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Der alte Mann im Park

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24.09.2004
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Der alte Mann im Park

Es war ein kleiner Park am Rande der Stadt. Die Sonne schien und würde in ein paar Stunden untergeganen sein; es regte sich kaum ein Lüftchen. Der Park war nicht besonders gut besucht, denn es war mitten in der Woche, und die Jogger hatten meistens nur am Wochenende Zeit. Ein alter Herr saß auf einer Bank nahe des Sees und schaute ein paar Kindern beim Taubenfüttern zu. Er wartete auf jemanden und sah hin und wieder auf die Uhr. Nicht, dass er es eilig gehabt hätte, aber das Treffen war eigentlich schon um vier vereinbart gewesen, und es war schon kurz nach fünf.
Dann, um halb sechs, erblickte er endlich den Jugendlichen, der sich hastigen Schrittes näherte, ein verlegenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Er hob die Hand zum Gruß, doch der Alte winkte ab.
"Mach dir nichts daraus, Junge. Ich will keine Entschuldigung hören. Leute in meinem Alter haben genug Zeit, da kommt es auf ein paar Minuten nicht an."
Der Jugendliche wirkte erleichtert, zum einen, weil er schon dachte, der Alte würde längst nicht mehr hier sitzen, zum anderen, weil er eine weitaus unfreundlichere Begrüßung erwartet hatte.
"Es macht ihnen also nichts aus? Wenn man es genau nimmt, hab ich mich andertalb Stunden verspätet."
Sein Gegenüber nickte, nach wie vor verständnisvoll. "Ich sagte doch, ich will keine Entschuldigungen hören. Eigentlich interessiert mich nur eins, und das ist auch der Grund, warum ich noch weitere neunzig Minuten gewartet hätte: hast du das Licht gesehen?"
Der Jugendliche wirkte leicht erschrocken, hatte er doch nicht erwartet, dass der Alte so schnell darauf zu sprechen kommen würde. "Sie wollen also direkt meinen Bericht hören? Nun gut. Ich fange am besten ganz von vorne an."
"Mir ist alles recht, solange ich erfahre, was ich wissen will."
Der Jungendliche setzte einen verständnisvollen Blick auf. "Ich kann ihre Lage nachvollziehen, aber verstehen sie mich bitte nicht falsch", er macht eine Pause, "ich würde, nun wie soll ich sagen, ich würde gerne erst einmal das Geschäftliche klären."
Der Alte lachte. "Und ich dachte schon jetzt kommt etwas wie, es war mir zu riskant, oder, tut mir leid, aber als ich kurz davor war, wusste ich nicht mehr, ob ich das richtige tue."
"Nein, das ist es nicht, dann wäre ich gar nicht erst zu unserem Treffen erschienen."
Der Junge wirkte jetzt etwas nervös, aber der Alte schien es nicht zu bemerken.
"Du willst also erstmal das Geld, als Sicherheit sozusagen. Das ist absolut kein Problem. Ich würde ähnlich vorgehen. Ich habe den ersten Zug gemacht, du machst den zweiten. Ist doch klar." Er griff sich in die Jackentasche und holte einen Umschalg heraus. "Tausend Euro, wie abgemacht. Du brauchst es nicht nachzählen, ich würde dich nicht übers Ohr hauen."
Der Junge nahm den Umschalg, warf einen flüchtigen Blick hinein und nickte. "Das sieht gut aus, vielen Dank!"
"Ich hab' zu danken", sagte der Alte, "wenn das, was du mir erzählen wirst, das ist, wonach ich suche, bin ich der Dankbare." Er grinste ihn an und zeigte seine bräunlichen Zähne. Ein Gebiss, dachte der Junge. "Nun, ich höre."
"Ich saß also zu Hause", begann er, "und holte mir ein Glas Wasser, um die Tabletten besser runterschlucken zu können. Sie meinten ja, dass Wasser den Effekt nicht beeinflussen würde."
"Nein, Wasser ist unbedenklich, nur alkoholische Getränke würden die Wirkung verändern, beinahe neutralisieren."
"Also gut", fuhr er fort, "ich schluckte sie also mit Wasser herunter, erst die größere und fünf Minuten später, die kleinere. Der Geschmack war tatsächlich ziemlich unerträglich, aber Übelkeit löste er nicht aus. Sie schmeckten wie etwas Verfaultes, daran musste ich zumindest direkt denken. Aber ich spülte dann noch einmal nach. Dann wartete ich ab. Zuerst beschleunigte sich mein Herzschlag, dann wurde ich nervös und bekam kalte Schweißausbrüche. Ich lag währenddessen auf meinem Bett und hatte mir ein T-Shirt zusammengerollt, in das ich hineinbiss, um die Angst zu unterdrücken."
"Angst war also schon dabei?", fragte der Alte.
"Ja, die Angstattacken waren wirklich unangenehm. Nicht großartig verwunderlich, denn schließlich wusste ich, dass mein Herz gleich aufhören würde zu schlagen."
"Da hast du natürlich recht."
"Zum Glück dauerte es nicht lange und tat auch nicht weh, denn bovor es wirklich zu schlagen aufhörte, schlief ich ein. Eigentlich waren es die Herzrhythmusstörungen, die für die Angst verantwortlich waren. Ich bin mir sicher, dass wenn man ein klein wenig abgebrühter ist, so wie sie es ja wahrscheinlich sein werden, hält sich die Angst in Grenzen."
"Nun ja, ich vermute mal, dass ich gelassener an die Sache rangehen werde als du. Es sei denn, du sagst mir jetzt nicht das, was ich hören möchte." Der Alte drängte schon wieder.
"Ja, dazu komme ich jetzt. Mein Zeitgefühl war natürlich während des Schlafens außer Kraft gesetzt worden, und als mein Herz dann schließlich aufhörte zu schlagen, glaube ich nicht, dass man überhaupt noch von Zeitgefühl reden kann. Aber ich hatte vorher meine Stoppuhr gedrückt."
"Ah, eine gute Idee, ich hätte daran denken sollen."
