Was ist neu

Der Notar und das Mädchen

Seniors
Beitritt
03.04.2003
Beiträge
1.344
Zuletzt bearbeitet:

Der Notar und das Mädchen

Der Notar und das Mädchen (lang!)

1

Um es gleich vorwegzunehmen: der Notar in dieser Geschichte bin ich selber. Mein Name ist Albert Aachen, auch wenn ich mit der gleichnamigen Stadt nichts zu tun habe. Eigentlich bin ich gebürtiger Berliner, Jahrgang 1957, lebe aber schon seit fast zwanzig Jahren in London und kann mich rühmen, von einer echten Engländerin geschieden zu sein. Na ja, jeder macht mal Fehler. Heute ist der 22. Dezember 1987. Was ich Ihnen erzählen will, hat sich vor einem halben Jahr zugetragen; frisch genug noch für die Erinnerung, aber schon alt genug, um etwas Abstand zu gewinnen.
Es begann damit, daß ich mit fürchterlichen Kopfschmerzen aufgewacht war, die auch auf dem Weg ins Büro kaum nachgelassen hatten. Am Vorabend war ich nämlich bei einer Lady Duvall gewesen, welche übrigens entgegen der „Lady" in ihrem Namen keine Person ist, mit der ich mich in irgendeiner Weise schmücken möchte. Es war eine Art Party gewesen, auf die mich mein Freund Bert Redwood geschmuggelt hatte. Bert kannte die Dame bereits, und ich glaube, er wollte ihr den Hof machen. Ob ihm das ernst war, konnte man bei Bert nie genau sagen. Wir kannten uns noch von der Uni und verstanden uns eigentlich immer sehr gut, auch wenn wir aufeinander immer neidisch waren. Während ich beruflich und finanziell weiter gekommen bin, hatte er immer das größere Glück bei den Frauen. Kein Wunder: er sah aus wie eine Kreuzung zwischen Don Johnson und George Michael, und nicht mal ein Tornado hätte ihm das Dauergrinsen aus dem Gesicht bügeln können. - Ich dagegen... na ja: Zweihundertzwanzig Pfund bei fünfeinhalb Fuß Körpergröße sind alles andere als attraktiv. Vielleicht wäre das ja auch nicht so schlimm, wäre ich nicht so kurzsichtig wie ein Maulwurf. Den Besuch beim Kontaktlinsenfritzen schob ich aber genauso vor mir her wie den Zahnarzt. Ich glaube, ich hoffte insgeheim, daß Colaflaschenboden-Brillengläser in Mode kamen, hehe.
Auf dieser Party habe ich mich dann einigermaßen sinnlos besoffen und mußte mich von Bert nach Hause bringen lassen. Mann, war der sauer! Er hatte eigentlich ganz andere Dinge vorgehabt an dem Abend. Leider habe ich einige Erinnerungslücken, aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß ich ihm unbewußt eins auswischen wollte; wegen Lady Duvall, meine ich.
Nun denn, anderntags erschien ich in meinem Büro mit schwerem Kopf und schwerer Zunge, was meiner Sekretärin, Mrs Hopkins nicht entging. Und wieder einmal begann sie, meine Geduld mit Nichtigkeiten zu strapazieren. Ich kannte ihre Litaneien schon auswendig, im Wesentlichen ging es darum, daß mich der Alkohol und mein Leibesumfang bald ins Grab treiben würden, und ich dagegen dringend etwas unternehmen müsse, aber ich ja für vernünftige Worte nie ein Ohr gehabt hätte, usw. Da ich ein friedliebender Mensch bin, ging ich nicht darauf ein und verschanzte mich hinter meiner Arbeit.
Ich war kaum zehn Minuten im Büro, als ich schon die Türglocke hörte, und gleich darauf das Summen des Türöffners. Ich registrierte dies mit der Gleichgültigkeit des Verkaterten und griff nach meinem Füllfederhalter, um die Verschollenheitserklärung über den Schoßhund einer gewissen Mrs Radcliffe zu unterschreiben. Jeden Augenblick, würde mir Mrs Hopkins über die Sprechanlage den Besuch melden.
Plötzlich sagte mir mein siebter Sinn, daß ich recht ausgelaugt aussehen mußte, und dies dem Geschäft nicht unbedingt zuträglich wäre.
Neben der Tür meines Büros hing ein Spiegel mit Waschbecken. - Oh ja, meine Haare waren unordentlich, der Kragen offen, die Augen verquollen. Hastig drehte ich den Wasserhahn auf und bemerkte nebenbei, daß ich den Füller noch in der Hand hielt. Ich legte ihn an den Waschbeckenrand, dazu meine Brille, und spülte mein Gesicht mit erfrischend kühlem Wasser.
„Hier ist eine Miss Glynis van Deeme", schnarrte Mrs Hopkins Stimme aus der Sprechanlage. „Sie sagt, Sie hätten Sie für heute morgen neun Uhr herbestellt."
Ich mußte einen Augenblick nachdenken, dann fiel mir ein, daß ich letzte Woche einer Frau dieses Namens einen Brief geschrieben und sie zu einer Testamentseröffnung geladen hatte.
„Oh ja", rief ich, „schicken Sie sie rein!"
Testamente hatte ich erst zweimal zuvor bearbeitet, denn hier haben die alteingesessenen Kollegen den Vorrang, und ich war noch recht jung in meinem Beruf. Dabei ging es in diesem Fall nicht einmal um eine Kleinigkeit, unter anderem wechselte ein viktorianisches Palais am Themseufer den Besitzer.
Ich war gespannt auf meine Klientin: die Frau hatte einen greisen Lord beerbt, und da sie mit ihm weder verwandt noch verschwängert war (ups, Freudscher Versprecher), dafür aber einundzwanzig Jahre jung und ledig, kombinierte ich, daß sie wohl seine Geliebte gewesen sein mußte.
Mein Gesicht hatte ich bereits abgetrocknet, den Kragen mit der Krawatte zugezurrt, doch als ich nach meiner Brille am Waschbeckenrand griff, stieß ich versehentlich gegen den Füller, den ich an dieselbe Stelle gelegt hatte, und er fiel zu Boden.
Es klopfte an die Tür vor mir. Schnell setzte ich die Brille auf und bückte mich nach dem Füller. Doch da öffnete sich die Tür bereits, und die Klinke erwischte mich mitten zwischen die Augen.
Während ich rücklings auf den Boden fiel, stellte sich auch der Schmerz ein. Ich glaubte schon mein Nasenbein gebrochen, da kam ein weiterer Schmerz hinzu, nämlich aus dem Arm, mit dem ich meinen Fall hatte abbremsen wollen. Ich lag mindestens fünf Sekunden reglos da und versuchte das Fluchen zu unterdrücken.
Inzwischen hörte ich auch Mrs Hopkins - „Oh Gott, Mr Aachen, oh Gottogottogott!"- sowie die Stimme meiner Besucherin, die etwas ruhiger klang und etwas von „tut mir echt leid" sprach.
Das verschwommene Bild vor meinen Augen sagte mir, daß ich meine Brille verloren hatte. Rechts von mir stand als violetter Fleck mit Sahnehäubchen Mrs Hopkins, und links von mir ein schwarzer Stiefel mit Metallabsatz und Silberschnalle, der wohl meiner Klientin gehören mußte - wie hieß sie doch gleich? Glynis Barber? Ach nein, das war eine Schauspielerin im Fernsehen... - Oh Gott, ich hatte ihren Namen vergessen! Wie sollte ich sie so begrüßen?
Inzwischen halfen mir die beiden Damen auf die Füße. Mein Blick glitt hoch an einem langen, schwarzbestrumpften Bein, während Mrs Hopkins fragte, ob mir auch nichts passiert sei. „Nein nein", sagte ich schnell, obwohl ich noch nicht wußte, ob ich es auch so meinte. „Nur meine Brille..."
„Sofort, Mr Aachen", rief Mrs Hopkins diensteifrig, ließ mich los und begann den Boden abzusuchen.
„Tut mir wirklich echt leid", hörte ich wieder meine Klientin Glynis Dingsbums sagen, während sie sanft über meine Stirn strich, „ich hab nicht gesehn, daß Sie hinter der Tür standen." Ich sah sie vor mir als schwarze Masse mit einem weißen Fleck, der wohl das Gesicht darstellte, und darin einem roten Fleck, der der Mund sein mußte. Trauerkleidung? Aber natürlich: es ging ja auch um ein Testament.
„Jaja!" rief Mrs Hopkins. „Diese ungestüme Jugend von heute! Achtet auf nichts mehr - übrigens können Sie Mr Aachen allmählich ruhig loslassen, junge Lady."
„Ja, Mam", erwiderte meine Klientin schnippisch und nahm ihre Hand aus meiner Achselhöhle.
Sie hatte so ein holländisches 'van' im Namen. Glynis... van Deich? Van Damm? Ach, verdammt!
„Hoffentlich haben Sie ne harte Birne, Mister", sagte sie, „das hat ja richtig geknackt..."
Ich winkte ab. „Vielen Dank für Ihre Fürsorge, Miss..." ...van Dime?
„...aber es ist wirklich alles nur halb so schlimm. So ein kleiner Unfall passiert ja jedem mal, oder?"
„Trotzdem nochmals Entschuldigung." Ich spürte, wie sie mir die Hand reichte und ergriff sie.
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Miss van Deeme." - Ha! Genau! Deeme! So hieß sie! Na endlich! „Vergessen wir's, all right? Ich freue mich, daß Sie mich beehren, und möchte gleichzeitig auch mein herzliches Beileid bekunden."
„Danke, danke", sagte sie. „Aber dazu möcht ich gleich noch ´n paar Dinge sagen..."
„Natürlich, natürlich!" stimmte ich zu. „Mrs Hopkins, haben Sie endlich meine Brille..."
„Hier, Mr Aachen." Endlich nahm die Welt um mich herum wieder feste Konturen an. Jetzt sah ich meine Klientin auch das erste Mal scharf, und ich muß sagen, sie war noch viel schärfer, wenn das Wortspiel erlaubt ist.
Ich weiß gar nicht, wo ich mit der Beschreibung anfangen soll, mir selbst jedenfalls blieben die Blicke zuerst an den großen, weißen Brüsten hängen, die aus dem überdimensionierten Ausschnitt des schwarzen Kleides hervorquollen, das bis auf zwei dünne Träger gänzlich schulterfrei war. Über den Ausschnitt hing beidseitig wie eine schwarze Seidengardine das lange Haar der Lady. Es reichte bis zu ihren Hüften und umrahmte ihr Gesicht als wilde Löwenmähne. Ihr Rock war seltsam. Er reichte fast bis zum Boden, war aber beidseitig bis zum Gürtel hochgeschlitzt und ließ die Beine frei.
Oh, die Beine! Sie waren lang und dünn. So lang und dünn, daß man einen Herzschlag bekommen konnte. Aber auch sonst war die Lady ausgesprochen lang und dünn wie eine Giraffe; Ich schätzte sie auf mindestens sechs Fuß bei höchstens hundert Pfund. Ich hätte ihr gerne etwas von meinem Gewicht gegeben, wenn sie mir dafür etwas von ihrer Größe gegeben hätte...
Die Ärmel ihres Kleides begannen erst am Oberarm und endeten in fingerfreien Handschuhen, aus denen lange, schwarzlackierte Fingernägel ragten.
Alles schwarz, nur die Haut kalkweiß...
Übrigens trug sie eine sehr futuristisch wirkende zweistöckige E-Gitarre an einem Riemen hinter ihrer Schulter. Ich fragte mich sofort, ob sie darauf wohl auch spielen konnte, und ob sie vielleicht Mitglied in einer Band war. Wahrscheinlich Hardrock, oder sowas...
Kommen wir schließlich zum Gesicht. Auch das Gesicht war hoch und schmal, ebenso die Nase. Es war geschminkt, wirkte aber dennoch mädchenhaft und irgendwie verdammt gutaussehend. Die Augen schienen außerdem erstaunlich groß, was an der geschickt gemalten Umrandung liegen mußte. Und sie waren wasserblau. Mit dem roten Mund das einzige, das nicht schwarz oder weiß an dieser Lady war.
Unter ihrer Löwenmähne verborgen mußte sich eine ganze Galerie von Ohrringen befinden, denn jede Kopfbewegung von ihr verursachte ein Klimpern wie Kuhglocken auf einer Alm. - Aber pardon, ich dürfte eigentlich keinen derartigen Vergleich benutzen, denn in jenem Augenblick, als ich sie sah, kam sie mir so beeindruckend vor, daß ich fast vor ihr auf die Knie gefallen wäre. Gleichzeitig weckte sie auf eine sonderbare Art und Weise auch einige Gedanken in mir, die mir vielleicht nicht gekommen wären -oder zumindest nicht in jener Form-, wären wohl nicht noch ein paar Promille in meinem Blut gewesen.
Oh, Mann! Wie gut, daß mir ihr Name eingefallen war, noch bevor ich die Brille aufgesetzt hatte; im Augenblick wäre mir nämlich sicher nicht einmal mehr mein eigener Name eingefallen.
Aber das für mich Faszinierendste an dieser Lady; das, was mich am meisten an ihr verwirrte und woran sich mein Blick sofort festsaugte, das war der kleine silberne Schatten in ihrem linken Nasenflügel: ein Ring.

2

Zwar sind in London Nasenringe heutzutage keine Seltenheit mehr (es gibt hier ja bald soviele wie in Indien), und derart gekleidete Menschen habe ich auch schon viele gesehen, aber es macht doch einen Unterschied, ob man solche Personen nur flüchtig auf der Straße sieht oder im eigenen Büro hat und mit ihnen sogar sprechen kann. Der verstorbene Lord hatte offenbar einen für sein Alter recht ungewöhnlichen Geschmack besessen.
Ich wußte auch, daß diese schwarze Kleidung mit bleichem Teint kombiniert die Zugehörigkeit zu irgendeiner Subkultur anzeigte; so wie etwa das schäbige Aussehen der Punks oder die Nietenlederkluft der Rocker. Aber ich kam schon wieder nicht auf den Namen.
Inzwischen verstand ich auch Mrs Hopkins' Unfreundlichkeit besser; diese Glynis van Deeme kam aus einer völlig anderen Welt und war mit meinen bisherigen Klienten in keinster Weise vergleichbar. Aber daß ich Mrs Hopkins' Haltung verstand, bedeutete noch nicht, daß ich sie auch teilte. Ich stand diesem Mädchen unvoreingenommen, wenn nicht gar interessiert, gegenüber.
Ich bat Mrs Hopkins, uns alleine zu lassen, was sie mit einem mißbilligenden Blick dann auch tat, und bot meiner Klientin einen Stuhl an, den sie dann auch besetzte, nachdem sie ihre Gitarre abgeschnallt und gegen meinen Schreibtisch gelehnt hatte.
„Spielen Sie in einer Band?" fragte ich sie, während ich mich auf meinen Platz hinter dem Schreibtisch setzte.
„Nein", sagte sie und schlug die Beine übereinander -mein Gott, was für Beine...-, „das Ding da brauch ich nur zum Rückenkratzen."
Wie? Was hatte sie gesagt? Ich blickte sie verwirrt an, worauf sie in Gelächter ausbrach.
„Ach, Sie sind wirklich süß", rief sie. „Entschuldigen Sie bitte."
„Bitte, bitte", sagte ich und fixierte ihren Nasenring. Ging er wohl wirklich durch die Nase oder sah er nur so aus?
„Haben Sie schon mal was von den Dark Angels gehört?" fragte sie.
„Nein", sagte ich, „nur von den dreien für Charlie."
Wieder lachte sie. „Hey, Sie haben ja auch Humor!" Wenn sie wirklich ein Loch im Nasenflügel hatte, kam wohl bei einer Erkältung, wenn sie in ein Taschentuch schnaubte, der Schleim auch dort hinaus...?
„Na ja, wir warn nie eine sehr bekannte Gruppe", gab sie zu. „Und jetzt haben wir uns ohnehin getrennt."
„Wie schade", bemerkte ich, ohne zu wissen, warum eigentlich.
„That's life." Sie hob die Schultern. „Aber Michael wird schon was Neues für mich finden."
„Michael?"
„Unser Ex-Manager. Mein Freund. Er kommt mich übrigens gleich abholen, also fang´ wir mit den Formalitäten schon mal an."
Oha, schon wieder mit jemandem zusammen? Schade. Aber warum zum Teufel interessierte mich das überhaupt? Ich glaube, ich fand diese Frau nicht nur faszinierend, sondern auch auf Anhieb attraktiv und sexy. Am liebsten hätte ich sie sofort auf dem Schreibtisch genommen, und dabei an ihrem Nasenring geknabbert. Aber zwischen diesem Gedanken und der Wirklichkeit lagen fünftausend Jahre Evolution.
„Well, Miss van Deeme", hörte ich mich sagen und griff nach ihrer Akte, „dann wollen wir mal sehen, was genau anliegt. Meinen Brief haben Sie erhalten, sonst wären Sie ja nicht hier..."
„So isses", bestätigte sie. „Sie schreiben, ich hätt einen Lord Setts beerbt."
„Richtig. Er starb ohne bekannte Verwandte und hat in seinem Testament Sie als Alleinerbin eingesetzt. Die juristischen Seiten sind bereits abgeklärt, Sie müßten das Erbe nur noch übernehmen. Das ist mit ein paar Unterschriften und..."
„Aber wie kann das sein", fiel sie mir ins Wort, „wo ich doch nie irgend´n Lord Setts gekannt hab?"
„Nein?" fragte ich verwundert. „Das ist aber erstaunlich, wo er Ihnen doch sein gesamtes Hab und Gut vermacht hat. Sind Sie nicht vielleicht mit ihm um einige Ecken verwandt?"
„Das müßt ich eigentlich wissen."
Ich glaubte ihr kein Wort, aber warum hätte ich das sagen sollen? Sicher hatte sie ihre Gründe, dachte ich mir, gehen wir also auf ihr Spiel ein.
„Wollen Sie die Erbschaft nicht annehmen?" fragte ich.
„Das hab ich nicht gesagt", erwiderte meine Klientin, „es ist mir nur ´n wenig unheimlich, wissen Sie?"
„Nun, das kann ich verstehen, Miss van Deeme, das ist..."
„Ach bitte", unterbrach Sie, „dieses förmliche Miss van Deeme klingt so furchtbar. Möchten Sie mich nicht bei meinem Vornamen nennen?"
„Wenn Sie es wünschen..."
„Ich wünsche es."
Ich lächelte. „Also dann, Glynis..."
„Glyn - für meine Freunde..."
„Oh, danke", sagte ich.
„Bitte", lächelte sie. „Und Sie?"
„Ich was?"
„Wie nennen Ihre Freunde Sie?"
Das Gespräch wurde allmählich fast schon verdächtig vertraulich. Aber ich sah keinen Grund, abzublocken. „Albert", sagte ich.
„Würden Sie es mir erlauben, Sie Alb zu nennen?"
„Wenn es Ihnen Freude macht", brummte ich.
„Danke. Sie sind süß. Bitte fahren Sie fort."
Irgendwie störte es mich, süß genannt zu werden. Süß waren vielleicht Hunde, Teddybären oder kleine Schweinchen... „Ich werde Ihnen vorlesen, was die Erbschaft beinhaltet."
„Ja, das wär schon mal was."
Ich nahm die Akte, schlug sie auf und las vor:
„Das Grundstück No 29803 im Kreis Uster. 13 Hektar Land, zum Teil bewaldet, mit Anschluß an die Straßen Liverpool Street, Frederick Road und Newcastle Road sowie ein Uferstück der Themse von 300 Yards. Bebauung: Eine Hausruine aus dem 17. Jahrhundert, denkmalsgeschützt, ein Palais aus dem Jahre 1890 mit 18000 Quadratfuß Wohnfläche, 37 Zimmer, voll möbliert, zum Großteil antik. Ferner eine funktionsfähige Sägemühle aus dem 18. Jahrhundert, ebenfalls denkmalgeschützt. Und noch ein paar unwesentliche Kleinigkeiten, unter anderem ein gebrauchter Vauxhall. Liquides Vermögen, wenn man die Sparbücher und Wertpapiere dazuzählt, neunhunderttausend Pfund."
Glyns Augen waren während meines Vorlesens immer größer geworden, bis sie so groß waren, wie ich es mir nie hätte von einem menschlichen Wesen vorstellen können. „Was zum Teufel", rief sie schließlich, „und alles für mich?"
„So ist es." Ich klappte die Akte zu. „Alles in allem ein beachtlicher Wert."
„Meinen Sie?"
„Sicher ein Gesamtwert von mehreren Millionen Pfund."
„Obwohl der Lord mich nicht kannte?"
Jetzt übertrieb sie das Verleugnen vielleicht ein wenig.
„Moment, Glynis", sprach ich, „daß Sie ihn nicht gekannt haben, heißt ja nicht automatisch, daß er Sie nicht gekannt haben kann. Auf jeden Fall aber kannte er Ihren Namen und Ihre Adresse."
Glyn schlug die Hände über den Kopf und verdrehte die Augen nach oben. „Oh ja, wahrscheinlich ist er gar nicht tot und hat nur ne ausgefallene Idee entwickelt, mich anzusprechen."
Ich lachte kurz auf.
„Ja, Sie lachen", meinte Glyn unernst, „und am Ende kennt mich der Alte von einem unserer Videoclips oder Poster - obwohl ich keine Ahnung habe, wann und warum er sich sowas reingezogen haben könnte, und.... - stimmt, wie alt war er eigentlich?"
„Über neunzig, glaube ich."
Glyn winkte ab. „Okay, dann kann er mir wohl doch nicht mehr gefährlich werden. Ich hoffe, Sie finden das jetzt nicht makaber, aber es ist doch wirklich alles sehr seltsam, oder nicht?"
Ich hob die Schultern und lächelte. Ich fand den Gedanken weniger makaber als naiv, das wiederum wollte ich ihr aber nicht sagen, und so fuhr ich fort: „Nehmen Sie die Erbschaft also an, Glyn?"
„Wer kriegt das Zeug denn, wenn nicht?" fragte sie.
„Der Staat."
Sie setzte einen mondänen Blick auf. „Und wozu würden Sie mir raten, Alb?"
„Natürlich annehmen!" meinte ich. „Wenn es Ihnen nicht gefällt, oder wie auch immer, können Sie das Anwesen ja schließlich verkaufen."
Sie zögerte. „Mein sechster Sinn sagt mir, daß an dieser ganzen Sache irgendwo ein Haken ist. Das geht alles viel zu glatt, um wahr zu sein."
„Unsinn", sagte ich, „ich habe doch gesagt, es sei bereits alles geregelt. Sogar die Erbschaftsteuer ist aus dem Nachlaß bezahlt. Es ist alles legal, ohne Haken und Ösen und noch dazu ganz einfach. Ich brauche von Ihnen nur drei Unterschriften und Sie sind um ein erstklassiges Grundstück
mit einem Schloß darauf reicher. Wo soll denn da noch ein Haken sein?"
„Sie hätten Vertreter werden sollen", sagte sie resigniert. „Na gut, wo soll ich denn unterschreiben?"
Ich schob ihr die drei Dokumente hin und drückte ihr meinen Füller in die Hand. „Sie werden es nicht bereuen."
Dann unterschrieb sie. Sie hatte eine sehr geschwungene, gut lesbare Kinderschrift. Zu schade, daß ich von Graphologie nichts verstand. Obwohl, ich weiß nicht so recht, ob diese Wissenschaft kein Humbug ist. Mir hat ein Graphologe mal gesagt, ich wäre sehr kleinlich und würde schnell zornig.
„Na gut, dann war's das wohl", meinte Glyn und gab mir den Füller zurück. „Und wie geht's jetzt weiter?"
„Wir müssen unseren nächsten Termin miteinander absprechen. Wann hätten Sie Zeit?"
„Oh, aber Alb!" sagte sie mit erhobenem Zeigefinger. „Sie sind wohl ein ganz Schneller, was? Aber ich bin schon vergeben..."
„Nein, nein", sagte ich und mußte unwillkürlich lachen. „So war das nicht gemeint. Ich muß Ihnen doch noch das Anwesen zeigen..."
„Da find ich schon hin", winkte Sie ab. „Machen Sie sich keine Mühe."
„Das glaub ich gern, aber lassen Sie mich ausreden: Es ist im Testament bestimmt, daß der Testamentsvollstrecker -also in diesem Falle ich- Ihnen die Anlagen persönlich zeigt und die Tür zum Keller im Palais im Beisein von zwei Zeugen öffnet."
„Aha", sagte sie mit gespielter Mißbilligung. „Die Haken fangen schon an. Ich hab's ja gewußt. Na ja, vielleicht ist im Keller ja die Lösung des großen Geheimnisses."
„Wer weiß", erwiderte ich in Ermangelung einer differenzierteren Antwort.
„Na gut", meinte Glyn. „Was mich angeht, hab ich in nächster Zeit frei. Von mir aus könnten wir sogar sofort losfahren."
„Das ist sehr schön", erwiderte ich, „aber leider muß ich vorher noch zu Mrs Hopkins einen zweiten Zeugen auftreiben. Und das ist nicht so einfach."
„Nehmen Sie doch Michael!" schlug Glyn vor. „Er muß jeden Augenblick eintreffen; er müßte eigentlich sogar schon da sein, er hat gesagt, er holt mich gegen halb zehn ab."
„Ihren Manager meinen Sie?"
„Meinen Freund", ergänzte sie.
„Er ist wirklich zu beneiden", brummte ich.
„Soll das ein verstecktes Kompliment an mich sein, Alb?"
„Fassen Sie es auf, wie Sie wollen."
„Dann vielen Dank."
„Gut", sagte ich, „wenn Ihr Freund selbst nichts dagegen hat, kann er natürlich auch als Zeuge fungieren. Heute wird es trotzdem nichts mehr. Morgen früh vielleicht. Aber das sollten wir dann noch heute besprechen."
„Ich versteh ihn oft nicht", seufzte Glyn, „aber er muß wirklich jeden Augenblick kommen..."
Ich grübelte einige Sekunden über den Sinn ihrer Worte, fand ihn nicht und sagte schließlich: „Geben wir ihm noch eine Viertelstunde, all right? Wenn er bis dahin nicht kommt, ruf ich Ihnen ein Taxi."
Glyn nickte. Ich wunderte mich, wie gelassen sie das Ganze hinnahm. Also, wenn ich diese Erbschaft gemacht hätte, wäre ich erst mal für eine Woche verrückt geworden. Aber Frauen sind ja in sehr vieler Hinsicht seltsam. Wir Männer dürfen nicht darauf hoffen, sie jemals durchschauen zu können.
Mir kam ein Gedanke. „Möchten Sie vielleicht etwas zu trinken?"
„Trinken was?" fragte sie verwirrt.
„Na, auf Ihre Erbschaft", erklärte ich und ging zur Hausbar. „Darauf sollten wir, wie ich finde, einen trinken. „Oder haben Sie eine bessere Idee?"
Ihre verwirrte Miene wich einem Lächeln. „Sie sind hier wohl gut ausgerüstet, Alb...? Was haben Sie denn da?"
„Sekt oder Cognac. Den billigen Fusel biete ich Ihnen gar nicht erst an."
„Den Sekt bitte."
Ich goß uns beiden ein. „All right", sagte sie und hob ihr Glas, „trinken wir also auf diesen Lord Setts."
„Auf Lord Setts", bestätigte ich, dann tranken wir, und ich beobachtete interessiert, wie sie ihren Sekt schlürfte. Als sie absetzte, blieb von ihren Lippen ein rötlicher Fleck auf dem Glas zurück.
„Sagen Sie, Glyn", sprach ich, „ich will Sie schon die ganze Zeit etwas fragen."
„Warum fragen Sie nicht einfach, Alb?"
„Ist Ihr Nasenring echt?"
Sie lächelte und begann ihn zu drehen. Ist Ihnen vielleicht auch schon mal aufgefallen, daß Frauen, wenn Sie sie auf irgendetwas an ihrer Kleidung oder ihrem Schmuck ansprechen, sie sich immer sofort an die benannte Stelle fassen?
„Was verstehen Sie unter echt?" fragte sie."Er ist aus echtem Silber, wenn Sie das meinen."
„Nein, ich meine, ob er wirklich durch die Nase geht, oder vielleicht nur..."
„Natürlich! Was dachten Sie denn?" Sie griff den Ring mit beiden Händen, öffnete ihn und nahm ihn heraus. „Ich hab da ein Loch."
Sie drückte mir den Ring in die eine Hand und führte meine andere zu ihrem Gesicht. Es war mir jetzt ganz nahe, und tatsächlich konnte ich in ihrem Nasenflügel ein winziges, schwarzes Loch in der weißen Haut erkennen.
„Faszinierend", bemerkte ich.
„Das fand ich auch, als ich vor einem Jahr in Indien war. Darum hab ich's mir auch reinmachen lassen."
„Tat das nicht ungeheuer weh?"
„Schmerz und Lust liegen dicht beieinander", philosophierte Glyn, „Sie würden sich wundern, wenn Sie wüßten, wo ich sonst noch Ringe habe."
„Wo denn?" fragte ich. „In den Ohren, denk' ich, oder?"
„Ja, da natürlich auch..." Sie schob ihre schwarze Löwenmähne zurück und gab den Blick kurz frei auf ihre Ohrringgalerie. Ringe, Kreuze, Stecker. Alles Silber. Es mußten insgesamt ein Dutzend sein, doch bevor ich sie genau zählen konnte, ließ sie ihr Haar zurückfallen.
„Seien Sie so lieb und tun Sie meinen Nasenring zurück", forderte sie mich auf und schloß die Augen. „Solange können Sie ja raten, wo ich sonst noch Ringe habe. Ich weiß, das tun Sie gern..."
Ich wollte zuerst widersprechen, ließ es aber dann, denn diese Frau hatte mich offenbar vom ersten Augenblick an durchschaut. Unwillkürlich mußte ich lächeln, obwohl mir inzwischen die Hose zu eng geworden war und schmerzhaft drückte. Ich führte Glyn vorsichtig den Ring durch die Nase und schloß ihn so geschickt wie es meine kurzen Finger zuließen. Glyn ließ ihre Augen geschlossen, und ich hätte sie jetzt gerne auf den Mund geküßt, aber eine innere Stimme warnte mich, es besser nicht zu tun.
Sie öffnete die Augen. „Nun, was meinen Sie?"
„Keine Ahnung", sagte ich.
Sie lächelte und löste die Knöpfe unter ihrem Ausschnitt. Als sie meinen stutzigen Blick bemerkte, erklärte sie: „Wenn der Anblick schon der Öffentlichkeit zugänglich ist, warum sollen gerade Sie es nicht sehen, oder?"
Ich sagte nichts. Ihre Brüste lagen frei vor mir. Sie waren groß und weiß. Für einen Augenblick fragte ich mich, wie eine so schmale Frau einen solchen Busen haben konnte. An für sich bereits kein gewöhnlicher Anblick, besonders für mein Büro. Aber sie hatte von Ringen gesprochen, und es stimmte.
Durch ihre Brustwarzen führten silberne Ringe, etwas größer als ihr Nasenring.
„Was zum Teufel", murmelte ich, „sowas hab ich ja noch nie gesehen..."
„Das glaub ich Ihnen gern", sagte Glyn, „obwohl ich nicht die einzige bin, die sowas hat. In unserer Band hatten wir es alle vier; das war unser Markenzeichen."
„Soso, Ihr Freund also auch?" Für einen Moment fragte ich mich, was für eine Gestalt mich heute noch beehren würde.
„Nein, mein Freund gehörte doch nicht zur Band! Wir waren vier Girls; er war nur der Manager."
„Und wie sind Sie darauf gekommen? Auch in Indien?"
Sie begann an ihrem linken Brustring zu drehen. „Ich glaube, Susan hatte diese Idee zuerst. Wir haben es uns dann gegenseitig reingemacht. Mein Freund ist ganz scharf darauf."
Und als hätte sie meine Gedanken gelesen, führte sie meine Hand an ihre rechte Brust. „Auch echt, wie Sie es nennen; fassen Sie es ruhig an. Aber vorsichtig, da bin ich sehr empfindlich..." Ich berührte ihre Brust mit dem Ring und drehte ein wenig an ihm herum. Glyn stöhnte auf...
Für mich ein sicheres Zeichen, daß hier aufzuhören war. Zwar hätte ich sie inzwischen lieber noch als zu Anfang vernascht, aber wie gesagt, etwas in mir warnte mich, es zu versuchen. Und ich höre im Allgemeinen auf meine Instinkte; sie haben mich noch nie verraten.

