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Computerteufel

Joh

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28.07.2003
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Computerteufel

Computerteufel

Monatelang hatte ich widerstanden. Alle boshaften Bemerkungen der Arbeitskollegen, ihre schwärmerischen Erzählungen über die phantastischen Möglichkeiten, die ihnen ihr Heimcomputer schenkte, selbst meine ständige berufliche Nutzung eines Computers konnten mich nicht davon überzeugen, dass ich mir auch einen anschaffen müsse. Im allgemeinen Rausch der Computereuphorie empfand ich mich als letzte Bastion der Vernunft.

Dann wurde es Oktober und Prospekte mit „sensationell günstigen“ Computerangeboten flatterten als Zeitungsbeilage ins Haus. Meine Bastion der Vernunft begann zu bröckeln. Hatte ich die ersten Werbezettel noch im Mülleimer entsorgt, lag nun ein Angebot auf meinem Arbeitstisch, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Ich unterhielt mich mit meinen Kollegen, schaute in die Testberichte aller Fachzeitschriften und entschied, doch nicht mehr länger dem Fortschritt im Wege zu sein.

Auf dem frisch zusammengeleimten IKEA-Computertisch thronten Drucker, Tastatur und Bildschirm, während das Hirn des Computers vor meinen Beinen ein zufriedenes Brummen von sich gab. Die notwendigen Kabelverbindungen hatte ich angeschlossen, die installierte Internetverbindung wartete nur darauf, von mir ihren ersten Befehl zu erhalten. Nun besaß auch ich den Zugang zur weiten Welt des Internets. Ich stellte mir die Gesichter meiner Kollegen vor, wenn ich am nächsten Tag von meinem neuen Computer berichten würde. Langsam gab ich die erste Adresse ein, überprüfte sie nochmals sorgfältig, dann drückte ich auf <verbinden>.

Die Farbe des Bildschirmes wechselte von einem ruhigen Blau in ein waberndes Rot, noch immer wurde die von mir angeforderte Seite offensichtlich geladen. Hatte ich etwas falsch gemacht? Das beunruhigende Rot auf meinem Bildschirm veränderte sich nicht. Ich suchte mit dem Mauszeiger nach einer Möglichkeit, etwas anzuklicken, fand aber nichts. Das Rot auf dem Bildschirm vermischte sich mit einem tiefen Schwarz, plötzlich erschienen lodernde Flammen, die in meinen Lautsprechern ein unangenehmes Knistern erzeugten. Unvermittelt blinkten kyrillische Buchstaben auf, verloschen wieder. Inmitten des Flammenmeeres wurde langsam ein schwarzes Gesicht immer deutlicher. Eigentlich war es mehr eine Fratze mit geöffnetem Maul und zwei Hörnern, die mich an Bilder meiner Kinderbibel erinnerte. Erschrocken wollte ich den Computer abstellen, doch selbst als ich verzweifelt den Stecker herauszog, zeigte der Bildschirm weiterhin sein rotschwarzes Flackern. Ich rannte aus dem Zimmer und verschloss die Tür.

Am nächsten Morgen versuchte ich andeutungsweise meinen Kollegen zu erzählen, was geschehen war, stieß aber nur auf Unverständnis.
"Du bist auf die Internetseite der Hölle gekommen? Quatsch, so etwas gibt es doch gar nicht" oder "Es ist technisch gar nicht möglich, dass ein Computer weiterläuft, wenn du den richtigen Stecker gezogen hast" waren ihre wenig hilfreichen Antworten. Vielleicht, so redete ich mir ein, hatte ich mich wirklich getäuscht. Vielleicht würde wieder alles in Ordnung sein, wenn ich nach Hause kam.

Es war nicht in Ordnung. Als ich in meine Wohnung trat, sah ich bereits das rote Flackern unter dem Türrahmen meines Computerzimmers. Ich schritt zum Sicherungskasten und drehte sämtliche Sicherungen heraus. Weder Fernseher noch Herd funktionierten, auch die Beleuchtung konnte ich nicht mehr eingeschalten - aber der Schein des Höllenglitzerns blieb.
Ich bin ein moderner und durchaus rational denkender Mensch - und auch in diesem Fall wusste ich nach einigem Überlegen, was zu tun war. Es gab nur eine einzige Möglichkeit: Teufelsaustreibung!

