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Das Geheimnis der singenden Bäume

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23.09.2004
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Das Geheimnis der singenden Bäume

Das Lied der Bäume

Der Regen prasselte unerbittlich auf die Frontscheibe ein. Kleine Wasserfälle rauschten das Glas hinunter. Seit gut anderthalb Stunden schon glitten die Scheibenwischer in einem monotonen Rhythmus von links nach rechts, nach links, nach rechts...
Wenn man durch die Fenster des Autos nach draußen sah, erblickte man durch die Schlieren der Wasserbäche hindurch eine Welt, die unter einem Bann zu stehen schien. Das Licht der Scheinwerfer ließ bizarr geformte Schatten und Formen auftauchen und wieder verschwinden.
Die Gegend war menschenleer und doch wirkte sie lebendig. Bäume, deren Äste wie Arme in den Himmel ragten, ließen das Unwetter mit stiller Würde über sich ergehen. Sie sahen alt aus, diese Bäume, und wie vielen Stürmen und Gefahren sie auch schon begegnet sein mochten, allem hatten sie getrotzt. Die Unwetter waren vorübergezogen, doch die Bäume waren immer noch da...

Bob Lancaster riss sich aus seinen Gedanken und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die vor ihm liegende Straße. Schon seit 30 Minuten wusste er nicht mehr, wo er war. Er war einfach losgefahren von zu Hause. Ziellos. Er hatte nur eins gewollt: Raus aus der bedrückenden Enge seiner Wohnung, für einen Nachmittag seinen Job vergessen, für eine kurze Zeit seinem langweiligen, ereignislosen Leben entfliehen.
Doch was erhoffte er sich davon? Bald würde alles wieder so sein wie immer: so sinnlos, ein Fluss von Tagen, die sich nicht voneinander unterscheiden ließen.
Hatte er je irgendetwas Außergewöhnliches erlebt? Wer würde sich überhaupt an ihn erinnern wenn er starb?
Bob seufzte und wandte sich wieder dem Rhythmus der Scheibenwischer zu: von links nach rechts, nach links, nach r...
„Verdammt!“, stieß er hervor. Sein Wagen war urplötzlich stehen geblieben. Jetzt drehten die Räder im aufgeweichten Boden der Straße durch. Es gab kein Vor und Zurück mehr. Fluchend kramte er eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach, zog sich die Kapuze seiner Jacke eng über den Kopf, öffnete die Tür und wagte sich in das Unwetter.
Es war, als hätten sich alle Himmelstore aufgetan, um ihre Wassermassen abzuladen. Der Regen peitschte ihm ins Gesicht wie viele kleine Nadelstiche. Es war ihm kaum möglich, die Augen auch nur einen Spaltbreit zu öffnen. Schon nach wenigen Sekunden kroch ihm die Feuchtigkeit des Regens in die Schuhe und unter die Jacke. Er steckte die Hände zum Schutz gegen die Kälte in die Jackentaschen und bückte sich, um den Schaden genauer zu betrachten. Durch die mit dem Ende des Tages heraufziehende Dunkelheit ließ sich jedoch nichts genaues ausmachen.
Resigniert wandte er sich um, um wieder in die warme Trockenheit seines Autos zurückzukehren. In seiner Jackentasche kramte er nach dem Schlüssel. Doch dort war er nicht. Hektisch suchte er seine Hosentaschen ab, doch auch dort war nichts zu finden. „Ich bin wirklich ein verdammter Idiot!“, schimpfte er, „jetzt habe ich doch glatt den Schlüssel drinnen liegen lassen!“
Er rüttelte ein paar Mal an der Tür, doch diese bewegte sich nicht um einen Zentimeter. Zornig verpasste er seinem Auto einen Tritt. „Verflucht, was mach’ ich jetzt? Wenn der Regen nicht bald aufhört, hole ich mir hier draußen noch den Tod.“
Er kniff die Augen zusammen, um nach einem Schutz gegen den Regen zu suchen, und machte, ein paar Meter entfernt, einen großen Baum aus. Mit jedem Schritt im Schlamm versinkend stapfte er darauf zu und ließ sich schließlich, mit dem Rücken gegen den Stamm gelehnt, nieder. Unter dem dichten Blätterdach des Baumes war es tatsächlich noch einigermaßen trocken.