3

Die Enttäuschung stand Glyn ins Gesicht geschrieben, als ich losließ und mich aufrichtete.
„Was würde Ihr Freund sagen, wenn er uns so sähe?" fragte ich.
„Er würde uns beide umbringen." Glyn lächelte plötzlich. Dann begann sie ihr Kleid zuzuknöpfen. „Er ist schrecklich eifersüchtig und manchmal auch etwas brutal. Ich dürfte ihn eigentlich gar nicht lieben, trotzdem tue ich es. Verstehen Sie das?"
„Leider bin ich kein Psychologe", antwortete ich. „Aber kann es sein, daß Sie eine Nymphomanin sind, Glyn?"
„Aber Alb, was denken Sie von mir?" lächelte sie. „Glauben Sie wirklich, ich hätte Sie an mich näher herangelassen? Oh nein, Sie sind nicht mein Held. Aber Sie haben Charakter, das muß ich Ihnen lassen."
„Weil ich Ihren Verführungskünsten widerstanden habe?"
„Nein, weil Sie meinem Körper widerstanden haben! Meinen Verführungskünsten, lieber Alb, würden Sie ganz bestimmt nicht widerstehen..."
So, wie Lord Setts nicht widerstehen konnte, dachte ich mir im Stillen. Für einen Moment überlegte ich, ob ich es auch aussprechen sollte, da hörte ich die Türklingel.
„Das ist sicher Michael", meinte Glyn. „Na, endlich. Schnell, setzen Sie sich an Ihren Platz."
Ich tat es, und eine leicht dumpfe Vorahnung beschlich mich. Mrs Hopkins meldete sich über die Sprechanlage, im gleichen Augenblick flog die Türe auf, und ein breitschultriger Hüne in schwarzer Ledermontur und dunkler Sonnenbrille stapfte wortlos in mein Büro.
Ansonsten sah er übrigens verblüffend normal aus: Keine wilde Mähne, nicht einmal Ohrringe. Dennoch war mir sein Benehmen nicht geheuer.
„Hi, Mikey!" rief Glyn. „Stell dir vor, ich habe ein Haus an der Themse geerbt. Von so einem Lord Setts."
Doch ‘Mikey’ schwieg. Auch grüßen tat er nicht.
Glyn redete weiter. „Mr Aachen sagt, das ganze wäre..."
Der Hüne packte ihren Nacken und zog sie aus dem Stuhl in die Höhe. Glyn verstummte.
„Du trinkst Sekt, Glyn?" sagte er mit heiserer Stimme. „Alkohol? Das hab ich dir doch verboten, weißt du nicht mehr?"
Glyn schwieg mit verkrampftem Gesicht. Ihr Freund ließ sie am ausgestreckten Arm verhungern.
Ich nahm meinen Mut zusammen. „Hören Sie", sagte ich zu dem Hünen, „Sie sollten..."
„Wer hat Sie denn gefragt", unterbrach er mich, „Mondgesicht!"
Normalerweise schlagen mir Anspielungen auf mein Äußeres auf die Magensäfte, doch jetzt war ich zum Aufregen zu aufgeregt. Ich fragte mich, was der Hüne wohl mit seiner Freundin anstellte.
„Du weißt doch, Glyn", sagte er zu ihr, „ich mag es nicht, wenn du trinkst." Er strich ihr zart über das Gesicht. „Das ist nicht gut für dich, das weißt du doch, oder?"
Ich sah, wie sie zu nicken versuchte. Der Hüne gab ihr einen derben Stoß. „Oder?!"
„J-jaaaa!" rief Glyn.
„Wenn du nicht tust, was für dich gut ist, werde ich böse, das weißt du doch?"
Glyn nickte. Sie tat mir leid.
Plötzlich packte der Hüne ihren Nasenring und begann daran zu ziehen. „Au!" schrie Glyn und packte seine Hände, um sie festzuhalten.
„Du kommst diesmal ohne Strafe davon", sagte er schließlich und ließ los, „schließlich mein' ich es ja nur gut mit dir..."
Glyn hatte den Kopf gesenkt, hielt sich mit den Händen die Nase und schluchzte leise.
„Ich finde es nicht richtig, wie Sie Ihre Freundin behandeln", sagte ich plötzlich. Normalerweise hätte ich in dieser Situation geschwiegen, aber jetzt... - das mußte am Alkohol liegen!
„Ich hab Sie aber nicht gefragt", bekam ich in verachtendem Tonfall zur Antwort, „nicht wahr, Glyn?"
Glyn nickte ohne aufzublicken. Na ja, was sollte sie wohl auch anderes tun? Ich schwieg und tat nichts.
Sie fragen sich vielleicht, warum ich diesen Macho nicht aus meinem Büro geworfen habe; die Möglichkeiten dazu besaß ich nämlich durchaus, aber ich tat es nicht. Zum Teil wohl, weil ich an dieser Szene eine Art sadistischer Neugier hatte; aber vor allem griff ich nicht ein, weil ich das Gefühl hatte, Glyn danach vielleicht nie wiederzusehen. Der Hüne hob nun sanft ihr Kinn, sah ihr in die Augen, und dann plötzlich -man glaubt es kaum- standen sie eng umschlungen und hatten die Lippen zum Kuß vereint.
Der Anblick erfüllte mich mit Abscheu und Verachtung, und unfreiwillig mußte ich an meine Jugendzeit zurückdenken, als ähnliche Situationen schon einmal ähnliche Gefühle hervorgerufen hatten. Allerdings konnte ich nicht entscheiden, ob Glyn das, was sie tat, auch gerne tat.
Die 'Liebenden' lösten sich, und der Hüne strich Glyn mit einem Finger die Tränen aus den Augen. „Ich liebe dich doch", sagte er, und fast glaubte ich, er müsse nun selbst zu weinen beginnen. Aber das war wohl etwas zu viel verlangt.
„Ich liebe dich auch, Mike", sagte Glyn. Wie rührend!
Da wandte sich der Hüne an mich: „Also, Mister, wir ham's eilig! Gibt's noch was zu erledigen?"
„In der Tat", erwiderte ich, „das Testament sieht vor, daß der Keller des Palais im Beisein von Miss van Deeme, mir und noch zweier Zeugen eröffnet wird, bevor sie die Erbschaft antreten kann."
„Hä? Was ist?" Der Hüne hob zynisch die Oberlippe. „Drücken Sie sich klarer aus! Was muß gemacht werden?"
„Hinfahren", erwiderte ich kühl, „Keller öffnen, unterschreiben."
„Und wofür?"
„Für die Erbschaft."
„Was kriegen wir denn?"
„Was Miss van Deeme erbt, fragen Sie sie am besten selbst."
„Wenn Sie mich verarschen wollen, Fettsack..."
„Schon gut, Mike", sagte Glyn, „das ist ein Riesengrundstück mit ein paar Häusern drauf. Es lohnt sich."
„Na gut, meinetwegen. Los, gehen wir."
„Morgen!" sagte ich scharf. „Um elf Uhr. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir!"
Der Hüne verzerrte sein Gesicht und tat einen Schritt auf mich zu, wobei Glyn ihn festzuhalten versuchte. Obwohl ich sonst ein Meister der Selbstbeherrschung bin, spürte ich plötzlich einen beschleunigten Herzschlag. Und für einen Moment schoß mir der Gedanke an den Revolver in der Schublade durch den Kopf.
Da entspannten sich plötzlich die Gesichtszüge des Hünen, und er sagte: „Bis Morgen, Mondgesicht."
Dann drehte er sich um und schleifte Glyn mit sich hinaus. Sie sagte nichts, aber der letzte Blick, den sie mir zuwarf, dafür alles.
Jetzt wäre ein guter Augenblick gewesen, über das ganze kurz einmal zu meditieren - wäre nicht Mrs Hopkins gewesen, die mein Büro stürmte.
„Mr Aachen!" rief sie. „Stellen Sie sich vor: diese unmögliche Person hat mich eine... - oh, Gott, dieses furchtbare Wort... ich kann es gar nicht über die Lippen bringen..."
„Dann lassen Sie es doch", brummte ich.
Mrs Hopkins erbleichte, aber ich gab ihr keine Gelegenheit, von neuem anzusetzen: „Für morgen, elf Uhr, haben wir einen Ortstermin. Ich brauche Sie als einen Zeugen. Wenn Sie also die Güte hätten, es in den Terminkalender einzutragen, Mrs Hopkins..."
„Hat das etwa mit diesen furchtbaren Leuten zu tun, die eben hier waren?" fragte sie.
„In der Tat", erwiderte ich und mußte wider Willen grinsen, als ich mir anfing, die morgigen Dialoge auszumalen.
Mrs Hopkins richtete sich so hoch auf wie es ihre Körpergröße und ihre Stöckelschuhe zuließen. „Bedaure, Mr Aachen, aber morgen wollte ich eigentlich zum Arzt. In letzter Zeit kommen mir Beschwerden am Herzen; wahrscheinlich infolge von Überarbeitung, und ich kann es nicht..."
Ich fiel ihr ins Wort: „Davon haben Sie mir aber bis jetzt nichts gesagt, Mrs Hopkins."
„Das wollte ich heute, Mr Aachen. Sie wissen doch, daß ich diesen Monat noch einen freien Tag zu bekommen habe. Und für morgen waren bis jetzt keine Klienten angemeldet."
Ich wurde unruhig. „Aber ich kann auf Sie morgen nicht verzichten, Mrs Hopkins."
„Wenn ich Ihnen tot umfalle, nütze ich Ihnen auch nicht viel."
Eigentlich das Beste, was mir passieren könnte, schoß es mir durch den Kopf. „Und was jetzt?" fragte ich.
„Es dürfte Ihnen doch nicht schwer fallen, Mr Aachen, für die beiden jungen Leute einen anderen Termin zu finden." Mir war klar, worauf die Schachtel hinauswollte, und mir war auch klar, daß hier keine Diskussion fruchten würde.
„Gut, Mrs Hopkins", sagte ich, „wie sie wünschen."
Sie dankte kurz und förmlich und verließ mein Büro. Ich wünschte sie zur Hölle! Wenn ich es hier jemandem recht machen mußte, dann dem Hünen von Macho-Rocker. Er konnte sicher nicht mal bis zwei zählen, also versuchen wir besser gar nicht erst, ihm einen neuen Termin vorzuschlagen. Nein, ich brauchte Ersatz für Mrs Hopkins. Und das nicht nur für morgen, denn mein Wunsch, sie loszuwerden, wurde allmählich zum festen Vorsatz. Sie widerte mich an in jeder Hinsicht. Gut, sie war tüchtig und für notarielle Maßstäbe repräsentativ, aber... nein. Viel lieber hätte ich dann schon eine kleine Blonde mit dummem Kichern und breitem Hintern - nicht nur für die Bürozeiten.
Oder so etwas wie Glyn...
Na ja, für das Vorzimmer eines Londoner Notars war sie wohl nichts, obwohl... wenn sie sich tagsüber normal anzog, die langen Haare zu einem Knoten steckte...
Und nach Feierabend wieder sie selbst. Ich würde mit ihr ausgehen, vielleicht gäbe sie auch ein kleines Konzert; und dann zu einem von uns nach Hause...
Es mußte wohl der Hauch von Sünde, Verbotenem und Verruchtheit sein, der mich an Glyn so stark reizte. Obwohl sie andererseits hilflos und unschuldig wirkte. Es ärgerte mich, daß sie diesem Wildschwein hörig war.
Aber so ist halt das Leben...
Ich fragte mich, ob ich schon immer so fatalistisch gewesen war. Warum sollte ich solchen kleinen Alltagsfragen nicht einfach mal nachgehen? Nun, ein Besuch in der Bibliothek war im heutigen Tagesprogramm durchaus drin. Hörigkeit war nicht das einzige, was mir im Kopf herumschwirrte.
Und damit war ich auch schon bei der Planung meiner Termine. Na gut, Mrs Hopkins war also zu ersetzen; darum mußte ich mich nicht unbedingt sofort kümmern. - Aber wen nahm ich morgen als zweiten Zeugen?
Für einen Moment fragte ich mich, ob ich die ganze Sache nicht einfach platzen lassen sollte; schließlich war kaum Dank darin, dafür mein Honorar geregelt. Es war ja nicht meine Schuld, wenn der Hüne so blöd war, und Glyn ihm nichts zu sagen wagte. Aber ich glaube, das wäre schäbig von mir gewesen. Also denn, was soll's...
Ich griff zum Telefon und wählte die Nummer meines besten Freundes, Bert Redwood. Er war zwar noch ein wenig verärgert über meine gestrige Trunkenheit, erklärte sich aber dann doch bereit, morgen um elf Uhr bei mir vorbeizukommen und als Zeuge zu fungieren. Sehen Sie: das ist wahre Freundschaft!

4

Den Rest des Tages kamen noch zwei Klienten, die ich lustlos abfertigte, danach fuhr ich zur Bibliothek. Allerdings verlor ich schnell die Geduld beim Suchen und gab mich bereits zufrieden, als ich über Hörigkeit soviel herausgefunden hatte, daß die abhängigen Frauen die Leere, die nach Auflösung der Partnerschaft in ihnen entsteht, mehr fürchten als alles andere. Deswegen dulden sie oft nicht nur Mißhandlungen an sich selbst, sondern auch an ihren Kindern.
Mit der Gewißheit, daß die ganze Welt Scheiße ist und alle Frauen verrückt, fuhr ich dann nach Hause.
Ich wohnte eigentlich nicht gern in jener trübsinnigen Drei-Zimmer-Mietwohnung, die noch meine Ex-Frau eingerichtet hatte; die weißen Wände mit den Modulmöbeln aus Glas und graulackiertem Holz waren wahrscheinlich die Ursache meiner ständig miesen Laune. Aber ich schob meine Pläne zur Neueinrichtung immer wieder auf.
Gegen die drückende Stille half der Fernseher, gegen den Hunger eins meiner tiefgefrorenen Fertiggerichte. Mein Kühlschrank war voll mit dem Zeug: Pizza, Goreng, Florida-Keulen, Rindsrouladen und was sich sonst noch ein paar kluge Leute zum Einfrieren ausgedacht haben.
Ich schob eine Pizza in die Mikrowelle, öffnete ein Bier und ließ mich vor dem Fernseher nieder. Es lief irgendeine dieser minderwertigen Familienserien, aber ich war zu faul, um nach der Fernbedienung zu greifen und ließ mich berieseln, bis die Pizza klingelte.
Sie schmeckte bitter, so wie jede Pizza aus der Mikrowelle. Ich bestrahlte mein Essen aber nicht aus Faulheit, sondern weil ich diesen bitteren Beigeschmack mochte. Schon komisch, nicht? Ich frage mich, was wohl diese selbsternannten Menschenkenner aus den Illustrierten daraus folgern würden.
Ich kaute diesmal lustlos und starrte Löcher in die graue Küchenzeile, die eigentlich eher in ein Krankenhaus gehört hätte. Und plötzlich überkamen mich lästige Fragen nach dem Sinn meines Lebens.
Materiell ging es mir gut; ich konnte mir alles leisten, was sich auch andere Durchschnittsbürger leisten konnten - aber ich leistete es mir nicht. Vielleicht sollte ich wenigstens mal verreisen, aber wohin? Und was sollte ich dort tun, und was danach?
Immer stärker fühlte ich, während ich ins Leere starrte, auch eine Leere in meinem Inneren von mir Besitz ergreifen; eine dunkle, eiskalte Leere...
Meine Ex-Frau besaß sie sicher nicht, diese Leere. Sonst wäre sie mir ja sicher hörig, oder? Aber nein, warum sollte sie, das wäre doch schließlich nur zu gerecht, oder? - Dieser Gedanke ärgerte mich plötzlich. Ja, er schien mich in den Wahnsinn treiben zu wollen.
Ich schob meine halbgegessene Pizza von mir, stand auf, zog meinen Mantel über, ging in die Kneipe an der nächsten Ecke und ließ mich vollaufen.

Der Wecker weckte mich um zehn Uhr. Mit schwerem Kopf kroch ich von der unendlichen Fläche des Doppelbetts, dem verödeten Schlachtfeld, und schleppte mich ins graugekachelte Badezimmer, um meinen Kopf unter's Wasser zu halten. Zuvor jedoch vergewisserte ich mich noch, ob auch wirklich Wasser aus dem Hahn floß und nicht etwa eine dicke, graue Brühe...

