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Der einsame Baum

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06.10.2004
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Der einsame Baum

Der einsame Baum

Es war ein stürmischer Frühlingstag. Der Wind fegte über die Wiesen und Felder hinweg. Die Äste des großen Walnussbaumes, der auf einer großen Wiese stand, bogen sich im Wind und knackten gefährlich. Vom Weiten sah man einen Vogel, der mächtig zu kämpfen hatte, um gegen die Windböen anzukommen.

„Puh, ist das heute ein Wetterchen!“, sagte der Spatz und flatterte mit letzter Kraft in Richtung des Baumes. Er wollte sich dort niederlassen, um sich von dem anstrengenden Flug zu erholen. Der kleine Vogel kam aus dem sonnigen Süden und wollte hier in der Gegend den Sommer verbringen. Wegen des starken Windes war er vom Weg abgekommen und hatte den Rest der Vogelschar verloren.

Als er sich auf dem Baum niederließ, sah er sich verdutzt um.
„Was ist denn hier los?“, gab er vor Verwunderung laut von sich. „Sind wir zu früh aus dem Süden zurück? Ist etwa noch kein Frühling?“
Aber das konnte nicht sein. Auf seiner Reise hatte er schon viele blühende Bäume gesehen. Dieser jedoch war noch vollkommen kahl. Kein einziges Blatt, geschweige denn eine Knospe war zu sehen.
„Na, da habe ich mir ja ein tolles Plätzchen ausgesucht“, schimpfte der Spatz vor sich hin.
„Dann flieg doch auch wieder weg“, vernahm der Vogel plötzlich eine leise Stimme.
Wer hatte da zu ihm gesprochen?
„Hallo, ist hier noch jemand?“, fragte der Spatz neugierig und reckte und streckte seinen kleinen Kopf, um etwas zu entdecken. Doch er sah niemanden. Komisch! Verstecken konnte man sich hier doch gar nicht gut.
„Bin ich etwa nichts? Du sitzt auf mir“, sagte die Stimme traurig.
„Ach, du bist es, Baum. So war das nicht gemeint. Du siehst so vertrocknet aus. Ich dachte nicht, dass noch Leben in dir steckt“, entschuldigte sich der Spatz.
„Doch, doch. Aber ich habe keine Lust mehr zu blühen.“
„Wieso das denn?“, fragte der Spatz entsetzt.

Da begann der Baum zu erzählen, was ihn so sehr bedrückte:
Es gab mal eine Zeit, da stand er inmitten von ganz vielen Bäumen auf dieser Wiese. Die Wiese war übersäht mit bunten Blumen. Bienen, Hummeln, Käfer, Grashüpfer, sogar Hasen und Rehe hatte es hier gegeben. Alle suchten Schutz vor Wind und Wetter und genossen das friedliche Beisammensein. Er selbst hatte besonders das Zwitschern der vielen Vögel gemocht.
Aber das alles war schon viele Jahre her.
Irgendwann kam ein neuer Besitzer, der alle Bäume bis auf ihn fällen ließ. Von diesem Tag an kamen die Tiere immer seltener. Sie vermissten den Schutz der großen Bäume und auch der kleinen Pflanzen.
So geschah es, dass der Baum der einzige war, der von der idyllischen Wiese übrig geblieben war. Seither stand er einsam und allein an dieser Stelle. Anfangs kamen manchmal noch ein paar Vögel vorbei, die sich auf ihm ausruhen wollten. Doch keiner blieb mehr lange. Warum auch? Die Gegend sah ziemlich trostlos aus.
Irgendwann wurde der Baum so traurig, weil er so allein war, da beschloss er, dass er nicht mehr blühen wollte.

Als der kleine Vogel die Geschichte gehört hatte, machte ihn das sehr betroffen. Der Baum tat ihm leid und er versprach wiederzukommen. Der Spatz machte sich auf die Suche nach seiner Familie. Es dauerte auch nicht lange und er fand sie in einem Park in einer kleinen Stadt. Als am Abend die ganze Vogelschar in einem großen Kastanienbaum saß, erzählte der kleine Spatz von seiner Begegnung mit dem traurigen Baum. Auch die anderen Vögel waren sehr ergriffen von der Geschichte. Sie beschlossen, gemeinsam dem Baum zu helfen.

Am nächsten Morgen flogen alle Spatzen zu der Wiese, auf der der Baum stand. Sie landeten auf den kahlen Zweigen des Baumes. Sofort stimmte jedes Vöglein, wie verabredet, ein Lied an.

Langsam, ganz langsam öffnete der Baum seine Augen und wollte nicht glauben, was er sah und hörte. Seine Zweige waren übersäht mit Vögeln und es erklang eine ihm wohl bekannte Melodie aus früheren Zeiten. Sein trauriger Blick verschwand sofort und ein glückliches Lächeln erschien.

