Die Befreiung, Thema 69 von gbwolf
Die Befreiung
Myklas und Tyrr pressten ihre Körper so tief sie konnten in die feuchte Wiese. Ihr Herzschlag wurde immer schneller, ihre Gesichter waren nass von kaltem Schweiß und sie atmeten heftig, als wären sie gerade stundenlang gelaufen.
Doch dies alles hatte einen Grund. Sie waren nun zum Lager der Vagabunden gekommen. Die Vagabunden, welche sie nun schon seit Wochen verfolgten. Sie hatten ihre kleine Schwester entführt.
Das Vagabunden ab und an Menschen verschleppten kam regelmäßig vor. Dann musste die Familie ein kleines Lösegeld bezahlen und sie konnten ihre Liebsten in die Arme schließen. Doch selbst wenn ihre Eltern einen nennenswerten Reichtum hätten, niemals würden diese Geiselnehmer ihre Schwester zu ihnen zurück bringen.
Elsa war wie die gesamte Familie eine Formwandlerin. Leider war sie noch zu jung um ihr Talent wirklich nutzen zu können, doch selbst wenn sie dazu in der Lage wäre, es war doch mehr als fraglich ob diese, durchaus geübten Krieger vor einem Fuchs in Ehrfurcht erstarren würden.
„Denkst du sie haben uns bemerkt?“, raunte Myklas zu Tyrr.
„Wenn du weiter so einen Lärm machst, dann ganz bestimmt“.
Tyrr blickte finster zu den Lagerfeuern und er versuchte seine Schwester auszumachen. Sein Puls hatte sich wieder etwas beruhigt und langsam begann sich ein bekanntes Gefühl von Wut in seinem Körper auszubreiten. Seine Muskeln fühlten sich wesentlich stärker an und er konnte seine Gestalt nur mit Mühe zurückhalten.
Als Formwandler konnte man nicht in jede beliebige Gestalt schlüpfen. Nach dem neunten Geburtstag eines Kindes wurde das Tier in ihnen lebendig und sie mussten lernen es zu kontrollieren. Das Hauptproblem für sie alle war, Formwandler waren in der großen Stadt sehr beliebt. Man stellte sie in Zoos der reichen Leute aus und hielt sie sich wie Haustiere. Wollten sie Elsa ein solches Schicksal ersparen, mussten sie nun Handeln.
Myklas krampfte seine Hand zu einer Faust. Er dachte an seinen Vater, der voller Feigheit nicht in der Lage war zu tun, was nun mal zu tun war. Er bebte und knirschte mit den Zähnen, denn auch sein Tier wollte nun aus ihm heraus.
Myklas begann nun sich zu verwandeln. Sein Körper krümmte sich und seine Knochen änderten ihre Form, die Muskeln wuchsen und spannten sich, seine Haute bekam wie von Zauberhand ein Fell. In wenigen Sekunden hatte er sich in einem beachtlich großen Wolf verwandelt. Er schlich sich nun nahezu lautlos durch das Moos an das Lager heran, seine feine Nase konnte den Eintopf auf der Kochstelle riechen, den Schweiß der Männer, die Angst. Die Angst seiner kleinen Schwester.
Tyrr brauchte nur auf seinen Bruder blicken um zu wissen, dass er Elsa entdeckt hatte. Nun hintere ihn nichts mehr an der Verwandlung. War schon Myklar beeindruckend, so war Tyrr in der Gestalt eines fast drei Meter großen, schwarzen Bären selbst für gestandene Krieger furchteinflößend. Von nun an verständigten sie sich durch ihre Gedanken, eine weitere gute Eigenschaft wenn man verwandelt war.
