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AndererSeits

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24.09.2000
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AndererSeits

AndererSeits

Mathias las in den blauen Augen der Junior-Partnerin und es öffnete sich ihm ein Buch, das dem Kamasutra wohl das Wasser reichen konnte. Ihre Lippen waren rot geschminkt, ihre Hüften eng von einem knielangen Rock umschlossen und ihre offene Haltung, ihre Mimik, ja ihr gesamtes Auftreten erstrahlten in der schillernden Erotik des Erfolgs. Sie blickte ihn nun schon seit längerer Zeit einladend an. Ob er das Angebot annehmen sollte? EinerSeits bestimmt. Er grinste über dieses Wortspiel, das er sich heute morgen nach seiner Sendung hatte einfallen lassen. EinerSeits bestimmt!
Die gesamte Crew der Radiostation BlackBox („WIR sind immer für DICH da, auch wenn DU nicht ganz bei DIR bist!!!“, lautete der Slogan des Rock, Funk und Soul Senders) hatte sich im Besprechungsraum eingefunden, um zwei große Begebenheiten zu feiern. Einerseits die Aufnahme der Junior-Partnerin Anette Schlöger und andererseits („AndererSeits“, dachte er) die neue Morgensendung Mathias Renners, die einen großen Erfolg versprach. So ziemlich alle waren gekommen, nur zwei Redakteure und der Moderator der gerade On –Air war, fehlten.
Der Chef von Radio BlackBox erhob nun das Glas und hielt einen zehn Minuten andauernden Monolog über die Erfolgsfaktoren eines Radiosenders, die natürlich und ausschließlich die Leitung (Schlöger) und eine deftige Morgensendung (Renner) waren. Jedes Mal, wenn ihre beiden Namen fielen, blickte die Junior-Partnerin zu Mathias, gerade so, als seien sie am Standesamt und der Beamte läse die Namen des Brautpaars vor.
Unter dem Applaus seiner Untergebenen erhob der Chef sein Glas und spülte es anschließend mit jener antrainierten Leichtigkeit hinunter, die wahrscheinlich auch Schuld für seine leicht geschwollenen Augen war. Auch Mathias hob sein Glas, was ihm die Möglichkeit bot, unbemerkt auf seine Uhr zu schauen. 19:43 Uhr. Verdammt! Er wollte doch heute früher zu Haus sein, um mit seinem Schatz gemeinsam zu Abend zu essen.
Trotzdem, etwas später stand er noch neben seinem Vorgesetzten, rauchte eine Zigarre und hörte einen weiteren Monolog, diesmal über die Wichtigkeit eines guten Teams in der heutigen Wirtschaft. Für eine Kubanische ließ er diese Qualen gerne über sich ergehen.
Doch als er sie im Aschenbecher ausdrückte, streckte er sich und begann seine Entschuldigung für den frühen Aufbruch: „Ich glaub, ich muss jetzt gehen. Ein wenig Schlaf könnte ich jetzt gebrauchen, immerhin muss ich in etwa acht Stunden wieder hier sein.“
Sein Boss blickte ihn verschlagen an: „Wohl noch ein Rendez-vous offen heute Abend?“
Mathias entgegnete ihm mit unschuldiger Mine: „Woher wissen Sie das?“
„Ha, mir können Sie doch nichts vormachen. Sie sind doch ein Mann, oder nicht? Wir alle haben unsere kleinen und großen Bedürfnisse!“ Er klopfte ihm auf die Schulter und fügte dann hinzu: „Ich verzeihe Ihnen, wenn Sie mich zu Ihrer Hochzeit einladen.“
Mathias grinste und sagte. „Einerseits bestimmt.“
„Und andererseits?“, fragte sein Boss verwundert, doch Mathias schwieg. Und dann prustete der Chef des zweit erfolgreichsten Privatradiosenders Wiens los. „Sie sind mir einer“, sagte er und wiederholte es solange, bis Mathias endlich aus dem Besprechungszimmer geschlichen war.
Entkommen grinste Mathias über die Unwissenheit seines Vorgesetzten. Trotzdem hat er sich über sein kleines Wortspiel köstlich amüsiert. Herrlich!
Er ging los, zückte sein Handy und wählte.
„Hallo?“, unterbrach eine Stimme das Läutsignal.
„Schatz, ich bin es! Ich fahr jetzt los. Bin Gott sei Dank rechtzeitig entkommen.“
„Das ist gut. Ich freu mich schon auf dich. Ich liebe dich!“
"Ich liebe dich auch!“
Damit war das Gespräch beendet.

