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Der Weg des Nachtwandlers

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06.06.2002
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Der Weg des Nachtwandlers

Der kalte Schnee fraß sich brennend in die Wunden an meinen Pfoten. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um die dunklen Abdrücke zu betrachten, sondern war bereits vom Geruch meines Blutes wie benebelt. Erschöpft verkroch ich mich hinter dem Grabstein. Das Gespenst würde ohne weiteres meiner Fährte durch den Schnee folgen können.
Winselnd und mit eingezogenem Schwanz war ich abgehauen. Ich war so ein Feigling. Dabei musste dieser Kampf eines Tages kommen. Denn wir waren die beiden stärksten Wölfe in diesen Bergen. Und es konnte nur einer von uns überleben: Er, das Gespenst oder ich … der Nachtwandler.
Ich blickte auf und sah Wolken, die vor der hellen Scheibe des großen Mondes dahin jagten. Um mich herum knarrten die alten Bäume in den Wogen des kalten Nordwindes. Obwohl ich das Gefühl hatte, innerlich zu verbrennen, stellten sich meine Nackenhaare auf. Ich begann vorsichtig meine Wunden zu lecken. Hier roch es nach Mensch.

Als ich geboren wurde, da dachte ich nie daran, dass ich eines Tages Führer des Rudels sein würde. Ich war sehr glücklich in den ersten Jahren meines Lebens, bis ich die Erfahrung machte, was es heißt, um seine Stellung kämpfen zu müssen. Damals als unser Vater starb und mein Bruder mich zum ersten Mal zum Kampf herausforderte, waren wir beide noch nicht soweit, und ich gewann vielleicht mehr mit Glück, als mit Verstand.

Das entfernte Heulen meines Rudels ließ mich aufschrecken. Sie warnten mich.
Heute Nacht würde sich entscheiden, wer sie weiterhin führen würde … ich antwortete. Es war mir gleich, ob er mich hören konnte. Umso schneller es entschieden wurde desto besser.
Ich stand auf und humpelte hinter dem schützenden Stein hervor. Der Wind begann sofort mein Fell zu zerwühlen. Schneeflocken begannen sich unter die Böen zu mischen, als ein seltsames Knistern die Luft erfüllte. Ich sah empor zu einem Gebilde, das von Menschenhand errichtet worden war. Blitze zuckten an ihm entlang, wie ich sie nur von Sommerstürmen her kannte. Das Gebilde wankte gefährlich im Wind und brach dann krachend in sich zusammen.
Hinter den Blitzen tauchte er auf – das Gespenst - zwischen uns ein Regen aus Feuerfunken, den ich nicht zu beschreiben verstand.
Er heulte triumphierend in die Nacht hinaus. Das fremde Feuer und die Blitze versiegten und der Wind legte sich, als er wie durch Geisterhand die Kontrolle über die Naturgewalten nahm. Panik durchflutete mich.
Mein Bruder stand vor den Trümmern. Er hatte den Kopf gesenkt und kam langsam, aber mit sicheren Schritten näher. Ich trat zurück, meine Beine waren weich und zitterten. Der dunkle Himmel verwehrte mir den Blick auf die Sterne … und damit zu unseren Vorfahren.
Mein Verstand flüsterte mir, dass es Zeit war sich zu stellen und mit Würde abzutreten.
„Dieser Kampf ist noch lange nicht zu Ende.“ Seine Stimme hallte in meinem Kopf wieder. Ich duckte und rollte mich auf den Rücken. Er lachte - ein dunkles, hässliches Grollen aus seiner Kehle.
Ein Schuss ließ seinen Kopf hochschrecken. Menschen?
Mit einem Satz sprang ich auf und verbiss mich in seiner Kehle. Er war so überrascht, dass er etwas zu spät reagierte. Sein heißes Blut ergoss sich in meinen Rachen, und ich ließ gurgelnd los.
„Du weißt, dass es nicht in dieser Welt entschieden wird …“ Sein Auge funkelte, und obwohl ihm Blut über das Fell auf den Boden tropfte, wankte er nicht einmal. Aber vielleicht hatte ich doch eine Chance.
Ich kam auf die Beine und gemeinsam begannen wir uns zu umrunden. Mein Körper zitterte bei jedem Schritt. Er wirkte so viel größer und stärker als ich. Für einen Moment stellte ich in Frage, wieso ich eigentlich Alpha geworden war.
Dann sprang er, meine Unachtsamkeit nutzend, und ich wurde hart zu Boden gerammt. Seine Zähne gruben sich tief in meine Kehle und ich wusste, dass er mich nicht mehr loslassen würde. Er hatte sich um meinen Hals verbissen. Mit verdrehten Augen, blickte ich in das seine, Es leuchtete silbern, als ein seltsames Licht, den kleinen Friedhof zu erhellen begann. Die Menschen waren gekommen.
Doch er ließ nicht los. Sein Speichel brannte in meiner Wunde und schien tiefer in mich einzudringen. Ich zuckte hilflos mit den Beinen, versuchte ihm die Krallen in den Unterleib zu stoßen, doch meine Kräfte schwanden. Mit dem aufkommenden Stimmengewirr wurde mein Blick zunehmend trüber, bis ich einen weißen Punkt sah. Schüsse zerrissen die Nacht … dumpf und fern … und ich erwachte erst nach einiger Zeit wieder auf der Totenstädte der Menschen - allein und ohne Schmerzen.