Um das, was sich in meinem Computer befand, nicht unnötig zu warnen, rief ich aus einer Telefonzelle bei meinem ehemaligen Pfarramt an. Vor zwanzig Jahren war ich einst ein sehr eifriger Messdiener und Kirchgänger gewesen. Zwar ging mein sonntäglicher Kirchbesuch zwischenzeitlich Richtung Null, aber zumindest die Weihnachtsmette an Heiligabend hatte ich bisher noch in keinem Jahr versäumt. Und anhand meiner Lohnsteuerkarte hätte ich leicht nachweisen können, dass ich der katholischen Kirche immer noch auf`s Innigste verbunden war.

Der Gemeindeassistentin erzählte ich am Telefon, dass ich das dringende Bedürfnis hätte, eine Beichte abzulegen - ich wollte nicht von vornherein als Verrückter abgestempelt werden. Außerdem betonte ich, es sei sehr dringend, da mein gesundheitlicher Zustand momentan bedenklich wäre. Mein heiseres Husten in die Telefonmuschel wurde mit einem Gesprächstermin noch am gleichen Abend belohnt.

Erstaunlicherweise erkannte mich Pfarrer Hörmann sofort.
"Ist das nicht der kleine Stefan?", fragte er gutmütig, als er mir die Tür öffnete. Ich nickte eingeschüchtert. Zwar bin ich mittlerweile über dreißig und nicht gerade klein zu nennen, doch in diesem Moment fühlte ich mich wieder wie der junge Messdiener, der vor seinem allmächtigen Pfarrer am Altar stand und ihm mit zitternden Händen die Weinkaraffe reichte.
"Ich habe dich schon lange nicht mehr in der Sonntagsmesse gesehen!"
Das Blut schoss in meine Wangen, ich stammelte: "Es ist mir leider immer etwas dazwischen gekommen, aber nächsten Sonntag..."
"Schon gut." grinste Pfarrer Hörmann und bat mich in sein Arbeitszimmer.

"Man hat mir erzählt, dass du die Beichte ablegen möchtest. Wann warst du denn das letzte Mal zur Beichte?"
"Ich habe ein großes Problem, Herr Pfarrer", unterbrach ich ihn, " vor kurzem habe ich mir einen Computer gekauft - und jetzt ist da der Teufel drin."
Pfarrer Hörmann nickte bedächtig. "Wie schon der Papst in seiner vorletzten Enzyklika geschrieben hat, ist der Computer Teufelswerk. Kennst du übrigens den Witz über Bill Gates, der am Himmelstor steht und..."
"Er ist wirklich bei mir drin", bemühte ich mich zu erklären und schilderte ihm meine bisherigen Erlebnisse. Das Gesicht des Pfarrers wurde ernst, er ging zu seinem Bücherschrank und zerrte ein altes Buch hervor.
"Da hast du wirklich Glück, mein Sohn, dass du dich an mich gewendet hast. Die jungen Pfarrer verstehen heutzutage davon nichts mehr."
Ich glaubte, eine Spur von Verachtung in seinem Gesicht zu sehen.
"Wann hast du denn den Computer gekauft?"
Ich überlegte. "Ende Oktober, ich glaube, es war..."
"Der 31. Oktober, also zu Halloween, richtig?"
Ich nickte. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Jetzt erklärte sich einiges.
"Ich muss mich noch auf die Teufelsaustreibung vorbereiten. Sei morgen in deiner Wohnung, ich komme um 15.00 Uhr mit zwei Messdienern vorbei. Aber das wird keine einfache Sache! Weißt du, mein Junge, der Teufel kann sehr hartnäckig sein. Hast du dich nie gefragt, woher ich das hier habe?"
Er deutete auf seine lange rote Narbe, die sich von seiner rechten Schläfe bis zum Mundwinkel zog.
"Ist das..."
"Ja, das war das Ergebnis einer Teufelsaustreibung - aber ich habe gewonnen."

