noch welchen.“
„Ich weiß nicht, war das nicht genug für einen Abend?“ meinte ich.
„Ach, komm, ein bisschen Wein schadet doch nicht. Wir sind 15 Leute, da braucht man halt ein wenig mehr. Ich sag nur eben Lukas Bescheid, dann können wir gehen.“
Eigentlich hatte ich nicht wirklich Lust dazu, zumal ich das Gefühl hatte, betrunken genug zu sein, aber Kevin konnte wirklich gute Überzeugungsarbeit leisten, und so fanden wir uns wenig später draußen auf der Straße wieder.
„Ist ziemlich frisch geworden“, meinte Kevin, als wir durch unsere Siedlung gingen.
„Wir haben halt Ende September“, sagte ich.
„Wir können uns ja gegenseitig wärmen“, schlug Kevin vor und versuchte, mich zu umarmen, was ich jedoch instinktiv abwehrte.
„Was denn?“ fragte er.
„Irgendwie habe ich da jetzt keinen Bock drauf“, gab ich zur Antwort. Hatte ich eigentlich schon, aber nicht mit Kevin. Er sah zwar ganz okay aus, war mir aber einfach zu alt.
Schließlich betraten wir die Tankstelle, die bis auf die Kassiererin menschenleer war. Kevin steuerte das Regal mit den Spirituosen an.
„Hmm, was nehmen wir denn mal? Auf jeden Fall noch zwei Flaschen Wein für Lukas und seine Freunde, und für uns etwas mit ein bisschen mehr Power.“ Er griff nach einer Flasche Jack Daniels.
„Also, das Zeug trinke ich aber nicht“, meinte ich.
„Du kannst es ja zumindest mal probieren. Schmeckt gar nicht schlecht, und wirkt viel besser als Wein.“
„Deswegen will ich's ja nicht trinken. Ich glaube, ich hatte genug für heute Abend.“
Kevin schüttelte den Kopf: „Ach was, man muss seine Grenzen ausloten. Du kannst bestimmt noch ein bisschen vertragen.“ Dabei fuhr er mir mit der Hand durch die Haare.
„Hey!“ sagte ich bloß.
Kevin grinste mich an: „Du bist echt zum Knuddeln, weißt du das?“
Nein, wusste ich nicht, und ich wollte es auch gar nicht wissen. Dass er fand, dass ich gut aussehe, war noch okay, aber zum Knuddeln wollte ich eigentlich nicht sein. Jedenfalls nicht für ihn. Ich sah zu, wie Kevin bezahlte, und wir machten uns auf den Rückweg.
Er drückte mir eine der Weinflaschen in die Hand: „Hier, kannst auch was tragen. Aber nicht alles allein austrinken, das ist für die Kleinen. Wir haben ja was besseres.“
Er hob die Flasche Jack Daniels hoch, nur für den Fall, dass ich vergessen hatte, was das Bessere war.
Als wir wieder ankamen, war die Party noch im vollen Gange, auch wenn die ersten Leute schon gegangen waren.
„Seht mal, was ich hier habe“, sagte Kevin und hob die Weinflasche hoch. „Und der Kleine hat auch noch eine“, meinte er und zeigte auf mich. Toll, nun war ich schon der Kleine.
„Hey, du hast ja Whisky“, sagte einer der Jungs.
„Cool!“ rief ein anderer.
„Sorry, der ist nicht für euch, sondern nur für Jan und mich. Dafür müsst ihr erst richtige Männer sein“, sagte Kevin.
„Komm, 'nen kleinen Schluck werden wir doch haben dürfen“, sagte ein Mädchen.
Kevin grinste, nahm eines der Gläser vom Tisch und füllte es halb voll.
„So, das könnt ihr rumgehen lassen, aber den Rest trinken wir zwei.“
„Ich hab doch gesagt, ich will nichts davon“, meinte ich.
„Und ich hab gesagt, einen Schluck zu probieren wird dich schon nicht umbringen. Wo ist dein Glas?“ Ich zeigte auf ein Glas am anderen Ende des Tisches.
„Okay“, sagte Kevin, nahm das Glas und füllte es ebenfalls bis zur Hälfte.
„Das ist aber mehr als ein Schluck“, sagte Lukas, der sich endlich mal kurz von Lisa abgewendet hatte.