Benommen richtete ich mich auf. Das Gespenst war verschwunden, und alles was übrig geblieben war, war dieses seltsame Feuer, das vor mir im Schnee loderte. Ich hatte Angst vor ihm, doch es faszinierte mich zugleich. Es brannte in blauen Farben und ein nebliger Schleier hob sich aus ihm empor. Ein seltsames Farbenspiel begann sich seinen Weg zum Himmel hinauf zu bahnen und erinnerte mich an die tanzenden Lichter des Nordhimmels. Aus dem Feuer heraus schlängelte ein dünner Nebelfaden … direkt auf mich zu. Ich wich zurück und musterte den hellblauen Streif mit schräg gelegtem Kopf. Er näherte sich langsam, als versuchte er mich zu locken. Dann berührte mich der Schleier sanft unter meiner Schnauze. Ich fühlte, wie ich von einer angenehmen Wärme durchflutet wurde und mich ohne Zögern auf das Feuer zu bewegte, bis ich von seinen Flammen verschluckt und von dem blauen Nebel emporgehoben wurde … hinauf zu den Sternen meiner Vorfahren.

„Schwarz ist dein Fell, so dass du mit den Schatten verschmilzt. Eins wirst du mit der Nacht, wie die Nachtwandler.“
„Was sind die Nachtwandler, Tante?“
„Die Ältesten sagen, sie sind hier um die Rudel zu schützen … sind gar die Seelen unserer Vorfahren. Sie nutzen die Nacht, um zwischen den Ebenen zu wandern. Denn nur in den Ebenen sind die Gespenster besiegbar.“
„Was sind das denn für Ebenen?“
Aber meine damalige Tante schwieg, sowie alles zu schweigen begann, wenn mein Bruder sich zu uns gesellte. Er verstand es mit der Stille zu schreiten. In einer dunklen Nacht, wenn der Vollmond ihn bestrahlte und sein gesundes Auge glänzte, sah er aus wie ein Vorbote des Todes. Er war das Gespenst … und alle fürchteten ihn.
„Er ist mit den Menschen im Bunde“, hatte eine meiner Tanten schon damals gesagt. Aber ich glaubte nicht daran, dass Menschen die Natur kontrollieren konnten … aber er, er konnte es. Es musste etwas anderes sein, dass wir vielleicht nie verstehen würden.

