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Serie Deutscher Montag 1 - Gesichterlesen

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14.03.2002
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Deutscher Montag 1 - Gesichterlesen

Es ist noch ziemlich früh am Morgen, der Himmel ist klar und verspricht einen weiteren heißen Tag. Wir werden schwitzen heute, wenn wir draußen stehen werden. Ich widerstehe der Versuchung, mich noch einmal kurz ins Bett zu legen: ich bin nicht wirklich müde. Augenreibend und Gähnend stolpere ich in Richtung Badezimmer. Vor der Tür höre ich, wie drinnen jemand mit einer elektrischen Zahnbürste zugange ist. Ich kann es nicht leiden, morgens mit jemandem das Bad teilen zu müssen, weder mit Johanna, noch mit einem der Kinder. Also gehe ich die Treppe hinunter ins Erdgeschoß, knipse im Gästebad das Licht an und dusche dort.

Ich lasse das Auto zu Hause und gehe zu Fuß zum Treffpunkt, es ist genügend Zeit. Ich passiere die Gärten und Häuschen, viele meiner Kollegen haben hier gebaut und manchmal ist es schwierig, ein ruhiges Wochenende zu verbringen; Fußballabend bei Kalle mit Grill, Formel 1 auf Leinwand in Rudis Garten und wenn die Gemeinde den Spielplatz erneuert, oder ein Stück der Straße ausbessert, dann schenken Manfred und Trude in ihrem Partykeller Cocktails aus.

Ich bin viel zu früh, ich hätte mich noch einmal hinlegen, das Auto nehmen sollen, der Wagen ist gerade richtig eingefahren. Eine kleine Tour am Morgen wäre zu verlockend gewesen, ich hätte den Umweg über die Autobahn nehmen können, die Pferde so richtig rauslassen.

Ich gehe an der Kirche vorbei, am Rathaus, bis ich endlich zum Bahnhof komme. Ich bin tatsächlich der Erste. Was nun, herumstehen und warten? Es ist gerade mal neun Uhr, der Türke gegenüber hat bereits geöffnet. Es müssen schlechte Zeiten sein, daß er diesen Streß betreibt. Gerade ist er dabei, den Drehspieß in Gang zu bringen. Wer, um alles in der Welt, bestellt morgens um neun wohl einen Döner, frage ich mich. Ich lasse mir einen Kaffee servieren, den ich hastig trinke. Die Betriebsamkeit geht mir auf die Nerven.

Wieder vor dem Bahnhof stehe ich noch eine Weile allein, dann sehe ich Roland um die Ecke biegen - Wie geht's? - Ja, muß. Und selbst? - Ja, muß auch, ne. Wir stehen dämlich beieinander, ich denke angestrengt nach, was sich sagen ließe.

Hermann will sich in die Montage versetzen lassen, sagt Roland. Nicht mehr Qualitätssicherung, sage ich, nee, sagt Roland, wird ihm zu unsicher sagt er.

Eine Angst beschleicht mich. Roland wohl auch, er zündet sich eine Zigarette an, eine von diesen speziellen, die er sich immer mitbringen läßt, wenn einer Urlaub macht. Weshalb er so früh hier ist, frage ich mich kurz, weshalb bin ich überhaupt so früh hier, ich weiß es doch auch nicht.

Diesem Unfug muß ein Ende bereitet werden, manchmal kann ich abends kaum einschlafen, niemand darf einem den Schlaf nehmen, so weit kommt es ja gerade noch. Deshalb sind wir hier. Um diesem Unsinn ein Ende zu setzen. Um wieder ruhig schlafen zu können.

Andere kommen hinzu, der Platz füllt sich, Grüße werden getauscht, Kopfnicken. Es will keine Stimmung aufkommen, die kämpferische Atmosphäre bleibt aus. Wir wissen, daß sich hier die Helden versammeln, die die kopfstehende Welt wieder umdrehen werden. Wir werden alles wieder richten. Wir wissen, was wir wollen.

Und doch ist da irgendetwas. Irgendwo wissen wir es. Wissen, daß es irgendwie nicht das Richtige ist. Es steht in den Gesichtern geschrieben, ich bin sicher, auch in meinem. Wenn sie nur einer lesen wollte, die Gesichter hier, Montagmorgen. Unsere Zweifel können wir leugnen, aber wir können sie nicht verbergen.