„So, Jan, du gehst erst, wenn du das Glas leer gemacht hast“, sagte Kevin und setzte wieder sein Grinsen auf.
„Nee, danke, dann bleib ich lieber hier, bevor ich das Zeug trinke.“
„Komm schon, sei kein Weichei“, meinte einer der Jungs, während er das andere Glas weiterreichte.
„Siehst du, die trinken's auch und sterben nicht davon. Dann kriegst du das auch hin“, sagte Kevin. „Du bist vier Jahre älter als die, also zeig's ihnen!“
Die anderen lachten. Ich nicht. Ich wollte nur noch nach Hause, aber ich wollte auch nicht als Waschlappen dastehen, vor allem nicht vor Lukas, der mich ebenso wie die anderen erwartungsvoll anstarrte.
„Los, Jan!“ rief Kevin.
„Jan! Jan! Jan!“ riefen die anderen im Chor.
Ich seufzte und fragte mich, was ich tun sollte. Ein kleiner Schluck konnte ja nicht schaden, dachte ich mir. Und die konnten mich schließlich nicht dazu zwingen, das ganze Glas auszutrinken. Also nahm ich es und setzte vorsichtig an.
„Nicht so zaghaft“, meinte Kevin. „Das musst du auf ex trinken!“
Ich trank einen kleinen Schluck von dem bitteren Zeug.
„Los, trau dich!“ rief Kevin.
„Lass ihn doch, wenn er nicht will“, sagte Lisa.
„Genau. Er hat doch 'nen Schluck getrunken“, stimmte ein anderes Mädchen zu.
Ich war ihnen dankbar und wollte das Glas gerade absetzen, als Kevin auf mich zukam und mir das Glas an den Mund hielt.
„Los, auf ex!“ sagte er noch einmal und kippte mir das ganze Glas in den Mund.
Ich verschluckte mich, als ich plötzlich den ganzen Mund voll Whisky hatte, kriegte aber trotzdem alles runter, was drin war. Und das war nicht wenig, auch wenn die Hälfte nebenher gelaufen war und nun an meinem T-Shirt runterfloss. Ich hustete und keuchte, während ich weiter versuchte, meine Atemwege frei zu bekommen.
„Sag mal, spinnst du?“ schrie Lukas seinen Cousin an. „Er hat doch gesagt, er will nicht mehr.“
„Echt? Habe ich nicht gehört“, meinte Kevin, und bestimmt hatte er wieder dieses hämische Grinsen drauf.
Sehen konnte ich das in dem Moment nicht, denn ich hatte Tränen in den Augen von dem scharfen Alkohol, der sich langsam in meinem Magen ausbreitete. Schließlich kriegte ich wieder einigermaßen Luft, doch das Brennen im Magen, in der Kehle und vor allem in der Luftröhre ließ nicht nach.
Außerdem spürte ich richtig, wie der Alkohol mir zu Kopfe stieg. Mir wurde schwindlig und ich musste mich setzen. Zum Glück stand ein Stuhl in der Nähe, sonst wäre ich sicherlich auf dem Boden gelandet.
„Du bist echt so ein Arsch!“ hörte ich Lukas schreien. Er schubste Kevin beiseite und kam zu mir rüber.
„Alles okay?“ fragte er. Ich schüttelte den Kopf, zu mehr war ich in dem Moment nicht in der Lage.
„Möchtest du dich hinlegen?“ fragte Lukas.
„Mit dir?“ wollte ich wissen und brachte ein müdes Grinsen zustande. Lukas runzelte die Stirn.
„Quatsch! Das Sofa ist dafür zu klein“, sagte er und versuchte, mich hochzuziehen, was ihm jedoch nicht gelang, weil ich wie ein nasser Sack in seinen Armen hing. Trotz meines Zustands genoss ich seine Berührung irgendwie.
„Los, du musst schon mithelfen, sonst pack ich das nicht“, sagte Lukas.
Ich versuchte, mich etwas hochzustemmen und mit ihm als Stütze gelang es mir schließlich, zum Sofa zu torkeln, wo ich mich sofort wieder fallen ließ.
„Sollen wir nicht lieber 'nen Eimer holen?“ fragte Lisa. „Du weißt schon, falls er ...“
„Okay, ich hol einen“, meinte Lukas.
