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Der schwarze Reiter, der keiner war
Nervös ging Arlan im Zimmer auf und ab. Er blickte auf die Uhr. Die Zeit lief ihm unbarmherzig davon. Bis auf die wenigen Kerzen, die er entzündet hatte und die den Raum nur geizig beleuchteten, war es im ganzen Haus dunkel.
Trotz seiner Aufregung und der Angst, die ihm im Nacken saß, versuche er leise zu sein, denn das alte Holz stöhnte unter den Schritten seiner Stiefel.
Unten in dicke Laken gehüllt und an die Brust seiner Mutter gelegt, schlief seine Tochter.
Er liebte beide abgöttisch und würde eher in den Tod gehen, als sie in Gefahr zu bringen.
Es blieb keine andere Möglichkeit, er hatte keine Wahl. Mit jeder Sekunde, die er hier sinnlos verstreichen ließ, kamen sie näher. Und sie werden ihn umbringen und wenn sie die beiden unten finden, werden sie sie ebenfalls töten.
Arlan sah immer noch die Gesichter vor sich. Zwei schmale Kulleraugen, wilde struppige Haare, hellblasse Haut. Beide waren noch keine fünfzehn Jahre alt gewesen.
Als der Henker angesetzt hatte, spürte er keine Reue, keine Angst. Er hatte auf seinen Kopf gezielt und geschossen. Das Getose der Menge erlosch, dass wusste er noch. Dann ging alles drunter und drüber. Schnell hatte er seine Pistole im Mantel vergraben und sich davon gemacht. Unbemerkt wie er gehofft hatte, doch nichtsdestotrotz wusste er, dass sie bald kommen würden.
Draußen ging kein Lüftchen und die Nacht war ruhig, wie um seiner misslichen Lage zu gedenken.
Wenn er jetzt ginge, konnte er sie vielleicht retten, denn lieber starb er, als ein kleines und ein etwas größeres Grab ausheben zu müssen.
Er blieb stehen. Durch die Stille des Hauses drang eine leise, aber klare Stimme. Aus dem Zimmer unter ihm drang ein Gesang zu ihm empor. Es war das Schlaflied, das seine Frau der Kleinen vorsang, wenn sie sehr unruhig war oder nicht einschlafen konnte.
Woher seine Frau dieses Lied kannte, wusste er nicht, aber seine Worte stammten aus einer fremden, ihm unbekannten Sprache, so dass er keine Silbe verstand.
Doch der Klang des Liedes erzählte wundersame Geschichten, Bilder von prächtigen Landschaften und unbekannten Ländern strömten unwillkürlich durch seinen Kopf, wenn er es hörte und des nachts, wenn er träumte, glaubte er manchmal dieses Lied zu hören, wie es eins wurde mit seinem Traum
Vom bezaubernden Gesang seiner Frau mit neuem Mut bekeimt, der die tief sitzende Angst in seinem Herzen bändigte und die Stimme des Zweifels in ihm zu schweigen brachte, fasste Arlan seine Entscheidung.
Rasch packte er die wenigen Habseligkeiten zusammen, die er unterwegs brauchen würde und brach auf. Leise schlich er sich die Treppen hinunter und lauschte. Seine Frau lag mit ihrer Tochter im Arm in der Ecke vor dem Kamin und schlief. Er erhaschte nur einen kurzen Blick, um sicher zu gehen, dass er unentdeckt fliehen konnte, denn er fürchtete bei dem Anblick der beiden Geschöpfe, die er so bedingungslos liebte, schwach zu werden.
Im Stall stand sein Pferd bereits fertig gesattelt, bereit loszureiten. Denn trotz seiner Zweifel hatte er alle Vorkehrungen getroffen, um sich jede der wenigen Möglichkeit zu wahren.
Er schwang sich auf Rhasan, versetzte ihm einen kräftigen Schlag in die Flanken und raste hinfort in die Nacht.
Der Wind blies ihm ins Gesicht und je schneller er ritt und je weiter er kam, desto dunkler wurde es um ihn herum. Die Wolken über ihm zogen sich zu dunklen, bedrohlichen Klumpen zusammen und die Äste der Bäume griffen nach ihm und versuchten ihn vom Pferd zu zerren.
Ein grölender Donner fegte über ihn hinweg und brauste brüllend durch die alten Fichten und Kastanien des Waldes.
Immer stärker und heftiger stürmten ihm die Böen des Sturms entgegen und das Rauschen und Knistern der Bäume war kaum mehr vom Flüstern des Windes zu unterscheiden.
Rhasans Pferdehufe huschten so schnell über den lehmigen Waldboden, dass einzelnen Beine nicht mehr auszumachen waren. Dennoch trieb er es unbarmherzig voran, die Zügel fest und kühn in den Händen, denn er wusste, er ritt gegen den Tod.
Schatten huschten links und rechts an ihm vorbei, als Blitze in einiger Entfernung einschlugen und kurz den winzigen Waldweg beleuchteten, der sich durch den uralten Wald schlängelte.