„Der letzte Nachtwandler hat seinen Weg zu uns gefunden. Wach auf, denn er ist dir schon weit voraus.“
„Tante?“ Ich blinzelte und öffnete meinen Augen. Noch bevor ich die Frage stellen konnte, was geschehen war, sprang ich auf und starrte um mich - noch viel mehr … unter mich. Wo war ich?
„Dort, wo die Zeit keine Rolle spielt“ , hauchte die Stimme.
Vorsichtig setzte ich eine Pfote nach vorne. Ich rechnete damit, dass ich keinen Boden unter mir finden würde, doch ich schien auf einer kalten, unsichtbaren Oberfläche zu stehen. Unter mir glänzte ein gigantischer Ball aus kaltem blauem Feuer.
„Was bist du?“, flüsterte ich.
Der Ball pulsierte rhythmisch, und ich stupste mit meiner Schnauze gegen die unsichtbare Barriere.
„Euer Anfang … und euer Ende ...“
Ich verstand nicht sofort, was dieses seltsame Gebilde mir damit sagen wollte.
„… was du in einer klaren Nacht am Himmel stehen siehst, was du für Seelen hälst - und noch viel mehr.“
„Bin ich tot?“, antwortete ich. „Und du, bist du der Urahn aller Wölfe? Ich habe viele Geschichten von dir gehört, aber ich hatte dich mir immer als großen, alten Greisen vorgestellt.“
„Du bist weiser als dein Bruder, deswegen bist du zum Nachtwandler geboren worden und nicht er. Doch du musst dich beeilen, denn er weiß zu viel über diese Welt.“
„Aber ich bin doch tot! “
„Ihr seid gemeinsam gegangen. Hier bist du lebendiger, als du es je zu träumen gewagt hast. Es liegt jetzt nur an dir zu verhindern, dass er die Grenzen der Zeitlosigkeit als erstes erreicht. Dort müsst ihr euren Kampf austragen, oder ihr werdet niemals eure Ruhe finden.“
„Was passiert, wenn ich scheitere?“ Mein Leben lang hatte ich Angst davor gehabt ihm erneut gegenüberzustehen, obwohl ich mein Rudel vor so vielen anderen Gefahren geschützt hatte.
„Wenn du verlierst, wird er die Wölfe zu den Menschen führen und eure Rasse wird vergehen.“
„Die Menschen werden uns töten, wie sie es so oft getan haben“, flüsterte ich zu mir selbst, „egal wer uns führen wird. Unser Leben haben wir schon immer in Furcht vor ihnen gelebt.“
Ich hasste die Menschen noch viel mehr als meinen Bruder. „Warum sollte er seine Familie verraten?“
„Er ist dein Gegenpol in diesem Universum. Es steht euch nicht zu hinterfragen, warum es Gutes und Böses auf dieser Welt gibt. Ihr würdet es nicht verstehen.“
„Haben wir nicht ein Recht darauf? Wofür kämpfe ich sonst?“
„Für die Loyalität, die von vielen Generation vor dir ohne in Frage gestellt zu werden eingehalten wurde.“
Ich empfand die Worte als ungerecht, denn sie gaben mir keine Sicherheit.
„Lerne dir selbst zu vertrauen.“
Plötzlich und ohne Vorwarnung begann sich die Welt unter mir zu drehen. Der blaue Ball verschwand und ein anderes Gebilde trat an seine Stelle. In seiner Mitte loderte ebenfalls ein flammender Ball, in sanftem Gelb, das mir sehr vertraut erschien. In einiger Entfernung bewegten sich bunte Körper. Ich war fasziniert, aber ich verstand nicht, was ich dort sah.

Dann erhob sich sein Heulen über diese Welt. So triumphierend, wie es immer erklang, wenn er einen Kampf eröffnete. Ich blickte um mich, Hilfe erbittend, aber niemand antwortete.
„Wohin soll ich denn gehen? Wo sind diese Grenzen der Zeit?“ Ich wanderte einige Schritte orientierungslos durch diese neue Welt und starrte dabei unsicher auf meine Pfoten. Der Gedanke einfach haltlos in die Tiefe fallen zu können, setzte sich so stark in meinem Kopf fest, dass ich mich ängstlich duckte. Er heulte erneut, und forderte mich heraus. Ein spöttischer Ton schwang in dieser Melodie. Und wieder begann sich die Welt unter mir zu verändern. Nebelschwaden begannen mich zu umhüllen. Sein Lachen erfüllte die Luft um mich.
„Der Gestank deiner Angst durchflutet die gesamte Nachwelt.“
Ich ignorierte diese Worte und versuchte seine Fährte aufzunehmen. Diese neblige Welt erfüllte mich mit viel mehr Zuversicht. Sie erinnerte mich an unsere Wälder an vielen frühen Herbstmorgenden.
„Warum hast du unser Rudel immer wieder an die Menschen verraten?“, fragte ich und hoffte, er würde sich mir zeigen. Vorsichtig pirschte ich durch den Nebel, mein Körper war angespannt, jede Zeit bereit anzugreifen.
„Sie haben eine Macht erfunden, die unsere Welt besiegen wird … Technik, so nennen sie es, und ich nenne es meine neue Loyalität. Hast du ihre Sprache immer noch nicht verstanden? Weißt du immer noch nicht, dass es vorbei ist? Du bist solch eine Schande für unsere Urahnen.“
Ein heiseres Grollen des Hasses begann aus meiner Kehle zu steigen. Seine Worte erfüllten mich nicht nur mit Scham. Etwas loderte in mir. Ich wollte beweisen, dass ich kein Feigling war.
„Ich habe unsere Familie über Jahre hinweg erfolgreich vor den Menschen beschützt und sie geführt. Und du, du hast die Menschen zu uns gebracht, es zugelassen, dass sie unseren Wald zerstören. Du bist derjenige, der seine Familie verraten hat.“
Sein Lachen war versiegt und Stille kehrte ein.
„Wo sind nun deine weisen Worte mein Bruder?“, flüsterte ich.
Etwas Helles huschte vor mir durch den Nebel, und ich setzte ihm nach. Jetzt nahm ich seine Witterung auf, und hatte das Gefühl, als wäre er zum Greifen nahe, als könnte ich seinen Atem direkt vor mir hören. Mein ganzer Körper schrie plötzlich danach ihn zu töten und die Angst endlich hinter sich zulassen … ich wollte frei sein.
Schließlich lichtete sich der Nebel und gab den Blick auf das Gespenst, das vor mir einen schmalen Waldweg entlang hetzte, endgültig frei. Die Welt, die uns umgab war ein Wald aus abgestorbenem Geäst … so stellte ich mir auch die Seele meines Bruders vor.
Im Laufen brach mein Bruder plötzlich zur Seite hin aus und verschwand im Dickicht. Ich sprang über einen Baumstamm hinweg und stoppte abrupt. Mein Brustkorb hob und senkte sich schnell und schmerzhaft.