Zwei Stunden später schlug er die Augen auf und erwartete, sich in seinem vertrauten Wohnzimmer wiederzufinden. Doch dem war nicht so.
Das Einzige, was er sah, war eine dichte graue Wand, die in einem Umkreis von etwa zwei Metern vor ihm aufragte. Der Regen hatte aufgehört. Zurückgeblieben war Nebel, der die Welt um ihn herum förmlich verschluckt hatte. Eine gefährliche, undurchsichtige Mauer, die eine unheimliche Drohung ausstrahlte.
Fröstelnd zog Bob seine Jacke enger. Er fühlte sich so einsam, so hilflos. In das Grau starrend versuchte er, Formen auszumachen. Der Nebel machte ihn vollkommen orientierungslos. Wo war sein Auto? Die Straße?
Es war hoffnungslos. Er lehnte seinen Kopf wieder gegen den Baumstamm und schloss verzweifelt die Augen. Da vernahm er plötzlich einen Ton aus der Ferne. Einen hellen, glasklaren Ton, schöner als alles, was er bisher gehört hatte. Er schwang durch den Nebel, auf ihn zu, direkt an sein Ohr und schien ihm etwas zu sagen, ihm etwas zu vermitteln. Der Ton wurde leiser, dafür erklang ein zweiter, schließlich ein dritter, ein vierter, jeder schöner als der vorherige und sie spielten miteinander und fügten sich zu einer Melodie. Sie flüsterte ihm zu, wurde schließlich lauter und bestimmter, schwoll an zu einem Befehl, der ihn zwang, aufzustehen, einen Schritt vor den anderen zu setzen. In den Nebel hinein. Auf einmal war er von einem Nichts umhüllt, jegliche Empfindung von Kälte oder Müdigkeit war verflogen. Nur noch er und die Melodie.
Da erblickte er eine dunkle Form direkt vor sich. Er trat näher und erkannte einen Brunnen. In der Form eines Baumes. Aus der Mitte des Brunnens entstieg der merkwürdige Nebel in einem nicht enden wollenden Strom.
Auf einmal tauchte ein anderer Schatten in dem Weiß auf. Bob, noch völlig in der Betrachtung des Brunnens versunken, bemerkte ihn erst, als der Schatten sich zu klaren Umrissen verfestigt hatte und schließlich eine Frau zeigte. Die Haut jung und zart wie ein Rosenblatt, doch die dunklen Augen zeugten von höherem Alter. Sie schien so perfekt, und doch so widersprüchlich.
„Willkommen“, sprach sie, „sei gegrüßt. Ich muss nicht fragen, wer du bist, denn ich weiß es bereits. Wahrscheinlich kenne ich dich besser als du selbst...“, ihr Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, „doch ich bin mir sicher, dass du etwas über mich zu erfahren wünschst.“
Bob, vor Verwunderung und Entzückung sprachlos, antwortete nicht, doch die Antwort ließ sich von seinem Gesicht ablesen. Die Frau sprach: „Eine genaue Antwort würde viel Zeit in Anspruch nehmen, mehr, als dir noch zu leben bemessen ist, daher will ich mich kurz fassen: Ich bin Geburt und Tod, zugleich Mörder und Heiler, Licht und Dunkelheit, Wahrheit und Lüge, Weisheit und Wissen... Kurz gesagt: Ich bin das Leben. Ich bin die Quelle aller Dinge und sende sie in die Welt hinaus. Doch ich bin nicht allein. Möchtest du meine Helfer kennen lernen?“
