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Beschweren sie sich nicht bei mir, ich bin bloß die Fahrerin

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21.06.2003
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Beschweren sie sich nicht bei mir, ich bin bloß die Fahrerin

Tut, tuut, tuuut. Verdammt, was für ein fieses Geräusch. Tuuuut. Schon gut, schon gut, ich bin ja schon wach.
Entnervt knalle ich die Faust auf meinen armen kleinen Wecker, der ob dieser groben Behandlung noch einen letzten, protestierenden Ton ausstößt und dann endlich Ruhe gibt.
Also gut, wie spät ist es eigentlich? Ein kurzer Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich noch ein wenig Zeit habe, also lege ich mich wieder zurück und... Tuuuuut.
Oh, Mann, jetzt ist dieser Wecker fällig. Ich fege ihn mit einer entschlossenen Handbewegung von der Kommode, wobei gleich noch ein Buch und eine Wasserflasche mit flöten gehen. Shit!

Aber wenigstens bin ich jetzt wach. Na ja, jedenfalls so gut wie. Ich schleppe mich ins Bad und nach einer kalten Dusche fühle ich mich schon wesentlich fitter. Als ich dann auch noch meine Uniform anlege (das einzige Kleidungsstück in meinem Besitz, das nie zerknittert ist) weiß ich endlich wieder, warum ich diesen Job unbedingt machen wollte, selbst wenn er mit sich bringt, zu einer Zeit aufzustehen, zu der vernünftige Menschen brav in ihren Betten liegen und schlafen.
Komisch, ich bin jetzt schon seit vier Jahren dabei, doch immer noch beschleicht mich dieses ungläubige, beinahe ehrführchtige Gefühl, wenn ich mich im Spiegel betrachte. Diese Uniform tragen zu dürfen ist wundervoll.
Jetzt noch schnell eine Schüssel Cornflakes herunterschlingen, und dann muss ich auch schon los.

Während ich zum Umschlagplatz laufe, stelle ich wieder einmal fest, wie friedlich hier um diese Zeit alles ist. Ich liebe diese nächtliche Stille, nur leider habe ich nie sonderlich viel Zeit, um sie zu genießen.
Auch jetzt fehlt mir die Zeit, denn ich bin an meinem Ziel angelangt.
Und da steht er auch schon.

Dieser Anblick bringt mein Herz jedes Mal wieder dazu, schneller zu schlagen. Plötzlich muss ich anfangen zu lachen. Es ist ja auch schon ein wenig sonderbar, dass einen der Anblick eines alten, klapprigen Busses so in Ekstase versetzen kann!
Und doch habe ich jedesmal das Gefühl, nach Hause zu kommen, wenn ich mich auf meinem Platz niederlasse, den Zündschlüssel drehe und das warme, dröhnende Geräusch des Motors mich einhüllt.
Mit beiden Händen ergreife ich das Lenkrad und steuere meinen großen Freund aus dem Umschlagplatz heraus.

Auf dem Display vor mir werden die ersten Stationen angezeigt. Keine üble Gegend dabei. Gut, vielleicht wird es mal wieder eine ruhige Schicht. Könnte ich auch gebrauchen, nach den Punkern letzte Woche und dem durchgeknallten Junkie gestern Nacht.
Manchmal hat man es wirklich nicht so einfach als Busfahrerin. Nicht zuletzt, weil dieser Beruf doch immer noch eher männlich dominiert ist. Die meisten Leute stehen weiblichen Busfahrern eher skeptisch gegenüber. Das habe ich schließlich am eigenen Leib erfahren, damals, als diese Gruppe von Schlägern nach einem Fussballspiel jemanden brauchte um sich auszutoben.
Na ja, was soll's. Schließlich habe ich ihnen diesen Job hier zu verdanken, und heute würde ich um nichts auf der Welt einen anderen machen wollen.

Mein erster Fahrgast in dieser Nacht ist ein alter Mann, der sich auf einen der vorderen Plätze setzt. Als er einsteigt, sehe ich wie immer in den Spiegel und wie immer überfällt mich kurz der Neid.
Er hat diesen wissenden Ausdruck in den Augen, diese Ausstrahlung vollster Zufriedenheit, die man nur bei alten Menschen beobachten kann. Es muss schön sein, zu wissen, dass man alles Sehenswerte gesehen, alles Erlebenswerte erlebt hat.
Ich schenke dem Mann noch ein etwas trauriges Lächeln, dann geht es weiter.

