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Blutdurst

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27.09.2004
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Blutdurst

Antonio fror. Er fror erbärmlich, mehr als erbärmlich um präzise zu sein.
Der Wind pfiff um die Dächer, es jaulte und heulte als stehe der Weltuntergang nahezu bevor. Es goß wie aus Kübeln und der Regen wurde vom Wind in Böen hin- und hergepeitscht. Ein entferntes Grollen kündigte ein nahendes Gewitter an.
Bei so einem Hundewetter würde man nicht mal besagtes Haustier vor die Tür schicken. Nur ihn, Antonio.
Ein Schatten huschte vor ihm über die enge ausgestorbene Gasse. Antonio achtete nicht darauf, in seinem Job konnte er es sich nicht erlauben, auf jede kleine Ratte Rücksicht zu nehmen. Sollte die Ratte tun, was sie wollte, er würde es auch tun. Obwohl, von wollen konnte eigentlich keine Rede sein. Warum nahm er nicht einfach das nächste Flugzeug Richtung Süden und vergaß all das hier? Er wußte es genau. Selbst wenn er die Reiseroute bis hin zum Südpol verlängern würde, er hätte nicht mehr allzu viel davon. Er wäre nirgendwo sicher.
Er schalt sich selbst; so die Konzentration verlieren, das durfte nicht passieren. Er versuchte sich an die Sätze zu erinnern, die ihm eingebleut worden waren, bis er sie sogar im Schlaf hatte hersagen können (nicht, dass er je so etwas wie Schlaf erfahren würde): Nie die Gedanken schweifen lassen. Immer an den Nutzen für die Familie denken. Du selbst bist nur ein Handlanger. Überschätz dich niemals, du bist schneller ersetzbar als die Polizei ihr Blaulicht angeschraubt hat.
Er tastete nach dem kühlen Metall an seinem Gürtel. Es beruhigte ihn.
Mittlerweile war er vor einem der kleinen verschachtelten Häuschen stehen geblieben. Es sah alt, eingefallen, ungepflegt aus. Es sah aus wie jedes andere der Häuser in dieser Gegend. Es passte perfekt zu den Menschen, die hier lebten: Waschweiber, Tagelöhner, Bettler, Huren.
Sie alle hatten nichts, verlangten nichts mehr vom Leben. Solange der letzte Freier ordentlich bezahlte, war ihre Welt in Ordnung. Sie hinterliessen selbst im Stockfinstern der Nacht ihre Spuren im Viertel. Man konnte es riechen, fühlen, spüren, das Elend. Es roch nach menschlichen Ausdünstungen, Kot, Abfällen. Angst, Verzweiflung, Hass schlichen durch die Straßen und Gassen. Sie wollten keine Fremden. Sie wollten niemanden, auch nicht solche, die waren wie sie. Zu viele gab es sowieso schon von ihnen.
Antonio schaute sich prüfend um. Er wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen, er wollte so schnell wie möglich hier weg.
Niemand zu sehen, nur aus der Ferne ein dumpfes Grölen und Geschrei. Irgendein Betrunkener in irgendeiner Kneipe, wahrscheinlich von irgendjemandem zusammengeschlagen. Namen waren uninteressant. Nichts als Schall und Rauch für die Menschen hier. Ein Name half ihnen auch nicht dabei satt zu werden.
Für Antonio waren Namen das Wichtigste. Genau deshalb kannte er fast keine. Namen bedeuteten in seiner Welt Macht. Macht, die er nicht besaß. Nicht besitzen durfte.
Er schaute ein letztes Mal hoch, dahin wo er normalerweise den Himmel vemutete. Es musste jedoch bei einer schieren Vermutung bleiben, da in dieser mondlosen Nacht nur die ewig scheinenden Regentropfen real zu sein schienen.
Antonio holte tief Luft – in seinem Job konnte es immer sein, dass es das letzte Mal war – und klopfte an die halb verweste Holztür.
Nichts. Er klopfte noch einmal. Zweimal kurz, einmal lang, Pause, noch einmal kurz. Das vereinbarte Zeichen. Er schaute sich um. War etwas geschehen? War etwas dazwischen gekommen? War es eine Falle? Wollte man ihn eliminieren?
Es knarrte. Die Tür öffnete sich. Im Rahmen stand ein groß gewachsener Mann, eingehüllt in einen schwarzen Mantel aus glänzender Seide, auf dem Kopf einen schwarzen Lederhut.
Sein Gesicht war schmal, jedoch nicht eingefallen vor Hunger wie man es aus diesem Viertel hätte erwarten können. Es drückte mit den hohen Wangenknochen, der gebogenen Nase und dem spitz zulaufenden Kinn eine Aristokratie aus, die die Herberge des Mannes Lügen strafte.
Das Einzige, was er mit den hier lebenden Menschen gemein hatte, und das auch nur mit einem Teil von ihnen, denen, die sich hier zu kleinen Herrschern aufgeschwungen hatten, waren die Augen. Sie waren an sich nicht sonderlich auffällig, braune Augen, die bei Tageslicht sicherlich in keiner Weise von denen anderer Personen unterschieden waren, doch sie hatten etwas an sich, das Antonio zwang, den Blick nicht von ihnen zu wenden.
Es war Hass. Purer Hass. Er blitze aus den Augen, er schien sich seinen Weg zu bahnen und nicht aufzuhalten zu sein. Hass, der bereit war, zu töten. Leben auszulöschen allein um des Mordens willen.
„Du bist Antonio?“.
Eine knarrende Stimme, wie ein Scharnier, das schon seit Jahren nicht mehr geölt worden war.
„Hörst du mich nicht? Kannst du nicht sprechen? Bist du Antonio, habe ich gefragt?“.
„Ja“.
„Dann starr nicht so dumm durch die Gegend, sondern führe mich dahin, wo ich erwartet werde.“
„Wie Sie wünschen. Wenn Sie mir bitte folgen würden – hier entlang.“
Antonio wartete, ob der Mann vor ihm gehen würde, bis ihm einfiel, dass es unmöglich war, da die Person zu der sie wollten, die diesen Mann sehnlichst erwartete, nie lange an einer Stelle weilte. Nur enge Vertraute und gerade benutze Boten und Handlanger, wie er, kannten den momentanen Aufenthaltsort.
Er setzte sich in Bewegung, horchte auf die Schritte des Mannes hinter ihm, horchte wie sie ihm folgten. Nur schnell ankommen, den Auftrag erledigt haben und aus der Verantwortung sein. Dann würde er aufatmen, einmal tief durchatmen und sich vielleicht sogar einen kleinen Seufzer der Erleichterung gestatten.
Er hatte nicht bemerkt, dass er schneller geworden war, er rannte schon beinahe, doch plötzlich unterbrach ihn eine Stimme, die er mittleweile seit Ewigkeiten zu kennen glaubte, obwohl er sie vor etwa 15 Minuten das erste Mal in seinem Leben gehört hatte.
„Nicht so schnell, so eilig hab ich’s nicht. Mir macht das Tempo zwar nichts aus, aber ich befürchte, dass mein unfähiger Führer dann in Ohnmacht fallen wird. Ich habe keine Lust, mir einen neuen zu suchen, daher fahr zur Hölle, du verdammter Hund und renn‘ nicht fort als wäre der Leibhaftige bereits jetzt schon hinter dir her. Er kommt schon früh genug, glaub mir.“
Antonio verlangsamte seine Schritte, ohne sich umzudrehen, ohne ein Wort zu sprechen. Er überlegte, ob es ihm wohl erlaubt sei zu atmen, kam aber zum Schluss, dass es aus anatomischen Gründen nötig sei.

