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Über das Motiv eines Vergewaltigers
Letzte Worte eines Vergewaltigers
Vor ungefähr einem Jahr habe ich über Nacht ungewollt eine gewisse Berühmtheit erlangt. Ich habe etwas getan, was an Grausamkeit die Vorstellungskraft der meisten Menschen übersteigt: Ich habe ein Mädchen sexuell missbraucht und ermordet. Alle hässlichen Einzelheiten habe ich dem Gericht mitgeteilt, das mich zum Tode verurteilt hat. Ich möchte hier öffentlich die Frage beantworten, die mir nun so oft verzweifelt, als Vorwurf, ohne eine Antwort zu erwarten, unter Tränen oder mit bitterem Hass gestellt worden ist: Warum hast du das getan?
Meine Handlungen werden in dem Augenblick, in dem ich sie ausführe, etwas Unumstößliches, sind nicht wieder zurückzunehmen. Sie sind die Verkörperung meiner selbst als Individuum im Weltgeist oder der Weltgeschichte, welche den Rahmen meiner Möglichkeiten perfekt ausschöpfen sollte; das war für mich das Lebensziel. Dabei kam es nicht darauf an, dieses Ziel zu erreichen, mir war durchaus bewusst, dass Perfektion ein abstrakter Begriff ist, der, wenn man ihn zu Ende abstrahiert, vielleicht auf Gott hinausläuft, sondern nur den unbedingten Willen, alles dafür zu tun. Das übersteigt die menschliche Kraft, meine zumindest, bei Weitem.
Der Zeitpunkt, von dem ab ich perfekt sein wollte, nenne ich hier "Einzählen". Vorher gab es dafür kein Wort für mich, es war wie ein ewiges Geheimnis, schon immer in meiner Erinnerung, die, abgesehen von bruchstückhaften Eindrücken, etwa bei meinem neunten Lebensjahr beginnt. Ich suchte dafür immer einen besonderen Moment, am besten mit einer gewissen Symbolik, zur Not aber auch einen, dessen Reiz die alltägliche Trostlosigkeit ausmachte und fing an: 1 – 2, das Ideal ins Bewusstsein rufend, dann explosionsartig schnell 1-2-3-4. Das alles lief nur in meinem Innern ab, jemand, der mich beobachtet hätte, hätte höchstens eine kurze Weggetretenheit wahrgenommen. Sobald aber die 4 zu Ende gedacht worden war, erlebte ich eine kleine Wiedergeburt. Ich begann damit gedanklich ein neues Leben, das zwar von meiner wirklichen Vergangenheit genährt wurde, aber alle Verantwortung dafür, im Guten wie im Schlechten, innerlich von sich wies. Das bedeutete ein reines, neues Gewissen. Von nun an sollte mein Körper, der meine momentane Vorstellung der Perfektion in die Tat umzusetzen hatte, von meinem Willen, und der wiederum von der Vernunft beherrscht werden. Diese Vorstellung konnte sich ändern, das tat sie im Laufe meines Lebens reichlich, solange meine Triebe sie nicht zu ihren Gunsten ummodelten, und ich mich dadurch selbst belog, sondern der Wille ungebrochen blieb. Das blieb er bloß nie. Ich zählte manchmal 20 Male am Tag ein, höchstens hielt ich eine Woche durch, immer überwältigten ihn Triebe, die meine Vernunft nicht wollte. Natürlich war meine Vergangenheit auch weiterhin Teil der Gegenwart, ich als Person bezog mich jedoch nur auf mein Leben nach der 4. Unmoralische Dinge, die ich davor getan hatte, konnte ich mit keinen Gründen rechtfertigen. Sollte man mir die gerechte Strafe geben, ich wollte sie mit größtmöglicher Perfektion meistern, die Zeit zurückdrehen konnte ich nicht.
Man kann sich vorstellen dass ich meinen Mitmenschen große Rätsel aufgab wenn ich von einem Moment auf den anderen ein neuer Mensch wurde, der im Großen und Ganzen natürlich derselbe blieb, nur von einer Willensstärke, produziert in meinen Gedanken, verlassen oder überfallen wurde.
Ohne das, man kann es auch meinen heiligen, undefinierten Sinn des Lebens nennen, hätte mir jeder Wille zum Leben gefehlt. Ich habe nie verstanden, wie meine Mitmenschen sich zur Hälfte um sich und was sie verkörpern und zur anderen um ihre Triebe kümmern konnten. Triebe sind für mich ein genusssüchtiger Wille des Körpers, den die Vernunft verbietet. Man kann es eigentlich damit auf den Punkt bringen, dass ich nie meine Triebe in Schranken weisen, sondern nur bedingungslos verbieten oder rücksichtslos ausleben konnte. Ist das Konsequenz oder Idiotie? Manchmal erschien es mir wie ein psychologischer Komplex, manchmal wie etwas, mit dem ich eben deswegen zu kämpfen habe, weil nur ich jemals dieses Besondere erfahren werde, auf das ich die ganze Zeit zu warten schien, und das vielleicht auch nur dann eintreten würde, wenn ich einmal nicht mehr einzählen müsste.
Das Gefühl der absoluten Reinheit ist beseelend. Das Gefühl der Freiheit vor dem Einzählen ist überwältigend. Es ist egal, was man tut, wenn man im nächsten Moment seine Vergangenheit verwerfen wird. Es gibt keine beengende Moral, nur noch absolute Handlungsfreiheit. Prüfen Sie sich selbst ob das bei Ihnen auch auf Lustbefriedigung (nicht nur im sexuellen Sinne) hinausläuft. Für mich hat dieses Gefühl ausgereicht, einen unschuldigen Menschen zu töten.
Ich kann Ihnen versichern, dass ich den Sachverhalt so wahrheitsgetreu wie möglich geschildert habe. Es ist in der Vergangenheit geschrieben, weil ich mit meinem Leben abgeschlossen habe und zum stoischen, subjektiven Analytiker meines kranken Ichs, das es nicht mehr gibt, geworden bin. Ansonsten hätte mich die Todesangst schon umgebracht. Ich wollte nie etwas entschuldigen; das ist keine Verteidigungsrede, mein verdientes Ende steht fest, sondern der nüchterne Versuch, meine Tat begreiflich zu machen.