Er verschwand kurz im Bad, während Lisa versuchte, meine Beine, die nur halb auf dem Sofa gelandet waren, ganz nach oben zu bugsieren. Als es ihr schließlich gelungen war, kam auch Lukas schon mit dem Eimer an, den er vor mir auf den Boden stellte.
„Jan, hör mir zu, falls du kotzen musst, versuch bitte, den Eimer zu treffen“, erklärte Lukas, „ich krieg mächtig Ärger mit meinen Eltern, wenn das Sofa verdreckt ist.“
Ich lächelte ihn nur an und bewunderte seine zarten Gesichtszüge.
„Der ist völlig weggetreten“, sagte Kevin.
„Ja, und das ist deine Schuld, du Aso!“ schrie ihn Lukas an. „Was hast du dir dabei eigentlich gedacht?“
„Hey, ich wusste ja nicht, dass der so ein Weichei ist. Typisch Schwuchteln, vertragen nichts.“
„Jetzt halt die Klappe!“ meinte Lisa.
„Ist aber wahr, der Typ ist schwul. Hat er mir selber gesagt. Der hat vorhin sogar versucht, mich anzugrabschen!“ sagte Kevin.
Ich wollte widersprechen, musste mich aber leider gerade in dem Moment übergeben. Zum Glück traf ich den Eimer.
„Moment, ich hol 'nen Waschlappen und etwas Wasser“, sagte Lukas und verschwand wieder in Richtung Bad. „Und wenn du noch da bist, wenn ich wiederkomme“, sagte er zu dem dämlich grinsenden Kevin, „dann gibt’s Ärger.“
„Hey, bleib cool“, meinte Kevin abwehrend, „ich geh ja schon. Ist mir eh viel zu lahm hier. Aber den Fusel nehme ich mit.“ Er schnappte sich die Flasche Jack Daniels und ging zur Tür.
„Bist echt so'n Weichei“, sagte er in meine Richtung, dann war er verschwunden.
Von den nächsten ein, zwei Stunden bekam ich nicht allzu viel mit. Ich vermute, ich habe die meiste Zeit geschlafen. Und mindestens noch einmal gekotzt, denn als ich wieder aufwachte, war der Eimer wieder voll, obwohl Lukas ihn vorher geleert hatte.
Ich schaute mich im Raum um, aber es war niemand zu sehen. Mein Blick fiel auf die große Uhr, die über dem Fernseher hing. Es war halb drei morgens. Ich versuchte, aufzustehen, hatte mich aber zu schnell erhoben und ließ mich wieder fallen, weil sich plötzlich das Zimmer um mich herum drehte. Ich versuchte es noch einmal, diesmal etwas langsamer.
Schließlich stand ich, zwar auf wackligen Beinen, aber immerhin. Mir war zwar immer noch schwindelig, doch dafür ging's meinem Magen besser, und ich konnte mich sogar vorwärts bewegen, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass ziemlich hoher Seegang war. Ich hörte ein Geräusch hinter dem anderen Sofa, das im Wohnzimmer stand, und bewegte mich darauf zu. Als ich hinter die Couch schaute, sah ich Lukas und Lisa, die offenbar gerade die letzte Flasche Wein geleert hatten, miteinander rumknutschen. Lukas schaute auf.
„Hey, du bist ja wach“, sagte er. „Wie geht’s dir?“
„Na ja, mir ist noch ziemlich schwummerig“, sagte ich. „Und ... äh, der Eimer ist wieder voll. Soll ich den ausleeren?“
„Lass nur, das mach ich nachher schon.“
„Wo sind die anderen?“ wollte ich wissen.
„Die sind alle gegangen.“
„Aha“, meinte ich und stand etwas unschlüssig in der Gegend herum, während Lisa Lukas über die Haare streichelte.
„Äh, glaubst du, du findest den Weg nach Hause?“ fragte Lukas. „Kannst sonst auch in meinem Bett pennen.“
„Danke, aber das wird schon gehen. Ist ja bloß einmal über die Straße.“
So gerne ich auch in Lukas Nähe war, ich wollte nicht dabei sein, wenn er mit einem Mädchen rumknutschte. An diesem Abend war so vieles falsch gelaufen, da musste das nicht auch noch sein. Ich zog meine Schuhe an, warf mir meine Jacke über die Schulter und ging.