So liefen beide noch eine ganze Zeit weiter durch die Nacht. Wie Schatten huschten sie um Häuserecken, durch Büsche, Treppen hoch. Immer weiter. Antonio getrieben von dem Wunsch, die Schritte in seinem Nacken endlich zum Verstummen zu bringen, der Mann hinter ihm von einer Kraft, die er, Antonio, lieber gar nicht kennen lernen wollte.

Schließlich erreichten sie eine kleine Holzhütte im Wald, im Prozess des Verfalls sicherlich ebenso weit fortgeschritten wie das Häuschen aus dem sie beide gerade aufgebrochen waren.
Das Dach war von Efeu umrankt, Spinnennetze klebten an allen nur möglichen Teilen der Hütte.
Dies war ihr Ziel. Hier erwartete er sie. Der mächtigste Mann der italienischen Unterwelt. Niemand wusste, woher er kam. Niemand wusste, wer er war. Niemand fragte nach. Es war nicht wichtig. Wichtig war, dass dieser Mann Macht besaß. Größere Macht als sich Antonio jemals vorstellen konnte. Er hatte Freunde in den höchsten Kreisen der Politik, der Industrie, der Gesellschaft. Er hätte nur mit dem Finger schnipsen mögen und schon wäre mindestens eine Person tot umgefallen. Natürlich eines natürlichen Todes, das hätte selbst der Polizeichef von Neapel bestätigt. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig, wollte er nicht ein ähnliches Schicksal erleiden wie der Tote.