Ein dämonisches Heulen erfüllte die gesamte Welt – der Gesang von Hunderten … und ich folgte ihm eine schmale Hügelgruppe hinauf.
Erstaunt starrte ich in das kleine Tal vor mir. Dort, von wo der Gesang kam, war nur ein kleiner Wasserfall, der sich die Hänge hinunter, in einen schwarzen See verlor. Ob es wohl eine Falle war? Trotzdem lief ich den Hang hinab. Meine Pfoten fanden kaum halt auf dem geröllhaltigen, steilen Boden. Ich rutschte aus und überschlug mich. Für einen Moment stand alles Kopf, bis ich benommen zum Liegen kam. Erst als die Schmerzen in meinem Körper nachließen und ich mich wieder aufrichten konnte, schleppte ich mich träge und durstig in Richtung des Wassers. Ich blickte mich ängstlich zu allen Seiten hin um, und wusste, dass ich meine Kräfte unnötig aufs Spiel gesetzt hatte.
Der Bodennebel teilte sich vor mir, als ich an das Ufer trat, ich beugte mich nieder und trank aus dem kühlen Wasser. Es belebte mich. Eine rasche Bewegung unter mir ließ mich jedoch das Wasser genauer betrachten. Ich konnte nicht auf den Grund sehen. Das Wasser war von einer bleiernen Schwärze erfüllt. Als sich die Oberfläche beruhigte, sah ich mein Spiegelbild. Meine bernsteinfarbenen Augen blitzten immer noch lebhaft. Dann zwinkerte mir mein Spiegelbild mit einem Auge zu und zog die Oberlippe nach oben, sodass mir die Zähne meiner selbst entgegen bleckten. Ich sprang entsetzt zurück.
Keine Minute zu früh. Das Wasser teilte sich spritzend und das Gespenst sprang vor mir ans Ufer. Seine Nackenhaare waren weit aufgerichtet, seine Haltung tief geduckt. Das Auge rollte irrsinnig, während er knurrend seine Zähne fletschte.
Ich knurrte zurück. „Diesmal bringen wir es zu Ende.“
Er gab mir keine Antwort, sondern kam zielstrebig auf mich zu. Ohne zu zögern, sprangen wir beide. Unsere Körper prallten noch in der Luft mit einem dumpfen Hall aufeinander. Das Geräusch zusammenschnappender Kiefer zerriss die Stille. Hart schlug ich auf dem Boden auf und schnappte sofort wieder zu, bekam aber nur ein Büschel Fell zwischen die Zähne und spuckte es hustend aus. Schnell waren wir wieder auf den Beinen. Wir fixierten uns, Ruten erhoben, Köpfe tief gesenkt. Ich bewegte mich um seine blinde Seite herum und wollte ihn aus dieser Schräge heraus angreifen.
Ich verfehlte seine Kehle nur um Haaresbreite, aber er setzte direkt zum Sprung an und biss mir tief ins Schulterblatt. Ich konnte fühlen, wie seine Zähne über meinen Knochen schrappten. Meine Beine gaben nach, dennoch nutzte ich die Gelegenheit und brachte einige Meter Abstand zwischen uns. Heißes Blut quoll aus meiner brennenden Wunde. Aber mein Gegner wirkte erschöpft. Er war verwundbar in dieser Welt.
Ich täuschte noch mehr Schwäche vor und trat schwankend zurück. Es würde ein waaghalsiges Manöver werden, wenn es funktionierte. Mit ein paar schnellen Schritten pirschte er los und sprang dann erneut. Ich warf mich zur Seite und bekam ihn direkt an der Kehle zu fassen, als er auf mir landete … grub meine Zähne tief in sein Fleisch und riss den Kopf herum. Ich fühlte wie die Muskelfasern sich zwischen meine Zähne gruben. Sein Blut besudelte meine Schnauze und löste in mir einen gigantischen Heißhunger aus. Wieder schüttelte ich den Kopf, als wollte ich meine Beute zerfetzen. Ich hörte ihn winseln, biss noch fester zu, bis sein Gewebe reißend nachgab und er nach hinten wegstolperte.
Erstaunt, und wieder einigermaßen zu Sinnen kommend, spukte ich einen Fetzen Fleisch angewidert aus und betrachtete das Gespenst, das breitbeinig vor mir stand und zitternd auf die Blutlache starrte, die sich vor ihm auf den Boden ergoss. Langsam gaben seine Beine nach. Er blickte flehend zu den Hängen, die den kleinen See umschlossen. Auch ich schaute empor. In neblige Schleier gehüllt, sahen sie auf uns herab … unsere Urahnen waren zu uns gekommen, um unserem letzten Kampf beizuwohnen … den ich gewonnen hatte.
Das Gespenst hob ein letztes Mal den Kopf, Blut schoss aus seinen Lefzen hervor, dann brach sein Körper kraftlos in sich zusammen. Fast unglaubwürdig starrte ich den Körper vor mir an und begann vor Aufregung zu zittern. Sein Blut war versiegt, der Atem verstummt. Er bäumte sich kein letztes Mal auf. All das Mysteriöse, das ihn sonst umgab, hatte ihn letztendlich verlassen. Vor mir lag ein alter Wolf. Auch ich fühlte mich jetzt alt.