Die nächsten Passagiere sind ein paar Studenten. Wohl ein Verkehrsunfall. Sie scheinen alle noch ziemlich unter Schock zu stehen. Hauptsache, sie fangen nicht an, sich zu streiten, dann könnte es haarig werden. Aber sie setzen sich kommentarlos auf die hintersten Bänke. Eine von ihnen fängt an zu weinen und wird von ihrem Freund in den Arm genommen.
So etwas beobachten zu dürfen ist immer schön. Irgendwie bedeutet es, das noch etwas gerettet wird. Das nicht alles vorbei ist.

Nach einem jungen Burschen, der wahrscheinlich einfach nur furchtbar unglücklich verliebt war und der sich sofort in eine dunkle Ecke verkriecht, ein paar weiteren alten Leuten und einem etwa fünfzehnjährigen Jungen, der wohl Krebs gehabt hat und jetzt eigentlich recht glücklich ausieht, ist meine Schicht fast vorbei.

Gerade als ich anfange zu glauben, dass heute Nacht nichts mehr passieren wird, passiert es: Als ich bei einem Wohnungsbrand halte, steigt ein kleines Mädchen vorne bei mir ein. Sie ist nicht älter als vier oder fünf Jahre. Kinder zu fahren ist immer schwierig. Einerseits macht es mich traurig zu sehen, wie ein so junger Mensch aus dem Leben gerissen wird.
Andererseits bringt das Lächeln eines Kindes immer Licht in meinen Arbeitsalltag.

"Bist du ein Engel?" fragt mich da das kleine Mädchen.
Ich schmunzle. Immer die gleiche Frage. Nach einem kleinen Anstandsblick auf das Bitte während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen-Schild (unter das irgendein Spaßvogel bei mir: Das gilt auch für Kinder! gepinselt hat) drehe mich zu dem Mädchen hin und lächle.
"Nein, ich bin kein Engel. Ich bin bloß Busfahrerin.", sage ich noch immer schmunzelnd, wobei ich darauf achte, die Straße nicht länger als eine Sekunde aus den Augen zu lassen und das Tempo zu halten.

"Oh." Die Kleine scheint enttäuscht zu sein.
"Aber weißt du was, da wo wir jetzt hinfahren, da gibt es ganz viele Engel.", sage ich in heiterem Ton um sie aufzumuntern. Das scheint sie zwar noch nicht ganz zu beruhigen, aber als ich jetzt kurz zu ihr hinschaue, sehen ihre Augen schon weniger traurig aus.
"Ich weiß etwas, dass wird dir bestimmt gefallen" sage ich, während ich mich jetzt voll auf das Fahren konzentrieren muss.
So sehe ich nicht, wie die Kleine mich neugierig anschaut, doch ich kann ihren Blick förmlich spüren.
"Was denn?" fragt sie ein wenig ungeduldig.
"Sieh einfach hinaus!" fordere ich sie auf. Und ihrem entzückten Aufschrei nach zu urteilen, tut sie jetzt gerade genau das.

Der Bus hebt von der Straße ab und fährt auf einer unsichtbaren Linie auf die Wolken zu, direkt in den Sonnenaufgang hinein.
Neben mir höre ich das entzückte Lachen des Mädchens und unter mir das vertraute Dröhnen meines Motors.

Plötzlich stimmt einer der Studenten diesen alten Schlager an. Und ehe ich mich versehe singt der ganze Bus. Sogar das kleine Mädchen summt mit. Leise stimme auch ich mit ein.
Alle Ängste alle Sorgen, sagt man, liegen darunter verborgen.
Tränen stehen mir in den Augen. Ja, das ist wirklich der beste Beruf den man sich vorstellen kann.