Ich holte Bert gegen halb elf von seiner Wohnung ab. Er empfing mich im Morgenrock, unrasiert und mit wirren Haaren, hatte sich aber schnell gerichtet. Als er in meinen Austin stieg, wirkte er mit seinem weißen Anzug und dem saloppen Halstuch, den Goldkettchen und dem Zahnpastalächeln wie ein reicher Playboy und ich wie sein Chauffeur. Und um diesen Eindruck auch nicht zu stören, stieg er hinten ein.
„Ich hab dich ja noch gar nicht gefragt", sagte er, „was für mich bei der Sache rausspringt."
„Ich geb dir die Gelegenheit, eine interessante Frau kennenzulernen, ist das nichts?"
Bert grinste. „Na, da bin ich ja mal neugierig."
„Aber nimm dich vor ihrem Freund in acht."
Als ich vor meinem Büro vorfuhr, standen Glyn und ihr Freund bereits unschlüssig vor dem Gebäude. Der Hüne sah genauso aus wie tags zuvor, Glyn dagegen nicht mehr so langbeinig und offenherzig, sondern ebenfalls in kompaktem Nietenlederdreß und mit Sonnenbrille. Neben den beiden parkte ein schweres Motorrad mit Windschutzscheibe und Antennen.
Ob sie mich gesehen hatten, konnte ich nicht sagen, auf jeden Fall stieg ich aus und ließ Bert den Wagen ins Parkhaus fahren.
„Ah, da sind Sie ja, Mondgesicht!" rief der Hüne schon von weitem. „Kommen Sie endlich! Wir frieren uns hier schon den Arsch ab wegen Ihnen!"
„Von mir aus hätten Sie auch zu Hause bleiben können", erwiderte ich, als ich auf Sprechweite herangekommen war, „Schließlich ist das hier nicht meine Erbschaft."
„Schon gut, Mondgesicht", sagte der Hüne. „Aber was Sie tun, ist doch Ihre verdammte Pflicht, oder?"
„Es ist fünf vor elf", sagte ich, „und ich habe Sie zu elf herbestellt. Meine Pflicht beginnt also erst in fünf Minuten. - Übrigens: Guten Morgen, Miss van Deeme. Wenn Sie mich einen Augenblick entschuldigen wollen..."
Glyn nickte. Für einen Moment glaubte ich fast, ihre leuchtend blauen Augen durch das Schwarz der Sonnenbrille schimmern zu sehen.
Ich ging in mein Büro und kramte die notwendigen Unterlagen aus dem Aktenschrank. Damit gerüstet kam ich wieder auf die Straße und wurde Zeuge, wie gerade Bert dem Hünen ins Gesicht boxte, dieser nach hinten torkelte bis ihn eine Mülltonne stoppte, welche er umwarf und deren Inhalt sich auf den Bürgersteig ergoß.
Sofort war Glyn bei ihrem Freund und wollte ihn anfassen, doch er schüttelte sie von sich.
„Was ist denn hier los?" rief ich.
Bert antwortete: „Dieser Knilch hat leider keine Manieren, Albert. Wenn das typisch für deine Klienten ist, beneide ich dich wirklich nicht."
Der Hüne faßte sich an den Mundwinkel, auf den er geschlagen worden war, sah das Blut an seiner Hand und ging auf Bert los. Dieser jedoch wich dem plumpen Angriff gekonnt aus und nahm den Hünen in den Schwitzkasten.
„Du Schwein!" keuchte dieser. „Laß mich los, oder ich brech dir alle Knochen!"
„Siehst du, was ich meine?" fragte mich Bert. „Was soll ich jetzt deiner Ansicht nach mit ihm tun?"
„Beruhige ihn", erwiderte ich. „Wir müssen noch ein paar Stunden mit ihm auskommen."
„Ich schlag euch den Schädel ein", gurgelte der Hüne mit hochrotem Kopf.
„Immer diese leeren Versprechungen!" Bert schüttelte den Kopf. „Aber wenn Sie artig sind, laß' ich Sie los."
Der Hüne erwiderte Heulen und Zähneknirschen.
Da passierte plötzlich etwas, womit ich eigentlich hätte rechnen sollen: Glyn mischte sich ein und versuchte, ihren Freund zu befreien.
„Lassen Sie Mike endlich los!" rief sie und fingerte an Berts Griff. „Er ist ja schon halb erstickt, Sie Brutalo!"
Ich sah Bert die Überraschung an. Doch als Gentleman tat er das einzig Richtige: Er sagte „Ihr Wunsch sei mir Befehl" und ließ den Hünen los.
Der war inzwischen reichlich schlaff geworden. Zwar fiel er nicht zu Boden, torkelte jedoch für einige Sekunden sinnlos umher, bis Glyn zu ihm ging und stützte.
Sofort kam er wieder zu sich und schüttelte sie ab. „Laß mich in Ruhe, ich komm schon alleine zurecht."
„Bist du okay, Mike?" fragte Glyn besorgt und strich ihm über das Gesicht.
Der Hüne packte ihre Hand und drückte so fest zu, daß sich ihre Mundwinkel vor Schmerz verzerrten.
„Ich habe dir nicht erlaubt, mir zu helfen", zischte er drohend.
„Aber dieser Mistkerl hat dir doch die Luft abgedreht", jammerte Glyn.
Da landete die erste Ohrfeige in ihrem Gesicht. „Ich wäre auch alleine mit ihm fertiggeworden", behauptete der Hüne. „Ich brauche die Hilfe einer Frau nicht, verstanden?"
„Aber Mike, ich bin doch deine..."
Die zweite Ohrfeige knallte. „Wenn mir eine Frau helfen muß, bin ich am Ende, klar?"
Glyn nickte tränenüberstömt. Da zog der Hüne sie an sich und umarmte sie wie den verlorenen Sohn. „Mach mir doch nicht immer Kummer, du dummes Mädchen", murmelte er liebevoll, und wiegte sie in seinen Armen. „Du weißt doch, wie empfindlich ich bin."
„Verzeih mir bitte", schluchzte Glyn, „ich will es auch nie wieder tun."
Und dann küßten sie sich wieder, so wie gestern. Nur mehrmals und stürmischer.
Bert und ich, wir sahen uns in die Augen und signalisierten gegenseitige Übereinstimmung. Er fand die Situation genauso grotesk wie ich.
Jetzt, da Glyns Freund ihr die Hilfe untersagt hatte, hätte ich übrigens gern gesehen, wie er nochmal von Bert in die Mangel genommen worden wäre. Vielleicht auch noch ein paar mal mit dem Kopf gegen meine Bürofassade.
Aber das hätte auch nicht viel genutzt. Dieser gehirnlose Bastard würde hinterher genauso gehirnlos und brutal sein wie immer. Und Glyn wäre weiterhin sein braves Sexobjekt und Prügelknabe.
Ich muß sagen, daß ich mich auch über sie ärgerte. Vor allem über sie. Ich konnte es einfach nicht hinnehmen, daß sich eine solche Frau an einen derartigen Hampelmann verschwendete. Daß sie nicht von ihm loskam, während so viele andere Männer ihre Zuneigung eher verdient hätten.
Ich glaubte nicht, daß der Hüne bei ihr eine Leere hinterlassen würde. Wenn er von alleine aus ihrem Leben verschwände, könnte sie vielleicht erkennen, was sie alles versäumt, und auch neue Beziehungen eingehen. Aber sonst - keine Chance.
In dem Moment kam mir zum ersten Mal der Gedanke, daß die einzige Möglichkeit, Glyn zu befreien, darin läge, ihren Freund umzubringen. Natürlich verwarf ich diesen Gedanken sofort wieder, so wie die Foltern von Mrs Hopkins. Doch zu der Zeit wußte ich noch nicht, was sich an dem Tag noch alles an Situationen ergeben würde.
Oh Mann, ich hatte ja keine Ahnung!

5

Während der Fahrt wurde kein einziges Wort gesprochen. Bert saß neben mir, der Hüne turtelte mit Glyn auf dem Rücksitz. Ich fragte mich, was Glyn wohl mit dem Erbe machen würde. Ob ihr Freund ihr wohl alles wegnahm, und wie es ihm bekommen würde, so eine reiche Freundin zu haben.
Ich fragte mich, warum nicht ich der Erbe sein konnte. Von so einem Schlößchen habe ich meinen Lebtag geträumt. Ich wüßte so etwas zu schätzen. Ich wüßte...
Aber wen interessierte das schon?
Ach, Scheiße!
Die Landstraße war leer, wir waren schnell am Ziel. Das Palais lag hinter einem weiten Vorgarten, den eine hohe Buchsbaumhecke umschloß.
Es war ein dreigeschossiger Bau aus roten Ziegeln, verziert mit weißen Ecken und Gesimsen. Zustand tadellos, insgesamt recht unauffällig.
Was nicht zu sehen war, ich aber aus meinen Unterlagen wußte, war, daß dahinter ein riesiger Garten lag, dahinter wiederum der Wald anfing, und in diesem die Hausruine aus dem 17. Jahrhundert vor sich hinrottete.
Seitlich floß die Themse vorbei, an deren Ufer die Sägemühle stand. Angeblich funktionierte sie noch, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, daß sie in den vergangenen fünfzig Jahren auch nur einmal in Betrieb gewesen wäre. Aber englischen Lords ist ja vieles zuzutrauen, auch daß sie eine Sägemühle, die sie nicht benutzen, jahrzehntelang instandhalten. Sich selbst hatte er ja auch ganz gut instandgehalten - neunzig Jahre, eine nette Zeit.
Aber daneben noch Glyn... - nein, irgendwie konnte ich sie mir trotz aller Phantasie nicht als Geliebte eines Mummelgreises vorstellen. Dazwischen lagen Welten! Die Potenz eines Neunzigjährigen besteht schließlich nur noch darin, seine Tabletten verdauen zu können. Und Glyn liebte ja nur ihren Freund, den Hünen.
Andererseits wiederum ging mir die Szene aus meinem Büro nicht mehr aus dem Sinn. Sie paßte nicht ins Bild, mehr wußte ich nicht zu sagen. Sie hatte mich zweifellos an ihr herumfingern lassen. Ob das vielleicht ein verkappter Hilfeschrei gewesen war? Die Gedanken führten, wie immer, zu nichts. Na gut, wir standen vor dem Palais. Ich hatte die Schlüssel zum Hauptportal und gewährte uns Einlaß.
Das Empfangszimmer wirkte irgendwie wie das Foyer eines Hotels: Fünf Meter hohe Wände, ein gigantischer Kronleuchter, dicker Teppichboden und viktorianische Schnörkel überall - aber nicht ein einziges Möbelstück.
„Wollen Sie sich erst das Haus ansehen?" fragte ich Glyn.
„Nein", antwortete der Hüne für sie. „Wir wollen endlich diese Scheiße hinter uns haben!"
Ich nahm meinen Blick nicht von Glyn. Sie nickte.
„Na gut", sagte ich, „dann gehen wir in den Keller."
Ich hörte den Hünen mißmutig brummen. Ich wußte, daß ihm nicht gefiel, hier nur die zweite Geige zu spielen, sei es auch nur pro forma. Aber was ihm miß-fiel, ge-fiel mir...
Das Treppenhaus lag am anderen Ende des Empfangszimmers. Die reich beschnitzte Holztreppe führte jedoch nur nach oben. Die Treppe in den Keller begann hinter einer Tür in der Küche, die links vom Empfangszimmer lag.
Auch zum Keller brauchte ich einen Schlüssel. Er ließ sich etwas schwer im Schloß herumdrehen, einem alten, halbverrosteten Ding aus Gußeisen, doch schließlich bekam ich die Tür auf. Feuchte, abgestandene Luft schlug uns entgegen und ein Vorhang von Staub rieselte aus dem Türsturz.
„Also ich geh da nicht rein", sagte der Hüne. „Das ist ja das totale Dreckloch!"
„Nur ein bißchen Staub aus dem Türrahmen", sagte Glyn.
„Ich hab dich nicht gefragt."
„Von mir aus bleiben Sie oben", sagte ich. „Es reicht, wenn wir drei gehen."
Der Hüne grunzte, was wohl eine Art Einverständnis ausdrücken sollte.
Ich tat den ersten Schritt, gefolgt von Glyn, danach Bert.
Plötzlich jedoch packte der Hüne Berts Schulter: „Sie bleiben oben, Mister. Es paßt mir nicht, wie Sie sie ansehen."
Bert nahm die Hand des Hünen von sich: „Und wenn ich Ihnen sage, was mir an Ihnen nicht paßt, stehen wir noch bis übermorgen hier."
Der Hüne brummte noch einmal, gab sich aber offenbar damit zufrieden.
Die Treppe führte ins Dunkel. Ein Lichtschalter befand sich gleich neben der ersten Stufe.
Im Lichte von einigen zwanzig-Watt-Birnen wirkte die Treppe gar nicht mehr so tief und bedrohlich wie zuvor im Dunkeln. Dafür wirkten aber auch die Wände nicht mehr so sauber. Im Gegenteil, sie waren dicht mit grünem Moos bewachsen, und ein paar schwarze Käfer spielten darauf Golf.
Jetzt war die Reihe an mir, mißmutig zu brummen, doch ich ging vor.
Am Ende der Treppe war ein großer, kahler, runder Raum mit einer weiteren Tür.
Die Tür, die eigentlich zu öffnen war.
Aus Holz, zwei Flügel, etwa drei Meter hoch, jeder Quadratzentimeter mit Schnitzereien voll. Auf beiden Türflügeln prangte in der Mitte ein großes Pentagramm, den Rest füllten runenartige Zeichen.
Noch interessanter als die Tür war jedoch Glyns Reaktion: Ihre Augen weiteten sich, und sie ging zum Schnitzwerk und streichelte das Pentagramm zärtlich.
Bert warf mir einen 'guck-mal-da'-Blick zu. Ich nickte.
„Na endlich etwas, das Ihnen gefällt", sagte ich zu Glyn.
Sie drehte sich um und sah mir mit einem seltsamen Blick in die Augen: „Bis jetzt hat mir alles gefallen, Alb. Mir schon..."
Sie drehte sich weg und ging in die Mitte des Raumes. „Öffnen Sie die Tür."
Ich kramte meinen Schlüsselbund hervor. Diese Tür besaß sieben Schlösser und eine Art Gummiversiegelung am Rahmen und zwischen den Flügeln, welche es abzukratzen galt. Ich begann mit den Schlössern.
Nebenbei bemerkte ich diesen gewissen Glanz in Berts Augen, mit denen er Glyn verschlang. Ich kannte diesen Blick von ihm sehr gut, noch aus unserer gemeinsamen Studienzeit. Keine Kommillitonin war vor ihm sicher gewesen. Obwohl: das ist der falsche Ausdruck, denn die Frauen waren es, die ihm in Scharen nachgelaufen sind. Bert hatte es. Und er sagte nie nein, jedenfalls ist mir kein Fall bekannt. Er hatte einen Terminkalender besessen, in dem er mit sechs verschiedenen Farben seine Termine mit den Frauen eintrug, denn es gab Tage, an denen hatte er tatsächlich bis zu sechs.
Er konnte wirklich jede haben, die er nur wollte. Aber ich glaube, es hat ihn nie glücklich gemacht. Er hat mir einmal gesagt, es sei wie eine Sucht. Und da hab ich ihn bedauert. Ich habe ihn bei aller Bewunderung eigentlich immer ein wenig bedauert - bis er Lady Duvall kennenlernte. An ihr schien sich zu zeigen, daß er offenbar doch zu einer festen Bindung fähig sein konnte. Natürlich hätte er diese Traumfrau ohne seine besondere Anziehungskraft niemals kennengelernt, aber das ist eine andere Geschichte.
Ich sah zu Glyn herüber. Sie lächelte Bert an und zwirbelte an einer Haarsträhne. Bei diesem Anblick überfielen mich plötzlich Beklemmungen. Nana, Bert, dachte ich mir. Du fängst doch wohl nicht etwa mit deinen alten Geschichten an?
Ich begann mit einem Messer das Gummi aus dem Türrahmen zu popeln. Es erwies sich als schwieriger als erwartet, denn das Zeug war ausgesprochen hart und zäh.
„Sind Sie ein Gothic?" hörte ich Bert sagen.
„Wie haben Sie das erraten, Bert?" erwiderte Glyn.
Gothic - ja natürlich: So hieß diese Subkultur, auf deren Namen ich nicht gekommen war.
„Es war nicht ganz leicht", sagte Bert. „Ihr Freund ist ja mehr ein Rocker, und sie sind heute genauso gekleidet wie er. Aber ihre Gesichtsfarbe, Glyn, die schwarzen Haare
und... Ihre Aura... Sie können kein Rocker sein."
Ich hörte Glyn auflachen. „Wenn Sie wüßten, wie recht Sie haben. Zwischen meinem Freund und mir liegen Welten. Aber gottseidank macht es ihm nicht sehr viel aus."
„Was zieht sie an ihm so an?"
„Ich liebe ihn."
„Obwohl er Sie behandelt, wie einen niederen Sklaven?"
„Ich gehöre ihm ja auch. Ich weiß, daß er nicht immer gut zu mir ist, aber uns knüpfen unergründliche kosmische Bande zusammen, für die unser Menschsein nicht ausreicht, sie zu trennen."
Ich fühlte fast so etwas wie Erleichterung. Selbst wenn Bert rückfällig würde: An Glyn würde er sich die Zähne ausbeißen.
„Wenn unser Menschsein nicht, dann vielleicht etwas anderes...?" hörte ich ihn fragen. Typisch Bert, ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
„Ich weiß nicht", sagte Glyn. „Vielleicht, vielleicht auch nicht... vielleicht können sie gelöst werden durch eine andere Bande, die stärker ist... - wir haben auf diese Dinge keinen Einfluß. Wir müssen zulassen, daß sie auf uns wirken, sonst werden wir krank und unglücklich."
„Und? Sind Sie gesund und glücklich?"
„Ich weiß nicht... Sie verwirren mich, Bert. Sie strahlen etwas aus, das... das sehr stark ist..."
Mein Gott, das konnte ja wohl nicht wahr sein!
Ich drehte mich um. „Du könntest mir mal helfen", sagte ich zu Bert, „ich werde allein mit diesem Gummizeug nicht fertig."
„Natürlich, alter Junge!" Bert trat neben mich und zog ein Taschenmesser. „Sie entschuldigen doch", sagte er zu Glyn.
„Tun Sie, was Sie tun müssen", war die Antwort.
Bert begann das Gummi auf der anderen Seite abzukratzen.
„Was ist mit Duvall?" fragte ich ihn.
Er lächelte. „Warum fragst du?"
Ich machte eine unauffällige Augenbewegung zu Glyn.
„Ach so. Na ja, wenn es unter uns bleibt, ist doch nichts dabei, oder?"
„Und was ist mit..." Ich sah zu Glyn herüber. Sie beachtete uns nicht. Sie kniete gerade vor etwas auf dem Boden und betrachtete es. „...mit dem, der gerade nicht da ist?"
„Ach der! Dieser hysterische Waschlappen ist doch kein Thema für mich."
„Bert! Das darfst du nicht tun!"
„Warum denn nicht?"
„Weil... weil, sie ist nicht eine von diesen, die du immer abschleppst!"
Wieder sah ich zu Glyn. Sie schien nichts mitbekommen zu haben. Immer noch beobachtete sie etwas auf dem Boden. Wobei ich diesmal bemerkte, daß dieses Etwas sich bewegte. Ich fragte mich, was es war und spürte plötzlich eine Gänsehaut.
„Du bist eifersüchtig, stimmt's?" Berts Stimme riß meine Aufmerksamkeit wieder an sich.
Ich eifersüchtig? „Quatsch, ich..."
„Komm, Albie, reden wir nicht mehr drüber. Dir werde ich sie natürlich nicht ausspannen."
„Du siehst das völlig falsch, ich..."
Ich hielt inne. Waren da nicht Schritte?
Ich drehte mich um. Jemand kam die Treppe herunter. Es war der Hüne.
Er musterte Bert und mich mit einem Blick als wären wir zwei gebrauchte Kondome, dann ging er zur kauernden Glyn hinüber.
Glyn beachtete ihn nicht, sie hatte das schwarze Etwas in der Hand. Es war ein Käfer, der müde mit den Fühlern wackelte und träge über ihre Finger kroch. Der Hüne trat neben Glyn und kickte ihr mit dem Fuß den Käfer aus der Hand. Dann zertrat er ihn. Es gab ein leises Knacken.
Glyn sah ihn mißbilligend an.
„Hey", sagte der Hüne. „Sieh mich gefälligst etwas freundlicher an. Immerhin bin ich zu dir in dieses ekelhafte Dreckloch runtergekommen."
Glyn stand auf und blies die Luft aus der Nase. „Dazu hat sicher viel Mut gehört, was?"
Der Hüne stutzte fassungslos. Dann gab er Glyn eine derart kräftige Ohrfeige, daß sie zu Boden fiel.
„Ich sehe, das Geld beginnt dir schon zu Kopf zu steigen!" schrie er. „Du denkst wohl, plötzlich wärst du was Besseres und könntest von nun an so mit mir reden, was?"
Glyn setzte sich auf. „Entschuldige, Michael. Es tut mir leid, ich hab nur gedacht..."
„Schnauze! Ich weiß genau, was du gedacht hast!" Er tat einen Schritt auf sie zu.
Glyn wich auf dem Hosenboden rutschend zurück, der Hüne folgte ihr.
„Okay, Michael", flehte sie, „ich hab's kapiert. Bitte... lassen wir es damit gut sein, oder?"
„Du weißt Glyn, wenn wir es einmal gut sein lassen, wird das zur Gewohnheit. Ich hasse es zwar, dich zu bestrafen, aber..."
Für mich war das Maß voll. Ich holte tief Luft...
Doch Bert kam mir zuvor. Er sprang zu Glyn und half ihr auf.
Der Hüne stoppte in der Bewegung. Mißtraurisch musterte er Bert. Dieser sagte: „Er reicht jetzt, Mister."
„Komm sofort her, du ungezogenes Gör!" schrie der Hüne Glyn zu. Doch die drückte sich nur noch fester an Bert.
Dem Hünen fiel die Kinnlade auf die Brust. „Ja... aber..."
Dann folgten einige Sekunden Schweigen.
Ich horchte während dieser Zeit in mich, und tatsächlich fühlte ich so etwas wie Eifersucht, wie Bert gesagt hatte.
„Geben Sie sie mir, Arschgesicht!" zischte der Hüne Bert
an.
„Wollen Sie Ärger, Mann?" fragte Bert. „Ich hab Sie heut morgen schon einmal aufgemischt, bevor mich ihre Freundin stoppte."
„Jah, aber heute morgen war ich noch lange nicht so sauer wie jetzt!" Plötzlich hatte er ein Messer in der Hand.
„Seien Sie doch vernünftig" waren Berts letzte Worte, bevor der Hüne ihn mit einem Schrei ansprang. Glyn torkelte zur Seite, und schon waren Bert und der Hüne im Handgemenge.
Bert hatte noch sein Messer vom Gummikratzen, insofern waren die Kräfte wieder fair verteilt. Der Kampf dauerte aber nur wenige Sekunden, dann hatte der Hüne bereits einen Stich im Oberarm und ließ sein Messer fallen. Er torkelte sinnlos umher, faßte sich an die Wunde und krähte wie am Spieß, bis er schließlich an einer Wand zur Ruhe kam und anfing zu weinen.
Bert keuchte wie ein Asthmatiker und löste etwas seinen Kragen. In der anderen Hand immer noch das blutige Messer. Dieses warf er jetzt weg, und Glyn fiel ihm um den Hals. Und das Unglaubliche: sie küßte ihn mit stürmischer Leidenschaft.
Zu diesem Anblick hätte jetzt am besten diese typische Filmmusik aus Hollywood gepaßt. Aber sie erklang nur in meiner Phantasie. Die Realität war totenstill.
Bert erwiderte die Leidenschaft allerdings nicht. Mit sanfter Entschlossenheit drückte er Glyn von sich.
Ich wußte, warum. Glyn jedoch nicht, und sie blickte Bert verständnislos an.
„Es geht nicht", sagte er. „Tut mir leid..."
Ein kurzes Schweigen. Glyn sah Bert tief in die Augen, dann landete sie plötzlich eine Ohrfeige in seinem Gesicht.
Und während Bert sich verwundert an die Wange faßte, erschien plötzlich wieder der Hüne im Geschehen. Mit einem primitiven Schrei und in geduckter Haltung rannte er gegen Bert und traf mit dem Kopf seinen Bauch.
So ineinander verkeilt fielen sie gegen die Holztür mit den Pentagrammen und stießen sie auf. Wie die blechernen Türen einer Geisterbahn, wenn die Gondel dagegenfährt, flogen die beiden Türflügel auf. und im selben Augenblick bekamen wir einen derartigen Durchzug im Raum, daß ich dachte, der Schädel wird mir von den Schultern geweht.
Ich hatte kaum Zeit, die Lage näher zu begreifen, da verlor ich schon das Gleichgewicht und klatschte schmerzhaft auf die Seite. Noch schlimmer als das wog der gleichzeitige Verlust meiner Brille.
Und dann hörte ich ein sehr vielsagendes Geräusch: Ein dumpfes Knallen, gefolgt von einem hellen, nicht enden wollenden Pfeifen. Die Tür oben zur Küche war zugeschlagen, und der Wind pfiff durch das Schlüsselloch.