Der kleine Spatz erklärte dem Baum, dass er und seine Familie beschlossen hatten, den Sommer hier zu verbringen, um ihm Gesellschaft zu leisten. Die Vogelpärchen wollten ihre Nester in seinen Zweigen bauen und ihre Jungen sollten hier aufwachsen.

„Aber du musst uns versprechen, dass du zu blühen anfängst. Schließlich brauchen wir deine Blätter zum Schutz für uns und unsere Kinder.“

Der Baum bedankte sich und gab sein Versprechen.
Es dauerte gar nicht lange und die Äste hingen voller grüner saftiger Blätter.
Die Vogelpärchen begannen sofort mit dem Bau der Nester.

Einige Wochen später sah die Wiese fast aus wie früher. Auch die Blumen wuchsen plötzlich wieder im wilden Gras. Es grünte und blühte in allen Farben. Sogar die Bienen, Hummeln und anderen Insekten fanden sich schon bald wieder auf der Wiese ein. Sie wurden von dem herrlichen Duft der Blüten angezogen.

Der Walnussbaum war zwar immer noch der einzige Baum auf der Wiese. Doch einsam musste er sich nicht mehr fühlen. Er hatte viele Freunde um sich herum. Und er blühte so wunderbar in diesem Sommer wie er es noch nie zuvor getan hatte.

 

Eine schöne, melancholische Frühlingsgeschichte, die von den vorherrschenden Gefühlen aber genau in die momentane Herbststimmung passt. Eine wundervolle Geschichte über Einsamkeit, Veränderung, Trost, Zuspruch und Freundschaft, die so ganz ohne den moralischen Zeigefinger oder großen Belehrungen auskommt. Gefällt mir sehr gut.
Du hast wirklich ein Talent dafür Tieren, Blumen, Pflanzen Leben einzuhauchen und die ihnen zugesprochenen Charaktere so lebendig zu gestalten, dass der Leser sie problemlos auf sich und seine Lebenswelt übertragen kann.
Melissas (5 Jahre) Kommentar: Was für ein Glück, dass es dem Baum jetzt wieder gut geht. Dann hat er wieder Blätter und ist nicht mehr traurig. Kommen die Vögel jetzt immer wieder? Sonst bleibt der Baum ja wieder nackt.

Textarbeit:

Er wollte sich dort niederlassen, ... Der kleine Vogel ... und wollte hier in der Gegend den Sommer verbringen.
Hört sich nicht gut an.
Kein einziges Blatt, geschweige denn eine Knospe war zu sehen.
Hm, wenn keine Knospe zu sehen ist, dann könnte der Baum nicht kurz darauf austreiben. Knospen müssen da sein. Vielleicht besser Knospe streichen und durch Blüte ersetzen. Ein Walnussbaum ist ein Windbestäuber und blüht bevor die Blätter kommen, würde also in dem Kontext auch ganz gut passen.
Es gab mal eine Zeit, da stand er inmitten von ganz vielen Bäumen auf dieser Wiese.
Das bringt irgendwie die Bilder in meinem Kopf durcheinander. Mit "vielen Bäumen" assoziiere ich einen Wald, aber die standen ja alle auf einer Wiese. Das passt nicht zusammen. Oder muss ich mir eine Obstbaumwiese vorstellen? Die stehen ja ziemlich weit auseinander und es gibt trotz Bäumen eine Wiese. Dann aber ergibt das Schutzsuchen vor Wind und Wetter keinen Sinn, denn zwischen Obstbäumen lässt sich kein Schutz finden.
Irgendwann wurde der Baum so traurig, weil er so allein war, da beschloss er, dass er nicht mehr blühen wollte.
Ein sehr holpriger Satz. Ich finde du könntest den ganzen Mittelteil weglassen. "Irgendwann wurde der BAum so traurig, dass er beschloss nicht mehr zu blühen." ist genauso verständlich, erklärend und holpert nicht.
Auch die Blumen wuchsen plötzlich wieder im wilden Gras.
Da hätte ich mir eine Erklärung gewünscht. Warum blühen die denn auch wieder? Haben sie auch die Vögel vermisst? Wieso aber haben sie dann aufgehört zu blühen? Hätten sie weiter geblüht, wäre die Wiese überhaupt nicht zu einem so trostlosen Platz verkommen. Irgendwie unlogisch ohne Blumen-Erklärung.
Sogar die Bienen, Hummeln und anderen Insekten
andere

 

Hallo Kitana!

Vielen Dank, dass du dir so schnell die Mühe gemacht hast, meinen Text zu lesen.

Kitana schrieb:
Du hast wirklich ein Talent dafür Tieren, Blumen, Pflanzen Leben einzuhauchen und die ihnen zugesprochenen Charaktere so lebendig zu gestalten, dass der Leser sie problemlos auf sich und seine Lebenswelt übertragen kann.

Mir fällt es leichter einen bestimmten Charakter Tieren, Blumen oder Pflanzen zuzuordnen als einem Menschen. Zumindest denke ich immer, ich bringe es dort besser rüber als bei einem Menschen als Hauptfigur!?