 

Hallo Barrash,

in der Szene, in der das Mädchen den Bus betritt, schreibst Du, dass die Gestalt hinter dem Mädchen schon fort war. Das fand ich etwas verwirrend, weil ich mit der Gestalt nichts anfangen konnte. Hat sie das Mädchen zum Bus gebracht? Den Hinweis auf diese Gestalt solltest Du entweder näher Erläutern oder Streichen.
Der Teil mit den Abmahnungen hat mir nicht gefallen. Warum sollte eine Busfahrerin eine Abmahnung bekommen, wenn sie Nachts ein kleines Mädschen mit nimmt. Wäre es nicht viel schlimmer, das Mädchen alleine auf der Straße stehen zu lassen.
Ansonsten hat mir Deine Geschichte aber gut gefallen.

Gruß
Jörg

 

Hallo Jörg, hallo Illusionist!

Erstmal danke für euer Lob.

@Der Illusionist: Das mit dem Titel war auch für mich ein etwas schwieriges Thema. Ich wollte irgendwie einen Titel, der noch nicht zu viel verrät und trotzdem neugierig macht. Das es letztendlich wie der Titel einer Komödie klingt, ist einfach irgendwie passiert, ich weiß auch nicht :D . Auf jeden Fall machen mir die Titel immer Schwierigkeiten.
(Und das es eine Fantasygeschichte ist, könnte man vielleicht erahnen, da ich sie unter Fantasy gepostet habe ;) )
Das mit dem männlich dominierten ist mir nicht aufgefallen, aber danke für den Hinweis.

@Jörg: Das mit der Gestalt entsprang meinem übertriebenden Mutterinstinkt, weil ich nicht wollte, dass das arme kleine, gerade gestorbene Mädchen allein zum Bus laufen muss. Aber ich gebe dir recht, ich hätte dies näher erläutern müssen. (Hatte da irgendwie dieses "Stadt der Engel" Bild im Kopf)
In einer ersten Fassung fragt das Mädchen "Bist du auch ein Engel?", womit sie impliziert, das diese Gestalt ein Engel war, der sie zum Bus begleitet hat, aber nun auf der Erde bleiben muss, bzw. auf einem anderen Weg in den Himmel geht.
Ich habe absolut keine Ahnung wie ich das in den Text einbauen soll, bin für Anregungen dankbar.
Was die Abmahnungen betrifft, die bekommt sie nicht dafür, das sie das Mädchen mitnimmt, sondern dafür, das sie mit ihm spricht und dadurch zu schnell fährt.
Hatte irgendwie versucht, das durch dieses Schild und den anderen Abmahnungen, sowie ihrer starken Konzentration auf die Straße während der Unterhaltung deutlich zu machen.
Sie darf eben eigentlich nicht mit den Passagieren reden, da dies ihre Konzentration stört, doch sie macht bei Kindern gerne mal eine Ausnahme (weshalb sie unter Umständen vielleicht sogar diejenige ist, die eher Kinder mitnehmen darf, da die Vorgesetzten wie gesagt eher mal ein Auge zudrücken und es grundsätzlich für so ein armes verstörtes kleines Ding ja nicht schlecht ist ein wenig Zuspruch zu bekommen. Sie muss sich dabei halt eben nur auf das Fahren konzentrieren)

So, ich hoffe, ich habe euch jetzt nicht zu sehr zugetextet. :engel:

Ich wünsch euch auf jeden Fall einen schönen Sonntag!
Liebe Grüße,
Barrash

 

Hi Barrash,
hübsche Geschichte!
Sehr nett geschrieben, nur einige Stellen könnte man ausmustern.

Zum Beispiel die Sache mit den Mahnungen ist für die Story irrelevant und könnte gestrichen werden.
Das würde das ganze etwas strecken.

Außerdem habe ich nicht ganz verstanden, warum sie keine kleinen Kinder transportieren darf?
(Und ja, die Sache, dass sie ein Engel zum Bus bringt, solltest du irgendwie kurz in der Geschichte anschneiden!)