6

Ich kam ausnahmsweise mal schnell wieder auf die Beine, und auch meine Brille mußte ich nicht lange suchen. Doch viel gab es trotzdem nicht zu sehen. Noch nicht.
Ich war allein im Raum. Auch auf der Treppe war niemand. Der Hüne, Bert und Glyn mußten jenseits der Pentagramm-Tür sein. Doch was auch immer dort lag, es war stockfinster, und ich hörte nichts außer dem Pfeifen der Luft durch das Schlüsselloch oben.
Letzteres wurde allerdings allmählich leiser, so wie der Wind auch immer schwächer wurde. Er wehte übrigens in Richtung Dunkelheit hinter der Holztür.
Plötzlich geschah wieder etwas: in der Dunkelheit entzündeten sich Feuer.
Es waren über zwei Dutzend, und mir fiel sofort ihre regelmäßige Anordnung in Reihen auf. Das kam mir zuerst ein wenig spanisch vor, aber mit zunehmender Helligkeit sah ich immer mehr.
Der Raum jenseits der Holztüre war ein bröckeliges Kellergewölbe. Ich war mal in einer Gruft gewesen in einem Domkeller, da hatte es ganz ähnlich ausgesehen. Nur war es da heller gewesen, und rote Seile hatten dem Besucher signalisiert: bis hierher und nicht weiter.
Die Feuer brannten in Schalen ähnlich denen der olympischen Spiele und verbreiteten ein fahles, unruhiges Licht. Warum sie gerade jetzt angegangen waren, habe ich nie erfahren, aber es war für mich auch äußerst zweitrangig.
In der Mitte, vor einem Steinaltar, kniete der Hüne über Bert und glotzte mich finster an. Glyn stand hinter ihm, an den Altar gelehnt, und glotzte wiederum den Hünen an. Allerdings nicht finster, sondern eher entsetzt.
Bert glotzte nicht, denn er war tot.
Komisch, irgendwie wußte ich das sofort, als ich ihn so daliegen sah, dabei hätte er ja auch nur bewußtlos sein können.
„Es war ein Unfall", sagte der Hüne, als hätte er meine Gedanken erraten. „Tut mir leid für Ihren Freund, Mondgesicht."
Seine Kaltschnäuzigkeit verwirrte mich nun doch etwas, und so blieb ich erstmal wie angewurzelt stehen.
Der Hüne stand auf, faßte Glyn bei der Hand und zog sie mit sich. Sie gingen an mir vorbei, als gäbe es mich gar nicht, dann stieß der Hüne Glyn auf den Boden.
„Bitte, Michael, ich..."
Der Hüne brachte sie mit einem Fußtritt zum Schweigen. Ich stand immer noch wie angewurzelt.
„Es ist alles deine Schuld!" schrie der Hüne sie an. „Du hast dich benommen, wie eine billige Hure!"
„Ich weiß, Michael, aber bitte, glaub mir..."
Ein neuer Fußtritt. „Wenn du mir was zu sagen hast, können wir darauf später noch zurückkommen. Aber jetzt rede ich!" Der Hüne holte tief Luft. „Ich glaube nicht, daß du von Grund auf verdorben sein solltest, Glyn. Ich weiß, was dich dazu gebracht hat, heute die Hure spielen zu wollen: Diese ganze Aristokratenscheiße ist dir zu Kopf gestiegen und du denkst vielleicht, jetzt was Besseres zu sein. Aber du bist immer noch dieselbe Glynis van Deeme, die ich einmal aus der Scheiße gezogen habe, und das wird auch immer so bleiben, und wenn diese ganze Scheiß-Welt in ihrer Scheiße versinkt, hast du das endlich begriffen!"
Glyn war schon lange am Schluchzen, doch sie nickte. Der Hüne kniete nieder und packte sie am Kinn. Ich sah deutlich, daß er im Arm, an dem ihn Bert verwundet hatte, viel weniger Kraft hatte als im anderen.
Bert, ja... Ich drehte ich auf dem Absatz um und lief ins Gewölbe zu ihm. Irgendwie hatte ich plötzlich das Gefühl, daß ich ihm vielleicht noch helfen könnte.
Er lag da wie einer der vielen besoffenen Penner in den Londoner U-Bahn-Stationen. Aus der Nase lief ein Rinnsal von Blut in den halboffenen Mund. Als ich Bert bewegte, ergoß sich das Blut aus seinem Mund auf seine Hose. Im selben Augenblick meinte ich links von mir etwas zu sehen. Da war ein großes Loch in der Wand, und dahinter bewegte sich etwas, das irgendwie hellgrün war. Ich kann es nicht genau beschreiben, denn als ich hinsah, war es schon wieder weg. Eine Art grüner Schleier oder sowas. Eine Sehstörung, sagte ich mir und wandte mich wieder Bert zu. Kein Atem, kein Herzschlag. Er war wirklich tot. Die Todesursache war nicht schwer festzustellen: Bert war mit dem Hinterkopf auf eine Stufe des Altares aufgeschlagen. Sein Schädel hatte eine echte Ecke gekriegt.
Erst jetzt begann ich das Ganze zu begreifen. Und ich muß sagen, es setzte neue Dimensionen des Hasses in mir frei. Zwölf Jahre lang hatte ich Bert gekannt. Er war mir wie ein Bruder gewesen. Und jetzt von einem Augenblick zum anderen... ausgelöscht... - ausgelöscht von der Hand eines schwachsinnigen Arschlochs, der viel eher hier hätte liegen sollen! Plötzlich war mein Kopf voll mit einer einzigen Frage: wo bekomme ich ein Werkzeug zum Töten her?
Ein Stock, ein Stein, ein Revolver, eine Machete... ...ein Messer...
Ich hatte noch das Messer vom Gummikratzen! Hastig durchsuchte ich meine Taschen.
Das Ding war in meiner Hosentasche. Ich hatte es nicht zugeklappt, es hatte mir ein Loch in die Hose gebohrt und begann bereits im Futter zu verschwinden. Aber ich fischte es heraus. Bei Gott, ich riß es geradezu aus mir heraus. Dann rannte ich zurück in den Vorraum, wo der Hüne Glyn gerade nach Strich und Faden verprügelte.
Das steigerte meine Raserei nur noch, und ich holte noch im Laufen mit dem Messer aus. In Gedanken sah ich es bereits tief in seinem Rücken versinken...
Dummerweise muß er mich irgendwie bemerkt haben, denn noch bevor ich ihn ganz erreichte, wandte er sich von Glyn ab und mir zu. Ich konnte nicht mehr bremsen und rannte ihn über den Haufen. Mein Messerhieb traf nur Luft, dafür aber stieß ich mir gehörig das Handgelenk und ließ das Messer fallen. Es klingelte wie Weihnachtsglocken auf dem Steinboden.
Nun kam die Rache des Hünen. Leider war ich im Gegensatz zu Bert kein Gegner für ihn.
Die Ärzte sagen, wenn man bewußtlos wird, dann kann man sich nicht mehr merken, was zwei Minuten vorher passiert ist und erinnert sich später nicht mehr daran. Meine Erinnerung geht jedenfalls ab hier erst mal mit starken Kopfschmerzen weiter.
Als ich die Augen öffnete, lag ich auf der Seite und wußte sofort, daß ich immer noch in diesem trüben Raum war. Ich wußte auch sofort, daß ich meine Kopfschmerzen dem Hünen zu verdanken hatte, allerdings hatte ich keine Ahnung, wieviel Zeit seitdem vergangen war.
Gerne wäre ich noch ein bißchen liegen geblieben, aber irgendjemand fummelte in meinem Gesicht herum. Ich packte ihn mit der freien Hand.
Im selben Augenblick stellte ich fest, daß es kein Jemand war, sondern etwas: Ein Käfer.
Hatte ich meinen Ekel vor diesen Insekten bis jetzt im Zaum gehalten, so brach er jetzt voll aus: mit einem Schrei, der schon fast in der Kehle wehtat, schleuderte ich das Vieh in die nächste Ecke und sprang auf die Beine, daß es eine Freude war. Sofort verschwand das Tier in einer Mauerritze.
Dafür bemerkte ich einen zweiten Käfer an meinem rechten Ärmel und einen dritten am Hosenbein. Ich wischte sie ab und zertrat sie hysterisch.
Als nichts mehr von ihnen übrig war, konnte ich mich wieder meinen Kopfschmerzen widmen.
Ich hätte tausend Pfund für ein Aspirin gegeben. Mir war schwindlig, mir war übel, mir war alles.
Plötzlich fiel mir auf, daß ich allein war. Abgesehen von Berts Leiche natürlich, die noch immer im Nebenraum saß. Ich warf einen Blick zu ihm hinüber. Er tropfte nicht mehr, dafür bekrabbelten ihn gerade ein halbes Dutzend... - Schnell blickte ich wieder weg.
Ich mußte hier raus, die Polizei holen!
Ich lief die Treppe hinauf, wollte die Tür aufreißen. Da erlebte ich die erste böse Überraschung: Sie war verschlossen.
Ich tastete nach meinem Schlüsselbund. Aber dann kam die zweite Überraschung: Ich hatte ihn nicht mehr bei mir!
Aber wieso...?
Nach zwei Sekunden hatte ich die Lösung: Der Hüne mußte ihn mir abgenommen haben.
Gottverflucht! Er hatte mich eingesperrt, um sich gemütlich aus dem Staub machen zu können!
Schwellend vor Wut warf ich mich gegen die Tür, wieder und wieder. Plötzlich begann ich auch die Tür zu hassen, und ich warf mich noch stärker dagegen. Ich verfluchte ihren Erbauer, ich verfluchte den Schlosser, ich verfluchte meinen armselig-schwächlichen, halbblinden, fetten Körper. Ich wurde aber sehr schnell müde und begann bald den Schmerz in der Schulter zu spüren, der mich schließlich zwang, abzulassen.
Ich setzte mich auf die Treppe und weinte.
Ich fühlte mich hundeelend, hundeeinsam und auch sonst nicht gut beisammen. Alles schmerzte. Mir taten Stellen weh, an denen andere Leute nicht mal Stellen haben.
Ein juckendes Gefühl auf dem Schädeldach drängte sich dabei in den Vordergrund. Zuerst wollte ich nicht hinfassen, weil ich Angst hatte, ich könnte in eine riesige Wunde langen, aber nun wurde das Jucken so unerträglich, daß ich mir an den Kopf griff. Dabei stießen meine Finger auf einen nußgroßen Fremdkörper. Als ich ihn abnahm, sah ich, daß es ein Käfer war.
Ich zerquetschte ihn in der Faust.
Plötzlich fiel mir das Loch in der Wand in dieser komischen Altarkammer wieder ein. Vielleicht ein zweiter Ausgang? Nachsehen kostet nichts.
Der Raum mit Berts Leiche (ich vermied es peinlichst, sie anzublicken) besaß tatsächlich außer der Pentagramm-Tür zwei weitere Durchgänge. Einen rechts, einen links. Allerdings war es dahinter so dunkel wie in einer Höhle.
In der Schwärze links ereilte mich wieder eine grüne Erscheinung. Diesmal wirkte sie eher wie eine Rauchwolke, aber bevor ich sie richtig sah, war sie schon wieder verschwunden.
Irgendwie wurde mir unwohl, und ich fröstelte für einen Moment. Keine Macht der Welt hätte mich dazu überredet, in die Dunkelheit zu tappen. Aber hierbleiben konnte ich auch nicht...
Ich versuchte, mir eine Feuerschale zu nehmen. Die Dinger hingen von der Decke an dünnen Kettchen. Es war eigentlich nicht schwer, sie abzulösen. Schwer war nur ihre Handhabung, denn sie hatten etwa einen Meter Durchmesser. Ich hielt mir die Schale über den Kopf, dann ging ich los - erst mal tunlichst nach rechts.
Der Raum dahinter beinhaltete einen Steinsarkophag, den ich links liegen ließ. Mich trieb die Eile des Nervösen. Der Raum war zwar nur etwa zimmergroß, aber erst am anderen Ende merkte ich, daß es eine Sackgasse war.
Scheiße!
Ich drehte mich um. Die düstere Altarkammer wirkte aus meiner Perspektive wie das berühmte Licht am Ende des Tunnels, dem ich eilig zustrebte.
Als ich allerdings das zweite Mal am Sarkophag vorbei kam, nahm meine Neugier wieder Überhand. Ich mußte einfach hineinsehen.
Ich hätte es besser nicht getan.
Hier lag eine Leiche, von der man nicht mehr sagen konnte, ob sie Mann oder Weib war. Sie war eigentlich schon halb skelettiert, aber eben nur halb. Um den Rest an Fleisch stritten sich -na was wohl- natürlich wieder diese ekligen Käfer.
Und dann der Gestank... Mir wurde in Sekundenbruchteilen übel. Ich warf die Schale ab und rannte in den Altarraum, wo der Ort hinter dem Altar mein Frühstück in Empfang nahm.
Ohne übertreiben zu wollen, hatte ich mich in meinem Leben noch nie so absolut beschissen gefühlt. Der Wunsch, hier herauszukommen mündete schon fast in eine klaustrophobe Panik.
Ich griff mir eine neue Feuerschale und marschierte, solange mein Mut noch vorhielt, in den Raum links. Gott, war das unheimlich. Ich rechnete jeden Augenblick damit, daß hinter der nächsten Ecke etwas herauskommen würde.
Etwas grünes, wolkig-schleierhaftes...
Ich stellte es mir so lebhaft vor, daß ich, als es wirklich erschien, zuerst gar nicht bemerkte. Dann aber erstarrte ich.
Das grüne Etwas tanzte genau einen Meter vor mir. Es war eigentlich gar nichts Furchteinflößendes, nur eine Art Nebel, der grün fluoreszierte. Nur können Sie sich sicher denken, daß ich mich fragte, wie er hierherkam. Die Erscheinung dauerte nur wenige Sekunden, doch ich kam erst wieder richtig zu mir, als meine Arme begannen, schwer zu werden.
Ich sah mich um. Der Raum war quadratisch, kahl und leer, aber keine Sackgasse, im Gegenteil: Er besaß je einen Durchgang nach rechts und links. Ich ging rechts herum und fand mich in einer exakten Kopie des vorhergehenden Raumes wieder, allerdings mit nur einem Durchgang geradeaus. Dahinter wieder ein identischer kahler Raum, und wieder einer, und der letzte war eine Sackgasse.
Ich ging zurück kam wieder in eine Sackgasse. Wo war der Altarraum? War ich überhaupt hier entlanggegangen? Dieser Keller war das reinste Labyrinth, und ich hatte mich bereits verirrt.
Zu allem Überfluß begann ich jetzt auch noch Geräusche zu hören. Sie kamen aus den Nebenräumen und der Wand. Ganz leise, aber wenn ich mich nicht bewegte, hörte ich sie. Ein Kratzen, ein Tappen... - und ein Knurren, weit entfernt.
Zwischen Wahnsinn und Verstand ist oft nur eine dünne Wand. Und bei mir wurde die Wand allmählich kritisch dünn.
Da erschien der grüne Nebel wieder vor mir. Ich halluziniere, versuchte ich mir einzureden. Das alles geschieht nicht wirklich. Ich bin völlig allein. Aber diese Versuche waren nur halbherzig, denn die Vorstellung, hier absolut allein zu sein, war noch viel unbehaglicher.
Der Nebel kreiselte ein wenig umher, dann begann er sich plötzlich langsam vor mir zurückzuziehen. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich hatte ich die Idee, ihm zu folgen.
Ich ging auf ihn zu. Als ich in Griffweite war, zog er sich aber wieder ein Stück zurück, wenn auch nur soweit, daß ich ihn noch gut im Auge behalten konnte. Ich versuchte, den Nebel zu erreichen, aber er wich vor mir aus. So durchquerte ich mit ihm ein Dutzend dieser kahlen Räume, als ich plötzlich bemerkte, daß das Knurren aus der Ferne immer näher kam.
„Schneller", meinte ich jemanden flüstern zu hören, konnte aber die Richtung nicht bestimmen. Wahrscheinlich aber kam die Stimme aus meinem eigenen Gehirn, denn sie sprach auf Deutsch!
„Schneller, er riecht dich schon", hörte ich, und das Knurren wurde immer lauter.
Es kam von hinter mir!
Von wegen umdrehen! Fest umklammerte ich meine Leuchtschale und nahm die Beine in die Hand! Etwas sagte mir, daß ich dem grünen Nebel folgen müsse, also folgte ich. Wie ein
Führer zog er vor mir her - und plötzlich stand ich vor einer richtigen, hölzernen Tür.
Das Knurren war jetzt ganz nah - ich drehte mich um und erblickte durch etwa vier Räume hindurch ein rot leuchtendes Augenpaar in Hüfthöhe, daß rasch näherkam.
Der grüne Nebel dagegen war verschwunden.
Ich setzte alles auf eine Karte: ich schmiß die Feuerschale hin und drückte die Türklinke. Und die Tür...
öffnete sich!
Ich huschte durch und schlug sie hinter mir zu. Dann hielt ich krampfhaft die Klinke fest und spürte kurz darauf, daß sie jemand von der anderen Seite her zu drücken versuchte. Oh nein, Freundchen! Ich stemmte mich mit aller Macht dagegen.
Dann entdeckte ich einen Schlüssel im Schloß. Ohne zu überlegen drehte ich ihn zweimal herum.
Dann war plötzlich Ruhe.
Ich atmete auf und drehte mich um. Vor mir führten enge Stufen hoch. Von oben kam etwas Licht
herunter. Mit wackeligen Knien kletterte ich regelrecht hoch - und fand mich in einer Hausruine wieder.
Zweifellos war das die Hausruine aus dem 17. Jahrhundert, die noch auf diesem Grundstück stand. Sie war in der Tat sehr ruiniert. Dort, wo ich stand, standen die Mauern nur noch bis zu Schulterhöhe, etwas weiter hinten war zu erkennen, daß es mal ein Stockwerk gegeben haben mußte. Das Trümmerfeld war etwa zwanzig mal dreißig Meter groß, und rundherum von Wald umgeben.
Erleichtert stellte ich fest, daß es noch Tag war. In meiner Situation jetzt aus diesem Keller in einen nächtlichen Wald zu stolpern, das hätte ich nicht mehr ertragen. Allerdings stand die Sonne schon recht tief...

7

Vor mir lag der Wald. Ich beschloß, einfach in eine Richtung loszugehen. Irgendwo würde ich dann schon hinkommen. Die Erscheinungen im Keller begannen schnell in meiner Erinnerung zu verblassen, stattdessen grübelte ich über Bert, Glyn und den Hünen nach.
Der heutige Tag hatte mein Leben ziemlich verändert. Es würde nie mehr etwas so sein wie vorher. In erster Linie würde meine Einsamkeit zunehmen. Ich war nicht der Typ, der ständig Leute kennenlernt, weiß der Kuckuck, warum.
Oh Gott, wie sollte ich bloß nach London zurückkommen? Der Hüne hatte meine Wagenschlüssel... Und zuhause würden mir die Wohnungsschlüssel fehlen. Ei ei, zur Not könnte ich ja per Anhalter fahren, aber wie zum Teufel würde ich in meine Wohnung kommen?
Na ja, meine erste Station war sowieso nicht meine Wohnung, sondern die Polizei. Die würden mir vielleicht weiterhelfen können.
Was würde ich denen bloß erzählen? Wahrscheinlich fragen sie mich sowieso, was sie interessiert, darin sind die ja geübt...
Der Himmel wurde langsam rot. Ich ging etwas schneller. Wenn es hier über meinem Kopf dunkel wird, dann...
Scheiß-Tag!
Plötzlich wurde ich auf ein rhythmisches, schleifendes Geräusch aufmerksam.
-Usch!-usch!-usch!-usch...
Noch mehr Überraschungen...? Lieber nicht. - Obwohl: Wenn ich so recht darüber nachdachte, war mir eigentlich so ziemlich alles egal geworden. Nur meine Neugier war noch übrig von heute morgen. Ich ging in Richtung „usch-usch".
Das war übrigens, wie sich im Nachinein herausstellte, die sinnvollste Tat dieses Tages, denn das Geräusch führte mich zur Sägemühle, von der aus es einen gepflasterten Weg zum Haus gab.
Ein Schuppen mit viel Holz und Sägespänen war es, grünlich und schwärzlich von Schimmel und Fäule. Aber alles in allem ein recht gewöhnlicher Anblick.
Unheimlich war nur das Geräusch, das mich hierhergeführt hatte, es kam nämlich von der Hauptsäge: Sie war in Betrieb. Eine blitzeblanke Metallplatte, die sich zwischen zwei Schlitzen rhythmisch hoch und runter bewegte. Im Leerlauf, versteht sich.
Es war wohl eher Zufall denn Schicksal, daß ich um das Sägeblatt herumgehen mußte, und so die andere Seite zu Gesicht bekam.
Dort lag ein Finger.
Oder sagen wir so: er lag nicht still, sonst hätte ich ihn nicht bemerkt, sondern er klebte mit einer Ader oder Sehne oder was auch immer am Sägeblatt und vollführte so im Gleichtakt groteske Auf- und Ab-Bewegungen. Klingt vielleicht zynisch, aber es sah irgendwie lustig aus.
Ich ging ein wenig näher und beugte mich vor. Es war ein recht großer Finger, wahrscheinlich von einem Mann. Vorsichtig streckte ich die Hand danach aus.
„Nicht!" flüsterte plötzlich jemand hinter mir.
Ich zuckte zusammen. Bevor ich mich umdrehen konnte, stieß mich jemand nach vorne.
Rückblickend muß ich es als ein halbes Wunder betrachten, daß mein Kopf noch auf dem Hals sitzt, denn ich fiel mit dem Gesicht nach vorne und konnte für einen Moment das Sägeblatt auf meiner Haut spüren.
Ich fiel in eine Ladung fauliger Bretter und verstauchte mir die rechte Schulter. Bis ich mich zusammenrappelte und umdrehte, war natürlich keiner mehr da.
Obwohl ich auch so einen gewissen Verdacht hatte...
Andererseits hatte die Stimme genauso geklungen wie die im Keller. Und sie hatte „nicht" gesagt, auf deutsch. Sehr seltsam.
Ich verließ die Sägemühle. Allmählich wurde es dunkel, aber der Weg bis zum Haus war von hier aus nur noch etwa hundert Meter.
Und von hier aus bis zur Straße nur noch etwa fünfzig. Als ich sie erblickte, schien es, als würde ich Flügel bekommen. Im Nu war ich am Tor. Leider hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Das Tor war verschlossen.
Da half kein Schreien und kein Rütteln. Es verschlimmerte lediglich die Schmerzen in der Schulter.
Ich blickte auf die Straße: Mein Auto stand immer noch da.
Ich blickte das Tor empor: Ohne Schlüssel würde ich hier niemals herauskommen. Selbst wenn es mir gelänge, die Einfriedung hochzuklettern, so würde ich mich höchstwahrscheinlich nur an den Lanzetten oben aufspießen. Aber schon das Klettern konnte ich vergessen.
Ich saß also in der Falle.
Nur die Ruhe bewahren, sagte ich mir, und nahm einen tiefen Luftzug. Es wird sich eine Lösung finden.
Und als wäre es ein Geistesblitz, so ging daraufhin in einem Fenster des Hauses das Licht an.
Potztausend, mein Verdacht, hier nicht allein zu sein, bestätigte sich! Ich versuchte, die Bewegungen und Schatten im Fenster zu analysieren, doch irgendwie ging daraus nicht einmal hervor, wieviele Personen überhaupt in dem Zimmer waren. Aber das würde ich schon noch herausfinden!
Leise tappte ich zur Tür. Oder besser gesagt: ich versuchte nur, leise zu sein, denn unter mir knirschten mindestens drei Kilo Glasscherben auf dem Boden. Aber ich sah kein zerbrochenes Fenster. Seltsam.
Wie ein Dieb schlich ich mich durch das Hauptportal, durch das ich heute morgen noch wie ein König gekommen war und ging zuerst in die Küche. In einer Schublade fand sich ein schönes, großes Brotmesser, das ich befriedigt an mich nahm.
Derart bewaffnet berechnete ich, welches Zimmer wohl zum erleuchteten Fenster gehörte und suchte es auf. Es lag im ersten Stock, unter dem Türspalt kam Licht.
Ich schaute durch das Schlüsselloch. Leider sah ich nicht allzu viel, nur die Kante eines altmodischen Himmelbetts und einen barocken Stuhl. Und eine Gestalt ging unregelmäßig auf und ab. Allerdings so nahe vor dem Schlüsselloch, daß ich sie nur als Sichtverdunkelung wahrnahm.
Ich faßte mir ein Herz und trat ein. Ein gemütliches Schlafzimmer der viktorianischen Art. Im Kamin brannte Feuer.
Und wen sah ich? Glynis van Deeme.
Wir waren beide zu überrascht, um etwas zu sagen. Allerdings bemerkte ich bei Glyn ein ängstliches Zurückweichen, weshalb ich das Messer schnell in der Brusttasche verschwinden ließ.
Glyn sah nicht sehr gut aus. Sie hatte ein Veilchen über dem rechten Auge und einen Bluterguß am Kinn. Ferner blaue Flecken an den Armen. Über den Rest ihres Körpers schwieg die Lederkleidung.
„Sie sehen aus, als ob Sie unter einen Güterzug gekommen wären", bemerkte ich.
„Ich dachte, Sie wären tot", antwortete sie wegblickend.
„Das hätten Sie wohl gerne, was?"
„Nein!" Sie sah mir wieder ins Gesicht. Sie tat einen Schritt auf mich zu, als wolle sie mich berühren, dann verließ sie offenbar wieder der Mut.
„Sie bluten", sagte sie.
„Wo?"
„Am Hals - hier."
Ich griff mir an den Hals, und tatsächlich war meine Hand voller Blut. Das Sägeblatt! Ich hatte mich also doch daran verletzt!
„Sind Sie Michael begegnet?" fragte Glyn und rieb sich die Arme wie eine Frierende. Ich bemerkte, daß in ihrem Unterkiefer neuerdings ein Zahn fehlte.
„Ich weiß nicht genau", antwortete ich. „Irgendjemandem bin ich begegnet, aber ich habe ihn nicht gesehen - ich meine, das klingt jetzt blöd, aber..."
„Ich auch!" Glyn nickte. „Irgendjemand ist hier noch außer uns. Er beobachtet uns..." Sie blickte starr ins Feuer. Mir wurde unheimlich zumute.
„Wo ist Ihr Freund eigentlich?" fragte ich. „Warum läßt er sie allein?"
„Er ist im Wald. Er sucht nach einem Ausgang. Durch das Tor kommen wir nicht mehr raus. Keiner der Schlüssel paßt. Und stellen Sie sich vor, es gibt kein einziges Telefon im Haus."
„Ist er schon lange weg?"
„Schon seit Stunden."
„Hat er sie so zugerichtet?"
„Was...?"
„Ob er es war, der Sie so zugerichtet hat."
Sie blickte wieder weg. „Ich habe es verdient."
„Das glauben Sie doch selbst nicht!"
„Ich habe mich aufgeführt, wie die letzte Hure. Ich habe mich ihrem Freund an den Hals werfen wollen. Ich hätte noch viel größere Strafe verdient. Nur Dank Michaels Großherzigkeit..."
„Jetzt hören Sie doch endlich auf, Scheiße zu reden!" schrie ich. „Wissen Sie eigentlich, wie Sie aussehen?"
„Ich weiß, hier im Zimmer hing ein Spiegel."
„Hing?"
„Ich habe ihn rausgeworfen."
Die Scherben vor dem Haus...
„Hören Sie mal zu, Glyn: Ich blute aus dem Hals, Ihnen fehlt ein Zahn und mein Freund Bert ist tot!"
„Was glauben Sie, ein Arzt kann mir den Zahn doch wieder einsetzen? Ich hab ihn noch hier in der Tasche..."
„Verdammt noch mal, ich sagte BERT IST TOT!!!"
Glyn blickte mich einen Augenblick erschrocken an, dann brach sie in Tränen aus.
In einer Art Beschützerinstinkt nahm ich sie in die Arme und wiegte sie. „Ist ja gut. Nicht weinen, es wird ja alles gut."
Schwachsinniger Standardtext, aber er wirkt immer.
Glyn krallte ihre langen Nägel in mein Hemd und drückte sich an mich.
„Bitte... Alb... wenn Michael zurückkommt... bitte, beschütze mich vor ihm..."
Jetzt war ich aber wirklich überrascht. Ich hatte ja schon mit vielem gerechnet, aber mit dieser Wende nicht.
„Ich werde nicht zulassen, daß er dir wehtut", sagte ich und fragte mich, ob ich dieses Versprechen wohl erfüllen konnte.
„Michael ist kein böser Mensch", flüsterte Glyn. „Er ist ein großes Kind, nichts weiter. Er ist für seine Taten nicht verantwortlich."
„Ich glaube, das wird das Gericht entscheiden, vor das er wegen Totschlags kommen wird."
„Er wollte Ihren Freund sicher nicht umbringen..."
„Und doch hat er es getan."
Glyn löste sich von mir und wendete sich ab.
„Glauben Sie, ich bin mitschuldig?"
Mit so einer Frage hatte ich nicht gerechnet. Glyn war einfach nicht zu ergründen.
„Sie schweigen, Alb. Heißt daß, Sie glauben, ich bin mitschuldig?"
„Nun eigentlich kommt es mir nicht so vor..."
„Es ist eigentlich ganz gleich. Ich bin schuldig, auch wenn man mir vielleicht nichts anhängen wird. Ich habe Michael mit meinem Verhalten aufgehetzt - mit Absicht." Sie blickte mir wieder ins Gesicht. „Verstehen Sie, Alb, ich habe Schuld am Tod Ihres Freundes!"
Ich blickte verwirrt zurück.
„Werden Sie mich jetzt hassen, Alb?"
Ich schüttelte den Kopf. „Sie sind ein großes Rätsel, Glyn. Ein tiefes, unergründliches Rätsel..."
Stumm nickte sie.
Dann ging sie zum Himmelbett, auf dem einige Ordner herumlagen, die ich bis jetzt nicht bemerkt hatte.
„Glauben Sie, daß wir hier jemals wieder lebend herauskommen?" fragte sie.
„Wieso fragen Sie?"
„Glauben Sie an das Übernatürliche?"
„Wie kommt denn das jetzt hierher?" wollte ich wissen.
„Indem wir uns in einer konkret übernatürlichen Gefahr befinden."
„Wie kommen Sie denn darauf?"
Glyn nahm einen Ordner. „Hier steht alles drin. Über dieses Haus, über Lord Setts - und über mich."
„Was ist das?"
Sie streckte mir den Ordner entgegen. „Das war in der Bibliothek. Ein grünes Licht hat mich dahin geführt."
Verblüfft nahm ich den Ordner in die Hand.
„Grün, sagen Sie? Hatte es etwa die Gestalt eines... einer Wolke oder sowas?"
Glyns Augen wurden groß. „Woher wissen Sie das?"
„Weil... im Keller... da war auch so ein Licht gewesen. Es hat mich hinausgeführt. Ich habe darüber bis jetzt eigentlich nicht tiefer nachgedacht, aber..."
„Hat es zu ihnen auch gesprochen?"
„Nein... - das heißt, warten Sie, doch! Aber keine längeren Sätze, nur Bruchstücke."
„In welcher Sprache?" bohrte Glyn. „Konnten Sie etwas verstehen?"
„Oh ja, zufällig sprach es Deutsch, meine Heimatsprache."
„Moment... Deutsch ist Ihre Heimatsprache?"
„Ich komme ursprünglich aus Berlin, meine Eltern sind..."
„Jajaja", stoppte Glyn, „aber sind Sie sicher, daß es Deutsch war?"
„Ganz sicher."
„Nicht holländisch?"
„Holländisch?"
„Mein Vater kam aus Utrecht", erklärte Glyn. „Ich bin zwar schon hier in England geboren, aber mein Vater hat mit mir immer nur holländisch gesprochen, und so..."
„Moment", sagte ich. „Hat das Licht zu Ihnen also auf Holländisch gesprochen?"
„Ja. Und zu Ihnen auf Deutsch?"
Ich nickte.
„Sehen sie hinein." Glyn deutete auf den Ordner. Ich schlug ihn auf. Auf der ersten Seite war ein Foto von Glyn abgeheftet; so, wie sie in meinem Büro erschienen war.
Auf der zweiten Seite ein paar Nacktfotos von ihr. „War eine Jugendsünde vor ein paar Jahren", kommentierte Glyn. „Ein Magazin hat mir zweihundert Pfund dafür gezahlt."
Ich sah mir die Fotos genauer an: Zu der Zeit hatte sie schon ihren Nasenring, aber noch nicht die Ringe in den Brüsten. Dafür aber eine Tätowierung auf der Schulter, und zwar...
Sie blätterte weiter. Nun kamen Bildschirmfotos. Verwaschen zwar, aber man erkannte Glyn und drei weitere Mädchen in Schwarz, gerade ein Rockkonzert gebend.
„Das sind Videos von der Band", sagte Glyn. „Er hat sie fotografiert."
„Wer?"
„Lord Setts!"
Sie blätterte weiter und weiter. Viele, viele Fotos von Glyn in allen möglichen Posen und Kleidern.
„Alle Ordner voll mit Fotos von mir", sagte sie. „Nicht mal ich selbst hab von mir soviele Bilder. Ich muß für den Typen eine Art Fetisch gewesen sein."
Auf einer Seite schließlich war kein Foto sondern eine Grafik. Sie zeigte ein Pentagramm, das von Ranken umwachsen war.
„Und was ist das?" fragte ich.
Zur Antwort schob Glyn einen Ärmel ihres T-Shirts hoch. Ihre Tätowierung war identisch mit der Grafik.
„Lord Setts scheint ein Fan von Ihnen gewesen zu sein", sagte ich. „Wahrscheinlich hat er Ihnen deshalb auch seinen Besitz vermacht."
„Ach Alb, haben Sie denn immer noch nicht verstanden! Er hat mir nichts vererbt, denn er ist gar nicht tot!"
„Nicht tot?"
„Jedenfalls nicht im üblichen Sinne. Diese ganze Erbsache ist ein trojanisches Pferd, und dieses Haus ist eine verdammte Falle!"
„Und der Sinn?"
„Der Sinn bin ich, Alb. Lord Setts will mich. Mich allein, aber dazu muß er erst wieder einen Körper annehmen. Und zu diesem Zweck sind Sie hier, ist Michael hier und war Ihr Freund Bert hier."
„Was haben wir denn zu tun?"
„Zu sterben, Alb."

