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Aksaray

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11.11.2003
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Aksaray

Aksaray

Die Erde bebt. Von der getünchten Decke rieseln Staub und Kalk. Meine Großmutter stürmt jammernd in unser Schlafzimmer. Sie trägt meinen Bruder und mich die Wendeltreppe hinunter. Wir kauern uns in einen Hohlraum unter der Treppe. Im Pyjama hocken wir dort. Das Beben verebbt. Das war aufregend, und ist meine früheste Erinnerung im Zusammenhang mit Istanbul. Wow, ein echtes Beben! Ich war sehr jung, aber seitdem liebe ich diese irre Stadt.
In Istanbul leben mehr Irre als ich sie auf der ganzen Welt je gesehen habe, und ich hab viele von der Sorte kennengelernt, das blieb nicht aus.
Man sieht Irre auf den Straßen, die mit sich selbst reden. Sobald dies jemand Normales bemerkt, denkt dieser, der Irre wolle sich mit ihm unterhalten. So entspinnt sich eine lautstarke Unterhaltung, voll ausufernder Gestik. Der Irre gestikuliert und redet mit sich selbst. Der Normale redet, währenddessen ebenfalls gestikulierend, mit dem Irren, ohne zu bemerken, dass der Irre nur mit sich selbst beschäftigt ist und im übrigen gar nicht bemerkt, dass mit ihm geredet wird. Türken hören sich am liebsten selbst beim reden zu.
Da gibt es die authentischen istanbuler Bastarde, die kennen die ganze Stadt, was praktisch unmöglich ist. Sie wissen zumindest wo man hin kann und welcher Kodex dort herrscht. Sie beherrschen jeden Dialekt, der in der Stadt gesprochen wird, was ebenfalls praktisch unmöglich ist. Sie sind Sprachkünstler. Meister der Straßenrethorik. Sie kennen jede dreckige Tour.
Ich hab einen Onkel, auf den trifft diese Beschreibung am besten zu. Er ist im Grunde nicht mein Onkel. Onkel Selcuk ist der geschiedene Ehemann der Tochter der Schwester meiner Oma mütterlicherseits, und er ist Vertreter von Kosmetika.
Mit ihm bin ich in Aksaray, ein quirliger Stadtteil von Istanbul, durch die Straßen gezogen, als 300 Meter von uns entfernt eine Bombe in einer öffentlichen Toilette explodierte. Es zerriss einem Mann das Hinterteil. Den meisten Passanten war dieses Ereignis nicht mehr als ein Blick wert. Mein Onkel sagte nur, „Die Hitze“, und grinste schmal.
In einer Zwölfmillionenstadt kann es viele Urheber solcher Attentate geben. Bombenirre halt. Linke wie rechte Terroristen. Fundamentalisten oder Separatisten. Die Toilettenmafia oder eine Todesschwadron. Ausländische Geheimdienste, oder der eigene, MIT genannt. Eine Blutfehde, wohl möglich. Ein Mensch vielleicht, dem die Hitze nicht gut tut. In der Türkei ist das Leben noch spannend und unberechenbar.
Mein Onkel Selcuk wohnt in Aksaray, weil es dort billig ist. Nicht günstig, billig. Aksaray ist fest in kurdischer Hand. Auf den Straßen herrschen die kurdischen Dialekte. Es ist schwierig, aber nicht unmöglich, an Alkohol zu kommen, dafür aber bekommt man an jeder Ecke rohe, scharfe Frikadellen angeboten.
Wenn im Fernsehen ein Spiel der Fußballnationalmannschaft übertragen wird, beginnt in seiner Wohnung und in allen anderen Wohnungen, die der Hauptstraße zugewandt sind, das Möbelrücken. Der Esstisch, an dem man noch gemütlich bei einem eisgekühlten Raki am Fenster saß, wird dann in die Küche getragen, danach der nervtötend laut mitlaufende Fernseher. Schließlich wird der abendliche Besuch in die Security-area gebeten, es wird Obst gereicht und in die Nacht gelauscht.
Nach jedem Spiel der Nationalmannschaft, gewonnen oder nicht, feiern türkische Fußballfans in den Straßen Aksarays. Mit wehenden türkischen Fahnen wird in den Straßen Kurdistans, im Herzen Istanbuls, der nationale Fußballstolz abgefeiert. Eine unglückliche Mischung.
Ein fataler Umstand, eine Eigenart türkischer, oder um genau zu sein orientalischer Feiercharakteristika kommt hinzu. Hat man einen Grund zum Feiern, greift man in die Schublade, holt das alte Schießeisen, oder die alte Flinte hervor, und feuert in die Luft. Irgendwie ist das cool, aber auch riskant. Der eine oder andere beherrscht seine Waffe...nun, gar nicht. Wie man es von jemanden erwartet, der Nachts alkoholisiert durch die engen Straßen einer Mega - Stadt mit allerlei ethnischen Problemen wankt, die türkische Flagge wehen lässt und in die Luft feuert. So manche verirrte Kugel ging in der Vergangenheit durch das Fenster einer Küche, oder eines Wohnzimmers in Aksaray. Es gab einige Todesopfer des Fußballhooliganismus beim Abendessen. Oder beim gen Mekka beten.
Vor der Halkbankasi, am Ende der Straße, stehen Polizeiwagen. Ich kann ein Loch im Panzerglas erkennen.
Mein Onkel lacht aus vollem Hals und deutet auf einen Mann mit einer idiotisch bunten Wollmütze, der auf einen verzweifelten Polizisten einredet.
„Seht ihr den da? Das ist der „Bankirre“. Jedesmal wenn er Geld abheben will, ist die Bank geschlossen. Er kommt immer Sonntags. Jedesmal hat er eine Spitzhacke dabei, und wird wütend, weil die Bank geschlossen ist. Er schlägt alles kurz und klein. Der Mann ist klasse, sag ich euch. Ganz nach meinem Geschmack.“