Ich hob den Kopf und heulte - die anderen stimmten ein. Es war ein Gefühl des Triumphes, wie ich es noch nie zuvor in mir gespürt hatte. Stolz sprach aus meiner Haltung … nur ich allein dirigierte ihren Gesang.
Letztendlich gaben auch meine Beine unter meiner Müdigkeit nach, und ich legte mich nieder. Noch mit dem Kopf auf meinem Pfoten ruhend, schaute ich stolz auf die Wölfe, die jetzt herunter kamen und einen Kreis um mich bildeten. Eine Wölfin löste sich aus diesem Kreis und kam auf mich zu.
„Dein Weg ist noch nicht zu Ende. Stehe auf und folge mir.“
„Ich bin so müde“, sagte ich. „Ich weiß nicht, ob ich noch weiter kämpfen kann.“
„Du kannst es, vertraue mir.“
Mühsam, aber ohne zu widersprechen, richtete ich mich auf und folgte der alten Wölfin schleppend. Auch als wir die Hügel hinauf schritten, verschwieg ich die Schmerzen, die mir der Aufstieg bereitete. Wir sprachen kein einziges Wort, bis sie mich an einen Abhang heranführte. Unten, in der Tiefe, wirbelten Nebelschwaden wild umher.
Ich blickte hinab und verstand, was sie von mir erwartete.
„Du warst immer gut zu mir“, begann ich, „ich habe es dir nie gesagt, bevor du von uns gegangen bist.“
Sie nickte. „Du hast immer ein größeres Herz gehabt als dein Bruder. Nur deine Art die Machwerke der Menschen zu sehen, hat dich Wolf sein lassen. Sei jetzt der Wolf, zu dem du immer bestimmt warst … der du immer sein wolltest.“
Sie wandte sich ab und ihr nebeliges Erscheinungsbild löste sich vor mir auf. Ich hätte ihr gerne noch mehr gesagt, aber vermutlich wusste sie viel besser, wie stolz ich mich fühlte. So ging ich an die Kante des Abhanges und ließ mich in den Nebel stürzen - ich fiel zum ersten Mal ohne Angst.