8

Obwohl mir eigentlich nicht im Traum einfiel, irgendwelche Übernatürlichkeiten in Erwägung zu ziehen, waren mir Glyns Worte mehr als unheimlich. Besonders, da Bert bereits tatsächlich tot war, und ich zusammen mit Glyn und dem Hünen eingesperrt.
Ferner war da doch noch ein Toter im Keller gewesen...
Plötzlich fiel mir auch der Finger in der Sägemühle ein, und irgendwie beschlich mich der Gedanke, daß der Hüne möglicherweise auch schon tot war. Aber wer hätte ihn umgebracht?
Teufel, mich begann zu frösteln.
„Sie glauben doch nicht ernsthaft, Glyn, daß wir durch Zauberei unser Leben verlieren werden?"
„Das nicht. Lord Setts wird aber durch jeden Tod stärker werden!"
„Und wie sollten wir dann sterben?"
„Wir werden uns gegenseitig umbringen."
Ich mußte lächeln. „Und wenn wir es einfach nicht tun?"
„Das wäre zu schön um wahr zu sein. Es steht schlecht. Ich habe Angst, wenn Michael zurückkommt..."
Ich nickte. „Einen hat er ja schon."
„Glauben Sie mir, das ist allein meine Schuld. Wenn ich das geahnt hätte, hätte es nicht soweit kommen müssen."
„Warum nehmen Sie Ihren Freund bloß so sehr in Schutz."
„Wissen Sie das wirklich nicht, Alb?"
„Nein."
„Weil ich ihn immer noch liebe. Er ist ein großes Kind Alb, er braucht meine Liebe, sonst geht er zugrunde."
„Aber das ist doch kein Leben für Sie an seiner Seite! Er hat Sie regelmäßig mißhandelt, und nun auch noch einen Zahn ausgeschlagen. Was kommt als nächstes? Außerdem hat er Bert getötet. Dafür kommt er garantiert ins Gefängnis."
„Was sind schon die kleinen körperlichen Wehwehchen gegen die Abgründe der Seele?"
„Ich geb's auf, Glyn."
„Tun Sie das, Alb, aber versprechen Sie mir eins, bitte..." Wieder klammerte sie sich an mich. „Wenn er kommt, müssen Sie mich beschützen."
„Keine Sorge, ich werde Sie beschützen, so gut ich kann. - Aber Moment: Ihr Tod wäre doch dem Lord der totale Strich durch die Rechnung."
„Das wäre für Michael bereits ein guter Grund, mich umzubringen. Aber ich denke, es würde anders ablaufen. Während er mich wieder verprügelt, würde ich mich versuchen, zu wehren. Und ich würde ihn dabei versehentlich umbringen."
„Unsinn, Sie sind doch viel zu schwach dazu, Glyn!"
„Da draußen ja, aber hier im magischen Bezirk... Hier ist vieles anders als in der normalen Welt."
„Sie scheinen ja ganz gut Bescheid zu wissen, Glyn. Erzählen Sie mir mal, wie Sie sich das Ganze hier vorstellen."
„Wissen Sie, Alb, in der Schule war ich eigentlich gar nicht so schlecht, wie manche Leute von meinem Aussehen her denken würden. Ich war sehr gut in Geschichte und in Fremdsprachen, die anderen Fächer gingen so. Mein einziger Schwachpunkt war Mathematik, aber der reichte. Deswegen habe ich auch den Schulabschluß nicht erreicht."
Ich hörte ihr schweigend zu.
„Wissen Sie, ich hatte schon immer so einen Hang zu magischen Dingen. Habe hunderte von Büchern darüber gelesen und auch selbst an vielen Seancen und ähnlichem teilgenommen. Klar, das meiste davon ist Humbug; aber so ein halbes bis ein viertel Prozent, das sollte man ernst nehmen!"
Glyn seufzte und ließ sich auf das Bett fallen. „Ich hatte schon als Kind einen Haufen Probleme deswegen. Besonders mein Vater hätte es lieber gesehen, wenn ich mich mit seiner Meinung nach realeren Dingen beschäftigt hätte, und versuchte immer, mich für andere Dinge zu interessieren. Natürlich gelang ihm das für den Moment auch immer wieder. Aber ich kam immer wieder zu meiner Magie zurück. Ich war übrigens schon mit zwölf ziemlich belesen in diesen Dingen. Leider interessierte das meine Lehrer wenig. Na ja, richtigen Streit gab es zwischen Daddy und mir erst, als ich mit siebzehn begann so zu werden wie ich jetzt bin. Mit schwarzen Klamotten fing es an, dann kaufte ich mir von meinem Taschengeld meine erste Gitarre und begann Musik zu machen. Ich war eine der ersten in den Anfängen der Gothic-Szene. Das schlimmste aber war für meinen Vater, daß ich die Kurve in der Schule nicht kriegte. Er wollte immer, daß etwas Vernünftiges aus mir wird. Wobei er natürlich unter Vernünftig seine eigenen Vorstellungen von ora et labora verstand. Er hat es sogar mal mit Prügel versucht. Aber ich habe ihm hinterher nur in die Augen gesehen und gesagt: Es war aus deiner Sicht sicher richtig, das zu tun, Vater. Aber aus meiner Sicht tue ich das Richtige, und wenn ich glaube, daß es das Richtige ist, muß ich es tun."
Glyn lachte. „Der Arme war ganz verwirrt. Aber er hat mir danach nie mehr Vorhaltungen gemacht."
„Was ist eigentlich aus ihm geworden?"
„Er ist gestorben, ein Jahr nach der Gründung der Dark Angels. Herzversagen. Aber nicht wegen mir, damit hatte er sich zu der Zeit schon abgefunden. Aber er hatte schon immer Probleme damit, nahm irgendwelche Tabletten..."
„Sie erwähnen nie Ihre Mutter..."
„Sie starb, als ich gerade sechs war. Ich kann mich kaum noch an sie erinnern. Mein Vater hatte auch komischerweise nie ein Foto von ihr, na ja. Was ich jetzt mit meinem irre langen Geschwätz sagen wollte, Alb, ist, daß ich ein wenig von dem verstehe, was dieser Lord Setts vorhat, und wie er es machen will. Er war schon über neunzig, als es ihm einfiel, mich plötzlich haben zu wollen. Warum gerade mich, das weiß ich nicht, aber Sie sehen es ja selbst, was für eine Sammlung er von mir hat. Unten in der Bibliothek stehen übrigens sämtliche Platten, die ich je gemacht habe und sämtliche Magazine, in denen ich je vorkam.
Setts muß sich zu Lebzeiten wahrscheinlich der schwarzen Magie verschrieben haben, auf jeden Fall hat er einen Weg gefunden, den Tod zu besiegen und er hat dieses Haus und das ganze Grundstück zu einer riesigen Falle umgebaut. Er hat es im Testament so eingefädelt, daß diese Falle aktiviert wird, wenn ich hier bin."
„Hm, ehrlich gesagt, ich glaube eher, daß hier irgendjemand herumschleicht und mit uns Katz und Maus spielt."
„Glauben Sie, was Sie wollen, Alb. Aber eins ist sicher. Der Tod Ihres Freundes war bereits der erste Schritt von Setts Plan. Und er hat etwas in Gang gesetzt, das wir inzwischen zu spüren bekommen haben. Aber es ist noch schwach. Es wird stärker werden, wenn Sie oder Michael sterben, und Lord Setts wird wieder leben, wenn Sie beide tot sind. Und das dürfen wir nicht zulassen!"
„Sagen Sie mal, glauben Sie an Gott, Glyn?"
„Warum fragen Sie?"
„Weil es mich interessiert."
„Gott ist ein schwammiger Begriff, Alb. Jeder versteht eigentlich was anderes darunter. Genauso wie unter dem Teufel. Ich glaube, die beiden sind ein und dasselbe."
„Wissen Sie, Glyn, wir haben extrem wenig gemeinsam. Aber im Wesentlichen wenigstens scheinen wir uns einig zu sein: Keine weitere Leiche. Wir müßten nur mal darüber nachdenken, wie wir hier wieder herauskommen. Ihr Freund hat nämlich die Schlüssel."
„Die nützen gar nichts. Er hat das Tor damit auch nicht aufbekommen."
„Dann müssen wir irgenwie anders hier heraus. Vielleicht gibt es hier im Haus eine Leiter."
„Nein!" Glyn sprang auf. „Hören Sie, wenn wir es hier bis zum Sonnenaufgang aushalten, ist alles überstanden! Aber wenn Ihnen etwas zustößt... Sie könnten sich zum Beispiel aufspießen, wenn Sie von der Leiter fallen, oder..."
„Quatsch, das ist doch alles Blödsinn!" Ich packte Glyn an den Schultern und begann sie zu schütteln. „Wir sind hier in Europa! Wir sind im 20. Jahrhundert! Es ist jetzt" -ich sah auf die Uhr -"zwanzig Uhr zehn, zu der Zeit kommen im Fernsehen Nachrichten. Bert ist tot! Mein Auto steht draußen, Ihr Freund ist mit den Schlüsseln weg, und wir müssen hier weg, bevor er wiederkommt! Können Sie das nicht endlich begreifen?"
Glyn schwieg, solange ich sie schüttelte. Dafür sah sie mich mit ihren blauen Augen derart durchdringend an, daß ich sehr bald aufhörte und mir plötzlich entsetzlich dämlich vorkam.
„Entschuldigen Sie bitte." Ich blickte beschämt zu Boden.
Sie hob mein Kinn mit dem Zeigefinger, um mir wieder in die Augen zu sehen. „Ich weiß genau, wie Sie sich jetzt fühlen, Alb, und ich verstehe Sie nur zu gut. Aber im Moment sind Sie es, der nicht begreift, nicht ich."
„Welchen Grund hätte ich schon, Ihnen zu glauben?" erwiderte ich. „Vielleicht haben Sie und Ihr Freund am Ende diese Sache selbst eingefädelt und wollen mich..."
„Sie wissen genausogut wie ich, daß das Blödsinn ist."
„Weiß ich eben nicht. Woher sollten Sie anhand von ein paar Aktfotos von sich so genau den Überblick haben, was hier läuft?"
„Das Ritual ist in einem Buch von Francis Greenhorse beschrieben, das ich mal gelesen habe. Drei Menschen müssen sterben, damit einer leben kann."
„Und woher wissen Sie, daß wir es jetzt damit zu tun haben?"
„Ein Exemplar dieses Buches ist auch in der Bibliothek dieses Hauses. Und die Seiten, die es beschreiben, sind herausgerissen und liegen auf dem Tisch."
„Haben Sie sie herausgerissen?"
„Ach, Scheiße, Alb!"
„Heißt das ja oder nein?"
„Nein, verdammt noch mal! Aber wenn Sie so verdammt neugierig sind, können Sie ja mal runtergehen und selbst nachlesen!"
„Keine schlechte Idee." Ich ging zur Tür.
„Warten Sie!" Glyn wirkte plötzlich erschrocken. „Gehen Sie lieber nicht!"
„Doch!" Ich hatte keine Lust, mich darüber weiter zu unterhalten, ich ging einfach hinaus.
„Lassen Sie mich nicht allein!" rief Glyn mir hinterher.
„Warum kommen Sie nicht mit?" fragte ich zurück.
„Ich habe Angst. Es ist sicher noch in der Bibliothek."
„Es? Meinen Sie das grüne Licht? Davor habe ich keine Angst."
Da war ich schon außer Hörweite. Die Tür zur Bibliothek war gleich die dritte nach der Treppe. „Library" stand über dem Türsturz.
Eine eigene Bibliothek in der Wohnung. Das könnte auch mir gefallen. Ach ja, dies war noch ein Haus, von dem es sich zu träumen lohnte...
Ich legte die Hand auf die Klinke. Da hörte ich plötzlich ein Knurren aus dem Zimmer.
Der Mut verließ mich wie Wasser einen zerlöcherten Becher.
Es ist noch im Zimmer...
Ich wußte, jetzt kommt die Stunde der Wahrheit. Im Keller war ich noch davongelaufen, jetzt würde ich den Dingen auf den Grund gehen. Koste es, was es wolle. Ich legte die Hand erneut auf die Klinke.
Langsam begann ich zu drücken.
„Nicht", flüsterte wieder die mysteriöse deutsche Stimme.
Doch!
Mit einem Ruck stieß ich die Tür auf. Gähnende Dunkelheit klaffte vor mir auf. Gleichzeitig ein Geräusch wie von einem betrunkenen Seemann, der rülpst. Und inmitten dieser Dunkelheit: Ein Augenpaar in Hüfthöhe. Ein Augenpaar wie zwei rotglühende Kohlen...
Fast hätte sich meine Blase entleert. Ich stand vor genau demselben etwas, das mich im Keller verfolgt hatte. Aber diesmal würde ich nicht weglaufen! Mit der rechten Hand griff ich nach dem Messer in der Tasche, mit der linken tastete ich nach dem Lichtschalter.
Es ward Licht.
Doch ich fand das Zimmer leer...
Niemand da...
Die Bibliothek war in der Tat nicht mehr als ein großes Zimmer mit einem sehr großen Tisch in der Mitte und zahlreichen buchgefüllten Vitrinen an den Wänden. Eine Vitrine war offen, und ihr Inhalt lag verstreut auf dem Boden.
Auf dem Tische wiederum lagen einige lose Blätter. Die Blätter, von denen Glyn gesprochen hatte!
Vorsichtig sah ich mich im Zimmer um. Niemand da. Verdammt noch mal, eben war es doch noch hier gewesen!! Ich ging einmal um den Tisch, sah darunter und zwischen die Schränke, suchte sogar die Decke ab. Aber hier war niemand.
Na gut, sollte mir auch recht sein. Ich machte die Tür zu.
Dann setzte ich mich an den Tisch und nahm die Papiere zur Hand. Das Messer legte ich griffbereit ab.
Es waren drei vergilbte Blätter, aus einem alten Buch herausgerissen, also insgesamt sechs Seiten. Allerdings stieß ich hier nicht wie erwartet auf eine Art Geheimrezept, sondern auf den Ausschnitt aus einem Reisebericht des Autors in Oberitalien.
Das ganze war voll aus dem Zusammenhang gegriffen, insofern begriff ich nur, daß der Autor sich dort mit einem Satansjünger treffen wollte, um etwas über deren Praktiken in Erfahrung zu bringen. Der Oberste Priester sollte zum Leben erweckt werden (offenbar war er also tot), und dazu bedurfte es dreier Menschenopfer.
Der Autor, ein gewisser Signore Greenhorse (so wurde er jedenfalls angeredet), schien auch irgendwie Dreck am Stecken zu haben, denn statt zur Polizei zu gehen, nahm er an der ganzen Sache mehr oder weniger teil, wenn auch nur als Zuschauer.
Ich kann mich an den Kram, den ich da las, leider nicht mehr im einzelnen erinnern, auf jeden Fall aber schien es irgendwie wichtig zu sein, wie die Opfer starben. Sie mußten nämlich Blutschuld auf sich laden und im Haß sterben; andernfalls war die Sache für die Katz. Dazu gab es auch ein Beispiel für eine andere, mißlungene Zeremonie, die irgendwie daran gescheitert ist, daß einer der Beteiligten Skrupel, wenn nicht gar Mitleid hatte, und dann irgendwie alles schiefgelaufen ist. Überhaupt waren angeblich alle Arten von positiven Gefühlen sehr schädlich für das Gelingen der Zeremonie.
Sehr wichtig war auch, daß die Opfer alle innerhalb von 24 Stunden starben, denn wenn zwischen den Toden zuviel Zeit verging, wurde der aktivierte Geist des zu Beschwörenden wieder schwächer und konnte nicht wieder Fleisch werden. Nun, wie auch immer, die wortreichen Ausführungen des Autors begannen gerade zu beschreiben, wie sich die Sekte um Mitternacht im Schloß eines italienischen Grafen traf -der übrigens auch Mitglied war- und dann war schon die sechste Seite zu Ende.
Nun, was sollte ich dazu sagen? Glyn glaubte offenbar an diese Dinge, und danach wollte sie auch handeln. Sie wollte diese ganze Sache aussitzen.
Ich fragte mich plötzlich, ob das nicht vielleicht ein Trick war, dem Hünen einen Vorsprung zu verschaffen, damit er sich der Polizei entziehen konnte. Schließlich und endlich hatte er uns hier eingeschlossen und war mit den Schlüsseln verschwunden.
Zugegeben, einige Dinge waren damit noch nicht ganz erklärt...
Plötzlich bemerkte ich einen Schatten, der von oben auf mich fiel. Ich sah hoch, wurde aber nur von den fünfzig Birnen des Leuchters geblendet.
Ich rieb mir die Augen. Ich fühlte mich erschöpft und ausgelaugt. Wieder fiel ein Schatten auf mich. Kurz. Es war, als würde eine Motte um den Kronleuchter schwirren. Kaum hatte ich diesen Vergleich zu Ende gedacht, klatschte etwas vor mir auf den Tisch. Eine Motte.
Aber eine Motte von der Größe einer Katze!
Ich erstarrte. Das Wesen blieb einen Moment reglos liegen, dann begann es sich zu bewegen und sah mir in die Augen. Ich träume, war mein einziger Gedanke. Das ist ein Alptraum, ich will aufwachen! Sofort!
Die Motte hatte große, weiße Augenkugeln mit roten Pupillen, die lebhaft hin- und herrollten.
Genau, dachte ich. Motten haben Insektenaugen. Keine mit Pupille. Das ist der Beweis: ich träume das alles nur!
Da platzte plötzlich der Leib der Motte auf, und ein armlanger Tausendfüßler kroch heraus.
Ich hätte eigentlich genug Zeit gehabt, einfach aufzustehen und wegzugehen, aber es war einfach derart grauenvoll, daß ich wie gelähmt sitzenblieb und ängstlich auf das wurmartige Gebilde starrte, das langsam und in Schlangenlinien auf mich zuschwirrte.
Als es den Tischrand erreichte, plumpste es mir in den Schoß und begann mein Hemd hinaufzukriechen.
Und ich Idiot traute mich keinen Finger zu rühren, stattdessen begann ich zu schreien, was das Zeug hielt.