Antonio schnaufte, versuchte sich erfolglos mit einem Stofftaschentuch den in Strömen herunterlaufenden Regen vom Gesicht zu wischen. Jetzt hatte es auch noch angefangen zu gewittern. Wenigstens waren sie endlich an ihrem Ziel angekommen. Er wandte sich zu seinem Begleiter um.
„Wir sind da, mein Herr!“.
Im Licht des plötzlich durch den Himmel zuckenden Blitzes konnte Antonio die Augen aufblitzen sehen. Ein kalter Schauer, der nicht durch die triefende Nässe des Regens verursacht worden war, lief ihm den Rücken herunter. Er entschied, sich lieber wieder schnell zur Hütte umzudrehen und klopfte. Kurz – lang – lang – lang. Irgendwann würde er sich diese ganzen Codes nicht mehr merken können. Vielleicht war er zu alt für den Job.
Aufgeschreckt durch sein Pochen raschelte etwas im Gebüsch. Ein Hase, vielleicht ein Fuchs, den er aus dem Schlaf gerissen hatte.
Langsam und knarrend wurde die Tür geöffnet. Ein Mann, eingekleidet in feinste italienische Seide und in tadelloser Haltung schaute ihn fragend an. Als er ihn erkannte, winkte er Antonio und seinen Begleiter ohne Umschweife ins Innere.
„Gut, dass du endlich wieder kommst, Antonio. Gut, dass du da bist, Luigi, er wartet schon auf dich. Kommt ihr beiden, er will euch beide sehen. Keine Ahnung warum, aber er sagte, er könne es kaum noch erwarten, bis ihr beide hier ankommt, er hätte eine Art Hungergefühl.“
Antonio begann zu zittern. Der Mann, der sie da drin erwartete und den er noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte, schien einem Tier ähnlicher zu sein als einem Menschen. Wenn er nach einem Killer verlangte, und nichts anderes war der Mann, den er soeben durch die Nacht geführt hatte, so viel war ihm mittlerweile klar, und dementsprechend offensichtlich einen oder gleich mehrere Morde plante, sprach er von „Hunger“. Durst wäre passender gewesen.
Durst nach Blut.
Antonio hatte das dringende Bedürfnis wegzulaufen, ganz weit weg. Weg von diesem schrecklichen Machthaber, der in einer Waldhütte nachts nach Mitternacht Treffen mit professionellen Mördern arrangierte.
Ehe er sich versah, wurde er von starken Händen mit seinem Begleiter zusammen in den hinteren Teil der Hütte geschoben, den er vorher einerseits aufgrund des naturgemäß schwach vorhandenen Lichts zu dieser nächtlichen Stunde und andererseits wegen eines schwarzen Tuchs, das quer durch die Zimmermitte gespannt war, nicht wahrgenommen hatte.
Eine gedimmte Lampe verbreitete schwaches Licht, versuchte, sich gegen die Übermacht der Dunkelheit durchzusetzen. Nachdem Antonios Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, fiel sein Blick auf die Ecke des Raumes.
Dort stand ein Mann. Groß gewachsen. Dunkle Haare und Augen. Korpulente Statur. Ebenso wie Antonios ehemaliger Begleiter trug er einen schwarzen Anzug, dazu eine schwarze Krawatte. Als würde er auf eine Beerdigung gehen.
„Vielleicht muss er das auch schon bald. Vielleicht besucht er immer die Beerdigungen seiner Opfer und spricht ein paar Beileidsworte an die Verwandten und wirft ein paar teure Blumen auf den Sarg. Und jeder weiß, dass er es war, aber niemand sagt etwas.“
Es schüttelte Antonio vor Angst. Wahrscheinlich würde er bald ebenso zu diesen Personen gehören und seine Familie musste sich die falschen Trostworte seines Mörders anhören. Er richtete seinen Blick starr auf den Mann, der sein Schicksal so offensichtlich in der Hand hatte.
„Warum?“, dachte er. „Was habe ich diesem mächtigen Mann getan, dass er mich umbringen lassen will?“.
Luigi neben ihm ging auf den Mann zu.
„Ich freue mich, Sie wieder zu sehen und kann beruhigt berichten, dass Sie Ihr Vertrauen nicht in den Falschen gesetzt haben. Ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass er Sie mithilfe all seines Wissens äußerst fachkundig beraten wird. Aber tun Sie, was getan werden muss.“
Antonio schielte währenddessen nach möglichen Fluchtwegen aus dieser Hölle, in der sein Tod scheinbar schon beschlossene Sache war.
Zu spät. Der Mann im schwarzen Anzug trat auf ihn zu.
„Antonio, ich weiß, dass Sie sich sicher wundern, weshalb ich Sie jetzt persönlich anspreche, schließlich haben Sie mich noch nie zuvor gesehen. Normalerweise verschenke ich mein Vertrauen nicht allzu leichtfertig, aber erstens handelte es sich hier um einen Notfall und zweitens habe ich bereits Erkundigungen über Sie eingezogen. Dies eben war der Test auf den Härtefall. Ich hoffe, es ist Ihnen bewußt, was das bedeutet.“
Antonio wagte nicht, etwas zu sagen, obwohl er sich am liebsten vor hysterischem Lachen auf den Boden geworfen hätte. Musste man sich heutzutage sogar schon fürs Ermordet werden qualifizieren. Schade, dass es nicht mehr möglich sein würde, das seiner Frau zu erzählen, die hätte das auch lustig gefunden. Ihm entfuhr ein Schluchzer. Er würde sie nie wieder sehen. Der Mann vor ihm schaute ihn erschrocken an. Antonio hätte schwören mögen, dass dem so war, aber dann erinnerte er sich, dass Mörder ihre Opfer normalerweise nicht erschrocken anschauen, wenn diese sich nicht allzu leicht vom Leben lösen wollen. Besonders wenn es sich um den mächtigsten Mafiapaten der italienischen Unterwelt handelte, der gerade vor ihm stand.
„Antonio, ich hoffe, Sie beherrschen sich jetzt. Seien Sie tapfer, die Entscheidung ist nicht schwer. Ich brauche wirklich dringend Ihre Hilfe. Seit ich hier in diesem verfallenen Dreckloch angekommen bin, habe ich nichts Vernünftiges mehr zu essen bekommen. Luigi hat mir erzählt, dass Ihr Vater Pizzabäcker war. Ich brauche einen Experten. Nun – entscheiden Sie für mich.“
Antonio schaute auf. Was sollte er entscheiden? Über seine Todesart? Er blickte auf den Zettel, den der Pate ihm hinhielt. Er versuchte zu lesen, versuchte, durch die Tränenschleier seiner Augen und den noch immer von seiner Stirn tropfenden Regen die Buchstaben zu erkennen. Im Licht eines aufzuckenden Blitzes konnte er die Schrift lesen.
Es war eine Pizzakarte. „Mafiamäßig – gute Pizzen“.

