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Augenblicke
Augenblicke
Ich zucke zusammen. Mein Wecker klingt nicht so. Ich öffne die Augen, sehe Haare, eine Schulter, Bettzeug. Erinnerung kehrt aus dem Schlaf zurück. Die Haare gehören zu Johanna, das Bett auch, ich nicht.
Wir waren am Vorabend aus. Als die Kneipe schloss fragte ich sie ob ich bei ihr übernachten dürfe. Auf dem Weg schob ich schweigend mein Fahrrad durch die Nacht.
Aus dem Pulli, aus der Hose in ihr Bett, die Decke über den Kopf.
Sie kam aus dem Bad und legte sich dazu. Ich fand eine ihrer Hände, presste sie an meine Brust und wartete auf Schlaf.
Jetzt duscht sie. Ich stehe auf, ziehe mich an, gehe in ihr Wohnzimmer, setze mich auf die Couch. Sie setzt sich an ihren Schreibtisch, schaltet den PC ein. Mein Handy klingelt. Ich fische es aus der Hosentasche, Rufnummer unterdrückt, sie ist es ist.
„Hallo Süße!“
„Wie geht es dir?“
„Es geht. Wie geht es dir?“
„Hm... mir geht es komisch. Bist du zuhause?“
„Nein.“
„Hast du heute Nacht zuhause geschlafen?“
„Nein. Ich habe bei Johanna übernachtet.“
„Hattet ihr was miteinander?“
„Nein, so leicht mache ich es dir nicht.“
Ich lege das Telefon auf den Tisch neben Johannas Tabak, drehe mir eine Zigarette. Johanna grinst. „Du rauchst doch seit heute nicht mehr.“ sagt sie. Ich nehme einen tiefen Zug, fühle mich besser. Das Handy meldet sich vom Tisch.
„Ich möchte eine Pause. Einen Monat. Kein Treffen, kein Telefonieren, kein Chatten. Wir werden uns Briefe schreiben, meinetwegen auch E-Mails. Ich brauche Zeit.“
Mein Bauch ist weich, ich zittere. Nicht mehr das Handydisplay nach einem blinkenden Briefumschlag absuchen. Nicht mehr den Monitor mit der Maus aus dem Schlaf rütteln damit er mir E-Mails zeigt, während Frau T-Net-Box Mitteilungen vorliest. Pause.
Ich ringe nach Luft, muß raus, verlasse die Wohnung, will heim. Im Supermarkt kaufe ich einen Apfel. Unter meinem Baum im Park beiße ich in sein Gelb, lächele, schaue hinüber zu der Stelle, an der wir vor einem Jahr saßen. Melone klebte an ihrer Wange. Ich strich mit den Fingerspitzen darüber und leckte sie ab. Regen setzt ein.
Die Wohnung ist verlassen. Mein Mitbewohner hatte sich gestern Abend hinaus geschlichen und ist nicht wieder aufgetaucht. Er hatte die Waschmaschine angelassen. Jetzt hängt die Wäsche über der Leine.
Ich schleiche durch den Flur ins Badezimmer, schaue aus dem Fenster. Gewitterwolken überspannen den Innenhof. Die Zahnpasta beißt mich.
In meinem Zimmer auf der Bettkante ziehe ich Schuhe und Socken aus, halte eine Socke vor meinem Gesicht in die Höhe. Durch das Gewebe an der Hacke sehe ich die Wand dahinter. Ob die Liebe sich unserer Wegwerfgesellschaft untergeordnet hat, denke ich, wenn selbst ein paar Billigsocken länger halten und möchte eine Zigarette rauchen.
Im Tabakbeutel auf dem Schreibtisch sind nur ein paar Krümel.
Ich folge dem Gestank von Müll in die Küche, vorbei an dem abgewetzten Sofa. Darauf liegt ein Kinderbuch. Der Hase auf dem Einband lächelt mir zu. Ich verscheuche die Fliegen, wühle in den Tüten. Unter dem Rest eines Döners finde ich Kippenstummel, nehme sie mit zurück und popele sie über ihrem Liebesbrief auseinander.
Die Zigarette schmeckt nicht, trotzdem rauche ich weiter. Durch das gekippte Fenster dröhnt eine Stimme vom Jahrmarkt herüber. Sie will mich. Mein Blick klettert die Backsteinreihen des Nachbarhauses hinauf, kriecht die Dachpfannen entlang, trifft den Himmel. Die Wolken reißen auf und Sonnenstrahlen wärmen mein Gesicht.
Ich ziehe meine Jacke an, eile die Treppenstufen hinunter. Eine Straße überqueren, noch zweihundert Meter, der Park stellt weder Fragen noch Bedingungen.