Wir machen uns Mut, gemeinsam, mit Transparenten, das haben wir trainiert, jahrelang. Es hat uns immer genutzt. Und irgendwie werden wir es auch jetzt wieder schaffen, wir brauchen nur Erfolg, der wird sich einstellen, ich bin mir sicher.

 

Hallo cbrucher,

ich habe ein paar Schwierigkeiten, zu erkennen, worauf du in dem kurzen Text inhaltlich hinaus willst. Geht es um Arbeitslosigkeit? Anfangs beginnt deine Geschichte recht anschaulich, die letzten Absätze sind dann aber Rätsel für mich. Welchem "Unfug" muss ein Ende bereitet werden? Was meinst du mit "Irgendetwas ist da"? Einige Fragen bleiben für mich offen, eventuell würde ich vorschlagen, dass du den Text noch etwas erklärend erweiterst. Oder habe ich über irgendetwas Entscheidendes hinweggelesen?

Besser hätte mir es gefallen, wenn du das Gespräch als Wörtliche Rede geschrieben hättest, dadurch würde deine Geschichte sicherlich lebendiger werden und man könnte sich die Situation deiner Charaktere anschaulicher vor Augen führen.

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo Michael,

danke für Deinen Kommentar. Du fragst, worauf ich hinaus will, ich tue mich schwer damit, das zu sagen. Erstens glaube ich nicht, daß es Aufgabe des Autors ist, seine Geschichte zu interpretieren, das sollen mal schön die Leser machen, gelingt das nicht, ist die Geschichte schlecht.

Sicherlich hast Du recht, wenn Du bemängelst, der Text sei am Ende noch zu erweitern, jedoch nicht erklärend.

Deine Anmerkung, ich solle das Gespräch in wörtlicher, also direkter Rede schreiben, verstehe ich nicht: das kurze Gespräch steht in direkter Rede, ich habe nur keine Anführungszeichen gesetzt. Leider aber ein Komma vergessen vor "sagt er" am Ende.

 

@Angua,

unnötig zu erwähnen, daß Du das Thema vollkommen richtig erkannt hast. Weniger unnötig: danke fürs Lesen und für das Verfassen Deines Kommentars.

Zu Deiner Frage, was genau dieses "Irgendwas ist da." bedeuten soll, ich weiß es nicht. Nicht genau. Es ist nicht meine Sicht, sondern die Sicht der Figur. Ich kann sagen, daß sie irgendetwas für falsch hält, Zweifel hat. In welche Richtung diese gehen, keine Ahnung.

Ich könnte anmerken, was ich mir zu der Thematik denke, aber das hat nichts mit der Geschichte zu tun, auch wenn diese Gedanken das Schreiben der Geschichte motivierten.

 

Hallo cbrucher,

Du fragst, worauf ich hinaus will, ich tue mich schwer damit, das zu sagen. Erstens glaube ich nicht, daß es Aufgabe des Autors ist, seine Geschichte zu interpretieren, das sollen mal schön die Leser machen, gelingt das nicht, ist die Geschichte schlecht

Ich denke auch, dass es Aufgabe des Lesers sein soll, selbst auf eine Interpretation zu kommen – allerdings ist das natürlich nur möglich, wenn der Autor sich vorher etwas beim Schreiben gedacht hat und auch Andeutungen macht, die es dem Leser überhaupt ermöglichen, einen Sinn in einer Geschichte zu erkennen. Hattest du beim Schreiben eine bestimmte Idee im Auge?
Ich denke schon, Angua liegt mit seiner Deutung ja richtig, wie du selbst geantwortet hast.
Anderfalls könnte man ja jeden beliebigen Unfug schreiben und der Leser könnte sich umsonst den Kopf zermartern, wenn kein Sinn ersichtlich ist.

Ja, mit wörtlicher Rede meinte ich das Setzen von Anführungsstrichen. Mir selbst gefallen diejenigen Kurzgeschichten am besten, in die ich richtig hineintauchen kann, wie in einem Film, und Dialoge (mit Anführungsstrichen) können meiner Meinung nach wesentlich dazu beitragen, einen Text lebendiger zu gestalten.