Als er nach etwa zwanzig Minuten aus dem Auto stieg, kaufte Mathias noch schnell Blumen am Stand an der Ecke. Schöne, rote Rosen, so wie es sein Schatz gern hatte. Vergnügt ging er dann schnellen Schrittes nach Hause.
Und wie erwartet freute sich sein Liebling sehr. Nervös, das lange Haar zurückstreichend, wurden die Blumen in Empfang genommen. „Ich liebe dich!“ „Ich dich auch!“
Auf dem Esstisch standen brennende Kerzen und als Mathias Spaghetti serviert wurden, fühlte er sich so richtig wohl. Nun genoss er sein Leben in vollen Zügen, den Erfolg, seine Beziehung, einfach alles. Er nahm sich auch das Recht, stolz auf sich zu sein und sich selbst zu feiern. Schließlich hatte es eine Zeit gegeben, in der das alles nicht so war. Ganz und gar nicht. EinerSeits überhaupt nicht.
Nach dem Essen verschwanden sie ins Schlafzimmer. Sex war, wenn auch nicht alles, sehr wichtig in ihrem Zusammensein gewesen. Er liebte es zu küssen, zu streicheln, zu verwöhnen... es war Therapie für die Seele und hatte in der Ausführung, die Mathias praktizierte, wenig mit bloßer Triebbefriedigung zu tun.
Er küsste seinen Schatz, zuerst nur sanft und vorsichtig, dann immer wilder. Er streichelte das lange, duftende Haar, küsste das Schlüsselbein hinab bis zur Brust, legte einen längeren Zwischenstopp bei den Brustwarzen ein und setzte dann seinen Weg hinab über den Bauchnaben schließlich zur Innenseite der Oberschenkel fort. Er hörte Stöhnen und lautes Luftholen und widmete sich dann dem Lustzentrum. Auch das machte ihm Spaß, sogar sehr!
Schließlich drang er in den liebsten Menschen, den es für ihn auf der Welt gab, ein. Er stieß, drückte, presste, stieß wieder... die Welt drehte sich und kurz vor dem alles erlösenden Moment, dachte er an die Junior-Partnerin, seinen Chef, seine Sendung, seinen Erfolg und dachte: „EinerSeits bestimmt.“ Dann ergoss er sein ganzes Ich in einer einzigen, wahren Flut an Ehrlichkeit. „Doch AndererSeit auch nicht.“

Erst als er geweckt wurde, bemerkte Mathias, dass er eingeschlafen war. Es war wohl zu überwältigend gewesen.
„Bist du noch wach?“, fragte sein Schatz und rüttelte an seiner Schulter.
„Ja, für dich immer“, grinste er und streichelte mit der Hand über das Gesicht gegenüber.
„Liebst du mich?“
„Freilich!“ Seine Finger strichen über die Augenbrauen.
„Können wir gemeinsam alles überstehen?“
„Freilich!“ Seine Finger glitten über die Schläfen hinunter zur Wange.
„Sind wir normale Menschen?“
Mathias stutzte etwas. Seine Finger strichen über die Wangen seines Schatzes. Bartstoppel verlangsamten ihr Tempo.
„EinerSeits bestimmt, Stephan.“, flüsterte Mathias und küsste seine Stirn.
„Und andererseits?“, die Stimme seines Gefährten klang unsicher.
„...sind wir AndererSeits!“, beendete er den Satz seines Lebenspartners und hielt die Luft an, in Erwartung eines leisen Lächelns. Doch auch nach Minuten vernahm er keines, sondern nur das gleichmäßige Atmen seines Freundes. Nun tat es ihm leid, dass er diese Antwort gegeben hatte.
Morgen würde er ihm diesen Witz erklären.
Dann schlief er ein.

 

Ich finde den Plot schon verständlich. Mathias kehrt nach einer Firmenfeier zu seinem männlichen Lebensgefährten zurück und hat Sex mit ihm. Mit der Juniorchefin hat er nicht mal ordentlich geflirtet und ich hab auch nicht herausgelesen, dass er sie in den Mittelpunkt erotischer Fantasien stellt, also sehe ich da nichts Bisexuelles.

Aber das Spiel mit EinerSeits und AndererSeits verstehe ich ebenfalls nicht. Ist "andere Seite" vielleicht eine Umschreibung für Schwulsein, so wie "anderes Ufer"?