9

Ich dachte, ich müsse sterben vor Angst und Ekel Ja, ich glaube, ich wollte sogar sterben, nur um diesen Anblick nicht mehr ertragen zu müssen.
Da war der Füßler plötzlich weg. Einfach so. Stattdessen spürte ich einen Druck an der Schulter und schrie noch lauter.
„Ist ja gut", sagte Glyn und schüttelte mich leicht. „Ich bin's doch nur, Alb!"
Was? Wie? Ich brauchte mehrere Sekunden, um zu erkennen, daß meine vertraute 'Lady in black' vor mir stand.
„Hey, Alb, alles klar?"
Jetzt erst merkte ich, wie schnell mein Herz klopfte. Ich stand sicher kurz vor dem Infarkt. Ich wollte sprechen, aber es kam absolut kein Ton heraus.
„Nun kommen Sie erst mal mit." Glyn half mir hoch und stützte mich, während wir wieder in das Schlafzimmer gingen.
Das erste, was ich dort wieder aus dem Munde bekam, war: „Wo ist hier eine Toilette?"
Ich mußte nicht weit gehen, der Nebenraum war ein kleines Badezimmer, wo ich mich entleeren und wieder etwas auffrischen konnte.
Der Spiegel sagte mir, daß ich recht abenteuerlich aussah. Die Bartstoppeln sprossen, die Haare wie Beethoven, das Gesicht wie ein Schornsteinfeger. Dazu eine lange Blutkruste am Hals.
Wenigstens mein Gesicht konnte ich waschen. Und mithilfe einer Bürste sah ich schon wieder etwas zivilisiert aus.
„Sie haben mich ja ganz schön erschrocken", meinte Glyn, als ich wieder ins Zimmer kam.
„Tut mir leid", sagte ich. „Aber ich bekam plötzlich Halluzinationen."
Als ich Glyn sich auf dem Bett räkeln sah, mußte ich plötzlich wieder an die Szene aus meinem Büro denken. Eine komische Situation. Wenn mir jemand gesagt hätte, ich wäre mit ihr am nächsten Abend in einem Schlafzimmer... die jetzige Situation kam mir auch irgendwie absurd vor.
„War es Michael?" fragte sie plötzlich.
„Was?"
„Haben Sie Michael gesehen?"
„Nein, nein. Ich bin ihm nicht begegnet."
„Mann, Alb, sind Sie schwer von Begriff! Ich meine, ob es Michael war, der Ihnen als Halluzination erschienen ist!"
„Wieso sollte er?"
„Weil er mir erschienen ist, kurz, nachdem Sie weggegangen sind. Es war schrecklich..."
„Sind Sie sicher, daß er es nicht wirklich war?"
„Völlig sicher. Als meine Angst am größten war, ist er nämlich spurlos verschwunden. Das tut der echte nicht."
„Fehlte ihm zufällig ein Finger?"
Glyn Augen weiteten sich. „Woher wissen Sie das? Ja, Scheiße, sein Mittelfinger fehlte, das Blut spritzte aus der Wunde. Sie sagen, Sie haben ihn nicht gesehen, woher wissen Sie es dann?"
„Weiß nicht, war nur so eine Idee..."
Ich durfte nicht weiter über diesen Finger in der Sägemühle nachdenken, er trieb mich noch in den Wahnsinn...
„Was haben Sie in der Bibliothek gesehen, Alb?"
Ich grinste künstlich. „Einen Tausendfüßler."
„Was, Tausendfüßler?"
„Kurz bevor Sie zu mir in die Bibliothek kamen, krabbelte ein gigantischer Tausendfüßler auf meinem Bauch. Es war ein so entsetzliches Gefühl, daß ich es gar nicht näher beschreiben kann..."
„Glauben Sie mir endlich, Alb, daß es hier ein paar Dinge gibt, die nicht normal sind?"
„Ich weiß nicht, ich fürchte, ich muß wohl..."
„Sie fürchten sich wohl sehr vor Insekten?"
„Eigentlich ist fürchten der falsche Ausdruck. Eher Ekel... aber wenn so ein Vieh auch noch so groß ist wie ein Haustier... ich habe manchmal Alpträume von solchen Monstern, aber im wachen Zustand..."
„Das ist Setts' Werk. Er schreckt uns mit Bildern aus unserer ganz privaten Schreckenskammer. Mit unseren eigenen Ängsten und Alpträumen. Irgendwo hab ich mal einen Fachbegriff dafür gelesen..."
„Oh Gott..." Ich griff mir an den Kopf. Ich fühlte mich, als wäre ich durch den Fleischwolf gezogen worden. Als wäre ich nicht mehr ich selbst.
„Interessant ist, daß er nur einen von uns auf einmal schrecken kann", erklärte Glyn weiter. Sobald zwei von uns zusammen sind, hat er nicht mehr genug Kraft, um uns zu beeinflussen."
„Und wieso macht er das?"
„Er will uns wahnsinnig machen. Wir sollen in Panik geraten und die Kontrolle über uns verlieren. Dann bringen wir uns eher gegenseitig um."
Mein Kopf schwirrte. Er war so voll und gleichzeitig doch so leer...
„Ich nehme mal an, ihr Freund erlebt im Moment da draußen auch einiges, das er seinen Lebtag nicht vergessen wird."
„Oh ja..." Glyn blickte düster in das Kaminfeuer. „Ich kann mir nur schwer vorstellen, was seine Alpträume sind, aber er ist von uns dreien sicher am leichtesten zu beeinflussen. Ich hab echt eine Scheißangst vor dem Moment, in dem er wieder zurückkommt."
„Er ist wohl Ihr Alptraum?"
Glyn seufzte tief. „Ich fürchte, es hat keinen Sinn, es zu leugnen. Ich liebe ihn mit jeder Faser meines Fleisches, aber ich habe mindestens genausoviel Angst vor ihm..."
„Warum lieben Sie ihn eigentlich? Wie sind Sie überhaupt an ihn geraten?"
„Das ist eigentlich eine ganz romantische Geschichte, Alb."
„Und zwar"?
„Hey, interessiert Sie das wirklich?"
„Warum nicht?"
„Sie haben recht, Alb: warum nicht? Wissen Sie, Michael war einmal der Anführer einer Rockerbande. Alles richtig schlimme Finger, auch er. Biersaufen, Leute terrorisieren, Verkehr unsicher machen und ständig Ärger mit der Polizei.
Und als wir uns kennenlernten, war es gerade Mode, Gothics zu terrorisieren. Das machen aber nicht nur Rocker. Als Gothic muß man sich damit abfinden, daß man irgendwie außerhalb der Gesellschaft steht. Einmal hat so eine Fernsehsendung was gebracht; war voll Scheiße, man wollte uns als Satanisten hinstellen, die Haustiere klauen und dem Teufel opfern. Ich dachte, ich muß gleich den Fernseher aus dem Fenster schmeißen!
Am nächsten Tag hat mich auch noch ein wildfremder Mensch angesprochen, ach was heißt angesprochen: angemacht hat der mich. Teufelsanbeter hat er mich genannt, Schlampe und Tierquäler. Und als ich sagte, er soll mich in Ruhe lassen, gab's ne Ohrfeige.
Ich lernte Michael kennen, weil mich seine Bande nachts um halb zwei auf der Straße anpöbelte.
Es sah voll nach Ärger aus. Die Kerle waren angetrunken und wollten´s wohl drauf ankommen lassen. Einer packte mich, ein anderer wollte meinen Rock hochziehen. Dann trat plötzlich Michael dazwischen. Er sagte mir, ich soll gehen, was ich dann auch sofort tat. Aber vorher sah ich ihm in die Augen. Und es klingt vielleicht komisch, aber da hat mich etwas tief berührt, hier drin." Glyn zeigte auf ihre Brust.
„Ich hab danach viel an ihn denken müssen. Bis er eine Woche später vor meiner Tür stand. Mit Blumen, stellen Sie sich das mal vor, Alb! Können Sie sich das vorstellen? Ein Rocker besucht eine Gothic in ihrer Wohnung und bringt einen Strauß schwarzer Tulpen. Ist doch echt abgefahren, oder? So hatte er's dann leicht, mich zu einem Date zu überreden. Das kann eine Frau einem Mann, der ihr Blumen bringt, doch nicht abschlagen, oder?"
Ich mußte lächeln, als ich mir Glyns Erzählung plastisch vorstellte. Und jetzt, da ich diese Zeilen niederschreibe, muß ich es wieder.
„Er lud mich in seine Stamm-Imbißbude ein, und dann fuhren wir auf seinem Motorrad durch die Gegend. Er erzählte mir aus seinem Leben, und ich lernte ihn etwas näher kennen. Wissen Sie, am meisten faszinierte mich an ihm sein absolut einfaches, geradezu kindliches Gemüt. So was hab ich noch nie erlebt. Er war so... so unkompliziert, so völlig das Gegenteil von mir! Und er sah zu mir auf, als wäre ich ein höheres Wesen. Das hatte seit Daddys Tod keiner mehr getan.
Als ich das erste Mal bereit war, mit ihm ins Bett zu gehen, sind plötzlich seine Kumpels aufgekreuzt. Sie waren schon zu besoffen, um eine gerade Linie zu fahren, aber noch nicht zu besoffen, um von Michael zu fordern, daß er mich mit ihnen teilen solle. Und die meinten das völlig ernst! Michael hat mir später erzählt, daß das früher bei ihnen üblich gewesen ist. Jetzt gab es aber stattdessen eine Prügelei. Ich vesteckte mich, bis alles vorbei war. Als ich wieder hervorkam, ging gerade die Sonne auf, und weder von Michael noch von den Rockern eine Spur.
Zwei Tage später stand er dann plötzlich wieder vor meiner Tür. Er hatte zwei blaue Augen und ein lustig geschwollenes Kinn und sagte mir mit mümmeliger Stimme, daß er sich von seinen Freunden wegen mir getrennt habe. Und seitdem sind wir zusammen. Und die verlorene Nacht haben wir seitdem hundertfach nachgeholt..."
Glyns Gesicht hatte einen zunehmend verklärteren Ausdruck bekommen. Und merkwürdigerweise konnte ich ihr plötzlich nachfühlen, was sie wohl für den Hünen empfunden haben mochte.
„In der Tat eine sehr romantische Geschichte", sagte ich. „Ich muß übrigens zugeben, ich hätte nie gedacht, daß es solcherlei Geschichten auch in Ihrem Milieu geben könnte."
„Ja, das tun die wenigsten. Dabei gehören Gothic und Romatik irgendwie zusammen. Okay, bei Rockern ist das wieder ganz anders. Michael und ich, wir sind schon irgendwie ein Kuriosum."
„Aber etwas scheint trotz allem schiefgelaufen zu sein, oder?"
„Sie haben recht, Alb. Es ist etwas schiefgelaufen. Es fing an, als ich mit der Band einen Hit hatte und das Video kurz auch im Fernsehen lief. Da hat er begonnen, sich zu verändern. Eigentlich hat er sich gar nicht verändert, es ist nur etwas aus ihm ausgebrochen, das schon immer in ihm war. Er wollte immer so was wie mein Ritter sein. Er wollte mich beschützen und versorgen. Und mir hat das auch gefallen, darum ging das lange gut."
„Aha, und Ihr Erfolg hat ihm dann Minderwertigkeitskomplexe verschafft?"
„Das auch, aber wissen Sie, in Michaels Art war schon immer etwas Beherrschendes. Etwas, das Widerspruch nicht duldet. Vielleicht halten Sie mich für verrückt, aber auch das hat mir wahnsinnig an ihm gefallen. Michael ist irgendwie ein Gewinnertyp, verstehen Sie?
Aber ich hab nun mal auch meine eigene Persönlichkeit. Meine eigenen Träume und Ziele im Leben. Damit ist er irgendwie nicht fertig geworden. Er will eigentlich immer nur das Beste für mich, er ist nicht böse. Er kennt eben nur keine andere Lösung für Konflikte als Gewalt.
Als er mich das erste Mal schlug, war er noch genauso entsetzt wie ich, später stumpfte er ab. Offenbar dachte er, wenn ich es aushalte, sei es wohl gar nicht so schlimm. Und so wurde mein Leben an seiner Seite mehr und mehr zur Hölle. Ich hätte ihn schon lange verlassen, täte er mir nicht im Grunde genommen so entsetzlich leid..."
Bei diesen Worten fiel mir plötzlich etwas ein. „Sagen Sie mal, Glyn, war es denn nicht so, daß Sie in Wirklichkeit Angst hatten, ihn zu verlassen? Ich meine nicht Angst vor seinen Schlägen, sondern Angst vor dem Alleinsein?"
„Quatsch, Alb, jemand wie ich bleibt doch nicht lang allein. Ich hatte Zeit meines Lebens immer einen Haufen Verehrer, außerdem..."
Glyn stockte. „Außerdem..." Sie blickte schnell weg. „Außerdem bin ich... ich meine..."
Sie sah mir wieder in die Augen, begann langsam an ihrem Nasenring zu drehen und schwieg.
Ich schwieg zurück. Was mir bei ihrem Anblick durch den Kopf ging, ist sehr schwer zu beschreiben.
Sie blickte wieder weg.
„Wo Sie recht haben, haben Sie recht, Alb", seufzte sie schließlich. „Ich glaube, ich belüge mich selbst, wenn ich nicht eingestehen will, daß ich Angst hatte, Michael zu verlieren. Dabei wäre ich sicher nicht allein geblieben, wenn ich es rechtzeitig getan hätte. Ganz sicher nicht... Wiisen Sie was, Alb, ich glaube, ich hatte Angst, zusammen mit Michael auch meine Erinnerungen an unsere glücklichen Zeiten wegzugeben. Klingt komisch, nicht?"
„Nein, irgendwie verstehe ich Sie..."
„Sie wären besser Priester oder Psychiater geworden, wenn Sie das verstehen. Ich versteh's ja mitunter selbst nicht..."
Eine faszinierende Frau, dachte ich schon wieder. Charakter, Sex-Appeal und Exotik in einem. Ich will sie haben...
Glyn begann zu weinen. Sie wirkte so scheu und verängstigt, daß sie nun plötzlich einen 'nimm-sie-in-den-Arm'-Reflex bei mir auslöste. Sie wehrte sich nicht, ganz im Gegenteil. Sie drückte sich an mich.
„Alb, Sie wissen gar nicht, wie gut es ist, daß Sie hier sind. Sie strahlen wenigstens etwas Beruhigendes aus. Solange wir hier reden, muß ich nicht ständig an Michael denken..."
Es wurde Zeit, ein wenig an der Entkopplung dieser unseligen Beziehung mitzuwirken: „Also wenn Sie meine Meinung hören wollen, Glyn. Ich glaube nicht, daß das für Sie ein Leben ist, an der Seite Ihres jetzigen Freundes. Und Sie wissen das doch auch. Warum ziehen Sie nicht endlich die Konsequenzen?"
„Das werde ich doch auch, Alb. Das werde ich doch..."
„Eh?"
„Ich werde Michael verlassen."
„Meinen Sie das jetzt wirklich?"
„Wenn wir diese Nacht überstehen, Alb, werde ich ihn verlassen. Ich werde ihn zwar immer lieben, aber ich kann bei ihm nicht bleiben. Ich habe auch ein Leben zu leben."
Und wieder mal war ich total überrascht.
„Wissen Sie, Alb, ich trage mich schon lange mit diesem Gedanken. Schon lange, bevor ich ihr Büro betrat. Ich hatte nur Angst vor der Leere danach. Deshalb ist es schon länger eine schlechte Gewohnheit von mir, meine Wirkung auf Männer zu testen."
„Ah, war ich dann auch so etwas wie ein Test für sie?"
„Seien Sie mir nicht böse, Alb, ich..."
„Dann sagen Sie mir wenigstens eins, Glyn: habe ich den
Test bestanden?"
„Nein, Alb, nicht Sie wollte ich testen, ich wollte mich selbst testen... oh Gott, ich klinge schon wie ein Wissenschaftler... - na ja, auf jeden Fall: Ich hab's nicht geschafft, Sie rumzukriegen."
„Und was folgt daraus?"
„Wissen Sie, irgendwie erhoffe ich mir jedes Mal Erleichterung, wenn ich jemanden zuerst verführe und dann abblitzen lasse, aber ich fühle mich danach nie besser. Aber wenn ich es nicht schaffe, fühle ich mich noch mieser."
„Verstehe, Sie haben sich demnach bei mir..."
„Nein, Alb! Bei Ihnen war es dagegen irgendwie komisch. Sie haben mir widerstanden, aber irgendwie doch meine Würde bewahrt. Und das hat mich im Nachhinein doch irgendwie schwer beeindruckt."
„Aha..."
Glyn seufzte und drehte an ihrem Nasenring. „Ohne Würde und gegenseitiger Achtung ist jede Beziehung zum Tode verurteilt..."
Meine Achtung vor dieser Frau stieg von Minute zu Minute.
„Sie haben mir heute praktisch Ihre ganze Lebensgeschichte
erzählt, Glyn. Das ehrt mich irgendwie."
„Wissen Sie, Alb, es ist vielleicht das letzte, was ich überhaupt jemandem in meinem Leben erzählt habe. Aber nicht nur deswegen. Irgendwie mag ich Sie. Sie sind so... na ja, Sie sind halt, wie Sie sind. Und wenn Sie mich auch ein wenig mögen, dann..."
Ich nickte. Die Spannung begann unerträglich zu werden.
„Nun", sagte sie, „dann ist meine Angst vor dem Alleinbleiben wohl somit gegenstandslos geworden."
Gegenstandslos geworden...
Ich sah Glyns Augen blitzen, und plötzlich begannen in mir die Glocken zu läuten und die Chöre zu singen. Die ganze Situation erschien mir plötzlich gar nicht mehr düster, und mit einem Mal war es mir, als würde das Vakuum in meinem Inneren sich mit Glyn vollsaugen.
Ich faßte ihre Arme.
„Glyn", hob ich an, „Sie können noch gar nicht ermessen, was es für mich bedeutet, daß Sie das sagen. Schon als wir uns das erste Mal sahen, haben Sie mein Herz schneller schlagen lassen. Aber ich hatte Angst, es mir einzugestehen; schließlich schaut heutzutage ja jeder nur auf das Äußere. Auch ich schaute zuerst nur Ihr Äußeres, aber glauben Sie mir, ich empfinde für Sie inzwischen genau dasselbe, was Sie für mich. Ich will Sie nicht nur: ich respektiere Sie auch. - Ich liebe Sie!"
Und um diese feurige Rede abzurunden, wollte ich sie nun in den Arm nehmen und tief küssen.
Doch sie drückte mich von sich.
„Nicht, Alb. Bitte..."
Ich war verwundert.
„Warum nicht?"
„Es tut mir leid, wenn ich Ihnen jetzt falsche Hoffnungen gemacht habe, aber Sie haben mich mißverstanden."
„Miß... verstanden?"
„Es ist schon richtig, daß ich nicht nach dem Äußeren eines Menschen gehe, aber das heißt nicht gleich, daß ich mich in jeden verliebe, der etwas anständiger ist als der Durchschnitt. Zur Liebe gehört mehr, Alb. Dazu gehört ein gewisses Etwas, das ich nicht näher beschreiben kann. Glauben Sie mir, Alb, wir beide passen nicht zusammen. Sie werden ganz sicher jemand anders finden."
„Jemand... anders?"
„Tut mir leid, Alb, aber Sie sind einfach nicht mein Typ. Sie sind echt Okay, wirklich, aber wir können nie mehr werden als gute Freunde. Aber ich meine: das ist doch auch was, oder?"
Nein, hätte ich jetzt am liebsten geschrien. Aber ich blieb so sanft und blöd wie ein Lamm.
„Zu schade, Glyn... Für einen Moment, da hab ich gedacht..."
„Tut mir leid, Alb. Ist nicht Ihre Schuld... Wissen Sie, ihr armer Freund, der hatte irgendwie dieses Etwas, das... aber leider... - na ja, er wollte mich ja sowieso nicht."
Das hätte sie nicht sagen sollen.
Meine Gefühle schlugen von Respekt ohne Vorwarnung um auf Wut. Auch wenn Bert tot war, auch wenn er mein Freund gewesen war: warum zum armleuchtenden Geier hätte er bei Glyn Chancen gehabt, wenn ich dagegen, der ich wesentlich ernstere Absichten mit ihr gehabt hätte, in die Röhre gucken mußte!?
Gerade wollte ich Glyn angewidert von mir stoßen, als sie sich plötzlich von selbst von mir löste und mit angstgroßen Augen und offenem Mund in Richtung Tür starrte.
Ich drehte mich um.
In der Tür stand der Hüne.
„War ein langer Tag, heute", sagte er. „Aber jetzt wirst du bezahlen, Mondgesicht, das versprech' ich dir! Das hast du nicht umsonst getan!"
Er hob seine rechte Hand. Es fehlte der Mittelfinger.

10

Der Hüne sah aus, als hätte er richtig was mitgemacht. Er machte den zerlumpten Eindruck eines Schützengraben-Soldaten. Aber warum wollte er mich dafür zur Rechenschaft ziehen? Wieder eines der Dinge, die ich nie erfahren werde.
Er hatte keine Waffe, trotzdem griff er mich an. Ich hörte Glyn hinter mir schreien, da landete seine Faust bereits krachend in meinem Gesicht.
So muß es bei Glyn gewesen sein, dachte ich, während ich vor Schmerzen zusammensackte.
Sofort nahm der Hüne mich in den Schwitzkasten, setzte sich auf meinen Rücken und begann mich zu würgen.
Dann schlug er meinen Kopf gegen den Boden, dann würgte er mich wieder etwas, dann wieder den Kopf gegen den Boden... Offenbar konnte er sich nicht so recht für eine der beiden Methoden entscheiden. Das sprach für die Vernebeltheit seines Geistes, denn wenn er eines von beiden konsequent durchgezogen hätte, hätte er mich wesentlich schneller getötet.
Aber auch so begann ich mich von der Welt bereits zu verabschieden. Heiß brannte der Schmerz auf Gesicht und Hals; erdrückend wie ein Alp das Gewicht, des Hünen, das meine Lungen zusammenpreßte.
Ich hoffte nur noch, daß es schnell gehen würde.
„Michael, nein!" hörte ich Glyn weit entfernt schreien, und für einen Moment schien es, als wäre der Hüne mit ihr beschäftigt, denn er vergaß mich zu würgen.
In diesem Moment erwachte mein letzter Funke Lebenswille, und ich griff nach dem Messer in meiner Brusttasche.
Meine Brille existierte als solche nicht mehr, aber ich erkannte trotzdem, daß Glyn mit dem Hünen rang, und daß er nun sie würgte.
Ich fackelte nicht lange, ich stieß das Messer mit aller Kraft nach oben.
Ein Widerstand und ein ohrenbetäubendes Brüllen sagten mir, daß ich getroffen hatte. Ich blickte hoch. Das Messer steckte bis zum Griff in des Hünen Achselhöhle. Dann tropfte mir Blut ins Auge, uns ich sah nichts mehr. Der Druck wich von mir, ich spürte einen Ruck am Messer. Aber ich hielt den Griff fest, und gleich darauf polterte der Hüne zur Seite und riß mich mit.
Plötzlich war das Messer wieder frei. Ich wischte mir das Blut aus dem Auge und sah verschwommen, daß der Hüne auf dem Boden saß und sich vor Schmerzen wand.
Ich sprang auf und rammte ihm die Klinge in den Bauch.
Er schrie auf wie Dracula, der gepfählt wird, und ich zog das Messer quer über seinen Bauch.
„Nein!" hörte ich Glyn wieder schreien, und ich fühlte, wie sie mich zu fassen versuchte.
Mit der Kraft des wütenden Berserkers stieß ich sie weit von mir und widmete mich wieder dem Hünen. Er röchelte nur noch und glotze mich an wie eine Kuh den Bauern.
„Bert hätte dich umbringen sollen", zischte ich haßerfüllt. „Du bist ein Dreckstück, daß nichts wert ist!"
Und damit ließ ich den Stahl in seine Gurgel fahren.
„Blubb", machte der Hüne nur noch, dann wurden Hals, Gesicht und Bauch rot, bis er aussah wie eine Schuhsohle in Tomatensauce.
Er war tot.
Und ich hatte ihn getötet.
Ich zitterte am ganzen Leib, glaubte jeden Augenblick explodieren zu müssen. Aber was jetzt kam, war nur eine Totenstille.
Die Ruhe vor dem Sturm.
„Sie haben ihn umgebracht", hörte ich Glyn düster murmeln.
„In Notwehr, wenn ich bitten darf", erwiderte ich.
Wo war sie wohl, ich konnte ohne Brille fast nichts um mich herum erkennen.
„Er war bereits kampfunfähig, als Sie ihn umgebracht haben!" Glyns Stimme umkreiste mich bedrohlich. „Sie haben ihn kaltblütig ermordet."
„So ein Quatsch!" Ich bekam es mit der Angst zu tun. „Woher wollen Sie wissen, ob er wirklich kampfunfähig gewesen ist?"
„Weil ich Augen im Kopf habe, du verdammter Mörder!"
„Ich ein Mörder? Glyn, sind Sie noch bei Trost? Ich habe uns..."
Wusch! Ein schwarzer Schatten schlug mir plötzlich das Messer aus der Hand. Ich hatte zwar sowieso schon ganz vergessen, daß ich es noch in der Hand hatte, aber beunruhigend war es doch irgendwie schon...
„Und Ihnen wollte ich auch noch vertrauen, Sie mieser Scheißer! Aber jetzt haben Sie ihr wahres Gesicht gezeigt!"
„Glyn, hören Sie doch endlich auf, die Lage ist..."
Der schwarze Schatten schlug mir ins Gesicht.
„Nennen Sie mich nie mehr Glyn, Sie... kleines, fettes, blindes Schwein, Sie!"
Das traf mich härter als alles Bisherige. Niemals werde ich vergessen, wie mir plötzlich die Unwürde meiner Lage bewußt wurde. Diese Erniedrigung und Ausgeliefertheit, in der ich mich befand, trieb mir Tränen der Wut und des Selbstmitleids in die Augen.
„Winsle nur, du Hund!" Plötzlich lag Glyn auf mir, und ihre langen Fingernägel gruben sich in meinen Hals.
Ihr Gesicht war mir so nahe, daß ich es deutlich erkennen konnte. Eine bizarre, haßverzerrte Maske, der der fehlende Zahn überdies etwas Dämonisch-fratzenhaftes verlieh. Ich weiß nicht, wie tief sich Glyns Nägel bohrten, aber es tat mir mehr weh als alles, was ich zuvor in meinem Leben erlebt hatte. Und doch war es mir völlig egal. Und obwohl Glyns Finger meine Kehle zudrückten, so daß ich keine Luft mehr holen konnte, leistete ich keine Gegenwehr. Müde blickte ich dem Tod in die blauen Augen, ich hatte jede Lust an allem verloren.
Auch Glyns Gesicht verschwamm schließlich, und dann spürte ich plötzlich gar nichts mehr.
Zufrieden seufzte ich, und wurde im selben Moment stutzig, daß ich es noch konnte.
Ich hörte Glyns Stimme in der Dunkelheit, aber sie klang plötzlich überhaupt nicht mehr haßerfüllt, sondern eher... - besorgt?
„Wachen Sie auf, Alb, bitte! Bitte, tun Sie mir das nicht an, oh Gott..."
Ich fühlte plötzlich etwas Weiches auf dem Mund, und dann wurden meine Lungen aufgeblasen. Das Weiche verschwand, und die Luft entwich, dann war es wieder da, und ich wurde wieder aufgeblasen.
Ich öffnete die Augen und sah mitten in Glyns Gesicht, wie es seine Lippen auf die meinen gedrückt hielt. Dann entfernte es sich, aber plötzlich hatte ich einen Arm frei und hielt es fest.
Ich zog ihr Gesicht zurück zu mir und begann es zu küssen.
„Gottseidank, Alb, ich..." Ich erstickte ihre Worte mit meinem Mund.
Und sie begann es zu erwidern, einfach so.
Eh ich's mich versah, waren wir schon ineinander verschlungen und begannen uns zu lieben, als hätten wir's ein Leben lang geübt.
Hierfür dürfen Sie übrigens keine Erklärung von mir erwarten. Ich verstehe es bis zum heutigen Tag selbst nicht so recht, ich weiß nur, daß es irgendwie wie ein Traum war.
„Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich Ihnen etwas angetan hätte", sagte Glyn. „Sie müssen mir glauben, das vorhin, das war nicht ich selbst. Ich könnte Sie doch niemals... ich brauche Sie, Alb... als Verbündeten... als Freund... als Mann..."
Und sie sagte noch viel mehr, an das ich mich allerdings irgendwie nicht mehr erinnern kann. Ich weiß auch nicht, wie wir plötzlich vom Boden auf das Bett kamen, ich weiß nur, daß das ganze Zimmer von innen her zu leuchten schien, und die Helligkeit dem Rhythmus unserer Bewegungen folgte. Klingt komisch, aber wie gesagt, es war alles so unwirklich wie ein Traum. Wahrscheinlich trug die Unschärfe, mit der ich ohne Brille alles sah, auch ihren Teil dazu bei.
Nur, was sich wenige Zentimeter vor meinen Augen abspielte, sah ich deutlich. Mal Glyns Gesicht, mal ihre Brüste, mal ihren Nabel.
Ihr Nasenring und ihr Intimschmuck in den Brustwarzen erwiesen sich als die reinsten G-Punkte. Ich war vollauf beschäftigt, sie zu bearbeiten, bis ich schließlich in sie dringen durfte.
Der unwirklichste Augenblick von allen war, als ich plötzlich bemerkte, daß jenseits des Fensters die roten Strahlen des Morgens ihren Weg ins Zimmer fanden. In diesem Augenblick hatte ich eine Vision von der Zukunft. Ich sah, wie sich bei Sonnenaufgang das Tor öffnen würde, wie ich mit Glyn Arm in Arm hinausschreiten würde. Ich sah, wie ich mit ihr in einer Halle war, die voll war mit schwarzen Gothics, die uns Blumen zuwarfen. Ich sah, wie wir heirateten.
Ich sah, wie wir gemeinsam in dieses Haus zurückkehrten, das ihr ja rechtmäßig gehörte. Ich sah, wie wir es wieder in Ordnung brachten und uns einrichteten. Ich sah unsere Kinder, drei an der Zahl, durch die nicht mehr düsteren Flure dieses Hauses rennen, und ich sah...
...die abgrundtief häßliche Fratze eines halb verwesten Greises!
Dies allerdings gehörte nicht mehr zur Vision, obwohl es das am wenigsten in die Realität gehörende in diesem Raum war.
Die Fratze gehörte zu einer menschlichen Gestalt, die auf wackeligen Beinen durch die Schlafzimmertür gehumpelt kam. Und das Erstaunliche war: ich sah die Gestalt ganz scharf. Sie war das einzig scharfe Bild im Zimmer - neben Glyns Hals - obwohl sie mehrere Meter weit von mir entfernt war. Und ich wußte genau: Es war Lord Setts. Obwohl es mir keiner gesagt hatte, und ich ihn ohnehin nie zu Gesicht bekommen hatte.
Und ich wußte irgendwie, was der untote Greis dachte. Seine Gedanken waren feurig von ohnmächtiger Wut gegen das, was Glyn und ich hier taten - Eifersucht und Rachedurst.
Nur Glyn schien ihn nicht zu bemerken, und ich war mit einem Mal auch zu gelähmt, um irgendetwas zu sagen. Sie hatte die Augen geschlossen, bewegte sich immer schneller auf mir und atmete immer lauter.
Und mir kam es, ich fühlte es ganz deutlich.
Das war der Augenblick, wo Lord Setts uns erreichte und seinen Mund zu einem stummen Schrei öffnete. Nichts war zu hören, und dennoch wußte ich, daß es „Nein" war, was er schrie.
Er hob seinen Arm und glühte auf wie ein Heizfaden im Toaster. Dann schlug er Glyn auf den Hintern.
Es gab einen Blitz wie beim Fotoautomaten am Bahnhof, nur ungefähr eine Billion Mal heller und schmerzhafter, dann füllte der Geruch von verbranntem Fleisch das Zimmer. Ich wagte mich nicht zu rühren und klammerte mich an Glyn, so fest ich nur konnte, während langsam mein Sehvermögen zurückkehrte.
Ich erwartete, Setts wiederzusehen, aber falsch: Er war nicht mehr da. Durch das Fenster schien die Morgensonne.
Plötzlich mußte ich auflachen. Mit einem Mal schien es, als würde ich aus einem Alptraum auwachen.
„Glyn!" rief ich. „Schau nur!" Ich wollte, daß sie auch zum Fenster hinaussieht. Aber ihr Gesicht blieb rätselhaft starr und ausdruckslos.
„Glyn, was ist mit dir?" Da merkte ich, daß etwas nicht stimmte: Sie blinzelte nicht.
Mit einem Mal überkam mich wieder Panik, und ich begann Glyn zu schütteln, während ich immer wieder ihren Namen rief.
Teufel, sie benahm sich wie jemand, der tot war!
Mir stockte der Atem. Und da sah ich plötzlich auch den Fleck, der ihren Rücken und ihr Hinterteil bedeckte. Ein großes, schwarzes Loch. Hier roch es am verbranntesten...
Ich wagte nicht, mich zu rühren.
Und plötzlich schoß aus dem schwarzen Loch eine gelbe Fontäne in die Höhe. Zuerst war ich völlig orientierungslos, dann begriff ich.:
Diese gelbe Fontäne stammte von mir - ich war gerade dabei, durch Glyn hindurch, meine... - hehehe...
Ich begann zu lachen und kam erst vor ein paar Wochen wieder richtig zu mir.
Und nun sitze ich hier an diesem öden Ort, und mein einziger Freund ist mein Bleistift. Es hat sehr lange gedauert, bis er mir genehmigt worden ist, sonst hätte ich diese Zeilen schon viel früher niedergeschrieben.