- 8 -
In den nächsten Tagen sah ich Lukas nicht, worüber ich auch irgendwie froh war. Ich wollte die Geburtstagsparty einfach nur vergessen. Erst als die Herbstferien begonnen hatten, begegnete ich ihm wieder. Meine Mutter hatte mich zum einkaufen geschickt, und auf dem Rückweg hörte ich schon von weitem das altbekannte Geräusch des Basketballs.
Diesmal empfand ich jedoch keine Vorfreude, und ich bekam auch kein Herzklopfen, als ich Lukas sah. Mich erfüllte bloß eine gewisse Wehmut. Dabei legte er diesmal sogar seinen Ball hin und kam zu mir herüber, davon hatte ich ein paar Wochen vorher nicht mal zu träumen gewagt. Aber da hatte ich ihn auch noch nicht mit einem Mädchen hinter dem Sofa knutschen sehen.
„Hi, Jan. Lange nicht gesehen. Wie geht’s?“
„Gut“, antwortete ich müde.
„Alles okay?“ fragte er. Ich rang mir ein schwaches Lächeln ab.
„Ja, alles in Ordnung, ich bin nur etwas schlapp.“
„Warum das? Sind doch Ferien“, meinte Lukas.
„Na ja, mir macht das immer noch etwas zu schaffen, was da auf der Party passiert ist“, meinte ich.
„Ach so. Nimm's nicht so eng. Kevin ist ein Arschloch. Ich hab auch meinen Eltern gleich gesagt, was passiert ist. Ich nehme an, er kriegt jetzt ziemlichen Stress mit meinem Onkel.“
„Ja, aber trotzdem habe ich das Gefühl, ich hab mich ziemlich daneben benommen. Und ich hab in eurem Wohnzimmer rumgekotzt.“
„War nix passiert, du hast den Eimer gut getroffen“, meinte Lukas und lächelte. Diesmal zeigte es bei mir jedoch kaum eine Wirkung.
„Hey, weißt du was, du kannst ja nachher rüberkommen, dann können wir weiterquatschen. Außerdem habe ich mir Paraworld gekauft. Ist echt cool.“
„Okay, gerne“, sagte ich, schon etwas weniger lustlos.
„Schön. Sagen wir, so gegen drei? Ich muss jetzt auch rein zum Essen.“
„Okay. Ich glaub, meine Mutter wartet auch schon auf ihre Einkäufe.“
Punkt drei Uhr stand ich bei ihm auf der Matte.
„Bist ja mal wieder pünktlich“, sagte er. „Komm rein.“
Wir gingen auf sein Zimmer hoch, wo er mir erstmal Paraworld zeigen musste.
„Hab's mir gestern erst gekauft, von dem Geld, das mir mein Opa zum Geburtstag geschenkt hat“, erklärte er.
„Dem fällt nie was ein, darum schenkt er mir immer 'nen Fünfziger. Ist aber okay, ich glaube, der hätte eh nicht kapiert, was das ist, wenn ich mir das Spiel von ihm gewünscht hätte.“
Er wollte es gerade starten, um mir zu zeigen, wie weit er schon gekommen war, da meinte ich: „Du, Lukas, wegen der Party ...“
„Ja?“
„Na ja, Kevin hatte doch gesagt, dass ich 'ne Schwuchtel bin und dass ich ihn angegrabscht hätte und so.“
„Ach, vergiss den doch mal. Den Scheiß, den der von sich gegeben hat, hat eh keiner geglaubt.“
„Es stimmt aber“, sagte ich und blickte auf den Boden. Mein Herz raste. Aber ich musste es endlich loswerden. „Also nicht, dass ich ihn angegrabscht habe, aber dass ich ... Na ja, ich bin schwul.“
Nun war es raus. Zwar war es wieder nicht die ganze Wahrheit, aber zumindest kam es ihr mehr oder weniger nahe. Seltsamerweise fühlte ich mich nicht erleichtert, wie ich gehofft hatte. Ich schaute Lukas an, um seine Reaktion zu beobachten. Doch er ließ sich nichts anmerken.
Er schien weder schockiert noch erfreut zu sein und sagte einfach: „Ist doch okay, da habe ich kein Problem mit.“
Irgendwie war das nicht die Antwort, die ich mir erhofft hatte. Wobei ich mich fragte, welche Antwort ich mir erhofft hatte. Dass er nicht in Begeisterungsstürme ausbrechen würde, war mir schon vorher klar, und dass er nichts dagegen hatte, war ja immerhin besser als wenn er mich aus dem Haus gejagt hätte. Aber vielleicht hatte ich mir irgendwie insgeheim erhofft, dass er meine Neigung teilen könnte.
„Nee, das macht mir echt nichts aus“, beteuerte er noch einmal, und fügte grinsend hinzu: „Solange du nicht versuchst, mich anzugrabschen und das nur bei Kevin machst. Ich steh nämlich nicht auf Jungs, wie du ja sicher auf der Party gesehen hast.“
Komischerweise erleichterte mich diese Antwort eher, als dass sie mich schockierte. Irgendwie hatte mein Unterbewusstsein wohl von Anfang an gewusst, dass Lukas heterosexuell war, auch wenn ich mir immer wieder eingeredet hatte, dass er vielleicht doch auf Jungs steht, selbst wenn die Chance winzig klein war. Und auch wenn es so gewesen wäre, ich wäre ihm bestimmt zu alt gewesen. So wie Kevin mir zu alt war. Aber nun hatte ich wenigstens die Gewissheit, dass ich nie eine Chance bei Lukas haben würde. Vielleicht würde das meine ausufernde Fantasie etwas beruhigen. Und ich brauchte mich nun auch nicht mehr zu fragen, ob ich mir nicht doch eine Chance entgehen ließ.
„Bist aber trotzdem ein cooler Kumpel“, sagte er lächelnd. „Da kann Kevin sagen, was er will.“
Nun musste ich auch lächeln. Ich war ein cooler Kumpel. Dass ich cool war, hatte mir auch noch nie jemand gesagt. Und dass Lukas mir das sagte, war mir tausendmal lieber als wenn Kevin mir sagte, ich sei knuddelig. Außerdem fand ich es viel schöner, Lukas' Kumpel zu sein als überhaupt keinen Kontakt mit ihm zu haben. Und mehr als Lukas' cooler Kumpel würde ich auch nie werden, das hatte ich jetzt endlich erkannt.
Und ich war mir sicher, dass ich es nun auch endlich akzeptieren konnte.