Die Enthüllung, dass das Liebesobjekt das gleiche Geschlecht hat, ist natürlich unerwartet, aber nicht wirklich überraschend (wie es der Fall gewesen wäre, wenn der Prot heiß mit der Juniorchefin herumgeknutscht hätte).

Also - auch bei mir eher Ratlosigkeit über eine eventuelle Botschaft, Peter. Ehrlich gesagt kann ich mir auch nicht vorstellen, dass die Homosexualität des Prot in seinem Berufsumfeld unbekannt ist. Gerade in der Kultur- und Medienszene wird doch erfreulicherweise unbefangener mit Schwulsein umgegangen als auf dem CSU-Parteitag, oder?

Grüße, Chica

 

Leider kann ich mich auch nur anschließen, Peter, ich blick es nicht, den Witz mit Einer-und AndererSeits.

Liebe Grüße, hexy

 

Nachhilfe für Bayern

Ich habe ja den starken Verdacht, dass du mich veräppeln willst, filechecker, ihr Bayern habt doch bei PISA so gut abgeschnitten! Na ja, da wurde wohl anderes abgefragt... ;)

Also: Es gibt nur eine Frau in der Story, das ist die Juniorpartnerin, die ist aber nach dem Sektempfang dauerhaft off. Die Blumen kauft Mathias für Stephan, seinen Mann, und sie schnackseln nach Blumenübergabe und Abendessen. Die Details erklärt dir ein Biolehrer deines Vertrauens.

So, und jetzt setzt du dich hin und schreibst eine ordentliche erotische Geschichte über Sex im Heustadl, zur Übung sozusagen, denn deine Frage

ab wann ist Mann eigentlich - erotisch gesehen - zu alt, zumindest für solche Geschichten?

ist nicht so einfach zu beantworten. Manche sind von Geburt an zu alt dafür, manche sind noch mit hundert Jahren jung genug dafür, und bei denen dazwischen besteht, wie die Ärzte so sagen, immer noch Hoffnung. :D

LG, Chica

 

Aufklärung

Oje, oje, oje!

Natürlich ist die beste Ausrede eines Autors, dass seine Leser zu dumm sind und seine komplizierten Gedankengänge einfach nicht kapieren.
Von dieser Idee halte ich aber nichts und nehme die ganze Schuld der Ratlosigkeit auf meine Schultern.

Eigentlich dachte ich nicht, dass der Plot und die Aussage so schwer zu deuten sind, im Gegenteil habe ich befürchtet, dass man die Geschichte zu früh durchschaut. Aber da niemand etwas mit der Geschichte anfangen kann... hm...

Chica lag mit ihrer Interpretation schon sehr richtig, nur hat der Text noch eine Aussage, die vielleicht niemanden sonst außer mir etwas zu sagen hat...

Tja, wie gesagt, bin etwas verwirrt von den Reaktionen die meine Geschichte auslöst oder eben nicht auslöst. Bin im Moment am Überlegen, ob ich eine Eigeninterpretation abgeben soll und ich euch bitte mir bei der verständlichen Umsetzung zu helfen, oder ob ich sie einfach selbst korrigiere. Allerdings fällt mir da nichts ein, da sie schon fertig erzählt ist und alles andere zu stümperhaft und schusselig auf die "Pointe" deuten könnte.

Einerseits vielleicht wirklich, aber andererseits... :)

 

Seas Movie_Editor!

Vielen Dank für deine Kritik. Jetzt mach ich mir wieder ein paar Sorgen weniger. Zumindest hat es ein Leser verstanden!!! ;)

Dass ich es zu lange hinauszögere, schau ich mir in der Geschichte noch einmal an. Danke für den Hinweis.

Dass die Erotikszene nicht nach jedermanns Geschmacks ist, bin ich mir bewusst und war auch so beabsichtigt. Ich wollte sie noch länger schreiben, noch intensiver, aber mir sind nicht mehr Unisexwörter eingefallen, ohne dass das alles zu gekünstelt wirken würde.
Was ich damit erreichen wollte ist, dass der Leser bis zum Schluss die Welt aus der Sicht eines Heterosexuellen sieht, selbst die Liebesszene und erst am Schluss drauf kommen soll, dass etwas ungewöhnlich ist. Die Frage die sich der Leser dann stellen sollte ist: "Oder ist das dann doch nicht so ungewöhnlich...?"

Tja, irgendwie hab ich das zumindest versucht. Scheint aber bei den meisten nur auf Ratlosigkeit zu stoßen...