 

Hallo caykhan,

du hast mir mit deiner Geschichte viele interessante Details von Istanbul vermittelt, die mich nicht unbedingt bewegen, diese Stadt kennenzulernen ;) Dies tust du sehr ironisch und ich bin mir sicher, dass du Istanbul wirklich kennst.
Gefallen hat mir deine Geschichte trotzdem leider nicht. Mir hat ehrlich gesagt die Handlung gefehlt. Du reihst die Informationen über Istanbul aneinander, und ich habe mich an der einen oder anderen Stelle gefragt: warum erzählst du mir das? Klar, um dem Leser was über diese Stadt zu vermitteln, aber ist das schon alles? Mir fehlt so ein bißchen der Rahmen, in dem die ganzen Details der Stadt dann durchaus eine Rolle spielen könnten.
Nichts desto trotz fand ich deine Beschreibungen und einige sarkastische Bemerkungen gelungen :)

Liebe Grüße
Juschi

 

Hi caykhan,

mir hat Dein Text ziemlich gut gefallen, einfach weil er mit mehreren kleinen Anekdoten Istanbul und auch die Mentalität der Leute dort näher gebracht hat.
Und ich habe mich auch gleich an die wenigen Tage, die ich dort verbringen konnte, erinnern können.

Was ich nicht ganz verstehe ist die Zusammenstellung der Anekdoten. Du fängst mit einer zurückliegenden Story Deiner Kindheit hat und gehst dann eher zu situativen, allgemeinen Beschreibungen über.

Ich glaube das liegt daran, daß Du eben noch nicht genau weißt, wohin Du willst mit dem Text.

Man könnte hier ne gute Autobiographie draus machen oder ne Reportage (natürlich dann mit mehr Inhalt). Aber Du solltest Dich entscheiden zwischen Informationen (Geheimdienste, Stadtgröße...) oder Stories, wo es so nebenbei kommt.