 

Hallo Arnie,

mir hat dein Text sehr gut gefallen. Die Erzählstimme ist angenehm ruhig und unspektakulär. Den inneren Konflikt des Protagonisten fand ich gelungen und feinfühlig umgesetzt. Die Schwärmerei ist ebenfalls glaubwürdig umgesetzt, die Charaktere sind schön gezeichnet in dieser Identitäts-Falle.

Der einzige Kritikpunkt wäre vielleicht das Ende. Das geht mir dann doch zu glatt und disney-mäßig aus. Und manche Gespräche fand ich etwas unglaubwürdig, gerade das mit seinem zehnjährigen Cousin, der so cool auf die Erektion reagiert und das alles.
Stilistisch ist die Szene schwierig, als er sich betrinkt und trotzdem noch über weite Teile die Erzählstimme aufrechterhalten kann. So richtig sauber ist das in meinen Augen nicht.

Aber trotzdem: sehr gerne gelesen.

Quinn

 

Hey Arnie,

ein bisschen steckt das Thema deiner letzten Geschichte auch in dieser, auch wenn du das Ende hier sehr viel versönlicher gestaltest.
Gerade angesichts des bevorzugten Altersunterschieds stelle ich mir das Coming Out für deinen Protagonisten auch ziemlich schwierig vor. Er entdeckt in sich eine Seite, von der ihm schon im Vorfeld bestimmt oft genug mitgeteilt wurde, dass solche Leute das Letzte sind. Diese Fantasien in sich zu spüren kann zu heftiger Selbstverachtung führen. In sofern ist es schön, dass er dem Coming Out bei Lukas jedenfalls gute Erfahrungen macht. Ich erlebe es auch oft, dass eine deutlich Ansage selbst im negativen Fall sehr befreiend sein kann.
Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen, die Szene mit dem zehnjährigen Verwandten im Schwimmbad fand ich nicht unrealistisch. Was mich eher störte, waren manchmal etwas plumpe Überleitungen, wenn du vom notwendigen erzählenden wieder in den zeigenden Stil gewechselt bist. Auch gibt es einige mich störende und mitunter auch falsche durch "wie" und "wo" eingeleitete Nebensätze, aber aus Faulheit nur zwei Details. ;)

Schließlich träumte ich sogar von ihm, nicht nur am Tag, wenn ich ... Sie wissen schon, mit mir selbst beschäftigt war, sondern auch nachts.
du kannst es ja bei der Umschreibung lassen, aber "sie wissen schon" würde ich streichen. Kommt ja sonst in der Geschichte auch nicht vor.
einen neuen Eastpak-Rucksack und noch einiges an Kleinkram.
bei dem Drucker lasse ich das neu noch durchgehen, bei dem Rucksack wäre es nur vonnöten, wenn entweder der alte erwähnt worden wäre oder er einen gebrauchten bekommen hätte, etwas dazu zu schreiben.