 

auch nicht verwirrt

Hallo Peter,

ich kann dich auch beruhigen. Mich hat deine Geschcihte nicht verwirrt. Ich habe halt, wie ich auch in anderen Kritiken schon schrieb, Probleme damit Homosexualität in der heutigen Zeit noch als Pointe zu benutzen. Eher bemühe ich mich, sie in Geschichten so selbstverständlich stattfinden zu lassen, dass man den Unterschied nicht bemerkt.
Allerdings tust du das in deiner Geschichte auch. Letztlich sind die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen in Partnerschaften geschlechtsübergreifend.
Insofern hat mir deiner Geschichte trotz meiner Schwierigkeiten mit dieser Form von Pointe gefallen.

Einen lieben Gruß, sim

 
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Von Pointen und Intention

Seas Sim!

Danke für deine Kritik. Auch ich hätte Probleme damit, Homosexualität als Pointe zu benutzen. Das wollte ich auch in dieser Geschichte nicht.
Das Wort Pointe erinnert ja immer an die Enden schlechter Witze, nach deren Schilderungen man sich schnkelklopfend seinen Lachkrämpfen hingibt. Das Wort Pointe würde ich hier nicht benutzen wollen.

Auch wollte ich die Homosexualität nicht als große Überraschung am Schluss einbauen, sonst hätte ich sie als letzten Gedanken angeführt und den Leser damit zurückgelassen. Das wäre aber langweilig, Schwule und Lesben sind in unserer Zeit wirklch nicht mehr so abnormal, als dass ich - oder auch jemand anderer - eine Pointe daraus machen müsste oder überhaupt könnte.

Meine Absicht war eine andere und es tut mir leid, dass das nicht aufgegangen ist. Die wirkliche "Pointe" - als bewusstseinsänderndes Ereignis - ist das Wortspiel "AndererSeits", das, wie schon in einer Kritik richtig gedeutet, "die andere Seite" anzeigt. Der Tagesablauf des Protagonisten entspricht dem eines Heterosexuellen. Man kann keinen Unterschied erkennen. An dieser Pasage deutet der Autor (also ich!) nichts von der anderen sexuellen Ausrichtung an. So wie du gesagt hast: Es könnte der Alltag eines jeden Menschen sein. Man merkt keinen Unterschied.

Bis auf "EinerSeits", "AndererSeits", das jene Momente kennzeichnet, in denen sich der Protagonist doch anders fühlt. "EinerSeits" hätte er das Angebot der Partnerin angenommen, "EinerSeits" hätte er seinen Chef vielleicht wirklich zur Hochzeit eingeladen. Doch er ist eben nicht "EinerSeits".

Das Wortspiel lässt auf eine humoristische Lebeneinstellung des Protagonisten schließen. Er begegnet seiner Anderseitigkeit mit Witz, doch nicht nur das. Durch das Wortspiel, das er seinen Mitmenschen immer wieder unter die Nase reibt, hebt er sich von ihnen ab. Er ist der einzige, der es versteht. Sein Umfeld versteht das Wortspiel, und somit ihn, nicht.

Und das zeigt sich im krassen Unterschied zum Leser. Der Leser kann ihn verstehen, kann seinen Lebensweg nachvollziehen und merkt bis zum Schluss, selbst bei der Liebesszene nicht, das etwas homosexuelles im Spiel ist.

Bis zu der sog. Pointe. Der Leser sieht sich plötzlich mit der AndersSeitigkeit konfrontiert und realisiert vielleicht zu allererst, dass er einer homosexuellen Liebesszene beigewohnt hat und kann dann vielleicht zu dem Wortspiel des Protagonisten übergehen. Wann hat er es verwendet? Wann? Wieso?

Das ist das zentrale Thema.


Bitte versteht das nicht als Versuch einer Eigeninterpretation (obwohl sie wahrscheinlich eine ist), sondern als Schreibintention, die dieser Geschichte vorausgegangen ist. Vielleicht liegt es wirklich an der Umsetzung, dass die Geschichte von den meisten gar nicht und von den anderen als "Schwulenpointe" verstanden wurde.

Als Autor muss man sich eben immer weiterentwickeln und es ist gut zu wissen, in welche Richtung dies geschehen soll.

Peter

 

Seas Filechecker,

Verstehe was du meinst. Hm, vielleicht liegt es auch einfach daran, dass sich manchmal Autor und Zielgruppe nicht treffen. Manche Autoren treffen sie vielleicht nie... :D

Aber danke für die Ausführung dieser Idee. Du hast bestimmt recht!

Grüße, Peter

 

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