Nun ja, das ist meine Geschichte.
Ich denke, Glyns Nagelabdrücke in meinem Hals sind schuld daran, daß alle denken, ich hätte sie umgebracht. Sie denken auch, ich hätte Bert umgebracht, und den Hünen... na ja, den habe ich tatsächlich umgebracht.
Es interessiert sie brennend, wie ich wohl Glyn dermaßen verkohlen konnte; leider kann ich ihren Wissensdurst nicht befriedigen, das könnte nur Lord Setts.
Ich habe ihnen meine Geschichte bereits erzählt, aber sie glauben mir nicht. Auch Bert, der Wärter, glaubt mir nicht, obwohl er manchmal versucht, so zu tun als ob.
Ist schon komisch, daß mein Bekannter hier in der Irrenanstalt genauso heißt wie mein toter Freund. Ich hab ihm das mal erzählt, da ist er richtig blaß geworden. Seitdem spricht er auch nicht gern mit mir.
Ich habe viel über mein bisheriges Leben nachgedacht. Und ich glaube, ich kann nicht viel zu meiner Verteidigung sagen.
Und ich denke viel an Glyn. Sie fehlt mir...
Ich verstehe eigentlich immer noch nicht, wie sie das gemacht hat, damals. Ich meine, mich plötzlich zu lieben, einfach, weil es notwendig war.
Ich dachte immer, Liebe wäre ein Gefühl, das nicht steuerbar ist. Aber Glyn konnte es offenbar...
Hm, vielleicht können es sogar alle Frauen, wer weiß, vielleicht sind nur wir Männer so unvollkommen und hilflos, was unsere Gefühle angeht... Bert sagte mal, Frauen würden einen tatsächlich nie wegen seines Geldes heiraten - vorher verlieben sie sich in ihn.
Möglicherweise bezieht sich das bei jeder Frau auf etwas anderes, ihnen ist nur gemeinsam, daß sie sich eben in den Mann verlieben, der ihnen das bietet, was sie gerade wollen oder brauchen oder was auch immer.
Aber wenn ich es so recht darüber nachdenke: Eigentlich sind wir Männer dann doch genauso. Wir verlieben uns in die Frau, die uns das bietet, was wir wollen...
Sofern ich Glyn geliebt habe, hatte sie offenbar das, was ich wollte. Welch Ironie des Schicksals: Als ich endlich weiß, was ich will, ist es schon da und wieder weg - für immer.
Zu schade. Als ich meine Vision von der Zukunft mit Glyn hatte, schien sie noch so schön greifbar...
Und so real...
Well, sehen wir es von der positiven Seite: Ich muß über meine Zukunft nicht mehr nachdenken. Es hat sich alles erledigt.
Bert (der Wärter) hat die Nachtgurte heute morgen am Waschbecken liegen gelassen. Die Schnallen sind sehr scharf. Ich würde mir zu gern eine mal quer über den Hals ziehen und sehen, was passiert.
Wäre ich nur nicht so ein gotterbärmlicher Feigling.

 

Hi relysium!

Erstmal ein paar Detailanmerkungen:

eigentlich bin ich gebürtiger Berliner, Jahrgang 1957 [...] Zwar bin ich noch recht jung in diesem Beruf
Ich gehe ja mal davon aus, dss die Geschichte in der Gegenwart spielt, das bedeutet, dass der Typ Mitte 40 ist. Und da gehört er noch zu den Jüngeren in seinem Beruf?
vorbehalten. Ursprünglich wollte ich übrigens gar nicht Notar, sondern Rechtsanwalt werden. Aber da sind leider einige Dinge
schiefgelaufen, unter anderem trug meine viel zu verfrühte Heirat mit der bereits genannten
Schau nochmal wegen dem Zeilenumbruch genauer auf die Geschichte. Da hast Du ein paar Sachen übersehen.
Aber nicht hierüber will ich Ihnen erzählen. [...] Was ich Ihnen nun erzählen will [...] Nur können Sie sich si- cher denken, daß ich mich fragte, wie er hierherkam.
Ich persönlich finde es ziemlich nervig, wenn mich der Erzähler ständig persönlich anquatscht. Vor allem hat das bei Dir gar keine Relevanz, im Gegensatz zu anderen Geschichten. Von daher würde ich alle Passagen streichen, in denen sich Aachen persönlich an die Leser wendet, die stören eher den Lesefluss, anstatt irgendetwas zu bereichern.
meinen Arbeitstag antrat, tags zuvor war ich
Solche Wortwiederholungen sind unschön, der Text wirkt dadurch abgehackt, nicht wirklich rund und flüssig.
könnte sie genausogut eine Miss oder Mrs sein
Entweder beides abkürzen oder ausschreiben, hier würde ich zum Ausschreiben tendieren.
Es war eine Art Party, in die mich mein Freund Bert Redwood
"Party, auf die"
hatte er immer das größere Glück bei den Frauen. Eigentlich auch kein Wunder: er sieht aus wie eine Kreuzung zwischen Don Johnson und George Michael
:sick: Du hast ja erwähnt, dass die Geschichte etwas älter ist. Hier merkt man das ziemlich deutlich, denn auf so einen Typ Mann fährt heutzutage wirklich keine Frau mehr ab.
Ich glaube, ich hoffte insgeheim, daß Colaflaschenboden-Brillengläser in Mode kommen, hehe.
Aus Sicht des Ich-Erzählers ist es natürlich etwas schwieriger, ein Lachen einzubauen. Aber Dinge wie "Hehe" sind da wirklich völlig unangebracht. Dann lieber etwas mehr ausformulieren, z.B. "Noch heute muss ich bei diesem Gedanken schmunzeln".
In Momenten wie diesen entwarf mein Gehirn immer raffi- nierte Foltermethoden, die ich aber dann weder verwirk- lichte, noch aufschrieb, und daher bald wieder vergaß. In der Schule früher, da hatte ich wirklich noch jede hirnver- brannte Idee aufgeschrieben. Wahrscheinlich besäße ich mei- ne Sammlung heute noch, hätte sie meine Ex-Frau nicht ge- schmacklos gefunden.
Öhm ja, den Text dahingehend unbedingt korrigieren! Mit solchen Faulheiten schaffst Du es, dass jeder Leser eine noch so gute Geschichte entnervt wegklickt.
Meine Arbeit mag zwar nicht gerade die Hauptrolle in den Massenmedien spielen, aber mir bedeutete sie sehr viel
Was willst Du uns damit sagen? Was hat die Freude an einer Arbeit mit deren Auftreten in den Medien zu tun?
schwarzen Kleides hervorquollen, das bis auf zwei dünne Träger gänzlich schulterfrei war [...] Die Ärmel ihrer Arme begannen am Oberarm und endeten in fingerfreien Handschuhen
Was nun, Trägerkleid und somit schulterfrei oder doch mit Ärmeln? Oder meinst Du einfach lange Handschuhe?
Abgesehen davon klingt "Ärmel ihrer Arme begannen am Oberarm" ziemlich blöd. Ist auch völlig unnötig das näher zu erklären, weil Ärmel immer den Arm bekleiden.
Alles schwarz, nur die Haut kalkweiß... [...] Mit dem roten Mund das einzige, das nicht schwarz oder weiß an dieser Lady war.
Hier dachte ich, es handelt sich um eine Vampirgeschichte und ich muss sagen, etwas genervt habe ich mit den Augen gerollt, weil mir so viele Klischees einfach zuviel waren.
Im Nachhinein finde ich die Beschreibung aber ziemlich gut, keine Ahnung, ob es bewusst ist, aber so lockst Du Deine Leser erstmal gründlich auf die falsche Fährte.
Wenn sie wirklich ein Loch im Nasenflügel hatte, kam wohl bei einer Erkältung, wenn sie in ein Taschentuch schnaubte, der Schleim auch dort hinaus...?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann, der gerade von einer Frau extrem angemacht wird, an so etwas denkt.
"Ich versteh ihn oft nicht", seufzte Glyn, "aber er muß wirklich jeden Augenblick kommen..."
Zusammenhang?
"Leider bin ich kein Psychologe", antwortete ich. "Aber kann es sein, daß Sie eine Nymphomanin sind, Glyn?"
Bruhaha! Ja, Gespräche wie aus dem wahren Leben. ;)
Normalerweise schlagen mir Anspielungen auf mein Äußeres auf die Magensäfte, doch jetzt war ich zum Aufregen zu aufgeregt.
Wahrscheinlich ist das als lustiges Sprachspiel gemeint, aber "zum Aufregen zu aufgeregt" finde ich ziemlich doof.
Kühlschrank war voll mit dem Zeug: Pizza, Goreng
Nasi oder Bami Goreng? Im Endeffekt nur eine Kleinigkeit, aber wenn Du "Goreng" schon erwähnst, dann schreib gleich dazu, welches Du meinst.
Auch zum Keller brauchte ich einen Schlüssel. Er ließ sich etwas schwer im Schloß herumdrehen, doch ich maß dem keine Bedeutung zu. Es war ein altes, halbverrostetes Schloß aus Schmiedeeisen und auch der Schlüssel dazu sah nicht viel gesünder aus.
Überprüf Deine Geschichte mal auf Wiederholungen, kommen leider ziemlich viele vor.
küßte ihn mit stürmischer. Leidenschaft.
Und dann noch so Flüchtigkeitsfehler wie dieser überflüssige Punkt. Später machst Du aus Glyn noch eine Gyn, und weitere Sachen dieser Art kommen vor.
Warum sie gerade jetzt angegangen waren, habe ich nie erfahren, aber es war für mich auch äußerst zweitrangig.
Und damit ist die Spannung tot. Jetzt weiß Dein Leser, dass Aachen überleben wird, also gruselt sich bei der Odyssee durch den Keller und den Wald niemand.
Der Hüne mußte ihn mir im Schlaf abgenommen haben
Schlaf und Ohnmacht sind schon zwei unterschiedliche Sachen. "Unfreiwilliger Schlaf" würde zu Deinem eher lakonischen Stil aber ganz gut passen.
Mir taten Stellen weh, an denen andere Leute nicht mal Stellen haben.
Der Satz ist wirklich grauenhaft formuliert, das muss ich jetzt mal so deutlich sagen. Du neigst zu umständlichen und überflüssigen Satzkonstruktionen, wenn Du Dich mehr auf das Wesentliche konzentrieren würdest, könntest Du die Geschichte um einiges straffen.
Hier lag eine Leiche, von der man nicht mehr sagen konnte, ob sie Mann oder Weib war.
Aachen hat eine etwas seltsame Vorstellung von Frauen, oder warum sagt er immer Weib?
Der Raum war kahl und leer, aber keine Sackgasse, im Gegenteil: Auch er hatte zwei Öffnungen, eine rechts und eine vor mir. Ich ging rechts herum. Wieder ein kahler Raum, gegenüber eine Öffnung. Dahinter wieder ein kahler Raum, rechts, links und vorne ein Öffnung. Geradeaus wieder ein kahler Raum, dahinter dann eine Sackgasse.
Ich ging zurück, nahm die linke Öffnung und kam nach dem Durchwandern mehrerer Räume wieder in eine Sackgasse.
:confused: Warum einfach, wenn´s auch kompliziert geht? Wäre "Vor mir lag ein Labyrinth aus Gängen" nicht viel einfacher und lesbarer?
Zwischen Wahnsinn und Verstand ist oft nur eine dünne Wand. Und bei mir wurde die Wand allmählich kritisch dünn.
Inhaltliche Wiederholung. Eigentlich ein schöner Satz, aber statt dem "dünner werden" würde ich ein Synonym einsetzen. Dann bekommt die Formulierung mehr Ausdruckskraft.
Es kam von hinter mir!
Das liest sich schrecklich, ehrlich.
Ich faßte mir ein Herz und trat ein. Ein gemütliches Schlafzimmer der viktorianischen Art. Im Kamin brannte Feuer.
Und wen sehe ich? Glynis van Deeme.
Du baust öfters Zeitsprünge ein, hier müsste es "Und wen sah ich?" heißen.
Allerdings bemerkte ich bei Glyn ein ängstliches Zurückweichen, weshalb ich das Messer schnell in der Brusttasche verschwinden ließ.
Was hat Aachen denn für einen Anzug an? In seine Jacketttasche passt ein komplettes Brotmesser und später lässt er es einfach in seiner Hosentasche verschwinden?
"Verdammt noch mal, ich sagte BERT IST TOT!!!"
Das machen viele Autoren gern, aber ein Satzzeichen muss langen. Ebenso verhält es sich mit kompletter Großschreibung; ist als Stilmittel unzulässig.
Wenn Dir etwas wichtig ist, dann mach das durch die Forulierungen deutlich.
"Glauben Sie, daß wir hier jemals wieder lebend herauskommen?" fragte sie.
"Wieso fragen Sie?"
"Glauben Sie an das Übernatürliche?"
"Wie kommt denn das jetzt hierher?" wollte ich wissen.
"Indem wir uns in einer konkret übernatürlichen Gefahr befinden."
"Wie kommen Sie denn darauf?"
Die gute Glyn hat ganz schön krasse Gedankensprünge. Wenn Aachen damit klar kommen muss, ist das ja ok, aber bitte erleichtere es Deinen Lesern doch etwas. Du könntest doch einfach schreiben, dass Glyn ihn plötzlich fragte, ob er an das Übernatürliche glaubt.
Klar, das meiste davon ist Humbug, aber so ein halbes bis ein viertel Prozent - das sollte man ernst nehmen!"
"viertel bis halbes" fände ich sinnvoller angeordnet.
Der Mut verließ mich wie das Wasser einen zerlöcherten Becher.
Sehr gut, echt! Wenn Du "das" streichen würdest, wäre der Vergleich noch besser.
Wissen Sie, Michael war einmal der Anführer einer Rockerbande. Alles richtig schlimme Finger, auch er. Biersaufen, Leute terrorisieren, den Verkehr unsicher machen und ständig Ärger mit der Polizei.
Oha! Er hat Bier gesoffen, dieser schlimme Finger. ;)
"Blubb", machte der Hüne nur noch, dann wurden Hals, Gesicht und Bauch rot, bis er aussah wie eine Schuhsohle in Tomatensauce.
Das gefällt mir wiederum gar nicht. Weder das "Blub", noch der Vergleich mit der Schuhsohle.
Und plötzlich schoß aus dem schwarzen Loch eine gelbe Fontäne in die Höhe. Zuerst war ich völlig orientierungslos, dann begriff ich.:
Diese gelbe Fontäne stammte von mir - ich war gerade dabei, durch Glyn hindurch, meine... - hehehe...
Ja, wirklich witzig. :dozey:

So, mein erster Tipp: Straff die Geschichte! Durch viele sinnlose Floskeln streckst Du die Geschichte unheimlich, wirklich Spannendes kommt nur rar gestreut vor, der Rest ist fast immer :bla:. Es ist nicht so, dass die Geschichte zu lang ist, aber sie liest sich irgendwie zu lang. Weißt Du, wie ich das meine? Sie konnte mich einfach nicht richtig fesseln, ich hatte schon ein 3/4 gelesen und es war noch immer nichts passiert!
Klar, Erläuterungen sind wichtig, aber was interessiert es den Leser z.B. wie Glyn und Mike sich kennengelernt haben oder was Aachen von seiner Ex hält? Das tut doch nichts zur Sache, oder? Und durch viele unmständliche Erklärungen (siehe Beispiel mit den Gängen, Räumen und Sackgassen) schaffst Du es, das bißchen Spannung weitgehendst auszuschalten.
Und das ist wirklich schade, die Idee zur Geschichte ist gut, die Umsetzung weitgehendst auch, wobei ich das Gefühl habe, dass Du nicht wirklich entscheiden konntest, ob das Humor oder Horror werden sollte.

Zweiter Tipp: Noch einmal gründlich überarbeiten.
Achte auf Wiederholungen, Zeiten, "Streckwörter" (z.B. Naja, eigentlich, etc.), streckende Sätze (z.B. Wie also gesagt), unklare und/oder unschöne Satzkonstruktionen.
Mich hat es beim Lesen öfters mal gegraust, ein paar Beispiele hab ich oben ja angeführt, und da fragte ich mich schon, wann die Geschichte das letzte Mal überarbeitet wurde.
Ich denke, Du hast Dir beim Schreiben viel Arbeit gemacht, sieht man schon allein an der Länge, aber nach dem letzten Punkt ist die Geschichte noch lange nicht abgeschlossen. Dann heißt es: Ruhen lassen, lesen, korrigieren, überarbeiten, ruhen lassen, lesen ...

Im Großen und Ganzen erinnert mich Deine Geschichte etwas an die 80er-Teenie-Horrorstreifen, in denen man viele nackte Mädels und etwas Blut sah. Da waren auch so "witzige" Gags wie bei Dir in etwa die Fontäne eingebaut.
Ich mag es durchaus, wenn Horrorgeschichten auch einen Hauch Humor enthalten (in diesem Zusammenhang empfehle ich Dir Jack Torrance, ich glaube, Ihr werdet Euch bestens verstehen), aber bei Dir war mir das Verhältnis Humor/Horror zu unausgewogen. Dein lakonischer Stil gefällt mir, aber wegen ihm geht öfters die Spannung flöten. Überhaupt fehlt mir bei Deiner Geschichte die Spannung, von Grusel oder Horror will ich gar nicht erst anfangen. Abgesehen von dem Pentagramm und dem kurzen Gastauftritt des Lords kommt wirklich nicht viel Unheimliches vor. Und dieser Nebel, was sollte der? Schöne Andeutung, leider bist Du nicht weiter darauf eingegangen.

Ich sehe hier durchaus Potential, nicht nur bei der Geschichte, sondern auch bei Dir. Mach was draus, geb der Story den nötigen Feinschliff und Dir dadurch das nötige Training.

 

Hallo, und danke erst mal für das Durchlesen und die Kritik. Dieser Text ist eine alte "Jugendsünde" von mir, normalerweise schreibe ich wesentlich... - äh... - humorloser. ;)

Die meisten Kritikpunkte sind berechtigt, und ich werde den Text mal einer Überarbeitung unterziehen. Zu einigen Punkten muß ich allerdings was sagen. Vorneweg überhaupt, daß hier Aachen selbst erzählt, aus seiner Gummizelle, und er ist kein geschliffener Autor, und ganz normal ist er auch nicht (auch vorher nicht). Ich hätte das ganz anders geschrieben, wenn es keine Ich- sondern eine Er-Perspektive gewesen wäre.

Geschrieben von Bibliothekar
Ich gehe ja mal davon aus, dss die Geschichte in der Gegenwart spielt, das bedeutet, dass der Typ Mitte 40 ist. Und da gehört er noch zu den Jüngeren in seinem Beruf?

Die Geschichte ist von 1989.

Ich persönlich finde es ziemlich nervig, wenn mich der Erzähler ständig persönlich anquatscht. Vor allem hat das bei Dir gar keine Relevanz, im Gegensatz zu anderen Geschichten. Von daher würde ich alle Passagen streichen, in denen sich Aachen persönlich an die Leser wendet, die stören eher den Lesefluss, anstatt irgendetwas zu bereichern.

Ich denke darüber nach!

Aus Sicht des Ich-Erzählers ist es natürlich etwas schwieriger, ein Lachen einzubauen. Aber Dinge wie "Hehe" sind da wirklich völlig unangebracht. Dann lieber etwas mehr ausformulieren, z.B. "Noch heute muss ich bei diesem Gedanken schmunzeln".

Nee, so ein "hehe" kann man nicht ersetzen. ;)

Was willst Du uns damit sagen? Was hat die Freude an einer Arbeit mit deren Auftreten in den Medien zu tun?

Daß der Ich-Erzähler vielleicht insgeheim davon träumt, ein Star zu sein?

Hier dachte ich, es handelt sich um eine Vampirgeschichte und ich muss sagen, etwas genervt habe ich mit den Augen gerollt, weil mir so viele Klischees einfach zuviel waren.
Im Nachhinein finde ich die Beschreibung aber ziemlich gut, keine Ahnung, ob es bewusst ist, aber so lockst Du Deine Leser erstmal gründlich auf die falsche Fährte.

Dieser Gedanke ist mir gar nicht gekommen. Die Vampire, die mir bisher begegnet sind, waren an vielem zu erkennen, selten jedoch an ihrer Kleidung.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann, der gerade von einer Frau extrem angemacht wird, an so etwas denkt.

Doch, das kommt vor.

Zusammenhang?

Suche nie Logik oder geschliffenen Stil in meinen wörtlichen Reden. Ich laß die Leute sagen, was sie auch im wirklichen Leben sagen würden.

Bruhaha! Ja, Gespräche wie aus dem wahren Leben. ;)

:)

Wahrscheinlich ist das als lustiges Sprachspiel gemeint, aber "zum Aufregen zu aufgeregt" finde ich ziemlich doof.

Schade.

Nasi oder Bami Goreng? Im Endeffekt nur eine Kleinigkeit, aber wenn Du "Goreng" schon erwähnst, dann schreib gleich dazu, welches Du meinst.

Ich wollte den Leser aber eigentlich nicht hungrig machen...
Die Erklärung klingt jetzt sicher dämlich, aber Aachen ekelt sich vor Wörtern wie Bami und Nasi.

Und damit ist die Spannung tot. Jetzt weiß Dein Leser, dass Aachen überleben wird, also gruselt sich bei der Odyssee durch den Keller und den Wald niemand.

Man sollte als Lser immer davon ausgehen, daß ein Ich-Erzähler überlebt, wie sollte er sonst erzählen? Gut, es gibt Ausnahmen, aber die sind - um es mit deinen Worten zu sagen - doof.

Der Satz ist wirklich grauenhaft formuliert, das muss ich jetzt mal so deutlich sagen.

Das kann ich jetzt nicht so ohne weiteres nachvollziehen...

:confused: Warum einfach, wenn´s auch kompliziert geht? Wäre "Vor mir lag ein Labyrinth aus Gängen" nicht viel einfacher und lesbarer?

Ich geb zu, das ist nicht das Gelbe vom Ei, aber einfach nur von einem Labyrinth zu schreiben, ist irgendwie fade. Ich überleg mir was.

Inhaltliche Wiederholung. Eigentlich ein schöner Satz, aber statt dem "dünner werden" würde ich ein Synonym einsetzen. Dann bekommt die Formulierung mehr Ausdruckskraft.

Das erste ist ein Reim, das zweite ein Kommentar dazu. Das müßte ich vielleicht kenntlich machen. Nur wie?

Das machen viele Autoren gern, aber ein Satzzeichen muss langen. Ebenso verhält es sich mit kompletter Großschreibung; ist als Stilmittel unzulässig.

Warum?

Wenn Dir etwas wichtig ist, dann mach das durch die Forulierungen deutlich.

Das hat nichts mit wichtig zu tun, sondern mit der Lautstärke.

"viertel bis halbes" fände ich sinnvoller angeordnet.

Warum soll Glyn das sinnvoll anordnen?

Oha! Er hat Bier gesoffen, dieser schlimme Finger. ;)

Bei diesen Worten hat sicher jeder ein anderes Bild im Kopf.

Das gefällt mir wiederum gar nicht. Weder das "Blub", noch der Vergleich mit der Schuhsohle.

Ich weiß nicht, warum, aber mich bringt das auch nach Jahren noch zum Lachen.
Hehe.

So, mein erster Tipp: Straff die Geschichte! Durch viele sinnlose Floskeln streckst Du die Geschichte unheimlich, wirklich Spannendes kommt nur rar gestreut vor, der Rest ist fast immer :bla:. Es ist nicht so, dass die Geschichte zu lang ist, aber sie liest sich irgendwie zu lang. Weißt Du, wie ich das meine? Sie konnte mich einfach nicht richtig fesseln, ich hatte schon ein 3/4 gelesen und es war noch immer nichts passiert!