Fazit: Sprachlich ok, gute Stimmung, netts Thema und gute Umsetzung! Weiter so!

glg Hunter

 

hallo barrash,

ich als fantasy-haus-hof-kritikerin muss dir auch noch was schreiben :)

ich fand die geschichte schoen - am anfang dachte ich, häh, was soll denn die in fantasy, aber gegen ende wurde es mir klarer. ich finde die geschichte schoen, rundum gelungen, nur das mit den mahnungen hab ich nicht so ganz verstanden. das solltest du ausarbeiten.

ansonsten: beide daumen nach oben
lg vita

 

Hallo barrash,
also ich finde dies ist eine rundum gelungene Geschichte.
Mich störte weder der Titel, noch die Sache mit den Abmahnungen, natürlich muss man die Geschichte aufmerksam und eben auch zu ende lesen um alles zu verstehen. Aber das ist doch eigentlich das Besondere an Geschichten, man muss sich mit ihnen auseinander setzen, eine Geschichte, in der alles erklärt wird ist langweilig.
Auch finde ich die nur kurzangesprochene Gestalt, die das Kind zum Bus gebracht hat, in ihrem Part völlig ausreichend, sie lässt etwas erahnen aber verrät nichts.
Da aber einige Leser die Abmahnungen nicht gleich verstanden haben,obwohl ich die Erklärung durch die Schilder ausreichend fand, habe ich einen Vorschlag für den Titel, der dann nichts verrät aber eben so neugierig macht. Wie wäre es mit:

Reden Sie nicht mit mir, ich bin nur die Fahrerin.

Aber wie gesagt ich finds rundum klasse.

Liebe Grüße
Angela

 

Hallo Barrash,

Du könntest anstelle "die Gestalt hinter ihr ist bereits fort" vieleicht schreiben. "die Gestalt, die das Mädchen zum Bus begleitet hat, ist bereits fort".
Die Fragestellung aus Deiner 1. Variante "Bist du auch ein Engel", fände ich besser.
Die Sache mit der Abmahnung solltest Du wirklich streichen, da es für die Handlung unwichtig ist.

Auch Dir noch einen schönen Sonntag.

Gruß
Jörg

 

Hallo Angela, Hunter, vita und nochmal Jörg und Der Illusionist!

Wow, ich glaube so viel Resonanz hatte ich bisher noch auf keine meiner Geschichten.
Ich danke euch allen für das Lob und für die Verbesserungsvorschläge, von denen ich einige bereits in die Tat umgesetzt habe, die Abmahnungen und die Gestalt sind jetzt gestrichen.

@Angela: Danke für dein schönes Lob, leider habe ich die Geschichte bereits geändert, bevor ich deinen Beitrag gelesen habe, aber vielleicht gefällt sie dir jetzt trotzdem. Dein Vorschlag zur Titeländerung ist zwar auch ganz witzig, aber er sagt irgendwie nicht das aus was ich wollte (schließlich hat die Busfahrerin im Grunde nichts dagegen, dass das Kind mit ihr spricht.
Ansonsten bin ich aber sehr dankbar, das auch jemand die Geschichte ohne Änderungen verstanden hat, das zeigt, dass meine Gedankengänge nicht ganz so verschroben sind, wie ich befürchtet hatte ;)

@Der Illusionist: Damit ich auch rehabilitiert bin, sei hier gesagt, dass ich anfänglich schon vorhatte, eine lustige Geschichte zu schreiben, doch irgendwie ist dann Themabedingt doch was trauriges draus geworden. Na ja. :hmm:

@vita: Danke das auch du als Haus-Hof Kritikerin meiner Geschichte noch Aufmerksamkeit schenkst, ich hatte schon gewartet (hatte schon befürchtet, du ignorierst mich, weil ich auf deine letzte Kritik nicht geantwortet habe :( ) Aber jedenfalls, danke für das Lob.

Ich wünsch euch allen noch einen schönen Sonntag!
Liebe Grüße,
Barrash

 

Hallo Barrasch,
wirklich eine nette kleine Geschichte, auch wenn das Thema nicht ganz neu ist. Deine Variation gefällt mir.
Ich kenn jetzt nur die überarbeitete Version.
Beim Schluss, als die Fahrgäste das alte Lied von Reinhard May anstimmten, musste ich schmunzeln. Das ist ein netter Abschluss.
Gruß Shinji

 

Hi,

also ich muß zugeben ich hab erst bei dem Wohnungsbrand gecheckt dass das kein normaler Bus ist, was mich dazu bewogen hat einfach mal ein WOW!:comp: auszustoßen. Fand ich ziemlich überraschend, und auch sonst ist Dir diese Geschichte sehr gut gelungen.

Kompliment!

Gruß

MisterSeaman

 

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