Was ist neu

Das Nichts

Mitglied
Beitritt
26.08.2002
Beiträge
732
Zuletzt bearbeitet:

Das Nichts

Das Sein und das Nichts

(Live aus dem Nachrichtenstudio) Berichtigung einer Meldung der dpa des gestrigen Tages:
Die wissenschaftliche Leitung des mit fünfzig Milliarden Euro von Bund und EU finanzierten ATLAS-Projekts teilte mit, dass die Bundesregierung, im Speziellen das Forschungsministerium, den Abschlussbericht der letzten Projektablaufphase nicht korrekt interpretiert habe. Nicht richtig sei, so Froschmoser, die Pressesprecherin von ATLAS, dass das multidisziplinäre Team nach achtjähriger Arbeit ‚nichts entdeckt habe‘; vielmehr sei richtig, man habe - das Nichts entdeckt.

Vor acht Jahren war im Atlas-Gebirge der bei weitem schnellste Teilchenbeschleuniger des Planeten (und vermutlich der Galaxis) in Betrieb gegangen, und dies mit der erklärten Absicht, die Teilchen so lange zu teilen, bis man das wirklich kleinste endlich gefunden habe (das ist kein Witz, obwohl manche sagten, das kleinste Teilchen sei auf jeden Fall ein Politikergehirn).
Modernen Theorien gemäß sei man zum Beispiel Teilchen auf der Spur, welche die letzten Mysterien des Universums aufklären sollten, zum Beispiel die alle Menschen gleichermaßen quälende Frage: Warum gibt es Schwerkraft? Vor allem, wenn es nach unten geht?
„Sicherlich sind fünfzig Milliarden Euro eine Stange Geld, die wir da ausgeben“, hatte der Bundeskanzler gesagt, „und wie immer, ohne es zu haben. Aber ich falle so oft auf die Schnauze, dass ich endlich mal wissen will, warum.“

„Wir hatten der Wirklichkeit die Kleider vom Leib gerissen, in der mittlerweile veralteten Schweizer Anlage schließlich die Haut abgezogen – nun gingen wir daran, ihr in Mark und Bein zu dringen“, sagte Froschmoser in einer heute einberufenen Pressekonferenz. „Das Atom galt so lange als kleinstes Teilchen, bis wir es in Neutronen, Protonen und Elektronen geteilt hatten – und dann haben wir einfach weitergemacht, verstehen Sie? Wir gingen der Wirklichkeit auf den Grund, und jetzt, nach der definitiv letzten Teilung des fast Unteilbaren ist dann sozusagen nichts mehr übrig geblieben – und damit meine ich gar nichts.“
Froschmoser lächelte und blickte sich mehrfach nervös um. „Wir wissen jetzt: Nichts ist nichts, wiegt nichts und... sieht aus wie nichts.“

Nach Bekanntgabe der ATLAS-Forschungsergebnisse suchten wir Professor Renobai auf, den führenden philosophisch-theoretischen Physiker der Welt und baten ihn um eine Stellungnahme:
„Um es einfach zu sagen, geht es darum, dass, wenn man annimmt, dass irgendwo... oder vielmehr an einem Ort, obwohl Ort nicht unbedingt im physikalischen, Dings, ich meine, wenn wir die Dimensionen nehmen, angenommen, ähm..., also vom Theoretischen abgeschnitten, nein, nein, ich denke, wenn wir, - nehmen wir doch einfach die Tatsache, dass eine Sache nicht gleichzeitig an zwei... oder vielleicht sogar drei, äh, Dings, verstehen Sie? An zwei Dings, wegen der Zeit... wollen Sie vielleicht ein belegtes Brot? Mit Gurken? Ich hab noch welche... in dem... aber die Teilchen, ja, die Teilchen...“, er schwieg kurz, blickte auf die Uhr, „aber wenn Sie mich fragen...“, er beugte sich grinsend vor, „ich finde, dass sie viel zu billig sind!“

Wir zitieren nun aus der Abschlussbemerkung des ATLAS-Berichts:
‚Was ist die Essenz? Es gibt Dinge, die es nicht gibt. Oder im Grunde genommen gibt es sowieso nichts, weil es eben einfach nichts gibt. Wir zogen der Wirklichkeit den Schleier weg, und dahinter, siehe da: nichts.
Der Fehler ist im sprachlogischen Bereich lokalisiert, welcher im dualen Denken wurzelt, in der Dialektik. Was Menschen erfahren, ist, dass sie sterblich sind – und in der Annahme, dass es für alles auch das Gegenteil geben müsse, konstruieren sie die Unsterblichkeit. Und so geschieht es auch mit Entfernungen... denn Entfernungen sind endlich (wenn sie auch weit sein können... zum Beispiel bis nach Alpha Centauri ist es weiter als bis zum Bäcker ums Eck), ihr Gegenteil muss also zwangsläufig die Unendlichkeit sein (obgleich dieses Wort im Gegensatz zur Endlichkeit kein sinnlich erfahrbares Äquivalent in der Realität besitzt, sondern lediglich eine Annahme ist, um dem Perfektionismus der Dialektik zu genügen).
Man erfährt eine zeitliche Begrenzung – und erfindet ihr Gegenstück, die Ewigkeit. Man erlebt die Grenzen eigener Macht – und als Gegenstück davon dient das Wort Allmacht. Unsterblichkeit, Ewigkeit, Unendlichkeit, Allmächtigkeit (alles absolute, unerfahrbare Begriffe) gibt es ebenso wenig in echt wie es den Anfang der Zeit gibt (oder das Ende) – weil es Zeit nicht gibt. Es handelt sich um Sprachkonstrukte; genau deshalb ist die Philosophie mit dem heutigen Tag am Ende. Weil wir bewiesen haben, dass auch die Worte Energie und Materie, operative Begriffe, nur funktionalen Charakter innerhalb einer Annahme haben. Denn deshalb ist alles nichts – wir existieren und existieren nicht, und konsequent zu Ende gedacht gibt es noch nicht mal nichts.`