Hm. Schwierig, denn ich empfinde das nicht so. Wahrscheinlich, weil mir die Erwartungshaltung des unbefangenen Lesers fehlt. Dazu müßte ich vielleicht noch ein paar weitere Kommentare hören.

Klar, Erläuterungen sind wichtig, aber was interessiert es den Leser z.B. wie Glyn und Mike sich kennengelernt haben oder was Aachen von seiner Ex hält? Das tut doch nichts zur Sache, oder?

Darauf zu antworten ist schwierig. Ich notiere mir mal, daß du diese Dinge als überflüssig empfindest.

Und durch viele unmständliche Erklärungen (siehe Beispiel mit den Gängen, Räumen und Sackgassen) schaffst Du es, das bißchen Spannung weitgehendst auszuschalten.
Und das ist wirklich schade, die Idee zur Geschichte ist gut, die Umsetzung weitgehendst auch, wobei ich das Gefühl habe, dass Du nicht wirklich entscheiden konntest, ob das Humor oder Horror werden sollte.

Das entscheide ich nie. Wenn ich was schreibe, kommt zuerst die Story und wenn´s fertig ist, kann es einem Genre zugeordnet werden. Wahrscheinlich würde ich ganz anders schreiben, wenn ich mir im Voraus vornehme: jetzt mache ich eine Horror-Story.

Im Großen und Ganzen erinnert mich Deine Geschichte etwas an die 80er-Teenie-Horrorstreifen, in denen man viele nackte Mädels und etwas Blut sah. Da waren auch so "witzige" Gags wie bei Dir in etwa die Fontäne eingebaut.

Das war in keinster Weise witzig gemeint...

Überhaupt fehlt mir bei Deiner Geschichte die Spannung, von Grusel oder Horror will ich gar nicht erst anfangen. Abgesehen von dem Pentagramm und dem kurzen Gastauftritt des Lords kommt wirklich nicht viel Unheimliches vor. Und dieser Nebel, was sollte der? Schöne Andeutung, leider bist Du nicht weiter darauf eingegangen.

Pentagramme sind unheimlich?
Der Nebel, ja... Ich würde ihn ja gerne erklären, aber wer in der Geschichte sollte diese Erklärung sagen?

Wenn ich den Text überarbeitet habe, soll ich ihn edieren oder neu posten?

r

 

Hi relysium!

Schön, dass Du etwas mit meiner Kritik anfangen kannst. Was ich vielleicht zu Beginn hätte sagen sollen: Gerade die Detailanmerkungen sind nur als Anregungen zu verstehen, wenn Du über ein paar Punkte nachgedacht hast und zu dem Schluss gekommen bist, dass Du sie so lassen willst, ist das vollkommen okay. Ich zeig nur das auf, was mir auffiel/mißfiel, wenn ich einem Autoren dadurch weiterhelfe, freut mich das, ich will aber keine Geschichten umschreiben oder Autoren verbiegen.

Die Geschichte ist von 1989.
Ok, aber woran merkt man das beim Lesen? Der Leser geht automatisch von der Gegenwart aus, wenn er nichts anderes liest. Du könntest doch ganz zu Anfang erwähnen, dass Aachen uns das erzählt, was im Ende der 80er Jahre widerfahren ist, dann wäre der Punkt geklärt.
Daß der Ich-Erzähler vielleicht insgeheim davon träumt, ein Star zu sein?
Das geht aber auch nicht wirklich aus der Geschichte hervor.
Suche nie Logik oder geschliffenen Stil in meinen wörtlichen Reden. Ich laß die Leute sagen, was sie auch im wirklichen Leben sagen würden.
Dann sollte aber der Erzähler irgendetwas dazu nebenbei erwähnen. Sonst wirkt es so, als ob der Autor unlogisch schreibt!
Es langt ja schon, wenn Aachen erwähnt, dass Glyn etwas wirr erzählt.
Ich wollte den Leser aber eigentlich nicht hungrig machen...
Die Erklärung klingt jetzt sicher dämlich, aber Aachen ekelt sich vor Wörtern wie Bami und Nasi.
Und woran merkt das der Leser?
Man sollte als Lser immer davon ausgehen, daß ein Ich-Erzähler überlebt, wie sollte er sonst erzählen? Gut, es gibt Ausnahmen, aber die sind - um es mit deinen Worten zu sagen - doof.
Da geb ich Dir vollkommen recht, ich finde das auch bescheuert. Aber wenn Du Dich hier umsiehst, wirst Du merken, dass einige User ihre Geschichten gern mit Sachen wie "Und die Kugel verteilte mein Hirn auf der Küchenzeile" beenden. ;)
Aber es hätte ja durchaus sein können, dass er im Keller eingeschlossen bleibt und in seiner noch verbleibenden Zeit die Geschehnisse niederschreibt. So wusste man leider schon, dass Aachen heil aus der ganzen Sache rauskommt, und wirklich, das ist der Spannung nich unbedingt zuträglich.
Das erste ist ein Reim, das zweite ein Kommentar dazu. Das müßte ich vielleicht kenntlich machen. Nur wie?
Hm, sorry, dazu fällt mir momentan auch keine sinnvolle Lösung ein. Aber warum muss Aachen den Reim denn mit den selben Worten kommentieren?
Warum?
Tja, keine Ahnung, ist halt so.
Aber wenn Du solche Sachen brauchst, stimmt vielleicht mit den Formulierungen etwas nicht.
Das hat nichts mit wichtig zu tun, sondern mit der Lautstärke.
Wie wäre es dann mit "Bert ist tot!", brüllte ich wie ein Irrer statt "BERT IST TOT!!!"?
Warum soll Glyn das sinnvoll anordnen?
Warum sollte Aachen den "schlechten Stil" bei einer Nacherzählung beibehalten?
Pentagramme sind unheimlich?
Der Nebel, ja... Ich würde ihn ja gerne erklären, aber wer in der Geschichte sollte diese Erklärung sagen?
Naja, wirklich unheimlich sind sie natürlich nicht. Aber das Pentagramm ist ein Element, welches in Horrorstories gern aufgegriffen wird.
Und Aachen könnte doch nach einer Erklärung für den Nebel suchen. Ist ja egal, ob er damit richtig liegt, aber in der Klappse hat er doch sowieso genügend Zeit um darüber nachzudenken. ;) Vielleicht hat ja auch ein Psychologe eine superschlaue Erklärung dafür, evt. wurde bei der Gerichtsverhandlung, die wohl stattfand, gesagt, dass Aachen sich den Nebel in seiner Schizophrenie nur ausdachte oder so.

Was mir auffällt, Du sagst gerne, "Das hab ja nicht ich gesagt, sondern Glyn, Aachen, etc".
Du bist der Autor dieser Geschichte, nicht Aachen! Und Patzer auf die Prots abzuwälzen, ist ein bißchen fies. Es wäre das selbe, wenn Du unheimlich viele Rechtschreibfehler in der Geschichte hättest, und die mit dem Argument, dass Aachen nunmal ´ne Rechtschreibschwäche hat, abtuen würdest.
Es ist vollkommen okay und auch sinnvoll, wenn Du bei Ich-Erzählungen einen anderen Stil verwendest, aber auch hier sollte der Feinschliff nicht zu kurz kommen.
Und wenn Du jetzt noch immer einige Punkte in die Schuhe von Albie schieben willst, leite ihm doch bitte meine Kritik weiter. ;)

Viele Grüße, Bib

 

Geschrieben von Bibliothekar
Was ich vielleicht zu Beginn hätte sagen sollen: Gerade die Detailanmerkungen sind nur als Anregungen zu verstehen, wenn Du über ein paar Punkte nachgedacht hast und zu dem Schluss gekommen bist, dass Du sie so lassen willst, ist das vollkommen okay. Ich zeig nur das auf, was mir auffiel/mißfiel, wenn ich einem Autoren dadurch weiterhelfe, freut mich das, ich will aber keine Geschichten umschreiben oder Autoren verbiegen.

Danke für diese für mich nicht ganz unwichtige Aussage. Sie nimmt manchen Dingen ihre... - äh... Schärfe?

Du könntest doch ganz zu Anfang erwähnen, dass Aachen uns das erzählt, was im Ende der 80er Jahre widerfahren ist, dann wäre der Punkt geklärt.

Werd ich tun.

Aber es hätte ja durchaus sein können, dass er im Keller eingeschlossen bleibt und in seiner noch verbleibenden Zeit die Geschehnisse niederschreibt. So wusste man leider schon, dass Aachen heil aus der ganzen Sache rauskommt, und wirklich, das ist der Spannung nich unbedingt zuträglich.

Guter Punkt.

Tja, keine Ahnung, ist halt so.
Aber wenn Du solche Sachen brauchst, stimmt vielleicht mit den Formulierungen etwas nicht.

Ich sehe schlichtweg keinen Grund, etwas umständlich zu umschreiben, was einfach, klar und verständlich ist.

Wie wäre es dann mit "Bert ist tot!", brüllte ich wie ein Irrer statt "BERT IST TOT!!!"?

Geht nicht, es ist ja nur der zweite Teil des Satzes, und einmal wurde ein "rief" schon verbraten.
Aber wozu überhaupt dieser Umstand? Ich lese derlei Großschreibung auch in Romanen großer Autoren, und ich bin sehr froh, den Redefluß deswegen nicht unterbrochen zu bekommen.

Naja, wirklich unheimlich sind sie natürlich nicht. Aber das Pentagramm ist ein Element, welches in Horrorstories gern aufgegriffen wird.
Und Aachen könnte doch nach einer Erklärung für den Nebel suchen. Ist ja egal, ob er damit richtig liegt, aber in der Klappse hat er doch sowieso genügend Zeit um darüber nachzudenken. ;) Vielleicht hat ja auch ein Psychologe eine superschlaue Erklärung dafür, evt. wurde bei der Gerichtsverhandlung, die wohl stattfand, gesagt, dass Aachen sich den Nebel in seiner Schizophrenie nur ausdachte oder so.

Eine richtige Erklärung wäre das allerdings auch nicht...

Was mir auffällt, Du sagst gerne, "Das hab ja nicht ich gesagt, sondern Glyn, Aachen, etc".
Du bist der Autor dieser Geschichte, nicht Aachen! Und Patzer auf die Prots abzuwälzen, ist ein bißchen fies. Es wäre das selbe, wenn Du unheimlich viele Rechtschreibfehler in der Geschichte hättest, und die mit dem Argument, dass Aachen nunmal ´ne Rechtschreibschwäche hat, abtuen würdest.

Empfände ich nicht als illegitim, jedenfalls nicht, wenn ich das tatsächlich bewußt machen würde. (enschuldigen sie meine rechts schreib schwäche). Allerdings könnte sowas den Leser zugegebenermaßen abschrecken, weshalb ich wohl nie einen ganzen Roman in fehlerhaftem Stil abfassen würde. Es gibt allerdings einige Texte von mir, da reden einige Charaktere mit Sprach- und Grammatikfehlern, oder finden Zettel mit einer furchtbaren Handschrift.

Es ist vollkommen okay und auch sinnvoll, wenn Du bei Ich-Erzählungen einen anderen Stil verwendest, aber auch hier sollte der Feinschliff nicht zu kurz kommen.
Und wenn Du jetzt noch immer einige Punkte in die Schuhe von Albie schieben willst, leite ihm doch bitte meine Kritik weiter. ;)

Er ist leider schon lange tot.

Hehe.

r

 

So ihr beiden, nachdem ihr euch eine wahre Zitat-Schlacht geliefert habt, misch ich mich mal vorsichtig ins Geschehen.
Zuallererst mein Eindruck des bloßen Inhalts: Die Geschichte hat mir gefallen (andernfalls hätte ich mir die Länge wahrscheinlich nicht angetan) Lediglich der Schluss hat mich ein wenig enttäuscht. Irgendwie hatte ich glaub ich ein Happy-End für die beiden Hauptdarsteller erwartet +seufz+.
Ich denke Bibliothekar hat so ziehmlich alle Punkte erwähnt, die mir stilistisch, sowie grammatikalisch aufgefallen sind.
Das Ganze könnte wohl tatsächlich ein paar Kürzungen vertragen, denn durch das viele Geschehen um die "Haupthandlung", verliert der Text seinen Kurzgeschichtencharakter. Dinge wie die detaillierte Beschreibung der Mrs. Hopkins spielen mMn für das eigentliche Geschehen keine große Rolle. solch ausgeformte Nebencharaktere gehören eher in einen Roman.

Und damit ist die Spannung tot. Jetzt weiß Dein Leser, dass Aachen überleben wird, also gruselt sich bei der Odyssee durch den Keller und den Wald niemand.
diesen Punkt kann ich nicht nachvolziehen. Es ist doch von Anfang an klar, dass der Protagonist überlebt hat...?

soweit nun also meine Kritik
Viele Grüße Catharina

 

Hallo, MadameJack!

Freut mich, daß es dir gefallen hat. Ich bin gerade dabei, es zu überarbeiten und (vorsichtig) zu kürzen.

Aber so eine richtige Kurzgeschichte wird es wohl auch dann nicht werden.

Na ja, ich hab da noch was, das ist dafür sehr kurz. - Demnächst in diesem Theater.

r

 

Das hab ich ganz vergessen:

Wenn ich den Text überarbeitet habe, soll ich ihn edieren oder neu posten?
Wenn es nur kleinere Änderungen sind, editierst Du einfach die erste Version. Bei einer grundlegenden Überarbeitung rate ich Dir dazu, diese Geschichte ins Archiv verschieben zu lassen und die aktuelle Fassung als neues Thema zu posten.
Dazu müßte ich vielleicht noch ein paar weitere Kommentare hören.
Das kannst Du wunderbar beeinflussen, indem Du selbst beginnst Kritiken zu schreiben. Du wirst eher gelesen, wenn man Deinen Namen kennt. ;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo relysium,

Habe mir mal deine lange Geschichte vorgeknöpft, weil mich deine ausführlichen Kommentare zu anderen Beiträgen neugierig gemacht haben.

Mein Eindruck: anfangs etwas anstrengend zu lesen, die 80er Jahre hätte ich im Text selbst erwähnt, so störten mich die überholten Vergleiche mit "angejahrten" Stars oder Aachens weltfremde Einstellung zu Piercings. Wenn ich aber gleich weiss, dass der Text nicht heute spielt, sehe ich diese Details in einem anderen Kontext. Gerade die Piercings. Sie mussten damals einem Mann wie Aachen wirklich wie etwas "aus einer anderen Welt" vorkommen; insofern steigern sie deine sehr gelungene Figurencharakterisierung. Die mich besonders bei Glyn überzeugt und fasziniert hat. Dir ist es gelungen, eine wirkliche, literarische Figur zu schaffen, nicht einfach nur einen Handlungsträger. Eine Figur mit einem hohen Wiedererkennungswert, Persönlichkeit, Vielschichtigkeit. Kompliment. Auch ihre komplizierte Beziehung zu dem Hünen ist interessant. Den Kennenlern-Rückblick würde ich allerdings straffen. Manche Details sind interessant (dass der Hüne seine "Braut" vor seinen Kumpels verstecken musste - und du nutzt die Gelegenheit ihn durch eine positive Tat differenzierter darzustellen), andere überflüssig.

Überhaupt, würde ich die Geschichte straffen. Nebenfiguren auf ihre Plätze verweisen. Die Sekretärin und Lady Duvall sind etwas zu ausführlich beschrieben worden, zumal sie für den Ablauf der Handlung kaum eine Rolle spielen.

Bib hat dich schon auf Vieles hingewiesen. Ich finde es schade, dass du diese Geschichte im jetzigen Zustand beläßt und nicht noch mal editierst. Vor allem stören die unmotivierten Bindestriche.

Details

einem miesen Alkoholkater meinen Arbeitstag
> klingt komisch, was für ein Kater denn sonst? :D
> entweder "miesen Kater" oder "verkatert".
Es war eine Art Party, in die mich mein Freund Bert Redwood eingeschmuggelt hatte. Bert kannte Lady Duvall bereits seit längerem, und ich glaube, er wollte ihr den Hof machen. Ob ihm das ernst war, konnte man bei Bert natürlich nie genau sagen.
> Ab hier wird es spannend. Eigentlich könntest du die Geschichte sogar erst ab hier beginnen lassen.
"Es war eine Art Party..." wäre ein gelungener Erstsatz.
Colaflaschenboden-Brillengläser
> zwar etwas umständlich, gefällt mir aber
Sie lächelte und begann ihn zu drehen. Ist Ihnen vielleicht auch schon mal aufgefallen, daß Frauen, wenn Sie sie auf irgendetwas an ihrer Kleidung oder ihrem Schmuck ansprechen, sie sich immer sofort an die benannte Stelle fassen?
> interessante Beobachtung, die den Text angenehm auflockert.
"Was glauben Sie, ein Arzt kann mir den Zahn doch wieder einsetzen? Ich hab ihn noch hier in der Tasche...""Hören Sie mal zu, Glyn: Ich blute aus dem Hals, Ihnen fehlt ein Zahn und mein Freund Bert ist tot!"
> gute Dialog-Passage

Fazit
Eine Geschichte, die zunächst anstrengend zu lesen war, ab Einführung von Glyn jedoch deutlich an Spannung gewann und die ich - trotz der Länge - letztendlich in einem Rutsch gelesen habe (was ich mir anfangs nicht vorstellen konnte).
Die Figurencharakterisierung macht einen großen Reiz in dieser Geschichte aus: glaubwürdige, komplexe, widersprüchliche, interessante Figuren in spannungsvollen Beziehungen.
Du scheinst viel Erfindungsgabe zu besitzen. Ein Füllhorn an Situationen, Verwicklungen, gerade in den Schloss-Sequenzen. Da hast du immer noch "eins drauf gesetzt". Der Stil ist nicht schlecht, in den Personenbeschreibungen oft sehr gut, er könnte aber für den Leser flüssiger sein.

Pe

 

Ah, endlich mal etwas Lob :D

Ich habe schon geschrieben, daß ich eine Überarbeitung in der Mache habe, allerdings: gut Ding will Weile haben!! Da man als Autor immer vor dem Problem steht, zuwenig Abstand zu seinem Werk zu haben, und so das Wichtige vom Unwichtigen nur schwer zu scheiden ist, ist es zuweilen sinnvoll, den Kram ein paar Tage in der Schublade "abhängen" zu lassen.

Desweiteren nehmen andere Dinge meine Aufmerksamkeit in Anspruch, ich bastele fleißig an einem Roman-Zyklus, dessen erster Band - so Gott will - noch dieses Jahr veröffentlicht werden wird.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß ich noch Probeleser suche. Wen es interessiert, der schicke eine Mail an mich.

r

 

Ich poste jetzt mal den Text, soweit ich ihn bereits redigiert habe. In Kapitel 1 habe ich massive Kürzungen vorgenommen, ca. 15-20%. Auch die Eingangskritik von Biliothekar wurde eingepflegt.

r

 
Zuletzt bearbeitet:

Schön, dass du du noch mal überarbeitet hast. :)
Der Anfang liest sich in der neuen Version erheblich flüssiger.

Desweiteren nehmen andere Dinge meine Aufmerksamkeit in Anspruch, ich bastele fleißig an einem Roman-Zyklus, dessen erster Band - so Gott will - noch dieses Jahr veröffentlicht werden wird.

> Wo veröffentlicht? *neugierig*. Welches Thema?

Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß ich noch Probeleser suche. Wen es interessiert, der schicke eine Mail an mich.

> Ich denke, kg lebt vom gegenseitigen Kommentieren. Es ist kein Leseclub, wo es den fleißigen, ehrenamtlichen Privatlektor gibt, sondern ein Forum von Schreibern. Die meisten haben soviel mit Arbeit, Familie, Studium (und natürlich auch ihren eigenen Texten) zu tun, dass man auf ein ausführlicheres Lektorat eigentlich nur hoffen kann, wenn man selbst sehr engagiert kommentiert.

LG Pe

 

Shön, dass du du noch mal überarbeitet hast.

Ist es denn jetzt besser? Oder immer noch zu lang?

Wo veröffentlicht? *neugierig*. Welches Thema?

Das wo steht immer noch nicht fest. Das wird ein zähes Ringen.
Thema: Fantasyhorror. Es geht um ein Tor in eine Parallelwelt, und was die Protagonisten beider Seiten in der jeweils anderen Welt erleben.

Ich denke, kg lebt vom gegenseitigen Kommentieren. Es ist kein Leseclub, wo es den fleißigen, ehrenamtlichen Privatlektor gibt, sondern ein Forum von Schreibern. Die meisten haben soviel mit Arbeit, Familie, Studium (und natürlich auch ihren eigenen Texten) zu tun, dass man auf ein ausführlicheres Lektorat eigentlich nur hoffen kann, wenn man selbst sehr engagiert kommentiert.

Ich denke nicht, daß man mir hier mangelnde Beteiligung vorwerfen kann.
Ich werde meinen Roman hier nicht posten, weil das erstens gar nicht geht (zu lang, und Serien wurden ja dichtgemacht), und zweitens dies eine öffentlich zugängliche Webseite ist.
Wer neugierig ist, der wird sich melden, und wer nicht, der nicht. Man geht keine Verpflichtung damit ein, meinen Roman zu lesen (höchstens eine moralische, hehe). Ich will nur keine unkontrollierten anonymen Downloads.

r

 
Zuletzt bearbeitet:

Es ist viel besser. In der Tendenz immer noch - leicht - zu lang, aber es hält sich im Toleranzrahmen. Vielleicht könntest du noch ein paar Absätze einbauen?

Das wo steht immer noch nicht fest. Das wird ein zähes Ringen.
> Hast du noch keinen Verlag oder verhandeltst du gerade?

Anonyme Downloads. Das würde ich auch nicht wollen. So gesehen kann ich deinen Standpunkt verstehen.

Rubrik Serien. Gibt´s doch immer noch. :)

Pe

 

Kompliment!

So eine Geschichte sollte nicht verstauben. Ist wohl ein kleines bisschen zu lang, sie am Bildschirm zu lesen, aber deshalb habe ich sie - im Vertrauen, dass sie gut ist - auch ausgedruckt.

Sie ist nicht nur gut, sondern verdammt gut. Eine der besten Horrorgeschichten (ich sag bewusst nicht Kurzgeschichten), die ich hier gelesen habe.

Hallo relysium! :D

Was mir so spontan einfällt:

Eine herrliche, recht inkonventionelle Horrorgeschichte (wo dies bisweilen ein bisschen fehlt hier).
Tolle Charakteren. M.E. alles glaubwürdige Szenen, die mich gefesselt haben. Null Kitch.
Besonders gelungen sind dir das Mädchen und der Hüne allgemein, sowie deren Beziehung. Aber auch Aachen ist beeindruckend geschildert.
Der Horroreffekt ist da, besonders der Teil im Keller mit dem Knurren. Aber auch die Motte - ich hasse Motten (Nachtfalter auch, nebenbei gesagt), da hast du mich gerade richtig erwischt.
Ganz toll ist auch das fast gelingende Vorhaben Setts, durch gegenseitigen Hass den Tod seiner 'Besucher' zu erlangen. Und diesen Hass hast du perfekt begründet, zuerst Bert, der den Hünen neidisch macht, dann der Notar, der den Hünen aus guten Gründen hasst und das Mädchen, das ebenfalls ihre verlorene 'Liebe' dem Notar zuschulde macht.
Der Humor war zu 99,5% auch angenehm.
Ich könnte noch vieles Erwähnen.

Diese Geschichte wird demnächst in den Empfehlungsthread wandern, wo sie sicherlich besser aufgehoben ist, als in der x-ten Seite der Rubrik.

mfg,

Van

 

Den Namen Albert Aachen habe ich aus dem Film "Die Morde des Herrn ABC". AA war das erste Opfer.

r

 

Hi rel,

Du hast zwar vorgewarnt, dass Deine story lang ist, aber als dann mein Drucker mit der ersten Seite begann, dachte ich, dass da irgendwas defekt ist (Seite 1 von 35!!!).
Aber dem war nicht so. Und im Nachhinein muss ich sagen: Zum Glück!

Habe ja bei den meisten Deiner Geschichten ´bemängelt´, dass sie mir zu kurz waren. Hölle! Diese war genau richtig.
Ich persönlich fand keine Ausführung zu lang; selbst die ausführliche Darstellung der Nebencharaktere war perfekt abgestimmt und gehörte absolut hier rein. Schließlich bringt da ein Irrer in einer Zelle seine Gedanken zu Papier (sorry, meinte jetzt nicht Dich! :D )
Und wenn der halt drüber nachdenkt, was ihm so widerfahren ist, dann kann er ruhig schon mal etwas vom eigentlichen Plot abschweifen.

Für mich war es eine Geschichte, bei der man sich so sehr in die Charaktere hineinversetzen konnnte, dass man eigentlich nicht will, dass sie irgendwann zu Ende ist. Kennst Du sowas?! Man liest zum Schluß immer langsamer.

Werde diese Geschichte auf jeden Fall zu meiner Sammlung ´Empfehlenswerte Werke´ heften (okay, hast Du zwar nichts von, aber egal ...)

Vielen Dank noch mal für die wirklich nette Unterhaltung. :thumbsup:

Salem

 

@relysium: Nachdem du im Chat vor Ewigkeiten mal angedeutet hast, dass dies deine Lieblingsgeschichte ist, habe ich sie endlich gelesen. Nun ja, für so eine lange Geschichte muss man sich schon Zeit nehmen. Aber ich muss sagen, es hat sich gelohnt! Es ist flüssig, unterhaltsam geschrieben, die Charaktere sind extrem, aber überzeugend gezeichnet, auch der Gruselfaktor war angenehm. Am besten hat mir die Stelle gefallen, als dein Prot mit der ein-Meter-Lampe durchs Gemäuer irrt. Aber leider muss ich mich auch den Kritikern anschließen, die bemerkten, dass der distanzierte, lockere Erzählstil und die Länge an einigen Stellen die Spannung nimmt. Und am Schluss war ich ebenfalls ein bisschen enttäuscht. Es hätte kein Happy-End sein müssen, irgendwie habe ich noch mit einem Knaller gerechnet. Vielleicht liegt es auch wieder nur an dem distanzierten Erzählstil. Jedenfalls werde ich mich bald an die nächste lange Geschichte machen!
Gruß tamara

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom