Was ist neu

Der Angler

Mitglied
Beitritt
25.08.2004
Beiträge
305
Zuletzt bearbeitet:

Der Angler

Jacob stieg umständlich von seinem Fahrrad und stellte es an einen Baum.
Das Rad war ziemlich voll beladen, also glich sein Vorhaben einem kleinen Balanceakt, bis es sicher stand und nicht wieder umkippte.
Eimer, Kescher, Spaten, zwei Ruten, Taschenkoffer, Klappsitz, Provianttasche. Alles, was Jacob für den heutigen Angeltag benötigte.
„Kruzitürken!“, schimpfte er lauthals über seine eigene Ungeschicklichkeit.
Er schnaufte, was durchaus berechtigt war, wenn man sein Alter und vor allem sein Gewicht bedachte.
Seine faltigen Hände griffen nach dem Spaten und rammten ihn in den weichen Wiesenboden. Er begann daran zu wackeln und es dauerte gar nicht lange, bis die ersten Würmer durch die Bewegung des Bodens an die Oberfläche kamen. Der alte Mann sammelte sie ein und verfrachtete sie in ein Einwegglas, das mit ein bisschen frischer Erde füllt war.
Die ganze Prozedur wiederholte er an mehreren Stellen, bis er genug Würmer zusammen hatte.
„Schöne fette Würmer für viele kapitale Fische“, freute sich Jacob und rieb seine Hände an der speckigen Hose ab.
Er verstaute das Glas und den Spaten, nahm sein Fahrrad und stieg umständlich auf.
Zwei bis drei Kilometer radelte er über Feld- und Bauernwege, bis er den toten Arm erreichte. Der tote Arm war ein Abzweig des Flusses, der sich einige Kilometer durch die Landschaft schlängelte und dann irgendwo aufhörte. Hier gab es die größten Fische und nur wenig Strömung.
Der alte Jacob hatte seinen bevorzugten Angelplatz erreicht, ein baumloses Uferstück mit niedrigem Gras, das bis ins Wasser reichte.
Er parkte sein Rad, nahm Klappsitz, Provianttasche, Taschenkoffer und die beiden Angelruten herunter. Nachdem er seinen Platz eingerichtet hatte, nahm er ein Zigarrenetui aus seiner grünen Weste und zündete sich eine Zigarre an. Er blies den Rauch aus und beobachtete die Wasseroberfläche und den Uferbereich. So versank er in den Geräuschen der Natur. Das leise Plätschern des Wassers, wenn irgendwo Blasen aufstiegen. Oder das Zirpen der Grillen im niedrigen Reigras. Hier hatte er schon manchen Tag gesessen und auch einige kapitale Fische an Land gezogen.
Jacob musste husten, weil ihm Rauch in die Nase drang.
Ja, er angelte gern. Zeit hatte er als Rentner ja wahrlich genug. Und das Angeln war im Laufe der Jahre zu seinem liebsten Hobby geworden.
„Was ist noch langweiliger als zu angeln?“, hatte ein Kollege ihn mal gefragt.
„Anderen beim Angeln zuzuschauen!“
Jacob konnte darüber nur schmunzeln. Sollten sie doch reden, ihm war das egal.
Die Nähe zur Natur war ihm sowieso wichtiger als der Umgang mit anderen Menschen.
Er ging zu seiner Provianttasche um die Dose mit den Hustenpastillen heraus zu fischen.
Dabei wäre er um ein Haar gestürzt, nur weil er nicht mehr an die im Gras versteckte Wurzel gedacht hatte.
Das hätte ihm noch gefehlt. Ins Wasser gestürzt und abgesoffen! Wo die Zeitungen sowieso schon voll sind von Geschichten, von nicht zurück gekehrten Anglern und Fischern.
Jacob griff sich jetzt eine Angelrute und fischte umständlich einen großen Wurm aus dem Einwegglas. Als er ihn gerade auf den Haken spießen wollte, fing der Wurm zu reden an.
„Bitte lass mich doch wieder frei!“
Der alte Mann dachte zuerst, er hätte sich verhört. Konnte das sein? Das Würmer plötzlich sprechen konnten?
Andererseits, es gab doch ganz andere Dinge hier auf Erden, von denen sich unsere Schulweisheit nie träumen lassen würde. Warum nicht auch sprechende Würmer? Er nahm es einfach gelassen hin.