Wir lassen nun die Pressesprecherin, live zugeschaltet, noch einmal zu Wort kommen: „Frau Froschmoser, was wollen Sie uns damit sagen?“
„Guten Abend. Damit sagen wir nicht mehr und nicht weniger, als dass die Existenz nicht eine Realität ist, sondern eine Entscheidung. Und zwar eine Entscheidung, die in jedem Moment neu getroffen wird, - eine Willkür des Nichts, etwas zu sein, und aus diesem Grund kann es jederzeit, und ich betone: jederzeit

 

Moin FlicFlac,

Deine Geschichte liest sich ganz unterhaltsam.
Genau betrachtet ist es haarsträubender physikalischer Blödsinn, der scheinbar eine Satire sein will, aber sich eigentlich nur über Politiker lustig macht. Auch der philosophische vorletzte Abschnitt kann nicht ernst genommen werden, weil er in sich nicht logisch ist und seiner Aussage dadurch den Boden unter den Füßen weg zieht. Den sogenannten Fachleuten wird Unsinn in den Mund gelegt, und dann ist es klar, dass das lächerlich klingt. Es ist keine Überzeichnung, es ist Nonsens. Das Ende ist ein netter Schlussgag und vermutlich die einzige Möglichkeit, die Sache zu beenden.

Alles in allem also ganz witzig, aber Ansätze zu mehr Tiefgang bleiben in schadenfrohem Humor stecken. Macht aber nichts, ich habe den Text gerne gelesen. Nur wenn Tiefgang Dein Anspruch war, hast Du ihn meines Erachtens verfehlt.

Fazit: sprachlich ganz gut, inhaltlich unterhaltsam.

Uwe
:cool:

 

Hallo Uwe,

natürlich gehts nicht um Physik *grinz*; allerdings wollte ich schon eine Aussage machen zum Thema Sprache und Wirklichkeit: NICHTS hat nur eine Bedeutung, wenn es sich auf ETWAS bezieht, und hat keinerlei Existenz-an-sich. Aus diesem Grund hoffte ich, mehr als Nonsens produziert zu haben.

Was mich aber wirklich interessiert: Wo ist der Bruch mit der Logik IN SICH?
Woran sind die Brückenenden befestigt, wenn es kein Wasser gibt?

Viele Grüße,
Flic

 

Woran sind die Brückenenden befestigt, wenn es kein Wasser gibt?
An den Flussufern, wo denn sonst :confused:
Natürlich kann man darüber streiten, ob das "Nichts" nicht doch existiert. Täte es das nicht, wäre da ja etwas anderes an seiner Stelle ;)
Ich bin kein Philosoph, hatte aber auch nicht den Eindruck, hier eine philosophische Abhandlung zu lesen.
Sätze wie "im Grunde genommen gibt es sowieso nichts, weil es eben einfach nichts gibt" und "konsequent zu Ende gedacht gibt es noch nicht mal nichts" sind für mich nur Wortspiele.
Auch dies:
NICHTS hat nur eine Bedeutung, wenn es sich auf ETWAS bezieht
glaube ich widerlegen zu können:
"Was siehst Du?"
"Ich sehe nichts."
Auf welches ETWAS bezieht sich dieses NICHTS?
Auf keines, und trotzdem kann der Satz eine große Bedeutung haben.

Ich denke, Du meinst vielmehr das FEHLEN von Dingen. Ihre Abwesenheit. Natürlich macht es etwas aus, wenn etwas nicht da ist, wo man es erwartet. Aber selbst wenn die Dinge nicht abwesend sind: Dann fehlt NICHTS, und es bezieht sich auf nichts.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Die eine ist, diese Wortspiele so zu nehmen und sich damit das Gehirn zu verknoten. Darin sehe ich nicht allzu viel Sinn. Die zweite ist, eine richtige philosophische Betrachtung dazu durchzuführen. Und da kann ich nicht mitreden, weil ich mich mit Erkenntnistheorie nicht auskenne.