Alles in allem aber eine tolle Jugendgeschichte. :)

Lieben Gruß, sim

 

Moin Quinn,

danke für das Lesen meiner doch ziemlich langen Geschichte und das Lob und die Kritik dazu.

Quinn schrieb:
Der einzige Kritikpunkt wäre vielleicht das Ende. Das geht mir dann doch zu glatt und disney-mäßig aus.

Ja, mit dem Ende bin ich auch nicht so hundertprozentig zufrieden, aber ich wollte die Geschichte positiv enden lassen, und nicht so, dass Jan hinterher mit Lukas zusammenkommt, das wäre wahrscheinlich ziemlich unglaubwürdig geworden.

Quinn schrieb:
Und manche Gespräche fand ich etwas unglaubwürdig, gerade das mit seinem zehnjährigen Cousin, der so cool auf die Erektion reagiert und das alles.

Ich könnte mir schon vorstellen, dass ein Zehnjähriger so reagiert, der wird sich wahrscheinlich nichts weiter dabei denken, zumal Jan ja "nur" fünf Jahre älter als sein Cousin ist. Und ich kann mir durchaus auch vorstellen, dass Zehnjährige schon was mit dem Wort "schwul" anfangen können, wenn auch vielleicht eher als eine Art Schimpfwort, um andere zu ärgern.

Quinn schrieb:
Stilistisch ist die Szene schwierig, als er sich betrinkt und trotzdem noch über weite Teile die Erzählstimme aufrechterhalten kann. So richtig sauber ist das in meinen Augen nicht.

Stimmt, daran hatte ich beim Schreiben auch gedacht. Wenn man sturzbetrunken ist, kriegt man nicht mehr wirklich viel von der Umgebung mit. Aber es kann ja sein, dass Jan hinterher von Lukas erfahren hat, was genau da abgelaufen ist oder dass er zumindest noch einen Teil mitbekommen hat, bevor der Alkohol richtig wirkte.

 

Hi sim,

auch dir vielen Dank für das Lesen der Geschichte und deinen Kommentar dazu :)

sim schrieb:
ein bisschen steckt das Thema deiner letzten Geschichte auch in dieser, auch wenn du das Ende hier sehr viel versönlicher gestaltest.

Dadurch bin ich auch auf die Idee zu dieser Geschichte gekommen. Ich wollte das Thema Pädophilie (oder hier vielleicht eher Ephebophilie, also Liebe zu Jugendlichen) hier im Zentrum der Geschichte stehen haben, nicht nur am Rande.

sim schrieb:
Was mich eher störte, waren manchmal etwas plumpe Überleitungen, wenn du vom notwendigen erzählenden wieder in den zeigenden Stil gewechselt bist. Auch gibt es einige mich störende und mitunter auch falsche durch "wie" und "wo" eingeleitete Nebensätze, aber aus Faulheit nur zwei Details. ;)

Ich geb zu, ich muss an meinem Stil noch etwas feilen, aber vielleicht kommt das ja durch Übung. Bisher habe ich noch nicht so viele Geschichten geschrieben.

sim schrieb:
du kannst es ja bei der Umschreibung lassen, aber "sie wissen schon" würde ich streichen. Kommt ja sonst in der Geschichte auch nicht vor.

Ups, das hatte ich übersehen. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, dass Jan die ganze Sache einem Psychologen oder jemand anderem erzählt, bin dann aber schnell davon abgekommen. Das "Sie wissen schon" ist dann wohl als Relikt dieser Idee versehentlich dringeblieben.