„Warum sollte ich dich wieder frei lassen? Wo du doch so einen hervorragenden Köder abgibst?“
„Ich bin dereinst verzaubert worden, durch eine böse Macht. Wenn du mich freilässt, werde ich wieder zurück verwandelt und kann dir drei Wünsche erfüllen!“
Jacob überlegte, was er machen sollte. Er kratzte sich nachdenklich am Kopf.
„Das glaube ich dir nicht! Dann erfülle dir doch selber deinen Wunsch und verzaubere dich zurück in das, was du vorher warst.“
„Oh. Du tust mir unrecht. Ich kann nur bei anderen Wunder wirken, nicht an mir selbst. So funktioniert der Zauber nun mal nicht. Also lass mich doch bitte wieder frei!“
Jacob wusste nicht genau, was er machen sollte. Er traute dem Wurm nicht. Vielleicht sollte er ihn auf die Probe stellen?
„Also gut. Wenn du es schaffst, mir drei Fische zu besorgen, dann will ich dich wieder freilassen.“
Ohne die Antwort des Wurms abzuwarten, spießte er ihn auf den Haken und warf die Angel aus. Einige Zeit lang dümpelte der Schwimmer ruhig auf der Wasseroberfläche. Dann tauchte er mehrmals kurz unter, bis Jacob die Angel anschlug.
Er holte sie wieder ein und merkte gleich, das ein Fisch angebissen hatte. Eine kleine Brasse.
Als er diese vom Haken genommen hatte, wirkte der Wurm schon etwas ramponiert.
„Bitte, lass mich doch frei! Ich will dir jeden Wunsch erfüllen.“
Doch Jacob konnte dem Wurm nicht trauen.
„Denk’ an die Abmachung. Noch zwei Fische, die du mir anlocken sollst. Dann lass ich dich wieder frei. Aber diesmal sollte der Fisch schon etwas größer sein!“
Er warf die Angel wieder aus. Und wieder dauerte es gar nicht lange, bis der Schwimmer unter Wasser gezogen wurde. Der alte Mann holte die Angel ein, diesmal bereitete ihm das schon erheblich mehr Mühe. Ein großer Karpfen hatte angebissen.
Als auch der zweite Fisch im Kescher lag, wirkte der Wurm schon sehr ramponiert. Das hintere Ende war sogar abgerissen.
„Frei. Lass mich jetzt frei. Ich kann nicht mehr“, winselte der Wurm.
Doch Jacob konnte ihm immer noch nicht trauen.
„Nein, einmal wirst du schon noch aushalten können.“
Die Brasse und der Karpfen wanden sich im Kescher.
„Der zweite Fisch war schon groß, aber jetzt musst du wirklich einen großen Brocken anlocken, damit ich dich freilasse!“
Der alte Mann warf die Angel wieder aus. Nach kurzer Zeit wurde der Schwimmer kräftig unter Wasser gerissen. Jacob versuchte die Angel einzuholen, musste aber lange Zeit mit dem Fisch kämpfen, bis er es schaffte, ihn an Land zu ziehen. Es war ein kapitaler Hecht, fast einen Meter lang.
Der Wurm war jetzt dermaßen ramponiert, das er an vielen Stellen eingerissen war und der Hinterleib fehlte zur Hälfte.
„Lass mich jetzt frei!“, stammelte er.
Jakob sah ein, das er sein Versprechen halten musste. Der Wurm hatte seine Probe bestanden. Er hatte sein Vertrauen mehr als verdient.
Der alte Mann machte den Wurm von Haken und setzte ihn ins Gras.
„So entlasse ich dich dann.“
Jakob legte die Angel zur Seite und wollte jetzt wissen, ob der Wurm sein Versprechen hielt und ihm seine Wünsche erfüllte.
Der aber wuchs plötzlich ins Riesenhafte. Seine Verwandlung ging schnell und geräuschlos vonstatten. Binnen weniger Sekunden lag ein riesiger Waller, auch Wels genannt, vor Jakob im Gras. Der fast drei Meter große Fisch drehte sich herum zu ihm.
„Ich mochte Angler noch nie leiden, und ganz besonders nicht dich!“, sagte er gefühlskalt und verschlang den alten Mann mit mehreren schnappenden Bissen.
Dann schlängelte er sich zum Wasser und ließ sich hineinplumpsen.
Kurze Zeit später wirkte der Fluss wieder ruhig und friedlich.