Viele Grüße,

Michael :)

 
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Lieber Claus!

Es muß nicht unbedingt eine der gerade aktuellen Montagsdemos sein, auch so ergibt Deine Geschichte ein schönes Stimmungsbild, denn Zeiten wie diese gibt es ja immer wieder.
Keiner muß zur Arbeit, wenn gestreikt wird, da ist die Überlegung, länger zu schlafen, verlockend, aber der Protagonist weiß, wie wichtig es ist und beeilt sich, nicht zu spät zu kommen.
Am Bahnhof scheint es, als wären alle anderen zuhause geblieben, vielleicht den freien Tag ausnützend.

der Türke gegenüber hat bereits geöffnet. Es müssen schlechte Zeiten sein, daß er diesen Streß betreibt.
Hier weiß ich nicht genau, ob Du damit mehr sagen willst, daß es den anderen halt noch nicht schlecht genug geht…, oder ob es mehr ein Befürchten ist, daß es bald für alle soweit sein wird, sich den Gegebenheiten so zu unterwerfen, wie der Türke es in des Protagonisten Augen tut, oder wie oder was sonst.

Hermann will sich in die Montage versetzen lassen, sagt Roland. Nicht mehr Qualitätssicherung, sage ich, nee, sagt Roland, wird ihm zu unsicher sagt er.
Die Stelle finde ich sehr gut. Daß es gerade in der Qualitätssicherung so unsicher ist, ist ja eine Aussage für sich…

Und doch ist da irgendetwas.
Ich kenne dieses Gefühl, das Du meinst, wenn auch aus anderem Anlaß. Alle stehen am Bahnsteig (oder in der U-Bahn, im Bus, irgendwo), haben eigentlich nichts miteinander zu tun, sich nichts zu sagen, und spüren alle irgendwie eine Mischung aus Kampfstimmung und Lähmung zugleich, wissend, man muß etwas tun, zweifelnd, ob es das Richtige ist, und doch tun sie, was die »Masse« tut, weil sie ja irgendwie gar keine andere Möglichkeit haben. Sie haben ein Thema, das sie verbindet, ihrer aller Zukunft, und es ist vielleicht ein schwaches Bewußtwerden, was Solidarität bedeutet.

Für mich kommt diese Stimmung sehr gut heraus. :)

Ein paar Anmerkungen noch:

»Augenreibend und Gähnend stolpere ich in Richtung Badezimmer.«
gähnend

»Vor der Tür höre ich, wie drinnen jemand mit einer elektrischen Zahnbürste zugange ist.«
– würde ein »angekommen« nach »Tür« schreiben, klingt schöner ;)

»Ich lasse das Auto zu Hause und gehe zu Fuß zum Treffpunkt, es ist genügend Zeit. Ich passiere die Gärten und Häuschen,«
– Du beginnst die Sätze sehr gern mit »Ich«, versuch doch manchmal, es zu vermeiden, zum Beispiel durch »Das Auto lasse ich zu Hause stehen und …«

»Ich bin viel zu früh, ich hätte mich noch einmal hinlegen, das Auto nehmen sollen, der Wagen ist gerade richtig eingefahren. Eine kleine Tour am Morgen wäre zu verlockend gewesen, ich hätte den Umweg über die Autobahn nehmen können, die Pferde so richtig rauslassen.«
– zwei der drei »ich« könntest Du mit wenigen Änderungen vermeiden (meine anderen Vorschläge für diese Stelle hab ich einfach gleich eingebaut): Ich bin viel zu früh, hätte mich noch einmal hinlegen und dann das Auto nehmen sollen. Der Wagen ist gerade richtig eingefahren; auf einer kleinen Tour am Morgen, dem Umweg über die Autobahn, die Pferde so richtig rauszulassen, wäre zu verlockend gewesen.

»Ich gehe an der Kirche vorbei, am Rathaus, bis ich endlich zum Bahnhof komme. Ich bin tatsächlich der Erste.«
– »Ich«-Kürzungsvorschlag: Vorbei an der Kirche und am Rathaus, komme ich endlich zum Bahnhof.