Das "neu" beim Rucksack habe ich auch gestrichen.

sim schrieb:
Alles in allem aber eine tolle Jugendgeschichte. :)

Danke schön :)

 

Hi Arnie
Diese Geschichte hat mir wesentlich besser gefallen, als deine letzte, was wahrscheinlich daran liegt, dass das Thema mal etwas anderes ist und du es recht gut umgesetzt hast.:thumbsup:
Mir gefällt die Art, wie du die Gefühle des Prots beschreibst, man konnte sich gut in die Lage von ihm verstetzen.
Das mit dem 10- Jährigen Cousin, naja, was soll´s, ist zwar nicht unglaubwürdig, aber doch schon ´n bisschen krass.
Aber ich würds trotzdem drin lassen:D
Die ganze Kg ist irgendwie ruhig geschildert, ohne langweilig zu werden, und das bei der Länge, also ist schon ´ne Leistung =)

Hab ich gern gelesen!
Bay bay
DaDiLa

 

Hallo Arnie,

Du hast hier eine ausgezeichnete Jugendgeschichte geschrieben. Die Charakterisierung von Jan ist Dir gut gelungen, man fühlt seine Sehnsucht, Unsicherheit richtig. Die Szene bei Lukas` Geburtstagsparty und seine Gefühle danach haben mir am besten gefallen. :thumbsup: Am Anfang erzählst Du auch gut, lässt Dir viel Zeit, die Charaktere einzuführen, aber mir gefällt der flottere Mittel- und Schlussteil besser. Das Ende halte ich für genau richtig.
Insgesamt auch gut lesbar und sauber geschrieben.

m Laufe des Sommers wurde es immer extremer und ich fragte mich, ob ich langsam den Verstand verlor, da ich an nichts anderes mehr denken konnte als an den süßen Nachbarsjungen. Natürlich sackten auch meine Schulnoten ab, und natürlich bemerkten das auch meine Eltern. Sie hielten mir ständig Predigten, dass das Abijahr das wichtigste Schuljahr überhaupt sei
im Sommer kommen doch Ferien? Im Laufe des Sommer sollten also keine Schulnoten schlechter werden ... eigentlich ...

schöne Grüße
Anne

 

Hi BaDiLa, Hi Anne,

danke für eure Kommentare zu der Geschichte und das Lob :)

Maus schrieb:
im Sommer kommen doch Ferien? Im Laufe des Sommer sollten also keine Schulnoten schlechter werden ... eigentlich ...

Hmm, stimmt irgendwie, aber es kann ja sein, dass die Ferien da gerade sehr früh sind und Jan Anfang August schon wieder in die Schule muss (und ins Abijahr kommt). Das heißt, Jan hat noch sieben Sommerwochen Zeit, um seine Noten absacken zu lassen :)

 

Hallo Arnie,

ich möchte mich der insgesamt doch sehr positiven Kritik über Deine Geschichte anschließen.
Ganz besonders gut gefällt mir Dein Einfühlungsvermögen, mit der Du nicht nur den Hauptdarsteller, sondern auch die anderen Personen agieren lässt. Beim Lesen konnte ich mich dadurch auch sehr gut visuell in die Handlung hineinversetzen. Auch die innere Bedrängnis des Hauptdarstellers, als er von Kevin durch dessen Annäherungsversuche in innere Bedrängnis gerät: Richtig gut und überaus feinfühlig formuliert. Beispiel:

Kevin schüttelte den Kopf: „Ach was, man muss seine Grenzen ausloten. Du kannst bestimmt noch ein bisschen vertragen.“ Dabei fuhr er mir mit der Hand durch die Haare.
„Hey!“ sagte ich bloß.
Kevin grinste mich an: „Du bist echt zum Knuddeln, weißt du das?“
Nein, wusste ich nicht, und ich wollte es auch gar nicht wissen. Dass er fand, dass ich gut aussehe, war noch okay, aber zum Knuddeln wollte ich eigentlich nicht sein. Jedenfalls nicht für ihn.

Übrigens finde auch ich das Ende der Geschichte insgesamt gelungen; allerdings ist es etwas zu "idealistisch" für mich:

Zwar würde es meiner Idealvorstellung vom Umgang pädophiler Menschen mit Kindern entsprechen, wenn sie dieses Ziel erreichen könnten. Allerdings halte ich diese Möglichkeit letztendlich doch für schwierig (nicht für unmöglich!), da ich mir persönlich nicht sicher bin, dass es pädophilen Menschen so einfach gelingt, den Balanceakt zwischen eigener Zufriedenheit und dem positiven (weil verantwortlichen) Umgang mit Kindern zu schaffen. Immerhin ist in den letzten Sätzen Deiner Geschichte überhaupt nichts mehr von der inneren Sehnsucht nach sexueller Erfüllung in der Beziehung zu Lukas erkennbar. Sie ist wie weggeblasen, allein aufgrund der rationalen Feststellung, dass er bei Lukas, der ja offensichtlich heterosexuell ist, ja eh keine Chance hat.
Dies erscheint mir nun doch ein wenig zu "glatt".