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. Bob ergriff sie wie in Trance, folgte ihr durch den Nebel.
Die Melodie, die die ganze Zeit nicht aufgehört hatte, wurde nun eindringlicher und klarer. „Wozu ist der ganze Nebel da?“, fragte er.
„Wenn man zu viel sieht, entstehen nur unvernünftige Wünsche und man verliert das Wesentliche aus den Augen“, war die merkwürdige Antwort der Frau.
Auf einmal lichtete sich der Nebel und Bob fühlte sich, als würde er durch ein Tor treten.
Er befand sich auf einer Wiese, erfüllt von einem silbrigen Licht. Rundherum standen Bäume. Große und kleine, dicke und dünne, mit großen und kleinen Blättern. Und sie lebten!
Jeder von ihnen hatte ein Gesicht, runzelig wie die Rinde. Aus ihren Mündern erklang die Melodie, laut und triumphierend, doch zugleich ruhig und melancholisch. Durch die Melodie sandten sie das Leben in die Welt hinaus. Weisheit, Eifersucht, Wahrheit und Lüge. Jeder von ihnen sang einen Ton und sie fügten sich zusammen, wiegten sich im Takt der Melodie.
Bob war überwältigt.
„Faszinierend, nicht?“, fragte die Frau, „aber der letzte Schliff, der letzte kleine Schliff zur Vollkommenheit hat immer gefehlt. Bis jetzt.“
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Auf einmal begann Bobs Haut sich zu kräuseln und sich schmerzhaft zusammenzuziehen. Die Knochen knirschten und knackten. Er wusste nicht, was mit ihm geschah. Panisch starrte er die Frau an. „Ich weiß, es ist kein angenehmes Gefühl. Aber es wird gleich vorbei sein. Vertrau mir!“ Wieder lächelte sie ihm zu.
Eine merkwürdige Taubheit breitete sich von seinen Füßen her in seinem ganzen Körper aus. Er fühlte sich schwer und unbeweglich. Seine Füße schienen auf einmal fest im Boden verankert. Nun begannen aus seinem Bauch und aus seinem Kopf kleine dünne Zweige zu sprießen, die zu dicken Ästen wurden. Seine Haare verwandelten sich zu großen grünen Blättern. Das Herz klopfte Bob bis zum Hals. Was geschah hier?
Mit einem lauten Knarzen versuchte er seinen Kopf zu bewegen, der jedoch steif und unbeweglich war. Also verdrehte er die Augen und schaute an sich herunter. Dieser Anblick ließ sein Herz für einen Augenblick stillstehen. Er war ein Baum! Ein richtiger Baum! Wie all die anderen hier auf der Wiese. Als er seinen Mund öffnete, um die Frau um Hilfe zu bitten, zu fragen, was mit ihm geschehen war, erklangen keine Worte, sondern nur ein glasklarer, aber wunderschöner Ton. Schlagartig wurde ihm mit großem Schrecken bewusst, was er nun war.
Wütend funkelte er die Frau an.
„Du fragst dich, warum ich dir das antun musste“, stellte diese fest, „die Antwort ist einfach! Du bist hierher gekommen und hast mein Reich betreten. Damit war dein Schicksal besiegelt. Ich kann dir nur raten: Nimm es an! Denn einen Ausweg gibt es nicht! Du wirst es schon noch zu schätzen lernen.“
Sie wandte sich ab und blickte verträumt auf die anderen Bäume, die immer noch ihr Lied sangen.
„Sie alle haben es gelernt, weißt du?“
Und ohne ein weiteres Wort verschwand sie im Nebel.