Pünktlich zur vereinbarten Zeit stand Pfarrer Hörmann mit zwei älteren Ministranten vor meiner Tür. Er hatte ein reich besticktes Messgewand angezogen, in seiner Linken hielt er den Weihwasserkessel. Unwillkürlich bekreuzigte ich mich, als ich ihn sah.
"Gelobt sei Jesus Christus", entgegnete er ernst, "wo steht dein Computer, mein Sohn?"
Ich deutete zu dem Zimmer, aus dem immer noch ein rotes Leuchten drang. Rasch ging ich vor und schloss vorsichtig die Tür auf, traute mich aber nicht, hineinzuschauen.
"Lass uns jetzt allein! Es ist besser für dich, wenn du es nicht mit ansehen musst."

Lange Zeit war nur ein verhaltenes Murmeln aus dem Zimmer zu hören. Gebete wurden gesprochen, die hellen Stimmen der Ministranten verfielen in einen choralen Singsang. Ich widerstand hartnäckig der Versuchung, an der Tür zu lauschen.
Plötzlich drang ein greller Blitz nach draußen, gefolgt von einem lauten Knall. Grausiges Lachen erklang, die Wand zu meinem Computerzimmer schien zu beben. Im selben Moment wurde die Tür aufgerissen und beide Ministranten rannten, die Rockschöße hochhaltend, schreiend und in unchristlicher Eile aus meiner Wohnung.

Ängstlich blickte ich in mein Computerzimmer. Es war völlig ruhig geworden, nur das rote Wabern des Bildschirmes leuchtete zu mir herüber. Mein Herz klopfte wie wild, als ich den Raum mit zitternden Beinen betrat. Auf dem Teppichboden lag der Körper meines Pfarrers merkwürdig verrenkt, die Narbe in seinem Gesicht war verschwunden.

Der herbeigerufene Notarzt erzählte etwas von plötzlichem Herzstillstand, ich hörte ihm kaum zu. Verwirrt starrte ich auf die Liege, mit der die Leiche von Pfarrer Hörmann aus meiner Wohnung transportiert wurde. Wenigstens hatte das rote Leuchten in dem Moment aufgehört, als die Sanitäter in das Zimmer gekommen waren. Doch als ich die Wohnungstür hinter ihnen zuschloss und mich umdrehte, war es wieder da, noch stärker und fordernder als zuvor.

Ich holte aus der Küche ein Messer und ging völlig apathisch zu meinem Computer. Es musste getan werden. Auf dem Bildschirm flimmerte höhnisch die Teufelsfratze, die fremdartigen Buchstaben tanzten, Flammen loderten wild.
Zitternd setzte ich mich vor meinen Computer, ein rascher Schnitt über mein linkes Handgelenk, Blut tropfte auf die Tastatur. Das rote Licht verwandelte sich in ein friedliches Blau, auf dem Bildschirm erschienen die Worte:
"Bitte Eingabe mit <Enter> bestätigen."

 

Hallo Joh,

das Teufelszeugs Computer so miteinander zu vermischen, dass man aus einem Computer den Teufel austreiben muss, darauf muss erst mal einer kommen. Wie schön, dass du es warst. Guter Plot! Die Umsetzung hat mir auch gefallen, sie hatte keine Längen und es hat Spass gemacht zu lesen. An der Stelle, wo sich dein Protagonist entscheidet Nägel mit Köpfen zu machen und einen Teufelsaustreiber zu besorgen, hab ich sogar ziemlich loslachen müssen.

Und ich danke dir, dass es hier im Satirebereich mal endlich wieder eine klassische Satire gibt, war schon ne Weile nicht mehr.
Klassisch deswegen, weil du wunderbar schulmeisterlich verfremdest und verzerrst und genau das hier abläuft, was ich immer als die Grundform der Satire bezeichne: es ist eine Geschichte, die für sich Bestand hat und verstanden werden kann und gleichzeitig steht hinter dieser Geschichte eine weitere oder besser gesagt die eigentliche Aussage des Autors. Klasse. :thumbsup:

Lieben Gruß
lakita

 

Wow - rotwerd` - Vielen lieben Dank für dieses riesengroße Lob, lakita!
Herzliche Morgengrüße

joh

 

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