Es begann zu regnen und dicke Tropfen prasselten durch die Blätter der Bäume auf den Boden. Vielleicht durch den Regen, oder einfach durch seine Unerfahrenheit, Tyrr bemerkte den Stolperdraht erst als es zu spät war. Ein dicker Baumstamm traf ihn wie ein Rammbock. Seine Knochen knirschten, er schmeckte sein eigenes Blut und vor seinen Augen begannen Sterne zu tanzen. Mehrere Vagabunden sprangen auf und eilten mit blanken Schwertern zu Tyrr.
„Tyrr, nicht! Halte aus ich komme.“, schrie Myklas stumm.
„Lass mich, kümmere dich um Elsa und bring sie in Sicherheit!“, stöhnte Tyrr schwach.
Schon verwickelten die Geiselnehmer Tyrr in einen heftigen Kampf. Er wehrte sich nach Kräften und fegte gleich drei Krieger auf einmal von den Beinen.
„Alarm! Ein Monster greift an, alle Soldaten sofort an das Südende!“, gellte es aus dem Lager.
„Holt die Bögen, das Ungetüm bringt einen dicken Patzen Geld ein“, befahl ein großer, bärtiger Mann mit nur einem Auge. Ein junger Soldat wollte dem Befehl Folge leisten, doch mit einem markerschütterndem Brüllen stürzte sich Myklas auf ihn. Noch bevor der Vagabund wusste wie ihm geschah quoll Blut aus einer tiefen Wunde in seinem Hals und starb noch bevor er auf dem Boden aufschlug. Zwei weitere Männer hatten kaum ihre Waffen gezogen als sie von dem dunklen Wolf niedergestreckt wurden. Er war jetzt nur mehr wenige Meter vom Käfig in dem seine Schwester war entfernt. Myklas konnte ihre hoffnungsvoll schimmernden Augen schon sehen. Plötzlich war ein dickes Netz über ihn. Er schnappte, jaulte, biss um sich und versuchte sich aus der Falle zu winden. All diese Versuche machte der Einäugige mit einem kräftigen Schlag auf seinen Kopf ein jähes Ende.
Dunkelheit umgab ihn. Sein Kopf dröhnte, er zitterte und schmeckte den metallenen Geschmack von Blut in seinem Mund. Die Glieder schmerzten als wäre er durch Glas geschlittert. Langsam öffnete er seine Augen. Myklas sah zuerst seinen noch immer bewusstlosen Bruder. Tyrr hatte eine tiefe Wunde auf seiner linken Seite und blutete durch den provisorischen Verband. Sie waren nicht länger in ihrer Tiergestalt. Dann sah er die ängstlichen Augen, den kleinen, weinenden Körper seiner Schwester.
„Geht es dir gut Elsa?“, fragte Myklas.
„Ja, es geht. Was haben die nur mit uns vor? Wo ist Vater? Kommt er uns retten?“
„Nein, ich fürchte nicht. Er hatte zu große Angst. Oder was weiß ich. Wir wollten sich retten und nun sie uns an.“
„Wir werden einen Weg finden Myklas, ganz bestimmt. Du wirst auch sehen, Vater sucht nach uns.“, entgegnete Elsa bestimmt.
Tyrrs keuchen schreckte sie beide auf. „Wo sind wir? Was ist passiert?“, stöhnte er. „Sie haben uns Tyrr, die Vagabunden haben uns gefangen. Jetzt ist alles aus.“, entgegnete Myklas betrübt.
Weiter kamen sie nicht. Der einäugige Krieger kam auf sie zu.
„Ich bin Baltor. Dies sind meine Männer und ich begrüße euch herzlich.“, sagte er mit tiefer, bedrohlicher Stimme. „Ihr bringt mir eine schöne Stange Geld. Außer der kleine hier. Wenn er nicht durchkommt, gibt er vielleicht einen netten Bettvorleger ab.“
„Versuch doch mal ihn zu holen du Bastard!“, schrie Myklas voller Zorn.
„Das werden wir noch früh genug Junge.“, entgegnete Baltor bestimmt.
Sie wurden nun schon seit Stunden durch die Gegend gekarrt. Das ruckeln des Wagens bereitete Tyrr große Schmerzen. Er stöhnte und fieberte mittlerweile. Wenn er nicht bald verarztet werden würde, so war sich Myklas sicher, überlebte er den Transport nicht.
Elsa starrte durch die Gitterstäbe. Tränen rollten ihre Wangen hinab und beinahe hätte sie die gleichmäßige Bewegung am Horizont übersehen. Immer größer werdende Schwingen näherten sich der Karawane. Sie wollte ihren Augen nicht trauen, es war zu schön um wahr zu sein.
„Myklas sie nur, Vater kommt, er kommt uns retten!“, kreischte sie aufgeregt.
„Vater? Ist es wahr? Das kann sein. Elsa, verwandle dich und versuche durch die Stäbe zu kommen. Dann öffne die Türe.“, entgegnete Myklas.
„Aber es ist zu schwer, ich schaffe es nicht.“
„Du schaffst es, weil du es schaffen musst. Vater wird es nicht alleine mit ihnen aufnehmen können. Er braucht mich. Ich glaube an dich!“, entgegnete er und blickte ihr dabei tief in die Augen.
Elsa brauchte vier Versuche um es endlich in ihre Form zu schaffen. Sie war ein zierlicher Fuchs und konnte mit einiger Mühe durch die engen Stäbe entkommen. Sie lief unter den Wagen und wartet auf einen günstigen Moment um auf das hintere Trittbrett zu springen. Sie verwandelte sich zurück und drückte die Sperre zurück um die Tür zu öffnen.
„Was machst du da, du verdammtes Gör?!“, grunzte der Reiter hinter dem Käfigwagon.
Doch da war es zu spät, Myklas stürzte sich in der Gestalt seines Wolfes auf den Mann und war ihn vom Pferd. Nahezu zeitgleich fuhr ein riesiger Greif in die Menge der Vagabunden. Es war tatsächlich ihr Vater. Schon mit dem ersten Angriff tötete er ein Dutzend der Krieger.
„Schnell, bring Elsa und Tyrr auf meinen Rücken.“, sprach sein Vater über seine Gedanken.
Myklas gehorchte und verwandelte sich zu einem Menschen. Er und Elsa hoben Tyrr auf seinen Rücken. Sie mussten sich beeilen, denn die Vagabunden hatten den ersten Schock verdaut und formierten sich. Kaum war Elsa auch auf dem Rücken des Greifs bemerkte Myklas, wie die Männer ihre Bögen vorbereiteten.
Noch im Sprung wurde er zur reißenden Bestie und blickte zu seinem Vater.
„Bring sie Weg, ich halte sie auf. Die Pfeile könnten euch treffen.“, wandte er sich an den Greif
„Niemals, sie werden dich töten.“
„Aber bitte, ich bringe ihnen Leben viel mehr Gold als tot. Rette sie, dann finde mich. Du weißt wohin sie mich bringen werden. Aber jetzt erteile ich ihnen noch eine Lektion, warum man sich besser nicht mit Formwandlern anlegen sollte.“, grinste er verächtlich.
Ohne eine Reaktion abzuwarten stürzte er sich auf die Bogenschützen. Sein Vater katapultiere sich in die Luft und konnte nur mit Mühe einigen Speeren und Lanzen ausweichen. Einzig ein Pfeil traf seine rechte Schwinge, doch den Schmerz bemerkte er gar nicht.
Seine Augen füllten sich mit Tränen und sein Herz krampfte sich zusammen. Er konnte nicht mal zu seinem Sohn zurückblicken und sehen wie er wieder unter einem Netz verschwand.
„Ich finde dich, mein Sohn. Ich finde dich und wenn es das Letze ist, was ich tue. Danke für deinen Mut.“, schluchzte er in Gedanken.
Verwendete Wörter als Vorgabe:
• Schwinge
• Tropfen
• Moos
• Horizont
• atmen