Aber das ist natürlich meine persönliche Skepsis; insgesamt finde ich es jedoch gut, dass Du zumindest einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma aufgezeigt hast und der Geschichte nicht ein tragisches Ende verliehen hast.

V.G.:
Stephan

 

Moin Stephan,

danke für deinen Kommentar zu meiner Geschichte :)

Hundertprozentig zufrieden bin ich mit dem Ende meiner Geschichte auch nicht, aber ich denke, dass ich's trotzdem so lassen werde, bevor ich da noch mal groß dran herumdoktere. Ich hab halt auch versucht, mich selbst in die Situation von Jan zu versetzen, und ich denke, ich könnte einen normale Freundschaft akzeptieren, wenn ich weiß, das der, in den ich verliebt bin, absolut nicht auf Jungs steht. Ist natürlich etwas schwierig, wenn man eigentlich mehr will als nur eine normale Freundschaft, aber ich denke (oder hoffe?) dass so was doch funktionieren kann.

Außerdem wollte ich damit einfach noch mal die Aussage meiner Geschichte unterstreichen: Nämlich, dass Pädophile / Ephebophile keinesfalls die Monster und Kinderschänder sind, als die sie in den Medien immer dargestellt werden (ganz zu schweigen davon, dass viele Vergewaltiger, die sich an Kindern vergreifen, wohl nicht wirklich pädophil sind, sondern ganz andere Störungen haben).

Und ich wollte auch darstellen, wie schwierig es sein kann, wenn man als Jugendlicher bemerkt, dass man anders ist als andere Jungs in seinem Alter - und dass man trotzdem Kontakt zu Jüngeren haben kann, wenn man die Grenzen akzeptiert und verantwortungsvoll mit seiner Neigung umgeht.

 

Hallo Arnie,

danke für Deine Antwort!

Ich hab halt auch versucht, mich selbst in die Situation von Jan zu versetzen, und ich denke, ich könnte einen normale Freundschaft akzeptieren, wenn ich weiß, das der, in den ich verliebt bin, absolut nicht auf Jungs steht. Ist natürlich etwas schwierig, wenn man eigentlich mehr will als nur eine normale Freundschaft, aber ich denke (oder hoffe?) dass so was doch funktionieren kann.

Ich finde, es ist Dir auch sehr gut gelungen, Dich in die Situation von Jan zu versetzen; vielleicht ging mir der Schluß (im Vergleich zum übrigen Ablauf der Geschichte) auch einfach etwas zu schnell und deshalb meine Skepsis. Du weißt, dass ich mich sehr intensiv mit dem Thema Pädophilie beschäftige und ich glaube auch, dass es letztendlich ein möglicher Weg sein kann, den Jan da gefunden hat. Gerade aus der (bitteren) Erkenntnis heraus, dass seine (sexuellen) Bedürfnisse nicht die von Lukas sind kann mit der Zeit sicher eine Reduzierung auf das Machbare erfogen und damit eben doch eine gewisse Zufriedenheit für beide Jungs.

Außerdem wollte ich damit einfach noch mal die Aussage meiner Geschichte unterstreichen: Nämlich, dass Pädophile / Ephebophile keinesfalls die Monster und Kinderschänder sind, als die sie in den Medien immer dargestellt werden (ganz zu schweigen davon, dass viele Vergewaltiger, die sich an Kindern vergreifen, wohl nicht wirklich pädophil sind, sondern ganz andere Störungen haben).

Ich finde, dass Dir dies auch gut gelungen ist. Allerdings würde ich eher so formulieren, dass nicht a l l e Pädophile / Ephebophile so sind, wie häufig in den Medien dargestellt, denn es gibt sie leider schon: Jene Pädophilen, die Kinder auf direkte oder subtile Weise mißbrauchen, nur um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.

Und ich wollte auch darstellen, wie schwierig es sein kann, wenn man als Jugendlicher bemerkt, dass man anders ist als andere Jungs in seinem Alter - und dass man trotzdem Kontakt zu Jüngeren haben kann, wenn man die Grenzen akzeptiert und verantwortungsvoll mit seiner Neigung umgeht.

Davon bin ich auch überzeugt!

V.G.:
Stephan

 

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