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Der Busfahrer, der Soldat war

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30.05.2002
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Der Busfahrer, der Soldat war

Ich bin mit diesem Auto zusammengestoßen. Ich hab's nicht kommen sehen. Ich bin mit meinem Bus um die Ecke gebogen, und plötzlich hat's geknallt. Nein, es wurde niemand verletzt dabei, es hat nur mächtig geknallt. Aber ich habe mich furchtbar aufgeregt. Stundenlang hab ich geredet und geredet. Ich war völlig aus dem Häuschen und konnte nicht ruhig sitzenbleiben.

Schließlich brachte Nancy, meine Verlobte, mich zu Dr. Milgram. Dr. Milgram ist Psychiater. Vor einigen Jahren war ich schon mal bei ihm. Ich hatte so viel Angst damals.

Nancy brachte mich also zu Dr. Milgram. Während ich mich mit ihm unterhielt, klingelte zweimal recht kurz hintereinander das Telefon. Ich wusste sofort: das war wegen mir! Sie waren hinter mir her. Sie wussten, wo ich bin.

Der Psychiater beantwortete geduldig die Fragen. Ich konnte ganz leise eine Stimme aus dem Hörer erkennen: meine Tante! Sie rief also Dr. Milgram an, um ihn vor mir zu warnen!

Als ich aus dem Krieg zurückgekehrt war, fiel es mir anfangs schwer, mich wieder an das Leben eines Zivilisten zu gewöhnen. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Hätte ich mich weiterverpflichten sollen, hätte ich in der Armee bleiben sollen?

Damals war ich zum ersten Mal bei Dr. Milgram. Der Doktor meinte, ich wirkte sehr ängstlich. Er erklärte mir, dass meine Angst ihm ein wenig übertrieben erscheine. Warum habe ich Angst? Gäbe es denn irgendeinen Grund, solch eine Angst zu haben? Aber ich hatte doch all das gesehen, die vielen Toten, die Verwundeten, die verstümmelten Kinder, diesen ganzen Wahnsinn, Tag für Tag! Ich hatte all das gesehen und gehört und gerochen und gefühlt, gefühlt, gefühlt!...

Damals war ich schon lange verlobt, aber ich hatte keine Arbeit, als ich aus dem Krieg zurückkehrte. Meine Verwandten sagten damals, dass alle meine Probleme sicherlich gelöst wären, sobald ich endlich Arbeit gefunden hätte.

Ich war mein Leben lang ein schüchterner Mensch gewesen, schüchtern und ängstlich, so unentschlossen, so ohne Mut, so ohne Antrieb, die Dinge zu ändern. In der Armee war das nicht weiter aufgefallen, wir hatten unsere Befehle, aber als ich wieder nach Hause zurückkehrte, da brach alles wieder aus mir hervor. All das kam wieder, all meine persönlichen Schwierigkeiten, all das. Ich war unruhig, so unruhig.

Nancy hatte so lange auf meine Rückkehr gewartet, ich musste sie nun endlich mal heiraten, ich konnte sie nicht ewig warten lassen. Ich musste sie heiraten, so schnell wie möglich, wir waren doch schon so lange verlobt, aber zuerst einmal musste ich Arbeit finden.

Ich hatte nichts gelernt vor dem Krieg, weder einen Beruf noch ein Handwerk, ich war einfach immer Soldat gewesen! Ein Soldat, der nichts konnte außer Soldat sein!

Dabei hätte ich doch Anspruch gehabt auf ein staatliches Stipendium, als ehemaliger Angehörige der Armee.

Aber ich traute mir einfach nichts zu, ich fühlte mich so minderwertig. Ich war doch nur Soldat gewesen!!!

Dann wurde ich Busfahrer. Ich fand diese Stelle, und es war eine gute Stelle. Zwei Tage, nachdem ich meinen Dienst als Busfahrer angetreten hatte, passierte mir dieser verdammte Unfall! Ich hatte sofort Angst, ich würde nun meine Stelle verlieren. Ich fühlte mich einmal mehr so wertlos, so völlig wertlos...

Auch diese Chance hatte ich mir also wieder mal vermasselt, nein, nicht nur mir allein, sondern mir und Nancy vermasselt.

Dieser Unfall am dritten Tag war der Beweis für meine Untüchtigkeit. Jetzt würde niemand mehr Vertrauen zu mir haben...

Dabei wollte ich nie in den Krieg, aber ich musste in den Krieg, ich wurde dazu gezwungen, sie haben mich dazu gezwungen...

Krieg, dieser Riese, dieses Monster! Krieg bringt immer nur Mord und Totschlag und Verderben. Ich töte, du tötest, er sie es tötet. Wir alle töten. Wir töten alle, weil wir alle töten müssen.

Tot. So tot. Tödlich. So tödlich.