 

Hallo Columbia

diese Geschichte konnte mich leider nicht überzeugen. Dafür ist sie zu lang und zusehr auf die, meiner Meinung nach nicht sehr überzeugende, Pointe hin ausgerichtet.

welchen Grund hatte Antonio anzunehmen, dass er ermordet würde? Der Großteil der Geschichte besteht nur daraus, dass er sich grundlos zu Tode fürchtet.
vielelicht solltest du ein vergehen einbauen, dessen er sich schämt um seine Angst plausibel zu machen. So erriet ich bereits viel zu früh, dass es auf eine harmlose Pointe hinausläuft.
Noch dazu bittet der Pate ihn Pizza von einer Karte zu bestellen. Nach welchen Kriterien soll er denn da bitte urteilen? Die Zutaten stehen doch ohnehin drauf, da kann sich der Mafiaboss gleich selbst seine Pizza aussuchen. Ob die dann gut sein wird darauf hat weder er noch der Pate einfluss. Aber ein Zettel mit dem Vermerk "Mafiamäßig - gute Pizzen" als "Karte" deutet wohl eher nicht auf ein Sternerestaurant hin ;)

Den Titel halte ich übrigens für irreführend, da denkt man erstmal an Vampire, aber vielleicht war das ja deine Absicht.

meiner Meinung nach solltest du die Geschichte gründlich überarbeiten. Im ersten Teil kannst du viel kürzen, den großteil der Herumrennerei halte ich für überflüssig. Dafür solltest du Antonio einen handfesten Grund für seine Todesangst geben, nicht nur den Umstand, dass er im Zuge eines kleineren Auftrags den Paten treffen wird.

Porcupine

 

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