Kitana schrieb:
Melissas (5 Jahre) Kommentar: Was für ein Glück, dass es dem Baum jetzt wieder gut geht. Dann hat er wieder Blätter und ist nicht mehr traurig. Kommen die Vögel jetzt immer wieder? Sonst bleibt der Baum ja wieder nackt.

Du kannst sie beruhigen, die Vögel kommen jetzt jedes Jahr mit ihrer Familie und es werden immer mehr.
Ich glaube, ich werde unserer Tochter die Geschichte heute Abend auch gleich vorlesen. Mal sehen, was sie davon hält (sie wird im Februar 5 Jahre).

Kitana schrieb:
Hm, wenn keine Knospe zu sehen ist, dann könnte der Baum nicht kurz darauf austreiben. Knospen müssen da sein. Vielleicht besser Knospe streichen und durch Blüte ersetzen. Ein Walnussbaum ist ein Windbestäuber und blüht bevor die Blätter kommen, würde also in dem Kontext auch ganz gut passen.

Ups! Liest hier der Gärtner mit? :)
So genau habe ich das hier nicht genommen. Er bekommt halt plötzlich ganz schnell Knospen und Blätter, als er wieder glücklich ist.
Ist das wirklich so schlimm, wenn es nicht der Realität entspricht? :confused:
Hm.... es sollte doch eigentlich nur versinnbildlichen, wie einsam der Baum ist.

Kitana schrieb:
Das bringt irgendwie die Bilder in meinem Kopf durcheinander. Mit "vielen Bäumen" assoziiere ich einen Wald, aber die standen ja alle auf einer Wiese. Das passt nicht zusammen. Oder muss ich mir eine Obstbaumwiese vorstellen? Die stehen ja ziemlich weit auseinander und es gibt trotz Bäumen eine Wiese. Dann aber ergibt das Schutzsuchen vor Wind und Wetter keinen Sinn, denn zwischen Obstbäumen lässt sich kein Schutz finden.

Da hätte ich mir eine Erklärung gewünscht. Warum blühen die denn auch wieder? Haben sie auch die Vögel vermisst? Wieso aber haben sie dann aufgehört zu blühen? Hätten sie weiter geblüht, wäre die Wiese überhaupt nicht zu einem so trostlosen Platz verkommen. Irgendwie unlogisch ohne Blumen-Erklärung.


Oh oh, der Gärtner. Da hast du mich aber wieder erwischt. Ich glaube, ich sollte mir die örtlichen und botanischen Gegebenheiten noch einmal vorknöpfen... ;)

Liebe Grüße

Birgit (flitze2000)

 

:lol:
Ne, Gärtner weniger. Unser Garten ist eher ein der Natur überlassenes Biotop. :D
Wollte Bio studieren, habs mir dann anders überlegt, aber Bio trotzdem als Nebenfach gemacht. ;)

 

Moin flitze!
Hat mir sehr gut gefallen, deine Geschichte. Sie passt sowohl zum Frühling als auch zum Herbst. Mir gefällt es, dass es mal eine ernstere, ruhigere Geschichte ist und nicht immer eine mit viel action und Tempo. Das ist zwar auch schön, muss aber sein. Und Tempo wäre bei dieser Geschichte sicher vollkommen fehl am Platze.
Mir gefällt dein Stil, du nimmst die Kinder ernst und verzichtest darauf, alles "klein" und süß machen zu wollen. Und deine Sätze sind nicht zu simpel gestickt (also keine kurzen, schlichten Hauptsätze aneinandergereiht).
Hätte ich auch ein "Testobjekt" zur Hand, würde ich dir auch den Kommentar des Kindes schreiben, hab ich aber leider nicht ;)
Hm, habe auch gar nichts mehr zu sagen... hat mir einfach gut gefallen :)

Noch drei kleine Anmerkungen

Der Wind fegte über die Wiesen und Felder hinweg. Die Äste des großen Walnussbaumes, der auf einer großen Wiese stand, bogen sich im Wind und knackten gefährlich
Ist nicht sooo schlimm, aber vielleicht könntest du das noch etwas umändern? *liebschau*

Am nächsten Morgen flogen alle Spatzen zu der Wiese, auf der der Baum stand.
Unschöne Wiederholung. Wie wärs mit "auf welcher der Baum"?

Schließlich brauchen wir deine Blätter zum Schutz für uns und unsere Kinder.“
Wie wärs mit "die Kinder"?

 

Hallo moonshadow!

Danke für deine liebe Kritik. Ich werde mir den Text gleich noch mal wegen deiner Anmerkungen durchlesen. Manchmal sieht man die Dinge wirklich erst, wenn man darauf aufmerksam gemacht wird.

Gut, dass es dieses Forum und die netten Leute gibt! :) :thumbsup:

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende wünscht

Birgit (flitze2000)

 

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