- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 19
Deiner Liebe will ich gedenken
Im Nachhinein betrachtet, fing alles ganz harmlos an. Manche Lebenslügen werden irgendwann weißgewaschen.
Wir hatten in deinem Gasthaus ein Leben kreiert. Wir hatten gelebt, als ob wir nur ein- und nicht ausschlafen würden. Und einzuschlafen, dachte ich, hatte niemals etwas dargestellt, wonach wir uns sehnten. Wir hatten etwas erschaffen, das nur uns gehörte, dachte ich. Die wenigen, nun längst fernbleibenden Stammgäste fühlten sich wohl, du hattest ihnen ein Zimmer bereitet, ich kochte und stellte Flieder, Rosen, Astern und Tannenzweige auf Tische. Manchmal waren gar keine Gäste da und wir saßen, dachte ich, glücklich und uns gehörend auf der Ofenbank und unterhielten uns. Wir hatten immer die besten und längsten Gespräche führen können. Du hattest immer gern viel geredet und ich mochte es sehr, dir einfach zuzuhören, dich zu fragen, ob du noch ein wenig Tee wolltest.
Manche Lebenslügen werden irgendwann weißgewaschen, bleiben dann als eine Episode in Erinnerung, als eine, von der meist nicht mehr gesprochen wird, dachte ich. Die Episode "Ich bin glücklich mit dir" würde niemals in Vergessenheit geraten. Ich hatte gedacht, unsere gemeinsame Lebenslüge sei stark genug gewesen, unser Ende zu überdauern, unser eigenes, nicht das unsrige. Ich dachte manchmal, dass dieses Gasthaus mich irgendwann umbringen wird, seine tiefe Ruhe, seine Einsamkeit, überall diese alten Emaillegeschirre und Bestecke. Du hattest in der Stadt bei einer Verwandten angerufen und gefragt ob sie jemanden her schicken könne, der mit dir spricht, dir beisteht, dich unterstützt. Ich dachte damals, du wärest eine Chance, eine Gelegenheit, raus zu kommen aus meinem verpfuschten Leben. Wenn auch nur kurz, dachte ich. Ich dachte, ich würde hierher kommen, für ein paar Tage, dachte, ich würde gehen können danach. Aber ich musste bleiben, nein, wollte bleiben, dachte ich, du wolltest mich bleiben wollen sehen. Also blieb ich, dachte ich.
"Ich liebe dieses Haus," du warst ganz leise "es bringt mich um. Ich will nicht, dass du gehst. Wenn du gehst, schreien die toten Gäste in den Mauern die ganze Nacht, das Geschirr wird bei Windstille klappern, die Fensterläden werden zuschlagen. Es wird mich umbringen, ich weiß es. Erst werde ich kämpfen und dann tot sein. Nur weil ich diesen Ort liebe, wird er mich umbringen, weil ich nicht gehen kann." Deine Worte wollten weh tun. Wie betäubt stand ich da, wusste keinen Laut sinnvoll zu formen. Ich dachte, du würdest dir vielleicht irgendwann wünschen, auch mir schon früher Macht gegeben zu haben. Vielleicht würde, dachte ich, dieser Wunsch bald da und dann gar nicht mehr wichtig sein. Du hast mich an der Hand an die Ofenbank gezogen. Wir sprachen eine Weile nichts.
Ich dachte, du bist schon immer ein Mann gewesen, der aus einem einzigen klaren Gedanken etwas Kompliziertes machen kann. Deswegen hatte ich dich auch vom ersten Moment an geliebt. Als ich die Tür deines Hauses hinter mir schloss, liebte ich dich schon, davon war ich ausgegangen, das war meine Zuversicht, denn ich spürte, dass ich ruhig war, mit dem Schlag deiner Tür hinter mir, war ich ruhig, dachte ich. Ich blickte mich liebend im Raum um, dicke Holzbalken teilten die gekalkten Wände, weiße Holzschemel standen um die Tische, auf denen rot und weiß karierte Tischdecken lagen, darauf verstaubte Bierdeckel, heruntergebrannte Kerzen, wie zu Hause, wahrscheinlich fühlte ich mich deshalb gleich wohl, dachte ich. Und weil ich dich liebte, noch ehe ich dich sah.
Du hattest schon eine Zeitlang zum Fenster hinausgestarrt "Du musst doch nicht gehen, du hast hier alles, du hast mich, du hast den Wald, du hast die Ruhe, du hast dein Leben. Du hast alles, was du haben wolltest. Du musst nicht gehen. Du hast alles hier."
Ich dachte, dass wenn du es nicht ausgesprochen hättest, wäre ich nie darauf gekommen, dachte ich, du hattest mir meinen Grund gegeben, während ich mich umblickte, kam ich darauf, während ich mich erinnerte wie hier an der Ofenbank mit deiner Hand in meinen Haaren, deinen Fingerspitzen auf meinem Gesicht, deinen Wimpern an meinem Hals, deinem Begehren in mir alles anfing, was sich nun, dachte ich, als meine Lebenslüge herausstellte. Ich liebte nicht dich. Ich liebte die Vorstellung, dich zu lieben. Hier.
"Ich hasse hier alles, ich hasse dich, ich hasse den Wald, ich hasse die Ruhe, ich hasse mein Leben. Ich hasse alles, was ich haben wollte."
Ich dachte an die Zeilen aus unserem Lieblingslied und drückte ab. Lächelte dann, weil ich dich lächelnd umfallen sah und wusste, dass du die gleichen Zeilen im Kopf gehabt hattest.
If I have to go
I will be thinking of your love
Singend schlage die Tür hinter mir zu.