Es war an einem warmen Sommerabend, als ich und mein Vater einige Wölfe beobachteten. Sie waren selten in unserer Gegend geworden und nur die wenigsten bekamen sie zu Gesicht.
„Wenn die Farmer weiter ihren Lebensraum rauben, wird es sie eines Tages nicht mehr geben.“
„Können wir ihnen nicht erklären, dass sie keine Wölfe für ihr Land töten dürfen?“
Mein Vater schwieg, dann sah er mich eindringlich an. „Vor acht Jahren wurden die stärksten Wölfe dieses Rudels erlegt, weil die Farmer Angst hatten, dass sie ihre Rinder reißen würden. Aber man wollte die Kadaver wegen eines schweren Sturmes erst am nächsten Morgen entfernen, doch die beiden Wölfe waren verschwunden und wurden nie wieder gesehen.“ Er lächelte sanft und tätschelte meinen Kopf. „Du bist in dieser Nacht geboren worden, mein Sohn.“ Mein Vater setzte beide Hände an den Mund, formte sie zu einem Trichter und ahmte das Heulen der Wölfe nach. Ich war verzückt, als die alte Leitwölfin ihm antwortete und tat es ihm gleich. Oftmals fühlte ich mich diesen Tieren viel näher, als den Menschen und konnte ihren zauberhaftem Gesang kaum abwarten … liebte es mit ihnen zu kommunizieren. Wir begrüßten gemeinsam mit den Wölfen die kommende Nacht, und ich nahm mir vor ihnen eines Tages ihr Land zurückzugeben.

 

Hi Mes Calinum, ich hab die Geschichte gerade gelesen, einen ersten Eindruck:

Der Plot war nicht unbedingt neu, die Umsetzung dafür am Anfang relativ schön (abgesehen davon, dass ein Wolf plötzlich irgendwas ausspucken soll, das können die gar nicht) und gegen Ende dem angeborenen Happy-End-Bedürfnis entsprechend. Ich fand den Wolf ein wenig zu menschlich, meiner Meinung nach jedenfalls, aber dafür ist das ja schließlich Fantasy.
Dafür finde ich den Mittelteil sehr unglaubwuerdig und zusammengebastelt. Dann sind sie auf einmal beide tot (dass sie von Menschen erschossen worden sein sollen, hab ich gar nicht mitgekriegt) und eine blaue Kugeltante erzählt deinem Prot, dass er seinen Bruder, den er schon getötet hat, nochmal töten soll, aus keinem anderen Grund, als dass der Bruder (der, so habe ich das gelesen, schon vor einiger Zeit gestorben ist, als dein Prot das Alpha-Tier geworden ist) das genaue Gegenteil von ihm ist. Noch dazu ist der Bruder, der schon viel länger tot ist und viel mehr über dieses Schattenland, in dem sie beide sind, weiß, gerade eben losgelaufen, um zu einem Ort zu gelangen, an dem sich das Schicksal ebenjener Spezies entscheidet. Über dem Ganzen schweben die Menschen als blasses, unausgefeiltes Feindbild, die einfach nur irgendwie obskur böse sind.
Gegen Ende gefällt es mir dafür wieder besser – auch, wenn die letzte Aussage der Tante mir völlig schleierhaft bleibt. Warum ist der Prot nur wegen seiner Ideologie ein Wolf, ist man das nicht, wenn man als solcher geboren ist? Und warum hat er sich bisher nie selbst verwirklicht – davon ist bei mir als Leserin nichts angekommen…
Tut mir Leid, wenn ich dich hier so zerpflücke, aber mit deinem Mittelteil bin ich nicht im Geringsten glücklich. Verleih dem Prot doch mehr Tiefe, dem Antagonisten am besten auch. Böse, die keinen Grund haben, böse zu sein, sind immer unglaubwürdig - und dann kannst du die Kugel oder die Tante noch streichen, das Ganze ausformulieren...
Ist nur mein Senf. Wie gesagt, ich fühl mich auch nicht unbedingt gut dabei, das so klipp und klar zu sagen, aber um das Ganze hinter hübschen Euphemismen zu verstecken bin ich zu müde... :shy:

gruß
vita
:bounce:

 

Danke für deinen Kommentar. Und keine Bange, du bist noch sehr weit vom Zerpflücken entfernt. Du zeigst mir ja nur auf, wo Mißverständnisse aufgetreten sind. Ehrliche Meinungen finde ich gut, und was ich davon für nützlich halte, werde ich auch bedenken.