Da lösten sich aus der Dunkelheit hinter ihm drei finstere Schemen, deren Gestalten auf schwarzen Pferden saßen und die Gesichter mit einer roten Kapuze bedeckten.
Er drehte sich nicht um, denn er wusste, wer sie waren.
Wie Lanzen ragten ihre Gewehre heraus, doch er war noch zu weit weg, um ein Ziel zu bieten.
Wenn er schnell genug wäre, die Distanz zu wahren, hatte er noch eine Chance, sie bei der Lichtung in der Mitte des Waldes abzuhängen. Nun trieb er die Stollen mit seiner ganzen Kraft in das Pferd, das keuchte und schwitzte, aber trotzdem so schnell lief, wie es konnte.
Der Weg vor ihm schmälerte sich zu einem Fußweg, das Gestrüpp aus modrigem Holz auf beiden Seiten verdichtete sich zu einem undurchdringlichen Wirrwarr, doch Rhasan flitzte schnell wie ein Blitz den Pfad entlang.
Doch je näher sie der Lichtung kamen, desto verschachtelter und umso enger wurden die Kurven, die der Weg beschritt. Sie machten es unmöglich, das waghalsige Tempo beizubehalten.
Rhasan kam abrupt über einer Wurzel ins stolpern, rutschte auf dem matschigen Boden aus und stürzte.
Von der Wucht überrascht, wurde Arlan über das Pferd hinweg nach vorne geschleudert und prallte mit dem Rücken auf dem Boden auf.
Der Schmerz pulsierte durch seinen ganzen Körper und für einen Moment fiel er in Ohnmacht.
Doch die kurze, ruhige Dunkelheit wich einem verschwommenen Sternenhimmel, als sich die drei dunklen Reiter über ihn beugten. Er war wie gelähmt, konnte sich nicht bewegen und starrte sie nur hilflos an.
Ihre Gewehre waren wie Klingen auf ihn gerichtet und die kurzzeitige Hoffnung, die ihn vorangetrieben hatte, verschwand wie eine versiegende Quelle.
Dies war das Ende. Entmutigt schloss er die Augen, er war blind geboren worden, nun sollte er auch blind sterben.
Er roch den würzigen Duft der Fichten und Pinien. Der Wind schrie wie ein sterbender Riese, doch er spürte nicht mal einen kleinen Luftzug.
Plötzlich umschloss ihn Stille. Jeder Laut war schlagartig erloschen.
Eine Stimme erklang weit entfernt, doch er hörte sie klar und deutlich. Ein Sanftmut lag darin und Zärtlichkeit, wie sie Verliebte miteinander teilen. Sie sang ein Lied, das er kannte. Die Melodie tönte lieblich wie ein Schwan im Wasser in fremden Worten, die er dennoch verstand.
Es war das Schlaflied seiner Frau.
Da grölte ein weiterer Donner über ihm, doch dieser war lauter und näher als die Schreie, die aus der Kehle des Gewitters stammten.
Arlan presste die Augen zusammen, da er damit rechnete, einer der Reiter habe sein Werk vollendet, da folgten zwei weitere Schüsse.
Ein Schmerzensschrei ertönte neben ihm und er hörte wie die drei Gestalten stöhnend vor ihm zu Boden fielen.
Es war zu dunkel, um etwas sehen zu können und alles war furchtbar schnell passiert.
In einiger Entfernung neben ihm baute sich ein dunkler, riesiger Schatten auf, doch er konnte ihn nicht genau erkennen.
Sein Gesicht war, genau wie das seiner Verfolger, die nun tot auf dem Boden lagen, mit einer schwarzen Kapuze bedeckt. Sein Pferd hielt er neben sich an den Zügeln.
Der schwarze Reiter hatte das Gewehr, mit dem er geschossen hatte, gesenkt, doch trotzdem musste das nichts heißen.
Langsam, aber mit mächtigen, stampfenden Schritten, kam er auf ihn zu. Das Pferd ließ er zurück.
Es schien, als erbebe die Erde unter seinen Füßen, wenn er sie berührte und der schwarze Umhang, der ihn umhüllte, flatterte wild im Wind, als wolle er mitgerissen werden, seinem grausamen Besitzer entfliehen.
Kurz vor dem verletzten Flüchtling blieb er stehen und ging in die Knie.
Mit einer Handbewegung streifte er sich die Kapuze vom Kopf und gab endlich den Anblick auf sein Gesicht preis.
Helle, blonde Locken purzelten aus dem Stoff seines Umhangs und schmiegten sich sanft um ein schmächtiges Frauengesicht. Freundlichkeit und Liebe sprachen aus ihren Augen und ihre Lippen glänzten matt wie der Mond. Es waren diese Lippen gewesen, die das Lied der Nacht und der Hoffnung sangen, als sein Mut versickerte. Das Schlaflied.
Sie setzen sich beide auf ein Pferd und ritten gemeinsam in die Nacht hinaus, den Weg zurück zu ihrer Tochter, die sanft und friedlich, in Laken gehüllt, vor dem Kamin schlief.