Das Phänomen der Phantomfettleibigkeit
Seit Jahr und Tag leide ich nunmehr unter der inzwischen als Komplex manifestierten Wahn-vorstellung, mein Bauch sei eindeutig und für jeden Betrachter auf den ersten Blick sichtbar zu deutlich – sprich: zu fett.
Freunde und Bekannte, die mich vom Gegenteil überzeugen wollen und mir vorrechnen, daß ich laut Idealgewichtstabelle oder auch dem Body-Mass-Index, schon fast in die Kategorie magersüchtig einzustufen sei, werden von mir sofort als charmante Schmeichler oder ah-nungslose Trottel abgestempelt. Was wissen diese Leute schon von meinen Problemen mit den Problemzonen.
Immerhin kann ich froh sein, daß keiner das ganze Ausmaß meiner Körperfülle erkennt, schließlich arbeite ich hart und mit allen Mitteln, um meine vermeintlich unansehnliche Wam-pe vor fremden Augen zu verbergen. Der derzeitigen Mode sei Dank. Steht sie doch im Zei-chen des Schlabberlooks, unter dem sich geschickt das ein oder andere überflüssige Pfund kaschieren läßt.
Problematisch wird das Ganze erst, wenn ich mich meiner XXXL-T-Shirts und dreiviertellän-ge Hosen in Gesellschaft anderer entledigen muß. Am Badesee beispielsweise.
Darum gilt für mich die Faustregel: Öffentliche Schwimmbäder, sowie Duschen und Saunen sind, soweit es irgend geht, weiträumig zu umgehen.
Sollte doch einmal eine dieser Lokalitäten nackter Tatsachen aufgesucht werden müssen, zum Beispiel nach spektakulären Ergüssen zwanghafter Kalorienverbrennungspsychosen – dem Sport, oder nach einem Sommertag mit Rekordhitze, bleibt nur noch eine Möglichkeit: Luft anhalten bis zum Umfallen!
In dieser Disziplin steigerte ich mich in den letzten Jahren, nach einiger Übung, zu wahren Meisterleistungen. An guten Tagen vermag ich es, die Luft bis zu 10 Minuten anzuhalten und dabei gekonnt den Bauch einzuziehen. Dies allein wäre noch nichts besonderes, das schafft auch ein durchschnittlich trainierter Perlentaucher in der Südsee. Das eigentlich Be-merkenswerte ist die Tatsache, währenddessen ganz normal und natürlich Konversation zu betreiben. Sogar ein zugegebenermaßen etwas gezwungenes Lächeln kann ich mir dabei abringen. Das ist die perfekte Tarnung! Zumindest solange man nicht blau anläuft. Aber das läßt sich durch stetes Training in den Griff bekommen.
Lästiger, aber unvermeidbar, ist die Prozedur des Luftholens, die sich spätestens alle zehn Minuten kurz vor´m Kollabieren wiederholt. Hierzu muß ich mich an ein stilles Örtchen bege-ben (Umkleidekabinen, mannshohe Büsche oder Toiletten), um meine nach Luftbläschen winselnden Lungenflügel und sauerstofflosen Gehirnlappen mit Frischluft zu versorgen.
Als nächster Arbeitsgang steht die Vorbereitung auf die darauffolgende Etappe der Sauer-stoffschuld an. Hierzu pumpe ich, wie ein Maikäfer vor dem Start, immer wieder meinen Bauch auf und hyperventiliere dabei kräftig, um die Sauerstoffversorgung der nächsten Mi-nuten auch bei Atemstillstand zu gewährleisten. Nur auf diese Art läßt sich der klassische Waschbrettbauch, wie er uns in der Werbung täglich zelebriert wird – und gib uns täglich unser Brett! – perfekt simulieren.
Als Vorwand für das ständige Aufsuchen abgeschiedener Orte muß meine angebliche Bla-senschwäche erhalten, die ich mir offiziell durch eine verschleppte Erkältung eingefangen habe. Diese Ausrede hat neben der Rechtfertigung für mein sonderbares Verhalten den po-sitiven Nebeneffekt, daß ich das Bedauern meiner Mitmenschen erhasche. Ob ich mir be-wußt bin, daß man mich insgeheim hinter meinem Rücken belächelt, über mein Schicksal witzelt? Klar! Doch ich sage mir: Als Blasenschwächling verspottet ist allemal besser als als Dickbauch entlarvt.
Und es soll mir keiner erzählen, daß nur Frauen Problemzonen hätten!