"Die Schlafphase schätze ich auf etwa fünf Minuten, weil sich Bilder in mein Sichtfeld schoben, die für ein kurzes Schläfchen recht normal waren. Nun ja, sie wissen schon, Erinnerungen aus den gerade vergangen Stunden. Sie waren sogar auch kurz dabei. Wie auch immer. Auf jeden Fall hörten diese Träume schnell auf und wurden von einer alles einnehmenden Schwärze abgelöst. Es war nicht die Schwärze, die man hat, wenn man Schläft und nicht träumt, sondern etwas ganz anderes, es ist, wie ich leider sagen muss, nicht beschreibbar. Es schien endlos und endlich zugleich, ein Zustand in der Schwebe, so wie wenn man taucht und für einen Moment ganz alleine ist."
"Du meinst, das war der Punkt an dem du starbst."
"Es wäre möglich, mit Träumen hatte das nichts zu tun. Das war etwas völlig Neues."
"Mit allumfassender Schwärze, die nicht die Schwärze ist, die man zu kennen glaubt, beginnt es also. Das ist schon nicht schlecht. Wie ging es weiter?"
"Dann wurde mein Blickfeld wieder erhellt"
Beide schwiegen einen Moment, der Junge, weil es ihm sichtlich Mühe bereitete, darüber zu berichten, der Alte, weil er hoffte, jetzt endlich das zu hören, was er hören wollte.
"Du sahst es also tatsächlich..."
"Ja! Es war eindeutig das, was sie mir vorher gesagt hatten. Ein ganz grelles Licht, scheinbar aus weiter Ferne kommend, so als gehöre es gar nicht hier her. Es hatte nichts mehr mit mir zu tun, ich hatte das Gefühl, als sähe ich es nicht mehr vor meinem inneren Auge, sondern irgendwo anders, an einem von mir weit entfernten Ort. Überall, aber nicht mehr in meinem Kopf."
"Sehr interessant!"
"Das Licht kam immer näher und wurde so grell, dass man es eigentlich nicht mehr Licht nennen konnte, ja und dann, wachte ich plötzlich wieder auf."
"Hmm..." machte der Alte und schien ein wenig enttäuscht, hatte er doch gehofft, die Erfahrungen würden noch ein wenig weiter reichen. Aber ganz schlecht war es nicht. Das, was der Junge sagte, deckte sich ziemlich genau mit dem, was er auch in Büchern gelesen hatte. In beinahe allen Nahtoderfahrungen wurde von dem weißen Licht gesprochen, und das mit dem körperlosen Gefühl hatte er auch schon einmal gehört.
"Als mein Herz wieder anfing zu schlagen, riss es mich von diesem Ort weg und schleuderte mich wieder in diese Welt. Es hört sich vielleicht ein wenig theatralisch an, aber ich hatte tatsächlich das Gefühl herumgeschleudert zu werden. Dann erwachte ich, hustend, keuchend und schwer atmend. Mein Herz pochte langsam und schwerfällig. Bei jedem Schlag verspürte ich Schmerzen, die meinen ganzen Brustkorb ausfüllten und bis hin zu meinen Händen reichten. Mein erster Blick fiel auf die Stoppuhr, die neben mir lag, und sie zeigte neun Minuten an. Wenn man die Schlafphase am Anfang nun mit groben fünf Minuten berechnet, natürlich können es auch sechs oder sieben gewesen sein, war ich auf jeden Fall länger als zwei Minuten ohne Herzschlag. Ja, zwei, vielleicht drei Minuten war ich klinisch tot."
Der Alte nickte und sah ihn nachdenklich an. "Und da war nichts mehr, das vielleicht noch eine Erwähnung wert wäre? Ist dir sonst nichts aufgefallen?"
"Nein, das Gefühl, als wäre ich an einem anderen, nicht zu mir gehörenden Ort, das Licht, das immer näher kam, und die Erschöpfung meines Herzens kurz danach, ist das einzige, an das ich mich erinnere. Als ich wieder zu mir gekommen war, lag ich vielleicht noch eine halbe Stunde regungslos, bis die Schmerzen langsam wieder verschwanden und mein Herz wieder zu einem normalen Rhythmus gefunden hatte. Ende des Berichts."
"Dann muss das reichen", sagte der Alte, "ich danke dir mein Junge. Es ist zwar genau das, was ich erwartet hatte, aber ich hatte gehofft, dass bei deiner Erfahrung vielleicht neue Erkenntnisse dazukommen würden. Zumindest hat es mir eine Bestätigung gegeben, dass die Geschichten in den Büchern nicht erfunden sind. Das muss reichen. Den Rest muss ich wohl alleine herausfinden."
Der Junge nickte. Er hatte seinen Teil geleistet, jetzt war der Alte an der Reihe. Er konnte es natürlich genauso gut lassen oder das ganze noch einmal mit einer anderen Person probieren, aber sein Blick verriet ihm, dass es nicht so weit kommen würde.
"Also gut", sagte er und hielt dem Jungen seine Hand hin, der sie nahm und schüttelte, "so wie es aussieht, werde auch ich bald das Experiment durchführen, mit dem Unterschied, dass ich die zweite Tablette nicht schlucken werde. Ich weiß noch nicht wann, vielleicht morgen, vielleicht aber auch erst in einer Woche. Ich danke dir, mein Freund, du hast mir ein ganzes Stück meiner Zweifel genommen. Meine Angst... nun ja, sie ist natürlich noch da, aber ich spüre, dass auch sie ein bisschen an Größe verloren hat."
Mit diesen Worten stand er auf und ging davon. Der Junge schaute ihm nach und dachte an den Umschlag in seiner Tasche. Manchmal passierten merkwürdige Dinge. Ob es sich lohnte weiter darüber nachzudenken? Was mochte in dem Alten vorgehen, wenn er über den Tod nachdachte. Ob es richtig war, aus eigener Hand das Ende zu wählen?
Kopfschüttelnd stand auch er auf und warf die beiden Tabletten, die er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte in den See. Die Tauben waren nicht mehr zu sehen, die Kinder gegangen, und allmählich wurde es dunkel.