 

Hallo Sheila,

herzlich willkommen auf kg. de!

Bevor ich zum Gesamteindruck komme - erst mal Textzeugs...

Schon seit 30 min. wusste er nicht mehr, wo er war.
Ausschreiben, ist eine Geschichte und kein Protokoll =)

Er wollte nur eins: Raus aus der bedrückenden Enge seiner Wohnung, für einen Nachmittag seinen Job vergessen, für eine kurze Zeit seinem langweiligen, ereignislosen Leben entfliehen.
Würde ich ins Plusquamperfekt setzen: er hatte nur eins gewollt, die Handlung des Wollens ist ja vorbei.

Wer würde sich überhaupt an ihn erinnern, falls er starb?
hier stört mich das "falls" ein bisschen - ersetz es doch durch "wenn", ich meine, dass er stirbt, ist so gut wie sicher.

Es gab kein Vor und Zurück mehr.
"Kein" hat hier eine Artikelfunktion

Fluchend kramte er eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach, zog sich die Kapuze seiner Jacke enger über den Kopf, öffnete die Tür und wagte sich in das Unwetter.
Hat er die Kapuze im Auto aufgehabt?

„jetzt habe ich doch glatt den Schlüssel drinnen liegen lassen!“
Er rüttelte ein paar Mal an der Tür, doch diese bewegte sich nicht um einen Zentimeter.
HAt er den Zuschließknopf gedrückt?

Er kniff die Augen zusammen, um nach einem Schutz gegen den Regen zu suchen, und machte, ein paar Meter entfernt, einen großen Baum aus.
Eingeschobener um/zu-Satz

Mit jedem Schritt im Schlamm versinkend, stapfte er darauf zu und ließ sich schließlich, mit dem Rücken gegen den Stamm gelehnt, nieder
Ich glaube, das fett gedruckte Komma muss raus

Das Einzige, was er sah, war eine dichte graue Wand, die in einem Umkreis von ca. zwei Metern vor ihm aufragte.
ca durch etwa ersetzen - das liest sich hässlich.

Zurückgeblieben war Nebel, der die Welt um sich herum förmlich verschluckt hatte.
Der Nebel hat doch eigentlich nur das in sich verschluckt, oder das um ihn herum

Einen hellen, glasklaren Ton, schöner als alles, was er bisher erlebt hatte.
Alles und nichts werden klein geschrieben. Würde "erlebt" durch "gehört" ersetzen, weil er den Ton ja höchstens gehört und nicht erlebt hat

Bis in den Nebel hinein.
Würde ich das "bis" streichen - er ist ja schon im Nebel, der Nebel ist ja kein Ort, sondern ein lokales Phänomen ;)

Warum ist hier so viel Nebel?

Seine Füße schienen auf einmal fest mit dem Boden verankert
im Boden

Mit einem lauten Knarzen, versuchte er, seinen Kopf zu bewegen, der jedoch steif und unbeweglich war.
Komma weg nach Knarzen


So - jetzt zum Rest. Dein Text liest sich zwar sehr schön, bleibt mir in seiner Gesamtheit jedoch ebenso ein Rätsel wie die Frau. Wer ist sie, warum verwandelt sie Leute, die ihr Reich betreten, in Bäume, etc. pp.

Ich werde nicht recht schlau aus der Geschichte, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich sie gern gelesen habe...

gruß
gobbo
:bounce:

 
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Hallo Vita,

das war meine erste Geschichte und ich bin froh, dass sie dir ganz gut gefallen hat!!
vielen Dank für die Fehlerliste. Ich werde mich gleich mal daran machen, alles zu korrigieren ;)
Es war eigentlich Absicht, dass die Identität der Frau nicht so ganz klar wird.
So bleibt alles ein bisschen "rätselhafter"


Viele Grüße

Sheila

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo

So, habe jetzt (fast) alles korrigiert, nur für die abgeschlossene Autotür muss ich mir noch eine andere Lösung überlegen :lol:
An alle, die diese Geschichte lesen: Ich liebe Kritik!!!! Bitte schreibt mir, was auch immer ihr darüber denkt. :teach:

Sheila

 

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