 

Hallo FlicFlac,

die Geschichte hat mir gut gefallen,
sie ist auf jeden Fall unterhaltsam. Deinem philosophischen Standpunkt, dass "Nichts" auch nur eine geistige Abstraktion ist, die vom Nicht-"Nichts" (also von Sein) ausgeht, bin ich auch geneigt zuzustimmen.

@ Uwe
Wenn du sagts, dass du nichts siehst, dann bezieht sich diese Aussage auch auf etwas, nämlich auf das Sehen. In der Tat kannst du nur sagen, dass du nichts wahrnimmst, aber nicht, das es deshalb soetwas wie "das Nichts" o.ä. gibt. Das "Nichts" kann nur vom Sein aus erfasst werden, denn ein "Nichts", dass sich selbst erfasst, ist in sich ein Widerspruch. Somit ist das Nichts immer vom Sein aus (genauer vom Wahrnehmen) definiert. Das Nichts ist immer nur eine gedankliche Abstraktion, ein Trugbild. Oder anders ausgedrückt: Ein "Nichts" kann nicht existieren, denn ein "Nichts" das existiert, ist kein "Nichts"!

Na ja, womöglich hast du aber auch damit Recht, dass es sich nur um Wortspiele handelt...
z.B. à la Wittgenstein "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt"..

Wie auch immer, viele Grüße
Timo

 

Ich habe bei dieser Geschichte gelacht.
Es ist ungefähr so, wie in einem der Werner-Comics:
"Was war das?"
"Wieso, war da was?"
"Da war was!"
"Wenn da was wäre, dann wäre da ja was, also war da nix!"

oder so ähnlich...

Gruß
Murxi

 

Ein "Nichts" kann nicht existieren, denn ein "Nichts" das existiert, ist kein "Nichts"!

Warum so kompliziert? Was das Wort "Nichts" umganssprachlich zu bedeuten hat, dürfte jeder Wissen.

Ansonsten kann man sich ganz einfach darauf einigen, dass das "Nichts" nicht definiert ist, mehr nicht. Das "Nichts" ist demnach tatsächlich nicht Nichts.

Ach verdammt... ! ;)

 

"Was siehst Du?"
"Ich sehe nichts."
Auf welches ETWAS bezieht sich dieses NICHTS?


Erkenntnistheoretisch geantwortet, muss es heißen:

"Was siehst Du?"
"Ich sehe nicht etwas."
Auf welches ETWAS bezieht sich dieses NICHTS?


Heißt, dass es einen Bezug auf etwas gibt, das nicht vorhanden ist - . Also: Was auch immer ich mir vorstellen kann, ist nicht existent. Was aber ist mit dem, das ich mir nicht vorstellen kann?

Du siehst, der Kreis schließt sich.
Übrigens liegst du sehr richtig: Das ist keine Philosophie, sondern eigentlich nichts. Die Wortspiele sind Wortspiele, und sonst nichts.

Gelesen am 28.2.04 im Münchner Schlachthof.
http://www.satirezeitung.de/include...52&PHPKITSID=ace3da8b999c62a76ff616e58ab1d8ec

Vuiele Grüße!

 

:cool:@FlicFlac, hallo SciFi-Forum,
wollte eine Lehrkraft das Stundenthema ins Klassenbuch eintragen, dann trüge sie nichts ein. Aber dies nur als Versuch einer humorigen Fortsetzung der Story, die ja so zwischen Satire, Polit-Thriller ideologisch zweckvollen Desinformations-Text, mir zu oszillieren scheint. Als Inhaltsaussage käme mir hier das Verhalten einer fiktiven staatlichen Forschungs-Administration in den Sinn, die flexibel auf den Druck totalitärer Machtgruppen reagiert, indem sie für diese riesige Geldsummen verschiebt und das Volk verdummt.

<< Guten Abend. Damit sagen wir nicht mehr und nicht weniger, als dass die Existenz nicht eine Realität ist, sondern eine Entscheidung. Und zwar eine Entscheidung, die in jedem Moment neu getroffen wird, - eine Willkür des Nichts, etwas zu sein, und aus diesem Grund kann es jederzeit, und ich betone: jederzeit, zu einem plötzlichen Aufhören von Exis“ >>

Solche Aussagen halten natürlich keinerlei Überprüfung auf Stimmigkeit stand. Wer würde die "Entscheidung" treffen? Das menschliche Individuum! Dies wäre eine Überschätzung des Menschen, der sich selber ja nicht konstruieren kann und somit über die Bedingungen einer Negierung seiner eigenen Existenz nur ungenügend wüsste, d.h. selbst der Suizidale könnte nicht vorhersagen, dass er wirklich im Nichts, der Nicht- (mehr) Existenz verschwinden würde. Das Nichts bezieht sich auf die menschlichen Sinneswahrnehmungen, somit kann auch nicht von einer "Willkür des Nichts" gesprochen werden, weil hier eine Vielzahl nicht bemerkbarer Einwirkungen und Steuerungsvorgänge vorhanden sein könnte.

So bietet der Text reichlich Diskussionsstoff und gefällt mir auch gerade dadurch eigentlich ganz gut.

MfG Gerhard Kemme :teach:

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom