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AndererSeits
AndererSeits
Mathias las in den blauen Augen der Junior-Partnerin und es öffnete sich ihm ein Buch, das dem Kamasutra wohl das Wasser reichen konnte. Ihre Lippen waren rot geschminkt, ihre Hüften eng von einem knielangen Rock umschlossen und ihre offene Haltung, ihre Mimik, ja ihr gesamtes Auftreten erstrahlten in der schillernden Erotik des Erfolgs. Sie blickte ihn nun schon seit längerer Zeit einladend an. Ob er das Angebot annehmen sollte? EinerSeits bestimmt. Er grinste über dieses Wortspiel, das er sich heute morgen nach seiner Sendung hatte einfallen lassen. EinerSeits bestimmt!
Die gesamte Crew der Radiostation BlackBox („WIR sind immer für DICH da, auch wenn DU nicht ganz bei DIR bist!!!“, lautete der Slogan des Rock, Funk und Soul Senders) hatte sich im Besprechungsraum eingefunden, um zwei große Begebenheiten zu feiern. Einerseits die Aufnahme der Junior-Partnerin Anette Schlöger und andererseits („AndererSeits“, dachte er) die neue Morgensendung Mathias Renners, die einen großen Erfolg versprach. So ziemlich alle waren gekommen, nur zwei Redakteure und der Moderator der gerade On –Air war, fehlten.
Der Chef von Radio BlackBox erhob nun das Glas und hielt einen zehn Minuten andauernden Monolog über die Erfolgsfaktoren eines Radiosenders, die natürlich und ausschließlich die Leitung (Schlöger) und eine deftige Morgensendung (Renner) waren. Jedes Mal, wenn ihre beiden Namen fielen, blickte die Junior-Partnerin zu Mathias, gerade so, als seien sie am Standesamt und der Beamte läse die Namen des Brautpaars vor.
Unter dem Applaus seiner Untergebenen erhob der Chef sein Glas und spülte es anschließend mit jener antrainierten Leichtigkeit hinunter, die wahrscheinlich auch Schuld für seine leicht geschwollenen Augen war. Auch Mathias hob sein Glas, was ihm die Möglichkeit bot, unbemerkt auf seine Uhr zu schauen. 19:43 Uhr. Verdammt! Er wollte doch heute früher zu Haus sein, um mit seinem Schatz gemeinsam zu Abend zu essen.
Trotzdem, etwas später stand er noch neben seinem Vorgesetzten, rauchte eine Zigarre und hörte einen weiteren Monolog, diesmal über die Wichtigkeit eines guten Teams in der heutigen Wirtschaft. Für eine Kubanische ließ er diese Qualen gerne über sich ergehen.
Doch als er sie im Aschenbecher ausdrückte, streckte er sich und begann seine Entschuldigung für den frühen Aufbruch: „Ich glaub, ich muss jetzt gehen. Ein wenig Schlaf könnte ich jetzt gebrauchen, immerhin muss ich in etwa acht Stunden wieder hier sein.“
Sein Boss blickte ihn verschlagen an: „Wohl noch ein Rendez-vous offen heute Abend?“
Mathias entgegnete ihm mit unschuldiger Mine: „Woher wissen Sie das?“
„Ha, mir können Sie doch nichts vormachen. Sie sind doch ein Mann, oder nicht? Wir alle haben unsere kleinen und großen Bedürfnisse!“ Er klopfte ihm auf die Schulter und fügte dann hinzu: „Ich verzeihe Ihnen, wenn Sie mich zu Ihrer Hochzeit einladen.“
Mathias grinste und sagte. „Einerseits bestimmt.“
„Und andererseits?“, fragte sein Boss verwundert, doch Mathias schwieg. Und dann prustete der Chef des zweit erfolgreichsten Privatradiosenders Wiens los. „Sie sind mir einer“, sagte er und wiederholte es solange, bis Mathias endlich aus dem Besprechungszimmer geschlichen war.
Entkommen grinste Mathias über die Unwissenheit seines Vorgesetzten. Trotzdem hat er sich über sein kleines Wortspiel köstlich amüsiert. Herrlich!
Er ging los, zückte sein Handy und wählte.
„Hallo?“, unterbrach eine Stimme das Läutsignal.
„Schatz, ich bin es! Ich fahr jetzt los. Bin Gott sei Dank rechtzeitig entkommen.“
„Das ist gut. Ich freu mich schon auf dich. Ich liebe dich!“
"Ich liebe dich auch!“
Damit war das Gespräch beendet.
Als er nach etwa zwanzig Minuten aus dem Auto stieg, kaufte Mathias noch schnell Blumen am Stand an der Ecke. Schöne, rote Rosen, so wie es sein Schatz gern hatte. Vergnügt ging er dann schnellen Schrittes nach Hause.
Und wie erwartet freute sich sein Liebling sehr. Nervös, das lange Haar zurückstreichend, wurden die Blumen in Empfang genommen. „Ich liebe dich!“ „Ich dich auch!“
Auf dem Esstisch standen brennende Kerzen und als Mathias Spaghetti serviert wurden, fühlte er sich so richtig wohl. Nun genoss er sein Leben in vollen Zügen, den Erfolg, seine Beziehung, einfach alles. Er nahm sich auch das Recht, stolz auf sich zu sein und sich selbst zu feiern. Schließlich hatte es eine Zeit gegeben, in der das alles nicht so war. Ganz und gar nicht. EinerSeits überhaupt nicht.
Nach dem Essen verschwanden sie ins Schlafzimmer. Sex war, wenn auch nicht alles, sehr wichtig in ihrem Zusammensein gewesen. Er liebte es zu küssen, zu streicheln, zu verwöhnen... es war Therapie für die Seele und hatte in der Ausführung, die Mathias praktizierte, wenig mit bloßer Triebbefriedigung zu tun.
Er küsste seinen Schatz, zuerst nur sanft und vorsichtig, dann immer wilder. Er streichelte das lange, duftende Haar, küsste das Schlüsselbein hinab bis zur Brust, legte einen längeren Zwischenstopp bei den Brustwarzen ein und setzte dann seinen Weg hinab über den Bauchnaben schließlich zur Innenseite der Oberschenkel fort. Er hörte Stöhnen und lautes Luftholen und widmete sich dann dem Lustzentrum. Auch das machte ihm Spaß, sogar sehr!
Schließlich drang er in den liebsten Menschen, den es für ihn auf der Welt gab, ein. Er stieß, drückte, presste, stieß wieder... die Welt drehte sich und kurz vor dem alles erlösenden Moment, dachte er an die Junior-Partnerin, seinen Chef, seine Sendung, seinen Erfolg und dachte: „EinerSeits bestimmt.“ Dann ergoss er sein ganzes Ich in einer einzigen, wahren Flut an Ehrlichkeit. „Doch AndererSeit auch nicht.“
Erst als er geweckt wurde, bemerkte Mathias, dass er eingeschlafen war. Es war wohl zu überwältigend gewesen.
„Bist du noch wach?“, fragte sein Schatz und rüttelte an seiner Schulter.
„Ja, für dich immer“, grinste er und streichelte mit der Hand über das Gesicht gegenüber.
„Liebst du mich?“
„Freilich!“ Seine Finger strichen über die Augenbrauen.
„Können wir gemeinsam alles überstehen?“
„Freilich!“ Seine Finger glitten über die Schläfen hinunter zur Wange.
„Sind wir normale Menschen?“
Mathias stutzte etwas. Seine Finger strichen über die Wangen seines Schatzes. Bartstoppel verlangsamten ihr Tempo.
„EinerSeits bestimmt, Stephan.“, flüsterte Mathias und küsste seine Stirn.
„Und andererseits?“, die Stimme seines Gefährten klang unsicher.
„...sind wir AndererSeits!“, beendete er den Satz seines Lebenspartners und hielt die Luft an, in Erwartung eines leisen Lächelns. Doch auch nach Minuten vernahm er keines, sondern nur das gleichmäßige Atmen seines Freundes. Nun tat es ihm leid, dass er diese Antwort gegeben hatte.
Morgen würde er ihm diesen Witz erklären.
Dann schlief er ein.