Dass das Gespenst und der Nachtwandler auf dem Friedhof erschossen worden sind, werde ich noch einmal überarbeiten. Das leuchtet mir ein, dass es gar nicht gut rübergekommen ist. Die Motivationen von beiden Charas dachte ich wären klar, aber darüber werde ich mir aber auch noch einmal Gedanken machen und das ausarbeiten. Ich hatte eh überlegt das ganze auf meine Romanliste zu setzen. Diese Geschichte hier war für den William Voltz Award verfasst, deswegen unterlag sie einer Begrenzung an Wörtern und daher kommt es wahrscheinlich das einige Sachen schlichtweg nur angekratzt werden konnten.

Mit einigen Sachen stimme ich als Autor allerdings nicht überein. Einmal das "zu menschliche". Du sagst es aber eigentlich selbst: Siehe das Genre ... oder lese "Die Wölfe der Zeit" oder "The Sight".
Dass das Gespenst schon vorher gestorben ist, steht mit keinem Wort in dieser Geschichte, sondern nur, dass er in irgendeiner Weise sich den Menschen angeschlossen hat, und dass es früher schon einmal eine Auseinandersetzung gab.
Und Wölfe können ihre Nahrung sehr wohl ausspucken, wie Hunde und Katzen und andere Tiere es auch tun. Was sie nicht können ist das gezielt zu steuern wie Menschen oder Lamas.
Die Kugel ist gar nichts Neues, sondern lediglich ein Stern. Spielt auf das Cliché an, dass man früher gerne in den Sternen am Himmel, die Seelen der Verstorbenen gesehen hat, was nicht unabwegig ist, wenn man Seelen und Sterne über Energie in Verbindung bringt.

Grüße
Mes

 

Hi Mes,

mir hat deine Geschichte irgendwie gefallen, vielleicht liegt das daran, dass ich auch mal ein ähnliches Thema (Mensch-Wolf) umgesetzt habe. ;)

Dass die beiden von Menschen erschossen wurden, hab ich schon verstanden, allerdings solltest du das mit dem Stern nochmal deutlicher machen, das wirkte irgendwie verwirrend. Vielleicht machst du noch klar, dass er zwar denkt, seine Tante spräche, aber dann realisiert, dass es eben nicht ihre Stimme war, oder so.

Tiefere Motivation von Protagonist und Antagonist... Hmmm... ich habe da nicht sooooo viel vermisst. Vielleicht könntest du erwähnen, warum sich das Gespenst mehr zu den Menschen hingezogen fühlt (vielleicht hat er ja mal was Gutes durch sie erfahren), und warum der Nachtwandler sie so hasst. Eventuell könntest du die Beispiele, wo das Gespenst dem Rudel Unglück gebracht hat, noch konkretisieren, nicht alle, aber vielleicht eines, als Rückblende, das wäre denke ich als Charakterisierung recht gut geeignet.

Sprachlich gibt's bei dir nicht viel auszusetzen, ein zwei Fehlerchen sind noch drin, wenn ich die raussuchen soll, sag Bescheid... Dein Stil jedenfalls gefällt mir ganz gut, flüssig zu lesen. Spannend fand ich's auch.

Alles in allem fand ich es schön :)

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hi Du!

Vielen Dank für die Tipps. Hast du deine Wolf-Mensch Geschichte auch hier bei kurzgeschichten.de?
Würde mich freuen, wenn du mir sagen könntest, wo die Fehlerteufel noch stecken. *g*

Grüße
Mes

 

Hi Mes,

okay, Fehlerteufelsuche...


Heute Nacht würde sich entscheiden, wer sie weiterhin führen würde

Hier würde ich "in Zukunft" vorziehen, weil "Weiterhin" für mich schon impliziert, dass der Nachtwandler sie führt (der es ja bisher getan hat.