 

Hi Nordwind!

Eine witzige Geschichte :lol: - gefällt mir.

Der Anfang zieht sich ein bißchen. Vielleicht könnte man ihn auch schon etwas witziger machen und die misstrauische (und vielleicht ein bisschen beschränkte) Art Jacobs herausstellen. Die Erklärung warum er angelt und so könnte dagegen weggelassen werden. Sie ist nicht so originell und trägt eigentlich nichts zur Geschichte bei.

Der letzte Absatze sind ein gutes Fazit - ich frage mich, ob man nicht schon am Anfang einen kleinen Hinweis geben kann, für einen spannenden Einstieg und eine Abrundung der Geschichte.

Herzliche Grüße,
Garca

 

Hallo Nordwind,

das ist eine nette kleine Geschichte. Die Pointe find ich gut, aber den letzten Absatz, nach dem Stern, kannst du auch weglassen, der trägt nichts mehr zur Geschichte bei.

Gruß
Shinji

 

Hallo Nordwind!

Wirklich eine nette Geschichte mit guter Pointe (ich jedenfalls weiß jetzt, warum ich niemals angeln werde :) ).

Das eine oder andere ist mir aufgefallen:

und zündete sich herzhaft eine Zigarre an
Hm, herzhaft in etwas beißen kenne ich ja, aber wie zündet man sich eine Zigarre herzhaft an?

Als er Frührentner wurde, musste er sich ein Hobby suchen, um die anfängliche Langeweile zu betäuben.
Ich bin mir nicht sicher, aber wäre nicht "Nachdem er Frührentner geworden war, hatte er sich ein neues Hobby suchen müssen, um die anfängliche Langeweile zu betäuben?

Es war ein kapitaler großer Hecht
Das klingt für mich nach einer Wiederholung, ist die Bedeutung von kapital nicht groß?

Wie gesagt, mir gefällt die Geschichte, und künftig werde ich mich wohl noch mehr vom Wasser fern halten. :D

Liebe Grüße,
Dirk

 

Hallo zusammen,

vielen Dank für eure Kritiken!
Ich fand sie sinnvoll und habe den Text darum überarbeitet. Besonders den ersten Teil.

Viel Spass weiterhin!
Gruß, Nordwind

 

Hallo Nordwind,

eine nette Geschichte :thumbsup: mit einer wirklich schönen Pointe. Ich kenne die erste Version nicht, fand aber den Anfang immer noch ein bisschen lang. Spontan fällt mir allerdings auch keine wirkliche Kürzungsmöglichkeit ein, denn es ist ja wichtig, dass Jacob die Würmer vor Ort ausgräbt...

Tja, da bleibt wohl nur zu sagen: mehr davon :)

Liebe Grüße,

Felsenkatze

 

Hallo Nordwind,

schöne Geschichte mit überraschender Pointe.
Nur der Anfang ist in der Tat etwas zu lang geraten. Hier würde ich noch einmal mit dem dicken Roten drübergehen.

So, jetzt noch ein bisschen Textgedöns:

Er schnaufte, was durchaus berechtigt war, wenn man sein Alter und vor allem sein Gewicht bedachte.

"berechtigt" scheint mir hier das falsche Wort zu sein. Denn wäre er noch nicht so alt und etwas leichter aber trotzdem erschöpft, hätte er dann nicht auch das Recht zu schnaufen?


„Schöne fette Würmer für viele kapitale Fische“,
Hier hatte er schon manchen Tag gesessen und auch einige kapitale Fische an Land gezogen.
Es war ein kapitaler Hecht, fast einen Meter lang.

Ein bisschen zu viel Kapital auf die Kürze der Geschichte.


Jacob musste husten, weil ihm Rauch in die Augen drang.

Bist du Raucher? In meiner langjährigen (inzwischen Gott sei Dank beendeten) Raucherkarriere musste ich nie husten, weil mir Rauch in die Augen drang. Mir haben vielleicht die Augen getränt oder so, aber husten??? Nein, keinesfalls.


Das soll es von meiner Seite aber auch schon gewesen sein.

Viele Grüße

Oli

 

Hallo und danke, ihr beiden

> schöne Geschichte mit überraschender Pointe.
> Nur der Anfang ist in der Tat etwas zu lang geraten. Hier würde ich noch einmal mit dem dicken Roten drübergehen.

Ich finde keine Stelle, die ich weglassen könnte.
Das ist halt alles eine Vorbereitung auf die eigentlich Geschichte, auch in Bezug auf den Prot.

> Zitat:
> Er schnaufte, was durchaus berechtigt war, wenn man sein Alter und vor allem sein Gewicht bedachte.
>
> "berechtigt" scheint mir hier das falsche Wort zu sein. Denn wäre er noch nicht so alt und etwas leichter aber trotzdem
> erschöpft, hätte er dann nicht auch das Recht zu schnaufen?