22.9.2003

 

Hallo Maschienenfrosch!

Naja, ob das alltäglich ist? :shy:

Insgesamt ist Deine Geschichte meiner Meinung recht ordentlich, wenn auch nicht überragend. Der Anfang hat mir gut gefallen. Die Mitte mit den Dialogen wirkt auf mich gestellt - Worwahl etc. Ich kann keine konkreten Beispiele geben, es wirkt insgesamt unrealisitsch und auch hölzern auf mich. Die Schlusspointe ist irgendwo gut.
Allerdings, wie auch der alte schon sagt: Nahtoderfahrungen werde fast immer mit genau diesem Klischee beschrieben. Insofern habe ich ein bisschen was vermisst ...
Die Idee mit den Pillen ... wenn das so einfach wäre. ;) Das ist auch der Punkt, wo ich mich nach der Alltäglichkeit frage.

Ich kann ihre Lage gut verstehen, aber verstehen sie mich bitte nicht falsch",
verstehen Wiederholung
nahe-tot Erfahrungen
Nahtoderfahrungen

Insgesamt handwerklich eigentlich okey, die Dialoge könnten lebendiger und realistischer sein.

schöne Grüße
Anne

 

Tach Maschinenfrosch,

mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen, auch wenn du das alte Klischee vom weißen Licht am Ende des Tunnels gebracht hast.
( aus medizinischer Sicht ein Beruhigungsmittel, direkt vom Gehirn an den Verstand, wenn es auf das Ende zugeht )

Die Schlusspointe hat mich amüsiert.

Viele Grüße
Thor
:silly:

 

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