»Wer, um alles in der Welt, bestellt morgens um neun wohl einen Döner, frage ich mich.«
– schon mal probiert, um die Zeit auch einen zu bestellen? Ich vermute, daß das Ding eine Weile braucht, bis es halbwegs gewärmt ist. ;)

»Die Betriebsamkeit geht mir auf die Nerven.«
– die Betriebsamkeit des Türken? Oder sind plötzlich so viele Leute da? Vielleicht kannst Du das deutlicher machen, denn da Du gerade geschrieben hast, der Protagonist wäre der einzige, außer dem Türken, klingt es etwas seltsam, wenn Du nun von Betriebsamkeit sprichst. Wenn Du also auf den Fleiß des Türken hinweisen willst, dann solltest Du das deutlicher machen.

»Wieder vor dem Bahnhof stehe ich noch eine Weile allein, dann sehe ich Roland um die Ecke biegen - Wie geht's? - Ja, muß. Und selbst? - Ja, muß auch, ne. Wir stehen dämlich beieinander, ich denke angestrengt nach, was sich sagen ließe.
Hermann will sich in die Montage versetzen lassen, sagt Roland. Nicht mehr Qualitätssicherung, sage ich, nee, sagt Roland, wird ihm zu unsicher sagt er.«
– Punkt nach »biegen«
– für die wörtliche Rede wäre es – gerade wenn Du keine Anführungszeichen verwendest – besser, jedem Sprecher eine neue Zeile zu geben. Und der Satz mit der Qualitätssicherung ist doch eine Frage, oder?, warum verwendest Du denn ständig nur »sage« und »sagt«? :susp:

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hallo Claus,

jetzt wollte ich mich doch mal deinem deutschem Montag annehmen. Es fällt mir schwer, den Kommentar zu deiner Geschichte von meiner eigenen Einschätzung zu den mittlerweile ja schon wieder verebbten Demonstrationen zu trennen. Wie auch immer: du bringst die Stimmung gut rüber. Irgendwie haben die Menschen das Gefühl, dass sie irgendwas machen müssen - ohne zu wissen wie und was und (das unterstelle ich jetzt einfach mal) wogegen. Ich habe auch die Sehnsucht herausgelesen, sich in einer Gruppe aufgehoben zu fühlen, was nicht so funktioniert wie geplant. Stattdessen Unsicherheit und Zweifel.
Ich hatte zwei Detailanmerkungen, aber da war Susi schneller als ich.

Liebe Grüße
Juschi

 

Gleich zwei Kommentare in so kurzer Zeit; vielen Dank fürs Lesen und die Mühen.

@Häferl:

Schön, daß der Text eine Atmosphäre für Dich vermittelt hatte. Zu Deinen übrigen Anmerkungen dann im Detail:

  • Die Stelle mit dem Türken will ich nicht deutlicher herausarbeiten. Hier will ich keine explizite Botschaft senden.
  • "Gähnend" - Uuups. Wird natürlich korrigiert.
  • "Vor der Tür höre ich" - Wenn ich dem Satz ein 'angekommen' beifüge, dann klingt es anders, als ich es meine.
  • Über die vielen Ich-Anfänge muß ich erst einmal nachdenken. Es paßt vielleicht ganz gut in den Text, aber vermutlich hast Du recht: es sind zu viele.
  • "Betriebsamkeit" - bleibt. Bleibt Deiner Interpretation überlassen.
  • Punkt nach "biegen" - Wird ergänzt.

@Juschi:

Ursprünglich hatte ich die utopische Hoffnung, hier könnte eine echte Diskussion zu dem Thema entstehen. Leider war das wohl etwas zu phantastisch...

 

Ursprünglich hatte ich die utopische Hoffnung, hier könnte eine echte Diskussion zu dem Thema entstehen. Leider war das wohl etwas zu phantastisch...

Ich habe das Thema ja eigentlich auch angeschnitten, aber was willst Du denn drüber diskutieren? Es ist so... :shy:
Dann müßtest Du halt Diskussionsstoff in die Geschichte einbauen...;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Häferl schrieb:
Dann müßtest Du halt Diskussionsstoff in die Geschichte einbauen...
Ich dachte eigentlich, das hätte ich getan. Naja. Vielleicht sollte ich auch noch einmal über den Text lesen. Mal sehen.

 

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