Der Wind begann sofort mein Fell zu zerwühlen. Schneeflocken begannen sich unter die Böen zu mischen,

einmal rauslassen


Ich duckte und rollte mich auf den Rücken

Ich würde das "mich" hinter "duckte" ziehen


und ich wurde hart zu Boden gerammt.

Hier würde ich "gestoßen" vorziehen, "gerammt" weckt in mir die Assoziation, dass etwas in den Boden hinein gerammt wird.


blickte ich in das seine, Es

Das Komma sollte ein Punkt sein, nicht?


als ein seltsames Licht, den kleinen Friedhof

Und hier kommt das Komma raus


Ich hatte Angst vor ihm, doch

Klingt nach einer Person. Da du aber von Feuer sprichst, fände ich "davor" besser


Aber meine damalige Tante schwieg

Das klingt ein bisschen so, als wäre sie später nicht mehr seine Tante gewesen. Vielleicht kannst du es irgendwie anders deutlich machen, dass es in der Vergangenheit spielt


„… was du in einer klaren Nacht am Himmel stehen siehst, was du für Seelen hälst

hältst


dass er die Grenzen der Zeitlosigkeit als erstes erreicht.

als Erster oder zuerst


. Und wieder begann sich die Welt unter mir zu verändern. Nebelschwaden begannen mich zu umhüllen

unschön


und die Angst endlich hinter sich zulassen

auseinander


Dort, von wo der Gesang kam, war nur ein kleiner Wasserfall, der sich die Hänge hinunter, in einen schwarzen See verlor.

Bin mir nicht 100% sicher, aber ich glaube, dasd fette Komma kommt raus. Außerdem heißt es mMn "einem"


Meine Pfoten fanden kaum halt

Halt groß


Der Bodennebel teilte sich vor mir

Hier ist ein kleiner Logikfehler im Bezug auf den vorhergehenden Teil: er sieht ja schon von oben den See, und so, aber wenn da doch Nebel drüber liegt, kann er ihn ja eigentlich nicht sehen. Vielleicht kannst du vorher irgendwie einbringen, dass er den See durch treibende Nebelfetzen hindurch sieht.


Das Wasser war von einer bleiernen Schwärze erfüllt.

Hier würde ich vielleicht "erfüllt" weglassen


Unsere Körper prallten noch in der Luft mit einem dumpfen Hall aufeinander.

Hall assoziiere ich mit etwas hohlem. Vielleicht wäre "Klang" besser


Ich bewegte mich um seine blinde Seite herum und wollte ihn aus dieser Schräge heraus angreifen.

Aus dieser Position fände ich besser


Es würde ein waaghalsiges Manöver werden,

waghalsiges


grub meine Zähne tief in sein Fleisch und riss den Kopf herum. Ich fühlte wie die Muskelfasern sich zwischen meine Zähne gruben.

unschön


Erstaunt, und wieder einigermaßen zu Sinnen kommend, spukte ich einen Fetzen Fleisch angewidert aus

spuckte


Fast unglaubwürdig starrte ich den Körper vor mir an

Erstens heißt es in diesem Zusammenhang "ungläubig", und zweitens würde ich das "fast" weglassen, denn entweder glaubt er es, oder nicht, etwas fast nicht glauben ist irgendwie seltsam


Letztendlich gaben auch meine Beine unter meiner Müdigkeit nach,

Das "unter" finde ich ungeschickt. Die Beine können unter ihm vor Müdigkeit nachgeben, aber für eine Variante solltest du dich entscheiden.


Sie waren selten in unserer Gegend geworden und nur die wenigsten bekamen sie zu Gesicht.

ich würde das "selten" hinter "in unserer Gegend" ziehen, liest sich schöner


Aber man wollte die Kadaver wegen eines schweren Sturmes erst am nächsten Morgen entfernen, doch die beiden Wölfe waren verschwunden

Das "aber" würde ich weglassen.


So, das war's von meiner Seite. Wurde dann doch eine längere Liste, als ich dachte, aber das meiste ist einfach Stilkram, der meinem Geschmack ein kleines bisschen zuwider läuft. Kann aber bei einer so langen Geschichte leicht passieren.
;)

Wir sollten mein Wolfsmädchen mit deinem Wolfsjungen verheiraten, die passen bestimmt prima zusammen. :D

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hey!

Vielen Dank für die Mühe. Na, da hab ich tatsächlich noch ein bissel was zu tun, bis die Geschichte überarbeitet ist. *g*

Lieben Gruß
Mes

 

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