Natürlich. Aber ich selber mag das Wort an der Stelle und finde es passend :-)

> Zitat:
> „Schöne fette Würmer für viele kapitale Fische“,
>
> Zitat:
> Hier hatte er schon manchen Tag gesessen und auch einige kapitale Fische an Land gezogen.
>
> Zitat:
> Es war ein kapitaler Hecht, fast einen Meter lang.
>
>
> Ein bisschen zu viel Kapital auf die Kürze der Geschichte.

Ok, nur mußt du bedenken, das ist eine Anglerstory. Kein Angler sagt, ich hab' einen grossen Fische gefangen. Alle Fische sind immer kapital, und sooooooo lang.
Ich finde, das paßt zu den Eigenheiten von Anglern.

> Zitat:
> Jacob musste husten, weil ihm Rauch in die Augen drang.
>
>
> Bist du Raucher?

Ich war's 20 Jahre lang. Seit fast 15 Monaten geht's aber Gott sei Dank ohne ;-)

> In meiner langjährigen (inzwischen Gott sei Dank beendeten) Raucherkarriere musste ich nie husten, weil
> mir Rauch in die Augen drang. Mir haben vielleicht die Augen getränt oder so, aber husten??? Nein, keinesfalls.

Noch nie was von Raucherhusten gehört?

Mit besten Grüßen,
Nordwind

 

Doch, Raucherhusten ist mir sehr geläufig. Aber der wird nicht ausgelöst durch Rauch, der in die AUGEN kommt.

 

Hey Nordwind,

nette kleine Geschichte, wie die anderen ja schon gesagt haben. Trotzdem sehe ich an einigen Stellen noch Optimierungsbedarf:

Er begann daran zu wackeln, und es dauerte gar nicht lange, bis die ersten Würmer durch die Bewegung des Bodens an die Oberfläche kamen.
Hier würde ich ein Komma setzen, einfach des Leseflusses halber. Ich nenne die Dinger Vorlesekommas: Wenn du den Text laut liest, dann gehst du an einigen Stellen mit der Stimme nach oben. Das ist so eine.

Der alte Mann sammelte sie ein und verfrachtete sie in ein Einwegglas, das mit ein bisschen frischer Erde füllt war.
füllt?

Die ganze Prozedur wiederholte er an mehreren Stellen, bis er genug Würmer zusammen hatte.
Hier verstehe ich nicht, warum du einen neuen Absatz machst. Dadurch reißt du den Text ja auseinander.

Der tote Arm war ein Abzweig des Flusses, der sich einige Kilometer durch die Landschaft schlängelte und dann irgendwo aufhörte.
Das Wort habe ich noch nie gehört - vielleicht nimmst du besser "Arm" oder so etwas, nichts, wo der Leser drüber stolpert.

Jacob konnte darüber nur schmunzeln. Sollten sie doch reden, ihm war das egal.
Die Nähe zur Natur war ihm sowieso wichtiger als der Umgang mit anderen Menschen.
Hier - durch die Absätze reißt du den Text an Stellen wie diesen auseinander, die eigentlich eng zusammengehören.

Er ging zu seiner Provianttasche um die Dose mit den Hustenpastillen herauszufischen.

Dabei wäre er um ein Haar gestürzt, nur weil er nicht mehr an die im Gras versteckte Wurzel gedacht hatte.
Das "nur" da stört mich...

Das hätte ihm noch gefehlt
Würde ich ein "das hätte ihm gerade noch gefehlt" draus machen.

Wo die Zeitungen sowieso schon voll sind von Geschichten, von nicht zurückgekehrten Anglern und Fischern.
Hier springst du ins Präsenz, der Rest der Geschichte ist aber in der Vergangenheit geschrieben. Ich würde dir raten, den Tempus kosequent durchzuziehen, einfach, weil dann weniger Potential besteht, den Leser aus dem Fluss zu reißen.

„Bitte, lass mich doch wieder frei!“
Keine Ahnung warum, aber da sollte ein Komma stehen. Lies den Satz mal laut vor...

Wenn du mich freilässt, werde ich wieder zurückverwandelt und kann dir drei Wünsche erfüllen!“

Tja, damit muss ich mich dem Rest wohl anschließen - die Geschichte ist nett, die Pointe auch. Nur die Reaktion des Mannes auf die Verwandlung des Wurmes in einen Riesenwels (solche Dinger schwimmen in der Wakenitz rum, da gehen wir immer baden :D) kommt mir zu kurz, die könntest du noch ausbauen...

alles in allem: Netter Text, gern gelesen!

gruß
vita
:bounce:

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom