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Die Darmgeschichte
Oberschwester Inge ergriff die Krankenblätter und setzte sich an den Schreibtisch. Auf Ala achtete sie nicht. Eigentlich achtete sie keinen, nicht die Kollegen und noch weniger die Patienten.
„Die Nacht verlief ohne Zwischenfälle.“ Zaghaft, fast ängstlich klang Alinas dünne Stimme. „Nur der Patient in Zimmer zwanzig hat seine Schlaftablette noch nicht genommen.“
„Ach was!“ Dröhnte es vom Schreibtisch des Generals. „Die Darmgeschichte.“
Alina verstand, warum jeder hier im Krankenhaus Oberschwester Inge den General nannte, allerdings nur hinter vorgehaltener Hand.
„Ich erledige das!“ Triumphierte der General und blies zum Angriff auf Zimmer zwanzig.
Die Darmgeschichte langweilte sich und der dazugehörige Patient, er hieß Ferdinand, auch.
„Herr Singers!“
Jäh sprang die Tür auf. Ferdinand widerstand dem Gefühl stramm zu stehen. Stattdessen spähte er mit unschuldigen, blauen Augen zur Tür.
Der General erstürmte mit dem Schlachtruf, „so jetzt nehmen wir unsere Schlaftablette“, Zimmer zwanzig.
„Warum wir?“, wehrte Ferdinand den ersten Angriff ab, „ist doch verboten, oder?“
„Was soll verboten sein?“ Bellte der General.
Ferdinand setzte sein ‚ ich hab keine Ahnung Gesicht’ auf, „im Nachtdienst schlafen.“
„Ich will nicht schlafen!“ Das Barometer des Generals kletterte auf Sturm. „Ich bin im Dienst.“
Ferdinand kurbelte langsam seinen Oberkörper in die Senkrechte, „dann brauchen Sie auch keine Schlaftablette."
Sie fantasieren, Herr Singers, ich glaube Sie sind krank.“
„Sonst wäre ich ja nicht hier“, Ferdinands Langeweile war wie weggeblasen. „Außerdem kamen Sie herein und sagten, dass wir unsere Schlaftablette nehmen.“
Ferdinand sprang aus dem Bett. „Meinetwegen nehmen Sie die Hälfte.“
Sie verstehen das falsch“, keifte der General.
„Ach!“ Ferdinand war in seinem Element.
„Kein Nachtdienst, da freue ich mich für Sie. Nachtdienst ist anstrengend und dazu noch die Patienten.“
„Selbstverständlich habe ich Nachtdienst.“ Der General versuchte in die Offensive zu gehen, „weshalb stehe ich wohl hier und lasse mich...“ widerwillig gab er die Schlacht verloren.
Ferdinand schüttelte besorgt den Kopf. „Ich glaube Sie sind etwas überarbeitet"
Die Tabletten prasselten auf das Krankenbett, und die rote Mähne des Generals flatterte zum Sturm. Die Hände in die üppigen Hüften gestemmt, brüllte es durch das Zimmer.
„Ich bin überhaupt nicht überarbeitet, Herr Singers!“ Der General war nahe daran zukapitulieren.
Ferdinand schlüpfte flink wie ein Wiesel auf den Balkon. Er beschlagnahmte den einzigen Liegestuhl und zündete sich genüsslich eine Zigarette an.
„Wir nehmen jetzt die Schlaftablette und denn gehen wir ins Bett“, zischte es unter der roten Mähne, “sonst rufen wir den Professor.“
„Ich nicht!“
„Was... ich nicht?“ Der General kämpfte mit einer Ohnmacht.
„Ich rufe nicht den Professor.“ Ferdinand erhob sich und betrat das Zimmer. „Stellen Sie sich vor, der Professor kommt ins Zimmer und wir liegen zusammen im Bett.“
Ferdinand klein von Gestalt aber groß im Geist, stellte sich vor den General und schaute auf. „Denken Sie doch an ihren guten Ruf und an ihren Job.“
„Bitte bitte nehmen Sie doch jetzt ihre Schlaftablette. Morgen Vormittag ist doch ihre Operation", schluchzte die Oberschwester.
„Ach ja!" Ferdinand strich sich über seine Glatze, meine die Darmgeschichte. "Hätte ich doch beinahe vergessen."
Ferdinand setzte sich aufs Bett, nahm die Schlaftablette und spülte sie mit Wasser hinunter.
„Danke, dass Sie mich daran erinnert haben.“ Zufrieden legte sich Ferdinand ins Bett.
„Ein herrlicher Vollmond.“ Ferdinand lächelte still ins Kopfkissen.
Bevor die Schlaftablette wirken konnte, war Ferdinand eingeschlafen.