All dieses Blut, als Tom mir unter meinen Händen weggestorben ist, damals, nach diesem schweren Angriff, bei diesem Dauerbeschuss damals, er schrie und schrie und ich konnte ihm nicht mehr helfen, und dann war er tot.

 

Hallo Murmeltier

Hier einige Sachen die mir bei deiner Geschicht ins Aug geschossen sind:

und gefühlt, gefühlt, gefühlt!...

setz das ! nach den ...

Ich war doch nur Soldat gewesen!!!

a) ein ! reicht, die Bedeutung/Dringlichkeit sollte alleine aus dem Text heraus klar sein, sonst solltest du etwas im Text ändern wenn du drei ! benötigst.
b) ich würde nur schreiben "Ich war doch nur Soldat!" das "gewesen" kannst du weglassen, es erschwert den Text unnötigerweise.

Mach unbedingt weniger Abschnitte! So hat es für den Leser keinen guten Rhythmus und es ist harzig.

Die Geschichte finde ich gut, du könntest sie sicherlich noch etwas vertiefen und ausbauen, aber die Grundidee gefällt mir. Vielleicht könntest du auch Tom schon früher ins Spiel bringen, so im Stil von "der einzige, der mir Rückhalt gab auf den Schlachtfeldern war Tom" oder so...

Hoffe, konnte dir einige Anregungen geben und
liebe Grüsse
Muchel

 

Hallo Murmeltier!

Ich bin etwas zwiegespalten. Dein Stil wirkt auf mich naiv, was ihn einerseits recht lebendig hält, mir aber, bei einem längeren Text auf die Nerven gehen würde.
Muchel hat schon vieles geschrieben, was mir ebenfalls wichtig erscheinen würde.
Was mir nicht gefallen hat, ist, dass Du vieles einfach hinschreibst, statt es dem Leser fühlbar zu machen.

Aber ich traute mir einfach nichts zu, ich fühlte mich so minderwertig. Ich war doch nur Soldat gewesen!!!
statt dass Du dem Leser in Situationen verdeutlichst, wie er sich fühlt, schreibst Du einfach hin, er fühlt sich soundso.
Noch ein Punkt, der mich etwas, naja, gestört hat, aber erst bei längerem Nachdenken: die Geschichte ist irgendwie für mich nicht richtig rund.
Ich glaube, das liegt daran, dass Du bei diesem kurzen Text zuviel reinbringst, rigendwei. Busunfall, Psychiater, Krieg, immer wieder Krieg, ein persönlcihes Erlebnis zum Schluss, aber eben auch die Episode mit der Verlobten. Bei dem kurzen Text macht das auf mich einen gehetzten Eindruck.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Muchel,

vielen Dank für deine Anregungen.

Du hast Recht, ich neige leider dazu, viel zu viele Satzzeichen zu setzen, und ich gewöhne mir das jetzt auf der Stelle ab.

Deine Variante von "Ich war doch nur Soldat gewesen!!!" überzeugt mich, ich werde sie in einer überarbeiteten Fassung meines Textes verwenden.

Tja, und dann meine "Abschnittitis" - grauenhaft! Aber ich hatte immer das Gefühl, ich müsse diese vielen Abschnitte machen, damit die Logik des Textes klar / klarer wird. Dass das den Text gleichzeitig natürlich zerreißt, habe ich dabei nicht bedacht.

Diese Idee, den Kameraden des Busfahrers schon früher ins Spiel zu bringen, muss ich noch einmal gründlich überdenken. Es kann gut sein, es kann aber unter Umständen dem Text auch etwas von seiner Kraft nehmen. Das muss ich einfach mal ausprobieren.

Schöne Grüße vom Murmeltier

 

Hi Maus,

mit meinem Text wollte ich in der Tat einen ziemlich naiven, ja, bis hin zur Chaotik hilflosen Menschen zeichnen, um die Situation eines Soldaten klassisch zu verdeutlichen: der Soldat als jemand, der einerseits Befehle erhält, der andererseits aber auch in einem gewissen Umfang selbstständige, eigene Entscheidungen zu treffen hat, und das daraus entstehende grundlegende Dilemma von Befehlsempfängern - Mündigkeit versus Unmündigkeit.

Natürlich kann das bei längeren Texten schnell zur "Masche" werden und dann vielen Leserinnen und Lesern unter Umständen "auf die Nerven gehen". Aber mein Text ist augenblicklich noch recht kurz, und er wird auch in zukünftigen, redigierten Versionen wohl eher kurz bleiben, das heißt ich kann dieses Stilmittel wahrscheinlich beibehalten.

"Show - don't tell" - diese alte Regel habe ich wohl in der Tat an einigen Stellen meines Textes vergessen bzw. nicht beachtet.

Die schwierigste Entscheidung dürfte aber vermutlich die sein: Kann ich in solch einen kurzen Text so viel an Inhalt hineinpacken - ja oder nein? Darüber werde ich sicherlich noch mehr als eine Nacht schlafen müssen...

Grüße vom Murmeltier

 

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