Ich bin für das Geschichtenerzählen.

Dein Onkel Selcuk ist ein prima Charakter, der durch die Geschichten führen kann. Somit könnte man eine Serie mit kleinen Anekdoten machen und drüber schreiben.

"Mein Onkel Selcuk"

D.h. z.B. nicht allgemein beschreiben, wieviele Opfer es gibt, weil die Türken nach dem Sieg die Pistolen ziehen, sondern anhand eines Beispieles, was fiktiv sein kann.

z.B. ein Mann, den Dein Onkel kannte, weil er beim Maiskaufen immer vor ihm stand, der eigentlich Synchronschwimmen mochte und nix zu tun haben wollte, mit Fußball, der aber in Taxim oberhalb dem Stadion von Besiktas wohnte und dem der Gewinn der Meisterschaft 92/93 zum Verhängnis wurde, weil er das Fenster schließen wollte und gerade da ein Kugel kam.

Ich bin mir sicher, Du kannst es viel besser, als ich. Du hast diese Leichtigkeit und Unbeschwertheit, es authentisch rüberzubringen.

Ich finde z.B. die Geschichte von einem Hotelbesitzer klasse, wo der Polizeipräsident vorbeikommt und ihm die Zeitschrift, die seine Frau verlegt anbietet, für günste 50 Mio türk. Lire (ca. 350 €) und der Hotelbesitzer braucht die nicht, weil da nix drin steht und der Polizeipräsident legt es ihm aber nahe, sonst würde die Polizei kommen und eventuell das Küchenfenster ausmessen und bemerken, daß es zu klein ist.
"Gut.", sagt der Hotelbesitzer. Jetzt wo er die Fotos sieht, kann er sich durchaus mit einer Zeitschrift anfreunden.
Und der Polizeipräsident sagt, er solle doch lieber zwei nehmen, für die Frau auch noch eine.

Weißte, so kleine Anekdoten, die sich aber nicht lustig machen, über die Menschen, sondern es eigentlich wertungsfrei berichten, das fände ich am interessantesten.
Natürlich ist ein ironischer Kommentar auch interessant, aber das lenkt den Fokus schon wieder stark auf den Autor.
Ich denke, das kann man sich erst leisten, wenn man berühmt ist und die Leute wissen wollen, wie man über dieses und jenes denkt, wenn man praktisch auf die Dinge herabblicken kann.

Gut, dann noch eine Frage:

Der Irre mit der Spitzhacke, hat der ein Loch in das Panzerglas des Polizeiwagens gemacht oder bei der Bank?

Vor der Halkbankasi, am Ende der Straße, stehen Polizeiwagen. Ich kann ein Loch im Panzerglas erkennen.

Durch die Reihenfolge hatte es für mich voll den Anschein, bis ich jetzt beim dritten Lesen dahintergekommen bin, daß es doch wohl das Glas der Bank ist.

Bin gespannt auf Deine Meinung.

bis bald

mac

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich schließe mich hier Juschi und macsoja in der Kernproblematik an, dass es sich hierbei fast mehr um einen Bericht handelt als um eine Geschichte.
Prinzipiell unterschreibe ich den ganzen Inhalt, den du hier bietest, besonders die authentischen Übersetzungen wie "istanbuler Bastarde"; leider reichen derartige Ausdrücke und Beschreibungen nicht aus, über die sehr dürftige bis beinahe fehlende Handlung hinwegzutäuschen.
Anregungen bezüglich der Behebung dieser Mängel hast du ja von macsoja ausreichend erhalten.
Darum gehe ich nicht tiefer darauf ein und versuche den Text - der meine Vorliebe für diese Stadt nicht im geringsten getrübt hat - als eine sarkastisch humoristische ("Lachen über Zustände, über die man eigentlich weinen müsste") Reisebeschreibung in Erinnerung zu behalten.

 

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